Wie Deutschland über Algorithmen schreibt - Eine Analyse des Mediendiskurses über Algorithmen und Künstliche Intelligenz (2005-2020) - Bertelsmann ...

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Wie Deutschland über Algorithmen schreibt - Eine Analyse des Mediendiskurses über Algorithmen und Künstliche Intelligenz (2005-2020) - Bertelsmann ...
Wie Deutschland über
        Algorithmen schreibt
Eine Analyse des Mediendiskurses über Algorithmen
      und Künstliche Intelligenz (2005–2020)
Wie Deutschland über
        Algorithmen schreibt
Eine Analyse des Mediendiskurses über Algorithmen
      und Künstliche Intelligenz (2005–2020)

           Dr. Sarah Fischer und Prof. Dr. Cornelius Puschmann
Inhalt

  Vorwort                                                                                  6

  Zusammenfassung                                                                          8

  Executive Summary                                                                        10

  1   Ziel der Diskursanalyse                                                              12

  2   Methodik und Datenkorpus                                                             14

  3   Ergebnisse                                                                           17
      3.1	Wenig vielfältig: Wirtschaftliche Themen und Akteure dominieren den Diskurs     17
      3.2	Überwiegend positiv: Der Diskurs ist stark von der Chancenperspektive geprägt   24
      3.3	Erstaunlich lösungsorientiert: Notwendiger Kompetenzaufbau steht im Fokus
              des Diskurses                                                                27

  4   Fazit und Ableitungen                                                                29

  Literatur                                                                                32

  Über die Autor:innen                                                                     34

  Literaturempfehlungen Algorithmenethik                                                   35

  Anhang                                                                                   38

  Impressum                                                                                51

                                                                                                5
Vorwort

    Vor drei Jahren gingen wir der Frage auf den             wichtige Informationsgrundlage und befähigt die
    Grund, was Deutschland über Algorithmen weiß             Bevölkerung, an einer gesellschaftlichen Debatte
    und denkt. Unsere Umfrage (Fischer und Peter­            über ein Thema teilzunehmen. Zum anderen finden
    sen 2018) ergab: Bei diesem Thema herrschen              in den Medien unterschiedliche Akteure Gehör und
    Unwissen, Unentschlossenheit und Unbehagen.              können so ihre Perspektive in die öffentliche Mei­
    Die Menschen in Deutschland wissen noch sehr             nungsbildung einbringen.
    wenig da­rüber, was Algorithmen sind und dass sie
    bereits in zentralen Gesellschaftsbereichen wie in       Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie
    der Medizin, im Personalwesen oder bei der Poli­         der mediale Diskurs über Algorithmen und künst­
    zeiarbeit zum Einsatz kommen. Sie haben noch             liche Intelligenz in Deutschland genau aussieht:
    keine klare Meinung zum Thema, verspüren aber            Kommen unterschiedliche Akteure mit verschiede­
    ein Unbehagen, wenn Entscheidungen von algo­             nen Perspektiven zu Wort? Wird eher positiv und
    rithmischen Systemen beeinflusst sind. Neuere Stu­       chancenorientiert über das Thema berichtet oder
    dien bestätigen dieses Bild auch auf europäischer        negativ und problembezogen? Welche konkreten
    Ebene (Grzymek und Puntschuh 2019). Eine aktu­           Herausforderungen und Handlungsempfehlungen
    elle Umfrage des Digitalverbandes Bitkom (2020)          werden thematisiert?
    ergab, dass die Bekanntheit des Begriffs „Künstli­
    che Intelligenz“ zuletzt gestiegen ist und inzwischen    Diesen Fragen geht die vorliegende Studie nach und
    mehr als die Hälfte der Befragten meint, den Begriff     untersucht erstmals den medialen Diskurs der letz­
    erklären zu können. Interessant dabei: Während           ten 15 Jahre zu Algorithmen und künstlicher Intelli­
    vor drei Jahren nur knapp die Hälfte der Menschen        genz in Deutschland. Sie analysiert, welche Themen,
    künstliche Intelligenz als Chance wahrnahm, sahen        Akteure und Anwendungsbereiche die Debatte
    nun schon zwei Drittel positive Aspekte.                 dominieren, wie der Grundtenor der Berichterstat­
                                                             tung ist und welche Chancen und Risiken dabei im
    Eine Erklärung für diese Befunde findet sich bei         Zentrum stehen.
    Niklas Luhmann (1996: 9): „Was wir über unsere
    Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wis­   Die Ergebnisse bescheinigen dem medialen Dis­
    sen, wissen wir durch die Medien“, konstatierte          kurs in Deutschland vor allem einen Mangel an
    der Soziologe 1996. Dies gilt vor allem für kom­         Vielfalt. In der Berichterstattung dominieren wirt­
    plexe und individuell schwer zugängliche Phäno­          schaftliche Akteure, während politische Akteure
    mene wie neue Technologien. Die mediale Bericht­         und die Zivilgesellschaft kaum Gehör finden. Dabei
    erstattung bestimmt also in hohem Maße, was wir          bräuchte es gerade diese Stimmen für eine breite
    über algorithmische Systeme wissen, wie wir sie          gesellschaftliche Debatte über einen verantwor­
    wahrnehmen und letztlich auch, ob wir sie akzep­         tungsvollen Einsatz von Algorithmen und künst­
    tieren. Dabei bildet der mediale Diskurs in doppel­      licher Intelligenz. Wirtschaftliche Interessen schei­
    ter Hinsicht eine wichtige Grundlage für einen brei­     nen auch den Tenor des Diskurses zu prägen, der
    ten demokratischen Prozess. Zum einen ist er eine        überwiegend positiv ist und in dem insbesondere

6
Vorwort

ökonomische Aspekte wie wirtschaftlicher Fort­        mit den Chancen und Risiken der Technologie in
schritt und Effizienzsteigerung dominieren. Gesell­   einzelnen Anwendungsfeldern beschäftigt. Ansatz­
schaftliche Chancen fürs Gemeinwohl und öffent­       punkte für Lösungen und konkrete Handlungsvor­
lich finanzierte Einsatzgebiete wie Medizin oder      schläge diskutieren ein Papier über Fehlerquellen
Bildung werden in den untersuchten Beiträgen          und Verantwortlichkeiten in Prozessen algorith­
hingegen seltener thematisiert. Dies wäre jedoch      mischer Entscheidungsfindung (Zweig 2018) oder
wichtig, damit der mediale Diskurs einen Beitrag zu   ein Gutachten über Potenziale und Grenzen der
mehr Wissen über die tatsächliche Breite und Tiefe    europäischen Datenschutz-Grundverordnung
des Einsatzes von Algorithmen und zu einer ausge­     für algorithmische Systeme (Dreyer und Schulz
wogeneren Meinungsbildung in der Bevölkerung          2018). Einen Überblick über notwendige Maßnah­
leisten kann.                                         men, um algorithmische Systeme in den Dienst der
                                                      Gesellschaft zu stellen, bietet das Lösungspano­
Die Studie ist Teil des Projekts „Ethik der Algo­     rama „Damit Maschinen den Menschen dienen“
rithmen“ der Bertelsmann Stiftung. Das Projekt        (Krüger und Lischka 2018). Die gemeinsam mit
zielt darauf ab, den Diskurs über Algorithmen und     dem iRights.Lab erarbeiteten Algo.Rules (iRights.
künstliche Intelligenz zu versachlichen und um        Lab und Bertelsmann Stiftung 2019) können durch
eine gemeinwohlorientierte Dimension zu ergän­        Entwickler:innen und ihre Führungskräfte genutzt
zen. Dazu wurde beispielsweise in einer reprä­        werden, um algorithmische Systeme in der Praxis
sentativen Bevölkerungsumfrage untersucht, was        gemeinwohlorientiert zu gestalten.
Deutschland über Algorithmen weiß und denkt
(Fischer und Petersen 2018). Der jüngst veröf­        Um den Diskurs und die Debatte über die Ergeb­
fentlichte „Automating Society Report“ präsen­        nisse dieser neuen Studie zu erleichtern, veröf­
tiert über 100 Anwendungsfälle automatisierter        fentlichen wir sie unter einer freien Lizenz (CC
Entscheidungsfindung in 16 europäischen Ländern       BY-NC-SA 2.0 DE). Wir danken Prof. Dr. Cornelius
(Chiusi et al. 2020). In den Themenbereichen Pre­     Puschmann von der Universität Bremen und unse­
dictive Policing (Knobloch 2018), Personalwesen       rer Kollegin Dr. Sarah Fischer für die gelungene
(Knobloch und Hustedt 2019) und Gesundheits-          Zusammenarbeit und freuen uns zusammen mit
Apps (Klingel 2019) hat das Projekt sich gemeinsam    ihnen über Resonanz und natürliche jede Form kon­
mit der Stiftung Neue Verantwortung vertiefend        struktiver Kritik.

Dr. Jörg Dräger                                       Ralph Müller-Eiselt
Mitglied des Vorstandes                               Direktor Programm Megatrends
Bertelsmann Stiftung                                  Bertelsmann Stiftung

                                                                                                               7
Zusammenfassung

    Umfragen zeigen, dass die Menschen in Deutsch­          den und wichtige gemeinwohlrelevante Aspekte
    land noch relativ wenig über Algorithmen und            und Chancen kaum erörtert werden. Die Analysen
    künstliche Intelligenz sowie deren Einsatzgebiete       zeigen, dass wirtschaftliche Belange gerade in den
    wissen. Gerade bei abstrakten Themen, bei denen         letzten vier Jahren deutlich an Gewicht gewonnen
    der Bezug zu unserem Alltag nicht direkt ersicht­       haben.
    lich ist, erlangen wir unser Wissen aus den Medien.
    Der mediale Diskurs beeinflusst damit, wie Men­         In allen untersuchten Medien (Leitmedien, Fach­
    schen Algorithmen und künstliche Intelligenz wahr­      blogs und -webseiten sowie Twitter) herrscht ein
    nehmen und welche Einstellungen sie zu diesem           überwiegend positiver Tenor zum Thema. Bei den
    Thema entwickeln. Welche Perspektiven im Dis­           in der Debatte erörterten Chancen lässt sich wie­
    kurs vertreten sind, welche Akteure eine Stimme         derum eine Dominanz der ökonomischen Perspek­
    bekommen und welche Einsatzgebiete thematisiert         tive erkennen: Im Fokus stehen, neben einzelnen
    werden, prägt das Wissen und die Wahrnehmung            Chancen für das Individuum wie Personalisierung
    der Bevölkerung und damit maßgeblich die gesell­        und Optimierung von Fähigkeiten, vor allem ökono­
    schaftliche Debatte.                                    mische Vorteile wie wirtschaftlicher Fortschritt und
                                                            Effizienzsteigerung durch Algorithmen und künst­
    Doch wie sieht der mediale Diskurs über Algo­           liche Intelligenz. Gesamtgesellschaftliche Chancen
    rithmen und künstliche Intelligenz in Deutschland       wie eine bessere Verteilung knapper Ressourcen
    genau aus? Dieser Frage geht die vorliegende Stu­       oder ein fairer Zugang zu staatlichen Leistungen
    die nach. Sie hat das Ziel, die Berichterstattung zum   werden hingegen nur selten erwähnt. Ähnlich ver­
    Thema sowie ihre Entwicklung in den letzten 15          hält es sich mit den Einsatzgebieten algorithmischer
    Jahren nachzuzeichnen. Dazu nutzt sie sowohl eine       Systeme: Zentrale gemeinwohlrelevante Bereiche
    computergestützte als auch eine quantitativ-manu­       wie Medizin oder Bildung werden deutlich weni­
    elle Inhaltsanalyse. Sie geht der Frage nach, welche    ger häufig thematisiert als etwa digitale Alltags­
    Themen medial prominent vertreten sind und wie          technologien wie Assistenzsysteme oder Soziale
    sich dies in den letzten 15 Jahren verändert hat. Sie   Medien, obwohl Algorithmen und künstliche Intel­
    untersucht, welche Akteure und Anwendungsbe­            ligenz auch dort bereits breite Anwendung finden,
    reiche von Algorithmen und künstlicher Intelligenz      wie eine europaweite Recherche jüngst belegte
    den Diskurs dominieren und ob eher positiv oder         (siehe Chiusi et al. 2020).
    negativ über das Thema berichtet wird.
                                                            Trotz des insgesamt positiven Tenors werden zen­
    Die Ergebnisse der Studie machen deutlich: Die          trale Problemfelder und Risiken unseres Umgangs
    Debatte mangelt an Vielfalt und hat blinde Flecken      mit Algorithmen und künstlicher Intelligenz, wie
    mit Blick aufs Gemeinwohl. Die wirtschaftliche Per­     etwa fehlende Kompetenzen, Intransparenz und
    spektive dominiert den Diskurs mit einer positiven      mangelnde Kontrolle, in der Berichterstattung
    Fortschrittsvision, während politische und zivilge­     durchaus thematisiert. Dabei verläuft der medi­
    sellschaftliche Akteure nur selten Erwähnung fin­       ale Diskurs bereits erstaunlich lösungsorientiert:

8
Zusammenfassung

Ein Drittel der untersuchten Texte enthält spezi­        Drittens dürfen im Diskurs thematisierte Lösungs­
fische Handlungsempfehlungen. Allerdings domi­           ansätze nicht beim Kompetenzaufbau stehen blei­
nieren dabei solche Empfehlungen, die auf den            ben. In der breiten Bevölkerung, aber auch bei
Kompetenzaufbau bei Anwender:innen und in der            Anwender:innen darf nicht der Eindruck entstehen,
Bevölkerung abzielen, während konkrete Ansätze           dass die Bürde des verantwortungsvollen Einsat­
zur wirksamen Aufsicht, Kontrolle und Regulierung        zes algorithmischer Systeme allein auf ihnen lastet.
deutlich seltener zu finden sind.                        Wissen wirkt zwar oftmals Wunder, braucht dazu
                                                         aber auch adäquate Aufsichts- und Kontrollstruk­
Aus den Ergebnissen der Studie lassen sich               turen. Eine stärkere Berücksichtigung solcher wei­
drei zentrale Ableitungen treffen:                       terer Lösungsansätze im medialen Diskurs könnte
                                                         gleichsam den dafür nötigen politischen Handlungs­
Erstens mangelt es dem Diskurs im Hinblick auf           druck befördern.
vertretene Perspektiven und Akteure an Vielfalt.
Für eine breite demokratische Meinungsbildung
braucht es jedoch diverse Positionen. Dazu benö­
tigen vor allem zivilgesellschaftliche und politische
Stimmen größere Resonanz in der Debatte über
Algorithmen und künstliche Intelligenz. Leitmedien
sollten sie einerseits häufiger in der Berichterstat­
tung berücksichtigen. Andererseits sollten Akteure
aus Zivilgesellschaft und Politik daran arbeiten, ihre
Anliegen und Kernbotschaften stärker und zielge­
richteter an und über die Medien zu kommunizieren.

Zweitens spiegelt sich der Fokus auf die wirt­
schaftliche Perspektive auch in den thematisier­
ten Anwendungsbereichen und Chancen wider.
Damit Skepsis in der Bevölkerung sich abbaut und
Vertrauen in neue Technologien wachsen kann, ist
es wichtig, dass auch der Einsatz von künstlicher
Intelligenz und Algorithmen in zentralen teilhabe­
relevanten Bereichen wie Bildung, Gesundheit oder
Sicherheit sowie gesamtgesellschaftliche Chancen
derartiger Systeme häufiger in der Berichterstat­
tung vorkommen.

                                                                                                                   9
Executive Summary

     Surveys show that people in Germany still know             in this regard are receive little public attention. The
     relatively little about algorithms, artificial intelli­    analyses show that economic issues have gained
     gence and their fields of application. The media is        considerable weight especially in the last four years.
     a key source of information and knowledge when
     it comes to such abstract topics affecting our eve­        In all of the media reviewed (mainstream media
     ryday life in ways not immediately apparent. Media         publications, specialist blogs and websites, and
     discourse thus influences how people perceive algo­        Twitter), an overwhelmingly positive tone
     rithms and artificial intelligence, as well as the atti­   toward the subject dominates. The opportunities
     tudes they develop regarding both. The question of         discussed in the debate again show the dominance
     which perspectives are represented in media dis­           of the economic perspective; alongside selected
     course, which actors are given a voice and which           opportunities for individuals, such as meeting
     areas of application are addressed consequently            personal needs more effectively or expanding
     shapes public knowledge and perceptions, and it            human capabilities, media coverage focuses
     has a significant influence on public debate overall.      primarily on economic advantages associated
                                                                with algorithms and artificial intelligence such
     But what exactly does the media discourse about            as economic progress and increases in efficiency.
     algorithms and artificial intelligence look like in        By contrast, overall societal opportunities such
     Germany? The present study examines this                   as a better distribution of scarce resources or
     question. Its goal is to trace reporting on this topic     fairer access to government services are rarely
     and its evolution over the last 15 years. To do            mentioned. The situation is similar with regard to
     so, it uses both computer-supported and manual             the fields of application for algorithmic systems.
     quantitative content analyses. It examines which           Here, everyday digital technologies such as virtual-
     topics are prominently represented in the media,           assistant systems or social media are discussed
     and how this has changed over the last 15 years. It        significantly more often than key areas relevant to
     scrutinizes which actors and areas of application          the public welfare such as medicine or education,
     for algorithms and artificial intelligence have            although algorithms and artificial intelligence are
     dominated the discourse, and whether reporting on          already widely applied there as well, as recently
     the topic has skewed more positively or negatively.        found by a pan-European research project (see
                                                                Chiusi et al. 2020).
     The results of the study make clear that the debate
     lacks diversity and has blind spots with regard            Despite the overall positive tone, the reporting
     to the public interest. An economic perspective            has certainly addressed key problems and
     has dominated the discourse with a generally               risks in our handling of algorithms and artificial
     very positive framing, while political and civil           intelligence, such as a general lack of digital
     society actors are rarely mentioned. Aspects of            competency, insufficient transparency and faulty
     AI applications that are relevant to ensuring the          oversight. In this regard, the media discourse is
     common good or which bear certain opportunities            already surprisingly solution-oriented, with one-

10
Executive Summary

third of the texts examined containing specific            Third, the strategies discussed in the discourse must
recommendations for action. However, the bulk of           not be limited to enhancing digital literacy or skills.
recommendations aim at increasing digital literacy         Neither the general public nor individual users
or skills among users and in the population more           should be given the impression that the burden of
generally, while specific approaches for effective         using algorithmic systems responsibly rests solely
oversight, control and regulation are mentioned            with them. Knowledge often works wonders, but
much less frequently.                                      it also requires adequate oversight and control
                                                           structures. Including such additional strategies
Three core conclusions can be drawn from                   more prominently within the media discourse
the results of the study:                                  could help generate the political pressure needed
                                                           to produce action.
First, the discourse lacks diversity with regard
to the perspectives and actors represented.
However, a broad-based democratic shaping of
public opinion requires that diverse positions be
heard. This requires that civil society and political
voices in particular take on a more substantial
presence in the debate over algorithms and artificial
intelligence. On the one hand, mainstream media
publications should include these voices more often
in their reporting. On the other hand, political and
civil society actors should work to communicate
their concerns and core messages more strongly
and more effectively through the media.

Second, the focus on the economic perspective
is also reflected in the application areas and
opportunities addressed by the media. In order
to reduce public skepticism and build trust in new
technologies, it is important that the use of artificial
intelligence and algorithms in inclusion-relevant
key areas such as education, health and public
security, as well as the overall societal opportunities
offered by such systems, be addressed more often
in the reporting.

                                                                                                                        11
1    Ziel der Diskursanalyse

     Insbesondere bei individuell schwer greifbaren         tigen Positionen geprägt ist. Ein Projekt des Lever­
     und komplexen Phänomenen wie neuen Technolo­           hulme Centre for the Future of Intelligence und der
     gien, zu denen Algorithmen und künstliche Intel­       Royal Society kam nach mehreren Expertendiskus­
     ligenz gehören, beeinflusst der mediale Diskurs in     sionen zu dem Ergebnis, dass utopische und dys­
     hohem Maße, was Menschen darüber wissen, wie           topische Extreme sowie eine fehlende Diversität
     sie diese wahrnehmen, und letztlich auch, ob sie       von Akteuren den Diskurs bestimmen (The Royal
     sie akzeptieren. Mediale Berichterstattung kann        Society 2018). Eine Inhaltsanalyse verschiedener
     gegenüber neuen Technologien genauso zu überzo­        Medien in Großbritannien zeigte eine starke Domi­
     genen Erwartungen und Hoffnungen führen wie zu         nanz wirtschaftlicher Akteure und wirtschaftsbezo­
     vorschneller Skepsis. Studien weisen zudem da­rauf     gener Anlässe (z. B. neue Produkte oder Events der
     hin, dass in der Bevölkerung allgemein ein eher        Industrie) in der Berichterstattung. Dabei wurde
     geringes Wissen über Algorithmen und künstliche        künstliche Intelligenz (KI) überwiegend positiv kon­
     Intelligenz, ihre Einsatzfelder sowie Auswirkungen     notiert und als Lösung für vielfältige Probleme
     besteht (Fischer und Petersen 2018; Grzymek und        dargestellt (Brennen, Howard und Nielsen 2018).
     Puntschuh 2019). Eine informierte Vorstellung und      Auch eine Analyse der Berichterstattung der New
     entsprechend entwickelte Einstellung der Bevölke­      York Times im Zeitraum von 1986 bis 2016 ergab,
     rung sind jedoch eine wichtige Voraussetzung für       dass die Berichterstattung, die seit 2009 explo­
     eine inklusive gesellschaftliche Debatte über algo­    diert ist, mehr optimistische als pessimistische Arti­
     rithmische Systeme. Dabei leistet der mediale Dis­     kel enthielt und diese Tendenz über die Zeit kons­
     kurs einen zentralen Beitrag zu einer demokrati­       tant war. Die Sorge um einen Kontrollverlust und
     schen Meinungsbildung, wenn er verschiedenen           ethische Belange nahm allerdings im Zeitverlauf zu
     Perspektiven und Akteuren Raum und Stimme gibt.        (Fast und Horvitz 2016).
     Deshalb stellt sich die Frage, wie in Deutschland
     über Algorithmen und künstliche Intelligenz berich­    Auch die deutsche Debatte scheint aus einem sub­
     tet wird. Welche Perspektiven und Akteure sind         jektiven Eindruck heraus häufig von wirtschaft­
     im Diskurs vertreten? Wird die mediale Darstel­        lichen Utopien einerseits und gesellschaftlichen
     lung des Themas eher von wirtschaftlichen Belan­       Dystopien anderseits geprägt. Systematische
     gen beeinflusst, stehen gesellschaftliche Fragen im    Erkenntnisse über den medialen Diskurs zu Algo­
     Vordergrund oder sind eher technische Aspekte          rithmen und künstlicher Intelligenz in Deutschland
     prägend? Wird das Thema eher hoffnungsvoll oder        fehlen jedoch bislang. Aus diesem Grund unter­
     eher problembehaftet behandelt?                        sucht diese Studie, wie die Berichterstattung in
                                                            Deutschland tatsächlich aussieht. Dabei stehen fol­
     Studien aus Großbritannien und den USA deuten          gende Fragestellungen im Vordergrund, die sich
     darauf hin, dass der Diskurs über Algorithmen und      vor allem auf die Tonalität und die Diversität der
     künstliche Intelligenz oft von extremen oder einsei­   Berichterstattung fokussieren:

12
Ziel der Diskursanalyse

Welche Perspektiven sind im Diskurs
präsent?

Die Studie analysiert, über welche Themen berich­
tet wird und wie sich der Themenfokus im Zeitver­
lauf der letzten 15 Jahre entwickelt hat, welche
Themen im Laufe der Zeit an Relevanz gewinnen
und verlieren. Außerdem untersucht die Analyse,
welche unterschiedlichen Anwendungsbereiche
von Algorithmen und künstlicher Intelligenz in der
Berichterstattung vorkommen und welche Akteure
erwähnt bzw. zitiert werden (Kapitel 3.1).

Wie ist der Tenor des Diskurses?

Die Analyse untersucht, ob die Berichterstattung
insgesamt eher positiv und chancenorientiert oder
eher negativ und problembezogen ist. Darüber hin­
aus werden einzelne Chancen von Algorithmen
und künstlicher Intelligenz näher betrachtet (Kapi­
tel 3.2).

Welche Problemfelder und Handlungs­
empfehlungen bestimmen den Diskurs?

Neben den Chancen algorithmischer Systeme wer­
den auch die in der Berichterstattung dargestell­
ten Risiken und Problemfelder näher betrachtet.
Zudem wird untersucht, ob auch Handlungsemp­
fehlungen erwähnt werden, um den Risiken und
Problemen zu begegnen (Kapitel 3.3).

                                                                          13
2    Methodik und Datenkorpus

     Auch wenn man mit einer einzelnen Analyse kaum          men mit ihren jeweils charakteristischen Wörtern
     den gesamten Diskurs zum Thema künstliche Intel­        siehe Anhang, Tabelle A1). Diese Themen wurden
     ligenz und Algorithmen allumfassend untersuchen         auf ihre Prävalenz im Diskurs und ihre Entwicklung
     kann, so war es doch der Anspruch, die mediale          im Zeitverlauf untersucht.
     Debatte zum Thema soweit möglich in der Breite
     und in der Tiefe zu erfassen. Dieses Ziel hatte         Ergänzt wurde die Methode des Topic Modeling
     Auswirkungen auf die gewählte Methodik und die          durch eine standardisierte quantitative Inhaltsana­
     untersuchten Medien. Für die Studie wurde eine          lyse. Während das Topic Modeling es erlaubt, den
     Kombination aus zwei Methoden ausgewählt, mit           Diskurs und seine Themen anhand eines großen
     denen sich unterschiedliche Schwerpunkte erhe­          Datensets in der Breite zu analysieren, macht es
     ben lassen. Mit der Methode des Topic Modeling,         die quantitative Inhaltsanalyse möglich, eine klei­
     einer Form der computergestützten Inhaltsana­           nere Zufallsstichprobe des Datensets (150 Texte
     lyse, lassen sich Themen im Diskurs identifizieren.     aus Leitmedien und 150 Texte aus Fachblogs/-
     Sie erlaubt es, ein großes Datenset (in dieser Ana­     webseiten sowie 1000 Tweets; siehe Datenkorpus
     lyse circa 18.000 Texte) und einen langen Zeitraum      unten) in der Tiefe zu betrachten. Mit der quanti­
     zu untersuchen. In einem induktiven und unüber­         tativen Inhaltsanalyse können komplexere inhalt­
     wachten Verfahren analysiert ein Algorithmus eine       liche Kategorien wie Akteure, Tenor, Anwendungs­
     vorgegebene Anzahl an Texten und identifiziert in       bereiche, Handlungsempfehlungen sowie Chancen
     ihnen Wortverteilungsmuster. Auf der Basis von          und Risiken von künstlicher Intelligenz und Algo­
     Wahrscheinlichkeiten, mit denen bestimmte Wör­          rithmen untersucht werden. Diese Kategorien
     ter gemeinsam in Texten auftreten, bildet der Algo­     wurden vorab in einem Codebuch (siehe Anhang,
     rithmus dann Themen (sogenannte Topics). Für            Tabelle A2) festgelegt und definiert. Für die Twit­
     jedes Thema werden charakteristische Wörter und         ter-Daten wurde ein gekürztes Codebuch (siehe
     Texte ausgegeben, mit deren Hilfe das Thema inter­      Anhang, Tabelle A3) verwendet, da aufgrund der
     pretiert und benannt werden kann. Im Rahmen             Kürze der Tweets davon ausgegangen wurde, dass
     der Analyse wurde eine Reihe von sogenannten            komplexere Kategorien wie einzelne Chancen und
     STM-Themenmodellen (Structural Topic Modeling,          Risiken oder Handlungsempfehlungen kaum vor­
     Roberts, Stewart und Tingley 2016) gerechnet.           kommen. Auf dieser Grundlage analysierten drei
                                                             menschliche Coder die Teilstichprobe des Daten­
     Eine Variante mit 60 Topics wurde als stabilste         sets. Zuvor wurde ein Pretest mit 100 Beiträgen
     Lösung ausgewählt. Das Modell wurde dann um             von zwei Codern durchgeführt. Die Intercoderreli­
     Topics bereinigt, die keinen inhaltlichen Bezug zum     abilität war gut (Krippendorff’s α = ,824).
     Untersuchungsthema hatten oder es nur am Rande
     erwähnten, aber als Fokus ein anderes Thema             In beiden Analysen wurden Texte aus den letz­
     behandelten (z. B. nicht künstliche Intelligenz, son­   ten 15 Jahren betrachtet. Der Erhebungszeitraum
     dern Außenpolitik). Das bereinigte Modell enthält       erstreckt sich von Januar 2005 bis Juni 2020. Der
     18 Themen (für eine Überblickstabelle dieser The­       Datenkorpus für die Analyse setzt sich aus drei

14
Methodik und Datenkorpus

unterschiedlichen Medientypen zusammen. Den            TABELLE 2. Teilkorpus Leitmedien
Fokus der Untersuchung stellen Pressetexte aus
                                                       Quellen                                     Beiträge
deutschen Leitmedien dar. Der Diskurs zum Thema
künstliche Intelligenz und Algorithmen ist jedoch      Der Spiegel                                      97
nicht ausschließlich auf die Presse beschränkt.        Spiegel Online                                  987
Gerade im Internet findet er auch in Fachmedien
                                                       Der Tagesspiegel                                738
und in den sozialen Medien wie Twitter statt. Aus
diesem Grund wurden neben Pressetexten aus             Der Tagesspiegel Online                         683
überregionalen Zeitungen auch Texte aus ausge­         BILD Plus                                       110
wählten Fachblogs und -webseiten sowie Tweets
                                                       bild.de + BILD print                            189
einschlägiger Twitter-Profile in die Untersuchung
mit einbezogen. Die einzelnen Teilkorpusse wurden      Die Welt                                        755
wie folgt zusammengestellt:
                                                       WELT online                                   1.531

Leitmedien: Es wurden überregionale Zeitungen          Die Zeit                                        407

(Tageszeitungen, Wochenzeitungen sowie deren           Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)          1.711
Onlineausgaben) untersucht, da man davon aus­
                                                       Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung          399
gehen kann, dass diese eher über ein spezifisches      (FAS)
Fachthema wie künstliche Intelligenz und Algorith­
                                                       Focus                                           200
men berichten als regionale und lokale Zeitungen
(Tabelle 2). Die Pressetexte wurden über die Daten­    Focus Online                                  1.099
bank Dow Jones Factiva mittels einer Stichwortsu­      Handelsblatt Online + Print                   1.383
che mit den in Tabelle 1 angegebenen Suchtermen
                                                       Süddeutsche Zeitung (SZ)                      1.407
im Juni 2020 ermittelt.
                                                       Süddeutsche Zeitung Online                      347
 TABELLE 1. Suchterme der Stichwortsuche                                                            12.993
 nach Pressetexten in Dow Jones Factiva
                                                       Quelle: eigene Darstellung
 Suchterme Pressetexte

 „Künstliche Intelligenz“                             Fachblogs und -webseiten: Für die Suche nach Fach­
 „KI“                                                 medien wurde der Subkorpus „IT-Blogs“ des Digita­
                                                      len Wörterbuchs der Deutschen Sprache (DWDS)
 „Algorithmus“
                                                      (https://www.dwds.de/d/korpora/it_blogs) nach Bei­
 „Algorithmen“                                        trägen durchsucht, die Verweise auf künstliche Intel­
 „Algorithmische Entscheidungen“
                                                      ligenz und Algorithmen enthalten. Es wurden diesel­
                                                      ben Suchterme wie für die Pressetexte verwendet
 „Automatisierte Entscheidungsfindung“
                                                      (siehe Tabelle 1). Um eine vergleichbare Stichprobe
 „ADM“                                                zum Teilkorpus der Leitmedien zu erhalten, wur­
                                                      den die Ergebnisse wiederum so gefiltert, dass eine
 „Maschinelles Lernen“
                                                      kleine Liste besonders sichtbarer Fachblogs und
 „Maschinenlernen“                                    -webseiten zurückblieb, die das Thema künstliche
 „Maschinenlernverfahren“                             Intelligenz und Algorithmen nicht ausschließlich aus
                                                      einer technischen Perspektive behandeln. Die Texte
 „Artificial intelligence“
                                                      der ausgewählten Fachblogs und -webseiten (Tabelle
 „Machine learning“                                   3) wurden mit dem von Adrien Barbaresi entwi­
 Quelle: eigene Darstellung                           ckelten Web-Scraper trafilatura (https://github.com/
                                                      adbar/trafilatura) im Juni 2020 extrahiert.

                                                                                                                     15
Methodik und Datenkorpus

            TABELLE 3. Teilkorpus Fachblogs und                     Die folgenden Ergebnisse sind vor dem Hintergrund
            -webseiten                                              zu betrachten, dass sich die Analysen auf den Dis­
                                                                    kurs der letzten 15 Jahre beziehen. Es ist zu vermu­
            Quellen                                   Beiträge
                                                                    ten, dass der mediale Diskurs sich in der jüngeren
            www.heise.de                                 162        Vergangenheit weiterentwickelt hat, da es in den
            netzpolitik.org                              654        letzten Jahren sowohl in Deutschland als auch auf
                                                                    europäischer Ebene zahlreiche politische Bemü­
            www.bigdata-insider.de                       654
                                                                    hungen gab, einen regulatorischen Rahmen zu set­
            www.golem.de                                 303        zen sowie die ethische Gestaltung algorithmischer
            www.googlewatchblog.de                       578
                                                                    Systeme zu forcieren. Dies kann etwa Auswirkun­
                                                                    gen auf die im Diskurs erwähnten Akteure, Themen
            mixed.de                                     693
                                                                    und Handlungsempfehlungen haben. Da allerdings
            www.it-daily.net                             998        etwas über 50 Prozent der Texte aus der Zufalls­
                                                                    stichprobe der Inhaltsanalyse aus den letzten fünf
            www.zdnet.de                                 875
                                                                    Jahren stammen, lassen sich aus den Ergebnissen
                                                       4.917        der Analysen auch Erkenntnisse ziehen, die für die
            Quelle: eigene Darstellung                              aktuelle und künftige Situation Relevanz haben.

          Twitter: Um einschlägige Tweets zu identifizieren,
          diente die von Felix Münch entwickelte Datenbank
          RADICES als Grundlage, die die deutsche Twitter-
          Sphäre abbildet. Gesucht wurde zunächst nach
          Nutzerprofilen, die Stichwörter verwenden, die
          auf ein Interesse an bzw. eine Beschäftigung mit
          dem Thema künstliche Intelligenz und Algorithmen
          schließen lassen (Stichwörter: „Künstliche Intelli­
          genz“, „Algorithmus“, „Algorithmen“, „Artificial Intel­
          ligence“, „KI“, „AI“). Auf diese Weise wurden 605
          deutschsprachige Twitter-Nutzer:innen mit insge­
          samt 397.081 Tweets identifiziert (für die Liste der
          Twitter-User siehe Anhang, Tabelle A4).

16
3         Ergebnisse

          Im Folgenden werden die Ergebnisse der computer­                        Welche Perspektiven sind im Diskurs präsent?
          gestützten Inhaltsanalyse (Topic Modeling) sowie
          Resultate ausgewählter Kategorien aus der manu­                        3.1	Wenig vielfältig: Wirtschaftliche
          ellen Inhaltsanalyse dargestellt.                                           Themen und Akteure dominieren
                                                                                      den Diskurs

                                                                                 Zunächst stellte sich die Frage, ob das Untersu­
                                                                                 chungsthema künstliche Intelligenz und Algorith­
                                                                                 men an sich überhaupt im öffentlichen Diskurs auf­
                                                                                 taucht und wie sich seine Relevanz in den letzten

ABBILDUNG 1. Das Thema KI und Algorithmen gewinnt in den letzten zehn Jahren an Relevanz
4.000

3.500

3.000

2.500

2.000

1.500

1.000

    500

      0
           2005     2006     2007     2008     2009     2010     2011     2012     2013   2014   2015   2016   2017   2018   2019     2020

          Fachblogs/-webseiten                          Leitmedien

Anzahl der Beiträge im Zeitverlauf.
Untersuchungszeitraum 01/2005–06/2020. Werte für 2020 für das ganze Jahr hochgerechnet.
Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

                                                                                                                                             17
Ergebnisse

     ABBILDUNG 2. Wirtschaftliche Themen sind präsenter im Diskurs als gesellschaftspolitische Felder
     12 %
                       Wirtschaftliche Themen                                                 Technische Themen                                                               Gesellschaftspolitische Themen
                               42,5 %                                                                26 %                                                                                 31,5 %
     10 %

      8%

      6%

      4%

      2%

      0%
              Google

                                      Wettbewerb

                                                     Finanzen

                                                                                                                                                                                                                                    Demokratie
                                                                                                                                                                                              Privatsphäre
                                   Internationaler

                                                                Arbeitswelt

                                                                                          IT-Sicherheit

                                                                                                                                                  Mobilität

                                                                                                                                                                                                             Gesundheit
                                                                                                                                                                               Gesellschaft
                        Facebook

                                                                                                          Machine Learning

                                                                                                                                                                                                                          Bildung

                                                                                                                                                                                                                                                 Regulierung
                                                                                                                             Cloud Computing

                                                                                                                                                                                                                                                  Staatliche

                                                                                                                                                                                                                                                               Strafverfolgung
                                                                              Start-ups

                                                                                                                                                              Wissenschaft/
                                                                                                                                                                 Forschung

     Themenanteile am Korpus
     Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

               15 Jahren entwickelt hat. Die Analyse zeigt hier                                                                                zu technischen Anwendungsfeldern bzw. Unter­
               ein deutliches Bild: Während das Thema zwischen                                                                                 bereichen von künstlicher Intelligenz (z. B. Cloud
               2005 und 2010 sowohl in Leitmedien als auch auf                                                                                 Computing und Maschine Learning). Mithilfe der
               Fachblogs und -webseiten noch kaum aufgriffen                                                                                   Beispieltexte konnten die einzelnen Topics drei
               wurde, steigt die Anzahl der Artikel in den letzten                                                                             Themenbereichen zugeordnet und weiter aggre­
               zehn Jahren immer stärker an, vor allem in den Leit­                                                                            giert werden: Es ergibt sich ein wirtschaftlicher, ein
               medien (Abbildung 1).                                                                                                           gesellschaftspolitischer und ein technischer The­
                                                                                                                                               menbereich (Abbildung 2).
               Die computergestützte Inhaltsanalyse untersuchte
               dann die Themen innerhalb des Diskurses. Ein Algo­                                                                              Mit Blick auf die Anteile der Topics am Diskurs
               rithmus generierte die Themen induktiv aus dem                                                                                  zeigt sich, dass vor allem einzelne wirtschaftliche
               vorhandenen Material heraus. Es wurde ein berei­                                                                                Aspekte einen größeren Anteil am Diskurs ein­
               nigtes Modell mit 18 Themen (Topics) genutzt,                                                                                   nehmen als technische oder gesellschaftspoliti­
               die primär Algorithmen und künstliche Intelligenz                                                                               sche Themen. Große Technologieunternehmen wie
               behandeln. Die Topics wurden mithilfe der ausgege­                                                                              Google und Facebook nehmen in der Debatte mit
               benen charakteristischen Wörter und Beispieltexte                                                                               den größten Raum ein, aber auch der internationale
               benannt (siehe im Anhang, Tabelle A1). Die Themen                                                                               Wettbewerb zwischen USA, China und Europa wird
               reichen von verschiedenen Einsatzgebieten künst­                                                                                häufig thematisiert. Bei den technischen Themen
               licher Intelligenz (z. B. Arbeitswelt, Bildung, Medi­                                                                           kommt das Thema IT-Sicherheit am häufigsten vor.
               zin), über einsetzende Akteure (z. B. Google, Face­                                                                             Es gibt eine größere Bandbreite gesellschaftspoliti­
               book, Start-ups) und politische Handlungsfelder                                                                                 scher Themen im Diskurs. Einzelne gesellschaftspo­
               (z. B. staatliche Regulierung, Privatsphäre) bis hin                                                                            litische Themen nehmen jedoch weniger Anteil am

18
Ergebnisse

ABBILDUNG 3A. Wirtschaftliche und technische Themen gewinnen, gesellschaftspolitische Themen verlieren im
               Zeitverlauf an Relevanz
  70 %

  60 %

  50 %

  40 %

  30 %

  20 %

  10 %

   0%
            2005     2006     2007     2008     2009     2010     2011     2012     2013   2014   2015    2016   2017   2018   2019      2020

         Wirtschaftliche Themen                        Technische Themen                   Gesellschaftspolitische Themen

Themenanteile am Korpus im Zeitverlauf
Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

          Diskurs ein als einzelne wirtschaftliche oder techni­                  suchungszeitraums zwischen 2005 und 2008 war
          sche Themen. Während Themen wie Forschung und                          das Thema Wissenschaft/Forschung noch sehr prä­
          Arbeitswelt noch häufiger auftauchen, haben zen­                       sent im Diskurs. Im Vordergrund der Berichterstat­
          trale gesellschaftspolitische Themen wie Gesund­                       tung stand dabei der Einsatz von Algorithmen und
          heit, Bildung oder Demokratie nur einen geringen                       künstlicher Intelligenz in Forschungsprojekten aus
          Anteil am Diskurs rund um Algorithmen und künst­                       z. B. der Physik oder Medizin, die mithilfe der neuen
          liche Intelligenz (siehe Abbildung 2). Im Vergleich                    Technologien zu neuen hilfreichen Anwendungen in
          dazu sind die Anteile der einzelnen wirtschaftli­                      Bereichen wie etwa Klimaschutz oder Gesundheit
          chen Themen (mit Ausnahme des Themas Start-                            führten. Der Diskurs entwickelte sich dann jedoch
          ups) mehr als doppelt so hoch.                                         von dieser stark wissenschaftlich geprägten hin
                                                                                 zu einer von wirtschaftlichen Themen geprägten
          Im Zeitverlauf der letzten 15 Jahre zeigt sich zudem,                  Debatte (Abbildung 3A). Unter den wirtschaftlichen
          dass der Anteil der gesellschaftspolitischen The­                      Themen gewinnt insbesondere in den vergangenen
          men am Diskurs über die Zeit stark zurückgegan­                        Jahren der internationale Wettbewerb zwischen
          gen ist. Die wirtschaftlichen und technischen The­                     Europa, USA und China an Relevanz (Abbildung 3B).
          men haben hingegen an Relevanz zugenommen und
          sind gerade in den vergangenen zwei bis drei Jah­                      Neben den Themen des Topic Modeling, die ein
          ren stärker im Diskurs präsent als die gesellschafts­                  Algorithmus induktiv aus dem Material generierte
          politischen Themen. Auf der Ebene einzelner The­                       und unter denen sich bereits manche Einsatzge­
          men spiegelt sich diese Entwicklung vor allem in                       biete von Algorithmen und künstlicher Intelligenz
          den Topics „Wissenschaft/Forschung“ und „interna­                      zeigten, wurden in der manuellen Inhaltsanalyse
          tionaler Wettbewerb“ wider. Zu Beginn des Unter­                       zudem wichtige Anwendungsbereiche im Codebuch

                                                                                                                                                19
Ergebnisse

     ABBILDUNG 3B. Wirtschaftliche und technische Themen gewinnen, gesellschaftspolitische Themen verlieren im
                    Zeitverlauf an Relevanz
       70 %

       60 %

       50 %

       40 %

       30 %

       20 %

       10 %

        0%
                 2005     2006     2007     2008     2009     2010     2011     2012    2013   2014    2015   2016   2017   2018   2019     2020

              Wissenschaft/Forschung                          Internationaler Wettbewerb

     Themenanteile am Korpus im Zeitverlauf
     Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

               vorgegeben (siehe Codebuch im Anhang, Tabelle                          che wie Gesundheit oder Bildung in Verbindung
               A2). Hier zeigt sich, dass der Wirtschaftsfokus sich                   mit künstlicher Intelligenz und Algorithmen berich­
               jedoch in den medial erwähnten Anwendungsbe­                           tet wird. Erwähnenswert ist auch der Umstand, dass
               reichen sehr spezifisch widerspiegelt. Der Bereich                     das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz in Ver­
               Industrie ist hier nicht, wie man auf Basis der bis­                   bindung mit Algorithmen und künstlicher Intelli­
               herigen Ergebnisse vielleicht erwarten könnte, am                      genz nur sehr selten im Diskurs auftaucht. Auch
               häufigsten vertreten. Vielmehr konzentriert sich                       Chancen und Risiken derartiger Systeme für den
               die mediale Auseinandersetzung auf digitale All­                       Klimaschutz werden kaum angesprochen (siehe
               tagstechnologien, wie den Einsatz von künstlicher                      Kapitel 3.2 und 3.3).
               Intelligenz und Algorithmen im IT-Bereich und digi­
               taler In­fra­struktur (z. B. Schutz vor Cyberangriffen,                Den Ergebnissen der Inhaltsanalyse zufolge schei­
               Einsatz im E-Commerce) sowie Alltagsassistenz­                         nen die Medien eher den digitalen Raum als die
               systeme (z. B. Sprachassistenten wie Siri oder Bil­                    analoge Realität zu diskutieren (Abbildung 4). 20
               derkennungssoftware). Daneben wird der Einsatz                         Prozent der in der Inhaltsanalyse untersuchten
               von Algorithmen und künstlicher Intelligenz bei                        Artikel drehen sich um digitale Infrastruktur (60
               sozialen Medien (z. B. Facebook und Youtube) häu­                      von 300 Artikeln). Alltagsassistenzsysteme wie
               fig thematisiert. Die Ergebnisse des Topic Mode­                       Siri und Alexa werden in 18 Prozent der Arti­
               ling für die Themen, die sich auf Einsatzgebiete von                   kel thematisiert (54 von 300 Artikeln). Immer­
               Algorithmen und künstlicher Intelligenz beziehen,                      hin 9 Prozent der analysierten Artikel beschäfti­
               werden durch die manuelle Inhaltsanalyse bestä­                        gen sich mit KI und algorithmischen Systemen im
               tigt. Auch sie zeigt, dass nur vergleichsweise sel­                    Gesundheitswesen (26 von 300 Artikeln), Auswir­
               ten über zentrale analoge gesellschaftliche Berei­                     kungen auf Bereiche wie Bildung oder den Klima­

20
Ergebnisse

ABBILDUNG 4. Digitale Alltagstechnologien im Fokus, Auswirkungen auf das analoge Leben werden kaum
              thematisiert
70

60

50

40

30

20

10

  0
       Digitale Alltags- Soziale       Unter- Verkehr/ Finanzen Industrie Medizin/ Personal- Sicherheit/ Öffent-   Bildung Energie/    Land-
        Infra- assistenz- Medien       haltung Mobilität                  Gesund- wesen Polizei/ licher                     Klima-      wirt-
       struktur systeme                                                     heit                Justiz   Sektor             schutz     schaft

Anzahl der zu bestimmten Anwendungsbereichen von KI und Algorithmen zugeordneten Artikel (n = 363; Erwähnung
mehrerer Anwendungsbereiche pro Artikel möglich)
Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

          schutz tauchen hingegen in nur in etwa 1 Prozent                       abgebildet werden (Tages- und Wochenzeitun­
          der analysierten Artikel auf (4 bzw. 2 von 300 Arti­                   gen sowie politische Ausrichtung). Daraus ergeben
          keln). Doch gerade in solchen gemeinwohlrelevan­                       sich bei den thematisierten Anwendungsbereichen
          ten Bereichen kann der Einsatz künstlicher Intel­                      unterschiedliche Schwerpunkte: So berichtet das
          ligenz weitreichende Folgen für die Gesellschaft                       Handelsblatt erwartungsgemäß häufig über wirt­
          haben. Im jüngst veröffentlichten Automating Soci­                     schaftsnahe Themen, wie z. B. digitale Infrastruk­
          ety Report 2020 wurde gezeigt, dass in vielen euro­                    tur/IT sowie Algorithmen und künstliche Intelligenz
          päischen Ländern algorithmische Systeme bereits                        in der Industrie, im Finanzsektor und im Personal­
          in zahlreichen solcher zen­tralen, teilhaberelevan­                    wesen. Bei der Frankfurter Allgemeine Zeitung fal­
          ten Bereiche genutzt werden (Chiusi et al. 2020).                      len die Anwendungsbereiche Soziale Medien und
          Diese Anwendungsbereiche sind jedoch im unter­                         Alltagsassistenzsystem als Schwerpunkte auf. Letz­
          suchten Diskurs in Deutschland offenkundig unter­                      teres Thema wird ebenso wie Digitale Infrastruk­
          repräsentiert.                                                         tur/IT auch von der BILD oft aufgegriffen. Die Süd­
                                                                                 deutsche Zeitung sowie die Zeit behandeln häufiger
          Ein genauerer Blick auf verschiedene Leitmedien                        als andere Medien den Bereich Gesundheit und
          zeigt, dass diese durchaus unterschiedlich über das                    Medizin und greifen in der Stichprobe als einzige
          Thema Algorithmen und künstliche Intelligenz und                       das Thema Algorithmen und künstliche Intelligenz
          ihre Anwendungsbereiche berichten (Abbildung 5).                       in der Bildung auf – ein Anwendungsbereich, der
          Für einen Vergleich einzelner Medien wurden die­                       relativ selten im medialen Diskurs vorkommt.
          jenigen ausgewählt, die einen relativ großen Anteil
          an Texten im Korpus ausmachen. Zudem sollte
          ein gewisses Spektrum unterschiedlicher Medien

                                                                                                                                                21
Ergebnisse

     ABBILDUNG 5. Verschiedene Leitmedien setzen unterschiedliche Schwerpunkte in der Berichterstattung
     30 %
                                            FAZ                                        Handelsblatt                                    SZ                          Die Zeit                                                 Bild

     25 %

     20 %

     15 %

     10 %

       5%

       0%
                                                                      Soziale Medien

                                                                                                                            Finanzen

                                                                                                                                            Industrie
                                            Alltagsassistenzsysteme

                                                                                                                                                                                Personalwesen

                                                                                                                                                                                                Sicherheit/Polizei/Justiz

                                                                                                                                                                                                                                                               Energie (auch Klimaschutz)
                                                                                                        Verkehr/Mobilität

                                                                                                                                                           Medizin/Gesundheit

                                                                                                                                                                                                                                                                                            Landwirtschaft
                                                                                         Unterhaltung

                                                                                                                                                                                                                                                     Bildung
               Digitale Infrastruktur/ IT

                                                                                                                                                                                                                               Öffentlicher Sektor

     Anteil der Artikel zu bestimmten Anwendungsbereichen von KI und Algorithmen in ausgewählten Medien
     Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

               Neben den Anwendungsbereichen untersuchte die                                                                                            Auch die Zivilgesellschaft wird nur selten in Arti­
               Inhaltsanalyse zudem, welche Akteure in den Arti­                                                                                        keln erwähnt. Die Wissenschaft sowie Bürger:innen
               keln und Tweets zu Algorithmen und künstlicher                                                                                           als Nutzer:innen der Technologien werden etwas
               Intelligenz erwähnt und zitiert sind (Abbildung 6).                                                                                      öfter als die Zivilgesellschaft und politische Akteure
               Auch bei den in den Artikeln genannten Akteuren                                                                                          genannt. Bürger:innen, wie auch die Zivilgesell­
               dominieren wirtschaftliche Akteure den Diskurs.                                                                                          schaft werden jedoch häufiger auf Fachblogs und
               Verglichen mit dem größeren Datenset des Topic                                                                                           -webseiten berücksichtigt als in den Leitmedien.
               Modeling, in dem die Themen „Google“ und „Face­
               book“ einen verhältnismäßig großen Anteil an der                                                                                         Ähnlich wie bei den erwähnten Akteuren über­
               Berichterstattung einnahmen, zeigt die Inhaltsana­                                                                                       wiegt auch bei den Akteuren, die im Diskurs zitiert
               lyse ähnliche Ergebnisse. Vor allem über internatio­                                                                                     werden, klar die Wirtschaft (Abbildung 7). Neben
               nale wirtschaftliche Akteure wird häufig berichtet.                                                                                      ihr kommt auch die Wissenschaft häufig zu Wort.
               Auch nationale wirtschaftliche Akteure kommen                                                                                            In Texten, in denen es vor allem um Produkt- und
               vergleichsweise oft vor. Politische Akteure auf nati­                                                                                    Anwendungsneuheiten geht, kann man vermuten,
               onaler wie auch auf europäischer Ebene tauchen                                                                                           dass Wissenschaftler:innen zitiert werden, um der
               hingegen nur selten auf – obwohl beispielsweise                                                                                          vorgestellten Innovation mit ihrer fachlichen Exper­
               parallel zum Anstieg der medialen Auseinander­                                                                                           tise mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Stimmen
               setzung (siehe Abbildung 1) auch die Beschäfti­                                                                                          aus der Zivilgesellschaft und vor allem aus der Poli­
               gung des Bundestages mit dem Begriff Algorithmen                                                                                         tik finden hingegen kaum Gehör im Diskurs über
               deutlich zugenommen hat (Biermann et al. 2019).                                                                                          Algorithmen und künstliche Intelligenz.

22
Ergebnisse

ABBILDUNG 6. Wirtschaftliche Akteure dominieren den Diskurs über KI und Algorithmen
100

 90

 80

 70

 60

 50

 40

 30

 20

 10

  0
         Wirtschaft       Wirtschaft     Wissenschaft      Verwaltung         Politik       Politik       Politik       Zivil-      Bürger:innen
          national       international                                       national    international      EU       gesellschaft

Anzahl der Artikel, in denen bestimmte Akteure erwähnt werden (n = 294)
Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

ABBILDUNG 7. Politik und Zivilgesellschaft haben kaum eine Stimme im Diskurs um KI und Algorithmen
70

60

50

40

30

20

10

 0
        Wirtschaft      Wirtschaft       Wissenschaft     Verwaltung         Politik       Politik       Politik       Zivil-       Bürger:innen
         national      international                                        national    international      EU       gesellschaft

Anzahl der Artikel, in denen bestimmte Akteure zitiert werden (n = 294)
Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

                                                                                                                                                   23
Ergebnisse

               Noch stärker als bei den Themen zeigt sich also bei                     wie sich der Tenor der medialen Berichterstattung
               den Akteuren, die den Diskurs über Algorithmen                          darstellt. Werden eher Vorteile und Chancen the­
               und künstliche Intelligenz prägen, ein deutlicher                       matisiert oder überwiegen Nachteile und Risiken?
               Fokus auf die Wirtschaft und damit eine fehlende                        Ist der Diskurs tatsächlich polarisiert zwischen
               Diversität, die unterschiedlichen gesellschaftlichen                    gesellschaftlichen Dystopien einerseits und wirt­
               Gruppen Raum und Stimme in der öffentlichen                             schaftlichen Utopien andererseits, wie eingangs
               Meinungsbildung einräumen würde. In 37 Prozent                          skizziert? Die Inhaltsanalyse zeigt, dass deutlich
               der Artikel kommen Vertreter:innen aus der Wirt­                        häufiger Chancen und Vorteile thematisiert wer­
               schaft zu Wort (112 von 300 Artikeln). Politische                       den (42 Prozent der analysierten Artikel) als Risi­
               Akteure hingegen werden nur in 7 Prozent, Perso­                        ken und Probleme künstlicher Intelligenz und Algo­
               nen aus der Zivilgesellschaft sogar nur in 4 Prozent                    rithmen (12 Prozent der analysierten Artikel). Dies
               der analysierten Artikel zitiert (20 bzw. 12 von 300                    gilt sowohl für die Leitmedien als auch für Fach­
               Artikeln).                                                              blogs und -webseiten sowie Twitter (Abbildung
                                                                                       8). Der Diskurs über künstliche Intelligenz und
                                                                                       Algorithmen erscheint insgesamt von einer positi­
                 Wie ist der Tenor des Diskurses?                                      ven Vision wirtschaftlichen Fortschritts dominiert,
                                                                                       in der künstliche Intelligenz und Algorithmen vor
               3.2	Überwiegend positiv: Der                                           allem Innovationen hervorbringen, die das alltäg­
                    Diskurs ist stark von der                                          liche Leben des einzelnen Nutzers bzw. der einzel­
                    Chancenperspektive geprägt                                         nen Nutzerin verbessern. Gesellschaftliche Dysto­
                                                                                       pien, wie etwa die Verdrängung oder das Ersetzen
               Ausgehend von der Annahme, dass der mediale Dis­                        von Menschen und damit einhergehende Arbeits­
               kurs die Wahrnehmung und Akzeptanz von neuen                            platzverluste durch künstliche Intelligenz, werden
               Technologien wie künstlicher Intelligenz und Algo­                      in der Berichterstattung hingegen nur selten dar­
               rithmen prägt, war eine zentrale Frage der Analyse,                     gestellt (siehe Kapitel 3.3).

     ABBILDUNG 8. Über KI und Algorithmen wird überwiegend positiv berichtet

                  Leitmedien

     Fachblogs/-webseiten

                        Twitter

                                  0     50     100      150     200      250     300      350   400    450   500    550   600    650   700   750

              positiv                     neutral                      negativ

     Anzahl der Beiträge mit einem bestimmten Tenor in Leitmedien, Fachblogs/-webseiten und auf Twitter (n = 1.212)
     Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

24
Ergebnisse

          In den verschiedenen Leitmedien, die für eine                          Der vertiefte Blick in die positive Berichterstattung
          nähere Betrachtung ausgewählt wurden, deuten                           über Chancen von künstlicher Intelligenz und Algo­
          sich mit Blick auf den Tenor der Berichterstattung                     rithmen zeigt: Hier dominieren vor allem ökonomi­
          Unterschiede an, auch wenn diese aufgrund rela­                        sche Potenziale wie Effizienzsteigerung und der all­
          tiv geringer Fallzahlen in der Analyse vorsichtig zu                   gemeine wirtschaftliche Fortschritt durch solche
          interpretieren sind. So scheinen in der Tendenz die                    Technologien (Abbildung 11). Daneben überwiegen
          BILD und das Handelsblatt ganz überwiegend posi­                       Vorteile für den einzelnen Nutzer bzw. die einzelne
          tiv über Algorithmen und künstliche Intelligenz zu                     Nutzerin wie die Personalisierung von Angeboten
          berichten. In der Zeit, der Süddeutschen Zeitung                       oder die Optimierung menschlicher Fähigkeiten
          sowie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung scheint                      durch technologische Unterstützung (z. B. Über­
          die Berichterstattung hingegen mit Blick auf ihren                     setzungsdienste oder Apps zur Unterstützung
          Tenor ausgewogener zu sein (Abbildung 9).                              von Behinderten). Chancen auf eher gesamtge­
                                                                                 sellschaftlicher Ebene wie etwa durch eine bes­
          Ein genauerer Blick auf die Anlässe der Bericht­                       sere Verteilung knapper öffentlicher Ressourcen
          erstattung und die thematisierten Chancen legt                         (z. B. Schulplätze oder Einsatzkräfte der Feuerwehr)
          nahe, dass diese positive Ausrichtung des Diskur­                      oder durch die Prävention negativer Ereignisse (z. B.
          ses vor allem auf die Dominanz wirtschaftlicher                        vorhersagende Polizeiarbeit oder Risiko­bewertung
          Belange zurückzuführen ist (Abbildung 10). Denn                        von Kindesmissbrauch durch Jugend­ämter) werden
          bei den Anlässen für eine Berichterstattung über                       seltener thematisiert.
          künstliche Intelligenz und Algorithmen überwie­
          gen Produkt- und Anwendungsneuheiten deutlich
          gegenüber allen anderen Anlässen wie etwa der
          Veröffentlichung wissenschaftlicher Studien oder
          Events. Bemerkenswert ist, dass politische Ent­
          scheidungen oder Ereignisse nur selten Anlass für
          die Berichterstattung zum Thema Algorithmen und
          künstliche Intelligenz sind.

ABBILDUNG 9. Verschiedene Leitmedien unterscheiden sich im Tenor der Berichterstattung

           FAZ

Handelsblatt

            SZ

      Die Zeit

           Bild

                  0%                      20 %                       40 %                    60 %                  80 %                   100 %

         positiv                     neutral                      negativ

Anteil der Artikel mit einem bestimmten Tenor in ausgewählten Leitmedien
Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

                                                                                                                                                  25
Ergebnisse

     ABBILDUNG 10. Produkt- und Anwendungsneuheiten sind der häufigste Anlass für Berichterstattung über KI und
                    Algorithmen
     120

     100

      80

      60

      40

      20

       0
              Produktneuheit/           Veröffentlichung               Events              Negative                  Positive           Regulierung/
             Anwendungsneuheit          wissenschaftliche                                  Ereignisse               Ereignisse           Politische
                                             Studie                                                                                    Entscheidungen

     Anzahl der Artikel zu bestimmten Anlässen der Berichterstattung in Leitmedien, Fachblogs/-webseiten (n = 257)
     Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

     ABBILDUNG 11. Wirtschaftliche Chancen, Personalisierung und Optimierung stehen im Diskurs im Vordergrund
     120
     110
     100
      90
      80
      70
      60
      50
      40
      30
      20
      10
       0
            Wirtschaftl. Effizienz- Optimierung Personali-           Mehr     Prävention      Mehr       Mehr           Bessere      Mehr Nachhaltigkeit/
            Fortschritt/ steigerung menschl.     sierung           Zugang zu     neg.         Zeit       staatl.      Ressourcen-   Fairness Klimaschutz
            Innovation               Fähigkeiten                   Leistungen Ereignisse                Kontrolle      verteilung

     Anzahl der Artikel zu bestimmten Chancen von KI und Algorithmen (n = 487; Erwähnung mehrerer Chancen pro
     Artikel möglich)
     Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

26
Ergebnisse

            Welche Problemfelder und Hand­lungs-­                                Stattdessen erscheint der Diskurs erstaunlich
            empfehlungen bestimmen den Diskurs?                                  lösungsorientiert dafür, dass es sich um Texte aus
                                                                                 den letzten 15 Jahren handelt, von denen etwas
          3.3	Erstaunlich lösungsorientiert:                                    über die Hälfte aus den letzten fünf Jahren stammt.
               Notwendiger Kompetenzaufbau                                       Immerhin ein Drittel der analysierten Texte aus
               steht im Fokus des Diskurses                                      Leitmedien und Fachblogs bzw. -webseiten enthält
                                                                                 konkrete Handlungsempfehlungen und Lösungsan­
          Auch wenn der Diskurs einen klar positiven Tenor                       sätze. Dieser Anteil dürfte vermutlich sogar noch
          aufweist, werden dennoch wichtige Problemfelder                        höher ausfallen, wenn man sich ausschließlich auf
          und Risiken thematisiert (Abbildung 12). Beson­                        Texte aus den letzten Jahren bezöge – die öffent­
          ders häufig tauchen dabei die Herausforderungen                        liche Debatte hat sich zuletzt merklich von allge­
          einer fehlenden KI-Kompetenz und eines mangeln­                        meiner Sensibilisierung hin zu konkreteren Maß­
          den Verständnisses von künstlicher Intelligenz und                     nahmen entwickelt. Zwischen Leitmedien und
          Algorithmen sowie Defizite bei Aufsicht und Kon­                       Fachblogs und -webseiten zeigten sich keine Unter­
          trolle von algorithmischen Systemen auf. Als weitere                   schiede hinsichtlich des Anteils der thematisierten
          Probleme werden häufig Intransparenz und Daten­                        Handlungsempfehlungen.
          schutzrisiken erwähnt. Das Risiko, dass Technologien
          wie künstliche Intelligenz den Menschen ersetzen                       Ein genauerer Blick auf die Handlungsempfehlun­
          und zu Arbeitsplatzverlusten führen, ist hingegen                      gen zeigt jedoch, dass es hier einen klaren Fokus
          anders als vielleicht erwartet nur selten Thema.                       auf den Kompetenzaufbau in der Bevölkerung und

ABBILDUNG 12. Die fehlende KI-Kompetenz, eine fehlende Aufsicht über den Einsatz von KI sowie die Intransparenz
               der Systeme zählen zu den am häufigsten thematisierten Risiken
45

40

35

30

25

20

15

10

 5

 0
       Fehlende     Fehlende     In-             Daten-    Zu viel staat- Diskrimi-    Fehlende/   Monopole/ Ersetzen des Effizienz-    Nach-
          KI-       Aufsicht transparenz         schutz-    liche/unter- nierung        unklare    fehlende Menschen/        falle    haltigkeit/
      Kompetenz     über den                     risiken   nehmerische                  Haftung     Vielfalt Arbeitsplatz-           Klimaschutz
                    KI-Einsatz                                Kontrolle                                        verluste

Anzahl der Artikel zu bestimmten Risiken und Problemfeldern von KI und Algorithmen
(n = 227; Erwähnung mehrerer Risiken pro Artikel möglich)
Quelle: Wie Deutschland über Algorithmen schreibt, Fischer und Puschmann, 2021

                                                                                                                                                    27
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