MEINE WELT ZEITSCHRIFT DES DEUTSCH-INDISCHEN DIALOGS - Schwerpunkt: Deutsch-indische Zusammenarbeit - Meine ...
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Heft 2 Jahrgang 38 Schwerpunkt: Deutsch-indische Zusammenarbeit Sommer 2021 MEINE WELT Z E I T S C H R I F T D E S D E U T S C H-I N D I S C H E N D I A L O G S
2 MEINE WELT 2|2021 EDITORIAL MEINE WELT Leserumfrage – die wichtigsten Ergebnisse Wir bedanken uns ganz herzlich Rückmeldungen insgesamt (online und per Post) 36 bei allen Leserinnen und Lesern, die an der Leserumfage teilge- davon Menschen mit indischen Wurzeln 09 nommen und uns ihre Meinung Indien-Kenner und Reisende 22 über verschiedene Aspekte der Entwicklungsarbeiter*innen 10 Zeitschrift mitgeteilt haben. Ihre Geschäftsleute 04 Antworten, liebe Leser*innen Beziehung zu Indien helfen uns, das Medium in Ihrem Sinne fortzuentwickeln und dabei familiär 11 / 30 % die verschiedenen Interessen zu beruflich 19 / 53 % kulturell, spirituell 11 / 39 % berücksichtigen. touristisch 11 / 39 % Gerne teilen wir Ihnen hier die wichtigsten Resultate der Befra- Ich habe MEINE WELT kennengelernt gung mit. Weitere Meinungs über private Beziehungen und/oder Veranstaltungen (Mehrheit) äußerungen sind stets willkom- men und werden unter Umstän- Ich bin Leser von MEINE WELT seit den in der Rubrik „Leserstimmen“ mehr als 20 Jahren 16 veröffentlicht. mehr als 10 Jahren 09 einigen Jahren 11 bevorzugte Themen deutsch-indisches Zusammenleben 13 Kunst, Kultur 23 Religion 23 Politik 27 Umwelt, Soziales 21 Dt.-ind. Beziehungen 17 Entwicklungszusammenarbeit 16 Layout gefällt mir 32 / 89 % gefällt nicht 04 / 11 % Soll der Name geändert werden? Ja 61 % Nein 39 % Würden Sie für das MEINE WELT-Abo auch bezahlen? Ja 67 % Mehrfach-Nennungen sind möglich. Nein 33 % Auswahl und Zusammenfassung: meist genannter Abo-Preis pro Jahr (Vorschlag) 20-25 Euro Rainer Hörig
EDITORIAL MEINE WELT 2|2021 3 Herausgeber: Deutsch-Indische Zusammenarbeit e. V. Odrellstraße 43 Namaste, liebe Leserinnen und Leser, 60486 Frankfurt am Main Tel. +49 (0)69 7940 3920 Vertreter des Herausgebers: kennen Sie Shakuntala Banerjee? Länder und widmen uns ausführlich Dr. Jona Aravind Dohrmann Die TV-Moderatorin ist zu einem der Zusammenarbeit auf den Gebieten E-Mail: dohrmann@diz-ev.de der bekanntesten Gesichter mit in- Entwicklungspolitik und Klimawandel. Redaktion: dischem Namen in der bundesdeut- Gerne stellen wir Ihnen die Ergebnisse Rainer Hörig (V.i.S.d.P.) E-Mail: meinewelt@rainerhoerig.com schen Medienlandschaft aufgestiegen. der im Frühjahr durchgeführten Le- In einem langen, online geführten serumfrage vor. Den Wünschen und Redaktioneller Beirat: Dr. George Arickal, Prof. Asit Datta, Gespräch vertraute sie mir einige Empfehlungen aus der Leserschaft Dr. Jona Dohrmann, Sybille Franck, Geheimnisse an: über ihre Schulzeit folgend enthält diese Ausgabe zwei Dr. Martin Kämpchen, Manoj Kallupurackal, in Mönchengladbach, ihre ersten ausführliche Analysen über aktu- Dr. Cornelia Mallebrein, Gehversuche im deutschen Fernse- elle politische Ereignisse in Indien. Jose Punnamparambil, hen, über einige Reiserfahrungen in Dazu gehören auch die beklagens- Nisa Punnamparambil Indien und Ihre Ansichten über das werten Verluste mehrerer engagier- Layout und Satz: Alexander Schmid Bild Indiens in deutschen Medien. ter Reformer und Aktivisten, deren Vertrieb: Ein weiteres, sehr aufschlussreiches Wirken und Handeln wir mittels Jose Ukken Gespräch konnte ich mit führen- ausführlicher Nachrufe würdigen. E-Mail: vertrieb@diz-ev.de den Vertretern des Sikh-Verbands Ein ausführlicher Kulturteil mit bun- Druck: Deutschland führen, der seit Beginn ten Berichten und einer Leseprobe Siebengebirgs-Druck, Karlstraße 30, 53604 Bad Honnef der Corona-Pandemie in vielen deut- rundet das Portfolio dieses Heftes ab. schen Städten vegetarische Mahlzeiten Leider hat sich die finanzielle Situati- Erscheinungsweise: bis zu viermal jährlich und Dinge des täglichen Bedarfs an on dieser Publikation nicht wesentlich Bitte spenden Sie für den Bedürftige verteilt. Die Helfer orientie- gebessert. Bitte beachten Sie besonders Fortbestand dieser Zeitschrift: ren sich dabei an der Tradition ihres das beiliegende Schreiben, in dem Her- Deutsch-Indische Zusammenarbeit e. V. Glaubens, die jedem Besucher und ausgeber und Redaktion an Ihre Groß- IBAN: DE84 5206 0410 0004 0041 08 BIC: GENODEF1EK1 jeder Besucherin ihrer Tempel eine zügigkeit appellieren und auf wichtige Stichwort: Spende Meine Welt warme, gesunde Mahlzeit anbietet. Änderungen für die Zukunftsfähig- Im Themenschwerpunkt widmen wir keit der Zeitschrift hinweisen. uns den deutsch-indischen Bezie- Titelbild: hungen, die sich in diesem Jahr zum Bleiben Sie gesund und munter, Kamel-Hirte in Rajasthan, Foto: Rainer Hörig 70ten Mal jähren. Wir beleuchten in Beiträgen kompetenter Autor*innen Rückseite: Indische Frau, die diplomatischen, wirtschaftlichen Zeichnung von Rainer Schoder und strategischen Beziehungen beider Gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL Kontakt zu MEINE WELT: Möchten Sie MEINE WELT abonnieren? Sie können die Zeitschrift kostenfrei Vertrieb: als PDF-Dokument beziehen, wenn Sie Bestellen Sie bitte Ihr Abo Jose Ukken uns Ihre E-Mail-Anschrift mitteilen. Für bei Jose Ukken Für den Inhalt dieser Publikation ist allein der vertrieb@diz-ev.de die gedruckte Ausgabe erheben wir ab vertrieb@diz-ev.de Verein Deutsch-Indische Zusammenarbeit e. V. verantwortlich; die hier dargestellten Positionen sofort von neuen Abonnenten einen geben nicht den Standpunkt von Engagement Glo- Redaktion: Unkostenbeitrag in Höhe von jährlich Bitte besuchen Sie uns bal oder des Bundesministeriums für wirtschaftli- che Zusammenarbeit und Entwicklung wieder. Rainer Hörig 25,00 Euro, zahlbar auf das Spenden- auch im Internet unter: Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht meinewelt@rainerhoerig.com konto der DIZ (siehe oben). www.meine-welt-online.de unbedingt die Position der Redaktion wieder.
4 MEINE WELT 2|2021 I N H A LT Die Kolumne Schaut hin, schaut zurück, schaut voraus!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 von George Arickal Foto-Essay Ladakh – Wüste im Himalaya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Text und Fotos von Rainer Hörig Literatur Sugathakumari: Ein Baumlied. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Gespräch mit Prominenten Shakuntala Banerjee, TV-Journalistin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Indisch - Deutsch Langar – die Sikh-Tradition mitmenschlicher Fürsorge . . . . . . . . . . . . 14 von Rainer Hörig Indische Einwanderung – Ein Win-Win-Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 von Jose Punnamparambil Politik · Zeitgeschehen Premierminister Modis Metamorphose zum Hindu-Asketen . . . . . . 18 von Chandrima Chakraborty Das allmähliche Verschwinden der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 von Asit Datta Ein Jesuitenpater wird zum Märtyrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 von Bernard Imhasly
I N H A LT MEINE WELT 2|2021 5 Umwelt · Soziales Im Schatten der Pandemie – Gewalt gegen Frauen in Indien. . . . . . . 24 von Pratibha Singh und Susanne Traud-Dubois Die Stimme des Himalaya. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Zum Gedenken an Sundarlal Bahuguna von Ashish Kothari Schwerpunkt: Deutsch-indische Zusammenarbeit Deutsch-indische Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 von Christian Wagner 60 Jahre Entwicklungszusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 von Claudia Warning Gemeinsam für Klimaschutz und Anpassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 von Rixa Schwarz Religionen Struktureller Rassismus in der Kirche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 von Gerald Mayer Kulturleben Mallika Sengupta: Sitayana. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Kurzgeschichte Hindi-Deutsch-Übersetzerwerkstatt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Bericht von Almuth Degener Sprache prägt Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 von Martin Kämpchen Neue Bücher – kurz vorgestellt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Nachruf Im Gedenken an Johannes Laping. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
6 MEINE WELT 2|2021 D I E KO L U M N E Schaut hin, schaut zurück, schaut voraus! Angesichts der verheerenden Auswirkungen der Corona-Pandemie in Indien mahnt George Arickal nicht wegzuschauen, sondern sich mit Menschlichkeit und Achtsamkeit dem Leid der Menschen zu stellen. Er beruft sich dabei auf Beispiele aus der jüngeren und frühen Geschichte der Menschheit. S ehen, Urteilen, Handeln; dies ist für die Zukunft. Aus der Geschichte lernen ein einfach klingendes Entschei- wir wichtige Kapitel zur Gestaltung sowohl dungs- und Handlungsprinzip, das der Gegenwart als auch der Zukunft. So ist viele von uns von Jugend an gelernt haben. es zu begrüßen, dass Deutschland in diesen „Schaut hin“, mit diesem Motto lud uns der Tagen den Völkermord an Hereros während Foto: privat dritte Ökumenische Kirchentag in Frankfurt der Kolonialzeit in Namibia endlich aner- im Mai dieses Jahres ein, auf die Lage und kennt und um Versöhnung bittet. Joe Biden Entwicklungen in der Welt bewusst hinzu- erinnerte als erster Präsident der Vereinigten schauen. Hinschauen allein löst natürlich Staaten auf einer Gedenkfeier im Juni an die der Welt auf die Notlage dieser Stadt genau kein Problem, doch ohne Hinschauen kann Opfer des rassistisch motivierten Massakers hinschauen. Die Antwort auf diesen Aufruf keine nachhaltige Lösung erwartet werden. in Tulsa vor 100 Jahren. Das Massaker sei folgte postwendend: die Versorgung West- Die Verweigerung des Hinschauens und des „eines der schlimmsten unserer Geschich- Berlins durch die berühmte Luftbrücke. Diese Hinhörens verrät oft Gleichgültigkeit oder te“ gewesen und „zu lange von unserer Ge- wurde notwendig, da sowjetische Truppen Flucht vor Konsequenzen. Der Beraubte auf schichtsschreibung vergessen“ worden. „Ich aus Protest gegen die Einführung der Wäh- der Straße von Jerusalem nach Jericho lag bin hierhergekommen, um dazu beizutragen, rungsreform in West-Berlin die Versorgungs- lange Zeit ohne Hilfe, da die reichen und ein- das Schweigen zu brechen, denn das Schwei- wege blockierten. 322 Tage lang versorgten flussreichen Passanten aus der Gesellschaft, gen vertieft die Wunden“, sagte er auf der amerikanische und britische Flugzeuge die Wirtschaft, Politik und Religion nicht bereit Veranstaltung. Mit seinem überraschenden West-Berliner Bevölkerung aus der Luft. waren, hinzuschauen. Der Verletzte wurde Rücktritt aus dem Amt setzt der Erzbischof Lebensmittel, Medikamente, Kohle, Heizöl erst versorgt, als ein Samariter vorbei kam, von München Kardinal Reinhard Marx ein und vieles mehr mussten eingeflogen werden. hinschaute und das Erforderliche veranlasste. Zeichen, dass sich die katholische Kirche Über 2.000 Tonnen Luftfracht brachten die Dem Beraubten erwies sich dieser fremde gründlich erneuern muss. Solche mutige Flugzeuge jeden Tag nach Berlin. Durch ein Helfer als der wahre Nachbar. Der Aufruf Entschlüsse stiften Hoffnung. entschlossenes solidarisches Handeln konn- „Schau hin“ kann deshalb gedeutet werden: „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt te eine durch den „kalten Krieg“ errichtete Sei der Schöpfung und den Mitmenschen ein und erkennt, dass Ihr diese Stadt und dieses lebensgefährliche Blockade überwunden guter Nachbar. Volk nicht preisgeben dürft und nicht preis- werden. „Ihr Völker der Welt, schaut auf uns, die Aus der Geschichte lernen wir wichtige Kapitel zur Opfer der Corona-Pandemie!“ Unüberhör- bar ist dieser Schrei der Verwundeten nach Gestaltung sowohl der Gegenwart als auch der Zukunft. Solidarität und Gerechtigkeit. Rund 168,1 Millionen Menschen sind laut der Johns- Bezweckt mit dem Motto „Schaut hin“ ist geben könnt! Es gibt nur eine Möglichkeit für Hopkins-Universität bis Ende Mai dieses nicht nur das Wahrnehmen der tatsächlichen uns alle: gemeinsam so lange zusammenzu- Jahres weltweit positiv auf das Virus getestet Lage, sondern auch das Entdecken der da- stehen, bis dieser Kampf gewonnen ist“. Mit worden. Weit mehr als 3,5 Millionen Infizierte hinter stehenden Ursachen. Ein bewusstes dieser eindringlichen Rede am 9.September sind gestorben. Die Völkergemeinschaft hat Hinschauen öffnet bei gutem Willen einen 1948 vor dem Reichstagsgebäude sandte wohl die Chance vertan, genau hinzuschauen Weg für wirksame Handlungen. Das Hin- Ernst Reuter, der damalige Oberbürger- und sich als Rettungsanker für viele Opfer schauen beschränkt sich nicht auf die gegen- meister West-Berlins, einen Notruf an die der Pandemie einzusetzen. wärtigen Entwicklungen sondern auch auf Völker. Er verband damit die Zuversicht, dass Allein in Indien haben sich laut Wikipe- die Vergangenheit und auf die Perspektiven West-Berlin gerettet wird, wenn die Völker dia im Zeitraum zwischen dem 03.01.2020
D I E KO L U M N E MEINE WELT 2|2021 7 und dem 26.05.2021 mehr als 25 Millionen mäß einem Bericht der Weltbank werden in gebracht, auch auf manche von der Pandemie Menschen mit dem Virus infiziert. Diese Zahl diesem Jahr bis zu 115 Millionen Menschen in erteilten Lehren in Bezug auf den Lebensstil wird jedoch um ein Vielfaches überschritten, extreme Armut fallen. Entwicklungsminister und Lebenssinn hinzuschauen. Die Pandemie denn die Virus-Testungen sind lückenhaft Gerd Müller weist darauf hin, dass Corona offenbart, in welcher Hilflosigkeit sich die und viele Erkrankte insbesondere in den erstmals seit Jahren wieder zum Anstieg von Menschheit bei der Lösung unerwarteter Her- ländlichen Regionen versterben ohne ärzt- Armut und Hunger in der Welt führt. „In ausforderungen befindet. Dem Menschen, der liche Versorgung zu Hause. vielen Entwicklungsländern hat die Pande- sich als die Krönung der Schöpfung begreift, Es scheint, dass die Völker dieser Welt teil- mie zu einer massiven Armuts-, Hunger- und wird aufgezeigt, dass er sich besinnen und die weise hinschauen und sich teilweise blind, Wirtschaftskrise taub und stumm stellen. Zuversicht verleiht geführt. Jetzt erst Die Pandemie offenbart, in welcher Hilflo- sicherlich die Tatsache, dass sich doch viele recht müssen wir Menschen dem Hilferuf folgend in den Dienst am Ziel einer Welt sigkeit sich die Menschheit bei der Lösung des Lebens stellen. Medikamente, Sauerstoff, ohne Hunger und unerwarteter Herausforderungen befindet. Desinfektions- und Schutzmittel sowie Nah- Armut festhalten“. rungsmittel wurden zur Verfügung gestellt. Neben diversen Schutzmaßnahmen wird Grenzen seiner Macht erkennen muss. Der Dies war für manche zwar viel zu spät, doch die Impfung als das beste Mittel erachtet. Übermut hat sich der Demut zu fügen. Wir für viele noch rechtzeitig. Die Solidarität Unter der Führung der Weltgesundheits- sind Zeitzeugen unzähliger Ereignisse, die vieler staatlicher und zwischenstaatlicher organisation (WHO) haben 190 Länder im besonders folgenreiche Entwicklungen für Organisationen sowie unzähliger Zivilge- Februar dieses Jahres eine Verständigung zu das Leben hervorrufen. Die Corona-Krise sellschaften bedarf besonderer Würdigung einer fairen Verteilung der Impfmittel erzielt. ist nur eine davon. Die bedrohende Klima- und Anerkennung. Hierzu gehört auch die Demnach sollten in der ersten Phase jedes veränderung, Umweltverschmutzung, die Luftbrücke zwischen Deutschland und In- Land proportional zur Bevölkerung Mittel unerträglich steigende Armut, Flucht und dien. An Bord des Hilfsflugs befanden sich zur Impfung von drei Prozent der in der Pan- Vertreibung, die nie endenden Regionalkrie- Bundeswehrsoldaten mit Geräten zur Sau- demiebekämpfung involvierten Risikoträger, ge, die mit der Verschwendung lebenswich- erstoffproduktion für die Versorgung von d. h. die Beschäftigten in systemrelevanten tiger Ressourcen vorangetriebene weltweite Patienten in Indien. Solche spontanen Hilfen Berufen erhalten. In der zweiten Phase soll- Rüstung, die Renaissance des Rassismus und in der Not sind unerlässlich, denn sie retten te jedem Land Impfmittel zur Versorgung des Antisemitismus sind Herausforderun- Leben. von 20 Prozent der Bevölkerung angeboten gen, die das friedliche Zusammenleben der Opfer der Pandemie sind weit mehr als werden. Bevorzugte Berücksichtigung gelten Völker besonders gefährden. Die Liste der die Verstorbenen. Abermillionen von Über- jenen Ländern, wo sich das Virus besonders Brennpunkte ist lang. Jede*r von uns ist in lebenden stellen die bange Frage, wie sie ihr schnell ausbreitet. Gemäß dieser Verständi- dieser Entwicklung aktiv oder passiv beteiligt. weiteres Leben gestalten können. Die Pande- gung sollten reichere Länder für die Impfmit- Schweigen wäre Zustimmung; es gibt jeden mie raubt die Lebensgrundlage insbesondere tel selbst zahlen und die 92 ärmsten Länder Anlass, genauer hinzuschauen, hinzuhören der ärmsten Bevölkerungsteile in der Welt. ihre Dosen kostenfrei erhalten. Die Praxis war und solidarisch mit anzupacken. j Die Kinder in den ärmeren Familien sind jedoch alles andere als faire Verteilung. Die nicht ausgerüstet, dem digitalen Unterricht einzelnen Länder waren frei, mit den Produ- George Arickal war vor seiner Pensionie- zu folgen. Die Hoffnung, durch Bildung für zenten direkte Lieferverträge abzuschließen. rung geschäftsführendes Vorstandsmitglied eine menschenwürdigere Zukunft der Kinder Im Preiswettbewerb boten reichere Länder der Karl-Kübel-Stiftung in Bensheim. Sein Buch „Auf dem Weg zur Einen Welt“ er- beitragen zu können, schwindet von Tag zu wie die USA höhere Preise und der Markt mit schien 2002 im publik-forum-Verlag. Tag. Aus Indien wird berichtet, dass wegen den knappen Mitteln war schnell geräumt. Schulschließungen mehr als 300 Millionen Die meisten der ärmeren Länder erhielten gar Kinder auf die Schulspeisung verzichten müs- keine Dosis. Während Indien in der ersten sen. Die Zahl der Waisenkinder, die ihre El- Phase einigen Ländern die Impfmittel zur tern und Verwandte verlieren, wächst täglich. Verfügung stellte, verweigerten viele Länder Während die Kinder in den armen Regionen den Bedürftigen das lebensrettende Mittel. unter fehlender Nahrung und Bildung leiden, Dies ist ein Skandal, zumal die Pandemie steigt die Zahl der Jugendlichen in den rei- keine Landesgrenzen kennt. chen Ländern, die psychisch erkranken. Ge- Trotz aller bitteren Erfahrungen ist es an-
8 MEINE WELT 2|2021 F O T O - E S S AY Ladakh – Wüste im Himalaya TEXT UND FOTOS: RAINER HÖRIG S chroffe Berglandschaften von unbe- ckeln, zumindest in den wenigen Sommermo- schreiblicher Schönheit, grüne Täler naten. Der harsche Winter zwingt nämlich unter schneebedeckten Gipfeln – Indi- die Bewohner – Viehnomaden, Bauern und ens nördlichste Provinz Ladakh ist eigentlich Händler – ein halbes Jahr lang in häusliche ein Teil des tibetischen Hochlandes. Doch Quarantäne. Die Familien beschäftigen sich während die chinesische Besatzungsmacht ihr dann mit Handarbeiten, etwa dem Weben Bestes tut, die buddhistische Kultur zu zerstö- bunter Teppiche aus der Wolle ihrer Tiere. ren, wird sie in Ladakh gehegt und gepflegt. Gesalzener Buttertee und Trockenfleisch hiflt So konnte sich die karge Hochwüste in den ihnen, die eisige Kälte zu überstehen. letzten Jahren zum Touristenparadies entwi-
10 MEINE WELT 2|2021 L I T E R AT U R Sugathakumari: Ein Baumlied Der Papagei des Waldes braucht die Bäume, der Mensch des Landes braucht sie ebenso, die fliegende Libelle gleichfalls, das lächelnde Kind und der sterbende Alte – alle – brauchen die Bäume (Der Papagei …) Den Lebenshauch zu atmen, brauchen wir Bäume, Wasser zu trinken, brauchen wir Bäume, den Hunger an Früchten zu stillen, brauchen wir Bäume, um in schattiger Kühle zu liegen, brauchen wir Bäume. (Der Papagei …) Das Mitleid des Himmels zu spüren, brauchen wir Bäume, die feuchte Erde zu genießen, brauchen wir Bäume, die Augen zu kühlen, brauchen wir Bäume, uns zu schützen, brauchen wir Bäume. (Der Papagei …) Fällt nicht, fällt nicht die Bäume, ihr Menschen, macht nicht zu Geld die Bäume, ihr Großen, der Wald ist unser Zuhause – bitte zerstört nicht unser Zuhause, ihr Großen. (Der Papagei …) Ins Deutsche übertragen von Annakutty Valiamangalam K.-Findeis aus dem Buch „Sugathakumari: Was habt Ihr meiner Welt angetan?“, Draupadi-Verlag, 2020 Siehe Baumschützerinnen im Himalaya dazu auch MEINE WELT Nr. 01/2021, Seiten 36-38 Foto: Rainer Hörig
GESPRÄCH MIT PROMINENTEN MEINE WELT 2|2021 11 Im Gespräch: Shakuntala Banerjee, TV-Journalistin Shakuntala Banerjee wuchs als Tochter einer deutschen Mutter und eines indischen Vaters in Rheydt und in Mönchengladbach auf. Als Mitarbeiterin des ZDF- Hauptstadtstudios kommentiert sie häufig die bundesdeutsche Politik und interviewt führende Politiker. Nach dem Studium von Philosophie, Germanistik, Indo- logie, Politikwissenschaft und Öffentlichem Recht in Berlin kam sie eher zufällig zum Journalismus, wie sie im folgenden Gespräch gesteht. Foto: ZDF/Claudius Pflug c Sie wuchsen in einer bi-nationalen Familie c Haben Sie sich in Ihrer Jugend gelegentlich ist etwas, was von außen immer wieder an auf. Welche Bedeutung spielte die indische gefragt, zu welcher Lebenswelt Sie sich zugehö- einen herangetragen wird. Aber ich habe mich Kultur und Weltanschauung in Ihrer Jugend? rig fühlen, der deutschen oder der indischen? dadurch nie fundamental in Frage gestellt gefühlt. Ich bin, wer ich bin. S. Banerjee: Wenn man in einer binationa- Diese Art von Identitätskonflikt habe ich len Familie aufwächst, ist es keine Frage, ob so nicht erlebt. Die Frage der Zugehörigkeit c Bitte skizzieren Sie Ihre berufliche Lauf- man in der einen oder der anderen Kultur hat weder in meiner Familie noch bei mei- bahn. Wie wurden Sie eine bekannte Fernseh- aufwächst. Im besten Fall ergänzen sich beide nen Freunden oder Bekannten eine Rolle Journalistin? zu einer Erziehung und einem Lebensgefühl, gespielt. Ich hatte auch das Glück, dass ich die harmonisch sind und gut zueinander in meinem Leben hauptsächlich Menschen Ich bin vielleicht eine der letzten Querein- passen. Aber natürlich nimmt man schon getroffen habe, die mich entweder so akzep- steigerinnen im ZDF. Journalismus war nie wahr, dass man einen Zugang zu einer Welt tiert haben, wie ich bin, oder mir mit freund- mein Berufsziel. Ich bin eher durch mehrere bekommt, die andere nicht kennen. Ich bin licher Neugier begegnet sind, und dass ich glückliche Zufälle dahin gelangt, wo ich heute ganz selbstverständlich mit der indischen persönlich nur vereinzelt Erfahrungen mit arbeite. Während des Studiums arbeitete ich Küche aufgewachsen, weil mein Vater viel hartem Rassismus gemacht habe. Ich bin in aushilfsweise für den WDR, später für den gekocht hat und ein phantastischer Koch der Grundschule von einem Mädchen, dass Sender RTL. Das waren keine journalisti- ist. Wir haben viel indische Musik gehört, ich nicht kannte, unvermittelt angegriffen schen Tätigkeiten, sondern das, was man als auch klassische. Mein Vater hat gelegentlich und rassistisch beschimpft worden. Das hat Studentin so macht, man hilft der Redaktion. indische Konzerte organisiert, so lernten wir mich eher überrascht als verunsichert. Was Ein Interesse für Politik hatte ich schon im- indische Künstler von Weltrang kennen. Wir allerdings nicht immer einfach ist, ist die mer, auch für Journalismus, aber ich wollte haben Weihnachten und Durga Puja gefeiert. meist unbewusste Ausgrenzung. Fragen wie: eher was anderes machen. Durch Zufall bin Das hat sich gemischt, ist für mich immer Woher kommst Du eigentlich? Wollen Sie ich dann beim ZDF gelandet, in Thüringen, gleichberechtigt gewesen und eine Selbstver- irgendwann zurückgehen? Dann frage ich: im Landesstudio Erfurt. Ich erhielt eine ständlichkeit. Wohin denn? Nach Mönchengladbach? Oder Chance, da mal hineinzuschnuppern, und die Frage: Wie deutsch fühlen Sie sich? Das habe gemerkt, dass ich das gerne mache.
GESPRÄCH MIT 12 MEINE WELT 2|2021 PROMINENTEN c Haben Sie auch in Indien als Journalistin bin dort stets mit offenen Armen empfan- es sich auch, da mal hinzuschauen. Schade gearbeitet? gen worden, von der Familie sowieso, aber ist, dass bei uns im Fernsehen die vielen un- auch von Freunden und Bekannten. Selbst terschiedlichen Facetten zu kurz kommen. Nicht wirklich, denn wir haben in Indien nach zehnjähriger Abwesenheit wird man Was wir übersehen, ist die Entwicklung, die ja unseren Korrespondenten. Einmal, im sofort wieder als dazugehörig empfangen, irrsinnige Entwicklungsgeschwindigkeit in September 2019, hatte ich das Glück, die ganz selbstverständlich in den Familien- diesem Land, und ich glaube, dass es auf lange Bundeskanzlerin auf einer Reise nach Indi- kreis aufgenommen, auch ein bisschen mit Sicht nicht klug für uns ist, wenn wir da nicht en zu begleiten. Das war schon interessant, eingespannt. Und das schätze ich sehr, das auch hingucken. weil Indien durch die journalistische Brille empfinde ich immer wieder als ein großes natürlich anders aussieht, als durch die pri- Geschenk. c Ich habe bei Begegnungen mit Deutschen vate. Ich war also Teil einer Delegation und in Indien häufig gespürt, dass viele von ihnen wurde daher als Deutsche wahrgenommen. c Wie haben die Menschen in Indien auf unterschwellig und unbewusst einen Über- Da konnte ich beobachten, wie groß bei einem die Besucherin aus dem fernen Deutschland heblichkeitsdünkel gegenüber dem Land und Staatsbesuch der Sicherheitsaufwand war, wie reagiert? Welche gesellschaftliche Rolle hat den Menschen empfinden. Mir erscheint diese streng das alles durchchoreografiert war. Das man Ihnen dort zugewiesen? Arroganz ein Überbleibsel aus der Kolonialzeit ist dort schon anders, als hier in Deutschland. zu sein, in der das Bild von der Überlegenheit Was immer wieder passiert, ist, dass mich der Weißen gepflegt und verbreitet wurde. Spü- c Hatten Sie Gelegenheit, die indische Hei- Leute in der Landessprache ansprechen und ren Sie dieses Verhalten auch gelegentlich? mat auch auf eigenen Reisen kennenzulernen? ich nicht antworten kann, weil ich die Sprache Welchen Charakter besaßen Ihre Reisen – wa- nicht beherrsche. Da ist dann schon eine ge- Ich würde in der Interpretation nicht so weit ren es Familienbesuche, tourisitische Touren wisse Irritation auf Seiten der Einheimischen. gehen, wie Sie. Es mag diese Haltung tat- oder folgten Sie dabei eher beruflichen Zielen? Ich bedaure sehr, dass ich nicht Bengalisch sächlich noch geben, ich mag sie aber nicht spreche, denn so bleibt immer ein Rest Dis- verallgemeinern. Ich glaube schon, dass viele Schon als Kind haben mich meine Eltern tanz, selbst zur eigenen Familie. Zu Vieles im Menschen hier in Deutschland sich schon da- häufig nach Indien mitgenommen. Wir be- Kulturellen, aber auch im Sozialen, drückt rüber bewusst sind, dass wir nicht der Nabel suchten in erster Linie die großen Städte: sich eben über die Sprache aus. der Welt sind, und dass andere Menschen und Kalkutta, wo meine Familie lebt, Bombay, Kulturen auch Spannendes hervorbringen. Delhi, Chennai, aber auch Goa und einige c Wie beurteilen Sie das Bild, dass die Me- Aber ich glaube auch, dass wir immer noch Gegenden in Südindien. Was ich auch noch dien in Deutschland von Indien vermitteln? in einem eurozentrischen Weltbild gefangen gerne sehen würde, wäre der Norden, also die sind. Das können Sie postkolonial nennen, Himalaya-Region. Es gibt dort noch viel zu Was die Berichterstattung in den Medien aber das Wichtigste ist, dass wir vielleicht zu entdecken - ein faszinierender Subkontinent über Indien betrifft, bin ich gespalten in eine sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Die Welt mit so vielen Einflüssen, Sprachen und Kul- private und eine berufliche Person. Wenn verändert sich, sie verändert sich nicht überall turen, geeint vor allem durch die Religion, ich privat auf das Fernsehprogramm schaue, zu unseren Gunsten. Dass wir in Europa, im aber auch die Kultur. muss ich sagen: wir transportieren immer sogenannten Westen unseren Lebensstil, so Indien ist für mich auch zweite Heimat. Ich noch häufig Klischees. Wir schauen vor al- wie wir ihn bisher gelebt haben, fortführen habe erst dort relativ spät, mit Anfang zwan- lem dann hin, wenn es Probleme gibt. Wir können, ist ja nicht besonders wahrscheinlich zig, gemerkt, wie stark ich durch die deutsche zeigen, wo es noch Nachholbedarf gibt. Und - aus unterschiedlichen Gründen. In einem Umgebung geprägt bin. Damals war ich mit da kommt dann auch meine journalistische Punkt haben Sie Recht: Wir haben viel zu einer Studentengruppe unterwegs. Ich wollte Persönlichkeit ins Spiel, weil ich aus meiner lange gedacht, Länder wie China und Indien erfahren, wie es sich anfühlt, wenn ich nicht Berufserfahrung weiß, dass genau das unsere seien nicht in der Lage, aus eigenen Stücken von meiner Familie behütet werde, wollte Kernaufgabe ist. Wir sind ja traditionell dazu echte Entwicklung zu schaffen, das Land auf eigene Faust erkunden. Da ist angehalten, kritisch zu berichten, und das Ich denke, die nächste Phase wird daraus mir dann aufgefallen, welchen Einfluss die finde ich auch richtig. bestehen, dass wir erkennen, dass wir uns Sozialisierung auf die eigene Person ausübt Indien hat immer noch viele Probleme, Länder wie China aber vor allem auch Indien und dass ich doch sehr stark deutsch geprägt kämpft mit Ungleichheit, mit Korruption, genauer anschauen müssen. Indien gehört bin. Trotzdem fühlt es sich auch nach Heimat und das sind wesentliche Hemmnisse für die zu den größten Volkswirtschaften der Welt, an. Das liegt vor allem an den Menschen. Ich Entwicklung des Landes. Deswegen lohnt die Bevölkerung ist unglaublich jung, sie hat
GESPRÄCH MIT PROMINENTEN MEINE WELT 2|2021 13 einen großen Aufstiegswillen und einen riesi- große Aufgeschlossenheit für das Land, eine kritischen Presse erhält. Indien steht da eher gen Bildungshunger. Das kann man sich hier, große Liebe zum Entdecken von Unerwarte- in der angelsächsischen Tradition. Teilweise glaube ich, gar nicht vorstellen, wie groß der tem abseits des Klischees, aber auch gepaart werden dort Interviews in einer Weise ge- Wille dort ist, etwas zu lernen und weiterzu- mit dem kritischen Seitenblick, wo benannt führt, das könnten wir hier in Deutschland kommen. Das nehme ich als großen Kontrast wurde, was gut ist, aber auch, was noch getan einfach nicht machen. Also, die Befragten so zu Deutschland wahr, wo wir Bildung zwar werden muss, und Leute vorgestellt wurden, frontal anzugehen und in wüste Streitgesprä- als Privileg sehen, aber vor allem auch als die sich damit auseinandersetzen. Gleichzei- che zu verwickeln, das wäre hier überhaupt Möglichkeit zur Selbstentfaltung. tig ganz viel zur Geschichte des Landes, zur nicht denkbar. Ich glaube, dass Indien den Wenn sich die Machtverhältnisse in der unglaublich reichhaltigen Kultur. Das geht falschen Weg einschlagen würde, wenn es Welt verändern, müssen Deutschland und auch, aber diese Sendeplätze sind natürlich jetzt anfangen würde, die Pressefreiheit ein- Europa schauen, wo ihr Platz in der neuen auch umkämpft. zuschränken. Welt ist. Und dann müssen wir auch auf In- dien schauen. Das passiert schon, aber es darf c Sollten die Sendeanstalten sich nicht be- c Vermutlich bewegen Sie sich auch in auch gerne mehr Platz einnehmen. mühen, solche Themen abseits der Tagesak- Deutschland in kulturell diversen Kreisen. tualität stärker zu berücksichtigen, öfter auch Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie c Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass mal einen Seitenblick zu wagen, wie Sie sagen? mit rein Deutschen oder mit Menschen mit ein so komplexes Land wie Indien nicht in indischen Wurzeln zusammen sind? einer Fünf-Minuten-Meldung beschrieben Das tun wir auch. Aber wir waren jetzt werden kann. Ja, es gibt auch Hintergrund- wegen der Pandemie eine Zeit lang sehr Mein persönlicher Freundes- und Bekann- Berichte, etwa im Auslandsjournal oder im eingeschränkt, konnte vor Ort teils gar tenkreis ist so gemischt, dass ich keinen Un- Weltspiegel, im Radio kann man hin und wie- nicht drehen, wegen der Infektionsschutz- terschied nach Nationalität machen kann. der gute Features hören. Aber leider werden maßnahmen. Ich weiß, dass wir uns große Aber der erweiterte bengalische Freundes- solche Sendeplätze immer seltener. Stimmen Mühe gegeben haben, die Berichterstattung kreis bringt ein Temperament mit, das sich Sie mir zu? aus Indien aufrecht zu erhalten, auch wäh- vor allem bei Festen wie Durga Puja Bahn rend der Pandemie. Wir arbeiten natürlich bricht. Da sind dann auch immer deutsche Um es jetzt einmal ganz praktisch journalis- mit Leuten vor Ort zusammen, aber auch die Freunde dabei. Was ich immer sehr geschätzt tisch zu beantworten: Wenn Sie sich unsere haben sehr strenge Auflagen zu beachten. Da habe ist, dass die Bengalen sich nicht ab- Nachrichten anschauen, da haben wir am Tag freue ich mich ehrlich gesagt auf die Zeit, wo geschottet haben in Deutschland, das war Platz für die zehn wichtigsten Ereignisse. Na- uns das Corona-Virus wieder aus seinem Griff immer eine offene Community, mit lockeren türlich wird die Mehrheit der Informationen entlässt und unsere Leute dort auch wieder und sehr offenen Grenzen. Ja, Bengalen sind, sich mit Innenpolitik befassen, dann kommt reisen können, um Geschichten abseits des finde ich oft, sehr temperamentvoll. Es gibt irgendwann vielleicht Europa und die weitere Üblichen zu entdecken. ein Sprichwort: Ein Bengale macht einen Außenpolitik und da bleibt natürlich unterm guten Vortrag, zwei Bengalen machen eine Strich leider wenig Platz für Länder, auf die c Ist die Pandemie der einzige Grund? In den gute Diskussion und drei Bengalen machen wir nicht so ganz genau schauen und wenn, vergangenen Wochen haben mehrere interna- Revolution. Das kommt der Wahrheit schon dann ist das kritisch. Und so kommt sehr tionale Organisationen, etwa Human Rights sehr nahe. Wenn man mehrere Bengalen auf oft der Eindruck zustande, dass wir immer Watch und auch Reporter ohne Grenzen auf einem Haufen trifft, dann wird es sehr lebhaft, nur draufhauen. Das ist eine Beschwerde, die zunehmende Einschränkung der Presse- gerne auch kontrovers. Es ist fast schon ein die ich sehr oft höre. freiheit in Indien hingewiesen. Sport, sich intellektuell auseinanderzusetzen, Ich denke, dass wir es schon beherrschen, sich aneinander zu reiben, und das auch lei- auch in kurzen Beiträgen die wesentlichen In- Das kann ich nicht beurteilen, weil ich in denschaftlich zu tun. Das ist etwas, was ich formationen rüberzubringen, aber die sind in meinem Job sehr auf die bundesdeutsche sehr genieße. j der Regel tagesaktuell und kritisch. Längere Politik konzentriert bin. Ich habe am Ran- Formate bieten da natürlich mehr Platz und de mitbekommen, dass es da Hinweise der Shakuntala Banerjee ist stellvertretende mehr Möglichkeiten. Ein schönes Beispiel von Ihnen erwähnten Organisationen gab, Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios Berlin ist die Indien-Folge der ZDF Doku-Reihe aber ich habe das nicht aufmerksam verfolgt. und Moderatorin von „Berlin direkt“ „Welten-Saga“. Die hat mich beeindruckt, Ich hoffe sehr, dass sich Indien die Traditi- weil ich da alles wiedergefunden habe: eine on einer vielfältigen und auch unglaublich
14 MEINE WELT 2|2021 INDISCH · DEUTSCH Langar – die Sikh-Tradition mitmenschlicher Fürsorge In der Corona-Krise leisten Mitglieder der Sikh-Gemein- schaft tatkräftigen Beistand für Obdachlose, bedürftige Rentner und Pflegepersonal. Dabei orientieren sie sich an der Tradition des „Langar“, der kostenlosen Bewirtung Gläubiger in allen Sikh-Tempeln. Rainer Hörig sprach mit führenden Mitgliedern des Sikh-Verbandes Deutschland. Vorbereitungen für ein Gemeinschaftsmahl Foto: Rainer Hörig in einem Sikh-Tempel in Neu-Delhi S chon früh am Morgen bildet sich eine sie fühlten sich im Stich gelassen. So dachten kennen kein Opferritual. Ihre Gebetsstunden lange Schlange am Busbahnhof Bres- wir, wir könnten hier unsere Erfahrungen münden stets in ein gemeinschaftliches, ve- lauer Platz. Vermummte Menschen einbringen und das Leid dieser Menschen getarisches Mahl, das sogenannte “Langar”, mit schweren Taschen und Transportkarren ein wenig mildern.“ das in der Tempelküche von Freiwilligen zu- leisten der kalten Witterung Widerstand. Ein Manvir Singh Dillon bekennt sich zur bereitet wird. Vom Langar im Tempel zur junger Mann mit einem Turban auf dem Religionsgemeinschaft der Sikhs, die im 15. Speisung Bedürftiger ist es nur ein kleiner Kopf bittet über ein Megaphon zu Geduld Jahrhundert im nördlichen Indien entstand. Schritt! und mahnt, die Abstandsregeln einzuhalten. Ihr Erkennungszeichen ist ein sorgsam ge- Während der 1970er und 1980er Jahre re- Dann wird es betriebsam: Aus einem Liefer- wickelter Turban, mit dem die Männer und bellierten viele Sikhs gegen die Zentralregie- wagen werden Kisten und Tüten entladen auch einge Frauen ihren Kopf bedecken. In rung in Neu-Delhi und warfen ihr vor, frühere und auf die in einer langen Reihe aufgestell- ihren Gotteshäusern, den „Gurudwaras“ Versprechen auf Selbstbestimmung für die ten Klapptische gepackt. Die menschliche werden täglich Tausende von Besuchern Sikhs nicht einzuhalten. Die Sezessionsbewe- Schlange setzt sich in Bewegung und wäh- mit warmen, vegetarischen Mahlzeiten gung radikalisierte sich, einige Priester und rend die Vermummten an den langen Tischen bewirtet. „Die Tradition des Langar bietet Politiker riefen zur Rebellion auf. Im Juni vorbeiziehen, erhalten sie kleine Pakete mit allen Menschen, unabhängig von Religion, 1984 ließ die damalige Premierministerin warmen Mahlzeiten, die sie dankbar in Emp- Hautfarbe, sozialer Herkunft, Geschlecht Indira Gandhi das höchste Heiligtum der fang nehmen. „Noch eine Banane oder ein oder Alter eine Mahlzeit an. Das Mahl fin- Sikhs, den Goldenen Tempel in Amritsar, in Fläschchen Wasser?“, fragt eine junge Frau det in den Speiseräumen der Gebetsstätten dem sich bewaffnete Rebellen verschanzt hat- hinter dem Tisch fürsorgevoll. Manchmal statt, den Langahars, wo alle gemeinsam auf ten, von Spezialeinheiten stürmen. Hunderte bleibt auch noch Zeit für einen small-talk dem Boden sitzen,“ erklärt Mandeep Singh von Gläubigen, aber auch zahlreiche Radikale und ein dankbares Lächeln. Anand. „Langar bedeutet Anker, es festigt starben im Kugelhagel. In der Folge flüchteten Seit mehr als einem Jahr verteilen junge und stärkt die Gemeinschaft.“ viele Sikhs nach Europa und Amerika. Menschen mit Mundschutz und Turban Die Gemeinschaft der Sikhs zählt weltweit Heute leben etwa 40.000 Sikhs in Deutsch- bekleidet in einigen deutschen Großstäd- rund 27 Millionen Menschen, davon leben land – Nachkommen der Flüchtlinge, aber ten Essensrationen und Dinge des täglichen 22 Millionen in Indien, hauptsächlich im auch Arbeitsmigranten und Geschäftsleute. Bedarfs an Bedürftige. „Uns fiel auf, dass nördlichen Bundesstaat Punjab und in der Sie unterhalten aktuell 38 Tempel (Gurudwa- ältere Menschen und Obdachlose von der Hauptstadt Neu-Delhi. Sikhs verehren kei- ras). Ein großer Teil der indischen Restau- Corona-Epidemie und den damit verbundene nen Gott, sondern ein dickes Buch, dass die rants und Lebensmittelgeschäfte hierzulande Einschränkungen besonders betroffen waren gesammelten Weisheiten ihrer zehn Gurus wird von Sikhs betrieben. Ihre Söhne und und wir spürten das Bedürfnis, Ihnen bei- enthält – Lehren fürs Leben: ein rechtschaf- Töchter sind dank einer guten Schulbildung zustehen,“ sagt Manvir Singh Dhillon, einer fener Lebenswandel, Güte und Mitmensch- und ihres Fleißes wirtschaftlich erfolgreich. der Helfer. „Damals, also kurz vor Ostern im lichkeit, die Gleichberechtigung aller Ge- Doch in der deutschen Gesellschaft begeg- Jahr 2020 war noch ziemlich unklar, wel- sellschaftsschichten und der Geschlechter. nen viele den Sikhs mit Vorbehalten. We- che Auswirkungen die neue Epidemie haben Da die Sikhs das in Indien weitverbreitete gen ihres Turbans und ihrer Hautfarbe hält würde. Aber wir haben ziemlich schnell ge- Kastensystem ablehnen, tragen alle den Nach- man sie manchmal für radikale Muslime. merkt, dass auch die Verwaltung mit die- nahmen „Singh“-Löwe. In Indien werden In den Nachwehen der Terroranschläge in ser neuen Situation überfordert war. Viele sie als aufrichtig und standfest geschätzt, New York 2009 wurden viele Sikhs für Ter- Obdachlosen-Einrichtungen etwa wurden man beschäftigt sie gerne als Wächter und roristen gehalten, vor allem in den USA, aber einfach geschlossen. Die Leute waren ratlos, Ordnungshüter. Sie missionieren nicht und auch in Europa. Im April 2016 explodierte
INDISCH · DEUTSCH MEINE WELT 2|2021 15 Essensausgabe am Breslauer Platz in Köln Foto: Sikh-Verband Deutschland zubereitet werden, half, bürokratische Hin- dernisse zu überwinden. Auch beim nötigen Geld springt die Gemeinschaft ein, meint Mandeep Singh Anand: „Wir finanzieren die Essensverteilung aus Spenden unserer Mitglieder. Firmen und Privatpersonen stel- len uns Lebensmittel zur Verfügung. Wir hoffen, dass Firmen uns weiterhin Spenden zukommen lassen.“ vor einem Sikh-Tempel in der Stadt Essen gleich vermuten, dass ich ein echter Kölsche Der Widerhall, den ihre Hilfsaktionen bei eine Bombe, als dort gerade eine Hochzeit Jung bin. Da wundern sich manche und den- Behörden und in der Bevölkerung hervorru- gefeiert wurde. Drei Personen wurden ver- ken: Oh, der kann ja Deutsch! Natürlich, ich fen, bestätigt, dass der kleine Sikh-Verband, letzt. Ein knappes Jahr später wurden drei bin hier geboren und habe meine schulische der lediglich knapp eintausend Mitglieder minderjährige Jugendliche zu langjährigen und auch akademische Laufbahn komplett zählt, damit einen wirkungsvollen Beitrag Haftstrafen verurteilt. in Köln absolviert.“ zur gesellschaftlichen Anerkennung der Sikh- Der Kölner Student Damandeep Singh Mitglieder des Sikh-Verbandes waren es Gemeinde leistet. „Wir wollen dem unter- sprach damals von Diskriminierung und auch, die am Beginn der Pandemie beschlos- schwelligen Rassismus und der Diskriminie- „rassistischen Äußerungen“, denen er und sen, im Sinne ihrer Tradition des Langar rung, die wir seit der Flüchtlingskrise 2015 seine Glaubensgemeinschaft gelegentlich aus- gesunde Mahlzeiten und Artikel des tägli- immer wieder spüren, etwas entgegensetzen. gesetzt seien: „Diese Vorurteile sind darauf chen Bedarfs zu verteilen und die Aktion Daher gehen wir in die Offensive und suchen zurückzuführen, dass die Menschen hier sehr „Freie Küche“ ins Leben zu rufen. Manvir den Dialog. Unser Guru lehrt, den Menschen wenig Ahnung von unserer Religion haben. Singh Dhillon: „Im März 2020 begannen etwas zurückzugeben. Wenn wir etwas mehr Wir Sikhs müssen uns aufraffen und Aufklä- wir, Menschen in Köln am Breslauer Platz, besitzen, als unsere Mitmenschen, dann sol- rungsarbeit leisten,“ so Damandeep Singh. am Wiener Platz, auch in Ehrenfeld, an der len wir auch mit ihnen teilen. Wir hoffen, Bereits 2013 gründeten Mitglieder der Ge- Schildergasse an den Ringen aufzusuchen so einen Beitrag zur Gesellschaft leisten zu meinschaft den Sikh-Verband Deutschland. und ihnen Essen und Kleidungsstücke zu können. Vielleicht können wir auf diesem „Dessen Aufgabe ist es, die Deutschen mit schenken, auch Atemmasken, Vitamine, Ge- Wege auch langfristig mit unseren politi- unserer Religion bekannt zu machen und brauchsgegenstände wie Deo, Zahnbürsten. schen Kontrahenten in Kontakt kommen. darüber aufzuklären, wer die Sikhs sind, was In Krankenhäusern haben wir Essen an Mit- Wir hegen den Wunsch, unseren Glauben den sie glauben, die Identität und die Philosophie arbeiter verteilt, weil wir merkten, dass die Kindern in Schulen und Kindergärten vor- zu präsentieren, aber nicht zu missionieren.“ Krankenhäuser überlastet waren und um die zustellen. Vielleicht können wir in Zukunft Damandeep Singh und seine Freunde halten gute Arbeit der Mitarbeiter zu belohnen.“ im Ethik- oder Religionsunterricht unsere Vorträge und nehmen an interkulturellen In den vergangenen 15 Monaten verteil- Glaubensgemeinschaft vorstellen. Das ist Veranstaltungen teil. Sie fordern gleichzeitig ten die Helfer allein in Köln mehr als 4.500 eines unserer wichtigsten Ziele.“ ihre Glaubensbrüder und -schwestern auf, die Mahlzeiten. Die Dankbarkeit der Empfänger Das jahrelange Bemühen der Sikh-Gemein- deutsche Sprache zu lernen und sich in die ermuntert sie, diese Hilfsaktion bis heute fort- de scheint Früchte zu tragen. Die Vorurteile hiesige Gesellschaft zu integrieren. zuführen. Manvir Singh Dillon zieht Bilanz: gegen ihre Gemeinde ließen langsam aber ste- Mandeep Singh Anand ist Gründungs- „Seit dem 10. April 2020 haben wir mit rund tig nach, bestätigen Mandeep und Manvir. j mitglied des Verbandes und Sprecher der 150 Ehrenamtlichen deutschlandweit etwa Kölner Sektion: „Wir arbeiten mittlerweile 19.000 Mahlzeiten in 21 Städten verteilt. In https://sikhverband.de/ mit Schulen und Behörden zusammen, un- Köln, Frankfurt, Duisburg, Oberhausen, Spendenkonto für das Projekt terhalten Kontakte zu Unternehmen, mit dem Hamburg verteilen wir mindestens einmal „Freie Küche“: Bank für Sozialwirtschaft, Ziel, Kindergärten, Schulen, Universitäten, pro Monat.“ IBAN: DE24 3702 0500 0001 3577 00 SWIFT-BIC: BFSWD E33XXX Sport- und Kulturvereine anzusprechen und Es sei nicht immer leicht gewesen, die deut- Verwendungszweck: Freie Kueche zu zeigen, dass wir auch aus Fleisch und Blut schen Behörden von Ihrer guten Absicht zu Per Paypal: Langar@freiekueche.org sind, dass man sich vom optischen Ausse- überzeugen und die nötigen Genehmigungen hen auch täuschen lassen kann. Wenn ich in zu erhalten. Aber die Tatsache, dass die Mahl- der Öffentlichkeit auftrete, würde man nicht zeiten von bereits anerkannten Gaststätten
16 MEINE WELT 2|2021 INDISCH · DEUTSCH Indische Einwanderung – Ein Win-Win-Projekt Die Migration einer wachsenden Zahl gut ausgebildeter Menschen aus chen und ihren Kindern und Enkelkindern Indien nach Deutschland kommt beiden Ländern zugute – eine klassische eine bessere Ausbildung ermöglichen. Ein Win-Win-Situation, meint Redaktionsmitglied Jose Punnamparambil Teil des Geldes wird auch zum Kauf eines Grundstückes und zum Bau eines eigenen und zieht eine positive Bilanz seines Lebens als Migrant in Deutschland. Hauses verwandt, um in Indien ein Zuhause A zu haben, wenn man zwecks Urlaubs oder ls ich 1966 nach Deutschland kam, Ordensschwestern, die diese Institutionen Verwandtenbesuch in die Heimat reist. Und lebten hier rund 20.000 Inder und führten und dort arbeiteten, fiel wegen feh- schließlich legen viele Migranten auch in der Inderinnen. Viele von ihnen waren lender Berufung der christlichen Ordensge- Heimat Geld für die Alterssicherung zurück – Studenten aus West-Bengalen und Kerala, meinschaften stark ab. Auch im pastoralen in Form von Grundstücken, auf Sparkonten, die Medizin oder Ingenieurswissenschaften Bereich fehlte der deutschen Kirche der oder in Aktien. Eine große Mehrheit der im studierten. Bald kamen dazu etwa 5.000 Priesternachwuchs. Ausland lebenden Inder und Inderinnen hegt junge Frauen aus Kerala, um hier als Kran- Heute, 55 Jahre nach meiner Ankunft, leben den geheimen Wunsch, ihren Lebensabend kenschwester ausgebildet zu werden. Der in Deutschland mehr als 200.000 Inder und in Indien zu verbringen. Grund war der damalige akute Mangel an Inderinnen. Indische Fachkräfte, die in den Indien profitiert auch von vielen entwick- ausgebildeten Pflegekräften. Nach der Aus- sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, lungspolitisch relevanten und karitativen bildung und Arbeitsaufnahme heirateten die Informatik, Naturwissenschaften und Tech- Projekten, die von Migranten in Deutsch- meisten dieser Inderinnen junge Männer aus nik) tätig sind, stehen zur Zeit zahlenmäßig land initiiert und unterstützt werden. Be- ihrem Heimatstaat Kerala, brachten sie nach mit 17.000 an der Spitze aller ausländischen achtenswert ist die zwischenkirchliche Zu- Deutschland und gründeten hier Familien. Fachkräfte in Deutschland. Auch die Zahl der sammenarbeit in diesem Bereich. Alleine die Im Laufe der Jahre stieg die Zahl der in- indischen Studenten an deutschen Hochschu- 2.000 indischen Ordensschwerstern und die dischen Migranten in Deutschland langsam len und Fachhochschulen ist in den letzten 650 indischen Priester überweisen jährlich aber stetig an. Die Auswanderungsgründe Jahren steil nach oben geschnellt. Mit 25.000 mindestens 60 Millionen Euro nach Indien. waren vielfältig, dabei spielte der Pull-Faktor Studierenden belegen sie den Spitzenplatz Dazu kommen die Spendengelder, die sie in wie bei Krankenschwestern eine überragende unter ausländischen Studenten in Deutsch- Deutschland sammeln. Diese Gelder werden Rolle. In den 1990er Jahren litt Deutschland land. Circa 200 indische Firmen sind heute vornehmlich für Alphabetisierungs- und Bil- stark unter Fachkräftemangel, die boomende mit Investitionen von rund 6,5 Milliarden dungsprogramme, für Gesundheitsprojek- Industrie suchte händeringend IT-Fachleute, Euro in Deutschland engagiert. Viele dieser te sowie für Maßnahmen zur Verbesserung Ingenieure etc. Deutschland warb mit der so- Firmen unterhalten Vertretungen mit indi- der Lebenssituationen von benachteiligten genannten „Blue Card“ Fachkräfte in Indien schen Mitarbeitern in Deutschland. Hinzu Menschen in ganz Indien eingesetzt. Eine an. Das Angebot war nicht nur vergütungs- kommen ca. 2.000 indische Ordensschwes- Reihe von Migranten regen Projekte und mäßig attraktiv. Die mit dem Job verbundene tern, die in katholischen Krankenhäusern Programme in Indien an, die dazu beitra- soziale Sicherheit, die Perspektive in einem und Altenheimen arbeiten. Im pastoralen gen, die Lebenslage bedürftiger Menschen, hochentwickelten Industrieland Erfahrungen Bereich verrichten über 650 indische Pries- insbesondere aus Bevölkerungsgruppen der sammeln zu können, waren eine zusätzliche ter ihren Dienst. Adivasi (Stammesbevölkerung) und Dalits Motivation zur Auswanderung. So kamen Von dieser beträchtlichen Zunahme bei zu verbessern. viele indische IT-Ingenieure, Techniker und der Zahl von Zuwanderern aus Indien hat Sowohl das Herkunftsland Indien, als auch Wissenschaftler nach Deutschland. Auch die das Herkunftsland enorm profitiert. Indische das Gastland Deutschland profitieren von verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit Migranten in Deutschland und anderen Län- der Einwanderung. Die meisten Inder und zwischen Deutschland und Indien in den dern überweisen regelmäßig beträchtliche Inderinnen, kommen mit abgeschlossener 1990er Jahren und danach eröffneten neue Geldbeträge in ihre Heimat. Im Jahr 2019 Ausbildung nach Deutschland. Nach kur- Möglichkeiten für viele qualifizierte Inder/ betrugen solche Überweisungen (Remissen) zer Einweisungsphase können sie hier ih- Inderinnen. aus der ganzen Welt fast 20 Milliarden Euro. ren erlernten Beruf ausüben. Zuvor haben Zu dieser Zeit benötigte die deutsche ka- Ein großer Teil dieser Gelder floss direkt den der indische Staat und auch die Familie der tholische Kirche dringend Personal in ihren Familien in Indien zu. Dadurch konnte eine Einwanderer eine beträchtliche Summe Geld Krankenhäusern, Altenheimen und sozia- breite Schicht bedürftiger Menschen in In- in ihre Schulbildung, ihr Studium oder die len Einrichtungen. Die Zahl der deutschen dien einen höheren Lebensstandard errei- Berufsausbildung investiert. In Deutschland
INDISCH · DEUTSCH MEINE WELT 2|2021 17 Indisch-stämmige Jugendliche feiern Foto: theinder.net werden die Gesamtkosten für die Schulbil- Tage mit Kindern, Kindeskindern, indischen Akteure der bevorstehenden Veränderungen dung eines Kindes auf 20.695 Euro geschätzt, und deutschen Freunden erleben. Was wird und stärkt deren Resilienz und Empathie. für ein Studium etwa 55.000 Euro. Dazu dann aus dem Besitz, den sie in Indien ge- Bereits heute engagieren sich viele inzwischen kommt noch der individuelle Anteil an der erbt haben, mit ihren Vermögensanlagen, erwachsen gewordene Kinder der Migranten Ausbildung. Man kann also sagen, dass ein mit ihren zukunftssichernden Investitionen? der ersten Generation gesellschaftlich und deutscher Hochschulabsolvent das Land mehr Die meisten wandeln alles, was sie in Indi- übernehmen verantwortungsvolle Aufgaben als 100.000 Euro kostet. Die Migration von en besitzen in Geld um und transferieren es im öffentlichen Leben. Davon geben immer ausgebildeten Fachkräften aus Indien spart nach Deutschland. Ich habe mein geerbtes mehr Deutsche mit indischen Wurzeln, unter Deutschland daher eine beträchtliche Sum- Grundstück in Kerala verkauft und das Geld anderen der Bürgermeister der Stadt Birkenau me Geld ein. Allein für die 17.000 indischen nach Deutschland geholt. Ich werde bald das Milan Mapplassarry, Shakuntala Banerjee, MINT-Fachkräfte beträgt diese Summe min- Grundstück in Kerala, das ich Ende 1980 Mitarbeiterin des ZDF-Hauptstadtstudios destens 1,7 Milliarden Euro. günstig mit meinem ersparten Geld gekauft Berlin, die Bestsellerautorin und Literatur- Deutschland wirbt im Ausland um Fach- habe, und mein Haus, das ich dort preisgüns- wissenschaftlerin Mithu Sanyal, der Integra- kräfte, um das wirtschaftliche Wachstum und tig mit Geld aus Deutschland gebaut habe, tionsbeauftragte der Stadt Ettlingen Thobias damit den Wohlstand zu erhalten, aber auch verkaufen und das Geld nach Deutschland Pulimoottil, Julia-Niharika Sen als Spreche- um die Zukunft der Renten zu sichern. Dies bringen. Im Vergleich zu dem Geld das ich vor rin der ARD-Tageschau, Joseph Winkler, Po- ist in der letzten Zeit ein großes Problem 30 Jahren für die Anschaffung dieses Objektes litiker bei Bündnis 90/die Grünen und der geworden angesichts ständig sinkender Ge- ausgegeben habe, werde ich durch die Wert- ZDF-Reporter Bobby Cherian prominente burtenzahlen. Wie alle anderen berufstätigen steigerung einen mehrfachen Kapitalgewinn Beispiele ab. Migranten helfen auch die Einwander*innen erzielen. Dieser Betrag wird letztendlich in Fazit: Die Migration von Indern und aus Indien dem deutschen Staat, die Renten die deutsche Wirtschaft fließen. So wird es bei Inderinnen nach Deutschland stellt keine seiner alternden Bevölkerung zu sichern und vielen anderen Geldanlagen geschehen. Diese bedrohliche Fremdvölkerinvasion dar, wie zu verbessern. Vorgehensweise wird auch von späteren Ge- einige aus dem extrem rechten Spektrum Die meisten der ersten Generation von nerationen indischer Migranten praktiziert. der bundesdeutschen Politik behaupten, Inderinnen und Indern, die in der zwei- Über den materiellen Gewinn hinaus hilft sondern ein Win-Win Projekt, das sowohl ten Hälfte des letzten Jahrhunderts nach die Einwanderung dabei, die deutsche Ge- Deutschland, als auch Indien in vielfältiger Deutschland kamen, befinden sich heute sellschaft zukunftsfähiger zu gestalten. Die Weise dabei unterstützt, die Welt von Morgen im Ruhestand. Ausgenommen einiger We- interkulturelle Kompetenz, Menschennähe zukunftsfähig zu gestalten. j niger, haben sie ihren großen Traum, den und Toleranz, die etwa indische Migranten Lebensabend in Indien zu verbringen, bereits aus ihrer von kultureller Vielfalt geprägter Der Journalist Jose Punnamparambil rief aufgegeben. Deutschland ist nun für sie ihre Heimat mitbringen, setzt in Deutschland 1984 die Zeitschrift MEINE WELT ins Leben. neue Heimat. Hier möchten sie ihre letzten neue Impulse frei und liefert Ideen für die
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