PARAPLEGIE - Schweizer ...
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SEPTEMBER 2020 | NR. 175 | GÖNNER-MAGA ZIN PARAPLEGIE SCHWERPUNK T Solidarität Ein Pfeiler unseres Zusammenlebens 6 PAR APLEGIKER-STIF TUNG Zusammen sind wir stark 18 BEGEGNUNG Peter Hofstetter hat nie aufgegeben 26 WIRBELSÄULENCHIRURGIE Spitzenmed izin für alle
Interaktiv und multimedial: Einblicke in die Welt von vier Querschnittgelähmten im Besucherzentrum ParaForum Kommen Sie vorbei! Mehr Informationen unter: www.paraforum.ch
M AG A ZIN DER GÖNNER-V EREINIG UNG DER SCH W EIZER PA R A PLEG IK ER-S T IF T UNG 18 26 Liebe Mitglieder Schwerpunkt In einer schwierigen Zeit, wie wir sie jetzt durch die Corona- 6 S T I F T U N G Verschiedene Mitglieder erzählen, Pandemie erleben, sind Offenheit und Solidarität wichtige weshalb Solidarität für sie eine Grundhaltung ist, die Faktoren, um die Herausforderungen gut zu bewältigen. einfach zum Leben gehört. Für das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) war es zu 12 S P E N D E N Wichtige Projekte auf dem Campus Beginn der Krise selbstverständlich, auf der Intensivpflege- Nottwil wären ohne zweckgebundene Spenden nicht station und im Bettentrakt einen Bereich für Personen frei- umsetzbar gewesen. zuhalten, die an Covid-19 erkrankt sind. Dadurch mussten 14 G E S E L L S C H A F T In der Schweiz besteht eine grosse bereits geplante Eingriffe warten und auch wirtschaftlich war Bereitschaft, sich für andere Menschen einzusetzen. es für uns eine Belastung. Schlimme Szenarien rückten dann 15 I N T E R V I E W Der Soziologe Ueli Mäder erklärt die näher, als in der Turnhalle eine medizinische Infrastruktur für Bedeutung von Solidarität für unser Zusammenleben. den Ausnahmefall aufgebaut wurde und wir unsere Teams 17 G A S T B E I T R A G SPZ-Gründer Guido A. Zäch über auf den Ernstfall vorbereiten mussten. Umso grösser war gelebte Solidarität. die Erleichterung, als diese zusätzlichen 220 Betten Ende Mai wieder abgebaut werden konnten. In den Fokus der Fachleute rückte nun die Beatmungs- Kompetenz medizin und die dreissigjährige Erfahrung, die Nottwil mit 18 B E G E G N U N G Peter Hofstetter war Landwirt aus künstlich beatmeten Patientinnen und Patienten hat. Die Leidenschaft. Und hat nie aufgegeben. Beatmung ist eines von drei medizinischen Kernthemen des SPZ; in diesem Bereich geht es um die schrittweise Entwöh- 24 PA R A - W G Die ersten Wohngemeinschaften für junge Menschen mit Querschnittlähmung sind bezogen. nung von den Geräten. Mit unserer Expertise unterstüt- zen wir andere Spitäler in schwierigen Fällen von Covid-19- 25 Q U E R S C H N I T T – R Ü C K E N – B E AT M U N G Erkrankungen und helfen den Betroffenen, die sich in einer Mit dem Neu- und Umbau fokussiert Nottwil auf drei medizinische Kernthemen. sehr kritischen Situation befinden. Seit der Gründung vor 45 Jahren ist die Solidarität mit 26 SPIT ZENMEDIZIN FÜR ALLE ( TEIL 1) betroffenen Menschen ein zentraler Wert der Schweizer Para- Das noch junge Fachgebiet der Wirbelsäulenchirurgie hat sich im letzten Jahrzehnt rasant weiterentwickelt. plegiker-Stiftung. Das Miteinander und das Mitdenken für andere ist aber noch mehr: Es ist eine Stütze unserer Gesell- 30 R A D I O L O G I E Mit modernen Geräten kann die schaft. Mit Ihrer Mitgliedschaft tragen Sie dieses Engagement Abteilung in eine neue Dimension vorstossen. mit. Dafür danken wir Ihnen herzlich. 32 D A F Ü R H AT E S M I C H H E U T E G E B R A U C H T Hildegard Oswald vermittelt Bücher und Wissen. 4 CAMPUS NOT T WIL 33 DANKE Dr. med. Hans Peter Gmünder Direktor des Schweizer Paraplegiker-Zentrums 34 AUSBLICK Paraplegie, September 2020 3
CAMPUS NOT T WIL «Einstein» zu Besuch in Nottwil © ayseyavas Wie leistungsfähig sind Menschen bei Hitze? Dieser Frage ging die Sendung «Einstein» des Schweizer Fernsehens nach. Modera- tor Tobias Müller machte sich in der Sportmedizin des Schweizer Paraplegiker-Zentrums kundig und absolvierte einen Hitze-Stress- test – samt Fahrrad in der Sauna. Das Publikum sah, wie stark der Körper bei hohen Temperaturen leidet. 61 % der Menschen mit einer Quer- Sendung «Hitze in der Stadt» www.srf.ch/einstein schnittlähmung gehen heute einer Erwerbstätigkeit nach. Dies ergeben Daten der Lang- zeitstudie SwiSCI der Schweizer Paraplegiker-Forschung. Der positive Trend auf dem Arbeits- markt umfasst alle Alters- gruppen. Einzige Ausnahme Lesung mit sind junge Erwachsene von Lukas Bärfuss 16 bis 24 Jahren. Er hat den Georg-Büchner- Preis 2019 gewonnen, aber Internationale Stiftung für Forschung in Paraplegie – IRP & Schweizer Paraplegiker-Stiftung – SPS präsentieren SOIRÉE DE L’ESPOIR Lukas Bärfuss kennt auch das F Ü R D I E P A R A P L E G I E F O R S C H U N G Dasein als Hilfsarbeiter ohne festen Wohnsitz. Mit ein paar hundert Franken in der Tasche machte er sich aus dem Staub. Freiheit bedeutete für ihn: Zeit zum Lesen. Über diesen Lebensabschnitt schreibt er: «Meine Lektüre machte mich FORSCHUNG STIMO Round Table: Prof. Jocelyne Bloch, CHUV & Prof. Grégoire Courtine, ETH Lausanne/Campus Biotech RUSSISCHE MUSIK Quatuor Tzigane Die Solisten der MENUHIN ACADEMY in meiner Welt zu etwas Besonderem. Sie verlieh mir Soirée de l’Espoir Reservation und Informationen: www.irp.ch Donnerstag, 5. Nov. 2020 Opéra de Lausanne eine Identität, eine Bildung, Zum zweiten Mal organisieren SDE2020_Ann_A4_de.indd 1 11.05.20 10:45 die mich von den anderen die Internationale Stiftung für unterschied und mir einen Paraplegiker-Forschung (IRP) Wert gab, einerlei, für welchen und die Schweizer Paraplegiker- Taugenichts und Tagedieb Stiftung (SPS) gemeinsam die Logopädie in der Rehabilitation man mich halten mochte. So Wohltätigkeitsveranstaltung Letztes Jahr benötigten rund 330 Patientinnen und Patienten habe ich Bildung seither ver- «Soirée de l’Espoir» in Lausanne. des Schweizer Paraplegiker-Zentrums eine logopädische standen, als eine Möglichkeit, Renommierte Wissenschaftler Therapie, 270 davon wegen Schluckstörungen. Geschwächte ein Mensch zu werden.» und Künstler sammeln Mittel Muskeln aufgrund einer hohen Querschnittlähmung beein- zur Erforschung der Querschnitt- flussen die Atmung, das Schlucken und das Sprechen. In Öffentliche Lesung lähmung. Unter dem Motto unserem Blogbeitrag erzählen zwei Patienten, 30. September, 19.30 Uhr «Touch of Russia» begleiten wie ihnen die Logopädie geholfen hat, wieder Aula des SPZ, freier Eintritt Quator Zigane und Solisten der reden, essen und trinken zu können. (Kollekte) Menuhin Academy durch den Abend. Direktlink zum Film: Auskunft T 041 939 57 78 Soirée de l’Espoir 29 5. November, Opéra de junge Frauen und Männer haben im Juli ihre Ausbildung in der Schweizer Para- Lausanne plegiker-Gruppe erfolgreich abgeschlossen – in acht Lehrberufen. 25 von ihnen können in der SPG weiterbeschäftigt werden. Wir gratulieren. Anmeldung www.irp.ch/soiree-de-lespoir www.paraplegie.ch/karriere 4 Paraplegie, September 2020
CAMPUS NOT T WIL 23 783 Likes erhielten die Social-Media-Beiträge der Schweizer Paraplegiker-Gruppe in der PRAXIS ersten Jahreshälfte 2020. Wir freuen uns über das schöne Feedback. Dr. med. André Ljutow www.facebook.com/paraplegie www.instagram.com/paraplegie Chefarzt Zentrum für Schmerzmedizin Arbeiten mit Schmerzen Die Hand ist unser wichtigstes Werkzeug; dies wird uns bewusst, wenn wir sie nicht mehr wunschgemäss einsetzen können. Vor drei Jahren hatte sich Melanie D. bei einem Arbeitsunfall schwer an der rechten Hand verletzt. Durch mehrere Operationen konnte die 27-Jährige zwar viele Funktionen zurück- gewinnen, doch es blieben unerträglich starke Schmerzen am Handrücken und in einigen Fingern. Jede kleinste Berührung brannte, ihren Job als Mechanikerin musste die junge Frau aufgeben. Fernunterricht bei Sirmed Melanie D. liess nichts unversucht, wurde Sirmed, das Schweizer Institut für Rettungsmedizin, stellte während des Corona- von Klinik zu Klinik weitergereicht, alles ohne Lockdowns auf Fernunterricht um. Um die Inhalte bestmöglich zu vermitteln, hat Erfolg. Auch am Zentrum für Schmerzmedi- Sirmed 38 Lernvideos zu praktischen Fertigkeiten produziert, darunter Bergungs- zin waren verschiedene Abklärungen nötig, und Immobilisationstechniken oder Massnahmen zur Atemwegssicherung und bis letztlich eine Neurostimulation neue Blutstillung. Zudem stehen «Schritt für Schritt»-Anleitungen bereit, die auch für Hoffnung weckte. Bei dieser Behandlungs- Prüfungen hilfreich sind. Die Sirmed-Videos sind öffentlich. methode werden Nerven durch elektrische Impulse verändert. Der pulsierende Strom www.paraplegie.ch/lernvideo-profis zufluss verändert die Funktion der Nerven www.paraplegie.ch/lernvideo-erste-hilfe und vermindert langfristig die Schmerzüber- mittlung ans Gehirn. In Kombination mit Physiotherapie schlug diese Therapie bei der Patientin so gut an, dass sich ihre Schmerzen Schulstart in der ParaSchool anhaltend reduzierten und sie alle Medika- mente absetzen konnte. Seit fünf Jahren ist die Patientenschule des Schweizer Paraplegiker-Zentrums vom Dank der Schmerztherapie in Nottwil hat Kanton Luzern anerkannt. Im August star- sich ihre Lebensqualität deutlich verbessert. tete in der ParaSchool das neue Schuljahr, Viele Handgriffe sind auf einmal wieder fast damit junge Patientinnen und Patienten schmerzfrei möglich. Die Fortschritte erlau- nach der Rehabilitation wieder in ihre ben es ihr, Teilzeit im Büro zu arbeiten und Klasse zurück können. Ein zweites Ange- die Belastung vorsichtig zu steigern. bot der ParaSchool ist das «Perspektiven- jahr». Darin entwickeln Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen neue Möglichkeiten für ihr Berufsleben. Schmerzskizze Besuchen Sie die Patientenschule: mit aus der Behand- unserem Video. lungspraxis. Direktlink zum Video www.paraplegie.ch/paraschool www.paraplegie.ch/schmerzmedizin Paraplegie, September 2020 5
SCHWERPUNKT Die Fotografin Cordula Burkart hat sich entschieden, der Schweizer Paraplegiker-Stiftung ein Legat zu vermachen. «Solidarität ist für mich eine Grundhaltung.» Cordula Burkart, Mitglied und Legatgeberin 6 Paraplegie, September 2020
SCHWERPUNKT «Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung ist eine gute Sache. Die müssen wir einfach unterstützen.» Anna-Greth und Otto Guazzini, Dauermitglieder Am Tag der Geburt ihres Enkels fuhren Anna-Greth und Otto Guazzini nach Nottwil und haben für ihn eine Dauermitgliedschaft in bar einbezahlt. Paraplegie, September 2020 7
SCHWERPUNKT Die Klauser Gysslers haben eine Familien- mitgliedschaft. Sie achten darauf, dass eine unterstützte Insti- tution seriös ist. «In Nottwil wird eine sehr wertvolle Arbeit geleistet.» Giulia, Jacqueline, Michael und Fiona Klauser Gyssler (v.l.), Familienmitglieder 8 Paraplegie, September 2020
SCHWERPUNKT Stiftung Zusammen sind wir stark Ohne die Solidarität der Bevölkerung wäre die ganzheitliche Rehabilitation nicht möglich, die alle Aspekte einer Querschnittlähmung bis hin zur Integration in die Gesellschaft umfasst. Verschiedene Mitglieder erzählen, weshalb Solidarität für sie eine Selbstverständlichkeit ist. Noch vor wenigen Jahrzehnten galt: Wer in der weniger Glück haben.» Letzten Oktober, am Tag Schweiz von einer Querschnittlähmung betroffen als ihr Enkel Gian Vero auf die Welt kam, fuhren war, fristete ein Leben am Rande der Gesellschaft. sie direkt von der Geburtsklinik nach Nottwil und Oft abgeschoben in Alters- und Pflegeheime – haben für den Neugeborenen eine Dauermit- junge Menschen bei vollem Verstand, aber ohne gliedschaft in bar einbezahlt. Die soziale Haltung Hoffnung. Damit sich ihre Situation verbessern wird so direkt in der Familie weitergegeben. konnte, waren sie auf die Solidarität einer Gemein- «Wir leben selber nicht im Überfluss», sagt schaft angewiesen, die sich ihrer Not annahm. Otto Guazzini. Aber mit dem, was wir haben, So wurde Solidarität von Beginn an ein zentraler möchten wir etwas bewirken.» Ferien können Wert der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. sie sich von ihrer AHV keine leisten. Doch sie Seit ihrer Gründung vor 45 Jahren hat die unterstützen verschiedene Stiftungen und spen- private Stiftung wesentlich dazu beigetragen, den jedes Jahr zusätzlich dreissig Franken für das dass die Betroffenen in die Gesellschaft inte- Magazin Paraplegie. «Man erklärte mir, das sei griert sind und ein möglichst selbstständiges nicht nötig», ergänzt seine Frau. «Aber ich mache Leben führen können. Dieser Erfolg wurde jedoch es gerne.» nur möglich durch eine breite Unterstützung aus der Bevölkerung. Integration dank Mehraufwand Dank dieser Solidarität von vielen Menschen Dauermitgliedschaft für den Enkel konnte in Nottwil ein Leistungsnetz entstehen, Anna-Greth und Otto Guazzini sind zwei der das von der Versorgung auf der Unfallstelle bis rund 1,8 Millionen Gönnerinnen und Gönner der zur lebenslangen Begleitung reicht. Dabei wird Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Solidarität ist für ein Drittel des Budgets von den Mitgliedern getra- sie eine Selbstverständlichkeit, sie gehört einfach gen. Ohne sie wäre das Konzept der ganzheit- zum Leben. Die beiden besuchen oft Menschen im Altersheim und sehen, was es heisst, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein. «Wir denken nicht «Für die Extrameile benötigen wir nur ans Eigenwohl», sagt das Rentnerpaar aus Halten SO. «Man muss auch anderen Gutes tun Menschen, die solidarisch denken.» und sich gegenseitig helfen.» Als Anna-Greth Joseph Hofstetter, SPS-Direktor Guazzini 1985 ihre erste Stelle im Gastgewerbe antrat, investierte sie ihren Lohn in lebenslange lichen Rehabilitation undenkbar. Es gäbe auch Dauermitgliedschaften für die Familie. keine chancengleiche Behandlung von Patientin- «Im Strassenverkehr ist schnell etwas pas- nen und Patienten aus der ganzen Schweiz. Und siert», sagt die Siebzigjährige. Aber nicht die wer im Pensionsalter eine Querschnittlähmung Gönnerunterstützung, die sie als Mitglied bei erleidet, dem stünde nur das Minimum zu. So einem Unfall erhalten würde, stand für sie im funktioniert unser Gesundheitssystem. Vordergrund, sondern die Identifikation mit einer Wenn es um mehr gehen soll als das körper- guten Sache: «Wenn wir das Geld nicht selber liche Überleben, muss ein Mehraufwand geleistet benötigen, so nützt unser Beitrag anderen, die werden, den die Kostenträger nicht übernehmen. Paraplegie, September 2020 9
SCHWERPUNKT «Extrameile» nennen es die Verantwortlichen in nen Menschen, und deshalb sind Akzeptanz und Nottwil. «Wir erwirtschaften so viel es geht sel- Miteinander Werte, die sie in der Erziehung ver- ber», erklärt Joseph Hofstetter, der Direktor der mittelt: «Ich will nicht, dass meine Kinder Men- Schweizer Paraplegiker-Stiftung. «Aber für die schen im Rollstuhl anstarren. Das Miteinander Extrameile benötigen wir Menschen, die solida- soll für sie normal sein.» risch denken.» Ohne sie müssten wichtige Teile Die solidarische Haltung, das Mitdenken für der Leistung abgespeckt werden. andere liegt nicht nur dieser Familie am Herzen. Dabei finanziere die Stiftung keinen Luxus, Diverse Studien bestätigen, dass das Dazugehö- betont Hofstetter, sondern nur nötige Massnah- ren zu einer Gemeinschaft ein wichtiger Aspekt men für eine gelingende Integration. Wenn eine der menschlichen Gesundheit ist. Und wenn eine Zusatztherapie die Mobilität steigert, wenn mit Gemeinschaft zusammenhält, kann sie etwas Direkthilfe eine Wohnung besser angepasst wer- erreichen. So steht Nottwil nicht nur beispielhaft den kann oder wenn ein umgebautes Auto den für die medizinische Entwicklung, sondern ver- Arbeitsweg erlaubt, dann können Menschen mit deutlicht ebenso anschaulich, wie das Konzept einer Querschnittlähmung ein selbstständiges der Integration gelingt. Leben führen. In der Schweiz gehen 61 Prozent einer Erwerbsarbeit nach – das ist im internatio- Hauptmotive der Mitglieder nalen Vergleich eine Spitzenposition. Diese Erfolgsgeschichte mag in einer Zeit der wachsenden Ich-Bezogenheit erstaunen, in der Die Rückkehr der Solidarität gerade jüngere Generationen sich seltener zu Seit einigen Monaten sprechen wir wieder mehr einem Mitgliedschaftsmodell verpflichten. Doch über Solidarität. Die Corona-Pandemie hat uns entgegen diesem Trend zeigen Meinungsumfra- die eigene Verletzlichkeit vor Augen geführt, und gen der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, dass die viele haben erkannt, dass nur mit einer gemeinsa- Mehrheit der Mitglieder tatsächlich aufgrund men Anstrengung Lösungen erzielt werden. «Ich finde es gut, dass wegen Corona der Gedanke an die Solidarität wieder präsenter ist», sagt Jacque- line Klauser. «Man geht für ältere Personen ein- «Wohin sollte sich ein Querschnitt- kaufen, fördert das lokale Gewerbe und unsere gelähmter sonst wenden?» Gesellschaft hat einen neuen Zusammenhalt Christian Hamböck, Leiter Mitgliedermarketing gefunden. Ich hoffe, dass dieser Effekt länger- fristig anhält.» Die Psychologin aus Oberwil BL spendet für mehrere Organisationen, zu denen des Solidaritätsgedankens beigetreten ist und sie einen persönlichen Bezug hat. Seit vielen nicht wegen der persönlichen Gönnerunterstüt- Jahren ist ihre Familie überzeugte Gönnerin der zung von 250 000 Franken. Christian Hamböck, Schweizer Paraplegiker-Stiftung. der Leiter des Mitgliedermarketings, sieht ein «In Nottwil wird eine sehr wertvolle Arbeit weiteres Motiv: «Die Tatsache, dass es jeden geleistet. Andererseits denken wir auch: Wenn treffen kann, berührt die Menschen. Glück und man selber verunfallt, ist man froh, dass es einen Unglück liegen nahe beieinander, da ist man froh, Ort gibt, wo man gut betreut wird.» Ein weiterer dass es diese Solidarität gibt.» Punkt ist der Familie wichtig: Eine Institution muss Obwohl seit den Anfängen der Stiftung viel seriös sein. «Man überlegt sich beim Spenden: erreicht wurde, muss die Überzeugungsarbeit für Wie viel geht in die Administration und wie viel das von ihr geschaffene Leistungsnetz fortschrei- kommt effektiv an?» Die Transparenz der Stiftung ten. «Wohin sollte sich ein Mensch mit Quer- schafft hierbei Vertrauen. schnittlähmung sonst wenden, wenn nicht nach Jacqueline Klauser weiss, dass nichts im Nottwil?», fragt Hamböck. «Die ganzheitliche Leben sicher ist. Eine Querschnittlähmung kann Rehabilitation ist auf eine spezialisierte Institu- von einem Augenblick zum nächsten geschehen. tion angewiesen, die sich intensiv mit dem Thema Deshalb unterstützt sie die Anliegen der betroffe- befasst.» Die meisten Spitäler wissen nicht mit 10 Paraplegie, September 2020
SCHWERPUNKT «Im SPZ ist das Geld am richtigen Ort.» Sonia Kälin, Dauermitglied und Spenderin Schwingerkönigin Sonia Kälin spendete ihren Gewinn aus «1 gegen 100» spontan ans Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ). Sonia Kälin unterwegs ins ParaForum. Seit Kurzem ist sie dem komplexen Krankheitsbild umzugehen. Eine ganz besondere Spenderin ist die Sportlerin Botschafterin der Schweizer Würde die private Unterstützung für Nottwil Sonia Kälin. Als sie in einer Spezialausgabe der SRF- Paraplegiker-Stiftung. wegfallen, wäre der Weg in die gesellschaftliche Quizsendung «1 gegen 100» fast 30 000 Franken Integration erneut blockiert. gewonnen hatte, liess sie den Betrag spontan nach Nottwil überweisen. «Ich musste in diesem Die normalste Sache der Welt Moment nicht viel überlegen», sagt die vierfache Neben den Mitgliedern tragen auch zahlreiche Schwingerkönigin. «Schon meine Eltern waren Spenderinnen und Spender dazu bei, dass das Mitglieder, und ich bin sozuagen mit dem Schwei- Solidarwerk Bestand hat und die Arbeit weiter- zer Paraplegiker-Zentrum aufgewachsen. In Nott- geht. Cordula Burkart zum Beispiel hat sich dazu wil ist das Geld am richtigen Ort.» entschieden, der Stiftung ein Legat zu verma- Nach diesem Fernsehauftritt hat sie sich chen. Solidarität ist für sie die normalste Sache bereit erklärt, die Funktion einer Botschafterin für der Welt: «Es ist eine Grundhaltung, ich bin so die Stiftung zu übernehmen: «Es ist eine Angele- aufgewachsen. Für uns gab es immer nur ein Mit- genheit, die mir am Herzen liegt. Man hilft Men- einander und Füreinander – im Rahmen des Mög- schen, die durch einen Schicksalsschlag aus dem lichen.» Es sind kleine Details, die den Unterschied Leben gerissen werden.» Als aktive Schwingerin ausmachen, sagt die Fotografin aus Safenwil AG: hatte Sonia Kälin manchmal selber das Schick- «Wieder einmal den Nachbarn fragen: Geht es dir sal herausgefordert: «Es gab Würfe, da war ich gut?» Es brauche nicht viel, dann sei man auch froh, dass ich wieder aufstehen konnte.» Heute selber zufrieden. ist sie dankbar, dass sie die Zeit des Spitzensports Zum Thema Gesundheit hat Cordula Burkart gesund abgeschlossen hat. einen direkten Bezug: Sie und ihr Partner haben Das Bewusstsein um unsere Verletzlichkeit mehrere heikle Situationen mit Rückenverletzun- stärkt den Gemeinsinn. Für diese ganz unter- gen überstanden. «Ich sagte zu Andy: Wir haben schiedlichen Mitglieder der Schweizer Paraple- beide viel Glück gehabt. Wir spenden jetzt nach giker-Stiftung ist es eine Selbstverständlichkeit, Nottwil für Menschen, die in einer schwierigen dass man sich in schwierigen Situationen gegen- Lebenssituation stecken.» Sie sei froh, dass sie seitig hilft. Es sind Beispiele von Menschen, die Sonia Kälin diese wohl grösste Herausforderung im Leben Mut machen. besucht das nicht durchmachen musste. (kste/d.plüss, we, reta) ParaForum Paraplegie, September 2020 11
SCHWERPUNKT Zweckgebundene Spenden Viele wichtige Projekte auf dem Campus Nottwil wären ohne zweckgebundene Spenden und aufgerundete Mitgliederbeiträge nicht umsetzbar gewesen – allen voran die Modernisierung der Klinik. Der Erweiterungs- bau des SPZ Das grosse Bauprojekt von 2015 – 2020 beseitigt Kapazi- tätsengpässe und macht das SPZ fit für kommende He- rausforderungen. Es ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg, für Menschen mit einer Querschnittlähmung die besten Voraussetzungen für eine gelingende Integra- tion zu schaffen. ParaSchool Rund ein Viertel der Patientinnen und Patienten in Nottwil sind schulpflichtige Kinder, Jugendliche, Lehrlinge und Studenten. Die Patientenschule baut eine Brücke zwischen ihrer Rehabilitation und der Rollen-Trainingshalle schulischen Wiedereingliederung. Optimale Bedingungen für unsere Spitzen-, Breiten- und Nachwuchsathleten. Seit Ende 2019 können sie sich in der Rollen-Trainingshalle auf ihre Wettkämpfe vorbereiten – das ganze Jahr und bei jedem Wetter. 12 Paraplegie, September 2020
SCHWERPUNKT Jugendreha Junge Querschnittgelähmte erleben Therapiegarten in den Sommerferien ein vielseitiges Programm aus intensiver Therapie, Der im Herbst 2020 eröffnete Sport und Spass. Sie verfolgen indivi- Therapiegarten schliesst eine duelle Ziele, um im Alltag selbstständi- Lücke in der ganzheitlichen ger zu werden, und profitieren vom Rehabilitation. Neue Behand- Austausch untereinander. lungsformen im Aussenbereich nutzen die positive Wirkung der Natur und trainieren Alltags- anwendungen in einer realitäts- nahen Umgebung. ParaForum Seit September 2019 bietet das Besucherzentrum ParaForum spannende Einblicke in den All- tag von Querschnittgelähmten. Die interaktive und multime diale Ausstellung beeindruckt auch jüngere Generationen. Der Eintritt ist kostenlos. Direkthilfe Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung unterstützt Querschnittgelähmte in Härtefällen mit Beiträgen an Hilfsmittel, ungedeckte Pflegekosten, Aus- und Weiterbildungen oder Umbauten von Wohnräumen, Fahrzeugen und Arbeitsplätzen. Pro Jahr werden 14 bis 17 Mio. Franken Direkthilfe ausbezahlt. Sportrollstühle Sport ist für die Gesundheit von Querschnittge- Lokomat lähmten enorm wichtig. Doch Spezialrollstühle für einzelne Sportarten sind teuer. Die Schweizer Der Gangroboter hilft in der Paraplegiker-Stiftung engagiert sich stark, um den Neurorehabilitation, motorische Betroffenen dennoch einen Einstieg in den Sport Funktionen wiederzuerlangen. zu ermöglichen. Er steigert Anzahl und Inten- sität von Therapien, die viele Wiederholungen benötigen. Paraplegie, September 2020 13
SCHWERPUNKT Gesellschaft Die solidarische Schweiz Sie helfen in Krisenzeiten und opfern ihre Freizeit: In der Schweiz ist die Bereitschaft gross, sich für die Mitmenschen einzusetzen. Das Wort Solidarität wird derzeit oft benutzt. Für Mehr als hundert Hilfsorganisationen haben in betagte Nachbarn Arbeiten erledigen oder Ein- der Corona-Krise bereits eine finanzielle Unter- käufe tätigen – das zählt zu den häufigsten For- stützung erhalten, dafür wurden über 24 Mil- men der Unterstützung. Ein deutliches Signal der lionen Franken eingesetzt. Schnelle Hilfe war Bevölkerung waren auch die Spenden für jene auch nötig, um die Not bei Sans-Papiers oder Personen, die von der Corona-Krise am stärksten Obdachlosen zu lindern. Zurückhaltung erlebe betroffen sind. die Glückskette kaum – obwohl viele Spendende Bevor die Glückskette, die grösste private selber nicht wissen, ob sie ihren Arbeitsplatz Geldgeberin für humanitäre Hilfe im Land, ihre behalten können. «In schwierigen Zeiten zeigt Sammelaktion zum Corona-Thema lancierte, stand sich ein grosses Gemeinschafts- und Zusammen- sie vor der Frage: Sind die Leute überhaupt bereit, gehörigkeitsgefühl im Land», sagt Spörri. «Die dafür Geld zu spenden? Die positive Antwort kam Menschen haben ein feines Sensorium. Manche in aller Deutlichkeit. sagen sich: Es gibt einige, denen es schlechter Priska Spörri Verantwortliche geht, darum möchte ich mich einsetzen.» Öffentlichkeitsarbeit und Partner- «Wir sind Spendenweltmeister» Besonders geblieben ist ihr eine Szene kurz beziehungen bei der Glückskette Über vierzig Millionen Franken sind seit März vor Weihnachten. Bei der Aktion «Jeder Rappen zusammengekommen, zehn Millionen waren es zählt» hielt ein Mann Spörri hundert Franken ent- am nationalen Solidaritätstag. «Wir sind Spen- gegen und bat um fünfzig Franken Retourgeld: denweltmeister», erklärt Priska Spörri, die bei der «Er erklärte uns, dass er mit dem Rest noch bis Glückskette die Öffentlichkeitsarbeit betreut und Ende Monat durchkommen müsse.» in der Corona-Krise einmal mehr erlebte, welche bemerkenswerte Hilfsbereitschaft vorhanden ist: Swiss Volunteers ohne Nachwuchssorgen «Die Menschen spenden, obwohl sie selber nicht Solidarisch sein, das geht nicht nur mit Geld, son- viel haben.» Es gab Personen, die zwanzig Fran- dern auch mit Zeit. Auf die Hilfe von Freiwilligen ken einzahlten und sich entschuldigten, dass es angewiesen sind zahlreiche Sportveranstaltun- kein höherer Betrag sein konnte. gen, die auf die Organisation Swiss Volunteers Ruedi Kunz Präsident Die Bereitschaft, sich mit ärmeren Menschen zählen. Über 60 000 Mitglieder sind registriert, von Swiss Volunteers solidarisch zu zeigen, ist eine Grundhaltung in der 2019 leisteten sie 226 374 Einsatzstunden. Der Schweiz. Oft sind es Bilder von Naturkatastro- Fleissigste brachte es auf 730 Stunden – ohne phen, die etwas auslösen. Wie im Jahr 2000 der finanzielle Entschädigung. «Ohne diese Hilfe Erdrutsch in Gondo, 2004 der Tsunami in Thai- ginge nichts», sagt Ruedi Kunz, der Präsident von land oder die Überflutungen in Pakistan 2010. Swiss Volunteers, und ergänzt, dass keine Nach- «Die Leute sind emotional berührt, wenn etwas wuchssorgen bestehen: «Da machen ganz viele Schlimmes in der Nähe passiert», sagt Spörri. junge, engagierte Menschen mit.» «Aber auch ein grosses Elend in fremden Ländern Während der Corona-Krise steht die Platt- löst eine Welle der Solidarität aus.» Dabei spiele form samt Volunteer-Datenbank systemrelevan- weder die Weltregion eine Rolle noch Faktoren ten Organisationen zur Verfügung. Gemeinden wie die Religion. etwa können Freiwillige rekrutieren, die sie bei 14 Paraplegie, September 2020
SCHWERPUNKT Ohne Freiwillige kein Grossanlass «Häufer» (Zuger Dialekt für Helfer) am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest 2019 in Zug. verschiedenen Projekten unterstützen, beispiels weise in Wohn- und Altersheimen oder im Bereich der Nachbarschaftshilfe. «Die Ehrenamtlichkeit dürfte in allen Berei- chen an Bedeutung gewinnen, da die Sponsoren- gelder nach der Corona-Krise tendenziell anders eingesetzt werden», sagt Ruedi Kunz. Das macht ihm keine Sorgen: «Wenn sich die Volunteers von einem Projekt angesprochen fühlen, sind sie mit einer beeindruckenden Passion bei der Sache. (pmb / zvg) www.glueckskette.ch www.swissvolunteers.ch «Solidarität ist ein Grundpfeiler der Gesellschaft» Ueli Mäder, was ist für Sie Solidarität? Ändert sich das soziale Verhalten Es ist eine Form von Zusammengehörigkeit nach dieser Krise? und Zusammenhalt. Ich erlebe das praktisch Ich hoffe, dass wir die Gesundheit mehr täglich – in der Nachbarschaft, unter Ange- schätzen lernen und uns immer wieder hörigen, bei meinen Fussball- und Hand- überlegen, was im Leben wichtig ist – und ballkollegen, bei jungen Menschen. In einer ob es wirklich nötig ist, das Tempo immer Zeit, die vom Finanzdenken geprägt ist, ver- derart hochzuhalten und den Konkurrenz- halten sich viele Menschen trotzdem über- kampf zu forcieren. aus sozial. Ohne diese Haltung, ohne dieses individuelle Handeln würde unser Zusam- Und weshalb erstaunt es Sie, dass menleben kaum funktionieren. Daher sehe man andere schützen möchte? ich Solidarität als einen Grundpfeiler unse- Eigentlich müsste es normal sein. Und doch Ueli Mäder ist emeritierter Professor rer Gesellschaft. ist es wegen der Profitgier nicht selbstver- für Soziologie der Universität Basel. ständlich: Heute muss alles rentieren. Daher Hat sich Ihre Wahrnehmung in der ist das soziale Verhalten vieler Menschen so Corona-Krise verändert? wertvoll. Ich halte es für möglich, dass man Solidarität mangelt. Auch in den wichtigen Ja. Wir erleben eine erstaunlich grosse Be- das Egoistische und borniert Wachstums- globalen Bezügen müsste sich ein Land wie reitschaft, Leben zu schützen und sich für orientierte allmählich öde findet. Daraus die Schweiz solidarischer verhalten. Benachteiligte einzusetzen. Dafür wer- könnte sich eine Bereitschaft entwickeln, den auch wirtschaftliche Einbussen in Kauf über die Bücher zu gehen und häufiger aus Aber Ihnen gefällt die Solidarität genommen. Ich sehe Ansätze eines Gegen- freien Stücken soziale Verbindlichkeiten im Kleinen? trends zur dominierenden Rolle der wirt- einzugehen. Ja. Viele haben das Selbstverständnis, dass schaftlichen Faktoren. Die Angst, die eine sie zum Helfen keine laufende TV-Kamera solche Krise auslöst, führt oft zu zwei Reak- Ist die Schweiz bezüglich Solidarität benötigen; sie erwarten auch keine Gegen- tionen: Die einen verkriechen sich, andere beispielhaft? leistung. Solidarität lässt sich nicht leicht wählen die Flucht nach vorne und wollen Unser System der sozialen Absicherung fassen und nicht messen. Aber ich finde rasch wieder die alte Normalität herstellen. zählt für mich zur Solidarität. Aber wenn es wichtig, darüber zu reden und sich zu Der Coronavirus trägt dazu bei, diese Nor- es um die Verteilung von Kapital oder um überlegen, was dazugehört und wie sich malität vermehrt zu hinterfragen. Löhne geht, gibt es Bereiche, in denen es an die Solidarität stärken lässt. Paraplegie, September 2020 15
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GASTBEITR AG Gelebte Solidarität «Einer trage des anderen Last.» Mit diesem Paulus-Wort aus dem Brief an die Galater hat die Schweizer Paraplegiker-Stiftung 1975 in ihrem ersten Rundschreiben zu mehr Soli- darität für Querschnittgelähmte aufgeru- fen. Mit überwältigendem Erfolg bis zum heutigen Tag. «Unus pro omnibus, omnes pro uno – Einer für alle. Alle für einen», so steht es zu- oberst über den Köpfen der Politikerinnen und Politiker in der Kuppel des Schweizer Bundeshauses. Ausdruck findet der Soli- daritätsgedanke auch in der Präambel der Bundesverfassung: «Die Stärke des Volkes misst sich am Wohl der Schwachen.» In der Schweiz beruht Solidarität auf gegenseiti- gem Vertrauen und hat eine nachhaltige Tradition. Das Erreichte neu gestalten Die in die Tat umgesetzte Vision der ganz- heitlichen Rehabilitation von Querschnitt- gelähmten ist gelebte Solidarität. Sie hat im internationalen Vergleich beachtenswerte Fortschritte und erfreuliche Resultate erzielt. Bild aus der Pionierzeit Guido A. Zäch am Helikopter mit Patient. Dafür verdienen das überdurchschnittlich engagierte Rehabilitationsteam des Schwei- zer Paraplegiker-Zentrums Nottwil und die litation im Kompetenzzentrum bleibt die Wir sind alle eindringlich aufgerufen, unse- vielen Gönnerinnen und Gönner der Stiftung Zielsetzung. ren persönlichen Beitrag zur Linderung von Anerkennung und Dank. Der Akutphase wurde in den vergan- Not zu leisten. Diese Hilfe ist notwendig «Was du ererbt von deinen Vätern hast, genen zehn Jahren zu wenig Beachtung und sinnstiftend, wie es die österreichische erwirb es, um es zu besitzen», heisst es in geschenkt. Jetzt ist die bauliche Infrastruk- Schriftstellerin Marie Ebner von Eschen- Goethes «Faust». Das Erreichte nicht nur tur in Nottwil optimal, ergänzt durch einen bach prägnant feststellte: «Menschen, die zu bewahren oder auszusitzen, sondern neuen Heli-Landeplatz mit Satellitennavi wir aufrichten, sind uns selber Stütze im täglich zu hinterfragen und initiativ neu zu gation sowie Erweiterung der Intensivsta- Leben.» gestalten ist unsere permanente Aufgabe. tion und der Operationssäle. Dieses Angebot Menschen in Not finden Mitmenschen Dazu sind Herzblut und eine unerschütterli- muss wieder während 168 Stunden pro in Nottwil. Spontan, kompetent, mit Empa- che Zuversicht nötig. Auch die Fortsetzung Woche genutzt werden. So sind Akutthera thie. Das gilt noch immer. Ohne Wartezeit. des Goethe-Zitats verdient Beachtung: pie und Erstversorgung erneut die entschei- Tag und Nacht. Dieser Einsatz verdient tat- «Was man nicht nützt, ist eine schwere denden Schwerpunkte des ganzheitlichen kräftige Unterstützung. Last. Nur was der Augenblick erschafft, das Leistungsangebotes. Guido A. Zäch kann er nützen.» Sinnstiftende Hilfe Die Akutphase ist entscheidend Auch in der Corona-Pandemie zeigt sich die 1975 gründete Guido A. Zäch die Schweizer Um ein bestmögliches Behandlungsresul- Schweiz als Land der solidarischen Hilfe. Paraplegiker-Stiftung. Der Pionier der tat für rückenmarkverletzte Unfallopfer zu Der soeben erschienene Freiwilligen-Moni- ganzheitlichen Rehabilitation rief zur erreichen, gilt: «Die Rehabilitation beginnt tor 2020 bestätigt erfreuliche Zahlen: Sechs Solidarität mit Menschen auf, die unter am Unfallort.» Richtige Bergung, schonen- von zehn Personen setzen sich regelmäs- schwierigsten Bedingungen leben. der Transport, Erstversorgung und Rehabi- sig gemeinnützig für die Gesellschaft ein. Paraplegie, September 2020 17
Peter Hofstetter bei den Schafen. Eines Tages will er wieder melken können.
IN T EG R AT I O N Begegnung «Alles, was ich jetzt tun kann, ist ein Geschenk» Peter Hofstetter überlebte einen Holzerunfall mit schweren Verletzungen. Der Entlebucher Landwirt kann heute wieder einige wenige Meter gehen – und will mit dem Elektro-Dreirad hundert Kilometer zurücklegen. Äusserlich sind kaum Spuren erkennbar. Er hat Lukas rennt los und entdeckt seinen Vater einen leichten Kratzer im Gesicht und es erweckt bewusstlos am Boden. Er wählt sofort die Not- den Eindruck, als käme Peter Hofstetter glimpflich rufnummer, informiert seine Mutter – und war- davon. Aber dieser Unfall im Januar 2018 verur- tet. Zwanzig Minuten hält er den Vater in den sacht schwere innere Schäden. Sein Bruder, ein Armen, bis Ambulanz und Rettungs-Helikopter Radiologe, wird ihm später sagen, dass nicht viele fast gleichzeitig eintreffen. Der Schwerverletzte überlebt hätten. kommt ins Kantonsspital Luzern. Er kommuniziert Er war Landwirt aus Leidenschaft, ein mit den Sanitätern und Ärzten, aber er erinnert Chrampfer, der sich nur selten einen freien Tag sich nicht mehr. Ihm wurde davon berichtet, wie gönnte. Der 58-Jährige sitzt am Esstisch seiner über vieles, das in den vier ersten Wochen nach heimeligen Wohnstube in Entlebuch, vor dem dem Unfall passierte. Das Gedächtnis hat es nicht Haus führt die Strasse hinauf Richtung Glauben- speichern können. berg. Hier hat er mit seiner Frau Heidi fünf Buben grossgezogen, hier haben sie ihre Existenz aufge- Elf Wirbel verschraubt baut mit einem Hof und einer Käserei, die Schaf- Der Brustkorb ist zertrümmert, eine Rippe hat milchprodukte herstellt. Hofstetter legt seine sich durch die Lunge gebohrt, dazu erleidet stattlichen Hände auf den Tisch und erinnert sich Peter Hofstetter eine Hirnblutung. Sein Glück ist an jenen Tag, als es passierte: «Ich dachte: Das es, dass er kräftige Muskeln hat und so die Wir- wars. Fertig, Feierabend.» belsäule nicht heftiger verletzt wird. Das Rücken- mark ist gequetscht, nicht durchtrennt. In Luzern Stille, beklemmende Stille wird er bis 3 Uhr nachts operiert. Vier Wirbel sind Es ist ein kalter, schöner Montag, als er nach dem gebrochen, elf werden verschraubt. Der Rücken Mittag mit Sohn Lukas zum Holzen in den nahen wird dadurch so steif, dass er bis heute auf Hilfe Wald aufbricht. Das Sturmtief «Burglind» hat die angewiesen ist, um Socken anzuziehen. Region nicht verschont. Um 15.30 Uhr macht sich Nach drei Wochen wird der Verunfallte nach der Bauer daran, eine kranke Esche zu fällen. Hol- Nottwil verlegt. Als Hofstetter realisiert, in wel- zen, das ist eines seiner Fachgebiete, es käme ihm cher Lage er sich befindet, ist das ein schlimmes nie in den Sinn, Risiken einzugehen. Erlebnis. Er möchte selbstständig atmen, aber Der Baum ist von der Eschenwelke stärker er ist an ein Beatmungsgerät angeschlossen; er befallen, als Peter Hofstetter annimmt. Dann kann weder sprechen noch sonst auf sich auf- geschieht das Unglück. Die Spitze bricht ab, don- merksam machen oder sich bewegen. Der Puls nert zu Boden – und trifft ihn mit voller Wucht. schnellt in die Höhe, er reagiert panisch: «Ich Lukas arbeitet fünfzig, sechzig Meter entfernt, dachte, ich ersticke», erzählt er. Das Pflegeperso- von seinem Standort hat er den Vater normaler- nal auf der Intensivstation bemerkt die Pulsände- weise im Blickfeld. Jetzt sieht er ihn nicht mehr. Er rung und kümmert sich sofort um ihn. ruft, bekommt aber keine Antwort. Das Geräusch Es ist eine Episode von vielen, gesammelt in Oben Zum Alltag zählen der Motorsäge ist verstummt. Stille, beklem- zwei Tagebüchern. Heidi Hofstetter hat gleich auch administrative Arbeiten mende Stille. am ersten Tag damit begonnen zu notieren, wie für die Emscha GmbH. Paraplegie, September 2020 19
IN T EG R AT I O N sie ihren Mann wahrnimmt, wie sein Zustand «Man kann nichts erzwingen» sich verändert. Weitere Schilderungen stammen Peter Hofstetter ist ein Kämpfer, der sich immer von nahestehenden Besuchern wie den Söhnen neue Ziele setzt. Vor allem will er wieder Auto- oder Geschwistern. Als Peter Hofstetter die Hefte fahren können, selbstständig sein. Oft motiviert er später liest, wühlt ihn das emotional auf: «Das sich zu einem Schritt: «So, Hofstetter, hü!» Doch fährt ein. Meine Familie hat einiges mitmachen immer wieder muss er sich eingestehen, dass es müssen.» nicht so rasch aufwärts geht. So sehr er sich daran Erst in Nottwil habe er gemerkt, dass er klammert, seine Visionen zu verfolgen, so scho- querschnittgelähmt ist. In dieser neuen Realität nungslos wird ihm vor Augen geführt: «Man kann musste er sich zuerst zurechtfinden. Zwar hatte nichts erzwingen, die Nerven geben nicht mehr die ganze Familie eine Gönnermitgliedschaft her. Ich bin querschnittgelähmt.» abgeschlossen, aber mehr aus Solidarität für die Als er nach sieben Monaten Rehabilitation gute Sache, nie hätte er gedacht, dass er selber Ende August 2018 nach Hause darf, legt er als Ers- einmal ein Patient im Schweizer Paraplegiker-Zen- tes die Fahrprüfung ab. Heute hat er sich so gut trum (SPZ) sein würde. Wenn er vor dem Unfall erholt, dass er als inkompletter Paraplegiker gilt. jemanden im Rollstuhl sah, schoss ihm durch den Kopf: «Ein armer Cheib!» Aber was das wirklich bedeutet? « Ich frage mich, ob ich zu viel riskiert habe. Emotionen im Spitalbett Aber die Antwort lautet immer Nein.» Der Paraplegiker bekommt einen Ordner voller Peter Hofstetter Informationen und Antworten auf die zentrale Frage: Wie lebe ich mit einer Querschnittläh- Mit Stöcken schafft er einige Meter zu Fuss; in mung? Nach sechs Wochen kann er die grosse der eigenen Wohnung versucht er, wenn immer Zehe am Fuss des rechten Beins bewegen, ein möglich, auf Gehhilfen zu verzichten. Hofstetter Hoffnungsschimmer, der ihm Tränen in die Augen macht sich keine Illusionen, eines Tages wieder zu treibt. Im Ohr bleiben die Worte der Ärzte: Es sei einer seiner geliebten Wanderungen aufbrechen möglich, dass sich die Nerven im gequetschten zu können. «Aber alles, was ich jetzt tun kann, ist Rückenmark in zwei, drei Jahren erholen könn- ein Geschenk.» ten. Er denkt sich: «Wenn ich das SPZ verlasse, Er geht mit einer positiven Grundeinstellung dann gehe ich aufrecht heraus.» durchs Leben und mit grosser Dankbarkeit. Bei Rasch wird sich Peter Hofstetter bewusst, der Jahreskontrolle in Nottwil erkundigt sich eine wie viel er nun lernen muss. Am Anfang seiner Physiotherapeutin nach dem Befinden. «Es geht Rehabilitation wird er von den Pflegefachperso- mir gut», sagt Hofstetter. «Wieso gut?», hakt die nen alle vier Stunden im Bett gedreht, um Druck- Physiotherapeutin nach. «Vieles ist eine Frage der geschwüre zu vermeiden. Er selber ist dazu nicht Optik», antwortet er. «Ich erinnere mich an Tage, in der Lage – der kräftige Naturbursche, der in an denen ich im Bett die Decke anstarrte und seinem Alltag anpackte, wo er nur konnte und mich nicht rühren konnte. Jetzt ist meine Situa- kaum Hürden kannte, ist plötzlich auf fremde tion markant besser.» Darum hadere er auch nicht Hilfe angewiesen. mit dem Schicksal. «Ich mache mir meine Gedan- Über Ostern möchte er nach Hause zu seiner ken, ja. Ich frage mich: Habe ich damals zu viel Familie, aber die Ärzte trauen ihm das noch nicht riskiert? Aber die Antwort ist immer die gleiche: Oben Peter Hofstetter im Lager- zu. Stattdessen darf er sich in eine der Übungs- Nein, ich habe das Holzfällen fachmännisch abso- raum seiner Käserei. wohnungen auf dem Campus zurückziehen, und lut korrekt ausgeführt.» Mitte Im Tagebuch beschreiben seine Frau Heidi verbringt die Ostertage mit ihm. Nahestehende, wie sie Peter nach Anfänglich meint er nicht lernen zu müssen, sich 248 Meter mit Krücken dem Unfall erleben. im Rollstuhl fortzubewegen, er will ja gehen. Der ehemalige Bauer hat einen eisernen Willen. Unten Auf dem Heimweg von der Dann merkt er, dass dies ein Trugschluss ist. Am 20. Dezember 2018 macht er mit Krücken Arbeit in der Kirchgemeinde. 20 Paraplegie, September 2020
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Bewegungsdrang Peter Hofstetter mit dem seine ersten Schritte. Bei der Kontrolle ein Jahr stellte beschäftigt er, und neben seinem Sohn Elektro-Dreirad, begleitet später in Nottwil will er sich von seiner besten beliefern ihn weitere acht Bauern mit Schafs- von seiner Frau Heidi. Seite präsentieren. Exakt 248 Meter bewältigt er milch: «Ich bin stolz darauf, dass wir auch kleinen mit Gehhilfen, verausgabt sich dabei aber so sehr, Bauern im Berggebiet ein Einkommen ermögli- dass er danach drei Tage ruhen muss. Er lernt, mit chen», sagt Hofstetter. seinen Kräften besser umzugehen: Bevor der Lift Vor Weihnachten 2019 lancierte die Käserei installiert war, kämpfte er sich die zwei Stock- eine Aktion mit dem Grossverteiler Coop: Sie pro- werke von seiner Wohnung ins Erdgeschoss nur duzierte «Engeli Chäsli» und spendete vom Erlös zweimal hinunter, nicht öfter. Und jedes Mal war einen Teil ans SPZ. Dreitausend Franken kamen so ein Kraftakt. zusammen: «Ich habe in Nottwil so viel bekom- Aber er muss raus, will raus. Vor dem Unfall men. Für mich war es wichtig, einmal etwas kauften die Hofstetters einen zweiten Betrieb, zurückgeben zu können.» der von ihrem Sohn Lukas geführt wird. Peter An drei Vormittagen pro Woche arbeitet er Hofstetters grosses Ziel ist es, ihm eines Tages als Buchhalter für die Kirchgemeinde der Pfarrei beim Melken der Schafe helfen zu können. Dafür Entlebuch. Und in seiner Freizeit fährt er gerne muss ein Melkstand gebaut werden, um nicht mit seinem Velo, einem Elektro-Dreirad. Siebzig von Schaf zu Schaf gehen zu müssen. Manch- Kilometer haben er und seine Frau Heidi an einem mal schaut er auch bei Sohn Simon vorbei, der Tag schon zurückgelegt, aber dabei soll es nicht seinen Bauernhof übernommen hat. Anzutreffen bleiben. Er möchte rund um den Napf fahren, ist er heute häufiger im Büro der Emscha GmbH, hundert Kilometer sind das. So hilft Ihr der zwanzigjährigen Käserei, die sich seit 2017 Heidi Hofstetter legt eine Hand auf die Schul- Mitgliederbeitrag auf den zwei untersten Etagen seines Wohnhau- ter ihres Mannes und sagt: «Peter war noch nie ses befindet. einer, der aufgegeben hätte.» Sie haben schwie- Die Gönnerunterstützung rige Monate gemeistert und sie gehen mit Zuver- der Schweizer Paraplegiker- «Engeli Chäsli» als Dankeschön sicht in die Zukunft. Ein Anliegen hatte sie stets: Stiftung half Peter Hofstetter Manchmal trifft man ihn auch in der Produktion. Dass bei Sohn Lukas, der beim Unfall in der Nähe wesentlich dabei, die Über- Zielsicher fährt er im Rollstuhl durch die Gänge, war, keine Schuldgefühle aufkommen. «Ich sagte gabe der beiden Höfe an zeigt die moderne Anlage und den Lagerraum den anderen vier Söhnen: Nehmt Lukas zwischen- seine Söhne Simon und Lukas mit über viertausend Käselaiben. Rund hundert durch in den Arm, und dankt ihm dafür, dass er zu ermöglichen. Zudem Läden in verschiedenen Deutschschweizer Kan- so schnell und richtig gehandelt hat.» konnte er ein Elektro-Dreirad tonen beliefert der Käsereibetrieb, zwanzig Ange- (pmb / we) erwerben. 22 Paraplegie, September 2020
GÖNNER-VEREINIGUNG Einladung zur 27. Mitgliederversammlung Mittwoch, 21. Oktober 2020, 18.00 Uhr Aula, Schweizer Paraplegiker-Zentrum, 6207 Nottwil Aufgrund der Corona-Pandemie musste unsere Mitgliederversammlung vom April verschoben werden. Wir freuen uns, Sie nun am 21. Oktober 2020 zur diesjährigen Mitgliederversammlung begrüssen zu können. 1) Traktanden 1. Begrüssung Heinz Frei, Präsident Gönner-Vereinigung 2. Genehmigung Protokoll der Mitgliederversammlung vom 24. April 2019 2) 3. Jahresbericht des Präsidenten 4. Informationen der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) 5. Abnahme der Jahresrechnung 2019 2) 6. Festlegung der Mitgliederbeiträge 7. Statutenänderung 8. Anträge von Mitgliedern 3) 9. Wahlen in den Vorstand 10. Wahl der Kontrollstelle 11. Informationen 12. Varia 1) Bei diesem Termin vorbehalten sind mögliche neue Anordnungen der Behörden zur Eindämmung der Corona-Pandemie. 2) Das Protokoll 2019 sowie die Jahresrechnung 2019 können auf www.paraplegie.ch/mitgliederversammlung eingesehen oder schriftlich angefordert werden bei: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil. 3) Anträge an die Mitgliederversammlung sind bis 28. September 2020 einzusenden an: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil oder an sps.sec@paraplegie.ch. Als Datum gilt der Poststempel resp. der E-Mail-Versand mit Lesebestätigung. Die zur Abstimmung vorliegenden Anträge von Mitgliedern werden auf www.paraplegie.ch ab 1. Oktober 2020 aufgeschaltet sein. Anmeldung Mitgliederversammlung 2020 Ich / Wir nehme/n an der Mitgliederversammlung teil: Anzahl Personen Name / Vorname Strasse PLZ / Ort Mitglieder-Nr. Bitte senden Sie den Anmeldetalon bis 1. Oktober 2020 an: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Guido A. Zäch Strasse 6, 6207 Nottwil. Anmeldung online: www.paraplegie.ch /mitgliederversammlung Paraplegie, September 2020 23
IN T EG R AT I O N ParaWG Die Bewohner sind eingezogen Geplant war eine Wohngemeinschaft für junge Menschen mit Quer- schnittlähmung. Die Nachfrage für die erste ParaWG der Schweiz war derart gross, dass sogar zwei Wohnungen bezogen wurden. Oben Barrierefreie Überbauung «Im Dorf». Mitte Letzte Vorbereitungen: Anfertigung einer Wanddekoration. Unten Michael Hürlimanns Einzug wird vom Schweizer Fernsehen begleitet. Die Wände riechen nach frischer Farbe, orientierte Integrationsmassnahme bei der im Gang stapeln sich letzte Umzugskisten: ParaWork in Nottwil. Seit ein paar Tagen sind alle Zimmer der ParaWG besetzt. Die beiden Wohnungen Breite Unterstützung dieses innovativen Projekts befinden sich in Das Projekt wurde von der Schweizer Para- der barrierefreien Überbauung «Im Dorf» in plegiker-Stiftung vorfinanziert. Die ParaWG Schenkon LU. Dass das Konzept so grossen hilft jungen Querschnittgelähmten, beim Anklang fand, freut Projektleiterin Andrea Einstieg in Ausbildung und Beruf zusätz- Violka von ParaHelp: «Es ist der Beweis, lich den Schritt in die eigene Wohnung zu dass eine solche Wohnform für junge Quer- bewältigen. Die betreute Gruppe erleich- schnittgelähmte wirklich gefehlt hat.» tert den Weg in die Selbstständigkeit. Da Die acht Bewohner sind zwischen 18 die Invalidenversicherung das Wohntrai- und 26 Jahre alt. «Es ist wohl ein Zufall, dass ning finanziell unterstützt, wenn gewisse sich für die erste Belegung der Zimmer nur Kriterien erfüllt sind, sollte die Wohnform junge Männer gemeldet haben», vermu- ab 2021 selbsttragend sein. tet Pflegefachfrau Violka. Künftig werden Unterstützt wird das Projekt von meh- sicher auch Frauen einziehen, denn der reren Firmen und Stiftungen. IKEA Rothen- Aufenthalt in der Para-Wohngemeinschaft burg übernimmt die Wohnungseinrichtung ist auf sechs Monate bis drei Jahre befris- von der Planung bis zur Montage. Die Trisa tet. «Wir passen die Dauer den persönli- AG aus Triengen spendet Küchengeräte. chen Erfordernissen an», sagt Violka. «Alle Brack.ch stellt Geräte wie Fernseher oder Bewohner haben das Ziel, nach der betreu- Tumbler zur Verfügung. Als Stiftung betei- ten Phase selbstständig wohnen und ihren ligt ist unter anderem Folsäure Schweiz von Alltag meistern zu können.» Maria Walliser. Und die Vermieter Inge und Bruno Steiner haben der ParaWG monate- Individuelle Betreuung lang die Miete erlassen. Die WG-Bewohner weisen unterschiedli- Wenn sie ihre Zimmer fertig eingerich- che Lähmungshöhen auf, daher benötigt tet haben, werden die Bewohner der bei- jeder eine massgeschneiderte Unterstüt- den ParaWGs ihren grossen Schritt in die zung. Dazu werden sie von einem Team Selbstständigkeit mit einem Einweihungs- aus Fachleuten begleitet. Zum Beispiel beim apéro feiern. Wir wünschen allen ein erfolg- Duschen oder Anziehen, beim Wäschewa- reiches WG-Leben. (manm / zvg) schen oder bei der Organisation des All- tags. Auch wenn ein Bewohner zum ersten www.paraplegie.ch/parawg Mal weite Strecken im öffentlichen Ver- kehr zurücklegt, ist er froh, wenn er dabei begleitet wird. Die Sendung «Schweiz aktuell» von SRF Alle haben einen Job oder eine Lehr- sendet Ende Jahr eine vierteilige Serie zur stelle. Ein Bewohner macht eine Lehre als ParaWG. Voraussichtliche Daten: 28.12., Kaufmann EFZ im Schweizer Paraplegiker- 29.12., 30.12., 4.1.2021. Zentrum. Ein weiterer absolviert eine berufs- 24 Paraplegie, September 2020
KOMPE TENZ Querschnitt – Rücken – Beatmung «Der Neubau hat ein attraktives Umfeld geschaffen» Mit der Inbetriebnahme des Neubaus wurde auch das Angebot überarbeitet: Das SPZ fokussiert auf drei medizinische Kernthemen, für die es eine umfassende Versorgungskette sicherstellt. Das ist einzigartig. Es sind drei Worte, die ineinandergreifen: und viel Erfahrung im Operationssaal. So «Querschnitt – Rücken – Beatmung». Wer drängte sich die Idee auf, diese Chirurgie sie zum ersten Mal hört, dem sagen sie auch für Menschen zu öffnen, die nicht an wohl kaum etwas. Wer aber Hans Peter einer Querschnittlähmung leiden. Gmünder fragt, den Direktor des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ), sieht rasch das Der Bereich Rücken ist in Ihrer präzise Räderwerk hinter den drei medizi- Strategie also eng verbunden mit nischen Kernthemen von Nottwil. Der Neu- dem Thema Querschnitt? und Umbau der Klinik ist genauso darauf Das Rückenthema leitet sich aus dem ausgerichtet wie die Organisation der Mit- Bedarf ab, querschnittgelähmte Menschen arbeitenden, die sich um die bestmögliche ganzheitlich zu betreuen – von der Akut- Versorgung der Patientinnen und Patienten behandlung über die Rehabilitation bis zur Dr. med. Hans Peter Gmünder, Direktor kümmern. Und dies in jeder Behandlungs- Integration und lebenslangen Begleitung. des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ) phase von der Akutmedizin bis hin zur le Dadurch können wir Patientinnen und Pati- benslangen Begleitung. enten ohne Querschnittlähmung ebenfalls auf der gesamten Versorgungskette behan- Hans Peter Gmünder, die SPZ-Infra- deln. Sei das eine Operation, eine Zweit- spitälern und Uni-Kliniken. Selbstverständ- struktur erlaubt mehr Operationen. meinung, eine Nachbehandlung oder eine lich stellen wir unser Wissen allen Menschen Was hat dies für Folgen? komplexe ambulante Rückentherapie. Die- zur Verfügung, die sich in einer hochkriti- Die Modernisierung der Klinik hat uns vor ser Ansatz unterscheidet uns von anderen schen Lebenssituation befinden. allem eine grosse Chance geboten. Da wir Spitälern. aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen Mit den neuen Bettenstationen den Bereich Operation und Intensivpflege Und weshalb ist die Beatmung für können auch Querschnittgelähmte ohnehin sanieren mussten, konnten wir Nottwil so wichtig? mit allgemeinen akutmedizinischen gleichzeitig unserer Vision näher kommen, Eine hohe Querschnittlähmung beein- Problemen betreut werden. national und international eine Spitzen- trächtigt die Atmungsmuskulatur. Betrof- Bisher mussten sich solche Akutfälle aus position einzunehmen. Die neue Infrastruk- fen sind Atmen, Schlucken und Sprechen, Kapazitätsgründen in anderen Spitälern tur ermöglicht ein dynamisches Umfeld, auch Lungenentzündungen sind oft eine behandeln lassen, die über wenig Erfah- das uns attraktiv macht für ein hochste- Gefahr. Daher hat Nottwil eine dreissig- rung mit den typischen Anforderungen hendes Chirurgenteam. Damit decken wir jährige Erfahrung in der Beatmungsme- einer Querschnittlähmung verfügen. Nicht das ganze Spektrum der Wirbelsäulen- und dizin; interprofessionelle Teams arbeiten selten kamen sie nach einigen Tagen oder Rückenmark-Chirurgie ab. eng zusammen, um die betroffenen Men- Wochen mit einer querschnittspezifischen schen von der künstlichen Beatmung durch Komplikation dann doch zu uns. Deshalb Und dies erfordert höhere Fallzahlen? Maschinen zu befreien. Darin sind wir sehr haben wir den akutmedizinischen Bereich Wir möchten Rückenverletzungen und erfolgreich und einzigartig. beim Umbau gestärkt. Mit den zusätzlichen Rückenleiden auf dem höchsten Niveau Betten, der erweiterten Intensivstation und operieren können, das ist der Auftrag von Profitieren auch Covid-19-Betroffene neuen Operationssälen können wir jetzt der Schweizer Paraplegiker-Stiftung und das vom SPZ? auch in der Akutmedizin speziell quer- sind wir unseren Patientinnen und Patien- Ja. Unsere Expertise in diesem schwierigen schnittgelähmten Menschen eine bessere ten schuldig. Damit wir diese Qualität errei- Bereich hat sich herumgesprochen und wir Versorgung anbieten. chen, braucht es ein Team an Spezialisten bekamen Überweisungen aus den Kantons- (kste / we) Paraplegie, September 2020 25
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