Jugendarbeit im Que(e)rschnitt - "Und einfach überhaupt damit zu rechnen, dass in deiner Jugendgruppe Menschen sind, die queer sind" - neXTqueer

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Jugendarbeit im Que(e)rschnitt - "Und einfach überhaupt damit zu rechnen, dass in deiner Jugendgruppe Menschen sind, die queer sind" - neXTqueer
Jugendarbeit im
 Que(e)rschnitt
 Ergebnisse der multimethodischen Studie zu
  LSBTIQ*-Jugendlichen in der Jugendarbeit

 „Und einfach überhaupt
 damit zu rechnen, dass
 in deiner Jugendgruppe
   Menschen sind, die
       queer sind“
Jugendarbeit im Que(e)rschnitt - "Und einfach überhaupt damit zu rechnen, dass in deiner Jugendgruppe Menschen sind, die queer sind" - neXTqueer
2   DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Impressum
Herausgeber
Landesjugendring Niedersachsen e.V.
Georg-August-Universität Göttingen, Institut für
Diversitätsforschung

Autor*innen
Astrid Biele Mefebue
Katharina Jäntschi
Björn Bertram
Wencke Breyer
Andrea D. Bührmann

Lektorat, Layout, Druck
Lektorat: Jutta Grimm
Layout: Björn Bertram
Druck: print24

                                                   Förderung
Kontakt                                            Die Studie wird vom Niedersächsischen Ministe-
Landesjugendring Niedersachsen e.V.                rium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung
Zeißstr. 13 * 30519 Hannover                       im Rahmen der Kampagne „Für sexuelle und ge-
info@ljr.de * www.ljr.de                           schlechtliche Vielfalt* in Niedersachsen“ gefördert.
Tel.: 0511 51 94 51 0                              Die Koordination der Kampagne erfolgt durch das
                                                   Queere Netzwerk Niedersachsen (QNN).

                                                                          s b i s ch*
                                                                      l e        ul*
                                                                       s c h  w
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                                                                                int* er*
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                                                                                         Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
Jugendarbeit im Que(e)rschnitt - "Und einfach überhaupt damit zu rechnen, dass in deiner Jugendgruppe Menschen sind, die queer sind" - neXTqueer
INHALT   3

Inhaltsverzeichnis
Impressum                                                     2 Entwicklung der sexuellen und
                                                                geschlechtlichen Identifizierung bei queeren
Vorwort                                                       5 Jugendlichen                                23
Das Wichtigste in Kürze                                       7    Bewusstwerden und inneres Coming-out                       23
                                                                     Homo-, bi- und pansexuelle Jugendliche                   23
Zielsetzung                                                   7
                                                                     Transidente und genderqueere Jugendliche                 24
Methodik                                                      7      Queere Vorbilder, Identifikationsfiguren
                                                                     und Rollenmodelle                                        26
Empirische Ergebnisse                                         7
                                                                   Going Public – Motivationen, Reaktionen und
   Inneres Coming-out/Bewusstwerden                            7   Konsequenzen                                               27
   Äußeres Coming-out/Going Public                             8
                                                                     Überlegungen und Abwägungen im Vorfeld                   27
   Allgemeine Angebote der Jugendarbeit aus Perspektive
                                                                     Zwang zum Going Public                                   28
   der interviewten Jugendlichen                               8
                                                                     Elternhaus und familiärer Hintergrund                    30
   Besondere, queere Angebote der Jugendarbeit aus
   Perspektive der interviewten Jugendlichen                   9     Positive Erfahrungen – Unterstützung,
                                                                     Anerkennung und Community                                32
   Strukturen, Handlungsfelder und Herausforderungen der
   Jugendarbeit aus der Perspektive haupt- und ehrenamtlich          Negative Erfahrungen und Diskriminierungen               33
   Aktiver                                                     9     Lieber in der Stadt oder auf dem Land wohnen?            35

Erfahrungen der interviewten Jugendlichen und                      Diskussion Entwicklung der sexuellen und
haupt- und ehrenamtlichen der Jugendarbeit – Aspekte               geschlechtlichen Identifizierung bei queeren
einer guten Praxis                                            10   Jugendlichen                                               35
   Weiterer Forschungsbedarf                                  10
                                                                   Jugendarbeit                                               41
   Handlungsempfehlungen und Forderungen                      11
                                                                   Allgemeine Angebote                                        41
Begrifflichkeiten sexueller Orientierung und
geschlechtlicher Identifizierung                              11     Umgang der Jugendlichen in Jugendgruppen mit ihrer
                                                                     Queerness                                                41
   Begriffe zum Thema sexuelle Orientierung                   11
                                                                     Geschlechtergetrennte Strukturen, Räume &
   Begriffe zum Thema geschlechtliche
                                                                     Sportangebote                                            43
   Identifizierung                                            12
                                                                     Homophobie, Frauenfeindlichkeit und die Angst davor      44
Forschungsstand                                               14     Positive Erfahrungen – Toleranz, Offenheit und
                                                                     Unterstützung                                            45
Aufbau der Dokumentation                                      14
                                                                     Wünsche an Träger der Jugendarbeit                       46
Forschungsansatz und Methode                              17         Wünsche an andere gesellschaftliche
                                                                     Organisationen                                           47
Forschungsansatz                                              17
                                                                   Queere Angebote                                            47
Methodische Schritte                                          17     Geschützter Raum und Teil der Community                  47
   Interviews mit queeren Jugendlichen                        17     Gegenseitige Unterstützung und
   Gruppendiskussionen mit                                           Informationsaustausch                                    48
   Aktiven der Jugendarbeit                                   21     Wünsche an queere Jugendarbeit                           49
   Auswertung des Materials                                   21

Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
4    INHALT

Rolle der Jugendleiter*innen                               50

Einblicke von Haupt- und
Ehrenamtlichen der Jugendarbeit                            51
  Etablierung queerer Strukturen und
  weitere zentrale Handlungsfelder                         51
  Herausforderungen                                        52
  Was können Jugendverbände tun?                           53
Diskussion Jugendarbeit                                    54

Handlungsempfehlungen
für die Praxis der Jugendarbeit                            61
Konkrete Forderungen                                       67
Forderungen gegenüber Politik und Gesellschaft             67

Forderungen an die öffentlichen und freien Träger
der Kinder- und Jugendarbeit                               67

Anhang                                                     69
Leitfaden für die problemzentrierten Interviews | Queere
Jugendstudie                                               69

Verwendete Literatur                                       73

                                                                Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
Vorwort   5

Vorwort
des Landesjugendrings Niedersachen e.V.
Gemeinsam mit dem Institut für Diversitätsfor-                     dersachsen im Rahmen der Kampagne „Für sexu-
schung der Universität Göttingen freuen wir uns                    elle und geschlechtliche Vielfalt in Niedersachsen“.
mit dieser Dokumentation „Jugendarbeit im                          Viele positive Rückmeldungen erreichten uns auch
Que(e)rschnitt” die Ergebnisse der Studie „Quee-                   im Kontakt mit an der Teilnahme der Studie inter-
re Jugendliche und die Jugendarbeit in Nieder-                     essierten Jugendlichen und haupt- und ehrenamt-
sachsen“ vorlegen zu können. Inspiriert durch die                  lichen Aktiven der Jugendarbeit.
Jugendstudie des Hessischen Jugendrings, den
Ergebnissen der DJI-Studie „Coming-out – und                       Die Ergebnisse der Studie verstehen wir als Her-
dann....?!“ und die Arbeit der AG Gender und                       ausforderung auch weiterhin genau hinzuschauen,
sexuelle Vielfalt im Landesjugendring, haben wir                   hinzuhören und nach den Bedarfen und Interessen
uns im Herbst 2016 entschlossen, auch in Nieder-                   der Jugendlichen zu handeln. Dieses bedeutet
sachsen die Lebenswelt von lesbischen, schwulen,                   Bestehendes weiterzuentwickeln, anzupassen und
bisexuellen, pansexuellen, inter*geschlechtlichen1,                neues zu entwickeln, damit sich Jugendliche und
transidenten und genderqueeren Jugendlichen                        junge Erwachsene egal welcher sexuellen Orientie-
wissenschaftlich in den Blick zu nehmen. Dabei                     rung oder geschlechtlichen Identifizierung von den
dienten uns diese Begriffe, die mögliche sexuelle                  Angeboten der Jugendarbeit, ob durch einen öf-
Orientierungen oder geschlechtliche Identifizierun-                fentlichen oder freien Träger, angesprochen fühlen
gen der Jugendlichen bezeichnen, als begriffliche                  und auch die Bedarfe und Themen von lesbischen,
Ausgangspunkte, die die Jugendlichen in dieser                     schwulen, bisexuellen, pansexuellen, inter*ge-
Dokumentation mit ihren Selbstbezeichnungen                        schlechtlichen, transidenten und genderqueeren
füllen.                                                            jungen Menschen Raum gegeben wird.

Uns war es wichtig, primär die Jugendlichen selber                 Zu dem Erfolg des Projektes haben viele beige-
als Expert*innen zu Wort kommen zu lassen, dabei                   tragen. Zuallererst möchten wir dafür denjenigen
ging es vor allem um ihre Erzählungen über das ei-                 Personen danken, die sich für ein Interview zur Ver-
gene Coming-out und welche Erfahrungen sie da-                     fügung gestellt haben: Euch vielen Dank für die of-
mit in der Jugendarbeit gemacht haben. An Hand                     fenen und ehrlichen Interviews und damit Einblicke
dieser Berichte sollten dann Hinweise darauf iden-                 in eure Lebenswelt – aber auch euch Haupt- und
tifiziert werden, welche Unterstützung LSTBQ*-Ju-                  Ehrenamtlichen, die ihr mit uns eure Erfahrungen
gendliche sich von Jugendarbeit wünschen und                       und eure Expertise geteilt habt. Wir danken auch
welche Bedarfe für Jugendarbeit gesehen werden.                    dem Hessischen Jugendring und den Machern der
Und um mehr über die Etablierung queer(sensibl)                    hessischen Jugendstudie, Peter Martin Thomas
er Ansätze in der Jugendarbeit zu erfahren, wollten                und Prof. Stefan Timmermanns, die dem Projekt
wir mit haupt- und ehrenamtlich Aktiven diskutie-                  gerade in der Anfangsphase mit Rat und Tat bei
ren.                                                               der Erstellung des Interviewleitfadens zur Seite
                                                                   standen. Die Unterstützung durch alle öffentlichen
Der Landesjugendring Niedersachsen e.V. freut                      und freien Träger der Jugendarbeit, vor allem
sich über den Erfolg dieses Projektes und die da-                  durch die Mitgliedsverbände des Landesjugen-
mit bereits heute erzielte Resonanz. Wir erhielten                 drings und durch die Angebote und Einrichtungen
positive Reaktionen, als wir unsere Projektidee                    der queeren Community, auch im Prozess der Ak-
Vertreter*innen aus Politik und queerer Community                  quise von Interview- und Diskussionsteilnehmer*in-
erzählt haben und bekamen in der Folge fachliche                   nen, hat diese Studie möglich werden lassen.
und finanzielle Unterstützung durch das Nieder-                    Auch bei ihnen möchten wir uns bedanken. Und
sächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit                    schließlich, wenn auch nicht zuletzt, gilt unser herz-
und Gleichstellung und das Queere Netzwerk Nie-                    licher Dank den Studierenden des Seminars „Was
                                                                   ist schon normal?“ im Studiengang sozialwissen-
1     In der Werbung um Teilnehmende für Interviews haben wir
     – leider ohne Erfolg – auch inter*geschlechtliche Jugendli-   schaftliche Diversitätsforschung an der Universität
     che angesprochen. Sie sind daher im Sample nicht vertre-      Göttingen, die für uns die Interviews mit queeren
     ten.

Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
6   Vorwort

Jugendlichen geführt und teilweise auch transkri-
biert haben, sowie dem Institut für Diversitätsfor-
schung an der Universität Göttingen in Person von
Andrea D. Bührmann, Astrid Biele Mefebue und
Katharina Jäntschi für die konstruktive, inspirieren-
de und sehr befruchtende Zusammenarbeit wäh-
rend dieser Studie.
Wir wünschen allen viel Spaß beim Lesen dieser
Dokumentation und konstruktive Diskussionen bei
der Umsetzung der Ergebnisse.

Ute Neumann               Jens Risse
Vorstandssprecherin       Vorstandssprecher

                                                        Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE   7

Das Wichtigste in Kürze
Zielsetzung                                            Methodik
Gesellschaftliche Erwartungsstrukturen, die sich an    In der Studie wurden 18 problemzentrierte Inter-
der Zweigeschlechter-Norm orientieren und mit          views mit lesbischen, schwulen, bi- oder panse-
Normalitätsvorstellungen heterosexueller Sexual-       xuellen, transidenten und queeren Jugendlichen
und Liebesbeziehungen verbunden sind, stellen          geführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Der
queere Jugendliche vor besondere Herausforde-          Schwerpunkt der Studie lag auf der Jugendarbeit
rungen bei der Entwicklung ihrer Selbstkonzepte        und ihren Ressourcen für diese Zielgruppe. Die
und individuellen Lebensentwürfe. Anders als he-       Spezifika, die sich für queere Jugendliche bei der
terosexuelle Jugendliche können sie sich in ihrer      Entwicklung ihres Selbstbildes und individuellen
Entwicklung weder auf kollektive Lebensentwürfe        Lebensentwurfs aufgrund ihrer Abweichung von
– im Sinne gesellschaftlicher Deutungsangebote         zweigeschlechtlich und heterosexuell normier-
„richtiger“ Lebensführung – beziehen, noch – in        ten Erwartungen der Umwelt ergeben, wurden
den meisten Fällen – auf Vorbilder in ihrem nähe-      analysiert, um die Teilnahme an Angeboten der
ren sozialen Umfeld. Zudem erleben sie als Ange-       Jugendarbeit biographisch einbetten zu können.
hörige einer oftmals stigmatisierten Minderheit        Alle Namen der interviewten Jugendlichen wurden
Diskriminierung und sind vermehrtem Stress, so         anonymisiert. Zudem wurden Gruppendiskussio-
genanntem Minoritätenstress (Meyer 1995), ausge-       nen mit Aktiven der Jugendarbeit geführt, die seit
setzt. Sie tragen ein erhöhtes Risiko für psychische   Längerem hauptamtlich oder ehrenamtlich in der
Erkrankungen (insbesondere Depressionen),              Jugendarbeit tätig und in Projekte oder Strukturen
Suchterkrankungen sowie ein höheres Suizidalitäts-     zu sexueller Vielfalt involviert sind. Im Zentrum der
risiko als heterosexuelle Jugendliche.                 ebenfalls inhaltsanalytisch ausgewerteten Grup-
                                                       pendiskussionen standen Fragen nach Ansätzen
An diesen Befunden setzt die Studie an und unter-      und Herausforderungen für die Arbeit mit queeren
sucht die Entwicklung der Selbstbilder und indivi-     Jugendlichen in ihren jeweiligen Institutionen. Die
duellen Lebensentwürfe lesbischer, schwuler, bi-       Durchführung der Interviews und Gruppendiskussi-
oder pansexueller, transidenter und genderqueerer      onen erfolgte zwischen Dezember 2017 und März
Jugendlicher (so können die Selbstbezeichnungen        2018.
der Jugendlichen zusammengefasst werden) mit
besonderem Fokus auf unterstützende Ressourcen
und Potenziale der Jugendarbeit in Niedersach-         Empirische Ergebnisse
sen. Unsere zentralen Fragen lauteten:
                                                       Inneres Coming-out/Bewusstwerden
Wie laufen Coming-out-Prozesse ab? Wo finden
queere Jugendliche dabei Unterstützung? Wo sto-        Die Auswertung der in dieser Studie durchge-
ßen sie auf Herausforderungen und Hindernisse?         führten Interviews zeigt, dass die Jugendlichen
Und welche Ressourcen können queere Jugend-            das Gefühl haben, in einer geschlechtlich binär
liche für die Entwicklung ihrer sexuellen und ge-      strukturierten, heteronormativen Gesellschaft auf-
schlechtlichen Identifizierung und die Entwicklung     zuwachsen. So berichteten sie, (nahezu ausschließ-
eines für ihr Erleben passenden Lebensentwurfs in      lich) heterosexuelle Beziehungsmodelle kennen
Angeboten der Jugendarbeit finden? An welchen          gelernt und eine strikte zweigeschlechtliche Un-
Stellen produziert die allgemeine Jugendarbeit         terscheidung in Mann und Frau erfahren zu haben.
hier Ausschlüsse?                                      Sie verinnerlichten dabei zweigeschlechtlich und
                                                       heterosexuell normierte Erwartungen der Umwelt
Ausgehend von den empirischen Ergebnissen sind         an die eigene Person. Zentraler Teil dieser Erwar-
Handlungsempfehlungen für die Politik aber vor         tungen ist es, – so erlebten es die interviewten
allem für die Akteur*innen der Jugendarbeit erar-      Jugendlichen – dass jeder Mensch sich sowohl mit
beitet worden, um die gesellschaftliche Teilhabe       männlicher oder weiblicher Geschlechtlichkeit als
von queeren Jugendlichen zu stärken.                   auch mit einer gegengeschlechtlichen sexuellen
                                                       Orientierung identifizieren sollte.

Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
8    DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Die homo-, bi- oder pansexuellen Jugendlichen          queeren Community aber vor allem ein unterstüt-
stellten meist in der frühen Pubertät homosexu-        zendes Elternhaus benannt. Insbesondere, aber
elles Begehren oder Verliebtsein bei sich fest und     nicht nur dezidiert, queere Jugendgruppen könn-
waren davon irritiert. Bei trans*geschlechtlichen      ten hier zusätzlich hilfreich sein.
Jugendlichen oder Jugendlichen mit nicht binärer
geschlechtlicher Identifizierung kam es häufig be-     Negative Erfahrungen wurden bei den interviewten
reits in der frühen Kindheit zu Verunsicherungen       Jugendlichen als besonders kritisch im Elternhaus
der Zweigeschlechter-Norm. Queeren Jugend-             erlebt, da hier eine emotionale, finanzielle und
lichen fehlen – so zeigen die Interviews – häufig      rechtliche Abhängigkeit bestehe. Mobbingerfah-
passende Begrifflichkeiten für ihr Empfinden. Es       rungen oder andere Diskriminierungen in Bezug
kommt zu (anhaltenden) Versuchen, diese Irritatio-     auf die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche
nen zu leugnen oder zu ignorieren. Zudem fehlten       Identifizierung führten oft zu psychischen Belas-
oftmals queere Vorbilder im sozialen Nahbereich.       tungen. Die interviewten Jugendlichen haben zwar
                                                       Strategien gefunden, damit umzugehen, allerdings
Die eigene nonkonforme sexuelle Orientierung           schränken sie diese nicht selten und teilweise er-
oder geschlechtliche Identifizierung zu akzeptie-      heblich in ihrer Handlungsfreiheit ein. Unter ande-
ren, stellt eine zentrale Herausforderung dar. Bei     rem deuteten sie erlebte Diskriminierungserfahrun-
den Interviewten dauerte sie zwischen mehreren         gen in weniger belastende Erfahrungen um, indem
Monaten oder gar Jahren an und dieser Prozess          sie diese bagatellisierten (‚das war eigentlich gar
führte oft zu psychischen Belastungen. Hilfreich für   nicht so gemeint‘), die Klasse wechselten, öffentli-
die eigene Akzeptanz, so berichteten die Jugendli-     che Räume mieden (z.B. die Innenstadt) oder mit
chen, sei eine Auseinandersetzung mit der Thema-       ihrer sozialen Umgebung brachen.
tik gewesen – z.B. durch Austausch mit Freund*in-
nen oder anderen queeren Personen, durch die           Zusammenfassend kann festgehalten werden:
Suche nach Informationen und Vorbildern, häufig        Der gesamte Prozess des inneren und äußeren
im Internet (v.a. YouTube-Kanälen von queeren Per-     Coming-outs wurde bei den interviewten Jugend-
sonen, aber auch Dokumentationen im Fernsehen)         lichen als sehr befreiend und stabilisierend für die
– oder ein akzeptierendes soziales Umfeld.             Entwicklung ihrer Selbstbilder und ihrer individu-
                                                       ellen Lebensentwürfe wahrgenommen. In vielen
Äußeres Coming-out/Going Public                        Fällen waren die Reaktionen ihrer Umwelt auch
                                                       positiver als erwartet.
Das Going Public war für die hier interviewten
Jugendlichen eine einschneidende Erfahrung. Im         Allgemeine Angebote der Jugendarbeit aus
Vorfeld bestand bei vielen eine große Angst vor        Perspektive der interviewten Jugendlichen
Ablehnung und negativen Reaktionen. So planten
sie meist sorgfältig, bei wem, wie (persönlich, per    In allgemeinen Angeboten der Jugendarbeit (in
Messenger oder Brief) und in welchen Lebensbe-         Abgrenzung zu Angeboten explizit für queere
reichen (Familie, Freundeskreis, Schule, Arbeit,       Jugendliche) gibt es Jugendliche, die sich in ihrer
Liebesbeziehung) sie sich outen. Die Motivation,       Gruppe outen und gute Erfahrungen damit ma-
sich zu outen, kann ein (zu) hoher Leidensdruck        chen. Viele der Interviewten outeten sich nur be-
bei anhaltender Verheimlichung sein, eine queere       dingt, d.h. nur einzelnen Personen gegenüber, nur
Beziehung oder schlicht der Wunsch, einen offe-        in bestimmten Gruppen oder auf Nachfrage. Und
nen Umgang mit der eigenen Identifizierung zu          einige outeten sich gar nicht. Dabei variierte die
pflegen. Zudem wurde immer wieder betont, dass         Motivation, ein Coming-out zu unterlassen: Einige
ein Going Public kein singuläres Ereignis sei, son-    der interviewten Jugendlichen hatten Angst, dass
dern ein Prozess: Bei Veränderungen des Umfelds        ihr Outing negative Reaktionen hervorrufen würde.
und neuen Bekanntschaften müsse nämlich immer          Andere gaben an, dass ihre sexuelle Orientierung
wieder die eigene Identifizierung erläutert werden.    oder geschlechtliche Identifizierung nichts mit ih-
Dies betreffe besonders auch die Partner*innensu-      ren Aktivitäten in der Jugendarbeit zu tun habe.
che.
                                                       Vor allem trans*geschlechtliche und sich nicht
Als mögliche unterstützende Faktoren wurden ein        binär identifizierende Jugendliche erlebten Frei-
offener (im besten Fall queerer) Freund*innen-         zeitangebote als problematisch, die zum Teil
kreis, empathische Lehrkräfte, der Zugang zu einer     geschlechtergetrennt durchgeführt wurden oder

                                                                                              Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE   9

in denen es Umkleidesituationen oder geschlech-         der klassischen Jugendgruppenstunde, über Auf-
tergetrennte Zimmeraufteilungen gab. Auch Wett-         klärungsprojekte an Schulen bis hin zu zielgrup-
kämpfe, nicht nur im Sportbereich, sind oft nach        penspezifischen Selbsthilfegruppen.
Männern und Frauen aufgeteilt und stellten somit
genderqueere oder trans* Menschen vor besonde-          Eine wichtige Eigenschaft, die die interviewten
re Herausforderungen.                                   Jugendlichen explizit queeren Jugendgruppen
                                                        zurechneten, ist der spezifische geschützte Raum,
Weitere Herausforderungen ergaben sich, wenn            den diese böten. Hier könnten sich Jugendliche
in Jugendgruppen sexistische, homo- und trans-          ausprobieren, ohne sich heteronormativen Erwar-
phobe Einstellungen zu Tage traten und zu ent-          tungshaltungen ausgesetzt zu fühlen. Vielfach ist
sprechenden Äußerungen und weiteren Diskrimi-           eine solche Gruppe auch Teil der queeren Com-
nierungspraxen führten. Für queere Jugendliche          munity, in die so Kontakte geknüpft werden kön-
entstanden hier negative Gefühle und auch oft           nen.
eine Angst, sich offen als schwul, lesbisch, bi- oder
pansexuell, trans*geschlechtlich oder nicht binär       Die gegenseitige anerkennende Unterstützung
identifiziert zu erklären. Vereinzelt führten diese     und der Informationsaustausch waren weitere
Situationen auch dazu, dass Jugendliche die Grup-       wichtige Ressourcen, die Teilnehmer*innen von
pe verließen.                                           queeren Jugendgruppen in Anspruch nahmen. Be-
                                                        sonders wichtig seien hier die Jugendgruppenlei-
Jugendgruppen bieten aber auch sehr viel Raum           ter*innen, die über besonders umfangreiches Wis-
für Entwicklung, Potenzial und Unterstützung.           sen über Belange queerer Menschen verfügten.
Dazu zählten die interviewten Jugendlichen eine
allgemein tolerantere, aufgeklärtere und akzeptie-      Strukturen, Handlungsfelder und Heraus-
rendere Grundeinstellung der Teilnehmenden im           forderungen der Jugendarbeit aus der
Vergleich zur restlichen Gesellschaft. Zudem erleb-
ten die Jugendlichen sich in der Gruppenarbeit als      Perspektive haupt- und ehrenamtlich Aktiver
selbstwirksam und erfuhren Bestätigung, die sie
                                                        Die Gruppendiskussionen mit Haupt- und Ehren-
in ihrem Selbstbewusstsein stärkte. Sie machten
                                                        amtlichen der Jugendarbeit geben wichtige Einbli-
die Erfahrung, dass sie einen Unterschied machen
                                                        cke in Ansätze der Etablierung des Themenfeldes
können, beispielsweise indem sie andere Grup-
                                                        sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und queerer
penmitglieder für Themen sexueller Orientierung
                                                        Strukturen in Jugendverbänden. So verfügten ver-
und geschlechtlicher Identifizierung sensibilisieren
                                                        schiedene Jugendverbände bzw. Institutionen, die
und darüber informieren. Dies war für manche der
                                                        mit Jugendlichen arbeiten, über Arbeitsgruppen
Grund, selbst als Gruppenleitung aktiv zu werden.
                                                        oder Arbeitsbereiche, deren Ziel es sei, dass das
Aber auch direkte Offenheit und Unterstützung
                                                        Thema in allen Facetten der Verbandsarbeit be-
der queeren Jugendlichen in ihrer Identifizierung
                                                        rücksichtigt werde. Als wichtige Handlungsfelder
wurden als sehr positiv wahrgenommen und be-
                                                        wurden Aktivitäten in der Bildungsarbeit und der
stärkten sie in ihrem individuellen Lebensentwurf.
                                                        Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und Werbung
Dies galt im Besonderen, wenn die Unterstützung
                                                        diskutiert, wobei die haupt- und ehrenamtlich Akti-
und Anerkennung „von oben“ kam, also von der
                                                        ven hier eine Vielzahl erfolgreicher Aktivitäten und
Gruppen- oder Verbandsleitung.
                                                        Ansätze berichteten, die es zu stärken und auszu-
                                                        bauen gelte.
Besondere, queere Angebote der Jugendarbeit
aus Perspektive der interviewten Jugendlichen           Als Herausforderung erlebten die haupt- und
                                                        ehrenamtlich Aktiven teilweise die durch überge-
Bei queeren Angeboten werden gezielt lesbische,         ordnete Verbände (beispielsweise Erwachsenen-
schwule, bi- oder pansexuelle, trans*-, inter*ge-       organisationen) vorgegebenen Strukturen, aber
schlechtliche und nicht binär identifizierte Jugend-    teilweise auch die Besetzung von Leitungspositi-
liche angesprochen. Dabei gibt es verschiedene          onen bzw. Gremien mit Personen, denen die Ex-
Angebote, die sich nur an eine der genannten            pertise in dem Thema gefehlt habe und/oder die
Gruppen richten, ebenso wie Angebote, die of-           sie als dem Thema gegenüber nicht zwangsläufig
fen für all diese Gruppen sind. Die Angebotsfor-        aufgeschlossen einschätzten. Schwierigkeiten wur-
men, die von den interviewten Jugendlichen der          den insbesondere darin gesehen, im Flächenland
Jugendarbeit zugerechnet wurden, reichten von

Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
10   DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Niedersachsen und unter Voraussetzung knapper         inklusiven Organisation durch Bottom-Up oder
personeller Ressourcen an Hauptamtlichen ein          Top-Down Strategien zu erreichen sei. Bottom-Up
vielfältiges Jugendangebot zu verwirklichen. In der   Ansätze erlaubten es Jugendlichen, selbst Themen
alltäglichen Arbeit wirkten die Gesetzgebung, aber    zu setzen und engagierte Gruppenleitungen könn-
auch formale Regelungen immer wieder limitie-         ten wichtige Alltagserfahrungen in die Organisati-
rend, wenn es etwa um die Zimmerverteilung gin-       onsentwicklung einbringen. Es brauche aber auch
ge (Schaffen von Gelegenheiten), Aspekte der Se-      die Unterstützung des Verbandes, der „von oben“
xualaufklärung berührt würden oder auch einfach       Offenheit und Involviertheit in das Thema queer
Namenslisten eine Spezifizierung des Geschlechts      zeige.
forderten. Hiermit umzugehen führt der Erfahrung
der haupt- ehrenamtlichen Aktiven nach häufig zu      Weiterer Forschungsbedarf
Überforderungen der Gruppenleitenden. Nicht
zuletzt aber verfügten viele in der Jugendarbeit      Die vorliegende Studie liefert basierend auf ei-
pädagogisch Tätige über unzureichendes Fachwis-       nem explorativen, qualitativen Forschungsdesign
sen über und wenig Sensibilität im Umgang mit         wichtige Erkenntnisse dazu, wie und unter wel-
(Themen) sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.     chen Voraussetzungen queere Jugendliche ihr
Hiermit verbunden war die Thematisierung von Be-      Engagement in Jugendgruppen als Ressource für
ratung als weiteres wichtiges Handlungsfeld. Hier     die Entwicklung eines positiven Selbstbildes und
könnten Akteure aus der queeren Jugendarbeit          ihres individuellen Lebensentwurfs nutzen könnten.
unterstützend wirken, Beratungs- und Qualifizie-      Um ein umfassenderes Bild über den Status quo,
rungsbedarfe spielten aber in allen Bereichen der     Ansätze und Herausforderungen einer mit Blick auf
Jugendarbeit eine wichtige Rolle.                     Themen sexueller Orientierung und geschlechtli-
                                                      cher Vielfalt sensiblen und inklusiven Jugendarbeit
Erfahrungen der interviewten                          zu erhalten, wäre eine repräsentative Befragung
                                                      von Jugendlichen (queeren wie cis-gender und
Jugendlichen und haupt- und                           heterosexuellen) und haupt- und ehrenamtlichen
                                                      Aktiven der Jugendarbeit ein wichtiger nächster
ehrenamtlichen der Jugendarbeit –                     Schritt.

Aspekte einer guten Praxis                            Die weitere Öffnung von Organisationen der
                                                      Jugendverbandsarbeit für diversitätsbezogene
Im Zusammenspiel der Interviews mit den Jugend-       Themen und die damit zusammenhängenden He-
lichen und Gruppendiskussionen wurden verschie-       rausforderungen kann als Organisationsentwick-
dene Good Practice Aspekte aus der Erfahrung          lungsprozess unter der besonderen Voraussetzung
deutlich: Das Engagement der Jugendlichen, die        verstanden werden, dass die Organisation in Zu-
sich sowohl in allgemeinen als auch in queeren An-    sammenarbeit einer kleineren Zahl hauptamtlich
geboten der Jugendarbeit engagieren, aber auch        Beschäftigter mit einer sehr viel größeren Zahl
die Gruppendiskussionen zeigten sehr deutlich,        ehrenamtlich Aktiver besteht. Hieraus ergeben
dass die Frage, ob allgemeine Angebote explizit       sich spezifische Anforderungen an die Organisa-
für queere Jugendliche inklusiv gestaltet oder ex-    tionsentwicklung etwa mit Blick auf den Einsatz
plizit queere Angebote gefördert werden sollten,      personeller Ressourcen, aber auch mit Blick auf die
eindeutig mit sowohl als auch beantwortet wurde.      Frage, wie möglichst viele Organisationsmitglieder
Denn sie bedienten unterschiedliche Interessen        auf diesem Weg mitgenommen werden können.
und Bedarfe. Sowohl Gruppenleitende als auch
Gruppenteilnehmende nahmen die Bearbeitung            Mit Timmermanns et al. sehen wir einen weiteren
des Themas in allgemeinen Jugendverbänden             Bedarf darin herauszufinden, ob Aktive in (Ju-
positiv wahr, sahen aber auch die Notwendigkeit       gend-) Verbänden und Vereinen sich tatsächlich
queerer Jugendgruppen.                                durch eine allgemein höhere Toleranz oder sogar
                                                      Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe, se-
Weiter stimmten die interviewten Jugendlichen         xueller Orientierungen und geschlechtlicher Iden-
und die haupt- und ehrenamtlich Aktiven hin-          tifizierungen im Vergleich zum gesellschaftlichen
sichtlich der Antwort auf die Frage überein, ob       Durchschnitt auszeichnen.
die Öffnung für und Entwicklung ihres Verbandes
bzw. ihrer Institution zu einer für queere Menschen

                                                                                           Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE   11

Unsere Befunde zeigen ambivalente Einschätzun-             •   digitale Medien für die Sichtbarkeit von Ange-
gen hinsichtlich der Vor- und Nachteile des Lebens             boten der Jugendarbeit zu nutzen, um mehr
als queerer junger Mensch in einer (Groß-)Stadt                Jugendlichen Zugänge in die Jugendarbeit zu
oder einer ländlichen Region. So weisen die von                eröffnen
uns interviewten Jugendlichen beispielsweise da-
rauf hin, dass das Leben in einem Viertel in einer         Daraus resultierende Forderungen haben als Ad-
Großstadt auch mit Blick auf Anonymität durchaus           ressat*innen die politischen und gesellschaftlichen
dem Leben in einer Kleinstadt gleichen könne.              Verantwortlichen und die öffentlichen und freien
Hier wäre es wichtig, noch systematischer und dif-         Träger der Kinder- und Jugendarbeit.
ferenzierter Integrations-, aber auch Exklusionsmo-
mente unterschiedlicher Wohnorte zu untersuchen.
                                                           Begrifflichkeiten sexueller
Wie auch in anderen Studien erfahren wir ausge-
hend von unserem Sample nur sehr wenig über
                                                           Orientierung und geschlechtlicher
sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Iden-          Identifizierung
tifizierungen Jugendlicher und deren Zusammen-
hänge mit ihrer sozialen Herkunft und Bildungs-            An dieser Stelle werden wir kurz in der Studie ver-
biographie, aber beispielsweise auch möglichen             wendete Begriffe, die die sexuelle Orientierung
                                                           oder die geschlechtliche Identifizierung bezeichnen,
Behinderungserfahrungen oder ihrem religiösen
                                                           erklären. Die hier erläuterten Begrifflichkeiten stel-
Hintergrund. Hierzu sollten explizit intersektionale
                                                           len nur einen kleinen Ausschnitt von Begriffen in
Analysen durchgeführt werden.                              diesem Themenspektrum dar. Die Erklärungen der
                                                           Begrifflichkeiten bilden sicherlich nicht alle mögli-
Handlungsempfehlungen und Forderungen                      chen und verwendeten Definitionen ab. Sie dienen
                                                           hier als Orientierung und erste Information.2
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass
LSBTIQ*-Jugendliche, wie alle anderen Jugendli-            Queer ist ein Überbegriff für alle geschlechtlichen
chen auch, Angebote benötigen, die sich an deren           Identifizierungen und sexuellen Orientierungen, die
Interessen und Bedürfnissen orientieren und in             nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen von Zwei-
denen sie von den ehrenamtlichen Jugendgrup-               geschlechtlichkeit und Heterosexualität entsprechen
penleitenden oder hauptamtlichen Begleitenden              (wollen). Eine gängige Abkürzung hierfür ist LSBTQ*
unterstützt werden. Dafür bedarf es sowohl spezi-          (Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, trans*ge-
fischer Angebote für queere Jugendliche als auch           schlechtlich und queer) oder LSBTIQ* (Abkürzung
                                                           für lesbisch, schwul, bisexuell, trans*geschlechtlich,
einer erhöhten Sensibilität für die Bedürfnisse
                                                           inter* und queer). Bei dieser Bezeichnung werden
queerer Jugendlicher in den allgemeinen Angebo-            allerdings bestimmte Identifizierung benannt. Ge-
ten der Jugendarbeit. Um dies zu erreichen, emp-           gen eine solche Identifizierung wehren sich wieder-
fehlen wir:                                                um andere und sprechen wahlweise von queer oder
                                                           auch genderqueer.
•       rechtliche Unsicherheiten und formale Barrie-
        ren noch weiter abzubauen
                                                           Begriffe zum Thema sexuelle Orientierung
•       Ressourcen für die Jugendverbände und de-
                                                           Asexuelle Menschen fühlen keine oder wenig sexu-
        ren Kooperation untereinander zu LSBTQ-Ak-
                                                           elle Anziehung zu anderen Menschen.
        tivitäten nachhaltig bereitzustellen, um sie bei
        der Sensibilisierung für das Thema zu unter-       Bisexuelle Menschen begehren (sexuell) Frauen
        stützen                                            und Männern.

•       die Aus-, Fort- und Weiterbildung zu LSB-          Heterosexuelle Menschen begehren (sexuell) Men-
        TIQ*-Themen insbesondere für pädagogisch           schen des jeweils anderen Geschlechts. Ihre sexuel-
        Tätige, Haupt- und ehrenamtlich Aktive in der      le Orientierung passt zu den vorherrschenden ent-
                                                           2 Wem die kurzen Erklärungen nicht ausreichen oder wer
        Jugendarbeit systematisch auszubauen
                                                             sich intensiver mit Bezeichnungen sexueller Orientierung
•       weitere zielgruppenspezifische Angebote für          oder geschlechtlicher Identifizierung auseinandersetzen
                                                             möchte, dem seien als Beispiele die beiden Internet-
        LSBTIQ*-Jugendliche u.a. auch in den klas-           adressen http://www.andersundgleich-nrw.de/images/
        sischen Jugendverbandsstrukturen zu entwi-           Fibel_der_vielen_kleinen_Unterschiede.pdf und http://
        ckeln                                                queer-lexikon.net/doku.php?id=glossar genannt.

Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
12   DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

sprechenden geschlechtstypisierenden Erwartungen       Trans*
in unserer Gesellschaft.                               Mit dieser Abkürzung werden Empfindungen als
                                                       transsexuell, transgender, trans*geschlechtlich und
Homosexuelle Menschen begehren (sexuell) Men-          transident zusammengefasst, ohne diese näher zu
schen des jeweils gleichen Geschlechts, sind also      spezifizieren. Das Sternchen drückt die Bandbreite
gleichgeschlechtlich orientiert. Homosexuell wird      dieser Empfindungen aus.
auch häufig als Sammelbegriff für lesbisch und         Transsexuelle Menschen empfinden das ihnen bei
schwul verwendet, ist aber als Begriff teilweise ne-   ihrer Geburt zugewiesene biologische Geschlecht
gativ konnotiert. Für viele wird er zudem nur männ-    als falsch und sich selber als einem anderen Ge-
lich, also mit schwulem Begehren, assoziiert und       schlecht zugehörig. Transsexuell ist ein medizini-
blendet lesbische Frauen aus.                          scher Begriff.
Lesbisch bezeichnet ein gleichgeschlechtliches (se-    Als Transgender-Menschen werden Personen be-
xuelles) Begehren von Frauen.                          zeichnet, die ihre geschlechtliche Identifizierung
                                                       jenseits des binären Geschlechtermodells leben und
Pansexuelle Menschen begehren (sexuell) Men-           damit in Frage stellen. Transgender oder Trans*Ge-
schen unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer       schlechtlichkeit ist ein sozialwissenschaftlicher und
geschlechtlichen Identifizierung. Damit wird das       politischer Begriff.
zweigeschlechtliche Geschlechtermodell infrage         Transident steht für eine geschlechtliche Identifizie-
gestellt und schließt anders als Bisexualität andere   rung und wird häufig synonym verwendet zu trans-
Geschlechter und geschlechtlicher Identifizierungen    sexuell. Den Begriff transident verwenden vor allem
mit ein.                                               transidente Personen, denen es wichtig ist, dass es
                                                       um eine Identifikation mit dem anderen Geschlecht
Schwul bezeichnet ein gleichgeschlechtliches (sexu-    und nicht um ihre Sexualität geht.
elles) Begehren von Männern.                           Die Abkürzungen FTM bzw. MTF beziehen sich auf
                                                       eine Trans*Identifizierung. FTM steht für „female
Begriffe zum Thema geschlechtliche                     to male“, also „weiblich zu männlich“, MTF steht
Identifizierung                                        für „male to female“, also „männlich zu weiblich“.
                                                       Auch die Begriffe Trans*Frau/Trans*Mann stehen
Menschen, die sich als agender bezeichnen, fühlen      für Personen, die bei der Geburt dem männlichen/
sich keinem Geschlecht zugehörig oder verstehen        weiblichen Geschlecht zugeordnet wurden, sich
sich als geschlechtslos.                               aber selber als weiblich/männlich identifizieren.

Mit cisgender oder cisgeschlechtlich bezeichnet        Questioning wird verwendet, um auszudrücken,
man Menschen, deren geschlechtliche Identifi-          dass das eigene geschlechtliche Empfinden hinter-
zierung ihnen bei der Geburt entweder als weib-        fragt wird und unter Umständen nicht feststeht.
lich oder männlich zugewiesen, übereinstimmt.
                                                       Wir verwenden im Folgenden die Begriffe zur
Bezeichnung für das Gegenteil von transgender/
                                                       Bezeichnung der sexuellen Orientierung und ge-
transgeschlechtlich.
                                                       schlechtlichen Identifizierung entsprechend der
Mit dem Begriff genderqueer bezeichnen sich            Selbstbezeichnungen, die die von uns befragten
Menschen, die sich nicht mit dem zweigeschlecht-       Jugendlichen gewählt haben.
lichen Geschlechtermodell identifizieren, und sich
                                                       Den Begriff queer verwenden wir als Sammelbegriff
mal dem einen, mal dem anderen oder auch keinem
                                                       für die Vielfalt aller nicht-heteronormativen ge-
Geschlecht zugehörig fühlen. Der Begriff wird auch
                                                       schlechtlichen Identifizierungen und sexuellen Ori-
synonym gebraucht mit dem Begriff nicht-binär.
                                                       entierungen. Er steht also für alle geschlechtlichen
Bei intersexuellen Menschen handelt es sich um         Identifizierungen und sexuelle Orientierungen, die
Menschen, deren Körper sowohl als männlich             nicht den vorherrschenden, d.h. hegemonialen ge-
als auch als weiblich medizinisch definierte Ge-       sellschaftlichen Vorstellungen von Zweigeschlecht-
schlechtsmerkmale aufweist.                            lichkeit und Heterosexualität entsprechen (wollen)

Non-binary oder nicht-binär sind Begriffe, die aus-
drücken, dass sich Personen nicht (immer) eindeu-
tig als männlich oder weiblich fühlen. Die Begriffe
werden auch synonym gebraucht mit dem Begriff
genderqueer.

                                                                                              Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
Einleitung   13

Einleitung
                                                                 kohärenten individuellen Lebensentwurfs positiv
      „Ich würde sagen, in fast jeder Jugendgruppe gibt          auf gesellschaftliche Deutungsangebote beziehen.
      es jemanden, der irgendwie queer ist, selbst, wenn         Sie können sich an Normalitätsvorstellungen und
      er das vielleicht selber noch nicht so festgestellt hat.   tradierten Sinnzusammenhängen im Kontext von
      Und einfach überhaupt damit zu rechnen, dass in            Sexualität, Partnerschaft und Familie orientieren.
                                                                 Demgegenüber ist die Entwicklung eines kohä-
      deiner Jugendgruppe Menschen sind, die queer
                                                                 renten, auch ihrer sexuellen und geschlechtlichen
      sind, wäre, glaube ich, schon mal ein riesiger Schritt.    Identifizierungen entsprechenden individuellen
      Und dann natürlich Offenheit dafür.“                       Lebensentwurfs für queere Jugendliche an erheb-
                                                                 liche Herausforderungen geknüpft, weil sie mit ge-
                                                                 sellschaftlichen Erwartungsstrukturen konfrontiert
                                                                 sind, die sich an der Zweigeschlechter-Norm ori-
Mit ihrem Zitat fasst eine der befragten Jugend-                 entieren und mit Normalitätsvorstellungen gegen-
lichen gut zusammen, worum es uns in dieser                      geschlechtlicher Sexual- und Liebesbeziehungen
Studie geht: Wir wollen das bestehende Angebot                   verbunden sind. Aufgrund ihrer Non-Konformität
im Bereich der Jugendarbeit in Niedersachsen                     mit heteronormativen Gesellschaftsstrukturen und
auf seine Offenheit für Menschen, die lesbisch,                  Praxen sind queere Jugendliche zudem häufiger
schwul, bi- oder pansexuell, transident oder gen-                von Diskriminierung betroffen (Küpper et al. 2017)
derqueer sind, überprüfen. Gleichzeitig wollen wir               und sie tragen ein höheres Risiko für psychische Er-
erfahren, wie die Jugendlichen die Entwicklung                   krankungen, Suchterkrankungen sowie Suizidalität
Ihres Selbstbilds und individuellen Lebensentwurfs               als cisgeschlechtliche heterosexuelle Jugendliche
beschreiben, welche Faktoren dabei eine förder-                  (Nordt und Kugler 2010). Angebote der Jugendar-
liche oder hinderliche Rolle spielen und welchen                 beit hinsichtlich ihrer Offenheit zu überprüfen und
Stellenwert dabei die Jugendarbeit einnimmt. Die                 ihr Unterstützungspotenzial für queere Jugendli-
Dokumentation richtet sich damit insbesondere an                 che und ihre Lebensentwürfe zu identifizieren und
die verschiedenen Akteur*innen der Jugendarbeit                  fördern ist daher für uns ein wichtiger Schritt, um
wie etwa Jugendleiter*innen, pädagogische Fach-                  ungleichen Lebenschancen durch eine diversitäts-
kräfte, Vereinsvorstände, oder Politiker*innen auf               bewusste Praxis entgegenzuwirken (Gaupp 2015,
lokaler und Landesebene.                                         S. 13).
Ziel dieser Studie und der Erarbeitung von Hand-                 Um auf dieses Ziel hin zu arbeiten, lauteten
lungsempfehlungen für die genannten Akteur*in-                   unsere zentralen Fragestellungen: Wie laufen
nen ist es, die Chancen queerer Jugendlicher auf                 Coming-out-Prozesse ab? Wo finden queere Ju-
gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern. Teilhabe               gendliche dabei Unterstützung? Wo stoßen sie auf
wird „durch soziales Handeln von Personen unter                  Herausforderungen und Hindernisse? Und welche
bestimmten Bedingungen realisiert. […] Teilhabe                  Ressourcen können queere-Jugendliche für die
geht über Bedarfsdeckung und Konsum hinaus; sie                  Entwicklung ihrer sexuellen und geschlechtlichen
wird im Rahmen selbstbestimmter Lebensführung                    Identifizierung und die Entwicklung eines für ihr
individuell erreicht und an Lebenszielen bewertet“               Erleben passenden Lebensentwurfs in Angebo-
(Bartelheimer und Kädtler 2012, S. 52). Es geht um               ten der Jugendarbeit finden? An welchen Stel-
ihre Chance, „ein Leben führen zu können, für das                len produziert die allgemeine Jugendarbeit hier
sie sich mit guten Gründen entscheiden konnten                   Ausschlüsse? Der Fokus der Studie liegt auf dem
und das die Grundlagen der Selbstachtung auf                     Themenbereich „Jugendarbeit“. Wir haben zu
keinen Fall in Frage stellt“ (Sen 2000, S. 60). He-              diesem Zweck 19 queere Jugendliche interviewt
terosexuelle Jugendliche, die sich mit dem ihnen                 und Expert*innen zu ihrer Tätigkeit im Bereich der
bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht iden-                     Jugendarbeit befragt. Eine alleinige Betrachtung
tifizieren, können sich in einer heteronormativen                nur von Erfahrungen in der Jugendarbeit würde
Gesellschaft bei der Entwicklung ihrer sexuellen                 der Komplexität der Entwicklung sexueller und
und geschlechtlichen Identifizierung und eines                   geschlechtlicher Identifizierungen und individuel-

Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
14   Einleitung

ler Lebensentwürfe jedoch nicht gerecht werden.      hat gedacht. In diesen Studien finden sich nur spo-
Daher wurden die interviewten Jugendlichen auch      radisch Daten zur Jugendarbeit. Die vorliegende
ausführlich zu ihrem Coming-out-Verlauf und an-      Dokumentation erweitert diese Befunde mit ihrem
deren sie prägenden Ereignissen im Zusammen-         Schwerpunkt auf Jugendarbeit.
hang mit ihrer geschlechtlichen Identifizierung
oder sexuellen Orientierung befragt. Denn die        Ältere Studien dienten vor allem als Einstieg in
Erfahrungen der Jugendlichen mit Angeboten der       die Thematik (z.B. „Wir wollen’s wissen!“ des Ju-
Jugendarbeit und ihre Bewertung dieser Angebo-       gendnetzwerk Lambda NRW e.V. von 2005 und
te können nicht losgelöst von ihrem biografischen    „LSBT-Jugendliche – online gut beraten?“ von
Kontext betrachtet werden. Unsere Erkenntnisse       Friederike Sobiech et al. von 2009). Wir beziehen
zu Coming-out-Verläufen und -Erzählungen bestä-      uns zudem auf weitere Forschungen zum The-
tigen verschiedene Erkenntnisse aktueller Studien    menkomplex Identifizierung, Lebenssituation und
mit einem größeren Schwerpunkt auf Coming-out        LSBTQ* u.a. von Sabine Hark (2002), Martin Plöderl
und gesellschaftlicher Teilhabe von queeren Ju-      et al. (2009), Stephanie Nordt und Kugler (2010).
gendlichen. Dies verdeutlicht, dass queere Ju-       Dabei weisen wir den Forschungsstand in dieser
gendliche in Deutschland nach wie vor spezifischen   Dokumentation nicht als gesondertes Kapitel aus,
Herausforderungen gegenüberstehen und dass           sondern beziehen uns in der Diskussion unserer
diese spezifischen Herausforderungen nicht nur       empirischen Ergebnisse auf ihn.
durch individuelle Umstände zu erklären, sondern
auch auf strukturelle Prozesse und Dynamiken zu-
rückzuführen sind.                                   Aufbau der Dokumentation
Die große Zahl an Rückmeldungen auf die Aus-         Die Dokumentation ist in vier Kapitel gegliedert.
schreibung für Interviewpartner*innen sowie          Das zweite Kapitel beschreibt den Forschungsan-
die Ausführlichkeit der Geschichten, die in den      satz, den Aufbau der Studie und die Stichprobe
Gesprächen erzählt wurden, zeigt, wie groß das       der Interviewpartner*innen.
Interesse aber auch das Bedürfnis von queeren Ju-    Den Kern der Studie bilden die Kapitel drei und
gendlichen ist, teilzunehmen, sich zu präsentieren   vier. In ihnen werden jeweils strukturiert nach aus
und für „ihre Sache“ einzustehen.                    dem empirischen Material herausgearbeiteten
                                                     inhaltlichen Kernaspekten in einem ersten Schritt
Forschungsstand                                      die Erzählungen der Jugendlichen unter ande-
                                                     rem anhand von Zitaten ausführlich beschreibend
Die Kenntnisse über die Situation von queeren Ju-    dargestellt. Die Jugendlichen sollen viel zu Wort
gendlichen in Deutschland stützen sich vor allem     kommen, um ein genaues Bild der biographischen
auf drei Studien der letzten Jahre. So flossen die   Erzählungen zu zeichnen und Außenstehenden
Ergebnisse der Studie „Vielfalt von Geschlecht       nachvollziehbare Einblicke zu liefern. Anschließend
und sexueller Orientierung in der Jugendarbeit in    werden in einem zweiten Schritt die empirischen
Baden-Württemberg“ (2016) von Bettina Stauden-       Ergebnisse kurz zusammengefasst und vor dem
meyer, Gerrit Kaschuba, Monika Barz und Maria        Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes dis-
Bitzan (im Auftrag des Ministeriums für Soziales     kutiert.
und Integration) ein. Eine weitere wichtige Studie
ist „Coming-out – und dann…?!“ von Claudia Krell     Kapitel drei stellt wichtige Aspekte der Entwick-
und Kerstin Oldemeier, die 2015 vom Deutschen        lung der sexuellen und geschlechtlichen Identifi-
Jugendinstitut e.V. herausgegeben wurde und          zierung queerer Menschen im Jugendalter vor. Das
umfangreiche Erkenntnisse zur Lebenssituation        Kapitel selbst ist in die beiden teils parallel ablau-
von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans*     fenden Prozesse des inneren Coming-out und des
Jugendlichen und jungen Erwachsenen liefert.         Going Public aufgeteilt. Es gibt einen umfassen-
Die vorliegende Studie entstand im Anschluss an      den Überblick über den Alltag und einschneidende
diese und war als Ergänzung zu der Studie „Dass      Momente im Leben der befragten Jugendlichen.
sich etwas ändert und sich was ändern kann“, die
der Hessische Jugendring gemeinsam mit den           Kapitel vier konzentriert sich auf den Aspekt Ju-
Forscher*innen Stefan Timmermanns, Peter Martin      gendarbeit. Das Kapitel ist wiederum in zwei
Thomas und Christine Uhlmann 2017 durchgeführt       Abschnitte untergliedert. Der erste Abschnitt

                                                                                            Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
Einleitung   15

konzentriert sich auf Erfahrungen der interviewten
Jugendlichen – in allgemeinen Angeboten der
Jugendarbeit und in solchen speziell für queere
Jugendliche – und deren Wünsche an diese. Der
zweite Abschnitt bezieht sich auf die Erfahrungen
und Einschätzungen der ehren- und hauptamtlich
Aktiven in der Jugendarbeit.
Die Jugendlichen haben in den Interviews sehr
genau beschrieben, was für sie im Bereich der
Jugendarbeit wichtig ist, gut läuft oder sie davon
abhält, teilzunehmen. Zusammen mit den Empfeh-
lungen Haupt- und Ehrenamtlicher in der Jugend-
arbeit hat der Landesjugendring Niedersachen e.V.
daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet, die im
letzten Kapitel zusammengefasst werden. Hier wird
aufgezeigt was in der Jugendarbeit verändert wer-
den sollte, um alle Jugendlichen und damit eben
auch queere Jugendliche zu erreichen.

Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
16

     Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
Forschungsansatz und Methode   17

Forschungsansatz und Methode
Forschungsansatz                                        Wir haben uns für ein qualitativ exploratives For-
                                                        schungsdesign entschieden, um auch vor dem
Die Studie möchte die Lebenssituation von schwu-        Hintergrund des begrenzten aktuellen Forschungs-
len, lesbischen, bi- oder pansexuellen, transiden-      standes zunächst die Komplexität der Lebenswelt
ten und queeren Jugendlichen in Niedersachsen           der Jugendlichen noch weiter zu erkunden. Die
darstellen. Ein besonderer Fokus liegt dabei            intensive Beschäftigung mit einer begrenzten Zahl
sowohl auf der Teilnahme an Jugendarbeitsan-            erzählter Lebensgeschichten birgt gegenüber
geboten, die sich speziell an queere Jugendliche        quantitativen, repräsentativen Untersuchungen,
richten, als auch an allgemeinen Angeboten, die         die eine deutlich höhere Zahl an „Fällen“ berück-
keinen (explizit) geschlechtersensiblen Ansatz          sichtigen, zunächst den Vorteil „nuancenreichere
aufweisen bzw. (explizit) sexuelle Vielfalt themati-    und komplexere Ergebnisse“ (Witzel 1985, S. 239)
sieren. Die Erkenntnisse sollen dazu dienen, Hand-      zu erhalten. Für die Auswertung wurden die Aussa-
lungsempfehlungen für die Praxis aufzuzeigen,           gen der Befragten nach und nach kategorisiert und
vorhandene Wissensbestände zur Entwicklung des          in bereits vorhandene Wissensbestände, d.h. hier
Selbstbildes und individuellen Lebensentwurfs           den Forschungsstand eingeordnet. Dabei wird der
queerer Jugendlicher zu vertiefen sowie relevante       Forschungsprozeß auf die Problemsicht der einzel-
Forschungsfragen für weitere Studien auf diesem         nen fokussiert: Dabei gilt es, „Daten sprechen zu
Gebiet zu identifizieren. Leitende Forschungsfra-       lassen,“ und „sie möglichst unvoreingenommen,
gen sind dabei:                                         beginnend bei vorläufigen Klassifikationen bis
                                                        hin zu reichhaltigeren Konzepten zu analysieren“
•       Wo finden Jugendliche Unterstützung in ihren    (Witzel 1985, S. 228). Im Mittelpunkt der Forschung
        Coming-out-Prozessen?                           steht hier eine Personengruppe, die sonst eher
                                                        wenig zu Wort kommt. Insbesondere in diesem
•       Welche Rolle spielen Elternhäuser bei der Un-
                                                        Kontext ermöglicht diese Vorgehensweise eine
        terstützung von queeren Jugendlichen?
                                                        Wissensbildung möglichst ohne unreflektierte Vor-
•       Welche besondere Rolle spielt der Wohnort       annahmen im Sinne einer sozialwissenschaftlichen
        beim Aufwachsen von queeren Jugendlichen        Diversitätsforschung.
        (Stadt/ländlicher Raum)?
•       Welche Auswirkungen hat die Haltung von         Methodische Schritte
        Jugendgruppenleiter*innen auf den Co-           Grafik 1 zeigt die drei zentralen methodischen
        ming-out-Prozess von queeren Jugendlichen       Schritte, auf denen diese Studie aufbaut. Sie wer-
        (positiver und negativer Art)?                  den im Folgenden genauer erläutert.
•       Welche Haltung in Jugendverbänden/Jugend-
        einrichtungen/in der Jugendarbeit ist förder-   Interviews mit queeren Jugendlichen
        lich, damit queere Jugendliche sich in ihrer    Zu Beginn wurde der Forschungsstand zum The-
        Jugendgruppe geborgen fühlen?                   ma Lebenswelten von queeren Menschen, queere
•       Wie kann die Entwicklung und Aufrechterhal-     Menschen und Jugend sowie Coming-out von
        tung einer solchen Haltung in Jugendverbän-     Jugendlichen gesichtet. Ausgehend von aktuellen
        den/Jugendeinrichtungen/in der Jugendarbeit     Studien und Forschungsbefunden wurde ein Leit-
        in den jeweiligen Organisationen verankert      faden für die zu führenden Interviews erarbeitet.
        werden?                                         Die Rekrutierung von interessierten Jugendli-
•       Wie kann die gesellschaftliche Teilhabe von     chen übernahm der Landesjugendring Nieder-
        queeren Jugendlichen organisiert werden?        sachsen e.V. Aus den über 70 Rückmeldungen zur
                                                        Ausschreibung wählten Landesjugendring und
•       An welchen Stellen sind geschützte, speziell    Universität Göttingen gemeinsam 18 Jugendliche
        für queere Jugendliche geschaffene Räume in     aus, mit denen zwischen Dezember 2017 und März
        der Jugendarbeit nötig?                         2018 so genannte problemzentrierte Interviews

Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
18    Forschungsansatz und Methode

                                                              Jugendliche von 14-27 Jahren unterschiedliche
                                                              Positionierungen der Befragten mit Blick auf ihr
                                                              Selbstbild und ihren individuellen Lebensentwurf,
                                                              ihre Selbständigkeit der eigenen Lebensführung
                                                              und die aktuelle Bildungs- und Beschäftigungssi-
                                                              tuation mit sich bringen. Zwei der interviewten Ju-
                                                              gendlichen waren minderjährig. Tabelle 1 zeigt die
                                                              genaue Altersverteilung im Sample.

                                                               Alter      15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
                                                               Anz. TN.    1    -    1   3    2    4      2        2        1       2
                                                              Tabelle 1: Teilnehmende nach Alter (N=18)

                                                              Die häufigste sexuelle Orientierung mit sechs
                                                              Zuordnungen ist schwul. Jeweils drei Jugendliche
                                                              geben an lesbisch, pansexuell oder heterosexuell
                                                              zu sein. Zwei der Befragten verstehen sich als bise-
                                                              xuell und eine (genderqueere) Person gibt an, sich
                                                              zu Frauen hingezogen zu fühlen.
Grafik 1: Methodische Schritte der Studie „Queere Jugendli-
che und die Jugendarbeit in Niedersachsen“                    Bezüglich der geschlechtlichen Identifizierung
                                                              geben neun Jugendliche an, sich als cisgeschlecht-
geführt wurden. Folgende Kriterien wurden vorab
                                                              lich zu verstehen (davon vier als männlich/Mann
für die Auswahl des Samples definiert: Jugendliche
                                                              und fünf als weiblich/Frau) und sechs als transse-
aus Städten in Niedersachsen und Jugendliche aus
                                                              xuell/transgender/FTM (female-to-men). Eine Per-
dem ländlichen Raum; Jugendliche mit und ohne
                                                              son versteht sich als genderqueer. Zwei Befragte
Migrationshintergrund; Jugendliche der unter-
                                                              geben nicht-binär/questioning, aber tendenziell
schiedlichen Schultypen, in der Ausbildung oder
                                                              weiblich, an. Im Verlauf der Interviews kommt diese
im Studium; Jugendliche unterschiedlicher religiö-
                                                              Selbstzuschreibung aber nicht weiter vor, weswe-
ser Zugehörigkeit und Atheist*innen; Jugendliche
                                                              gen sie in anderen Analysen vernachlässigt wurde.
mit und ohne körperliche Beeinträchtigung; Ju-
gendliche aus Ein- und Mehrkindfamilien; geou-                Nur drei der befragten Jugendlichen haben einen
tete und ungeoutete Jugendliche. Alle Jugendli-               sog. Migrationshintergrund, das heißt in den be-
chen sollten selber Erfahrung in der Jugendarbeit             treffenden Fällen, dass mindestens ein Elternteil
gesammelt haben. Es handelt sich also um eine so              in Deutschland geboren wurde. Die angestrebte
genannte Positivauswahl. Diese Studie kann keine              Diversität der Stichprobe wurde hier leider nicht
Aussage zur Sicht von queeren Jugendlichen auf                erreicht. Es ist davon auszugehen, dass Jugendli-
die Jugendarbeit machen, die nicht selbst Erfah-              che mit Migrationsgeschichte oder junge People
rungen in der Jugendarbeit gesammelt haben.                   of Color miteinander verschränkte vielfältigere
                                                              Herausforderungen zu meistern haben als ver-
Die genannten Kriterien wurden ausgewählt, um
                                                              gleichsweise „weiße“ Jugendliche ohne Migra-
(1) unterschiedlichste Lebenszusammenhänge zu
                                                              tionsgeschichte, weswegen ihre Perspektive für
berücksichtigen und (2) Erfahrungshintergründe
                                                              qualitative Forschungen und für die Ableitung von
einzubeziehen, die in der existierenden Forschung
                                                              Empfehlungen für die Jugendarbeit besonders
bislang noch nicht systematisch untersucht werden
                                                              wertvoll ist.3
konnten (dies gilt insbesondere für die Lebenssi-
tuation von Jugendlichen im ländlichen Raum, mit              Hinsichtlich Bildungsstand und Beschäftigungs-
Migrationshintergrund und mit Behinderungserfah-
rung).                                                        3 Die Abfrage zielte darauf, mögliche Mehrfachzugehörig-
                                                                keiten abzufragen und sich daraus ergebende zusätzliche
Die Stichprobe setzt sich wie folgt zusammen:                   Herausforderungen bei der gesellschaftlichen Teilhabe
                                                                aufdecken zu können. Die Studie von Castro Varela, María
Die Stichprobe enthält unterschiedliche Alters-                 do Mar (2012) gibt fundierten Aufschluss über Mehrfachdis-
gruppen, die bei der definierten Altersspanne für               kriminierungen von LSBTQ*s of Color und/oder Migrations-
                                                                geschichte.

                                                                                                              Jugendarbeit im Que(e)rschnitt
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