Jugendarbeit im Que(e)rschnitt - "Und einfach überhaupt damit zu rechnen, dass in deiner Jugendgruppe Menschen sind, die queer sind" - neXTqueer
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Jugendarbeit im Que(e)rschnitt Ergebnisse der multimethodischen Studie zu LSBTIQ*-Jugendlichen in der Jugendarbeit „Und einfach überhaupt damit zu rechnen, dass in deiner Jugendgruppe Menschen sind, die queer sind“
2 DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Impressum Herausgeber Landesjugendring Niedersachsen e.V. Georg-August-Universität Göttingen, Institut für Diversitätsforschung Autor*innen Astrid Biele Mefebue Katharina Jäntschi Björn Bertram Wencke Breyer Andrea D. Bührmann Lektorat, Layout, Druck Lektorat: Jutta Grimm Layout: Björn Bertram Druck: print24 Förderung Kontakt Die Studie wird vom Niedersächsischen Ministe- Landesjugendring Niedersachsen e.V. rium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Zeißstr. 13 * 30519 Hannover im Rahmen der Kampagne „Für sexuelle und ge- info@ljr.de * www.ljr.de schlechtliche Vielfalt* in Niedersachsen“ gefördert. Tel.: 0511 51 94 51 0 Die Koordination der Kampagne erfolgt durch das Queere Netzwerk Niedersachsen (QNN). s b i s ch* l e ul* s c h w r an s * bi* r t int* er* r quee Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
INHALT 3 Inhaltsverzeichnis Impressum 2 Entwicklung der sexuellen und geschlechtlichen Identifizierung bei queeren Vorwort 5 Jugendlichen 23 Das Wichtigste in Kürze 7 Bewusstwerden und inneres Coming-out 23 Homo-, bi- und pansexuelle Jugendliche 23 Zielsetzung 7 Transidente und genderqueere Jugendliche 24 Methodik 7 Queere Vorbilder, Identifikationsfiguren und Rollenmodelle 26 Empirische Ergebnisse 7 Going Public – Motivationen, Reaktionen und Inneres Coming-out/Bewusstwerden 7 Konsequenzen 27 Äußeres Coming-out/Going Public 8 Überlegungen und Abwägungen im Vorfeld 27 Allgemeine Angebote der Jugendarbeit aus Perspektive Zwang zum Going Public 28 der interviewten Jugendlichen 8 Elternhaus und familiärer Hintergrund 30 Besondere, queere Angebote der Jugendarbeit aus Perspektive der interviewten Jugendlichen 9 Positive Erfahrungen – Unterstützung, Anerkennung und Community 32 Strukturen, Handlungsfelder und Herausforderungen der Jugendarbeit aus der Perspektive haupt- und ehrenamtlich Negative Erfahrungen und Diskriminierungen 33 Aktiver 9 Lieber in der Stadt oder auf dem Land wohnen? 35 Erfahrungen der interviewten Jugendlichen und Diskussion Entwicklung der sexuellen und haupt- und ehrenamtlichen der Jugendarbeit – Aspekte geschlechtlichen Identifizierung bei queeren einer guten Praxis 10 Jugendlichen 35 Weiterer Forschungsbedarf 10 Jugendarbeit 41 Handlungsempfehlungen und Forderungen 11 Allgemeine Angebote 41 Begrifflichkeiten sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identifizierung 11 Umgang der Jugendlichen in Jugendgruppen mit ihrer Queerness 41 Begriffe zum Thema sexuelle Orientierung 11 Geschlechtergetrennte Strukturen, Räume & Begriffe zum Thema geschlechtliche Sportangebote 43 Identifizierung 12 Homophobie, Frauenfeindlichkeit und die Angst davor 44 Forschungsstand 14 Positive Erfahrungen – Toleranz, Offenheit und Unterstützung 45 Aufbau der Dokumentation 14 Wünsche an Träger der Jugendarbeit 46 Forschungsansatz und Methode 17 Wünsche an andere gesellschaftliche Organisationen 47 Forschungsansatz 17 Queere Angebote 47 Methodische Schritte 17 Geschützter Raum und Teil der Community 47 Interviews mit queeren Jugendlichen 17 Gegenseitige Unterstützung und Gruppendiskussionen mit Informationsaustausch 48 Aktiven der Jugendarbeit 21 Wünsche an queere Jugendarbeit 49 Auswertung des Materials 21 Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
4 INHALT Rolle der Jugendleiter*innen 50 Einblicke von Haupt- und Ehrenamtlichen der Jugendarbeit 51 Etablierung queerer Strukturen und weitere zentrale Handlungsfelder 51 Herausforderungen 52 Was können Jugendverbände tun? 53 Diskussion Jugendarbeit 54 Handlungsempfehlungen für die Praxis der Jugendarbeit 61 Konkrete Forderungen 67 Forderungen gegenüber Politik und Gesellschaft 67 Forderungen an die öffentlichen und freien Träger der Kinder- und Jugendarbeit 67 Anhang 69 Leitfaden für die problemzentrierten Interviews | Queere Jugendstudie 69 Verwendete Literatur 73 Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
Vorwort 5 Vorwort des Landesjugendrings Niedersachen e.V. Gemeinsam mit dem Institut für Diversitätsfor- dersachsen im Rahmen der Kampagne „Für sexu- schung der Universität Göttingen freuen wir uns elle und geschlechtliche Vielfalt in Niedersachsen“. mit dieser Dokumentation „Jugendarbeit im Viele positive Rückmeldungen erreichten uns auch Que(e)rschnitt” die Ergebnisse der Studie „Quee- im Kontakt mit an der Teilnahme der Studie inter- re Jugendliche und die Jugendarbeit in Nieder- essierten Jugendlichen und haupt- und ehrenamt- sachsen“ vorlegen zu können. Inspiriert durch die lichen Aktiven der Jugendarbeit. Jugendstudie des Hessischen Jugendrings, den Ergebnissen der DJI-Studie „Coming-out – und Die Ergebnisse der Studie verstehen wir als Her- dann....?!“ und die Arbeit der AG Gender und ausforderung auch weiterhin genau hinzuschauen, sexuelle Vielfalt im Landesjugendring, haben wir hinzuhören und nach den Bedarfen und Interessen uns im Herbst 2016 entschlossen, auch in Nieder- der Jugendlichen zu handeln. Dieses bedeutet sachsen die Lebenswelt von lesbischen, schwulen, Bestehendes weiterzuentwickeln, anzupassen und bisexuellen, pansexuellen, inter*geschlechtlichen1, neues zu entwickeln, damit sich Jugendliche und transidenten und genderqueeren Jugendlichen junge Erwachsene egal welcher sexuellen Orientie- wissenschaftlich in den Blick zu nehmen. Dabei rung oder geschlechtlichen Identifizierung von den dienten uns diese Begriffe, die mögliche sexuelle Angeboten der Jugendarbeit, ob durch einen öf- Orientierungen oder geschlechtliche Identifizierun- fentlichen oder freien Träger, angesprochen fühlen gen der Jugendlichen bezeichnen, als begriffliche und auch die Bedarfe und Themen von lesbischen, Ausgangspunkte, die die Jugendlichen in dieser schwulen, bisexuellen, pansexuellen, inter*ge- Dokumentation mit ihren Selbstbezeichnungen schlechtlichen, transidenten und genderqueeren füllen. jungen Menschen Raum gegeben wird. Uns war es wichtig, primär die Jugendlichen selber Zu dem Erfolg des Projektes haben viele beige- als Expert*innen zu Wort kommen zu lassen, dabei tragen. Zuallererst möchten wir dafür denjenigen ging es vor allem um ihre Erzählungen über das ei- Personen danken, die sich für ein Interview zur Ver- gene Coming-out und welche Erfahrungen sie da- fügung gestellt haben: Euch vielen Dank für die of- mit in der Jugendarbeit gemacht haben. An Hand fenen und ehrlichen Interviews und damit Einblicke dieser Berichte sollten dann Hinweise darauf iden- in eure Lebenswelt – aber auch euch Haupt- und tifiziert werden, welche Unterstützung LSTBQ*-Ju- Ehrenamtlichen, die ihr mit uns eure Erfahrungen gendliche sich von Jugendarbeit wünschen und und eure Expertise geteilt habt. Wir danken auch welche Bedarfe für Jugendarbeit gesehen werden. dem Hessischen Jugendring und den Machern der Und um mehr über die Etablierung queer(sensibl) hessischen Jugendstudie, Peter Martin Thomas er Ansätze in der Jugendarbeit zu erfahren, wollten und Prof. Stefan Timmermanns, die dem Projekt wir mit haupt- und ehrenamtlich Aktiven diskutie- gerade in der Anfangsphase mit Rat und Tat bei ren. der Erstellung des Interviewleitfadens zur Seite standen. Die Unterstützung durch alle öffentlichen Der Landesjugendring Niedersachsen e.V. freut und freien Träger der Jugendarbeit, vor allem sich über den Erfolg dieses Projektes und die da- durch die Mitgliedsverbände des Landesjugen- mit bereits heute erzielte Resonanz. Wir erhielten drings und durch die Angebote und Einrichtungen positive Reaktionen, als wir unsere Projektidee der queeren Community, auch im Prozess der Ak- Vertreter*innen aus Politik und queerer Community quise von Interview- und Diskussionsteilnehmer*in- erzählt haben und bekamen in der Folge fachliche nen, hat diese Studie möglich werden lassen. und finanzielle Unterstützung durch das Nieder- Auch bei ihnen möchten wir uns bedanken. Und sächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit schließlich, wenn auch nicht zuletzt, gilt unser herz- und Gleichstellung und das Queere Netzwerk Nie- licher Dank den Studierenden des Seminars „Was ist schon normal?“ im Studiengang sozialwissen- 1 In der Werbung um Teilnehmende für Interviews haben wir – leider ohne Erfolg – auch inter*geschlechtliche Jugendli- schaftliche Diversitätsforschung an der Universität che angesprochen. Sie sind daher im Sample nicht vertre- Göttingen, die für uns die Interviews mit queeren ten. Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
6 Vorwort Jugendlichen geführt und teilweise auch transkri- biert haben, sowie dem Institut für Diversitätsfor- schung an der Universität Göttingen in Person von Andrea D. Bührmann, Astrid Biele Mefebue und Katharina Jäntschi für die konstruktive, inspirieren- de und sehr befruchtende Zusammenarbeit wäh- rend dieser Studie. Wir wünschen allen viel Spaß beim Lesen dieser Dokumentation und konstruktive Diskussionen bei der Umsetzung der Ergebnisse. Ute Neumann Jens Risse Vorstandssprecherin Vorstandssprecher Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE 7 Das Wichtigste in Kürze Zielsetzung Methodik Gesellschaftliche Erwartungsstrukturen, die sich an In der Studie wurden 18 problemzentrierte Inter- der Zweigeschlechter-Norm orientieren und mit views mit lesbischen, schwulen, bi- oder panse- Normalitätsvorstellungen heterosexueller Sexual- xuellen, transidenten und queeren Jugendlichen und Liebesbeziehungen verbunden sind, stellen geführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Der queere Jugendliche vor besondere Herausforde- Schwerpunkt der Studie lag auf der Jugendarbeit rungen bei der Entwicklung ihrer Selbstkonzepte und ihren Ressourcen für diese Zielgruppe. Die und individuellen Lebensentwürfe. Anders als he- Spezifika, die sich für queere Jugendliche bei der terosexuelle Jugendliche können sie sich in ihrer Entwicklung ihres Selbstbildes und individuellen Entwicklung weder auf kollektive Lebensentwürfe Lebensentwurfs aufgrund ihrer Abweichung von – im Sinne gesellschaftlicher Deutungsangebote zweigeschlechtlich und heterosexuell normier- „richtiger“ Lebensführung – beziehen, noch – in ten Erwartungen der Umwelt ergeben, wurden den meisten Fällen – auf Vorbilder in ihrem nähe- analysiert, um die Teilnahme an Angeboten der ren sozialen Umfeld. Zudem erleben sie als Ange- Jugendarbeit biographisch einbetten zu können. hörige einer oftmals stigmatisierten Minderheit Alle Namen der interviewten Jugendlichen wurden Diskriminierung und sind vermehrtem Stress, so anonymisiert. Zudem wurden Gruppendiskussio- genanntem Minoritätenstress (Meyer 1995), ausge- nen mit Aktiven der Jugendarbeit geführt, die seit setzt. Sie tragen ein erhöhtes Risiko für psychische Längerem hauptamtlich oder ehrenamtlich in der Erkrankungen (insbesondere Depressionen), Jugendarbeit tätig und in Projekte oder Strukturen Suchterkrankungen sowie ein höheres Suizidalitäts- zu sexueller Vielfalt involviert sind. Im Zentrum der risiko als heterosexuelle Jugendliche. ebenfalls inhaltsanalytisch ausgewerteten Grup- pendiskussionen standen Fragen nach Ansätzen An diesen Befunden setzt die Studie an und unter- und Herausforderungen für die Arbeit mit queeren sucht die Entwicklung der Selbstbilder und indivi- Jugendlichen in ihren jeweiligen Institutionen. Die duellen Lebensentwürfe lesbischer, schwuler, bi- Durchführung der Interviews und Gruppendiskussi- oder pansexueller, transidenter und genderqueerer onen erfolgte zwischen Dezember 2017 und März Jugendlicher (so können die Selbstbezeichnungen 2018. der Jugendlichen zusammengefasst werden) mit besonderem Fokus auf unterstützende Ressourcen und Potenziale der Jugendarbeit in Niedersach- Empirische Ergebnisse sen. Unsere zentralen Fragen lauteten: Inneres Coming-out/Bewusstwerden Wie laufen Coming-out-Prozesse ab? Wo finden queere Jugendliche dabei Unterstützung? Wo sto- Die Auswertung der in dieser Studie durchge- ßen sie auf Herausforderungen und Hindernisse? führten Interviews zeigt, dass die Jugendlichen Und welche Ressourcen können queere Jugend- das Gefühl haben, in einer geschlechtlich binär liche für die Entwicklung ihrer sexuellen und ge- strukturierten, heteronormativen Gesellschaft auf- schlechtlichen Identifizierung und die Entwicklung zuwachsen. So berichteten sie, (nahezu ausschließ- eines für ihr Erleben passenden Lebensentwurfs in lich) heterosexuelle Beziehungsmodelle kennen Angeboten der Jugendarbeit finden? An welchen gelernt und eine strikte zweigeschlechtliche Un- Stellen produziert die allgemeine Jugendarbeit terscheidung in Mann und Frau erfahren zu haben. hier Ausschlüsse? Sie verinnerlichten dabei zweigeschlechtlich und heterosexuell normierte Erwartungen der Umwelt Ausgehend von den empirischen Ergebnissen sind an die eigene Person. Zentraler Teil dieser Erwar- Handlungsempfehlungen für die Politik aber vor tungen ist es, – so erlebten es die interviewten allem für die Akteur*innen der Jugendarbeit erar- Jugendlichen – dass jeder Mensch sich sowohl mit beitet worden, um die gesellschaftliche Teilhabe männlicher oder weiblicher Geschlechtlichkeit als von queeren Jugendlichen zu stärken. auch mit einer gegengeschlechtlichen sexuellen Orientierung identifizieren sollte. Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
8 DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Die homo-, bi- oder pansexuellen Jugendlichen queeren Community aber vor allem ein unterstüt- stellten meist in der frühen Pubertät homosexu- zendes Elternhaus benannt. Insbesondere, aber elles Begehren oder Verliebtsein bei sich fest und nicht nur dezidiert, queere Jugendgruppen könn- waren davon irritiert. Bei trans*geschlechtlichen ten hier zusätzlich hilfreich sein. Jugendlichen oder Jugendlichen mit nicht binärer geschlechtlicher Identifizierung kam es häufig be- Negative Erfahrungen wurden bei den interviewten reits in der frühen Kindheit zu Verunsicherungen Jugendlichen als besonders kritisch im Elternhaus der Zweigeschlechter-Norm. Queeren Jugend- erlebt, da hier eine emotionale, finanzielle und lichen fehlen – so zeigen die Interviews – häufig rechtliche Abhängigkeit bestehe. Mobbingerfah- passende Begrifflichkeiten für ihr Empfinden. Es rungen oder andere Diskriminierungen in Bezug kommt zu (anhaltenden) Versuchen, diese Irritatio- auf die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche nen zu leugnen oder zu ignorieren. Zudem fehlten Identifizierung führten oft zu psychischen Belas- oftmals queere Vorbilder im sozialen Nahbereich. tungen. Die interviewten Jugendlichen haben zwar Strategien gefunden, damit umzugehen, allerdings Die eigene nonkonforme sexuelle Orientierung schränken sie diese nicht selten und teilweise er- oder geschlechtliche Identifizierung zu akzeptie- heblich in ihrer Handlungsfreiheit ein. Unter ande- ren, stellt eine zentrale Herausforderung dar. Bei rem deuteten sie erlebte Diskriminierungserfahrun- den Interviewten dauerte sie zwischen mehreren gen in weniger belastende Erfahrungen um, indem Monaten oder gar Jahren an und dieser Prozess sie diese bagatellisierten (‚das war eigentlich gar führte oft zu psychischen Belastungen. Hilfreich für nicht so gemeint‘), die Klasse wechselten, öffentli- die eigene Akzeptanz, so berichteten die Jugendli- che Räume mieden (z.B. die Innenstadt) oder mit chen, sei eine Auseinandersetzung mit der Thema- ihrer sozialen Umgebung brachen. tik gewesen – z.B. durch Austausch mit Freund*in- nen oder anderen queeren Personen, durch die Zusammenfassend kann festgehalten werden: Suche nach Informationen und Vorbildern, häufig Der gesamte Prozess des inneren und äußeren im Internet (v.a. YouTube-Kanälen von queeren Per- Coming-outs wurde bei den interviewten Jugend- sonen, aber auch Dokumentationen im Fernsehen) lichen als sehr befreiend und stabilisierend für die – oder ein akzeptierendes soziales Umfeld. Entwicklung ihrer Selbstbilder und ihrer individu- ellen Lebensentwürfe wahrgenommen. In vielen Äußeres Coming-out/Going Public Fällen waren die Reaktionen ihrer Umwelt auch positiver als erwartet. Das Going Public war für die hier interviewten Jugendlichen eine einschneidende Erfahrung. Im Allgemeine Angebote der Jugendarbeit aus Vorfeld bestand bei vielen eine große Angst vor Perspektive der interviewten Jugendlichen Ablehnung und negativen Reaktionen. So planten sie meist sorgfältig, bei wem, wie (persönlich, per In allgemeinen Angeboten der Jugendarbeit (in Messenger oder Brief) und in welchen Lebensbe- Abgrenzung zu Angeboten explizit für queere reichen (Familie, Freundeskreis, Schule, Arbeit, Jugendliche) gibt es Jugendliche, die sich in ihrer Liebesbeziehung) sie sich outen. Die Motivation, Gruppe outen und gute Erfahrungen damit ma- sich zu outen, kann ein (zu) hoher Leidensdruck chen. Viele der Interviewten outeten sich nur be- bei anhaltender Verheimlichung sein, eine queere dingt, d.h. nur einzelnen Personen gegenüber, nur Beziehung oder schlicht der Wunsch, einen offe- in bestimmten Gruppen oder auf Nachfrage. Und nen Umgang mit der eigenen Identifizierung zu einige outeten sich gar nicht. Dabei variierte die pflegen. Zudem wurde immer wieder betont, dass Motivation, ein Coming-out zu unterlassen: Einige ein Going Public kein singuläres Ereignis sei, son- der interviewten Jugendlichen hatten Angst, dass dern ein Prozess: Bei Veränderungen des Umfelds ihr Outing negative Reaktionen hervorrufen würde. und neuen Bekanntschaften müsse nämlich immer Andere gaben an, dass ihre sexuelle Orientierung wieder die eigene Identifizierung erläutert werden. oder geschlechtliche Identifizierung nichts mit ih- Dies betreffe besonders auch die Partner*innensu- ren Aktivitäten in der Jugendarbeit zu tun habe. che. Vor allem trans*geschlechtliche und sich nicht Als mögliche unterstützende Faktoren wurden ein binär identifizierende Jugendliche erlebten Frei- offener (im besten Fall queerer) Freund*innen- zeitangebote als problematisch, die zum Teil kreis, empathische Lehrkräfte, der Zugang zu einer geschlechtergetrennt durchgeführt wurden oder Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE 9 in denen es Umkleidesituationen oder geschlech- der klassischen Jugendgruppenstunde, über Auf- tergetrennte Zimmeraufteilungen gab. Auch Wett- klärungsprojekte an Schulen bis hin zu zielgrup- kämpfe, nicht nur im Sportbereich, sind oft nach penspezifischen Selbsthilfegruppen. Männern und Frauen aufgeteilt und stellten somit genderqueere oder trans* Menschen vor besonde- Eine wichtige Eigenschaft, die die interviewten re Herausforderungen. Jugendlichen explizit queeren Jugendgruppen zurechneten, ist der spezifische geschützte Raum, Weitere Herausforderungen ergaben sich, wenn den diese böten. Hier könnten sich Jugendliche in Jugendgruppen sexistische, homo- und trans- ausprobieren, ohne sich heteronormativen Erwar- phobe Einstellungen zu Tage traten und zu ent- tungshaltungen ausgesetzt zu fühlen. Vielfach ist sprechenden Äußerungen und weiteren Diskrimi- eine solche Gruppe auch Teil der queeren Com- nierungspraxen führten. Für queere Jugendliche munity, in die so Kontakte geknüpft werden kön- entstanden hier negative Gefühle und auch oft nen. eine Angst, sich offen als schwul, lesbisch, bi- oder pansexuell, trans*geschlechtlich oder nicht binär Die gegenseitige anerkennende Unterstützung identifiziert zu erklären. Vereinzelt führten diese und der Informationsaustausch waren weitere Situationen auch dazu, dass Jugendliche die Grup- wichtige Ressourcen, die Teilnehmer*innen von pe verließen. queeren Jugendgruppen in Anspruch nahmen. Be- sonders wichtig seien hier die Jugendgruppenlei- Jugendgruppen bieten aber auch sehr viel Raum ter*innen, die über besonders umfangreiches Wis- für Entwicklung, Potenzial und Unterstützung. sen über Belange queerer Menschen verfügten. Dazu zählten die interviewten Jugendlichen eine allgemein tolerantere, aufgeklärtere und akzeptie- Strukturen, Handlungsfelder und Heraus- rendere Grundeinstellung der Teilnehmenden im forderungen der Jugendarbeit aus der Vergleich zur restlichen Gesellschaft. Zudem erleb- ten die Jugendlichen sich in der Gruppenarbeit als Perspektive haupt- und ehrenamtlich Aktiver selbstwirksam und erfuhren Bestätigung, die sie Die Gruppendiskussionen mit Haupt- und Ehren- in ihrem Selbstbewusstsein stärkte. Sie machten amtlichen der Jugendarbeit geben wichtige Einbli- die Erfahrung, dass sie einen Unterschied machen cke in Ansätze der Etablierung des Themenfeldes können, beispielsweise indem sie andere Grup- sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und queerer penmitglieder für Themen sexueller Orientierung Strukturen in Jugendverbänden. So verfügten ver- und geschlechtlicher Identifizierung sensibilisieren schiedene Jugendverbände bzw. Institutionen, die und darüber informieren. Dies war für manche der mit Jugendlichen arbeiten, über Arbeitsgruppen Grund, selbst als Gruppenleitung aktiv zu werden. oder Arbeitsbereiche, deren Ziel es sei, dass das Aber auch direkte Offenheit und Unterstützung Thema in allen Facetten der Verbandsarbeit be- der queeren Jugendlichen in ihrer Identifizierung rücksichtigt werde. Als wichtige Handlungsfelder wurden als sehr positiv wahrgenommen und be- wurden Aktivitäten in der Bildungsarbeit und der stärkten sie in ihrem individuellen Lebensentwurf. Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und Werbung Dies galt im Besonderen, wenn die Unterstützung diskutiert, wobei die haupt- und ehrenamtlich Akti- und Anerkennung „von oben“ kam, also von der ven hier eine Vielzahl erfolgreicher Aktivitäten und Gruppen- oder Verbandsleitung. Ansätze berichteten, die es zu stärken und auszu- bauen gelte. Besondere, queere Angebote der Jugendarbeit aus Perspektive der interviewten Jugendlichen Als Herausforderung erlebten die haupt- und ehrenamtlich Aktiven teilweise die durch überge- Bei queeren Angeboten werden gezielt lesbische, ordnete Verbände (beispielsweise Erwachsenen- schwule, bi- oder pansexuelle, trans*-, inter*ge- organisationen) vorgegebenen Strukturen, aber schlechtliche und nicht binär identifizierte Jugend- teilweise auch die Besetzung von Leitungspositi- liche angesprochen. Dabei gibt es verschiedene onen bzw. Gremien mit Personen, denen die Ex- Angebote, die sich nur an eine der genannten pertise in dem Thema gefehlt habe und/oder die Gruppen richten, ebenso wie Angebote, die of- sie als dem Thema gegenüber nicht zwangsläufig fen für all diese Gruppen sind. Die Angebotsfor- aufgeschlossen einschätzten. Schwierigkeiten wur- men, die von den interviewten Jugendlichen der den insbesondere darin gesehen, im Flächenland Jugendarbeit zugerechnet wurden, reichten von Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
10 DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Niedersachsen und unter Voraussetzung knapper inklusiven Organisation durch Bottom-Up oder personeller Ressourcen an Hauptamtlichen ein Top-Down Strategien zu erreichen sei. Bottom-Up vielfältiges Jugendangebot zu verwirklichen. In der Ansätze erlaubten es Jugendlichen, selbst Themen alltäglichen Arbeit wirkten die Gesetzgebung, aber zu setzen und engagierte Gruppenleitungen könn- auch formale Regelungen immer wieder limitie- ten wichtige Alltagserfahrungen in die Organisati- rend, wenn es etwa um die Zimmerverteilung gin- onsentwicklung einbringen. Es brauche aber auch ge (Schaffen von Gelegenheiten), Aspekte der Se- die Unterstützung des Verbandes, der „von oben“ xualaufklärung berührt würden oder auch einfach Offenheit und Involviertheit in das Thema queer Namenslisten eine Spezifizierung des Geschlechts zeige. forderten. Hiermit umzugehen führt der Erfahrung der haupt- ehrenamtlichen Aktiven nach häufig zu Weiterer Forschungsbedarf Überforderungen der Gruppenleitenden. Nicht zuletzt aber verfügten viele in der Jugendarbeit Die vorliegende Studie liefert basierend auf ei- pädagogisch Tätige über unzureichendes Fachwis- nem explorativen, qualitativen Forschungsdesign sen über und wenig Sensibilität im Umgang mit wichtige Erkenntnisse dazu, wie und unter wel- (Themen) sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. chen Voraussetzungen queere Jugendliche ihr Hiermit verbunden war die Thematisierung von Be- Engagement in Jugendgruppen als Ressource für ratung als weiteres wichtiges Handlungsfeld. Hier die Entwicklung eines positiven Selbstbildes und könnten Akteure aus der queeren Jugendarbeit ihres individuellen Lebensentwurfs nutzen könnten. unterstützend wirken, Beratungs- und Qualifizie- Um ein umfassenderes Bild über den Status quo, rungsbedarfe spielten aber in allen Bereichen der Ansätze und Herausforderungen einer mit Blick auf Jugendarbeit eine wichtige Rolle. Themen sexueller Orientierung und geschlechtli- cher Vielfalt sensiblen und inklusiven Jugendarbeit Erfahrungen der interviewten zu erhalten, wäre eine repräsentative Befragung von Jugendlichen (queeren wie cis-gender und Jugendlichen und haupt- und heterosexuellen) und haupt- und ehrenamtlichen Aktiven der Jugendarbeit ein wichtiger nächster ehrenamtlichen der Jugendarbeit – Schritt. Aspekte einer guten Praxis Die weitere Öffnung von Organisationen der Jugendverbandsarbeit für diversitätsbezogene Im Zusammenspiel der Interviews mit den Jugend- Themen und die damit zusammenhängenden He- lichen und Gruppendiskussionen wurden verschie- rausforderungen kann als Organisationsentwick- dene Good Practice Aspekte aus der Erfahrung lungsprozess unter der besonderen Voraussetzung deutlich: Das Engagement der Jugendlichen, die verstanden werden, dass die Organisation in Zu- sich sowohl in allgemeinen als auch in queeren An- sammenarbeit einer kleineren Zahl hauptamtlich geboten der Jugendarbeit engagieren, aber auch Beschäftigter mit einer sehr viel größeren Zahl die Gruppendiskussionen zeigten sehr deutlich, ehrenamtlich Aktiver besteht. Hieraus ergeben dass die Frage, ob allgemeine Angebote explizit sich spezifische Anforderungen an die Organisa- für queere Jugendliche inklusiv gestaltet oder ex- tionsentwicklung etwa mit Blick auf den Einsatz plizit queere Angebote gefördert werden sollten, personeller Ressourcen, aber auch mit Blick auf die eindeutig mit sowohl als auch beantwortet wurde. Frage, wie möglichst viele Organisationsmitglieder Denn sie bedienten unterschiedliche Interessen auf diesem Weg mitgenommen werden können. und Bedarfe. Sowohl Gruppenleitende als auch Gruppenteilnehmende nahmen die Bearbeitung Mit Timmermanns et al. sehen wir einen weiteren des Themas in allgemeinen Jugendverbänden Bedarf darin herauszufinden, ob Aktive in (Ju- positiv wahr, sahen aber auch die Notwendigkeit gend-) Verbänden und Vereinen sich tatsächlich queerer Jugendgruppen. durch eine allgemein höhere Toleranz oder sogar Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe, se- Weiter stimmten die interviewten Jugendlichen xueller Orientierungen und geschlechtlicher Iden- und die haupt- und ehrenamtlich Aktiven hin- tifizierungen im Vergleich zum gesellschaftlichen sichtlich der Antwort auf die Frage überein, ob Durchschnitt auszeichnen. die Öffnung für und Entwicklung ihres Verbandes bzw. ihrer Institution zu einer für queere Menschen Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE 11 Unsere Befunde zeigen ambivalente Einschätzun- • digitale Medien für die Sichtbarkeit von Ange- gen hinsichtlich der Vor- und Nachteile des Lebens boten der Jugendarbeit zu nutzen, um mehr als queerer junger Mensch in einer (Groß-)Stadt Jugendlichen Zugänge in die Jugendarbeit zu oder einer ländlichen Region. So weisen die von eröffnen uns interviewten Jugendlichen beispielsweise da- rauf hin, dass das Leben in einem Viertel in einer Daraus resultierende Forderungen haben als Ad- Großstadt auch mit Blick auf Anonymität durchaus ressat*innen die politischen und gesellschaftlichen dem Leben in einer Kleinstadt gleichen könne. Verantwortlichen und die öffentlichen und freien Hier wäre es wichtig, noch systematischer und dif- Träger der Kinder- und Jugendarbeit. ferenzierter Integrations-, aber auch Exklusionsmo- mente unterschiedlicher Wohnorte zu untersuchen. Begrifflichkeiten sexueller Wie auch in anderen Studien erfahren wir ausge- hend von unserem Sample nur sehr wenig über Orientierung und geschlechtlicher sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Iden- Identifizierung tifizierungen Jugendlicher und deren Zusammen- hänge mit ihrer sozialen Herkunft und Bildungs- An dieser Stelle werden wir kurz in der Studie ver- biographie, aber beispielsweise auch möglichen wendete Begriffe, die die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identifizierung bezeichnen, Behinderungserfahrungen oder ihrem religiösen erklären. Die hier erläuterten Begrifflichkeiten stel- Hintergrund. Hierzu sollten explizit intersektionale len nur einen kleinen Ausschnitt von Begriffen in Analysen durchgeführt werden. diesem Themenspektrum dar. Die Erklärungen der Begrifflichkeiten bilden sicherlich nicht alle mögli- Handlungsempfehlungen und Forderungen chen und verwendeten Definitionen ab. Sie dienen hier als Orientierung und erste Information.2 Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass LSBTIQ*-Jugendliche, wie alle anderen Jugendli- Queer ist ein Überbegriff für alle geschlechtlichen chen auch, Angebote benötigen, die sich an deren Identifizierungen und sexuellen Orientierungen, die Interessen und Bedürfnissen orientieren und in nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen von Zwei- denen sie von den ehrenamtlichen Jugendgrup- geschlechtlichkeit und Heterosexualität entsprechen penleitenden oder hauptamtlichen Begleitenden (wollen). Eine gängige Abkürzung hierfür ist LSBTQ* unterstützt werden. Dafür bedarf es sowohl spezi- (Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, trans*ge- fischer Angebote für queere Jugendliche als auch schlechtlich und queer) oder LSBTIQ* (Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, trans*geschlechtlich, einer erhöhten Sensibilität für die Bedürfnisse inter* und queer). Bei dieser Bezeichnung werden queerer Jugendlicher in den allgemeinen Angebo- allerdings bestimmte Identifizierung benannt. Ge- ten der Jugendarbeit. Um dies zu erreichen, emp- gen eine solche Identifizierung wehren sich wieder- fehlen wir: um andere und sprechen wahlweise von queer oder auch genderqueer. • rechtliche Unsicherheiten und formale Barrie- ren noch weiter abzubauen Begriffe zum Thema sexuelle Orientierung • Ressourcen für die Jugendverbände und de- Asexuelle Menschen fühlen keine oder wenig sexu- ren Kooperation untereinander zu LSBTQ-Ak- elle Anziehung zu anderen Menschen. tivitäten nachhaltig bereitzustellen, um sie bei der Sensibilisierung für das Thema zu unter- Bisexuelle Menschen begehren (sexuell) Frauen stützen und Männern. • die Aus-, Fort- und Weiterbildung zu LSB- Heterosexuelle Menschen begehren (sexuell) Men- TIQ*-Themen insbesondere für pädagogisch schen des jeweils anderen Geschlechts. Ihre sexuel- Tätige, Haupt- und ehrenamtlich Aktive in der le Orientierung passt zu den vorherrschenden ent- 2 Wem die kurzen Erklärungen nicht ausreichen oder wer Jugendarbeit systematisch auszubauen sich intensiver mit Bezeichnungen sexueller Orientierung • weitere zielgruppenspezifische Angebote für oder geschlechtlicher Identifizierung auseinandersetzen möchte, dem seien als Beispiele die beiden Internet- LSBTIQ*-Jugendliche u.a. auch in den klas- adressen http://www.andersundgleich-nrw.de/images/ sischen Jugendverbandsstrukturen zu entwi- Fibel_der_vielen_kleinen_Unterschiede.pdf und http:// ckeln queer-lexikon.net/doku.php?id=glossar genannt. Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
12 DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE sprechenden geschlechtstypisierenden Erwartungen Trans* in unserer Gesellschaft. Mit dieser Abkürzung werden Empfindungen als transsexuell, transgender, trans*geschlechtlich und Homosexuelle Menschen begehren (sexuell) Men- transident zusammengefasst, ohne diese näher zu schen des jeweils gleichen Geschlechts, sind also spezifizieren. Das Sternchen drückt die Bandbreite gleichgeschlechtlich orientiert. Homosexuell wird dieser Empfindungen aus. auch häufig als Sammelbegriff für lesbisch und Transsexuelle Menschen empfinden das ihnen bei schwul verwendet, ist aber als Begriff teilweise ne- ihrer Geburt zugewiesene biologische Geschlecht gativ konnotiert. Für viele wird er zudem nur männ- als falsch und sich selber als einem anderen Ge- lich, also mit schwulem Begehren, assoziiert und schlecht zugehörig. Transsexuell ist ein medizini- blendet lesbische Frauen aus. scher Begriff. Lesbisch bezeichnet ein gleichgeschlechtliches (se- Als Transgender-Menschen werden Personen be- xuelles) Begehren von Frauen. zeichnet, die ihre geschlechtliche Identifizierung jenseits des binären Geschlechtermodells leben und Pansexuelle Menschen begehren (sexuell) Men- damit in Frage stellen. Transgender oder Trans*Ge- schen unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer schlechtlichkeit ist ein sozialwissenschaftlicher und geschlechtlichen Identifizierung. Damit wird das politischer Begriff. zweigeschlechtliche Geschlechtermodell infrage Transident steht für eine geschlechtliche Identifizie- gestellt und schließt anders als Bisexualität andere rung und wird häufig synonym verwendet zu trans- Geschlechter und geschlechtlicher Identifizierungen sexuell. Den Begriff transident verwenden vor allem mit ein. transidente Personen, denen es wichtig ist, dass es um eine Identifikation mit dem anderen Geschlecht Schwul bezeichnet ein gleichgeschlechtliches (sexu- und nicht um ihre Sexualität geht. elles) Begehren von Männern. Die Abkürzungen FTM bzw. MTF beziehen sich auf eine Trans*Identifizierung. FTM steht für „female Begriffe zum Thema geschlechtliche to male“, also „weiblich zu männlich“, MTF steht Identifizierung für „male to female“, also „männlich zu weiblich“. Auch die Begriffe Trans*Frau/Trans*Mann stehen Menschen, die sich als agender bezeichnen, fühlen für Personen, die bei der Geburt dem männlichen/ sich keinem Geschlecht zugehörig oder verstehen weiblichen Geschlecht zugeordnet wurden, sich sich als geschlechtslos. aber selber als weiblich/männlich identifizieren. Mit cisgender oder cisgeschlechtlich bezeichnet Questioning wird verwendet, um auszudrücken, man Menschen, deren geschlechtliche Identifi- dass das eigene geschlechtliche Empfinden hinter- zierung ihnen bei der Geburt entweder als weib- fragt wird und unter Umständen nicht feststeht. lich oder männlich zugewiesen, übereinstimmt. Wir verwenden im Folgenden die Begriffe zur Bezeichnung für das Gegenteil von transgender/ Bezeichnung der sexuellen Orientierung und ge- transgeschlechtlich. schlechtlichen Identifizierung entsprechend der Mit dem Begriff genderqueer bezeichnen sich Selbstbezeichnungen, die die von uns befragten Menschen, die sich nicht mit dem zweigeschlecht- Jugendlichen gewählt haben. lichen Geschlechtermodell identifizieren, und sich Den Begriff queer verwenden wir als Sammelbegriff mal dem einen, mal dem anderen oder auch keinem für die Vielfalt aller nicht-heteronormativen ge- Geschlecht zugehörig fühlen. Der Begriff wird auch schlechtlichen Identifizierungen und sexuellen Ori- synonym gebraucht mit dem Begriff nicht-binär. entierungen. Er steht also für alle geschlechtlichen Bei intersexuellen Menschen handelt es sich um Identifizierungen und sexuelle Orientierungen, die Menschen, deren Körper sowohl als männlich nicht den vorherrschenden, d.h. hegemonialen ge- als auch als weiblich medizinisch definierte Ge- sellschaftlichen Vorstellungen von Zweigeschlecht- schlechtsmerkmale aufweist. lichkeit und Heterosexualität entsprechen (wollen) Non-binary oder nicht-binär sind Begriffe, die aus- drücken, dass sich Personen nicht (immer) eindeu- tig als männlich oder weiblich fühlen. Die Begriffe werden auch synonym gebraucht mit dem Begriff genderqueer. Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
Einleitung 13 Einleitung kohärenten individuellen Lebensentwurfs positiv „Ich würde sagen, in fast jeder Jugendgruppe gibt auf gesellschaftliche Deutungsangebote beziehen. es jemanden, der irgendwie queer ist, selbst, wenn Sie können sich an Normalitätsvorstellungen und er das vielleicht selber noch nicht so festgestellt hat. tradierten Sinnzusammenhängen im Kontext von Und einfach überhaupt damit zu rechnen, dass in Sexualität, Partnerschaft und Familie orientieren. Demgegenüber ist die Entwicklung eines kohä- deiner Jugendgruppe Menschen sind, die queer renten, auch ihrer sexuellen und geschlechtlichen sind, wäre, glaube ich, schon mal ein riesiger Schritt. Identifizierungen entsprechenden individuellen Und dann natürlich Offenheit dafür.“ Lebensentwurfs für queere Jugendliche an erheb- liche Herausforderungen geknüpft, weil sie mit ge- sellschaftlichen Erwartungsstrukturen konfrontiert sind, die sich an der Zweigeschlechter-Norm ori- Mit ihrem Zitat fasst eine der befragten Jugend- entieren und mit Normalitätsvorstellungen gegen- lichen gut zusammen, worum es uns in dieser geschlechtlicher Sexual- und Liebesbeziehungen Studie geht: Wir wollen das bestehende Angebot verbunden sind. Aufgrund ihrer Non-Konformität im Bereich der Jugendarbeit in Niedersachsen mit heteronormativen Gesellschaftsstrukturen und auf seine Offenheit für Menschen, die lesbisch, Praxen sind queere Jugendliche zudem häufiger schwul, bi- oder pansexuell, transident oder gen- von Diskriminierung betroffen (Küpper et al. 2017) derqueer sind, überprüfen. Gleichzeitig wollen wir und sie tragen ein höheres Risiko für psychische Er- erfahren, wie die Jugendlichen die Entwicklung krankungen, Suchterkrankungen sowie Suizidalität Ihres Selbstbilds und individuellen Lebensentwurfs als cisgeschlechtliche heterosexuelle Jugendliche beschreiben, welche Faktoren dabei eine förder- (Nordt und Kugler 2010). Angebote der Jugendar- liche oder hinderliche Rolle spielen und welchen beit hinsichtlich ihrer Offenheit zu überprüfen und Stellenwert dabei die Jugendarbeit einnimmt. Die ihr Unterstützungspotenzial für queere Jugendli- Dokumentation richtet sich damit insbesondere an che und ihre Lebensentwürfe zu identifizieren und die verschiedenen Akteur*innen der Jugendarbeit fördern ist daher für uns ein wichtiger Schritt, um wie etwa Jugendleiter*innen, pädagogische Fach- ungleichen Lebenschancen durch eine diversitäts- kräfte, Vereinsvorstände, oder Politiker*innen auf bewusste Praxis entgegenzuwirken (Gaupp 2015, lokaler und Landesebene. S. 13). Ziel dieser Studie und der Erarbeitung von Hand- Um auf dieses Ziel hin zu arbeiten, lauteten lungsempfehlungen für die genannten Akteur*in- unsere zentralen Fragestellungen: Wie laufen nen ist es, die Chancen queerer Jugendlicher auf Coming-out-Prozesse ab? Wo finden queere Ju- gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern. Teilhabe gendliche dabei Unterstützung? Wo stoßen sie auf wird „durch soziales Handeln von Personen unter Herausforderungen und Hindernisse? Und welche bestimmten Bedingungen realisiert. […] Teilhabe Ressourcen können queere-Jugendliche für die geht über Bedarfsdeckung und Konsum hinaus; sie Entwicklung ihrer sexuellen und geschlechtlichen wird im Rahmen selbstbestimmter Lebensführung Identifizierung und die Entwicklung eines für ihr individuell erreicht und an Lebenszielen bewertet“ Erleben passenden Lebensentwurfs in Angebo- (Bartelheimer und Kädtler 2012, S. 52). Es geht um ten der Jugendarbeit finden? An welchen Stel- ihre Chance, „ein Leben führen zu können, für das len produziert die allgemeine Jugendarbeit hier sie sich mit guten Gründen entscheiden konnten Ausschlüsse? Der Fokus der Studie liegt auf dem und das die Grundlagen der Selbstachtung auf Themenbereich „Jugendarbeit“. Wir haben zu keinen Fall in Frage stellt“ (Sen 2000, S. 60). He- diesem Zweck 19 queere Jugendliche interviewt terosexuelle Jugendliche, die sich mit dem ihnen und Expert*innen zu ihrer Tätigkeit im Bereich der bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht iden- Jugendarbeit befragt. Eine alleinige Betrachtung tifizieren, können sich in einer heteronormativen nur von Erfahrungen in der Jugendarbeit würde Gesellschaft bei der Entwicklung ihrer sexuellen der Komplexität der Entwicklung sexueller und und geschlechtlichen Identifizierung und eines geschlechtlicher Identifizierungen und individuel- Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
14 Einleitung ler Lebensentwürfe jedoch nicht gerecht werden. hat gedacht. In diesen Studien finden sich nur spo- Daher wurden die interviewten Jugendlichen auch radisch Daten zur Jugendarbeit. Die vorliegende ausführlich zu ihrem Coming-out-Verlauf und an- Dokumentation erweitert diese Befunde mit ihrem deren sie prägenden Ereignissen im Zusammen- Schwerpunkt auf Jugendarbeit. hang mit ihrer geschlechtlichen Identifizierung oder sexuellen Orientierung befragt. Denn die Ältere Studien dienten vor allem als Einstieg in Erfahrungen der Jugendlichen mit Angeboten der die Thematik (z.B. „Wir wollen’s wissen!“ des Ju- Jugendarbeit und ihre Bewertung dieser Angebo- gendnetzwerk Lambda NRW e.V. von 2005 und te können nicht losgelöst von ihrem biografischen „LSBT-Jugendliche – online gut beraten?“ von Kontext betrachtet werden. Unsere Erkenntnisse Friederike Sobiech et al. von 2009). Wir beziehen zu Coming-out-Verläufen und -Erzählungen bestä- uns zudem auf weitere Forschungen zum The- tigen verschiedene Erkenntnisse aktueller Studien menkomplex Identifizierung, Lebenssituation und mit einem größeren Schwerpunkt auf Coming-out LSBTQ* u.a. von Sabine Hark (2002), Martin Plöderl und gesellschaftlicher Teilhabe von queeren Ju- et al. (2009), Stephanie Nordt und Kugler (2010). gendlichen. Dies verdeutlicht, dass queere Ju- Dabei weisen wir den Forschungsstand in dieser gendliche in Deutschland nach wie vor spezifischen Dokumentation nicht als gesondertes Kapitel aus, Herausforderungen gegenüberstehen und dass sondern beziehen uns in der Diskussion unserer diese spezifischen Herausforderungen nicht nur empirischen Ergebnisse auf ihn. durch individuelle Umstände zu erklären, sondern auch auf strukturelle Prozesse und Dynamiken zu- rückzuführen sind. Aufbau der Dokumentation Die große Zahl an Rückmeldungen auf die Aus- Die Dokumentation ist in vier Kapitel gegliedert. schreibung für Interviewpartner*innen sowie Das zweite Kapitel beschreibt den Forschungsan- die Ausführlichkeit der Geschichten, die in den satz, den Aufbau der Studie und die Stichprobe Gesprächen erzählt wurden, zeigt, wie groß das der Interviewpartner*innen. Interesse aber auch das Bedürfnis von queeren Ju- Den Kern der Studie bilden die Kapitel drei und gendlichen ist, teilzunehmen, sich zu präsentieren vier. In ihnen werden jeweils strukturiert nach aus und für „ihre Sache“ einzustehen. dem empirischen Material herausgearbeiteten inhaltlichen Kernaspekten in einem ersten Schritt Forschungsstand die Erzählungen der Jugendlichen unter ande- rem anhand von Zitaten ausführlich beschreibend Die Kenntnisse über die Situation von queeren Ju- dargestellt. Die Jugendlichen sollen viel zu Wort gendlichen in Deutschland stützen sich vor allem kommen, um ein genaues Bild der biographischen auf drei Studien der letzten Jahre. So flossen die Erzählungen zu zeichnen und Außenstehenden Ergebnisse der Studie „Vielfalt von Geschlecht nachvollziehbare Einblicke zu liefern. Anschließend und sexueller Orientierung in der Jugendarbeit in werden in einem zweiten Schritt die empirischen Baden-Württemberg“ (2016) von Bettina Stauden- Ergebnisse kurz zusammengefasst und vor dem meyer, Gerrit Kaschuba, Monika Barz und Maria Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes dis- Bitzan (im Auftrag des Ministeriums für Soziales kutiert. und Integration) ein. Eine weitere wichtige Studie ist „Coming-out – und dann…?!“ von Claudia Krell Kapitel drei stellt wichtige Aspekte der Entwick- und Kerstin Oldemeier, die 2015 vom Deutschen lung der sexuellen und geschlechtlichen Identifi- Jugendinstitut e.V. herausgegeben wurde und zierung queerer Menschen im Jugendalter vor. Das umfangreiche Erkenntnisse zur Lebenssituation Kapitel selbst ist in die beiden teils parallel ablau- von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* fenden Prozesse des inneren Coming-out und des Jugendlichen und jungen Erwachsenen liefert. Going Public aufgeteilt. Es gibt einen umfassen- Die vorliegende Studie entstand im Anschluss an den Überblick über den Alltag und einschneidende diese und war als Ergänzung zu der Studie „Dass Momente im Leben der befragten Jugendlichen. sich etwas ändert und sich was ändern kann“, die der Hessische Jugendring gemeinsam mit den Kapitel vier konzentriert sich auf den Aspekt Ju- Forscher*innen Stefan Timmermanns, Peter Martin gendarbeit. Das Kapitel ist wiederum in zwei Thomas und Christine Uhlmann 2017 durchgeführt Abschnitte untergliedert. Der erste Abschnitt Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
Einleitung 15 konzentriert sich auf Erfahrungen der interviewten Jugendlichen – in allgemeinen Angeboten der Jugendarbeit und in solchen speziell für queere Jugendliche – und deren Wünsche an diese. Der zweite Abschnitt bezieht sich auf die Erfahrungen und Einschätzungen der ehren- und hauptamtlich Aktiven in der Jugendarbeit. Die Jugendlichen haben in den Interviews sehr genau beschrieben, was für sie im Bereich der Jugendarbeit wichtig ist, gut läuft oder sie davon abhält, teilzunehmen. Zusammen mit den Empfeh- lungen Haupt- und Ehrenamtlicher in der Jugend- arbeit hat der Landesjugendring Niedersachen e.V. daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet, die im letzten Kapitel zusammengefasst werden. Hier wird aufgezeigt was in der Jugendarbeit verändert wer- den sollte, um alle Jugendlichen und damit eben auch queere Jugendliche zu erreichen. Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
16 Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
Forschungsansatz und Methode 17 Forschungsansatz und Methode Forschungsansatz Wir haben uns für ein qualitativ exploratives For- schungsdesign entschieden, um auch vor dem Die Studie möchte die Lebenssituation von schwu- Hintergrund des begrenzten aktuellen Forschungs- len, lesbischen, bi- oder pansexuellen, transiden- standes zunächst die Komplexität der Lebenswelt ten und queeren Jugendlichen in Niedersachsen der Jugendlichen noch weiter zu erkunden. Die darstellen. Ein besonderer Fokus liegt dabei intensive Beschäftigung mit einer begrenzten Zahl sowohl auf der Teilnahme an Jugendarbeitsan- erzählter Lebensgeschichten birgt gegenüber geboten, die sich speziell an queere Jugendliche quantitativen, repräsentativen Untersuchungen, richten, als auch an allgemeinen Angeboten, die die eine deutlich höhere Zahl an „Fällen“ berück- keinen (explizit) geschlechtersensiblen Ansatz sichtigen, zunächst den Vorteil „nuancenreichere aufweisen bzw. (explizit) sexuelle Vielfalt themati- und komplexere Ergebnisse“ (Witzel 1985, S. 239) sieren. Die Erkenntnisse sollen dazu dienen, Hand- zu erhalten. Für die Auswertung wurden die Aussa- lungsempfehlungen für die Praxis aufzuzeigen, gen der Befragten nach und nach kategorisiert und vorhandene Wissensbestände zur Entwicklung des in bereits vorhandene Wissensbestände, d.h. hier Selbstbildes und individuellen Lebensentwurfs den Forschungsstand eingeordnet. Dabei wird der queerer Jugendlicher zu vertiefen sowie relevante Forschungsprozeß auf die Problemsicht der einzel- Forschungsfragen für weitere Studien auf diesem nen fokussiert: Dabei gilt es, „Daten sprechen zu Gebiet zu identifizieren. Leitende Forschungsfra- lassen,“ und „sie möglichst unvoreingenommen, gen sind dabei: beginnend bei vorläufigen Klassifikationen bis hin zu reichhaltigeren Konzepten zu analysieren“ • Wo finden Jugendliche Unterstützung in ihren (Witzel 1985, S. 228). Im Mittelpunkt der Forschung Coming-out-Prozessen? steht hier eine Personengruppe, die sonst eher wenig zu Wort kommt. Insbesondere in diesem • Welche Rolle spielen Elternhäuser bei der Un- Kontext ermöglicht diese Vorgehensweise eine terstützung von queeren Jugendlichen? Wissensbildung möglichst ohne unreflektierte Vor- • Welche besondere Rolle spielt der Wohnort annahmen im Sinne einer sozialwissenschaftlichen beim Aufwachsen von queeren Jugendlichen Diversitätsforschung. (Stadt/ländlicher Raum)? • Welche Auswirkungen hat die Haltung von Methodische Schritte Jugendgruppenleiter*innen auf den Co- Grafik 1 zeigt die drei zentralen methodischen ming-out-Prozess von queeren Jugendlichen Schritte, auf denen diese Studie aufbaut. Sie wer- (positiver und negativer Art)? den im Folgenden genauer erläutert. • Welche Haltung in Jugendverbänden/Jugend- einrichtungen/in der Jugendarbeit ist förder- Interviews mit queeren Jugendlichen lich, damit queere Jugendliche sich in ihrer Zu Beginn wurde der Forschungsstand zum The- Jugendgruppe geborgen fühlen? ma Lebenswelten von queeren Menschen, queere • Wie kann die Entwicklung und Aufrechterhal- Menschen und Jugend sowie Coming-out von tung einer solchen Haltung in Jugendverbän- Jugendlichen gesichtet. Ausgehend von aktuellen den/Jugendeinrichtungen/in der Jugendarbeit Studien und Forschungsbefunden wurde ein Leit- in den jeweiligen Organisationen verankert faden für die zu führenden Interviews erarbeitet. werden? Die Rekrutierung von interessierten Jugendli- • Wie kann die gesellschaftliche Teilhabe von chen übernahm der Landesjugendring Nieder- queeren Jugendlichen organisiert werden? sachsen e.V. Aus den über 70 Rückmeldungen zur Ausschreibung wählten Landesjugendring und • An welchen Stellen sind geschützte, speziell Universität Göttingen gemeinsam 18 Jugendliche für queere Jugendliche geschaffene Räume in aus, mit denen zwischen Dezember 2017 und März der Jugendarbeit nötig? 2018 so genannte problemzentrierte Interviews Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
18 Forschungsansatz und Methode Jugendliche von 14-27 Jahren unterschiedliche Positionierungen der Befragten mit Blick auf ihr Selbstbild und ihren individuellen Lebensentwurf, ihre Selbständigkeit der eigenen Lebensführung und die aktuelle Bildungs- und Beschäftigungssi- tuation mit sich bringen. Zwei der interviewten Ju- gendlichen waren minderjährig. Tabelle 1 zeigt die genaue Altersverteilung im Sample. Alter 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Anz. TN. 1 - 1 3 2 4 2 2 1 2 Tabelle 1: Teilnehmende nach Alter (N=18) Die häufigste sexuelle Orientierung mit sechs Zuordnungen ist schwul. Jeweils drei Jugendliche geben an lesbisch, pansexuell oder heterosexuell zu sein. Zwei der Befragten verstehen sich als bise- xuell und eine (genderqueere) Person gibt an, sich zu Frauen hingezogen zu fühlen. Grafik 1: Methodische Schritte der Studie „Queere Jugendli- che und die Jugendarbeit in Niedersachsen“ Bezüglich der geschlechtlichen Identifizierung geben neun Jugendliche an, sich als cisgeschlecht- geführt wurden. Folgende Kriterien wurden vorab lich zu verstehen (davon vier als männlich/Mann für die Auswahl des Samples definiert: Jugendliche und fünf als weiblich/Frau) und sechs als transse- aus Städten in Niedersachsen und Jugendliche aus xuell/transgender/FTM (female-to-men). Eine Per- dem ländlichen Raum; Jugendliche mit und ohne son versteht sich als genderqueer. Zwei Befragte Migrationshintergrund; Jugendliche der unter- geben nicht-binär/questioning, aber tendenziell schiedlichen Schultypen, in der Ausbildung oder weiblich, an. Im Verlauf der Interviews kommt diese im Studium; Jugendliche unterschiedlicher religiö- Selbstzuschreibung aber nicht weiter vor, weswe- ser Zugehörigkeit und Atheist*innen; Jugendliche gen sie in anderen Analysen vernachlässigt wurde. mit und ohne körperliche Beeinträchtigung; Ju- gendliche aus Ein- und Mehrkindfamilien; geou- Nur drei der befragten Jugendlichen haben einen tete und ungeoutete Jugendliche. Alle Jugendli- sog. Migrationshintergrund, das heißt in den be- chen sollten selber Erfahrung in der Jugendarbeit treffenden Fällen, dass mindestens ein Elternteil gesammelt haben. Es handelt sich also um eine so in Deutschland geboren wurde. Die angestrebte genannte Positivauswahl. Diese Studie kann keine Diversität der Stichprobe wurde hier leider nicht Aussage zur Sicht von queeren Jugendlichen auf erreicht. Es ist davon auszugehen, dass Jugendli- die Jugendarbeit machen, die nicht selbst Erfah- che mit Migrationsgeschichte oder junge People rungen in der Jugendarbeit gesammelt haben. of Color miteinander verschränkte vielfältigere Herausforderungen zu meistern haben als ver- Die genannten Kriterien wurden ausgewählt, um gleichsweise „weiße“ Jugendliche ohne Migra- (1) unterschiedlichste Lebenszusammenhänge zu tionsgeschichte, weswegen ihre Perspektive für berücksichtigen und (2) Erfahrungshintergründe qualitative Forschungen und für die Ableitung von einzubeziehen, die in der existierenden Forschung Empfehlungen für die Jugendarbeit besonders bislang noch nicht systematisch untersucht werden wertvoll ist.3 konnten (dies gilt insbesondere für die Lebenssi- tuation von Jugendlichen im ländlichen Raum, mit Hinsichtlich Bildungsstand und Beschäftigungs- Migrationshintergrund und mit Behinderungserfah- rung). 3 Die Abfrage zielte darauf, mögliche Mehrfachzugehörig- keiten abzufragen und sich daraus ergebende zusätzliche Die Stichprobe setzt sich wie folgt zusammen: Herausforderungen bei der gesellschaftlichen Teilhabe aufdecken zu können. Die Studie von Castro Varela, María Die Stichprobe enthält unterschiedliche Alters- do Mar (2012) gibt fundierten Aufschluss über Mehrfachdis- gruppen, die bei der definierten Altersspanne für kriminierungen von LSBTQ*s of Color und/oder Migrations- geschichte. Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
Sie können auch lesen