MEINE WELT ZEITSCHRIFT DES DEUTSCH-INDISCHEN DIALOGS - Schwerpunkt: Deutsch-indische Zusammenarbeit - Meine ...

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MEINE WELT ZEITSCHRIFT DES DEUTSCH-INDISCHEN DIALOGS - Schwerpunkt: Deutsch-indische Zusammenarbeit - Meine ...
Heft 2
                                                                            Jahrgang 38
Schwerpunkt: Deutsch-indische Zusammenarbeit                                Sommer 2021

MEINE WELT
Z E I T S C H R I F T D E S D E U T S C H-I N D I S C H E N D I A L O G S
MEINE WELT ZEITSCHRIFT DES DEUTSCH-INDISCHEN DIALOGS - Schwerpunkt: Deutsch-indische Zusammenarbeit - Meine ...
2   MEINE WELT 2|2021   EDITORIAL

MEINE WELT Leserumfrage
– die wichtigsten Ergebnisse

Wir bedanken uns ganz herzlich       Rückmeldungen insgesamt (online und per Post) 36
bei allen Leserinnen und Lesern,
die an der Leserumfage teilge-       davon Menschen mit indischen Wurzeln 09
nommen und uns ihre Meinung          Indien-Kenner und Reisende 22
über verschiedene Aspekte der        Entwicklungsarbeiter*innen 10
Zeitschrift mitgeteilt haben. Ihre   Geschäftsleute 04
Antworten, liebe Leser*innen
                                     Beziehung zu Indien
helfen uns, das Medium in Ihrem
Sinne fortzuentwickeln und dabei     familiär 11 / 30 %
die verschiedenen Interessen zu      beruflich  19 / 53 %
                                     kulturell, spirituell 11 / 39 %
berücksichtigen.
                                     touristisch  11 / 39 %
Gerne teilen wir Ihnen hier die
wichtigsten Resultate der Befra-     Ich habe MEINE WELT kennengelernt
gung mit. Weitere Meinungs­          über private Beziehungen und/oder Veranstaltungen (Mehrheit)
äußerungen sind stets willkom-
men und werden unter Umstän-         Ich bin Leser von MEINE WELT seit
den in der Rubrik „Leserstimmen“
                                     mehr als 20 Jahren 16
veröffentlicht.                      mehr als 10 Jahren 09
                                     einigen Jahren 11

                                     bevorzugte Themen
                                     deutsch-indisches Zusammenleben 13
                                     Kunst, Kultur 23
                                     Religion 23
                                     Politik  27
                                     Umwelt, Soziales 21
                                     Dt.-ind. Beziehungen  17
                                     Entwicklungszusammenarbeit 16

                                     Layout
                                     gefällt mir 32 / 89 %
                                     gefällt nicht  04 / 11 %

                                     Soll der Name geändert werden?
                                     Ja 61 %
                                     Nein 39 %

                                     Würden Sie für das MEINE WELT-Abo auch bezahlen?
                                     Ja  67 %
Mehrfach-Nennungen sind möglich.     Nein 33 %
Auswahl und Zusammenfassung:         meist genannter Abo-Preis pro Jahr (Vorschlag)  20-25 Euro
Rainer Hörig
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         EDITORIAL               MEINE WELT 2|2021 3

Herausgeber:
Deutsch-Indische Zusammenarbeit e. V.
Odrellstraße 43
                                                      Namaste, liebe Leserinnen und Leser,
60486 Frankfurt am Main
Tel. +49 (0)69 7940 3920
Vertreter des Herausgebers:
                                                      kennen Sie Shakuntala Banerjee?                      Länder und widmen uns ausführlich
Dr. Jona Aravind Dohrmann                             Die TV-Moderatorin ist zu einem                      der Zusammenarbeit auf den Gebieten
E-Mail: dohrmann@diz-ev.de                            der bekanntesten Gesichter mit in-                   Entwicklungspolitik und Klimawandel.
Redaktion:                                            dischem Namen in der bundesdeut-                     Gerne stellen wir Ihnen die Ergebnisse
Rainer Hörig (V.i.S.d.P.)
E-Mail: meinewelt@rainerhoerig.com                    schen Medienlandschaft aufgestiegen.                 der im Frühjahr durchgeführten Le-
                                                      In einem langen, online geführten                    serumfrage vor. Den Wünschen und
Redaktioneller Beirat:
Dr. George Arickal, Prof. Asit Datta,                 Gespräch vertraute sie mir einige                    Empfehlungen aus der Leserschaft
Dr. Jona Dohrmann, Sybille Franck,                    Geheimnisse an: über ihre Schulzeit                  folgend enthält diese Ausgabe zwei
Dr. Martin Kämpchen,
Manoj Kallupurackal,                                  in Mönchengladbach, ihre ersten                      ausführliche Analysen über aktu-
Dr. Cornelia Mallebrein,                              Gehversuche im deutschen Fernse-                     elle politische Ereignisse in Indien.
Jose Punnamparambil,                                  hen, über einige Reiserfahrungen in                  Dazu gehören auch die beklagens-
Nisa Punnamparambil
                                                      Indien und Ihre Ansichten über das                   werten Verluste mehrerer engagier-
Layout und Satz:
Alexander Schmid                                      Bild Indiens in deutschen Medien.                    ter Reformer und Aktivisten, deren
Vertrieb:
                                                      Ein weiteres, sehr aufschlussreiches                 Wirken und Handeln wir mittels
Jose Ukken                                            Gespräch konnte ich mit führen-                      ausführlicher Nachrufe würdigen.
E-Mail: vertrieb@diz-ev.de                            den Vertretern des Sikh-Verbands                     Ein ausführlicher Kulturteil mit bun-
Druck:                                                Deutschland führen, der seit Beginn                  ten Berichten und einer Leseprobe
Siebengebirgs-Druck,
Karlstraße 30, 53604 Bad Honnef
                                                      der Corona-Pandemie in vielen deut-                  rundet das Portfolio dieses Heftes ab.
                                                      schen Städten vegetarische Mahlzeiten                Leider hat sich die finanzielle Situati-
Erscheinungsweise:
bis zu viermal jährlich                               und Dinge des täglichen Bedarfs an                   on dieser Publikation nicht wesentlich
Bitte spenden Sie für den                             Bedürftige verteilt. Die Helfer orientie-            gebessert. Bitte beachten Sie besonders
Fortbestand dieser Zeitschrift:                       ren sich dabei an der Tradition ihres                das beiliegende Schreiben, in dem Her-
Deutsch-Indische Zusammenarbeit e. V.                 Glaubens, die jedem Besucher und                     ausgeber und Redaktion an Ihre Groß-
IBAN: DE84 5206 0410 0004 0041 08
BIC: GENODEF1EK1                                      jeder Besucherin ihrer Tempel eine                   zügigkeit appellieren und auf wichtige
Stichwort: Spende Meine Welt                          warme, gesunde Mahlzeit anbietet.                    Änderungen für die Zukunftsfähig-
                                                      Im Themenschwerpunkt widmen wir                      keit der Zeitschrift hinweisen.
                                                      uns den deutsch-indischen Bezie-
Titelbild:                                            hungen, die sich in diesem Jahr zum                  Bleiben Sie gesund und munter,
Kamel-Hirte in Rajasthan,
Foto: Rainer Hörig                                    70ten Mal jähren. Wir beleuchten in
                                                      Beiträgen kompetenter Autor*innen
Rückseite:
Indische Frau,                                        die diplomatischen, wirtschaftlichen
Zeichnung von Rainer Schoder                          und strategischen Beziehungen beider

                                                                                                                     Gefördert durch ENGAGEMENT GLOBAL
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Jose Ukken                              uns Ihre E-Mail-Anschrift mitteilen. Für   bei Jose Ukken                    Für den Inhalt dieser Publikation ist allein der
vertrieb@diz-ev.de                      die gedruckte Ausgabe erheben wir ab       vertrieb@diz-ev.de                Verein Deutsch-Indische Zusammenarbeit e. V.
                                                                                                                     verantwortlich; die hier dargestellten Positionen
                                        sofort von neuen Abonnenten einen                                            geben nicht den Standpunkt von Engagement Glo-
Redaktion:                              Unkostenbeitrag in Höhe von jährlich       Bitte besuchen Sie uns            bal oder des Bundesministeriums für wirtschaftli-
                                                                                                                     che Zusammenarbeit und Entwicklung wieder.
Rainer Hörig                            25,00 Euro, zahlbar auf das Spenden-       auch im Internet unter:           Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht
meinewelt@rainerhoerig.com              konto der DIZ (siehe oben).                www.meine-welt-online.de          unbedingt die Position der Redaktion wieder.
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4   MEINE WELT 2|2021   I N H A LT

                                     Die Kolumne

                                     Schaut hin, schaut zurück, schaut voraus!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  6
                                     von George Arickal

                                     Foto-Essay

                                     Ladakh – Wüste im Himalaya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
                                     Text und Fotos von Rainer Hörig

                                     Literatur

                                     Sugathakumari: Ein Baumlied. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

                                     Gespräch mit Prominenten

                                     Shakuntala Banerjee, TV-Journalistin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

                                     Indisch - Deutsch

                                     Langar – die Sikh-Tradition mitmenschlicher Fürsorge . . . . . . . . . . . . 14
                                     von Rainer Hörig

                                     Indische Einwanderung – Ein Win-Win-Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
                                     von Jose Punnamparambil

                                     Politik · Zeitgeschehen

                                     Premierminister Modis Metamorphose zum Hindu-Asketen . . . . . . 18
                                     von Chandrima Chakraborty

                                     Das allmähliche Verschwinden der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
                                     von Asit Datta

                                     Ein Jesuitenpater wird zum Märtyrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
                                     von Bernard Imhasly
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   I N H A LT   MEINE WELT 2|2021 5

Umwelt · Soziales

Im Schatten der Pandemie – Gewalt gegen Frauen in Indien. . . . . . . 24
von Pratibha Singh und Susanne Traud-Dubois

Die Stimme des Himalaya. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Zum Gedenken an Sundarlal Bahuguna von Ashish Kothari

Schwerpunkt: Deutsch-indische Zusammenarbeit

Deutsch-indische Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
von Christian Wagner

60 Jahre Entwicklungszusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
von Claudia Warning

Gemeinsam für Klimaschutz und Anpassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
von Rixa Schwarz

Religionen

Struktureller Rassismus in der Kirche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
von Gerald Mayer

Kulturleben

Mallika Sengupta: Sitayana. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Kurzgeschichte

Hindi-Deutsch-Übersetzerwerkstatt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Bericht von Almuth Degener

Sprache prägt Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
von Martin Kämpchen

Neue Bücher – kurz vorgestellt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Nachruf

Im Gedenken an Johannes Laping. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
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6   MEINE WELT 2|2021      D I E KO L U M N E

Schaut hin, schaut zurück, schaut voraus!

Angesichts der verheerenden Auswirkungen der Corona-Pandemie in
Indien mahnt George Arickal nicht wegzuschauen, sondern sich mit
Menschlichkeit und Achtsamkeit dem Leid der Menschen zu stellen. Er
beruft sich dabei auf Beispiele aus der jüngeren und frühen Geschichte
der Menschheit.

S
        ehen, Urteilen, Handeln; dies ist        für die Zukunft. Aus der Geschichte lernen
        ein einfach klingendes Entschei-         wir wichtige Kapitel zur Gestaltung sowohl
        dungs- und Handlungsprinzip, das         der Gegenwart als auch der Zukunft. So ist
viele von uns von Jugend an gelernt haben.       es zu begrüßen, dass Deutschland in diesen
„Schaut hin“, mit diesem Motto lud uns der       Tagen den Völkermord an Hereros während           Foto: privat
dritte Ökumenische Kirchentag in Frankfurt       der Kolonialzeit in Namibia endlich aner-
im Mai dieses Jahres ein, auf die Lage und       kennt und um Versöhnung bittet. Joe Biden
Entwicklungen in der Welt bewusst hinzu-         erinnerte als erster Präsident der Vereinigten
schauen. Hinschauen allein löst natürlich        Staaten auf einer Gedenkfeier im Juni an die      der Welt auf die Notlage dieser Stadt genau
kein Problem, doch ohne Hinschauen kann          Opfer des rassistisch motivierten Massakers       hinschauen. Die Antwort auf diesen Aufruf
keine nachhaltige Lösung erwartet werden.        in Tulsa vor 100 Jahren. Das Massaker sei         folgte postwendend: die Versorgung West-
Die Verweigerung des Hinschauens und des         „eines der schlimmsten unserer Geschich-          Berlins durch die berühmte Luftbrücke. Diese
Hinhörens verrät oft Gleichgültigkeit oder       te“ gewesen und „zu lange von unserer Ge-         wurde notwendig, da sowjetische Truppen
Flucht vor Konsequenzen. Der Beraubte auf        schichtsschreibung vergessen“ worden. „Ich        aus Protest gegen die Einführung der Wäh-
der Straße von Jerusalem nach Jericho lag        bin hierhergekommen, um dazu beizutragen,         rungsreform in West-Berlin die Versorgungs-
lange Zeit ohne Hilfe, da die reichen und ein-   das Schweigen zu brechen, denn das Schwei-        wege blockierten. 322 Tage lang versorgten
flussreichen Passanten aus der Gesellschaft,     gen vertieft die Wunden“, sagte er auf der        amerikanische und britische Flugzeuge die
Wirtschaft, Politik und Religion nicht bereit    Veranstaltung. Mit seinem überraschenden          West-Berliner Bevölkerung aus der Luft.
waren, hinzuschauen. Der Verletzte wurde         Rücktritt aus dem Amt setzt der Erzbischof        Lebensmittel, Medikamente, Kohle, Heizöl
erst versorgt, als ein Samariter vorbei kam,     von München Kardinal Reinhard Marx ein            und vieles mehr mussten eingeflogen werden.
hinschaute und das Erforderliche veranlasste.    Zeichen, dass sich die katholische Kirche         Über 2.000 Tonnen Luftfracht brachten die
Dem Beraubten erwies sich dieser fremde          gründlich erneuern muss. Solche mutige            Flugzeuge jeden Tag nach Berlin. Durch ein
Helfer als der wahre Nachbar. Der Aufruf         Entschlüsse stiften Hoffnung.                     entschlossenes solidarisches Handeln konn-
„Schau hin“ kann deshalb gedeutet werden:           „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt   te eine durch den „kalten Krieg“ errichtete
Sei der Schöpfung und den Mitmenschen ein        und erkennt, dass Ihr diese Stadt und dieses      lebensgefährliche Blockade überwunden
guter Nachbar.                                   Volk nicht preisgeben dürft und nicht preis-      werden.
                                                                                                      „Ihr Völker der Welt, schaut auf uns, die
Aus der Geschichte lernen wir wichtige Kapitel zur                                                 Opfer der Corona-Pandemie!“ Unüberhör-
                                                                                                   bar ist dieser Schrei der Verwundeten nach
Gestaltung sowohl der Gegenwart als auch der Zukunft.                                              Solidarität und Gerechtigkeit. Rund 168,1
                                                                                                   Millionen Menschen sind laut der Johns-
  Bezweckt mit dem Motto „Schaut hin“ ist        geben könnt! Es gibt nur eine Möglichkeit für     Hopkins-Universität bis Ende Mai dieses
nicht nur das Wahrnehmen der tatsächlichen       uns alle: gemeinsam so lange zusammenzu-          Jahres weltweit positiv auf das Virus getestet
Lage, sondern auch das Entdecken der da-         stehen, bis dieser Kampf gewonnen ist“. Mit       worden. Weit mehr als 3,5 Millionen Infizierte
hinter stehenden Ursachen. Ein bewusstes         dieser eindringlichen Rede am 9.September         sind gestorben. Die Völkergemeinschaft hat
Hinschauen öffnet bei gutem Willen einen         1948 vor dem Reichstagsgebäude sandte             wohl die Chance vertan, genau hinzuschauen
Weg für wirksame Handlungen. Das Hin-            Ernst Reuter, der damalige Oberbürger-            und sich als Rettungsanker für viele Opfer
schauen beschränkt sich nicht auf die gegen-     meister West-Berlins, einen Notruf an die         der Pandemie einzusetzen.
wärtigen Entwicklungen sondern auch auf          Völker. Er verband damit die Zuversicht, dass        Allein in Indien haben sich laut Wikipe-
die Vergangenheit und auf die Perspektiven       West-Berlin gerettet wird, wenn die Völker        dia im Zeitraum zwischen dem 03.01.2020
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    D I E KO L U M N E     MEINE WELT 2|2021 7

und dem 26.05.2021 mehr als 25 Millionen           mäß einem Bericht der Weltbank werden in        gebracht, auch auf manche von der Pandemie
Menschen mit dem Virus infiziert. Diese Zahl       diesem Jahr bis zu 115 Millionen Menschen in    erteilten Lehren in Bezug auf den Lebensstil
wird jedoch um ein Vielfaches überschritten,       extreme Armut fallen. Entwicklungsminister      und Lebenssinn hinzuschauen. Die Pandemie
denn die Virus-Testungen sind lückenhaft           Gerd Müller weist darauf hin, dass Corona       offenbart, in welcher Hilflosigkeit sich die
und viele Erkrankte insbesondere in den            erstmals seit Jahren wieder zum Anstieg von     Menschheit bei der Lösung unerwarteter Her-
ländlichen Regionen versterben ohne ärzt-          Armut und Hunger in der Welt führt. „In         ausforderungen befindet. Dem Menschen, der
liche Versorgung zu Hause.                         vielen Entwicklungsländern hat die Pande-       sich als die Krönung der Schöpfung begreift,
   Es scheint, dass die Völker dieser Welt teil-   mie zu einer massiven Armuts-, Hunger- und      wird aufgezeigt, dass er sich besinnen und die
weise hinschauen und sich teilweise blind,         Wirtschaftskrise
taub und stumm stellen. Zuversicht verleiht        geführt. Jetzt erst Die Pandemie offenbart, in welcher Hilflo-
sicherlich die Tatsache, dass sich doch viele      recht müssen wir
Menschen dem Hilferuf folgend in den Dienst        am Ziel einer Welt
                                                                           sigkeit sich die Menschheit bei der Lösung
des Lebens stellen. Medikamente, Sauerstoff,       ohne Hunger und unerwarteter Herausforderungen befindet.
Desinfektions- und Schutzmittel sowie Nah-         Armut festhalten“.
rungsmittel wurden zur Verfügung gestellt.            Neben diversen Schutzmaßnahmen wird          Grenzen seiner Macht erkennen muss. Der
Dies war für manche zwar viel zu spät, doch        die Impfung als das beste Mittel erachtet.      Übermut hat sich der Demut zu fügen. Wir
für viele noch rechtzeitig. Die Solidarität        Unter der Führung der Weltgesundheits-          sind Zeitzeugen unzähliger Ereignisse, die
vieler staatlicher und zwischenstaatlicher         organisation (WHO) haben 190 Länder im          besonders folgenreiche Entwicklungen für
Organisationen sowie unzähliger Zivilge-           Februar dieses Jahres eine Verständigung zu     das Leben hervorrufen. Die Corona-Krise
sellschaften bedarf besonderer Würdigung           einer fairen Verteilung der Impfmittel erzielt. ist nur eine davon. Die bedrohende Klima-
und Anerkennung. Hierzu gehört auch die            Demnach sollten in der ersten Phase jedes       veränderung, Umweltverschmutzung, die
Luftbrücke zwischen Deutschland und In-            Land proportional zur Bevölkerung Mittel        unerträglich steigende Armut, Flucht und
dien. An Bord des Hilfsflugs befanden sich         zur Impfung von drei Prozent der in der Pan-    Vertreibung, die nie endenden Regionalkrie-
Bundeswehrsoldaten mit Geräten zur Sau-            demiebekämpfung involvierten Risikoträger,      ge, die mit der Verschwendung lebenswich-
erstoffproduktion für die Versorgung von           d. h. die Beschäftigten in systemrelevanten     tiger Ressourcen vorangetriebene weltweite
Patienten in Indien. Solche spontanen Hilfen       Berufen erhalten. In der zweiten Phase soll-    Rüstung, die Renaissance des Rassismus und
in der Not sind unerlässlich, denn sie retten      te jedem Land Impfmittel zur Versorgung         des Antisemitismus sind Herausforderun-
Leben.                                             von 20 Prozent der Bevölkerung angeboten        gen, die das friedliche Zusammenleben der
   Opfer der Pandemie sind weit mehr als           werden. Bevorzugte Berücksichtigung gelten      Völker besonders gefährden. Die Liste der
die Verstorbenen. Abermillionen von Über-          jenen Ländern, wo sich das Virus besonders      Brennpunkte ist lang. Jede*r von uns ist in
lebenden stellen die bange Frage, wie sie ihr      schnell ausbreitet. Gemäß dieser Verständi-     dieser Entwicklung aktiv oder passiv beteiligt.
weiteres Leben gestalten können. Die Pande-        gung sollten reichere Länder für die Impfmit-   Schweigen wäre Zustimmung; es gibt jeden
mie raubt die Lebensgrundlage insbesondere         tel selbst zahlen und die 92 ärmsten Länder     Anlass, genauer hinzuschauen, hinzuhören
der ärmsten Bevölkerungsteile in der Welt.         ihre Dosen kostenfrei erhalten. Die Praxis war  und solidarisch mit anzupacken. j
Die Kinder in den ärmeren Familien sind            jedoch alles andere als faire Verteilung. Die
nicht ausgerüstet, dem digitalen Unterricht        einzelnen Länder waren frei, mit den Produ-     George Arickal war vor seiner Pensionie-
zu folgen. Die Hoffnung, durch Bildung für         zenten direkte Lieferverträge abzuschließen.    rung geschäftsführendes Vorstandsmitglied
eine menschenwürdigere Zukunft der Kinder          Im Preiswettbewerb boten reichere Länder        der Karl-Kübel-Stiftung in Bensheim. Sein
                                                                                                   Buch „Auf dem Weg zur Einen Welt“ er-
beitragen zu können, schwindet von Tag zu          wie die USA höhere Preise und der Markt mit
                                                                                                   schien 2002 im publik-forum-Verlag.
Tag. Aus Indien wird berichtet, dass wegen         den knappen Mitteln war schnell geräumt.
Schulschließungen mehr als 300 Millionen           Die meisten der ärmeren Länder erhielten gar
Kinder auf die Schulspeisung verzichten müs-       keine Dosis. Während Indien in der ersten
sen. Die Zahl der Waisenkinder, die ihre El-       Phase einigen Ländern die Impfmittel zur
tern und Verwandte verlieren, wächst täglich.      Verfügung stellte, verweigerten viele Länder
Während die Kinder in den armen Regionen           den Bedürftigen das lebensrettende Mittel.
unter fehlender Nahrung und Bildung leiden,        Dies ist ein Skandal, zumal die Pandemie
steigt die Zahl der Jugendlichen in den rei-       keine Landesgrenzen kennt.
chen Ländern, die psychisch erkranken. Ge-            Trotz aller bitteren Erfahrungen ist es an-
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Ladakh – Wüste im Himalaya
TEXT UND FOTOS: RAINER HÖRIG

S
        chroffe Berglandschaften von unbe-        ckeln, zumindest in den wenigen Sommermo-
        schreiblicher Schönheit, grüne Täler      naten. Der harsche Winter zwingt nämlich
        unter schneebedeckten Gipfeln – Indi-     die Bewohner – Viehnomaden, Bauern und
ens nördlichste Provinz Ladakh ist eigentlich     Händler – ein halbes Jahr lang in häusliche
ein Teil des tibetischen Hochlandes. Doch         Quarantäne. Die Familien beschäftigen sich
während die chinesische Besatzungsmacht ihr       dann mit Handarbeiten, etwa dem Weben
Bestes tut, die buddhistische Kultur zu zerstö-   bunter Teppiche aus der Wolle ihrer Tiere.
ren, wird sie in Ladakh gehegt und gepflegt.      Gesalzener Buttertee und Trockenfleisch hiflt
So konnte sich die karge Hochwüste in den         ihnen, die eisige Kälte zu überstehen.
letzten Jahren zum Touristenparadies entwi-
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   F O T O - E S S AY   MEINE WELT 2|2021 9
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Sugathakumari: Ein Baumlied

Der Papagei des Waldes braucht die Bäume,
der Mensch des Landes braucht sie ebenso,
die fliegende Libelle gleichfalls,
das lächelnde Kind und der sterbende Alte –
alle – brauchen die Bäume
(Der Papagei …)

Den Lebenshauch zu atmen, brauchen wir Bäume,
Wasser zu trinken, brauchen wir Bäume,
den Hunger an Früchten zu stillen, brauchen wir Bäume,
um in schattiger Kühle zu liegen, brauchen wir Bäume.
(Der Papagei …)

Das Mitleid des Himmels zu spüren, brauchen wir Bäume,
die feuchte Erde zu genießen, brauchen wir Bäume,
die Augen zu kühlen, brauchen wir Bäume,
uns zu schützen, brauchen wir Bäume.
(Der Papagei …)

Fällt nicht, fällt nicht die Bäume, ihr Menschen,
macht nicht zu Geld die Bäume, ihr Großen,
der Wald ist unser Zuhause –
bitte zerstört nicht unser Zuhause, ihr Großen.
(Der Papagei …)

Ins Deutsche übertragen von Annakutty Valiamangalam
K.-Findeis aus dem Buch „Sugathakumari: Was habt Ihr
meiner Welt angetan?“, Draupadi-Verlag, 2020 Siehe       Baumschützerinnen im Himalaya
dazu auch MEINE WELT Nr. 01/2021, Seiten 36-38                        Foto: Rainer Hörig
GESPRÄCH MIT
                                                                                                      PROMINENTEN            MEINE WELT 2|2021 11

Im Gespräch:

Shakuntala Banerjee, TV-Journalistin
Shakuntala Banerjee wuchs als
Tochter einer deutschen Mutter
und eines indischen Vaters in
Rheydt und in Mönchengladbach
auf. Als Mitarbeiterin des ZDF-
Hauptstadtstudios kommentiert
sie häufig die bundesdeutsche
Politik und interviewt führende
Politiker. Nach dem Studium von
Philosophie, Germanistik, Indo-
logie, Politikwissenschaft und
Öffentlichem Recht in Berlin kam
sie eher zufällig zum Journalismus,
wie sie im folgenden Gespräch
gesteht.

                                                                                                                            Foto: ZDF/Claudius Pflug

c Sie wuchsen in einer bi-nationalen Familie    c Haben Sie sich in Ihrer Jugend gelegentlich         ist etwas, was von außen immer wieder an
auf. Welche Bedeutung spielte die indische      gefragt, zu welcher Lebenswelt Sie sich zugehö-       einen herangetragen wird. Aber ich habe mich
Kultur und Weltanschauung in Ihrer Jugend?      rig fühlen, der deutschen oder der indischen?         dadurch nie fundamental in Frage gestellt
                                                                                                      gefühlt. Ich bin, wer ich bin.
S. Banerjee: Wenn man in einer binationa-       Diese Art von Identitätskonflikt habe ich
len Familie aufwächst, ist es keine Frage, ob   so nicht erlebt. Die Frage der Zugehörigkeit          c Bitte skizzieren Sie Ihre berufliche Lauf-
man in der einen oder der anderen Kultur        hat weder in meiner Familie noch bei mei-             bahn. Wie wurden Sie eine bekannte Fernseh-
aufwächst. Im besten Fall ergänzen sich beide   nen Freunden oder Bekannten eine Rolle                Journalistin?
zu einer Erziehung und einem Lebensgefühl,      gespielt. Ich hatte auch das Glück, dass ich
die harmonisch sind und gut zueinander          in meinem Leben hauptsächlich Menschen                Ich bin vielleicht eine der letzten Querein-
passen. Aber natürlich nimmt man schon          getroffen habe, die mich entweder so akzep-           steigerinnen im ZDF. Journalismus war nie
wahr, dass man einen Zugang zu einer Welt       tiert haben, wie ich bin, oder mir mit freund-        mein Berufsziel. Ich bin eher durch mehrere
bekommt, die andere nicht kennen. Ich bin       licher Neugier begegnet sind, und dass ich            glückliche Zufälle dahin gelangt, wo ich heute
ganz selbstverständlich mit der indischen       persönlich nur vereinzelt Erfahrungen mit             arbeite. Während des Studiums arbeitete ich
Küche aufgewachsen, weil mein Vater viel        hartem Rassismus gemacht habe. Ich bin in             aushilfsweise für den WDR, später für den
gekocht hat und ein phantastischer Koch         der Grundschule von einem Mädchen, dass               Sender RTL. Das waren keine journalisti-
ist. Wir haben viel indische Musik gehört,      ich nicht kannte, unvermittelt angegriffen            schen Tätigkeiten, sondern das, was man als
auch klassische. Mein Vater hat gelegentlich    und rassistisch beschimpft worden. Das hat            Studentin so macht, man hilft der Redaktion.
indische Konzerte organisiert, so lernten wir   mich eher überrascht als verunsichert. Was            Ein Interesse für Politik hatte ich schon im-
indische Künstler von Weltrang kennen. Wir      allerdings nicht immer einfach ist, ist die           mer, auch für Journalismus, aber ich wollte
haben Weihnachten und Durga Puja gefeiert.      meist unbewusste Ausgrenzung. Fragen wie:             eher was anderes machen. Durch Zufall bin
Das hat sich gemischt, ist für mich immer       Woher kommst Du eigentlich? Wollen Sie                ich dann beim ZDF gelandet, in Thüringen,
gleichberechtigt gewesen und eine Selbstver-    irgendwann zurückgehen? Dann frage ich:               im Landesstudio Erfurt. Ich erhielt eine
ständlichkeit.                                  Wohin denn? Nach Mönchengladbach? Oder                Chance, da mal hineinzuschnuppern, und
                                                die Frage: Wie deutsch fühlen Sie sich? Das           habe gemerkt, dass ich das gerne mache.
GESPRÄCH MIT
12   MEINE WELT 2|2021     PROMINENTEN

c Haben Sie auch in Indien als Journalistin       bin dort stets mit offenen Armen empfan-          es sich auch, da mal hinzuschauen. Schade
gearbeitet?                                       gen worden, von der Familie sowieso, aber         ist, dass bei uns im Fernsehen die vielen un-
                                                  auch von Freunden und Bekannten. Selbst           terschiedlichen Facetten zu kurz kommen.
Nicht wirklich, denn wir haben in Indien          nach zehnjähriger Abwesenheit wird man            Was wir übersehen, ist die Entwicklung, die
ja unseren Korrespondenten. Einmal, im            sofort wieder als dazugehörig empfangen,          irrsinnige Entwicklungsgeschwindigkeit in
September 2019, hatte ich das Glück, die          ganz selbstverständlich in den Familien-          diesem Land, und ich glaube, dass es auf lange
Bundeskanzlerin auf einer Reise nach Indi-        kreis aufgenommen, auch ein bisschen mit          Sicht nicht klug für uns ist, wenn wir da nicht
en zu begleiten. Das war schon interessant,       eingespannt. Und das schätze ich sehr, das        auch hingucken.
weil Indien durch die journalistische Brille      empfinde ich immer wieder als ein großes
natürlich anders aussieht, als durch die pri-     Geschenk.                                         c Ich habe bei Begegnungen mit Deutschen
vate. Ich war also Teil einer Delegation und                                                        in Indien häufig gespürt, dass viele von ihnen
wurde daher als Deutsche wahrgenommen.            c Wie haben die Menschen in Indien auf            unterschwellig und unbewusst einen Über-
Da konnte ich beobachten, wie groß bei einem      die Besucherin aus dem fernen Deutschland         heblichkeitsdünkel gegenüber dem Land und
Staatsbesuch der Sicherheitsaufwand war, wie      reagiert? Welche gesellschaftliche Rolle hat      den Menschen empfinden. Mir erscheint diese
streng das alles durchchoreografiert war. Das     man Ihnen dort zugewiesen?                        Arroganz ein Überbleibsel aus der Kolonialzeit
ist dort schon anders, als hier in Deutschland.                                                     zu sein, in der das Bild von der Überlegenheit
                                                  Was immer wieder passiert, ist, dass mich         der Weißen gepflegt und verbreitet wurde. Spü-
c Hatten Sie Gelegenheit, die indische Hei-       Leute in der Landessprache ansprechen und         ren Sie dieses Verhalten auch gelegentlich?
mat auch auf eigenen Reisen kennenzulernen?       ich nicht antworten kann, weil ich die Sprache
Welchen Charakter besaßen Ihre Reisen – wa-       nicht beherrsche. Da ist dann schon eine ge-      Ich würde in der Interpretation nicht so weit
ren es Familienbesuche, tourisitische Touren      wisse Irritation auf Seiten der Einheimischen.    gehen, wie Sie. Es mag diese Haltung tat-
oder folgten Sie dabei eher beruflichen Zielen?   Ich bedaure sehr, dass ich nicht Bengalisch       sächlich noch geben, ich mag sie aber nicht
                                                  spreche, denn so bleibt immer ein Rest Dis-       verallgemeinern. Ich glaube schon, dass viele
Schon als Kind haben mich meine Eltern            tanz, selbst zur eigenen Familie. Zu Vieles im    Menschen hier in Deutschland sich schon da-
häufig nach Indien mitgenommen. Wir be-           Kulturellen, aber auch im Sozialen, drückt        rüber bewusst sind, dass wir nicht der Nabel
suchten in erster Linie die großen Städte:        sich eben über die Sprache aus.                   der Welt sind, und dass andere Menschen und
Kalkutta, wo meine Familie lebt, Bombay,                                                            Kulturen auch Spannendes hervorbringen.
Delhi, Chennai, aber auch Goa und einige          c Wie beurteilen Sie das Bild, dass die Me-       Aber ich glaube auch, dass wir immer noch
Gegenden in Südindien. Was ich auch noch          dien in Deutschland von Indien vermitteln?        in einem eurozentrischen Weltbild gefangen
gerne sehen würde, wäre der Norden, also die                                                        sind. Das können Sie postkolonial nennen,
Himalaya-Region. Es gibt dort noch viel zu        Was die Berichterstattung in den Medien           aber das Wichtigste ist, dass wir vielleicht zu
entdecken - ein faszinierender Subkontinent       über Indien betrifft, bin ich gespalten in eine   sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Die Welt
mit so vielen Einflüssen, Sprachen und Kul-       private und eine berufliche Person. Wenn          verändert sich, sie verändert sich nicht überall
turen, geeint vor allem durch die Religion,       ich privat auf das Fernsehprogramm schaue,        zu unseren Gunsten. Dass wir in Europa, im
aber auch die Kultur.                             muss ich sagen: wir transportieren immer          sogenannten Westen unseren Lebensstil, so
  Indien ist für mich auch zweite Heimat. Ich     noch häufig Klischees. Wir schauen vor al-        wie wir ihn bisher gelebt haben, fortführen
habe erst dort relativ spät, mit Anfang zwan-     lem dann hin, wenn es Probleme gibt. Wir          können, ist ja nicht besonders wahrscheinlich
zig, gemerkt, wie stark ich durch die deutsche    zeigen, wo es noch Nachholbedarf gibt. Und        - aus unterschiedlichen Gründen. In einem
Umgebung geprägt bin. Damals war ich mit          da kommt dann auch meine journalistische          Punkt haben Sie Recht: Wir haben viel zu
einer Studentengruppe unterwegs. Ich wollte       Persönlichkeit ins Spiel, weil ich aus meiner     lange gedacht, Länder wie China und Indien
erfahren, wie es sich anfühlt, wenn ich nicht     Berufserfahrung weiß, dass genau das unsere       seien nicht in der Lage, aus eigenen Stücken
von meiner Familie behütet werde, wollte          Kernaufgabe ist. Wir sind ja traditionell dazu    echte Entwicklung zu schaffen,
das Land auf eigene Faust erkunden. Da ist        angehalten, kritisch zu berichten, und das           Ich denke, die nächste Phase wird daraus
mir dann aufgefallen, welchen Einfluss die        finde ich auch richtig.                           bestehen, dass wir erkennen, dass wir uns
Sozialisierung auf die eigene Person ausübt          Indien hat immer noch viele Probleme,          Länder wie China aber vor allem auch Indien
und dass ich doch sehr stark deutsch geprägt      kämpft mit Ungleichheit, mit Korruption,          genauer anschauen müssen. Indien gehört
bin. Trotzdem fühlt es sich auch nach Heimat      und das sind wesentliche Hemmnisse für die        zu den größten Volkswirtschaften der Welt,
an. Das liegt vor allem an den Menschen. Ich      Entwicklung des Landes. Deswegen lohnt            die Bevölkerung ist unglaublich jung, sie hat
GESPRÄCH MIT
                                                                                                       PROMINENTEN             MEINE WELT 2|2021 13

einen großen Aufstiegswillen und einen riesi-    große Aufgeschlossenheit für das Land, eine           kritischen Presse erhält. Indien steht da eher
gen Bildungshunger. Das kann man sich hier,      große Liebe zum Entdecken von Unerwarte-              in der angelsächsischen Tradition. Teilweise
glaube ich, gar nicht vorstellen, wie groß der   tem abseits des Klischees, aber auch gepaart          werden dort Interviews in einer Weise ge-
Wille dort ist, etwas zu lernen und weiterzu-    mit dem kritischen Seitenblick, wo benannt            führt, das könnten wir hier in Deutschland
kommen. Das nehme ich als großen Kontrast        wurde, was gut ist, aber auch, was noch getan         einfach nicht machen. Also, die Befragten so
zu Deutschland wahr, wo wir Bildung zwar         werden muss, und Leute vorgestellt wurden,            frontal anzugehen und in wüste Streitgesprä-
als Privileg sehen, aber vor allem auch als      die sich damit auseinandersetzen. Gleichzei-          che zu verwickeln, das wäre hier überhaupt
Möglichkeit zur Selbstentfaltung.                tig ganz viel zur Geschichte des Landes, zur          nicht denkbar. Ich glaube, dass Indien den
  Wenn sich die Machtverhältnisse in der         unglaublich reichhaltigen Kultur. Das geht            falschen Weg einschlagen würde, wenn es
Welt verändern, müssen Deutschland und           auch, aber diese Sendeplätze sind natürlich           jetzt anfangen würde, die Pressefreiheit ein-
Europa schauen, wo ihr Platz in der neuen        auch umkämpft.                                        zuschränken.
Welt ist. Und dann müssen wir auch auf In-
dien schauen. Das passiert schon, aber es darf   c Sollten die Sendeanstalten sich nicht be-           c Vermutlich bewegen Sie sich auch in
auch gerne mehr Platz einnehmen.                 mühen, solche Themen abseits der Tagesak-             Deutschland in kulturell diversen Kreisen.
                                                 tualität stärker zu berücksichtigen, öfter auch       Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie
c Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass       mal einen Seitenblick zu wagen, wie Sie sagen?        mit rein Deutschen oder mit Menschen mit
ein so komplexes Land wie Indien nicht in                                                              indischen Wurzeln zusammen sind?
einer Fünf-Minuten-Meldung beschrieben           Das tun wir auch. Aber wir waren jetzt
werden kann. Ja, es gibt auch Hintergrund-       wegen der Pandemie eine Zeit lang sehr                Mein persönlicher Freundes- und Bekann-
Berichte, etwa im Auslandsjournal oder im        eingeschränkt, konnte vor Ort teils gar               tenkreis ist so gemischt, dass ich keinen Un-
Weltspiegel, im Radio kann man hin und wie-      nicht drehen, wegen der Infektionsschutz-             terschied nach Nationalität machen kann.
der gute Features hören. Aber leider werden      maßnahmen. Ich weiß, dass wir uns große               Aber der erweiterte bengalische Freundes-
solche Sendeplätze immer seltener. Stimmen       Mühe gegeben haben, die Berichterstattung             kreis bringt ein Temperament mit, das sich
Sie mir zu?                                      aus Indien aufrecht zu erhalten, auch wäh-            vor allem bei Festen wie Durga Puja Bahn
                                                 rend der Pandemie. Wir arbeiten natürlich             bricht. Da sind dann auch immer deutsche
Um es jetzt einmal ganz praktisch journalis-     mit Leuten vor Ort zusammen, aber auch die            Freunde dabei. Was ich immer sehr geschätzt
tisch zu beantworten: Wenn Sie sich unsere       haben sehr strenge Auflagen zu beachten. Da           habe ist, dass die Bengalen sich nicht ab-
Nachrichten anschauen, da haben wir am Tag       freue ich mich ehrlich gesagt auf die Zeit, wo        geschottet haben in Deutschland, das war
Platz für die zehn wichtigsten Ereignisse. Na-   uns das Corona-Virus wieder aus seinem Griff          immer eine offene Community, mit lockeren
türlich wird die Mehrheit der Informationen      entlässt und unsere Leute dort auch wieder            und sehr offenen Grenzen. Ja, Bengalen sind,
sich mit Innenpolitik befassen, dann kommt       reisen können, um Geschichten abseits des             finde ich oft, sehr temperamentvoll. Es gibt
irgendwann vielleicht Europa und die weitere     Üblichen zu entdecken.                                ein Sprichwort: Ein Bengale macht einen
Außenpolitik und da bleibt natürlich unterm                                                            guten Vortrag, zwei Bengalen machen eine
Strich leider wenig Platz für Länder, auf die    c Ist die Pandemie der einzige Grund? In den          gute Diskussion und drei Bengalen machen
wir nicht so ganz genau schauen und wenn,        vergangenen Wochen haben mehrere interna-             Revolution. Das kommt der Wahrheit schon
dann ist das kritisch. Und so kommt sehr         tionale Organisationen, etwa Human Rights             sehr nahe. Wenn man mehrere Bengalen auf
oft der Eindruck zustande, dass wir immer        Watch und auch Reporter ohne Grenzen auf              einem Haufen trifft, dann wird es sehr lebhaft,
nur draufhauen. Das ist eine Beschwerde,         die zunehmende Einschränkung der Presse-              gerne auch kontrovers. Es ist fast schon ein
die ich sehr oft höre.                           freiheit in Indien hingewiesen.                       Sport, sich intellektuell auseinanderzusetzen,
   Ich denke, dass wir es schon beherrschen,                                                           sich aneinander zu reiben, und das auch lei-
auch in kurzen Beiträgen die wesentlichen In-    Das kann ich nicht beurteilen, weil ich in            denschaftlich zu tun. Das ist etwas, was ich
formationen rüberzubringen, aber die sind in     meinem Job sehr auf die bundesdeutsche                sehr genieße. j
der Regel tagesaktuell und kritisch. Längere     Politik konzentriert bin. Ich habe am Ran-
Formate bieten da natürlich mehr Platz und       de mitbekommen, dass es da Hinweise der               Shakuntala Banerjee ist stellvertretende
mehr Möglichkeiten. Ein schönes Beispiel         von Ihnen erwähnten Organisationen gab,               Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios Berlin
ist die Indien-Folge der ZDF Doku-Reihe          aber ich habe das nicht aufmerksam verfolgt.          und Moderatorin von „Berlin direkt“
„Welten-Saga“. Die hat mich beeindruckt,         Ich hoffe sehr, dass sich Indien die Traditi-
weil ich da alles wiedergefunden habe: eine      on einer vielfältigen und auch unglaublich
14   MEINE WELT 2|2021   INDISCH · DEUTSCH

Langar –
die Sikh-Tradition mitmenschlicher Fürsorge

In der Corona-Krise leisten Mitglieder der Sikh-Gemein-
schaft tatkräftigen Beistand für Obdachlose, bedürftige
Rentner und Pflegepersonal. Dabei orientieren sie sich an
der Tradition des „Langar“, der kostenlosen Bewirtung
Gläubiger in allen Sikh-Tempeln. Rainer Hörig sprach mit
führenden Mitgliedern des Sikh-Verbandes Deutschland.
                                                                           Vorbereitungen für ein Gemeinschaftsmahl             Foto: Rainer Hörig
                                                                           in einem Sikh-Tempel in Neu-Delhi

S
        chon früh am Morgen bildet sich eine    sie fühlten sich im Stich gelassen. So dachten     kennen kein Opferritual. Ihre Gebetsstunden
        lange Schlange am Busbahnhof Bres-      wir, wir könnten hier unsere Erfahrungen           münden stets in ein gemeinschaftliches, ve-
        lauer Platz. Vermummte Menschen         einbringen und das Leid dieser Menschen            getarisches Mahl, das sogenannte “Langar”,
mit schweren Taschen und Transportkarren        ein wenig mildern.“                                das in der Tempelküche von Freiwilligen zu-
leisten der kalten Witterung Widerstand. Ein       Manvir Singh Dillon bekennt sich zur            bereitet wird. Vom Langar im Tempel zur
junger Mann mit einem Turban auf dem            Religionsgemeinschaft der Sikhs, die im 15.        Speisung Bedürftiger ist es nur ein kleiner
Kopf bittet über ein Megaphon zu Geduld         Jahrhundert im nördlichen Indien entstand.         Schritt!
und mahnt, die Abstandsregeln einzuhalten.      Ihr Erkennungszeichen ist ein sorgsam ge-             Während der 1970er und 1980er Jahre re-
Dann wird es betriebsam: Aus einem Liefer-      wickelter Turban, mit dem die Männer und           bellierten viele Sikhs gegen die Zentralregie-
wagen werden Kisten und Tüten entladen          auch einge Frauen ihren Kopf bedecken. In          rung in Neu-Delhi und warfen ihr vor, frühere
und auf die in einer langen Reihe aufgestell-   ihren Gotteshäusern, den „Gurudwaras“              Versprechen auf Selbstbestimmung für die
ten Klapptische gepackt. Die menschliche        werden täglich Tausende von Besuchern              Sikhs nicht einzuhalten. Die Sezessionsbewe-
Schlange setzt sich in Bewegung und wäh-        mit warmen, vegetarischen Mahlzeiten               gung radikalisierte sich, einige Priester und
rend die Vermummten an den langen Tischen       bewirtet. „Die Tradition des Langar bietet         Politiker riefen zur Rebellion auf. Im Juni
vorbeiziehen, erhalten sie kleine Pakete mit    allen Menschen, unabhängig von Religion,           1984 ließ die damalige Premierministerin
warmen Mahlzeiten, die sie dankbar in Emp-      Hautfarbe, sozialer Herkunft, Geschlecht           Indira Gandhi das höchste Heiligtum der
fang nehmen. „Noch eine Banane oder ein         oder Alter eine Mahlzeit an. Das Mahl fin-         Sikhs, den Goldenen Tempel in Amritsar, in
Fläschchen Wasser?“, fragt eine junge Frau      det in den Speiseräumen der Gebetsstätten          dem sich bewaffnete Rebellen verschanzt hat-
hinter dem Tisch fürsorgevoll. Manchmal         statt, den Langahars, wo alle gemeinsam auf        ten, von Spezialeinheiten stürmen. Hunderte
bleibt auch noch Zeit für einen small-talk      dem Boden sitzen,“ erklärt Mandeep Singh           von Gläubigen, aber auch zahlreiche Radikale
und ein dankbares Lächeln.                      Anand. „Langar bedeutet Anker, es festigt          starben im Kugelhagel. In der Folge flüchteten
   Seit mehr als einem Jahr verteilen junge     und stärkt die Gemeinschaft.“                      viele Sikhs nach Europa und Amerika.
Menschen mit Mundschutz und Turban                 Die Gemeinschaft der Sikhs zählt weltweit          Heute leben etwa 40.000 Sikhs in Deutsch-
bekleidet in einigen deutschen Großstäd-        rund 27 Millionen Menschen, davon leben            land – Nachkommen der Flüchtlinge, aber
ten Essensrationen und Dinge des täglichen      22 Millionen in Indien, hauptsächlich im           auch Arbeitsmigranten und Geschäftsleute.
Bedarfs an Bedürftige. „Uns fiel auf, dass      nördlichen Bundesstaat Punjab und in der           Sie unterhalten aktuell 38 Tempel (Gurudwa-
ältere Menschen und Obdachlose von der          Hauptstadt Neu-Delhi. Sikhs verehren kei-          ras). Ein großer Teil der indischen Restau-
Corona-Epidemie und den damit verbundene        nen Gott, sondern ein dickes Buch, dass die        rants und Lebensmittelgeschäfte hierzulande
Einschränkungen besonders betroffen waren       gesammelten Weisheiten ihrer zehn Gurus            wird von Sikhs betrieben. Ihre Söhne und
und wir spürten das Bedürfnis, Ihnen bei-       enthält – Lehren fürs Leben: ein rechtschaf-       Töchter sind dank einer guten Schulbildung
zustehen,“ sagt Manvir Singh Dhillon, einer     fener Lebenswandel, Güte und Mitmensch-            und ihres Fleißes wirtschaftlich erfolgreich.
der Helfer. „Damals, also kurz vor Ostern im    lichkeit, die Gleichberechtigung aller Ge-         Doch in der deutschen Gesellschaft begeg-
Jahr 2020 war noch ziemlich unklar, wel-        sellschaftsschichten und der Geschlechter.         nen viele den Sikhs mit Vorbehalten. We-
che Auswirkungen die neue Epidemie haben        Da die Sikhs das in Indien weitverbreitete         gen ihres Turbans und ihrer Hautfarbe hält
würde. Aber wir haben ziemlich schnell ge-      Kastensystem ablehnen, tragen alle den Nach-       man sie manchmal für radikale Muslime.
merkt, dass auch die Verwaltung mit die-        nahmen „Singh“-Löwe. In Indien werden              In den Nachwehen der Terroranschläge in
ser neuen Situation überfordert war. Viele      sie als aufrichtig und standfest geschätzt,        New York 2009 wurden viele Sikhs für Ter-
Obdachlosen-Einrichtungen etwa wurden           man beschäftigt sie gerne als Wächter und          roristen gehalten, vor allem in den USA, aber
einfach geschlossen. Die Leute waren ratlos,    Ordnungshüter. Sie missionieren nicht und          auch in Europa. Im April 2016 explodierte
 INDISCH · DEUTSCH          MEINE WELT 2|2021 15

                                                                                                    Essensausgabe am Breslauer Platz in Köln
                                                                                                    Foto: Sikh-Verband Deutschland

                                                                                                      zubereitet werden, half, bürokratische Hin-
                                                                                                      dernisse zu überwinden. Auch beim nötigen
                                                                                                      Geld springt die Gemeinschaft ein, meint
                                                                                                      Mandeep Singh Anand: „Wir finanzieren
                                                                                                      die Essensverteilung aus Spenden unserer
                                                                                                      Mitglieder. Firmen und Privatpersonen stel-
                                                                                                      len uns Lebensmittel zur Verfügung. Wir
                                                                                                      hoffen, dass Firmen uns weiterhin Spenden
                                                                                                      zukommen lassen.“
vor einem Sikh-Tempel in der Stadt Essen         gleich vermuten, dass ich ein echter Kölsche            Der Widerhall, den ihre Hilfsaktionen bei
eine Bombe, als dort gerade eine Hochzeit        Jung bin. Da wundern sich manche und den-            Behörden und in der Bevölkerung hervorru-
gefeiert wurde. Drei Personen wurden ver-        ken: Oh, der kann ja Deutsch! Natürlich, ich         fen, bestätigt, dass der kleine Sikh-Verband,
letzt. Ein knappes Jahr später wurden drei       bin hier geboren und habe meine schulische           der lediglich knapp eintausend Mitglieder
minderjährige Jugendliche zu langjährigen        und auch akademische Laufbahn komplett               zählt, damit einen wirkungsvollen Beitrag
Haftstrafen verurteilt.                          in Köln absolviert.“                                 zur gesellschaftlichen Anerkennung der Sikh-
   Der Kölner Student Damandeep Singh              Mitglieder des Sikh-Verbandes waren es             Gemeinde leistet. „Wir wollen dem unter-
sprach damals von Diskriminierung und            auch, die am Beginn der Pandemie beschlos-           schwelligen Rassismus und der Diskriminie-
„rassistischen Äußerungen“, denen er und         sen, im Sinne ihrer Tradition des Langar             rung, die wir seit der Flüchtlingskrise 2015
seine Glaubensgemeinschaft gelegentlich aus-     gesunde Mahlzeiten und Artikel des tägli-            immer wieder spüren, etwas entgegensetzen.
gesetzt seien: „Diese Vorurteile sind darauf     chen Bedarfs zu verteilen und die Aktion             Daher gehen wir in die Offensive und suchen
zurückzuführen, dass die Menschen hier sehr      „Freie Küche“ ins Leben zu rufen. Manvir             den Dialog. Unser Guru lehrt, den Menschen
wenig Ahnung von unserer Religion haben.         Singh Dhillon: „Im März 2020 begannen                etwas zurückzugeben. Wenn wir etwas mehr
Wir Sikhs müssen uns aufraffen und Aufklä-       wir, Menschen in Köln am Breslauer Platz,            besitzen, als unsere Mitmenschen, dann sol-
rungsarbeit leisten,“ so Damandeep Singh.        am Wiener Platz, auch in Ehrenfeld, an der           len wir auch mit ihnen teilen. Wir hoffen,
   Bereits 2013 gründeten Mitglieder der Ge-     Schildergasse an den Ringen aufzusuchen              so einen Beitrag zur Gesellschaft leisten zu
meinschaft den Sikh-Verband Deutschland.         und ihnen Essen und Kleidungsstücke zu               können. Vielleicht können wir auf diesem
„Dessen Aufgabe ist es, die Deutschen mit        schenken, auch Atemmasken, Vitamine, Ge-             Wege auch langfristig mit unseren politi-
unserer Religion bekannt zu machen und           brauchsgegenstände wie Deo, Zahnbürsten.             schen Kontrahenten in Kontakt kommen.
darüber aufzuklären, wer die Sikhs sind, was     In Krankenhäusern haben wir Essen an Mit-            Wir hegen den Wunsch, unseren Glauben den
sie glauben, die Identität und die Philosophie   arbeiter verteilt, weil wir merkten, dass die        Kindern in Schulen und Kindergärten vor-
zu präsentieren, aber nicht zu missionieren.“    Krankenhäuser überlastet waren und um die            zustellen. Vielleicht können wir in Zukunft
Damandeep Singh und seine Freunde halten         gute Arbeit der Mitarbeiter zu belohnen.“            im Ethik- oder Religionsunterricht unsere
Vorträge und nehmen an interkulturellen            In den vergangenen 15 Monaten verteil-             Glaubensgemeinschaft vorstellen. Das ist
Veranstaltungen teil. Sie fordern gleichzeitig   ten die Helfer allein in Köln mehr als 4.500         eines unserer wichtigsten Ziele.“
ihre Glaubensbrüder und -schwestern auf, die     Mahlzeiten. Die Dankbarkeit der Empfänger               Das jahrelange Bemühen der Sikh-Gemein-
deutsche Sprache zu lernen und sich in die       ermuntert sie, diese Hilfsaktion bis heute fort-     de scheint Früchte zu tragen. Die Vorurteile
hiesige Gesellschaft zu integrieren.             zuführen. Manvir Singh Dillon zieht Bilanz:          gegen ihre Gemeinde ließen langsam aber ste-
   Mandeep Singh Anand ist Gründungs-            „Seit dem 10. April 2020 haben wir mit rund          tig nach, bestätigen Mandeep und Manvir. j
mitglied des Verbandes und Sprecher der          150 Ehrenamtlichen deutschlandweit etwa
Kölner Sektion: „Wir arbeiten mittlerweile       19.000 Mahlzeiten in 21 Städten verteilt. In         https://sikhverband.de/
mit Schulen und Behörden zusammen, un-           Köln, Frankfurt, Duisburg, Oberhausen,               Spendenkonto für das Projekt
terhalten Kontakte zu Unternehmen, mit dem       Hamburg verteilen wir mindestens einmal              „Freie Küche“: Bank für Sozialwirtschaft,
Ziel, Kindergärten, Schulen, Universitäten,      pro Monat.“                                          IBAN: DE24 3702 0500 0001 3577 00
                                                                                                      SWIFT-BIC: BFSWD E33XXX
Sport- und Kulturvereine anzusprechen und          Es sei nicht immer leicht gewesen, die deut-
                                                                                                      Verwendungszweck: Freie Kueche
zu zeigen, dass wir auch aus Fleisch und Blut    schen Behörden von Ihrer guten Absicht zu            Per Paypal: Langar@freiekueche.org
sind, dass man sich vom optischen Ausse-         überzeugen und die nötigen Genehmigungen
hen auch täuschen lassen kann. Wenn ich in       zu erhalten. Aber die Tatsache, dass die Mahl-
der Öffentlichkeit auftrete, würde man nicht     zeiten von bereits anerkannten Gaststätten
16   MEINE WELT 2|2021   INDISCH · DEUTSCH

Indische Einwanderung –
Ein Win-Win-Projekt
Die Migration einer wachsenden Zahl gut ausgebildeter Menschen aus                                 chen und ihren Kindern und Enkelkindern
Indien nach Deutschland kommt beiden Ländern zugute – eine klassische                              eine bessere Ausbildung ermöglichen. Ein
Win-Win-Situation, meint Redaktionsmitglied Jose Punnamparambil                                    Teil des Geldes wird auch zum Kauf eines
                                                                                                   Grundstückes und zum Bau eines eigenen
und zieht eine positive Bilanz seines Lebens als Migrant in Deutschland.
                                                                                                   Hauses verwandt, um in Indien ein Zuhause

A
                                                                                                   zu haben, wenn man zwecks Urlaubs oder
         ls ich 1966 nach Deutschland kam,        Ordensschwestern, die diese Institutionen        Verwandtenbesuch in die Heimat reist. Und
         lebten hier rund 20.000 Inder und        führten und dort arbeiteten, fiel wegen feh-     schließlich legen viele Migranten auch in der
         Inderinnen. Viele von ihnen waren        lender Berufung der christlichen Ordensge-       Heimat Geld für die Alterssicherung zurück –
Studenten aus West-Bengalen und Kerala,           meinschaften stark ab. Auch im pastoralen        in Form von Grundstücken, auf Sparkonten,
die Medizin oder Ingenieurswissenschaften         Bereich fehlte der deutschen Kirche der          oder in Aktien. Eine große Mehrheit der im
studierten. Bald kamen dazu etwa 5.000            Priesternachwuchs.                               Ausland lebenden Inder und Inderinnen hegt
junge Frauen aus Kerala, um hier als Kran-          Heute, 55 Jahre nach meiner Ankunft, leben     den geheimen Wunsch, ihren Lebensabend
kenschwester ausgebildet zu werden. Der           in Deutschland mehr als 200.000 Inder und        in Indien zu verbringen.
Grund war der damalige akute Mangel an            Inderinnen. Indische Fachkräfte, die in den         Indien profitiert auch von vielen entwick-
ausgebildeten Pflegekräften. Nach der Aus-        sogenannten MINT-Berufen (Mathematik,            lungspolitisch relevanten und karitativen
bildung und Arbeitsaufnahme heirateten die        Informatik, Naturwissenschaften und Tech-        Projekten, die von Migranten in Deutsch-
meisten dieser Inderinnen junge Männer aus        nik) tätig sind, stehen zur Zeit zahlenmäßig     land initiiert und unterstützt werden. Be-
ihrem Heimatstaat Kerala, brachten sie nach       mit 17.000 an der Spitze aller ausländischen     achtenswert ist die zwischenkirchliche Zu-
Deutschland und gründeten hier Familien.          Fachkräfte in Deutschland. Auch die Zahl der     sammenarbeit in diesem Bereich. Alleine die
   Im Laufe der Jahre stieg die Zahl der in-      indischen Studenten an deutschen Hochschu-       2.000 indischen Ordensschwerstern und die
dischen Migranten in Deutschland langsam          len und Fachhochschulen ist in den letzten       650 indischen Priester überweisen jährlich
aber stetig an. Die Auswanderungsgründe           Jahren steil nach oben geschnellt. Mit 25.000    mindestens 60 Millionen Euro nach Indien.
waren vielfältig, dabei spielte der Pull-Faktor   Studierenden belegen sie den Spitzenplatz        Dazu kommen die Spendengelder, die sie in
wie bei Krankenschwestern eine überragende        unter ausländischen Studenten in Deutsch-        Deutschland sammeln. Diese Gelder werden
Rolle. In den 1990er Jahren litt Deutschland      land. Circa 200 indische Firmen sind heute       vornehmlich für Alphabetisierungs- und Bil-
stark unter Fachkräftemangel, die boomende        mit Investitionen von rund 6,5 Milliarden        dungsprogramme, für Gesundheitsprojek-
Industrie suchte händeringend IT-Fachleute,       Euro in Deutschland engagiert. Viele dieser      te sowie für Maßnahmen zur Verbesserung
Ingenieure etc. Deutschland warb mit der so-      Firmen unterhalten Vertretungen mit indi-        der Lebenssituationen von benachteiligten
genannten „Blue Card“ Fachkräfte in Indien        schen Mitarbeitern in Deutschland. Hinzu         Menschen in ganz Indien eingesetzt. Eine
an. Das Angebot war nicht nur vergütungs-         kommen ca. 2.000 indische Ordensschwes-          Reihe von Migranten regen Projekte und
mäßig attraktiv. Die mit dem Job verbundene       tern, die in katholischen Krankenhäusern         Programme in Indien an, die dazu beitra-
soziale Sicherheit, die Perspektive in einem      und Altenheimen arbeiten. Im pastoralen          gen, die Lebenslage bedürftiger Menschen,
hochentwickelten Industrieland Erfahrungen        Bereich verrichten über 650 indische Pries-      insbesondere aus Bevölkerungsgruppen der
sammeln zu können, waren eine zusätzliche         ter ihren Dienst.                                Adivasi (Stammesbevölkerung) und Dalits
Motivation zur Auswanderung. So kamen               Von dieser beträchtlichen Zunahme bei          zu verbessern.
viele indische IT-Ingenieure, Techniker und       der Zahl von Zuwanderern aus Indien hat             Sowohl das Herkunftsland Indien, als auch
Wissenschaftler nach Deutschland. Auch die        das Herkunftsland enorm profitiert. Indische     das Gastland Deutschland profitieren von
verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit         Migranten in Deutschland und anderen Län-        der Einwanderung. Die meisten Inder und
zwischen Deutschland und Indien in den            dern überweisen regelmäßig beträchtliche         Inderinnen, kommen mit abgeschlossener
1990er Jahren und danach eröffneten neue          Geldbeträge in ihre Heimat. Im Jahr 2019         Ausbildung nach Deutschland. Nach kur-
Möglichkeiten für viele qualifizierte Inder/      betrugen solche Überweisungen (Remissen)         zer Einweisungsphase können sie hier ih-
Inderinnen.                                       aus der ganzen Welt fast 20 Milliarden Euro.     ren erlernten Beruf ausüben. Zuvor haben
   Zu dieser Zeit benötigte die deutsche ka-      Ein großer Teil dieser Gelder floss direkt den   der indische Staat und auch die Familie der
tholische Kirche dringend Personal in ihren       Familien in Indien zu. Dadurch konnte eine       Einwanderer eine beträchtliche Summe Geld
Krankenhäusern, Altenheimen und sozia-            breite Schicht bedürftiger Menschen in In-       in ihre Schulbildung, ihr Studium oder die
len Einrichtungen. Die Zahl der deutschen         dien einen höheren Lebensstandard errei-         Berufsausbildung investiert. In Deutschland
 INDISCH · DEUTSCH      MEINE WELT 2|2021 17

 Indisch-stämmige Jugendliche feiern
  Foto: theinder.net

werden die Gesamtkosten für die Schulbil-      Tage mit Kindern, Kindeskindern, indischen         Akteure der bevorstehenden Veränderungen
dung eines Kindes auf 20.695 Euro geschätzt,   und deutschen Freunden erleben. Was wird           und stärkt deren Resilienz und Empathie.
für ein Studium etwa 55.000 Euro. Dazu         dann aus dem Besitz, den sie in Indien ge-         Bereits heute engagieren sich viele inzwischen
kommt noch der individuelle Anteil an der      erbt haben, mit ihren Vermögensanlagen,            erwachsen gewordene Kinder der Migranten
Ausbildung. Man kann also sagen, dass ein      mit ihren zukunftssichernden Investitionen?        der ersten Generation gesellschaftlich und
deutscher Hochschulabsolvent das Land mehr     Die meisten wandeln alles, was sie in Indi-        übernehmen verantwortungsvolle Aufgaben
als 100.000 Euro kostet. Die Migration von     en besitzen in Geld um und transferieren es        im öffentlichen Leben. Davon geben immer
ausgebildeten Fachkräften aus Indien spart     nach Deutschland. Ich habe mein geerbtes           mehr Deutsche mit indischen Wurzeln, unter
Deutschland daher eine beträchtliche Sum-      Grundstück in Kerala verkauft und das Geld         anderen der Bürgermeister der Stadt Birkenau
me Geld ein. Allein für die 17.000 indischen   nach Deutschland geholt. Ich werde bald das        Milan Mapplassarry, Shakuntala Banerjee,
MINT-Fachkräfte beträgt diese Summe min-       Grundstück in Kerala, das ich Ende 1980            Mitarbeiterin des ZDF-Hauptstadtstudios
destens 1,7 Milliarden Euro.                   günstig mit meinem ersparten Geld gekauft          Berlin, die Bestsellerautorin und Literatur-
   Deutschland wirbt im Ausland um Fach-       habe, und mein Haus, das ich dort preisgüns-       wissenschaftlerin Mithu Sanyal, der Integra-
kräfte, um das wirtschaftliche Wachstum und    tig mit Geld aus Deutschland gebaut habe,          tionsbeauftragte der Stadt Ettlingen Thobias
damit den Wohlstand zu erhalten, aber auch     verkaufen und das Geld nach Deutschland            Pulimoottil, Julia-Niharika Sen als Spreche-
um die Zukunft der Renten zu sichern. Dies     bringen. Im Vergleich zu dem Geld das ich vor      rin der ARD-Tageschau, Joseph Winkler, Po-
ist in der letzten Zeit ein großes Problem     30 Jahren für die Anschaffung dieses Objektes      litiker bei Bündnis 90/die Grünen und der
geworden angesichts ständig sinkender Ge-      ausgegeben habe, werde ich durch die Wert-         ZDF-Reporter Bobby Cherian prominente
burtenzahlen. Wie alle anderen berufstätigen   steigerung einen mehrfachen Kapitalgewinn          Beispiele ab.
Migranten helfen auch die Einwander*innen      erzielen. Dieser Betrag wird letztendlich in          Fazit: Die Migration von Indern und
aus Indien dem deutschen Staat, die Renten     die deutsche Wirtschaft fließen. So wird es bei    Inderinnen nach Deutschland stellt keine
seiner alternden Bevölkerung zu sichern und    vielen anderen Geldanlagen geschehen. Diese        bedrohliche Fremdvölkerinvasion dar, wie
zu verbessern.                                 Vorgehensweise wird auch von späteren Ge-          einige aus dem extrem rechten Spektrum
   Die meisten der ersten Generation von       nerationen indischer Migranten praktiziert.        der bundesdeutschen Politik behaupten,
Inderinnen und Indern, die in der zwei-           Über den materiellen Gewinn hinaus hilft        sondern ein Win-Win Projekt, das sowohl
ten Hälfte des letzten Jahrhunderts nach       die Einwanderung dabei, die deutsche Ge-           Deutschland, als auch Indien in vielfältiger
Deutschland kamen, befinden sich heute         sellschaft zukunftsfähiger zu gestalten. Die       Weise dabei unterstützt, die Welt von Morgen
im Ruhestand. Ausgenommen einiger We-          interkulturelle Kompetenz, Menschennähe            zukunftsfähig zu gestalten. j
niger, haben sie ihren großen Traum, den       und Toleranz, die etwa indische Migranten
Lebensabend in Indien zu verbringen, bereits   aus ihrer von kultureller Vielfalt geprägter       Der Journalist Jose Punnamparambil rief
aufgegeben. Deutschland ist nun für sie ihre   Heimat mitbringen, setzt in Deutschland            1984 die Zeitschrift MEINE WELT ins Leben.
neue Heimat. Hier möchten sie ihre letzten     neue Impulse frei und liefert Ideen für die
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