Parkraummanagement lohnt sich! - Leitfaden für Kommunikation und Verwaltungspraxis - Agora Verkehrswende
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Impressum Parkraummanagement lohnt sich! Leitfaden für Kommunikation und Verwaltungspraxis ERSTELLT IM AUFTRAG VON DANKSAGUNG Wir danken dem Agora Netzwerk Urbane Verkehrs- wende sowie den nachfolgend genannten Expertinnen Agora Verkehrswende und Experten für ihre hilfreichen Kommentare und Anna-Louisa-Karsch-Str. 2 | 10178 Berlin wertvollen Informationen. T +49 (0)30 700 14 35-000 F +49 (0)30 700 14 35-129 Berlin: Siegfried Dittrich, Bezirk Mitte, Berlin: Ansgar www.agora-verkehrswende.de Gusy, Fraktion DIE GRÜNEN, Bezirk Charlottenburg- info@agora-verkehrswende.de Wilmersdorf, Berlin: Lorenz Kummert, Ordnungsamt Bezirk Mitte, Stadt Dachau: Bernhard Sturm, Stadtrat, Bündnis für Dachau, Stadt Darmstadt: Zoe Reitz, Stadt- PROJEKTLEITUNG planungsamt – Mobilität und Öffentlicher Raum, HEAG Darmstadt: Prof. Dr. Klaus-Michael Ahrend, Vorstand, Stadt Dinslaken: Stephan Dinn, Stabsstelle Stadtentwick- Anne Klein-Hitpaß lung, Stadt Dortmund: Andreas Meißner, Stadtplanungs- anne.klein-hitpass@agora-verkehrswende.de und Bauordnungsamt, Stadt Göttingen: Maik Lindemann, Wolfgang Aichinger Fachbereich Planung, Bauordnung und Vermessung, wolfgang.aichinger@agora-verkehrswende.de Stadt Hamburg: Lukas Domaschke, Landesbetrieb Verkehr (LBV), Stadt Iserlohn: Thorsten Grothe, Stadtbaurat, Stadt Karlsruhe: Birke Bronner, Stadtplanungsamt Karlsruhe, DURCHFÜHRUNG Bereich Verkehr, Stadt München: Benjamin Stjepanovic, Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Abteilung Verkehrsplanung, Stadt Offenburg: Mathias Kassel, Stabs- Auftragnehmer: stelle Mobilität der Zukunft, Thilo Becker, Bereich Tiefbau Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (difu) + Verkehr, Stadt Potsdam: Norman Niehoff, Bereich Ver- tippingpoints – Agentur für nachhaltige Kommunikation kehrsentwicklung, Universität Stuttgart: Hanna Noller, Städtebauinstitut Autoren: Uta Bauer, Martina Hertel - difu Robert Sedlak - tippingpoints Beratung: RA Dr. Roman Ringwald, RA Sophia Schmidt Kanzlei Becker Büttner Held (BBH) Lektorat: Eva Berié - textetage Unter diesem QR-Code steht diese Satz: Julia Kirsch-Bauer - tippingpoints Publikation als PDF zum Download Titelbild: andipantz/ iStock-458640025 zur Verfügung. Bitte zitieren als: Veröffentlichung: Februar 2019 Agora Verkehrswende (2019): Parkraummanagement 18-2019-DE lohnt sich! Leitfaden für Kommunikation und Verwaltungspraxis Gedruckt auf 100 % Recycling Naturpapier www.agora-verkehrswende.de
Vorwort Immer mehr Einwohner, immer mehr Pendler, immer Städte, die erfolgreich Parkraummanagement etabliert mehr Lieferverkehr: In den Straßen vieler Städte wird haben, berichten jedoch oft von großer Zufriedenheit der Platz knapp, die Konkurrenz um die Nutzung des bei Einzelhandel und Anwohnerinnen und Anwohnern. öffentlichen Raums wird größer. Hinzu kommt, dass Jahr Solche Erfolge sind nicht zuletzt auf eine angemessene für Jahr immer mehr und immer größere Autos zugelas- Kommunikation des Themas zurückzuführen, auf die sen werden. Bis heute löst man das Problem meist damit, Beteiligung der Bewohnerschaft und auf den Mut der immer mehr Parkplätze bereitzustellen. Kommunen, auch Gegenwind auszuhalten. Diese Entwicklung stößt inzwischen an räumliche Gren- Mit dieser Broschüre möchte Agora Verkehrswende zen, ein „Weiter so“ ist nicht mehr möglich. Zum einen Kommunen ermutigen, sich des Parkraummanagements beanspruchen auch andere Verkehrsteilnehmerinnen und zur Förderung eines nachhaltigen Stadtverkehrs anzu- Nutzergruppen den knappen öffentlichen Raum zuneh- nehmen. Wir bieten Hilfestellung sowohl beim Entkräf- mend für sich. So setzen sich beispielsweise deutschland- ten typischer Gegenargumente („Parkgebühren sind weit zahlreiche Initiativen vehement mit „Volksentschei- Abzocke“) als auch bei der Abstimmung und Vermitt- den“ für mehr und sicherere Radwege ein. Zum anderen lung umzusetzender Maßnahmen. Dabei thematisiert wächst der Leidensdruck in den Stadtverwaltungen. Man der Leitfaden sowohl verwaltungsinterne Prozesse als will die Aufenthaltsqualität steigern, den Anforderungen auch die Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern. an die Luftreinhaltung gerecht werden und dafür sorgen, Unsere Empfehlungen beruhen auf empirischen Belegen dass der Verkehr sicher und möglichst reibungslos abge- sowie auf langjährigen Erfahrungen aus der kommunalen wickelt wird. Praxis. Wir hoffen, Ihnen mit dieser Publikation wert- volle Hinweise und aufschlussreiche Informationen mit Diese Aufgaben sind ohne eine Steuerung – gerade auf den Weg zu geben. Denn bei all den Anstrengungen, auch des ruhenden Verkehrs – kaum zu stemmen. Fakt die mit diesem Thema einhergehen, sollte das Ziel nie aus ist jedoch auch: Das Parkraummanagement, also die dem Blick geraten: Die Lebensqualität zu steigern, aus Bewirtschaftung und Reduzierung von Parkplätzen Straßen und Innenstädten einladende Orte der Begegnung im öffentlichen Raum, gehört zu den umstrittensten zu machen und damit nicht zuletzt auch den gesellschaft- verkehrspolitischen Maßnahmen. Deshalb scheuen viele lichen Zusammenhalt zu fördern. Kommunalpolitikerinnen und -politiker die Auseinan- Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten! dersetzung mit dem Thema, selbst wenn sie sich seiner Bedeutung für eine zukunftsfähige Verkehrspolitik Anne Klein-Hitpaß, Wolfgang Aichinger durchaus bewusst sind. und Christian Hochfeld für das Team von Agora Verkehrswende Auch sind Teile der Stadtgesellschaft skeptisch, wenn Berlin, 26. Februar 2019 Kommunen sich anschicken, Parkplätze zu bewirtschaf- ten oder zu reduzieren. Dies ist nicht überraschend, schließlich ist aus der Psychologie bekannt, dass Verluste doppelt so hoch bewertet werden wie Gewinne.1 In der persönlichen Wahrnehmung wiegt der Verlust eines Parkplatzes schwer. Oft so schwer, dass die Gewinne schnell übersehen werden: neue Radwege, sicherere Fußwege, weniger Parksuchverkehr, weniger Schadstoffe und Lärm und – auch das bewirkt Parkraummanagement – das schnellere Auffinden des benötigten Parkplatzes. 1 Thaler, R.; Sunstein, C. R. (2010). 3
Inhalt Vorwort3 Zusammenfassung5 01 | Einführung 7 02 | T ypische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? 11 2.1 Parkgebühren sind Abzocke 11 2.2 Parkgebühren sind sozial ungerecht 14 2.3 Irgendwo müssen die Autos ja hin 17 2.4 Mich kommt keiner mehr besuchen 20 2.5 Als Pendlerin bin ich auf das Auto angewiesen 21 2.6 Ohne Parkplätze kann ich mein Geschäft schließen 23 03 | V on der defensiven zur offensiven Argumentation 25 04 | P arkraummanagement umsetzen und kommunizieren 27 4.1 Parkraumbewirtschaftung richtig planen 27 4.2 Bausteine für ein erfolgreiches Parkraummanagement 33 05 | P lanung und Kommunikation erfolgreich gestalten 41 5.1 Nachhaltige Prozesse brauchen gute interne Steuerung 42 5.2 Zielsichere Kommunikation erhöht die Erfolgschancen 46 06 | A nleitung zur selbstbewussten und erfolgreichen Parkraumkommunikation 47 Literatur- und Quellenverzeichnis 51 Anhang – Regelungen zu Parkgebühren auf Länderebene 57 4
Zusammenfassung Die Mobilitätswende in den Städten braucht Platz für neue Radwege, Busspuren und Straßenbahntrassen – genauso wie für E-Ladesäulen, Lieferzonen oder attraktivere Gehwege. Die Neuverteilung des öffentlichen Raums ermöglicht es, leistungsfähige Verkehrssysteme mit einer stadtverträglichen Mobilität in Einklang zu bringen. Das Parkraummanagement ist hierfür ein zentraler Hebel. Kommunen, die diesen Hebel nicht nutzen, werden dabei zusehen müssen, wie sich bereits heute erkennbare Flächenkonkurrenzen in ihren Straßen weiter verschärfen und städtische Mobilität zunehmend eingeschränkt wird. Damit Parkraummanagement die Mobilitätswende ist der Rechtsrahmen von den Kommunen effektiv unterstützen kann, auszuschöpfen und vom Bund zu erweitern. Insbesondere bei der gesamtstädtischen Ein- sind gängige Vorbehalte zu entkräften und führung von Parkraumbewirtschaftung sind den Datengrundlagen zu verbessern. Kommunen enge rechtliche Grenzen gesetzt. Diese Parkraummanagement nutzt dem Großteil der dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bevölkerung. Nicht immer scheint der Kommunalpo- es durchaus Handlungsspielräume bei der Einfüh- litik bewusst zu sein, dass bspw. eine Reduktion des rung von Parkgebühren oder der Umwandlung von Parkdrucks durch Parkgebühren erlebbare Vorteile Parkplätzen gibt. Diese werden von den Kommunen für die Bevölkerung vor Ort mit sich bringt. Häufige kaum ausgeschöpft, allerdings durch ein aktuelles Einwände – etwa, dass es zu wenig Parkplätze Verwaltungsgerichtsurteil aus Wiesbaden1 nun noch gebe – sind mit einem genauen Blick auf die Fakten weiter ausgedehnt. Laut dieses Urteils wird die zu entkräften. Dafür sind jedoch Daten erforderlich, Reduzierung bzw. Abschaffung kostenlosen Par- die zum Beispiel die Parkreserven im öffentlichen kraums als wirkungsvolle Maßnahme zur Verringe- Raum und den Leerstand in privaten Garagen und rung der NO2-Belastung gewertet. Hier ist jetzt der Parkhäusern beziffern (siehe Kapitel 2 und 3). Bund gefordert: Damit Kommunen ihre eigenen ver- kehrspolitischen Ziele einfacher umsetzen können, ist Parkraummanagement gesamtstädtisch zu darf das Straßenverkehrsrecht nicht länger einseitig planen und politisch zu verankern. am Kfz-Verkehr ausgerichtet bleiben, sondern muss Für ein erfolgreiches Parkraummanagement ist – bspw. auch den Gesundheits- und Umweltschutz über die Zentren hinaus – die gesamte Stadt in den für die Gesamtbevölkerung berücksichtigen. Zudem Blick zu nehmen. Kleinräumige Lösungen sind zu benötigen Kommunen einen größeren Spielraum bei vermeiden und die umzusetzenden Maßnahmen der Bepreisung von Parkflächen oder beim Verhän- sind aufeinander abzustimmen und in kommunalen gen von Bußgeldern. Erzielte Überschüsse sollten Zielsetzungen, strategischen Plänen und politischen wieder in den Umweltverbund reinvestiert werden. Beschlüssen zu verankern. Auf dieser Basis kön- nen Veränderungen erfolgreich kommuniziert und ist der Umweltverbund zu stärken und die umgesetzt werden (siehe Kapitel 4). Kommunikation zu professionalisieren. Schon heute wünschen sich viele Menschen mehr ist Unterstützung zu organisieren und und bessere Alternativen zur Automobilität. Weil Verständnis zu schaffen. Parkraumbewirtschaftung den Flächenbedarf für Ein interner Steuerungskreis aus Verwaltung und den ruhenden Verkehr verringert, entsteht mehr Politik sollte geschlossen die Neuausrichtung des Platz für neue Radwege oder Trassen für Busse Parkraummanagements vertreten. Bei der anschlie- und Bahnen. Kommunikation ist bei dieser Trans- ßenden Beteiligung der Bevölkerung sollten dann formation des Stadtverkehrs eine erfolgskritische Aspekte der konkreten Umsetzung im Mittelpunkt Daueraufgabe. Sie muss vermitteln, dass die Mobi- stehen. Dabei ist es wichtig, Unterstützer zu akti- litätswende zwar auch Verluste für den Einzelnen vieren, die sich mit Gestaltungswillen einbringen. mit sich bringen kann – etwa von kostenfreien Mit dieser „Rückendeckung“ ist es für Verwaltung Parkplätzen – vor allem aber Gewinne für die ganze und Politik einfacher, auf Widerstände einzugehen Bevölkerung. Und dass sie sich lohnt. und gelegentlichen Gegenwind auszuhalten (siehe Kapitel 5 und 6). 1 VG Wiesbaden, Urt. v. 5.9.2018 – 4 K1613/15.WI. 5
Agora Verkehrswende | 01 | Einführung 01 | Einführung In vielen Städten ist Parken eines der brennendsten Angebot von privaten und öffentlichen Stellplätzen Themen der Verkehrspolitik. Immer mehr Einwohner, steuern Einpendler und Autos lassen den Platz knapp werden. Durch die Menge und Art der Parkraumbereitstellung Zusätzlicher Lieferverkehr verschärft das Problem. kann in erheblichem Maß auf die Ziel- und Verkehrs- Handlungsbedarf ergibt sich auch aus den nicht erreich- mittelwahl Einfluss genommen werden. Kostenlose ten Klimaschutzzielen und Vorgaben zur Luftreinhaltung, Parkplätze induzieren motorisierten Individualverkehr. die in vielen Städten die bisherigen autoorientierten Hingegen werden andere Verkehrsmittel attraktiver, Prioritäten der Verkehrspolitik in Frage stellen. wenn Parkplätze fehlen oder kostenpflichtig sind. Denn wer am Zielort keinen (kostenlosen) Parkplatz findet, Ein generelles Umsteuern ist notwendig. Das Parkraum- macht sich schon beim Start über die Alternativen management ist eine zentrale Stellschraube, um den Gedanken. Parkraummanagement zielt auch darauf ab, städtischen öffentlichen Raum nicht mehr einseitig den Parksuchverkehr zu reduzieren, die Auslastung des zugunsten des Automobils zu verteilen und Platz für Parkraums zu verringern und damit die Erreichbarkeit Menschen zu schaffen, die zu Fuß gehen, mit dem Fahr- und Funktionsfähigkeit der Stadträume sicherzustellen. rad oder mit Bussen und Bahnen unterwegs sind. Denn Parkraummanagement ist in diesem Zusammenhang der der Platz in Städten ist begrenzt und der ruhende Verkehr Sammelbegriff, um das Angebot von privaten Stellplätzen eine höchst ineffiziente Nutzung. Autos werden durch- an der Wohnung oder an Zielorten sowie im öffentli- schnittlich nur eine dreiviertel Stunde pro Tag bewegt, chen Straßenraum zu beeinflussen (vgl. Abbildung 1). manche Fahrzeuge stehen sogar wochenlang ungenutzt Wechselwirkungen zwischen dem Angebot an privatem herum. Falschparkende Autos gefährden Fußgänger und und öffentlichem Parkraum sind dabei immer mit zu Radfahrende, da Kreuzungen zugeparkt und damit Sicht- beachten. beziehungen zugestellt werden. Private Stellplätze begrenzen Trotzdem sind Bemühungen, Parkraum zu bewirtschaf- Wer Wohnungen, Geschäftshäuser oder Büros baut, ten oder zu reduzieren, umstritten und stoßen bei der muss Pkw-Stellplätze oder Garagen errichten. Das hat Bevölkerung, bei Gewerbetreibenden und Kommunal- 1939 die Reichsgaragenordnung festgelegt. Und so ist die politikern mitunter auf heftigen Widerstand. Während sogenannte Stellplatzbaupflicht in vielen Bundesländern früher die Verwaltung nach dem Motto agierte: „intern geltendes Recht. Allerdings werden inzwischen Kommu- beraten – intern entscheiden – verkünden – verteidi- nen über novellierte Landesbauordnungen ermächtigt, gen“1 , ist Kommunikation und Beteiligung mittlerweile von der Stellplatzbaupflicht abzusehen oder die erforder- zu einer eigenen und selbstverständlichen Aufgabe der lichen Stellplätze in Abhängigkeit von der ÖPNV-Anbin- Kommune geworden. dung zu reduzieren. Das begrenzt die Kosten im Woh- nungsbau und beeinflusst die Verkehrsnachfrage am Ort Die vorliegende Broschüre möchte deshalb sachliche der Entstehung. Neu ist auch, dass einige Landesbauord- Argumentationslinien aufzeigen, Umsetzungshilfen für nungen inzwischen den Nachweis von Fahrradabstell- die Verwaltung bieten, nachahmenswerte Praxisbei- anlagen vorsehen. Bisher galt, dass sich einmal errichtete spiele benennen sowie gelungene Kommunikationswege private Stellplätze der weiteren Steuerung durch die aufzeigen. Diese Bausteine sollen helfen, emotionale öffentliche Hand entziehen. Digitale Park-Apps machen Debatten rund um das Thema Parken zu versachlichen. diese Stellplätze zum Teil zugänglich, sodass sie im Welche Instrumente haben die Kommunen, um den Tagesverlauf effektiver genutzt werden können. ruhenden Verkehr wirksam zu steuern? Parkraum im öffentlichen Raum umwidmen und reduzieren Nach dem Straßen- und Straßenverkehrsrecht darf überall dort im öffentlichen Raum geparkt werden, wo es nicht ausdrücklich verboten ist. Es gehört zum Gemein- gebrauch. Kommunen haben dennoch Handlungskompe- 1 Selle (1996). 7
Parkraummanagement lohnt sich! | 01 | Einführung tenzen: Sie bestimmen, welche Verkehrsteilnehmenden Nutzungswidmung für bestimmte Fahrzeuge (z. B. Pkw, welche Verkehrsfläche nutzen. Sie können auch nur Lieferfahrzeuge) oder Halter (z. B. Anwohner, Menschen bestimmte Verkehrsarten zulassen, wie etwa den Rad- mit Behinderung). Die beste Parkraumbewirtschaftung verkehr, oder Parkplatzflächen zu Fahrradabstellanlagen nützt jedoch wenig, wenn sie nicht angemessen über- und Aufenthaltsflächen umwidmen. Die Kommunen wacht wird. Vergleichsweise niedrige Parkgebühren und sind zudem berechtigt, den Parkraum auf Straßen zu Bußgelder erschweren die Kontrolle. Aufgrund des vor- verknappen. Die Umwandlung öffentlicher Stellplätze handenen unklaren Rechtsrahmens kommt die möglichst zu neuen Radwegen, Busspuren oder Tramlinien ist ein flächendeckende Ausdehnung der Parkraumbewirt- zentraler Hebel, um eine nachhaltige und klimafreundli- schaftung in vielen Städten nicht voran. Neue Dynamik che Mobilität zum Nutzen aller Verkehrsteilnehmerinnen bringt jedoch ein aktuelles Verwaltungsgerichtsurteil aus und Verkehrsteilnehmer zu fördern. Zur Verknappung Wiesbaden. In seiner schriftlichen Begründung zu Fahr- der öffentlichen Stellplätze zählen (absolute) Haltever- verboten in Frankfurt am Main schlägt das Gericht einen bote, die verkehrlich begründet werden sollten.2 konsequenten Schritt zur Einhaltung der Luftschad- stoffgrenzwerte vor: „Die Reduzierung beziehungsweise Parkraum bewirtschaften Abschaffung kostenlosen Parkraums dürfte zu einer Die Bewirtschaftung des Parkraums im öffentlichen erheblichen Abnahme des innerstädtischen motorisier- Straßenraum ist in vielen Städten insbesondere in den ten Individualverkehrs, insbesondere des Parksuchver- zentralen Geschäftsbereichen seit vielen Jahren ein- kehrs, und somit zu einer signifikanten Minderung der geführt. Geregelt werden können der Zeitpunkt des NO2-Belastung führen …“, heißt es in der schriftlichen Parkvorgangs, die Parkdauer, die Gebührenhöhe und die Urteilsbegründung.3 2 Agora Verkehrswende (2018), S. 8 3 VG Wiesbaden, Urt. v. 5.9.2018 – 4 K 1613/15.WI. Parkraummanagement und Parkraumbewirtschaftung Abbildung 1 Parkraummanagement Angebotssteuerung - Ausweisung oder Reduzierung von Straßenraumparken - Stellplatzsatzung/-regelung - Förderung von Sammelgaragen, zeitliche Mehrfachnutzung von Parkflächen - Betriebliches Stellplatzmanagement Parkraumangebot Öffentlich Parkstände auf Private zugängliche öffentlichen Stellplätze Parkierungs- Verkehrsflächen anlagen - Parkzweckbeschränkung - Parkdauerbeschränkung - Parkgebühren -Parkleitsystem - Bewohnerparken -Zielführungssysteme - Überwachung -Parking-Apps Parkraumbewirtschaftung Informationssysteme Eigene Darstellung nach Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (2004): Leitfaden Parkraumbewirtschaftung, Berlin. 8
Agora Verkehrswende | 01 | Einführung Foto: DANIEL / It started with a fight... and now it's all about the bike! Abbildung 2: Die Umwandlung von Parkplätzen ermög- lichte einen hoch- wertigen Radweg in Osnabrück. Parkhäuser und Sammelgaragen als Instrumente Die Aufzählung der wesentlichen Instrumente zur zur flexiblen Steuerung nutzen Steuerung des Parkraumangebotes und der Parkraum- Private und kommunal betriebene Parkhäuser ergän- nachfrage macht deutlich: Trotz des eingeschränkten zen das Parkraumangebot in den Innenstädten und rechtlichen Handlungsrahmens haben Kommunen heute Geschäftszentren. Grundsätzlich muss die Kommune hier einen Gestaltungsspielraum, den sie im Sinne einer bestrebt sein, das quantitative Angebot und die Preise so Verbesserung der Lebensqualität und zum Schutz der zu gestalten, dass Stellplätze im öffentlichen Raum teurer Umwelt nutzen können. Eine wichtige Empfehlung ist sind als in Parkhäusern und Garagen. Darüber hinaus also, bereits geltendes Recht konsequent anzuwenden. wird inzwischen die Idee der Quartiers- oder Sammelga- Dies gilt für Großstädte ebenso wie für Klein- und Mit- ragen in wachsenden Städten wieder reaktiviert, um den telstädte. privaten und öffentlichen Stellplatzbedarf zeitlich flexi- bel und flächeneffizient zu steuern.4 Die Bewirtschaftung des öffentlichen Parkraumes ist allerdings eine wichtige Voraussetzung, damit solche Angebote überhaupt ange- nommen werden. 4 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen (2018). 9
02 | T ypische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? Alle, die mit dem ruhenden Kfz-Verkehr zu tun haben, Gebühren erheben. Parkraumbewirtschaftungsmaß- kennen das Phänomen: Die Einführung von Parkraum- nahmen, etwa Bewohnerparkzonen oder das Kurz- bewirtschaftung oder die Reduzierung von Parkständen zeitparken, dürfen nur dann eingeführt werden, wenn im öffentlichen Raum werden kontrovers diskutiert. sie verkehrlich begründet sind. Es müssen bestimmte Dabei sind es die immer gleichen – meist emotionalen – nachzuweisende Tatbestände vorliegen wie Parkdruck Argumente, die vorgetragen werden. Viele Behauptungen oder konkurrierende Nutzergruppen oder die Belastung entsprechen jedoch nicht der Wahrheit und lassen sich der Wohnbevölkerung mit Lärm und Abgasen. Das heißt, mit Fakten und sachlichen Argumenten entkräften. die Stadtverwaltung handelt nicht willkürlich, sondern möchte Parkdruck mindern, Parksuchverkehr reduzieren und möglichst vielen Parksuchenden eine Parkmöglich- 2.1 Parkgebühren sind Abzocke keit bieten. Viele Autofahrer sehen es als „Grundrecht“ an, kosten- Parkplätze gibt es nicht umsonst los vor der eigenen Wohnung, in der Innenstadt oder an Niemand zahlt gerne für etwas, das bisher gratis war. anderen Zielorten parken zu können. Parkgebühren wer- Aber: Parken ist eine Leistung, die nachgefragt wird. Eine den als ungerechtfertigte Abzocke abgelehnt. Weiterhin Bepreisung entspricht den Grundsätzen der Marktwirt- wird argumentiert, dass sich Autofahrende bereits über schaft. Wird Parken nicht geregelt, wächst die Nachfrage die Kfz-Steuer oder als Grundstückseigentümer über unbegrenzt und lässt sich nicht mehr steuern. Auch für Straßenausbaubeiträge an den Infrastrukturkosten des den Parkplatz am Straßenrand entstehen Kosten. Für die Straßenraumes beteiligen. Erstellung und Unterhaltung zahlt die Kommune Geld. Die Herstellungskosten für einen Stellplatz am Straßen- arkgebühren werden nicht willkürlich erhoben P rand liegen bei circa 1.500 €5, die jährlichen Unterhal- Generell gilt: Ein Grundrecht auf einen kostenlosen Parkplatz gibt es nicht. Gemäß Straßenverkehrsrecht (§ 6a Abs. 6 StVG) können Kommunen für das Parken 5 Vgl. BBSR (2015). Gebühren für das Kurzzeitparken in deutschen und europäischen Großstädten im Vergleich Abbildung 3 5,29 €/h 5 €/h 4,70 €/h 4,02 €/h 2,60 €/h 1 €/h Cottbus München Stuttgart Kopenhagen Amsterdam Stockholm Quelle: Eigene Abb. nach Parkgebühren-Ordnung sowie Internetseiten der genannten Städte . 11
Parkraummanagement lohnt sich! | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? Gebühren für das Bewohnerparken in deutschen und europäischen Städten pro Jahr im Vergleich Abbildung 4 827 € 535 € 158 € 30 € 31 € 10 € Berlin München Cottbus Kopenhagen Amsterdam Stockholm Quelle: Die Internetseiten der jeweiligen Städte . tungskosten beispielsweise in Berlin6 bei circa 60 €.7 Die Öffentlicher Raum ist mehr wert Kfz-Steuer deckt bei Weitem nicht die enormen Kosten, Straßen, Gehwege, Plätze und Grünflächen in den Städ- die der motorisierte Individualverkehr verursacht.8 Die ten sind ein Gemeingut, das allen Bevölkerungsgruppen Straßenausbaubeiträge, die in einigen Bundesländern gleichermaßen zur Verfügung stehen soll. Öffentlicher von Anliegern zu zahlen sind, wären tatsächlich ein Raum wird immer knapper, je mehr Menschen in der Gegenargument. Allerdings sind sie höchst umstritten, in Stadt wohnen oder zum Arbeiten und Einkaufen in die einigen Bundesländern bereits abgeschafft oder betreffen Stadt fahren. Gemessen daran genießt der fließende und eher reine Anliegerstraßen in Stadtrandlage. Dort ist der ruhende Kfz-Verkehr über den sogenannten Gemeinge- Parkdruck ohnehin gering und eine Parkraumbewirt- brauch9 eine Sonderstellung: Er nimmt überproportional schaftung kann nicht begründet werden. viel öffentliche Fläche ein und wird gegenüber anderen Verkehrsmitteln und Nutzungsmöglichkeiten bevor- arkgebühren sind in deutschen Städten niedrig. Sowohl P zugt. Angesichts der Flächenknappheit ist der Raum, der bei den Parkgebühren – als auch bei den Kosten für parkenden Autos eingeräumt wird, irrational groß. Ein Bewohnerparkausweise – rangiert Deutschland im durchschnittlicher Parkplatz benötigt 12,5 m2 Fläche – internationalen Vergleich weit hinten. Städte in anderen genauso viel wie ein durchschnittliches Kinderzimmer. Ländern stellen weit höhere Gebühren in Rechnung und Dabei wird das Auto nur eine dreiviertel Stunde am Tag können so den Verkehr wirksamer steuern als deutsche bewegt und steht im Schnitt mehr als 23 Stunden täglich Kommunen. herum, meist im öffentlichen Straßenland.10 6 Notz (2015). 7 Darüber hinaus verursacht das Gehwegparken (erlaubt und unerlaubt) auch massive Schäden, da diese Flächen nicht für die Belastung durch SUVs ausgelegt sind. Für die Instandhaltung von Gehwegen zahlt die Allgemeinheit. 9 Agora Verkehrswende (2018: 14). 8 Sommer et al. (2017). 10 BMVI (2017). 12
Agora Verkehrswende | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? Beispiele für eine gelungene Umsetzung Parkgebühren sind Abzocke! Parkraumbewirtschaftung ist nur dann gerecht und Stimmt das wirklich? wirksam, wenn sie möglichst flächendeckend eingeführt Nein, Parkgebühren sind notwendig. wird. Werden nur einzelne Zonen ausgewiesen, weichen Autofahrende in andere Stadtgebiete aus. Viele Städte • Parkraum anzubieten ist eine Leistung, die machen die Erfahrung, dass die Einführung von Park- angesichts des knappen öffentlichen Rau- raumbewirtschaftung auch von benachbarten Stadtbe- mes in Städten einen hohen Wert hat. zirken eingefordert wird, wenn nebenan die positiven Wirkungen zu beobachten sind. • Parkplätze verursachen Kosten in der Herstellung und im Unterhalt. München In der Münchener Innenstadt ist der Parkraum bewirt- • Außerdem sind Parkgebühren und schaftet. An Werktagen ist dort das Parken zwischen 8 Gebühren für das Bewohnerparken im und 23 Uhr kostenpflichtig. Allerdings zeigen die Erfah- internationalen Vergleich viel zu niedrig. rungen, dass die Gebührenhöhe (2,60 €/h, 6,00 € am Tag) inzwischen zu niedrig ist, um noch eine steuernde Wir- kung zu entfalten. In zwei innenstadtnahen Parklizenz- gebieten wurde aktuell die Tagesgebühr auf 10 € erhöht, um Einpendler auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel zu lenken.11 11 Schubert (2018). Foto: Theo Klein / BILD Abbildung 5: München Glockenbachviertel – wenig Raum für Gemütlichkeit. 13
Parkraummanagement lohnt sich! | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? 2.2 Parkgebühren sind sozial in vielen Städten die Parkgebühren in den letzten Jahren ungerecht konstant geblieben sind, stiegen die Kosten für den Nah- verkehr kontinuierlich, sogar stärker als die Kosten für das Autofahren insgesamt, das belegt aktuell das Statisti- Parkgebühren und Bewohnerparkausweise, so wird sche Bundesamt.12 An Tankstellen käme niemand auf die argumentiert, belasteten in erster Linie das Budget der Idee, reduzierte Kraftstoffpreise für finanziell schlechter Geringverdienenden und seien deshalb sozial ungerecht. gestellte Autofahrende zu fordern. Das gleiche gilt für Zugegeben, eine alleinerziehende, teilzeitarbeitende andere Konsumgüter. Der Verdacht drängt sich auf, dass Mutter, die einen geschenkten Kleinwagen fährt und für die autofahrende Mittelschicht einkommensschwache den Weg zur Arbeit auf ein Auto angewiesen ist, wird Bevölkerungsgruppen nutzt, um eigene Interessen zu durch eine Parkgebühr oder einen Bewohnerparkaus- legitimieren. weis stärker belastet als ein finanziell besser gestellter Autofahrer. Trotzdem überzeugt das Argument nicht. Geringere Teilhabe, höhere Belastung Haushalte mit niedrigem Einkommen haben häufig kein Die Hälfte der Haushalte mit geringem Einkommen eigenes Auto, wohnen aber überdurchschnittlich häufig ist nicht mit dem Auto mobil an stark befahrenen Straßen, da hier aufgrund der Lärm- Fast die Hälfte der Haushalte mit niedrigem Einkommen und Luftschadstoffbelastung die Mieten niedriger sind ist nicht automobil (zum Vergleich: nur 8 Prozent der als in ruhigen Wohnquartieren.13 Sie sind damit stärker Haushalte mit hohem ökonomischem Status haben kein als wohlhabende Haushalte von den negativen Folgen des Auto). Selbst wer einen privaten Pkw nutzt, wird durch Autoverkehrs betroffen, ohne sie verursacht zu haben. die Gebühren für einen Bewohnerparkausweis nicht messbar zusätzlich belastet. Ein Bewohnerparkausweis von 31 €/Jahr macht nur 1 Prozent der jährlichen Kosten 12 Statistisches Bundesamt (2018). eines Autos (ohne Kraftstoffkosten) aus. Und während 13 Becker (2016). Modal Split in Abhängigkeit vom ökonomischen Status Abbildung 6 sehr niedrig sehr hoch 12% 12% 33% 43% 20% 28% 12% 10% 15% 15% Rad zu Fuß ÖV MIV-Mitfahrer MIV-Fahrer Quelle: BMVI (2017). 14
Agora Verkehrswende | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? Höhere Sicherheit für Fuß- und Radverkehr Parkgebühren sind sozial ungerecht! Nicht die Parkgebühren sind sozial ungerecht, sondern Stimmt das wirklich? Falschparken, das zu einem massiven Verkehrssicher- Nein, im Gegenteil: heitsproblem wird, wenn Sichtachsen zugestellt werden. Der in vielen Unfallberichten dokumentierte Satz; „… • Parkraumbewirtschaftung ist sozial, weil tritt unvermittelt auf die Fahrbahn …“ verschleiert, dass damit die Interessen „schwächerer“ Bevöl- zugestellte Querungen insbesondere Kindern gar keine kerungsgruppen gewahrt werden, insbe- andere Wahl lassen. Zudem werden Rettungsfahrzeuge, sondere hinsichtlich der Verkehrssicherheit. die Müllabfuhr oder auch Busse und Straßenbahnen durch rücksichtlos abgestellte Fahrzeuge behindert. Wer • Von Parkraumbewirtschaftung profitieren überwiegend zu Fuß, mit dem Fahrrad und mit Bus und einkommensschwache Haushalte, Bahn unterwegs ist, freut sich über breitere Gehwege, sichere Radwege und übersichtliche Kreuzungen. -- weil sie sich den Autobesitz seltener leisten können und eher zu Fuß, mit Beispiele für eine gelungene Umsetzung dem Fahrrad oder Bussen und Bahnen Parkraummanagement und Parkraumbewirtschaftung unterwegs sind, sind sozial, da von den Wirkungen und Effekten ganz besonders „schwächere“ Verkehrsteilnehmer profitie- -- weil sie sich „grüne Wohngebiete“ nicht ren. Maßnahmen sollten deshalb konsequent umgesetzt leisten können und eher an verlärmten, werden. dreckigen, zugeparkten Straßen wohnen. • Es ist sozial ungerecht, dass die Preise für den ÖPNV regelmäßig steigen, Parkgebüh- ren aber nicht erhöht werden. Foto: © picture alliance / Holger Hollemann / dpa Abbildung 7: Elterntaxis bringen Gefahren für Schulkinder. 15
Parkraummanagement lohnt sich! | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? Bremen – Fahrrad-Modellquartier Alte Neustadt ständig mobilen Schulkinder ist dadurch inzwischen Flächendeckend werden die Einmündungen im Bre- auf fast 80 Prozent angestiegen, etwa die Hälfte davon mer Stadtteil Alte Neustadt gegen behinderndes Parken kommt zu Fuß.16 gesichert (Gehwegnasen) und mit Fahrradabstellanlagen ausgestattet. Insgesamt sollen so mehr als 360 zusätz- liche Fahrrad-Stellplätze im gesamten Modellquartier entstehen.14 Bannmeile für Elterntaxis in Hannover15 Seit einem Jahr dürfen vor der Albert-Schweitzer-Schule im hannoverschen Stadtteil Limmer keine sogenannten Elterntaxis mehr halten, mit denen Schüler direkt vor der Schule abgesetzt werden. Bei dem Modellversuch werden die Autos auf einen Halteplatz geleitet. Die Straße vor der Schule darf jeden Morgen für eine Stunde – außer von Anliegern – nicht befahren werden. Der Modellver- such gilt als Erfolg und soll auf andere Grundschulen in Hannover übertragen werden. Die „Elterntaxis“ gelten nicht nur in Hannover als Problem. Vorbild war die Stadt Bozen, die seit den 1990er Jahren vor den Grundschulen sogenannte Schulstraßen ausweist, die vor und nach dem Unterricht jeweils eine Viertelstunde lang für den moto- risierten Verkehr gesperrt sind. Der Anteil der selbst- 14 Freie Hansestadt Bremen, Der Senator für Umwelt, Bau und 16 VCÖ (2016). Verkehr (Hrsg.) (2018a). 15 Brandau (2018). Preisentwicklung ÖPNV-Tickets und Parkgebühren in München Abbildung 8 80% Monatskarte 60% Einzelticket 40% 20% Parkgebühr pro Stunde 0% 2003 2006 2009 2012 2015 2018 Quelle: Fahrgastverband Pro Bahn (2017) und Abendzeitung (2017). 16
Agora Verkehrswende | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? 2.3 Irgendwo müssen die Autos ja hin gelastet und stehen nachts leer. Vielerorts wird auch aus Bequemlichkeit lieber am Straßenrand als in der (Tief-) Parkplätze zu reduzieren oder zu bewirtschaften ist eine Garage geparkt. Nach einer Parkraumerhebung kommen schöne Idee grüner Weltverbesserer, argumentieren viele viele Kommunen zu dem Ergebnis, dass sie kein Parkpro- Gegner. Es ändere aber nichts an der Tatsache, dass viele blem haben, sondern ein „Kostenlos-vor-der-Wohnung- Haushalte ein Auto besitzen und es irgendwo abstellen oder-dem-Geschäft-parken-Problem“. Gleichfalls wird müssen. in diesen Untersuchungen festgestellt, dass Einpendler von außen wertvolle innerstädtische Flächen den ganzen Angebot und Nachfrage über den Preis regeln Tag über belegen oder manche das Auto nur sporadisch In der Tat, unsere Städte wurden – mit wenigen Ausnah- im Monat bewegen. Strategie sollte es deshalb sein, vor- men – vor der Massenmotorisierung gebaut und sind handenen Parkraum – besonders auf privatem Grund – der rasant gestiegenen Zahl an Pkws nicht gewachsen. optimaler zu nutzen. Und warum sollte es nicht zumutbar Den Haushalten zu empfehlen, das Auto morgen abzu- sein, zum Parkplatz ähnlich viele Gehminuten zurückzu- schaffen, ist keine Lösung. Aber der Straßenraum bleibt legen wie zur nächsten Haltestelle? endlich. Und das Problem lässt sich eher mit als ohne Parkraumbewirtschaftung lösen, weil so ortsfremde Parkgebühren öffnen die Augen für mögliche Dauerparker draußen gehalten werden können. Auch bei Alternativen anderen Angeboten akzeptieren wir, dass sich die Nach- Es ist nicht bekannt, dass in Kommunen nach Einführung frage bei knappem Angebot über den Preis regelt. von Parkgebühren der Verkehr zusammengebrochen ist. Denn es verbleiben zahlreiche Handlungsoptionen, Parkraumangebot und -nachfrage analysieren von denen Menschen Gebrauch machen: Sie entrümpeln Vor jeder Einführung von Parkraumbewirtschaftung vorhandene Garagen und parken wieder auf privatem steht die Analyse des Parkflächenangebotes. Generell ist Grund. Sie parken kostengünstiger weiter weg und gehen vielen Kommunen nicht bekannt, wie viele Parkstände dann zu Fuß, steigen um auf ÖPNV oder ein Leihrad. im öffentlichen Raum oder auf privaten Flächen vorhan- Sie parken am Zielort und zahlen dafür, weil ihnen die den sind. Viele innerstädtische Parkhäuser sind über das Bequemlichkeit den Preis wert ist. Oder sie verzichten Jahr gesehen lediglich an den Advents-Samstagen aus- auf das Auto und nutzen andere Verkehrsmittel. Verkehrsmittelwahl in Abhängigkeit vom Parkplatzangebot Abbildung 9 Parkplatz am Arbeitsplatz vorhanden Kein Parkplatz am Arbeitsplatz vorhanden 5% 9% 5% 8% 11 % 5% 31 % 77 % 5% 44 % Rad zu Fuß öffentlicher Verkehr MIV-Mitfahrer MIV-Fahrer Quelle: BMVIT (2016). 17
Parkraummanagement lohnt sich! | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? Foto: Kitty Kleist-Heinrich / Der Tagesspiegel Abbildung 10: Attraktives Wohnen ohne Autos: München, Domagkpark Parkraumbewirtschaftung wirkt Durch Parkraumbewirtschaftung lässt sich die Ver- Irgendwo müssen die Autos ja hin! kehrsmittelwahl Gebietsfremder wirksam steuern. Stimmt das wirklich? Wer keinen Parkplatz findet, kommt das nächste Mal Ja, das stimmt. vielleicht mit Bussen und Bahnen ans Ziel. Bewohner finden meist leichter einen Parkplatz. Parkraumbewirt- • Aber warum akzeptieren wir beim Auto an- schaftung entlastet Wohnquartiere und Innenstädte und dere Regeln als bei anderen Verkehrsmitteln? macht sie attraktiver. Und sie ist verglichen mit vielen Warum darf der Weg zur Haltestelle länger Infrastrukturmaßnahmen kostengünstig und – nach sein als zum Auto? kommunalpolitischem Beschluss – schnell umsetzbar. • In vielen Städten und Stadtquartieren ist das Beispiele für eine gelungene Umsetzung vorhandene Stellplatzangebot in privaten Städte wie Amsterdam, Zürich und Kopenhagen sind Garagen oder öffentlich zugänglichen Park- attraktiv und boomen, obwohl sie das Parkraumange- häusern nicht ausgelastet, d.h. in der Regel gibt bot in den Innenstädten drastisch reduziert haben. Ein es ausreichenden Parkraum. sinnvoller erster Schritt ist es, vorhandenen Parkraum effektiver zu nutzen und den öffentlichen Raum von parkenden Autos weitgehend zu befreien. Diese Strategie wird aktuell konsequent in der Innenstadt von Köln und exemplarisch in einigen neu geplanten Stadtquartieren verschiedener Städte umgesetzt. 18
Agora Verkehrswende | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? Foto: © picture alliance / SZ Photo / Ales- sandra Schellnegger Abbildung 11: Parkhaus am Berliner Alexan- derplatz: Parkraum ist vorhanden, wird aber nicht genutzt. Multimodale Mobilitätsangebote im Wohnquartier Sowohl in Bestandsquartieren (Bremen)17 wie auch in neuen Stadtquartieren (München: Domagkpark, Darmstadt: Lincoln-Siedlung18) unterstützen eine Viel- zahl wohnungsnaher Mobilitätsangebote die Bewohner dabei, auch ohne eigenes Fahrzeug mobil zu sein. Das Angebot reicht dabei von Buchungs-Apps für verschie- dene Mobilitätsangebote, Mietertickets für Bus und Bahn, Car- und Bikesharing-Angeboten (auch Lastenrä- der und Elektroroller) über Fahrradboxen und Ladesäulen bis zu Paketstationen oder Ridesharing-Fahrdiensten. Die bereits umgesetzten Projekte Lincoln-Siedlung, mobil.punkt Bremen und switchh19 belegen, dass sich die Autoflut eindämmen lässt und gerade deshalb attraktive, nachgefragte Wohnquartiere entstehen. 17 Freie Hansestadt Bremen, Der Senator für Umwelt, Bau und Verkehr (Hrsg.) (2018a). 18 BVD New Living (2018). 19 BVD New Living (2018); Freie Hansestadt Bremen (2017); Hamburger Hochbahn AG (2018). 19
Parkraummanagement lohnt sich! | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? 2.4 Mich kommt keiner mehr besuchen Mich kommt keiner mehr besuchen! Stimmt Ältere Anwohnerinnen und Anwohner, die gesundheit- das wirklich? lich eingeschränkt sind, fürchten, nach der Einführung Nein, die Befürchtungen sind unbegründet: der Parkraumbewirtschaftung schlecht für Pflegedienste, den Mittagstisch oder Handwerker erreichbar zu sein. • Parkraumbewirtschaftung wird nur dort Damit verbunden ist die Angst zu vereinsamen, weil eingeführt, wo es ein gutes Angebot an öf- Kinder, Enkel und Freunde von den Parkgebühren abge- fentlichen Verkehrsmitteln gibt. Es gibt also schreckt werden und seltener zu Besuch kommen. Die Alternativen zum Auto! Bedenken sind in der Regel unbegründet. • Die Tagesgebühren für das Parken sind in vie- ÖPNV als Alternative len Wohngebieten nicht höher als die Kosten Parkraumbewirtschaftung wird nur in Gebieten ein- für ein Ticket mit Bus und Bahn (Hin- und geführt, die gut an den ÖPNV angebunden sind. Und Rückfahrt). Dafür finden Autofahrende eher selbstverständlich sollte die Kommune vor der Einrich- einen Parkplatz als vorher. tung von Parkraumbewirtschaftung prüfen, ob und wie das ÖPNV-Angebot verbessert werden kann oder ob • Viele Städte bieten Besuchern, Handwerkern Maßnahmen für den Rad- und Fußverkehr zu ergreifen und anderen Dienstleistern Ausnahmegeneh- sind, um die Erreichbarkeit sicherzustellen. Besucher migungen an (Besucherkarten, Gästevignet- können darauf hingewiesen werden, dass die Parkge- ten). bühren für einen Tag selten höher sind, als für ein Ticket mit Bus und Bahn (Hin- und Rückfahrt) zu zahlen wäre. Das ist gerecht. Und dafür finden Autofahrende eher einen Parkplatz als vorher. Ausnahmegenehmigungen für Besuchende und Gewerbetreibende Die meisten Städte bieten auch sogenannte Gästevignet- ten oder Besucherkarten an. Die Preise hierfür sind von Stadt zu Stadt unterschiedlich und in der Regel nach der Nutzungsdauer preislich gestaffelt: in Berlin von 10 € für drei Tage bis 25 € für vier Wochen, in Bremen gibt es 10 Tageskarten für 10 €, oder für 4 € eine Besucherwochen- karte. Handwerker und Gewerbetreibende erhalten Aus- nahmegenehmigungen.20 Ähnlich wie Anwohner können sie einen Parkausweis beantragen. Die Erreichbarkeit ist deshalb sichergestellt. 20 Internetseiten der jeweiligen Städte. 20
Agora Verkehrswende | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? 2.5 Als Pendlerin bin ich auf das Auto ihren täglichen Weg zur Arbeit aktiv gestalten, zu einem angewiesen Drittel weniger Krankheitstage als ihre Kolleginnen und Kollegen, die beispielsweise mit dem Auto zur Arbeit fah- ren.23 Mitarbeitende, die ganzjährig zu Fuß oder mit dem In der Tat, die Zahl der Pendler wächst kontinuierlich. Fahrrad zur Arbeit kommen, haben die geringste Anzahl Das liegt daran, dass der Wohnraum in den Kernstädten an Krankheitstagen.24 knapp und teuer ist und der Arbeitsmarkt zunehmende Flexibilität erfordert. Hinzu kommt, dass viele Doppel- Pendeln mit Rückenwind – Elektrofahrräder und verdienerhaushalte zwei Arbeitswege kalkulieren. Es ist Radschnellwege schwer, diese räumlich zu optimieren. Aber muss man E-Bikes haben Konjunktur. Auch der Ausbau von Rad- wirklich immer mit dem Auto bis zum Ziel pendeln? schnellwegen macht längere Distanzen für das Pendeln mit dem Fahrrad attraktiv. In dem Berliner Modellprojekt Alternativen zum Auto sind gesünder „EBikePendeln“ konnte nachgewiesen werden, dass im Auch wenn sich das Pendeln nicht immer vermeiden Entfernungsbereich bis ca. 15 km das Pedelec attraktiver lässt, sollte bedacht werden, dass mit der Pendeldauer als das Auto ist und als ganzjähriges Verkehrsmittel – mit und Pendeldistanz der Stress steigt, während Wohlbe- Einschränkungen lediglich bei Eis und Schnee – akzep- finden und Gesundheit der Betroffenen leiden. Folgen tiert wird.25 Auch steuerlich werden Elektrofahrräder sind Erschöpfung und ein erhöhtes Risiko für chronische inzwischen wie Dienstwagen behandelt, sodass es viel- Krankheiten.21 Nicht immer ist das Auto alternativlos. fältige Anschaffungsoptionen für Arbeitnehmer über die Für immerhin 49 Prozent der deutschen Beschäftigten Arbeitgeber gibt.26 lag 2014 der Arbeitsort weniger als zehn Kilometern von der Wohnung entfernt.22 Eine Entfernung, die durchaus mit dem (Elektro-)Fahrrad zu bewältigen ist. Das Fahrrad 23 Vgl. EcoLibro GmbH (2015). bietet darüber hinaus auch gesundheitliche Vorteile. Laut 24 Datenbasis: Befragung von 2.351 Beschäftigten in einer Studie der EcoLibro GmbH haben Beschäftigte, die Deutschland. 25 Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz 21 Vgl. Rüger et. al (2017), S. 3. (2019). 22 Vgl. Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) (2018), S. 3 f. 26 Vgl. Pöhler und Reuß (2018). Foto: Gemeinde Pullach i. Isartal Abbildung 12: Sichere und günstige P+R-Anlagen fördern die Nutzung des ÖPNV. 21
Parkraummanagement lohnt sich! | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? Verkehrsmittelnutzung und Krankheitsfälle – München fördert das betriebliche ein klarer Zusammenhang Abbildung 13 Mobilitätsmanagement Seit 2003 bietet die Landeshauptstadt München im Rahmen eines Förderprogrammes Beratung für Unter- 7 nehmen zum betrieblichen Mobilitätsmanagement an. Bis heute haben über 60 Firmen aus der Landeshaupt- 6 stadt und dem Landkreis München an dem Programm 5,26 5,32 teilgenommen und Maßnahmen umgesetzt.27 5 Pendlerportal Forschungszentrum Jülich Krankheitstage 4 Das Forschungszentrum Jülich liegt zwischen Köln, Düs- 3,41 3,31 seldorf und Aachen. In der Region fehlt ein engmaschiges 3 Nahverkehrsnetz, sodass knapp 60 Prozent der Beschäf- tigten mit dem Auto anreisen. Die nachhaltige Förderung 2 von Fahrgemeinschaften stellt deshalb eine wichtige Maßnahme dar. Dafür wurde 2015 mit dem Pendler- 1 portal eine interne Domain für das Forschungszentrum 0 Jülich eingerichtet. Gemeinsam mit weiteren Betrieben Verkehrsmittel des Kreises Düren und der RWTH Aachen wurde die Rad zu Fuß Nutzung breit beworben (Intranet, Printmedien, Social Pkw öffentlicher Verkehr Media, Presse). Aktuell sind auf dem internen Portal über 160 Fahrten angeboten und 200 Profile erstellt. Ein Quelle: Eigene Darstellung nach EcoLibro 2015. wichtiger Effekt: Stellplätze werden frei – und die Park- platzsuche wird einfacher. Fahrgemeinschaften fördern außerdem die Vernetzung der Mitarbeiter untereinander.28 Verkehrsmittel kombinieren Bei längeren Distanzen können Fahrrad oder Auto mit 27 Portal München Betriebs-GmbH & Co. KG (2018). dem ÖV-Angebot sinnvoll kombiniert werden. Gleich- 28 ACE Auto Club Europa e.V, B.A.U.M. e.V., B.A.U.M. Consult wohl ist in vielen Regionen gerade beim Ausbau der GmbH (2018) Bike&Ride- oder Park&Ride-Plätze noch viel Luft nach oben. Das betrifft die Zahl der Stellplätze ebenso wie die Qualität der Fahrradabstellanlagen. Diebstahlsichere und Als Pendlerin bin ich auf das Auto überdachte Abstellanlagen sind für E-Bike-Nutzer eine angewiesen. Stimmt das wirklich? wichtige Voraussetzung. Auch der öffentliche Nahver- Ja, besonders lange Wege lassen sich kehr kann sein Angebot für Pendler noch optimieren. bequem mit dem Auto bewältigen. Eine attraktivere Gestaltung der Tarifzonen und damit der Ticketpreise können Pendler dazu motivieren, das • Aber die Alternativen zum Pkw werden Auto vor den Toren der Stadt stehen zu lassen. Darüber nicht immer gründlich geprüft. Fahrrad und hinaus werden auch verlässliche Umsteigeverbindungen, E-Bike sind – in Kombination mit öffentlichen Sitzplätze und Stellplätze für Fahrräder benötigt. Verkehrsmitteln – auf vielen Arbeitswegen durchaus eine Option, mitunter auch die Beispiele für eine gelungene Umsetzung schnellste Variante. Anstoß zum Umstieg kann nicht nur von den Kommunen, sondern auch vom Arbeitgeber selbst kommen. Denn • Fahrradfahren und längere Fußwege zur auch hier gilt: Ein kostenlos zur Verfügung gestellter Haltestelle sind gesund und sparen an anderer Parkplatz am Arbeitsplatz erzeugt Autoverkehr. Viele Stelle Zeit. Der Weg zum Fitnessstudio könnte gute Beispiele zum betrieblichen Mobilitätsmanagement überflüssig werden. sind unter der Seite www.mobil-gewinnt.de zu finden. 22
Agora Verkehrswende | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? 2.6 Ohne Parkplätze kann ich mein Was Besuchern von Geschäft schließen Innenstädten wichtig ist: Abbildung 14 Einfluss auf die Attraktivität Der Einzelhandel in den Innenstädten steht zunehmend als Einkaufsstandort 0,31 unter Druck. Das liegt einerseits an den wachsenden Gestaltung der Innenstadt Marktanteilen des Online-Handels, andererseits an der Konkurrenz auf der „Grünen Wiese“. Viele Einzelhändler fürchten massive Umsatzeinbußen durch die Einführung 0,10 Vielfalt der Geschäfte von Parkgebühren oder den Wegfall von Parkplätzen 0,00 Parkmöglichkeiten nach einer Straßenumgestaltung. Dabei ist in der Realität eher das Gegenteil der Fall. Quelle: IFH (2015). Der Einzelhandel profitiert Die Bedenken des Einzelhandels haben sich nach Einführung der Parkraumbewirtschaftung in vielen Aus Gegnern werden Befürworter Großstädten nicht bewahrheitet. Die Parkstände sind Anfängliche Proteste des Einzelhandels gegen die zwar nun gebührenpflichtig. Die Wahrscheinlichkeit, Einführung von Parkraumbewirtschaftung wandeln dass Kunden einen freien Stellplatz in Zielnähe finden, sich nach einiger Zeit in stillschweigende Akzeptanz, hat sich jedoch deutlich erhöht, da Dauerparker ver- wenn beobachtet wird, dass mehr Kunden das Geschäft drängt werden. In der Regel wird der Zusammenhang von anfahren können. Dort, wo die Parkraumbewirtschaf- Pkw-Erreichbarkeit, Parkplätzen und Umsätzen maßlos tung schon länger eingeführt ist, fordert der Einzelhandel überschätzt.29 Verschiedene empirische Studien belegen deren Ausweitung. Selbst die Interessenvertretung des eher das Gegenteil. Fahrradfahrende oder Kunden, die zu Einzelhandels, die IHK oder der Handelsverband Bayern Fuß und mit Bussen und Bahnen einkaufen, geben zwar (HBE), plädieren inzwischen dafür, dass in Innenstadt- pro Einkauf weniger aus, kommen dafür aber öfter.30 Für bereichen öffentlicher Straßenraum den Parkenden nur Kunden zählt der Parkplätz vor dem Geschäft weniger als gegen Gebühr überlassen werden sollte.31 das Angebot der Händler und Dienstleister, die Gestaltung und Atmosphäre des Umfeldes und Anreizmöglichkeiten, die die Händler selbst in der Hand (vgl. Abbildung 14). 31 HBE – Handelsverband Bayern (2014). Lebenswerte Straße gestalten In der Konkurrenz zum Online-Handel kann der stati- onäre Einzelhandel über das Einkaufserlebnis und reale Ohne Parkplätze kann ich mein Geschäft zu Begegnungen punkten. Es verwundert deshalb nicht, machen! Stimmt das wirklich? dass sich kürzlich umgestaltete Geschäftsstraßen wie die Nein, im Gegenteil: Osterstraße in Hamburg oder die Friedrich-Ebert-Straße in Kassel aus autoorientierten Hauptverkehrsstraßen mit • Der Einfluss der Pkw-Erreichbarkeit auf den Geschäftsleerstand (wieder) in florierende Geschäfts- Umsatz wird regelmäßig überschätzt. straßen mit Flair und Aufenthaltsqualität verwandeln. Parkraummanagement schafft zudem Platz für Ladezonen. • Mit Einführung der Parkraumbewirtschaftung finden Kurzzeitparker eher einen Parkplatz als vorher, weil Dauerparker verdrängt werden. • Ruhige Flaniermeilen mit Aufenthaltsqualität steigern die Kundennachfrage. Geschäftsleer- 29 Sustrans (2006). stand wird reduziert. 30 Push&Pull (2015b). 23
Parkraummanagement lohnt sich! | 02 | Typische Gegenargumente – stimmen sie wirklich? Foto: ARGUS Stadt und Verkehr Abbildung 15: Das Beispiel Osterstraße in Hamburg zeigt, dass für eine florierende Geschäftsstraße die Gestaltung wichtiger ist als Parkplätze. Beispiele für eine gelungene Umsetzung tiger als die herkömmliche Variante – auf einem kos- Parkraumbewirtschaftung ist in den meisten Innen- tenlosen P+R-Platz zu parken, aber für die Weiterfahrt städten und stadtteilbezogenen Geschäftsstraßen ein Fahrkarten zu lösen. 5 Personen, beispielsweise eine inzwischen akzeptiertes Instrument. Mancherorts noch Familie, können hier mit dem Kombi-Ticket für 5 € den geäußerte Bedenken können auch mit Parkraumkonzep- ganzen Tag über parken und alle Buslinien nutzen. ten entkräftet werden, die belegen, dass genug Parkraum in unterausgelasteten Parkhäusern zur Verfügung steht. Umgestaltung Osterstraße Hamburg Attraktive Fußwege zwischen den Parkplätzen und der Die Osterstraße im Zentrum des Hamburger Bezirks Innenstadt (z. B. mit Beschilderung, guter Beleuchtung o. ä.) Eimsbüttel ist mit ca. 250 Gewerbeeinheiten auf 1,3 km helfen, die vorhandenen Parkreserven zu mobilisieren. Länge eine der belebtesten Stadträume Hamburgs. Vor der Umgestaltung war sie mit 10.000 bis 13.000 Kfz/ Parken-plus in Kiel Tag eine relativ hoch belastete Hauptverkehrsstraße. Das Prinzip ist denkbar einfach: Ab 10 Euro Umsatz Die Grundzüge der Straßenraumgestaltung stammten erhält jeder, der Kosten für seine Anfahrt in die Innen- aus den 1950er/1960er Jahren und führten zu Unfällen, stadt aufgewendet hat, einen Zuschuss für die Reise- Konflikten zwischen Autos, Radfahrenden und zu Fuß kasse. Parken-Plus zeigt, dass die Innenstadt auf vielen Gehenden, letztlich auch zum Geschäftsleerstand. Im Wegen zu erreichen ist. Neben Park- und Bustickets Zuge des Umbaus wurden Fußwege deutlich verbreitert. werden auch Fahrscheine der Fähren sowie die Nut- Außerdem wurde das Queren über lineare Mittelinseln zung von Fahrradstellplätzen im „Kieler Umsteiger“ am überall ermöglicht und Radfahrer bekamen Schutzstrei- Hauptbahnhof bezuschusst. Mit dieser Vielfalt an gülti- fen auf der Fahrbahn. Im Gegenzug wurden die Fahrspu- gen Belegen ist das Fahrkosten-Rückerstattungssystem ren schmaler, die Anzahl der Parkstände im öffentlichen der Kieler Innenstadt bundesweit einzigartig. Knapp 50 Straßenraum wurde von ca. 219 auf ca. 112 reduziert. Alle Betriebe sind schon dabei.32 diese Parkstände werden tagsüber bewirtschaftet. Zum Fahrradabstellen wurden insgesamt 414 Fahrradbügel Park & Ride – Einkaufen ohne Parkplatzsuche in aufgestellt. Auch wenn die Schutzstreifen für die Rad- Konstanz fahrer umstritten sind, der Einzelhandel hat sich stabili- Die Stadtwerke Konstanz bieten auf einem Park&Ri- siert, die neue Geschäftsstraße wird gut angenommen. de-Platz am Stadtrand ein kombiniertes Park- und Busticket an. Dieses macht die Fahrt in die Stadt güns- 32 Kiel-Marketing e. V (2018). 24
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