Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik - Année politique Suisse
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Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik Suchabfrage 18.05.2019 Thema Keine Einschränkung Schlagworte Kultur, Medien und Sprachen Akteure Keine Einschränkung Prozesstypen Keine Einschränkung Datum 01.01.1989 - 01.01.2019 ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19
Impressum Herausgeber Année Politique Suisse Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Fabrikstrasse 8 CH-3012 Bern www.anneepolitique.swiss Beiträge von Ackermann, Nadja Benteli, Marianne Bernet, Samuel Bühlmann, Marc Gerber, Marlène Giger, Nathalie Gökce, Melike Hirter, Hans Rinderknecht, Matthias Bevorzugte Zitierweise Ackermann, Nadja; Benteli, Marianne; Bernet, Samuel; Bühlmann, Marc; Gerber, Marlène; Giger, Nathalie; Gökce, Melike; Hirter, Hans; Rinderknecht, Matthias 2019. Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik: Kultur, Medien und Sprachen, 1989 - 2018. Bern: Année Politique Suisse, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern. www.anneepolitique.swiss, abgerufen am 18.05.2019. ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19
Inhaltsverzeichnis Allgemeine Chronik 1 Grundlagen der Staatsordnung 1 Rechtsordnung 1 Strafrecht 1 Grundrechte 1 Institutionen und Volksrechte 1 Bundesverwaltung - Organisation 1 Öffentliche Finanzen 2 Indirekte Steuern 2 Bildung, Kultur und Medien 3 Kultur, Sprache, Kirchen 3 Kulturpolitik 3 Kirchen und religionspolitische Fragen 8 Urheberrecht 10 Archive, Bibliotheken, Museen 10 Sprachen 10 Medien 21 Radio und Fernsehen 21 Presse 22 Medienpolitische Grundfragen 22 Parteien, Verbände und Interessengruppen 22 Verbände 22 Kultur, Medien und Sprachen 22 Arbeitnehmer, Gewerkschaften 22 ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 I
Abkürzungsverzeichnis UNO Organisation der Vereinten Nationen BAK Bundesamt für Kultur ETH Eidgenössische Technische Hochschule BFS Bundesamt für Statistik GPK-NR Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates EU Europäische Union EDI Eidgenössisches Departement des Inneren UNESCO Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur EWR Europäischer Wirtschaftsraum SRG Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft WAK-NR Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats EPFL Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne SGDA Swiss Game Developers Association ONU Organisation des Nations unies OFC Office fédéral de la culture EPF École polytechnique fédérale OFS Office fédéral de la statistique CDG-CN Commission de gestion du Conseil national UE Union européenne DFI Département fédéral de l'intérieur UNESCO Organisation des Nations unies pour l'education, la science et la culture EEE l'Espace économique européen SSR Société suisse de radiodiffusion CER-CN Commission de l'économie et des redevances du Conseil national EPFL École polytechnique fédérale de Lausanne SGDA Swiss Game Developers Association ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 II
Allgemeine Chronik Grundlagen der Staatsordnung Rechtsordnung Strafrecht BUNDESRATSGESCHÄFT Unmittelbar vor den Verhandlungen im Nationalrat traten allerdings namhafte DATUM: 23.06.1989 HANS HIRTER Kulturschaffende, Berufsorganisationen der Medienschaffenden und auch die eidgenössische Filmkommission mit ihren Bedenken gegen ein sogenanntes Brutaloverbot an die Öffentlichkeit. Ihrer Meinung nach könnten die neuen Bestimmungen bei restriktiver Auslegung der Gerichte zur Einrichtung einer Zensur in Fragen der Kunst und zur Behinderung der Berichterstattung über tatsächlich ausgeübte Gewalt führen. In der Ratsdebatte wurden zum beantragten Verbot der Herstellung, Verbreitung und des Konsums von brutalen Darstellungen eine Reihe von Abänderungsanträgen vorgebracht. Einerseits wurde verlangt, das Verbot auf Jugendliche zu beschränken, zum andern wurden Präzisierungen des Straftatbestandes resp. eine Ausweitung der erlaubten Ausnahmen gefordert. Zwar herrschte Einigkeit, dass sich die neuen Bestimmungen gegen die Verherrlichung von Gewalt in Videofilmen richten sollten und nicht gegen die künstlerische Freiheit in Text und Bild. Trotzdem drang von den Abänderungsvorschlägen nur derjenige durch, der schriftliche Erzeugnisse explizit aus den neuen Vorschriften ausnimmt. Nachdem die Differenzbereinigung keine Probleme bot, und ein von politisch nicht organisierten Personen aus Genf angekündigtes Referendum nicht zustande kam, konnte das neue Gesetz auf den 1. Januar 1990 in Kraft gesetzt werden. 1 Grundrechte GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Wie weit darf Humor gehen? Zu Beginn des Jahres 2014 wurde in den Schweizer Medien DATUM: 05.01.2014 NADJA ACKERMANN eine moralistisch aufgeladene Humordebatte geführt. Den Auftakt bildeten Italiener- Witze, die der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät (sp) im Rahmen der Kulturreihe „Das Zelt“ zum Besten gab und die ihm eine Anzeige wegen Verletzung der Anti-Rassismus-Strafnorm einhandelten. Es folgten Proteste gegen das Blackfacing von Birgit Steinegger und Äusserungen über den jüdischen Humor durch Massimo Rocchi. Im Zentrum stand jeweils die Frage, wo die Linie zwischen Freiheit von Kulturschaffenden und Rassismus zu ziehen sei. Umstritten waren auch die als antisemitisch eingestuften, aber dennoch restlos ausverkauften Auftritte des Franzosen Dieudonné M’bala M‘bala in Nyon. Der Komiker war in Frankreich mit einem Auftrittsverbot belegt worden. Eine präventive Zensur wurde jedoch von der Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Martine Brunschwig Graf, abgelehnt. Die Anti-Rassimus-Strafnorm sei kein Zensurinstrument und führe auch nicht zu einem landesweiten Lachverbot. Zudem belegten die Zahlen keine Zunahme von Klagen gegen Rassismus seit der Einführung der Strafnorm im Jahr 1995. 2 Institutionen und Volksrechte Bundesverwaltung - Organisation MOTION Martina Munz (sp, SH) stiess sich am Begriff Expertenkommission und forderte mit einer DATUM: 15.06.2018 MARC BÜHLMANN Motion geschlechtergerechte Namen für Fachkommissionen. In der Tat könnten – so der Bundesrat in seiner Antwort – «zusammengesetzte Wörter [...], deren erstes Glied eine Personenbezeichnung ist, manchmal als nicht geschlechtergerecht empfunden [...] werden». Es entspreche dem Sprachgesetz und den Empfehlungen des Bundes, dass dies vermieden werden soll. Auch wenn es momentan lediglich vier ausserparlamentarische Kommissionen gebe, die den Titel «Expertenkommission» trügen, empfehle der Bundesrat die Motion zur Annahme und werde die vier erwähnten Gremien anregen, bei nächster Gelegenheit den Namen zu ändern, etwa in den von der Motionärin vorgeschlagenen Begriff «Fachkommission». Die zweite Forderung, nämlich für eine ausgewogene Vertretung der Geschlechter innerhalb dieser Kommissionen zu sorgen, erachtete die Regierung als bereits erfüllt, da entsprechende Massnahmen schon seit einiger Zeit ergriffen worden seien und auch Früchte trugen. Normalerweise wird eine vom Bundesrat zur Annahme beantragte Motion stillschweigend angenommen. Dies war allerdings hier nicht der Fall, weil der Vorstoss von Natalie Rickli (svp, ZH) bekämpft wurde. Eine Diskussion über das Anliegen muss ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 1
nun also noch stattfinden. 3 Öffentliche Finanzen Indirekte Steuern BUNDESRATSGESCHÄFT Der Bundesrat hatte dem Parament im Juni 2008 eine Botschaft zur Reform des DATUM: 12.06.2009 NATHALIE GIGER Mehrwertsteuergesetzes vorgelegt. Diese Vorlage enthält zwei Teile: Teil A beinhaltet den Entwurf eines totalrevidierten Mehrwertsteuergesetzes, das zahlreiche Vereinfachungen vorsieht und generell anwendungsorientierter ist. Mit über 50 Einzelmassnahmen sollen die Unternehmen administrativ entlastet werden, die geltenden Steuertarife werden jedoch beibehalten. Hier setzt Teil B der Reform an, der alle Änderungsvorschläge des ersten Teils enthält, jedoch darüber hinaus einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz von 6,1% vorschlägt und weiter möglichst viele Ausnahmen abschaffen will. Der Bundesrat strebte die Umsetzung sowohl der in Teil A als auch der in Teil B enthaltenen Reformen an. Die vorberatende Kommission des Nationalrates beschloss zuerst nur Eintreten auf den Teil A der Reform und vertagte den Eintretensentscheid zu Teil B. Sie wollte damit eine möglichst rasche Beschlussfassung bezüglich des Teils A gewährleisten. Der Nationalrat hatte in der Folge über Eintreten auf Teil A der Vorlage zu befinden. Es lagen zwei Anträge auf Rückweisung vor. Ein erster wollte den Bundesrat beauftragen nur eine Teilrevision zu präsentieren und wurde von der SP, nicht aber von der grünen Fraktion unterstützt. Er scheiterte im Parlament deutlich. Auch ein zweiter Rückweisungsantrag von Nationalrat Zisyadis (al, VD), der eine komplette Neugestaltung der Mehrwertsteuer verlangt hatte, wurde klar abgelehnt. In der Detailberatung des Nationalrates war der Sondersatz für Hotellerieleistungen umstritten. Der bundesrätliche Entwurf sah dessen Fortführung vor, die Ratslinke und die Grünen bekämpften diesen Sondersatz. Mit 109 zu 57 Stimmen setzte sich die bürgerliche Ratsmehrheit und Bundesrat Hans-Rudolf Merz durch. In der Frage des Verzichts auf die Befreiung von der Steuerpflicht, eine Regelung, die vor allem bei neugegründeten Firmen angewendet wird und diesen Anspruch auf den Vorsteuerabzug gibt, entschied der Rat nach Vorgabe seiner Kommissionsmehrheit, aber gegen den Bundesrat und die Ratslinke. Er setzte dabei insbesondere durch, dass der Verzicht rückwirkend auf bis zu drei zusammenhängende Steuerperioden ermöglicht werden soll. Die Kommission setzte sich mit ihrem Vorschlag auch bei der Erhöhung der unteren Umsatzgrenze für die Steuerpflicht von gemeinnützigen Institutionen, Sport- und Kulturverbänden von 100'000 auf 300'000 Fr. pro Jahr durch. Dieser Vorschlag wurde diskussionslos angenommen. Mehr zu reden gab die von der Kommission vorgeschlagene Verkürzung der Verjährungsfrist, also jener Frist, innerhalb derer die Steuerverwaltung eine Steuerforderung stellen kann. Die Kommission hatte entgegen dem Entwurf des Bundesrates eine Verkürzung dieser Frist von fünf auf drei Jahre gefordert. Eine links-grüne Minderheit sowie Bundesrat Merz argumentierten, dass eine solche Verkürzung nicht nur zu Steuerausfällen sondern auch zu administrativem Mehraufwand führen werde. Dennoch setzte sich die Kommissionsmehrheit, wenn auch relativ knapp, mit 81 zu 72 Stimmen durch. Eine vorwiegend aus SVP-Vertretern zusammengesetzte Minderheit wollte den Entwurf dahingehend ändern, für Mehrwertsteuerberater, Steuerexperten oder Treuhändler eine Art Berufsgeheimnis einzuführen und sie somit nicht der Auskunfts- und Offenlegungspflicht zu unterstellen. Dieser Antrag setzte sich gegen die Kommissionsmehrheit knapp mit 87 zu 86 Stimmen durch, dafür hatte neben der SVP- auch die FDP-Fraktion gestimmt. Die Vorlage wurde in der Gesamtabstimmung mit 110 zu 59 Stimmen angenommen, die Ratslinke hatte geschlossen dagegen, die bürgerlichen Fraktionen ebenso geschlossen dafür votiert. Im Ständerat war die vom Nationalrat vorgenommene Erhöhung der Umsatzgrenze für die Steuerpflicht von gemeinnützigen Institutionen, Sport- und Kulturverbänden ein erster wichtiger Diskussionspunkt. Die Kommission schlug vor, dem bundesrätlichen Entwurf zu folgen und die Grenze auf 100'000 Fr. zu senken. Felix Gutzwiller (fdp, ZH) argumentierte für eine Beibehaltung der aktuell gültigen Grenze von 150'000 Fr. Der Rat entschied nur mit Stichentscheid seines Präsidenten Berset (sp, FR) mit 23 zu 22 für den Kommissionsvorschlag und damit in Abweichung der Fassung des Nationalrates. Auch im Unterschied zum Nationalrat hielt die kleine Kammer an der vom Bundesrat vorgeschlagenen fünfjährigen Verjährungsfrist fest und wollte diese nicht auf drei Jahre reduzieren. Weiter setzte der Ständerat geänderte Bestimmungen zum Strafrecht der ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 2
Mehrwertsteuer durch und strich das vom Nationalrat neu eingeführte Auskunftsverweigerungsrecht für Steuerberater wieder. Dies vor allem weil die Berufsbezeichnung Steuerberater nicht geschützt ist und somit die Umsetzung dieses Artikels unklar bleiben würde. Unbestritten war im Ständerat auch die Fortführung des Sondersatzes der Mehrwertsteuer auf Hotellerieleistungen. In der Gesamtabstimmung wurde das Gesetz einstimmig bei 4 Enthaltungen angenommen. Im Differenzbereinigungsverfahren passierte im Nationalrat ein von der WAK-NR ausgearbeiteter Kompromiss, die Umsatzlimite von Sport- und Kulturvereinen sowie von gemeinnützigen Organisationen auf dem bereits im bestehenden alten Gesetz festgeschriebenen Betrag von 150'000 Fr. zu belassen. Sonst schloss er sich weitgehend den Beschlüssen des Ständerates an. Der Ständerat übernahm die vom Nationalrat bereinigte Version des Gesetzes ohne Debatte. In der Schlussabstimmung wurde das Gesetz im Ständerat einstimmig, im Nationalrat mit 4 Gegenstimmen gutgeheissen. 4 Bildung, Kultur und Medien Kultur, Sprache, Kirchen Kulturpolitik GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE In Zürich wurde zu Beginn des Jahres der Kulturraum Kanzleischulhaus definitiv DATUM: 30.12.1992 MARIANNE BENTELI geschlossen, nachdem noch an Silvester rund 3000 Personen unter dem Motto "Räume statt Räumung" an einer bewilligten Demonstration in der Zürcher Innenstadt teilgenommen hatten. In der Folge kam es noch zu mehreren unbewilligten Manifestationen, die weniger von ehemaligen "Kanzlisten" denn von "Autonomen" ausgingen. Anfangs Februar genehmigte der Stadtrat (Exekutive) dann ein neues, wieder mehr schulisch ausgerichtetes Nutzungskonzept. Die ehemalige Turnhalle wurde hingegen für die nächsten zwei Jahre für kulturelle Animation freigegeben, was Stadtparlamentarier von CVP, SVP und EVP umgehend auf den Plan rief, welche befürchteten, die linksalternative Szene könne sich so erneut im Kanzlei etablieren. Die auf September angekündigte Neueröffnung der Turnhalle verzögerte sich dann aber über die Jahreswende hinaus. 5 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Eine von der Präsidialabteilung der Stadt Zürich in Auftrag gegebene Studie erbrachte DATUM: 06.04.1993 MARIANNE BENTELI neues Zahlenmaterial zu den Kulturausgaben der grossen Schweizer Städte und erlaubte auch den internationalen Vergleich mit dem Nachbarland Deutschland. Unterscheidet man in den Stadtkantonen Basel-Stadt und Genf die gesamten Kulturausgaben nach Bildung und eigentlichen Kultursubventionen und wendet den in Zürich praktizierten Verteilschlüssel zwischen Kanton und Stadt an, so stand 1989 Zürich mit knapp 87 Mio Fr. Kulturausgaben deutlich an der Spitze der Schweizer Städte vor Basel (62 Mio), Genf (32 Mio), Bern (24 Mio) und St. Gallen (14 Mio). Verglichen mit den grossen deutschen Städten Hamburg (240 Mio), Frankfurt (214 Mio) und München (162 Mio) nimmt sich das kulturelle Engagement der Schweizer Städte relativ bescheiden aus, doch vergleicht man die Ausgaben, die jede Stadt pro Kopf der Einwohnerschaft tätigt, ergibt sich eine ganz andere Rangliste, in welcher nun Basel (368 Fr. pro Kopf) vor Frankfurt (343 Fr.) und Zürich (253 Fr.) führt. Genf, St. Gallen und Bern folgen auf den folgenden Rängen, noch vor Stuttgart, Hamburg und München. Der Anteil der Kulturausgaben an den gesamten städtischen Ausgaben sollte gemäss der Studie auch zeigen, wie hoch die Bedeutung ist, die eine Stadt der Kultur im Vergleich zu anderen Aufgabenbereichen wie Bildung, Gesundheit, Verkehr, soziale Wohlfahrt etc. beimisst. Auch bei dieser Betrachtungsweise schnitten die Schweizer Städte in ihrem Kultureffort nicht schlecht ab. An erster Stelle lag Genf, wo 6,1 % der städtischen Ausgaben auf die Kultur entfallen. In Frankfurt sind es 5,5%, in St. Gallen 4,5% und in Hamburg und Basel 4,4%. Zürich und Bern verzeichnen lediglich einen Anteil von 3,5 bzw. 3,1%. 6 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Nach anfänglich zögerlicher Haltung zeigte die Schweiz doch ihre Bereitschaft, im DATUM: 05.10.1996 MARIANNE BENTELI Jubiläumsjahr 1998 an der Buchmesse Frankfurt als Schwerpunktland Flagge zu zeigen. Mitte März sagte BAK-Direktor Streiff der Frankfurter Messeleitung grundsätzlich zu, allerdings unter dem Vorbehalt, dass sowohl der Bundesrat wie die eidgenössischen Räte dem dafür notwendigen finanziellen Beitrag der Eidgenossenschaft zustimmen. Kurz vor den Sommerferien sprach die Landesregierung einen Kredit von CHF 3 Mio. für die Aktion. Die vorberatenden Kommissionen beider Kammern unterstützten das ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 3
Projekt ebenfalls deutlich. 7 ANDERES Kontroversen um geraubte Kunstgegenstände fanden aber nicht nur zwischen der DATUM: 09.01.1997 MARIANNE BENTELI Schweiz und dem Ausland statt, sondern auch unter Schweizer Kantonen. Vor allem der Kanton St. Gallen, ehemaliges Untertanengebiet der Eidgenossen, verlangte lautstark die Rückgabe von Kulturgütern, welche ihm zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert entwendet worden waren. Der Zürcher Regierungsrat als Hauptakteur in dieser Angelegenheit weigerte sich, auf diese Rückforderungen einzutreten, worauf St. Gallen rechtliche Schritte erwog. 8 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Ende Mai stellte Bundesrätin Dreifuss zusammen mit dem Direktor des Bundesamtes für DATUM: 31.05.1997 MARIANNE BENTELI Kultur (BAK) sowie den Direktoren der Landesbibliothek und des Landesmuseums an einer Pressekonferenz Ziele und Inhalte der schweizerischen Kulturpolitik vor. Sie betonte, Kulturarbeit bestehe einerseits im Bewahren des vielgestaltigen Raums der Erinnerung, gebildet aus Kunstwerken aller Art, Büchern, Bildern, Ideen und Überzeugungen, und andererseits in der Bereitstellung guter Bedingungen für heutige Kunst- und Kulturschaffende. Die zweimalige Ablehnung eines Kulturförderungsartikels in der Bundesverfassung in den Jahren 1986 und 1994 entbinde die Eidgenossenschaft nicht von ihrem Auftrag, die Kultur zu unterstützen. Nicht eine nationale Kulturpolitik, wohl aber nationale Massstäbe der Kulturförderung erachtete Dreifuss für die Zukunft als vordringlich, wobei sie betonte, dass auch hier die fundamentalen menschlichen und politischen Werte der Freiheit, der Gleichheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität zum Zuge kommen müssten. Im Zentrum der möglichen Massnahmen stehen Fragen der professionellen Weiterbildung der Kulturschaffenden, deren soziale Sicherheit und Direktunterstützung sowie fiskalischer Anreize zur Kulturförderung von privater Seite. 9 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Anfangs Juli eröffnete die Pro Helvetia in Anwesenheit von Bundesrätin Dreifuss eine DATUM: 23.07.1997 MARIANNE BENTELI neue Aussenstelle in Mailand. Das Centro culturale svizzero (CCS) hat die Aufgabe, das schweizerische Kulturschaffen in der lombardischen Metropole vorzustellen und die Aktivitäten der Pro Helvetia in Italien zu organisieren. Das CCS hat jedoch nicht das Kaliber des Schweizer Kulturzentrums in Paris mit seinem Budget von CHF 1.5 Mio., sondern entspricht eher den "Antennen", die mit Unterstützung des Bundes in einigen mittel- und osteuropäischen Städten entstanden sind. Das Budget des CCS beträgt CHF 600'000 pro Jahr. 10 INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN Mit der im Vorjahr erfolgten Unterzeichnung der Unidroit-Konvention, welche die DATUM: 23.07.1997 MARIANNE BENTELI Rückführung von illegal exportiertem sowie die Rückgabe von gestohlenem Kulturgut regelt, hatte der Bundesrat deutlich gemacht, dass er deren Bestimmungen zu schweizerischem Recht machen will. Dieses Vorgehen wurde von linken Politikern und Entwicklungsorganisationen begrüsst, von den betroffenen Kunstkreisen - Sammler, Direktoren namhafter Schweizer Museen, Verbände der Antiquare und Kunsthändler - hingegen nach wie vor kritisiert, da sie befürchteten, der sehr weit gefasste Begriff des Kulturgutes könne zu einer Unterbindung jeglichen Handels mit Kunstgegenständen führen. 11 KANTONALE POLITIK Das juristische und politische Seilziehen um das mittlerweile 10jährige alternative DATUM: 01.11.1997 MARIANNE BENTELI Kulturzentrum in der Berner Reithalle scheint kein Ende zu nehmen. Nachdem der rot- grüne Stadtrat (Legislative) im März 1996 CHF 1.489 Mio. für die dringendsten baulichen Unterhaltsmassnahmen beschlossen hatte, reichte eine SVP-Parlamentarierin Rekurs gegen diesen Entscheid ein. Der zuständige Regierungsstatthalter gab der Beschwerdeführerin recht, welche moniert hatte, die vom Stadtrat verabschiedeten Massnahmen würden auf eine spätere Gesamtsanierung hinauslaufen. Darüber aber müsse das Volk frei und ohne bereits geschaffene Sachzwänge befinden können. Der Stadtrat bestritt diesen Zusammenhang zwar, verzichtete aber darauf den Entscheid weiterzuziehen. Der Gemeinderat legte daraufhin dem Stadtrat ein Gesamtprojekt für die Sanierung von CHF 1.4 Mio. vor; dem für die Projektierungsarbeiten notwendigen Kredit von CHF 480'000 stimmte der Stadtrat zu. 12 ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 4
GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Ziemlich überraschend kündigte Urs Frauchiger, seit 1992 Direktor der Stiftung Pro DATUM: 21.11.1997 MARIANNE BENTELI Helvetia seinen Rücktritt per Ende September an. Als Hauptgrund für seine Entscheidung nannte er Amtsmüdigkeit. Da auf Ende des Berichtsjahres auch das Mandat der Stiftungspräsidentin, der Solothurner CVP-Ständerätin Rosmarie Simmen auslief, musste gleich die ganze Führung der Pro Helvetia neu bestellt werden. Ende November wählte der Stiftungsrat den Bündner CSP-Politiker und Sekretär der Lia Rumantscha Bernard Cathomas zum neuen Direktor. Zur Stiftungspräsidentin ernannte der Bundesrat die scheidende Stadtpräsidentin von Lausanne und frühere Waadtländer SP-National und Ständerätin Yvette Jaggi. 13 INTERKANTONALE ZUSAMMENARBEIT Eine Delegation aus der "Kulturregion am Oberrhein" bestehend aus den DATUM: 25.11.1997 MARIANNE BENTELI Kulturverantwortlichen der Kantone Basel-Stadt und Baselland sowie einem Vertreter der deutschen Stadt Lörrach warb gemeinsam in Brüssel für Basel als "Kulturstadt Europas 2001". Entgegen den Erwartungen fand die Wahl nicht im Berichtsjahr statt, da sich die 15 EU-Kulturminister nicht auf eine der vorgeschlagenen Städte einigen konnten. 14 BUNDESRATSGESCHÄFT Ende Jahr deponierte der Bundesrat das Gesuch um eine Aufnahme von Bellinzona in DATUM: 11.12.1997 MARIANNE BENTELI die Unesco-Liste des Weltkulturerbes. Grund der Bewerbung ist laut der offiziellen Kandidaturrechtfertigung die historische und kulturelle Bedeutung der gut erhaltenen Wehranlagen. Die Unesco-Liste umfasst weltweit 506 Denkmäler in 108 Staaten. Drei davon befinden sich in der Schweiz: Es sind dies die Berner Altstadt, der Klosterbezirk in St. Gallen und das Benediktinerinnenkloster St. Johann in Müstair. 15 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Immer häufiger weisen Städte mit Zentrumsfunktion auf die ungerechte Verteilung von DATUM: 20.12.1997 MARIANNE BENTELI Kosten und Nutzen im Kulturbetrieb hin. Während die Städte praktisch allein die kulturellen Institutionen finanziell über Wasser halten, sind es in weiten Teilen die Einwohnerinnen und Einwohner der Agglomeration, welche das kulturelle Angebot nutzen. Im 1995 revidierten Kulturförderungsgesetz des Kantons Bern wurde festgehalten, dass die Gemeinden der Region Bern die bedeutenden Kulturinstitute der Bundesstadt mitfinanzieren sollen. Die Umsetzung des Gesetzes erwies sich jedoch als sehr schwierig, da sich mehrere Gemeinden dagegen wehrten, diesen Obolus zu entrichten. Bis Ende Jahr stimmten 43 Gemeinden der Abgabe zu, 21 Gemeinden lehnten den Subventionsvertrag ab, 20 weitere vertagten ihren Entscheid auf 1998. 16 KANTONALE POLITIK Der Kanton Tessin tut sich offenbar schwer mit seiner Alternativkultur. Seit eine DATUM: 30.12.1997 MARIANNE BENTELI Gruppe Jugendlicher im Oktober 1996 im Luganeser Vorort Viganello eine leerstehende Industriemühle besetzt und in ein selbstverwaltetes Gemeinschaftszentrum umgewandelt hatte, bemühten sich Gemeinde und Kanton mit den Betroffenen - Besetzer und Anwohner - eine tragfähige Lösung zu finden. Allerdings vergeblich, denn nach einer Eskalation der Bürgerproteste ging die Liegenschaft Mitte Juni in Flammen auf. Grund war eindeutig Brandstiftung. Der Versuch, die Autonomen in einem dem Kanton in Canobbia gehörenden Grotto anzusiedeln, scheiterte ebenfalls. 17 ANDERES Für die Befreiung der kulturellen Veranstaltungen von der Mehrwertsteuer siehe DATUM: 31.12.1997 MARIANNE BENTELI oben, Teil I, 5 (Indirekte Steuern). Zum Bericht des Bundesrates "Kultur in den Medien der SRG" siehe unten, Teil I, 8c (Radio und Fernsehen). BUNDESRATSGESCHÄFT Diskussionslos nahm der Ständerat im Rahmen der nachgeführten Bundesverfassung DATUM: 27.04.1998 MARIANNE BENTELI Art. 21 an, wonach die Kunstfreiheit gewährleistet ist. Bundesrat und Kommission wiesen darauf hin, dass die freie Ausübung der Kunst zwar vom Bundesgericht nicht als ungeschriebenes Verfassungsrecht anerkannt worden ist, dass sie aber den von der Schweiz ratifizierten Konventionen der UNO und des Europarates entspricht. Der Nationalrat stimmte ebenfalls zu. Ein von der SP unterstützter Antrag Thür (gp, AG), neben der Freiheit der Kunst auch jene der Kultur verfassungsrechtlich zu verankern, wurde mit 95 zu 57 Stimmen abgelehnt, weil es sich – nach den Worten von Bundesrat Koller – bei der Freiheit der Kultur, einem extrem weiten und nicht abschliessend definierten Begriff, nicht um einen selbständigen, direkt einklagbaren und ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 5
verfassungsmässig zu schützenden Gegenstand handeln kann. Die in letzter Zeit geänderten Kantonsverfassungen und die internationalen Instrumente zeigten denn auch, dass diese zwar die Freiheit der Kunst, nicht aber jene der Kultur garantieren. 18 POSTULAT Der Nationalrat überwies ein Postulat Suter (fdp, BE), welches die Landesregierung DATUM: 18.12.1998 MARIANNE BENTELI ersucht, die Schaffung einer eidgenössischen Akademie der musischen Künste zu prüfen. 19 ANDERES In Basel wurde Ende Januar das neue Schauspielhaus eingeweiht. Die Finanzierung des DATUM: 06.02.2002 MARIANNE BENTELI 29 Mio Fr. teuren Neubaus war erst möglich geworden, nachdem 1998 anonym bleiben wollende Frauen 7,3 Mio Fr. zur Verfügung gestellt hatten. Viele weitere Spender waren ihrem Beispiel gefolgt und hatten schliesslich mehr als 20 Mio Fr. aufgebracht. 20 POSTULAT Im März 2015 beauftragte Jacqueline Fehr (sp, ZH) den Bundesrat mit der Erstellung DATUM: 19.06.2015 MELIKE GÖKCE eines Berichtes, in welchem dieser das Potenzial der Schweizer Game-Industrie für Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft aufzeigen solle. In erster Linie solle geklärt werden, in welchem Rahmen politische Einflussnahmen innerhalb des Entwicklungsprozesses in dieser Branche greifen sollen. Zudem sollen internationale Vergleiche – insbesondere mit Kleinstaaten wie den Niederlanden oder auch den skandinavischen Ländern sowie Deutschland und Kanada – dabei helfen, die Situation in der Schweiz richtig einordnen zu können. Auch wenn Pro Helvetia mit der Schwerpunktsetzung im Bereich der "digitalen Kultur" in den vergangenen Jahren massiv dazu beigetragen habe, dass die Schweizer Produktionen mitunter auch mit internationalen Auszeichnungen überhäuft wurden, fehle es im internationalen Vergleich noch immer an zusätzlicher Förderung und Investitionsanreizen. Daher müsse man sich diesbezüglich zunächst mit Fragen auseinandersetzen, welche sich unter anderem auch auf standort-, bildungs- oder steuerpolitische Bereiche beziehen. Der Bundesrat beantragte dem Nationalrat die Annahme des Postulats, wobei er nicht versäumte darauf zu verweisen, dass die aufgeworfenen Fragen sehr umfassend seien, weshalb man sich auf einige zentrale Punkte beschränken müsse. In diesem Sinne könne beispielsweise ein umfassender internationaler Vergleich nicht angestrebt werden, da dieses Vorgehen schlichtweg die Möglichkeiten der Verwaltung übersteigen würde. Der Nationalrat kam dem Antrag des Bundesrates nach und nahm das Postulat diskussionslos an. 21 BERICHT In Erfüllung des Postulats Fehr (sp, ZH) präsentierte der Bundesrat im Frühjahr 2018 DATUM: 21.03.2018 MELIKE GÖKCE seinen Bericht zum Potenzial der Schweizer Game-Industrie für Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft. Wie bereits im Jahr 2015 in der Stellungnahme zum Postulat verkündet worden war, musste sich dieser in seinen Erläuterungen aufgrund des Umfangs und der Diversität der gestellten Fragen auf einzelne zentrale Punkte beschränken. In diesem Sinne fokussierte der Bericht die kulturellen Aspekte von Games, welche sich im Wesentlichen in Form von Kulturgütern und als ein Bereich der Kulturförderung äusserten. Dieser Fokus sei primär auf das Games-Förderprogramm zurückzuführen, welches 2010 vom Bund über die Kulturstiftung Pro Helvetia lanciert worden war. Im Bericht wurden zunächst die Merkmale von Games aufgegriffen und ein Überblick zur Game-Industrie in der Schweiz gegeben, ehe die Förderung im Allgemeinen und die Entwicklung spezifisch im Schweizer Umfeld aufgegriffen wurden. Unter Games seien laut Bericht grafisch-elektronische Schnittstellen zu verstehen, die eine spielerische Mensch-Maschine-Interaktion ermöglichten. Zu den Grundzügen eines Games zählen die Verbindung von Hard- und Software, die auf Spielregeln sowie Grafik- und Tonelementen basierende Darstellungsform, das Auslösen einer individuellen oder kollektiven Aktivität als Erlebnis und seine Form als (im-)materieller Träger zur Vermarktung und zum Konsum. Die Geschichte der Games sei in erster Linie eine Geschichte der interaktiven Entwicklung; daher könne man sie heute als eine Kunstform, ein globales gesellschaftliches und kulturelles Phänomen oder als eine eigenständige Industrie betrachten. Als eine Kunstform zu verstehen seien Games, weil sie aufgrund der Verbindung von Text, Musik und Grafik einen interdisziplinären Charakter aufwiesen, der die Spielenden in einen interaktiven Prozess einbinde. Zudem seien sie in künstlerischen Traditionen ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 6
und kulturellen Räumen verankert, bei gleichzeitiger Eigenständigkeit hinsichtlich Merkmals- und Sprachentwicklung, und bildeten daher heute auch einen anerkannten Bereich des Kulturschaffens. Als soziokulturelles Phänomen könnten sie verstanden werden, weil sie gerade als Kunstform einen gemeinsamen globalen Kulturraum schüfen. So könnten beispielsweise die 1985 von Nintendo erschaffene Kultfigur „Super Mario“ als ein Teil der heutigen Populärkultur oder die jährlich in Köln stattfindende Computerspielemesse „Gamescom“ als ein Kulturevent verstanden werden, die in den Kulturkonsumgewohnheiten an Bedeutung gewonnen hätten. In den USA verzeichne man über 150 Mio. regelmässig oder gelegentlich Spielende, während sich die Zahl der aktiven Spielenden in der Schweiz Schätzungen zufolge auf 1.5 Mio. belaufe. Über Games sei eine eigentliche Game-Kultur begründet worden, die sich auf verschiedensten Plattformen ausbreite und der ganz eigene Anlässe wie Festivals, Messen oder Symphoniekonzerte gewidmet würden. Als globale Kreativindustrie mit entsprechender Organisation von Produktion, Vertrieb und Konsum könne die Game-Industrie verstanden werden, weil der Umfang ihrer organisatorischen Abläufe mittlerweile mit jenen der Film- oder Musikindustrie oder des Verlagswesens verglichen werden könnten und sich die Gesamteinnahmen auf rund 100 Mia. US-Dollar – bei einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 8% – belaufen würden. Die kreativen und wirtschaftlichen Haupttätigkeiten der Industrie bestünden in der Produktion von Trägertechnologien für Games sowie in eigentlichen Entwicklung von Games, in der Organisation der Vermarktung sowie im Vertrieb und Verkauf im Einzelhandel. Im Unterschied zu anderen Ländern gebe es in der Schweiz noch keine voll integrierte Game-Industrie mit für die Wertschöpfungskette verantwortlichen, spezialisierten Akteuren. Es liessen sich indes aber fünf Hauptgruppen von (un-)abhängigen Akteuren – mit stetig steigender Anzahl – ausmachen: Entwicklerinnen und Entwickler, Herausgebende sowie im Vertrieb und Einzelhandel Tätige, Bildungs- und Forschungsinstitutionen mit entsprechenden Studiengängen, Organisatoren von Veranstaltungen sowie Verbände und Interessengruppen. Die aktuellsten Erhebungen von der SGDA und Pro Helvetia zeigten auf, dass es in der Schweiz rund 100 bis 120 Kleinstrukturen (Entwicklerinnen und Entwickler sowie Produktionsstudios) gebe, die teilweise oder gar vollständig für die Game-Produktion tätig seien. Noch 2010 sei diese Zahl auf lediglich ein Dutzend geschätzt worden. Der Vertrieb erfolge grundsätzlich über den Einzelhandel, wobei ein wachsender Anteil über den Onlinevertrieb abgewickelt werde, für den es in der Schweiz aber praktisch noch keine lokalen Verleger oder Plattformen gebe, weshalb die Produzierenden mehrheitlich Vereinbarungen mit ausländischen Verlegern schliessen würden. Hingegen spielten Bildungs- und Forschungsinstitutionen wie die ETH oder die EPFL eine zentrale Rolle für die Branchenentwicklung, da hier relevante Entwicklerkompetenzen in verschiedenen Studiengängen der Kunst- oder Informationswissenschaften vermittelt würden. Gerade hierin liege eine der Stärken der Schweizer Game-Industrie: Durch die Verknüpfung mit diesen hochstehenden Ausbildungen seien die Entwicklerinnen und Entwickler in der Lage, auch international wettbewerbsfähige Projekte zu lancieren, die sich wiederum als wertvolle Beiträge für die Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft auszeichneten. Demgegenüber wurde aber die Rentabilität beziehungsweise die Schwierigkeit, ein existenzfähiges Unternehmen aufzubauen, als Schwäche angeführt. Dies sei in erster Linie auf die Gegebenheiten der extrem wettbewerbsorientierten internationalen Märkte und auf erschwerende lokale Faktoren zurückzuführen. Da Games aufgrund ihrer Besonderheiten nicht dem traditionellen Bereich der Kulturförderung zugeordnet werden könnten, erfolge diese in der Regel über Organisationen oder andere Institutionen. So auch in der Schweiz: Gemäss gesetzlicher Aufgabenteilung falle die Unterstützung interaktiver Medien in den Aufgabenbereich der Stiftung Pro Helvetia und nicht etwa in jenen des BAK. Es bestünden aber auch diverse Initiativen seitens der Kantone und Städte (in Form von Veranstaltungen), der SRG (Unterstützung von drei Schweizer Projekten über den Fonds Multimedia) oder privater Initiativen (z.B. Förderfonds für Matchmaking-Initiative von Engagement Migros). Die konkretesten Massnahmen seien aber von der Stiftung Pro Helvetia umgesetzt worden, gerade für Projekte, die besonders innovativ seien oder der Kultur neue Impulse geben würden (z.B. Themenprogramm „Game Culture. Vom Spiel zur Kunst“). Aufgrund der hochstehenden Ausbildungen in der Schweiz werde die Qualität der Schweizer Produkte auch in der internationalen Szene anerkannt. Jedoch handle es sich hierbei noch um eine relativ junge Branche, die quantitativ noch nicht ganz mit dem internationalen Niveau mithalten könne. Daher habe sie noch viele Möglichkeiten ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 7
zu ihrer Entwicklung, stosse aber auch an Grenzen. Um die Möglichkeiten auszuschöpfen, wurden im Bericht vier Entwicklungsziele festgehalten: quantitative und qualitative Verbesserung der inländischen Produktion, Einbezug der Schweizer Entwicklerinnen und Entwickler in die Industrie und den Marktzugang, die Strukturierung der Branche und die Stärkung ihrer Interdisziplinarität. Für die Zielerreichung wurden verschiedene Massnahmen vorgeschlagen. So solle beispielsweise eine Verbesserung des Fördersystems oder eine Weiterführung des Wissensaustausches zwischen den Förderinstitutionen vorangetrieben werden. Auch wolle man eine Diversifizierung und Bündelung der Mittel, Kompetenzen und Methoden sowie die Stärkung der internationalen Promotion vornehmen. Der Bericht schloss mit der Erkenntnis, dass die Branche durchaus Potenzial auf der Ebene der Kulturförderung ausweise. Die Förderung dieser Industrie könne als Vorbild für andere, traditionelle Bereiche des kreativen Schaffens fungieren, die sich ebenso mit Themen der Digitalisierung oder einem Wandel im Schaffungsprozess auseinandersetzen müssten. Zugleich könne man an ihr neue Querschnittmethoden testen, die sich besser an den aktuellen Begebenheiten orientieren könnten, und neues Terrain für innovative Förderansätze schaffen. 22 Kirchen und religionspolitische Fragen GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Im Rahmen eines eintägigen Arbeitsbesuchs zu Jahresbeginn in Rom stattete Bundesrat DATUM: 15.01.1997 MARIANNE BENTELI Cotti auch dem Vatikan eine kurze Visite ab. Nach einer Audienz bei Papst Johannes Paul II. unterrichtete er Kardinal-Staatssekretär Sodano, den "Aussenminister" des Heiligen Stuhls, über die grosse Besorgnis der katholischen Bevölkerung der Schweiz bezüglich der Verhältnisse im Bistum Chur. 23 STANDESINITIATIVE Nachdem 1994 und 1995 bei vier Dramen um die Sonnentemplersekte 74 Menschen DATUM: 19.02.1997 MARIANNE BENTELI ums Leben gekommen waren, darunter auch eine gewisse Anzahl von in Genf ansässigen Personen, hatte die Genfer Regierung einen Expertenbericht in Auftrag gegeben, um sich ein Bild über das Ausmass der Gefahr zu machen, die von zweideutigen religiösen Organisationen ausgeht. Nach Abschluss ihrer Untersuchung schlugen die Experten nicht weniger als 40 Massnahmen gegen die negativen Einflüsse sektenähnlicher Organisationen und Gruppierungen vor. Angeregt wurden unter anderem eine verstärkte Aufklärung über Sekten im allgemeinen sowie eine Verbesserung der Opferhilfe für Ausstiegswillige. Die Genfer Regierung leitete darauf dem Kantonsparlament zwei Standesinitiativen zu. Mit der einen Initiative soll ein Artikel ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden, der die "Gehirnwäsche" von Menschen strafbar machen würde. Das zweite Begehren sieht vor, dass die Gründung und das Bestehen eines Vereins obligatorisch den Behörden gemeldet werden muss. 24 PETITION / EINGABE / BESCHWERDE Fast gleichzeitig mit einem Rombesuch von Bischof Haas, bei welchem dieser dem DATUM: 05.04.1997 MARIANNE BENTELI Papst die Situation im Bistum Chur aus seiner Sicht darlegte, forderten die römisch- katholischen Landeskirchen des Bistums ihre Kantonsregierungen und den Bundesrat auf, Schritte zu unternehmen, die auf personelle Verschiebungen in der Diözese Chur abzielen. Die Regierungen der sieben Kantone, welche dem Bistum Chur angegliedert sind (Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Zug, Zürich und Graubünden), intervenierten Mitte Februar beim Bundesrat und baten ihn, sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden diplomatischen Mitteln für die Wiederherstellung des religiösen Friedens im Bistum einzusetzen. Der Bundesrat erachtete das Anliegen als nicht besonders dringlich und beantwortete das Schreiben vorerst nicht. 25 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Als Schweizer Premiere übernahm der Kanton Bern aufgrund seiner neuen DATUM: 02.07.1997 MARIANNE BENTELI Kantonsverfassung die Entlöhnung der jüdischen Rabbiner der Kultusgemeinden Bern und Biel. Damit geht Bern über die Anerkennung der israelitischen Kultusgemeinden hinaus, welche in den letzten Jahren in den Kantonen Basel-Stadt und Freiburg vorgenommen wurden. 26 ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 8
STUDIEN / STATISTIKEN Das Bundeamt für Statistik publizierte Untersuchungsergebnisse, die - auf der Basis DATUM: 15.08.1997 MARIANNE BENTELI der Volkszählungsdaten von 1990 - den Befund bestätigten und präzisierten, dass die religiöse Vielfalt in der Schweiz zunimmt. Die Landeskirchen umfassen zwar immer noch 86% der Bevölkerung, doch hat die Einwanderung den Anteil anderer Konfessionen und Religionen erhöht. Unter den Einwohnerinnen und Einwohnern waren 1990 die Protestanten immer noch etwas zahlreicher als die Katholiken, ebenso in der Bevölkerung der über 40-jährigen. Angehörige von Ostkirchen machten 1990 1% der Wohnbevölkerung aus, Muslime 2,2%. Deren Zahl dürfte seither in Zusammenhang mit der Anwesenheit von Bosniern und Kosovo-Albanern noch deutlich gewachsen sein. 27 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Mehr als eine halbe Million Einwohner der Schweiz (7,4%) erklärten 1990, sie gehörten DATUM: 15.08.1997 MARIANNE BENTELI keiner Religionsgemeinschaft an. Ihr Anteil ist in den Kantonen mit weitgehender Trennung von Kirche und Staat (Neuenburg, Genf) sowie in Basel-Stadt besonders hoch. 1970 hatte diese in der Statistik 1960 geschaffene Kategorie erst 1,1% der Bevölkerung umfasst. Die Relativierung traditioneller Prägungen zeigt sich auch in den geographischen Unterschieden: Die Reformierten sind nur noch im Kanton Bern mit 72% klar in der Mehrheit. Knapp 50% erreichten sie 1990 in den Kantonen Glarus, Thurgau, Waadt, Neuenburg, Zürich, Baselland, Schaffhausen und Appenzell Ausserrhoden. Demgegenüber sind elf Kantone zu mindestens 70% katholisch. In 22,5% der Ehen gehörten 1990 die Ehepartner unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften an gegen lediglich 5% 1880. 28 PETITION / EINGABE / BESCHWERDE Ende August wandten sich die Regierungen der Bistumskantone erneut an Bundesrat DATUM: 28.08.1997 MARIANNE BENTELI Cotti mit der Bitte, sich beim Heiligen Stuhl für eine Lösung des Churer Bistumkonflikts einzusetzen. Nach der Aussprache erklärten sie, sie seien aus Sorge um den religiösen Frieden an den Bundesrat gelangt. Der Fall Haas sei längst kein innerkatholisches Problem mehr, sondern eines von gesamtgesellschaftlicher Tragweite. Das zeigten Konflikte in den Kantonen, aber auch die versuchte Einflussnahme des Churer Bischofs auf das Verhältnis von Kirche und Staat. Bundesrat Cotti versprach, die Angelegenheit vertieft prüfen zu lassen, machte im übrigen aber keine verbindlichen Zusagen eine diplomatische Intervention betreffend. 29 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Ebenfalls Ende August reisten die Schweizer Bischöfe in corpore für eine Woche nach DATUM: 10.09.1997 MARIANNE BENTELI Rom. Der alle fünf Jahre stattfindende "Ad-limina-Besuch" der Diözesanbischöfe eines Landes beim Papst ist eigentlich eine Routineangelegenheit. Diesmal hatte der Besuch eine gewisse Brisanz, weil allen Beobachtern klar war, dass die Schweizer Bischöfe personelle Änderungen im Bistum Chur verlangen würden. Auch auf diese Intervention erfolgte vorerst kein Einlenken aus Rom, ganz im Gegenteil: der Papst mahnte die Schweizer Bischöfe zu mehr Einigkeit und kritisierte deren Distanzierung von Haas. 30 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Haas, durch die Haltung des Papstes beim Ad-limina-Besuch in seinem DATUM: 04.12.1997 MARIANNE BENTELI Selbstbewusstsein bestärkt, ernannte im November drei neue Bischofsvikare, die von der Basiskirche aufgrund deren Haastreue als Provokation erachtet wurden. 14 der 16 Dekane des Bistums protestierten heftig gegen diesen Personalentscheid, der als faktische Entmachtung der beiden Weihbischöfe Vollmar und Henrici gedeutet wurde, welche Rom 1993 zur Entspannung der Stimmung in der Diözese Chur eingesetzt hatte. Der Priesterrat des Bistums forderte daraufhin Haas zum Rücktritt auf. Ob es die eigenwillige Personalpolitik war, welche den Sinneswandel in Rom ermöglichte, oder die diplomatische Demarche des Bundesrates konnte nicht eruiert werden: so oder so wurde Haas anfangs Dezember von Chur auf den neu geschaffenen Sitz eines Erzbischofs von Vaduz "wegbefördert". Mit Erleichterung und unverhohlener Freude reagierten die Vertreter der Bistumskantone und die meisten Chur unterstellten Gläubigen auf diese Nachricht. Auch Bundesrat Cotti konnte eine gewisse Genugtuung über den Abgang von Bischof Haas nicht verbergen, da er darin eine bedeutende Verbesserung der Gesprächskultur sah. 31 ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 9
BUNDESRATSGESCHÄFT Anfangs Oktober beschloss der Bundesrat, den Schweizer Sonderbotschafter beim DATUM: 19.12.1997 MARIANNE BENTELI Heiligen Stuhl mit einer diplomatischen Demarche zu betrauen, um dem Papst die Sorge der sieben Bistumskantone über die Lage im Bistum Chur angemessen zum Ausdruck zu bringen. Der Bundesrat betonte, dass dieser Schritt nicht bedeute, dass er sich in die inneren Angelegenheiten der Kirche einmischen wolle. In einer gleichentags verabschiedeten Antwort auf eine Anfrage von Nationalrätin Grendelmeier (ldu, ZH) schrieb der Bundesrat, es wäre übertrieben zu sagen, dass durch den Fall Haas der religiöse Friede in der Schweiz gefährdet sei. Er sehe daher keinen Anlass, von sich aus Massnahmen zu treffen. Er wolle aber alle sich künftig ergebenden Möglichkeiten der Diplomatie zur Lösung des Konfliktes ergreifen. 32 Urheberrecht GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Im Februar reichte die Pro Litteris, die Urheberrechtsgesellschaft für Literatur und DATUM: 26.08.1997 MARIANNE BENTELI bildende Kunst, 15 Zivilklagen gegen Betriebe ein, die sich nach wie vor weigerten, die im Urheberrechtsgesetz vorgesehenen Gebühren für Fotokopien zu bezahlen. Die Musterprozesse sollen Druck auf die rund 1500 renitenten Betriebe ausüben. Wenig Erfolg hatte die Pro Litteris mit ihrer Forderung, eine "Bildschirm-Abgabe" einzuführen. Mit dem Hinweis auf die mangelnde gesetzliche Grundlage erklärte der Gewerbeverband, einer der wichtigsten Gesprächspartner der Pro Litteris auf der Nutzerseite, er werde in diesem Punkt jegliche Verhandlung boykottieren. 33 Archive, Bibliotheken, Museen GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Die Cinémathèque suisse in Lausanne konnte ihr in den letzten Jahren für insgesamt DATUM: 17.10.1992 MARIANNE BENTELI 8,5 Mio Fr. erworbenes und umgebautes Archivierungszentrum in Penthaz (VD) in Betrieb nehmen. Bisher waren die Filme an verschiedenen – und oft ungeeigneten – Orten eingelagert gewesen. 34 Sprachen KANTONALE POLITIK Aus rechtlichen Gründen und um den Sprachfrieden nicht zu gefährden, will die DATUM: 01.03.1991 MARIANNE BENTELI Bündner Regierung keine Konsultativabstimmung für oder gegen das Rumantsch grischun oder die "Quotidiana" durchführen, wie dies ein im Vorjahr eingereichter parlamentarischer Vorstoss gefordert hatte. Um aber den Volkswillen zu diesen beiden heiklen Themen zu erkunden, erachtet die Kantonsregierung die Durchführung einer nach wissenschaftlichen Methoden angelegten Meinungsumfrage als sinnvoll. Die Bündner Exekutive verhehlte allerdings nicht, dass sie dem Projekt einer romanischen Tageszeitung nach wie vor skeptisch gegenübersteht, umso mehr als die Bündner Zeitungsverleger sich nach einer Denkpause erneut vehement gegen eine Zusammenarbeit mit der Lia Rumantscha aussprachen. 35 BUNDESRATSGESCHÄFT In der letzten Zeit habe sich eine spürbar wachsende Gleichgültigkeit gegenüber der in DATUM: 04.03.1991 MARIANNE BENTELI der Schweizer Geschichte und Kultur verankerten Viersprachigkeit unseres Landes abgezeichnet, hielt der Bundesrat in seiner – gleichentags in allen vier Landessprachen publizierten – Botschaft zur Revision des Sprachenartikels in der Bundesverfassung (Art. 116 BV) fest, wobei die sprachlichen Minderheiten besonders betroffen seien. Deshalb soll der Bund inskünftig die Kantone bei ihren Bemühungen zur Erhaltung und Förderung der Landessprachen vermehrt unterstützen und in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich für eine Verbesserung der zwischensprachlichen Verständigung sorgen. Mit der Sprachenfreiheit soll ein besonders wichtiges, persönlichkeitsnahes Grundrecht explizit in die Verfassung Eingang finden. Gleichzeitig wird der Grundsatz der Viersprachigkeit der Schweiz verankert. Amtssprachen des Bundes bleiben weiterhin das Deutsche, das Französische und das Italienische. Im Verkehr zwischen dem Bund und rätoromanischen Bürgerinnen und Bürgern sowie Institutionen soll jedoch auch das Rätoromanische als Amtssprache gelten. Der revidierte Verfassungsartikel führt ein differenziertes Territorialitätsprinzip ein. Der Sprachgebietsgrundsatz soll nicht für alle Kantone und Sprachsituationen die gleiche Bedeutung haben; vielmehr soll auf die Bedrohung einer Sprache abgestellt ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 10
werden: Je stärker eine Sprache gefährdet erscheint, desto grösser sei das öffentliche Interesse an Massnahmen zu ihrer Erhaltung und desto eher rechtfertigten sich Eingriffe in die Sprachenfreiheit, meinte die Landesregierung. Die Kantone sollen deshalb verpflichtet werden, unter Umständen sogar einschneidende Massnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass sich die bedrängten Sprachen in jenen Gebieten halten können, in denen sie heute gesprochen oder geschrieben werden. Damit die Verständigungsfähigkeit und -bereitschaft zwischen den Sprachgemeinschaften erhalten bleiben und sich weiterentwickeln können, sollen in allen Landesteilen neben der Erhaltung und Förderung der jeweiligen Gebietssprache auch die anderen Landessprachen gepflegt werden. Damit sei, schrieb der Bundesrat, vor allem der Fremdsprachenunterricht in den kantonalen Bildungssystemen – vom Vorschulunterricht bis zur Erwachsenenbildung – angesprochen. 36 BUNDESRATSGESCHÄFT Nach dem Ständerat genehmigte auch der Nationalrat diskussionslos und einstimmig DATUM: 22.03.1991 MARIANNE BENTELI einen Teuerungsausgleich von 25% auf den Bundesbeiträgen zur Förderung der Kultur und Sprache der Kantone Graubünden und Tessin. Die Erhöhung der Subvention wurde als Überbrückungsmassnahme verstanden, bis der revidierte Sprachenartikel eine gezieltere und verstärkte Förderung ermöglichen wird. 37 BERICHT Der Forderung der Tessiner Abgeordneten nach einer sukzessiven Erhöhung der Zahl DATUM: 22.05.1991 MARIANNE BENTELI der italienischsprachigen Bundesbeamten war Bundespräsident Cotti bereits anfangs Jahr zuvorgekommen, als er für sein Departement eine Quotenregelung bei der Personalauswahl einführte. Mit dieser Sofortmassnahme soll im EDI eine angemessene Vertretung der sprachlichen Bevölkerungsgruppen sichergestellt und der Anteil des weiblichen Personals erhöht werden. Ziel ist, bis Ende 1992 Verhältniswerte von 70% deutsch- (heute 74%), 20% französisch- (17%) und 10% italienischsprachige Mitarbeiter (7,5%) zu erreichen. Um den Dienst in der zentralen Bundesverwaltung für Tessiner attraktiver zu machen, regten die Motionäre ebenfalls die Schaffung einer dreisprachigen Schule (deutsch/französisch-italienisch) in Bern an. Auch dieser Wunsch stiess bei Bundespräsident Cotti auf viel Sympathie; er verwies jedoch auf den Grundsatz der kantonalen Schulhoheit und spielte so den Ball dem Kanton Bern zu. In ihrem Inspektionsbericht 1991 bemängelte zudem die GPK des Nationalrates die nach wie vor markante Untervertretung der sprachlichen Minderheiten in der Bundesverwaltung. 38 PARLAMENTARISCHE INITIATIVE Die Tessiner Deputation des Nationalrates äusserte in zwei Motionen ihr Unbehagen DATUM: 19.06.1991 MARIANNE BENTELI über die Stellung des Italienischen in Parlament und Bundesverwaltung und machte eine Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung dieser Situation. Mit der unter Hinweis auf die hohen Kosten einer vollständigen Dreisprachigkeit zwar nur bedingt erfolgten Annahme der Motion zur Parlamentsarbeit zeigte die grosse Kammer dennoch Verständnis für das Anliegen der Tessiner. Im Rahmen der Parlamentsreform und der damit verbundenen Revision des Geschäftsverkehrsgesetzes beschloss der Nationalrat, innerhalb eines Jahres die nötigen Entscheide zur Gleichstellung der Amtssprachen zu fällen; als erste Massnahme dehnte sie die Simultanübersetzung der Plenardebatten aufs Italienische aus; ebenfalls simultan in die Amtssprachen übersetzt sollen inskünftig die Sitzungen der Kommissionen werden, es sei denn, sämtliche Kommissionsmitglieder gleicher Sprache verzichteten auf diese Dienstleistung. 39 GESELLSCHAFTLICHE DEBATTE Zum drittenmal nach 1985 und 1988 fand die "Scuntrada rumantscha", die Woche der DATUM: 11.08.1991 MARIANNE BENTELI Begegnung von und mit den Rätoromanen statt. Das Programm unter der Leitung der Lia Rumantscha, dem Dachverband der Romanen, beleuchtete in Vorträgen, Podiumsdiskussionen und kulturellen Darbietungen sowie verschiedensten Kursen aktuelle Probleme der Rätoromanen. Die "Scuntrada 91" stand unter dem Motto "Begegnung auch mit andern"; Sprachpolitik aus gesamtheitlicher und internationaler Sicht war denn auch einer der Schwerpunkte der Begegnungs- und Arbeitswoche, aber auch das Verhältnis zwischen der nicht selten ausserhalb des Sprachgebiets lebenden "Elite" und dem daheimgebliebenen "Fussvolk". Hier stand einmal mehr das Problem des "Rumantsch grischun" zur Diskussion, einer den rätoromanischen Dialekten aufgesetzten Einheitssprache, deren Ausarbeitung und Verbreitung in erster Linie von ANNÉE POLITIQUE SUISSE — AUSGEWÄHLTE BEITRÄGE DER SCHWEIZER POLITIK 01.01.89 - 01.01.19 11
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