Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung - Eine neue Perspektive für die zukünftige Gesundheitsversorgung in Deutschland ...

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Kathrin Janine Raslan

Patientenorientierte
Zentren zur Primär-
und Langzeitversorgung
Eine neue Perspektive für die zukünftige
Gesundheitsversorgung in Deutschland
2   EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
    VORWORT
                                                                                                  EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                                       VORWORT
                                                                                                                                                                                  3

    Vorwort

    Unsere Gesundheitsversorgung ist mehr denn je in Bewegung. Die Zahl             Die Bündelung dieser Merkmale unter einem Dach oder an einem Stand-
    der Gesundheitsfachkräfte sinkt, vor allem in ländlichen Regionen.              ort ist in der deutschen Gesundheitslandschaft innovativ. Für die
    Die Zahl der älteren Menschen steigt und chronische und Mehrfacher­             Patienten ist jedoch eine koordinierte Ver­­sorgung entscheidend und sie
    krankungen nehmen zu. Auch unser Wissen ist gewachsen und damit                 gewinnen viel, wenn die F­ ach­kräfte miteinander kooperieren. Erfreu­
    die Erwartungen an eine q­ ualitativ hochwertige Gesundheitsversor­             licherweise nimmt auch hierzulande die Bedeutung von Ansätzen, bei
    gung. Das Gesundheitssystem steht unter Reformdruck. Wie sehen                  denen ­Sektoren- und Berufsgrenzen überwunden werden, zu. Mit dem
    Lösungen für die Versorgung vor Ort aus? Wie schaffen wir ein zukunfts­         Programm PORT knüpfen wir deswegen auch an bereits b      ­ estehende
    fähiges Angebot, das allen offensteht?                                          inte­grierte und sektorenübergreifende Strukturen an.

    Etliche Länder haben sich damit bereits seit Längerem auseinander-              Die vorliegende Arbeit betrachtet einige dieser Versorgungs­formen und
    gesetzt und auf den geänderten Versorgungsbedarf in der Bevölkerung             zeigt Potenziale zur Weiterentwicklung auf. Wir freuen uns, dass Frau
    unter anderem mit dem Aufbau lokaler Gesundheitszentren reagiert.               Raslans Tätigkeit als Praxis­studentin im Themenbereich Gesundheit von
    Derartige Modelle hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der              September 2016 bis ­Februar 2018 sie zu dieser Analyse angeregt hat,
    Entwicklung im Gesundheitswesen schon in seinem Bericht von 2014                und danken ihr für die sehr gelungene und strukturierte Aufarbeitung
    auch für die Gesundheitsversorgung in Deutschland empfohlen.                    der ­Thematik. Mit der Publikation der vorliegenden Arbeit möchten
                                                                                    wir den Austausch zu Lösungsansätzen für die Zukunft der Versorgung
    Mit dem Programm „PORT – Patientenorientierte Zentren zur Primär-               weiter fördern.
    und Langzeitversorgung“ und dem im Sommer 2018 gestarteten,
    ergänzenden Förderprogramm „supPORT“ fördern wir als Robert                     Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!
    Bosch Stiftung daran anknüpfend die Einführung von lokalen, inhaltlich
    umfassenden und exzellenten Gesundheitszentren in Deutschland,                  Mit freundlichen Grüßen
    welche die Primär- und Langzeitversorgung in einer Region abdecken              Robert Bosch Stiftung GmbH
    können.

    Wir unterstützen unter anderem Initiativen in Berlin, Büsum,
    Hohenstein und Willingen-Diemelsee. An diesen Stand­orten sollen in
    den kommenden Jahren lokale Gesundheits­zentren entstehen, die                  Dr. Bernadette Klapper
                                                                                    Bereichsleiterin Gesundheit
    • auf den regionalen Bedarf abgestimmt sind,
    • eine patientenzentrierte, koordinierte, kontinuierliche ­Ver­sorgung
       „aus einer Hand“ anbieten und stetig weiter­entwickeln,
    • den Patienten im Umgang mit seiner Erkrankung ­unterstützen,
    • multiprofessionelle Teamarbeit auf Augenhöhe voraussetzen,
    • neue Potenziale wie E-Health nutzen,
    • Prävention und Gesundheitsförderung mit einschließen sowie
    • kommunal gut eingebunden sind.
4   EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
    DANKSAGUNG
                                                                                             EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                                     INHALT
                                                                                                                                                                              5

    Danksagung                                                                      Inhalt

    An dieser Stelle möchte ich mich bei denjenigen Personen bedanken,                  06        Abkürzungsverzeichnis
    die durch ihre fachliche und persönliche Unterstützung zum Gelingen                 07        Abbildungsverzeichnis
    dieser Bachelorarbeit beigetragen haben.
                                                                                        08        1. Einführung
    Zunächst gilt mein Dank Herrn Professor Dr. P.H. MPH, D   ­ ipl.-Kfm. (FH)          10        1.1	Hintergrund und Problemstellung
    Reinhold Wolke für seine wissenschaftliche und methodische Hilfe-                   12        1.2	Zentrale Fragestellungen und Ziel der Arbeit
    stellung während der Erstellung ­d­ieser ­Arbeit. Ebenso bedanke ich mich           13        1.3 Methodik, Literaturauswahl und Chronologie
    bei Herrn Professor Dr. rer. pol. Dipl.-Betr.-päd. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH)
    Arnold Pracht, der mich ebenfalls im Rahmen der Anfertigung dieser                  14	2. A
                                                                                                mbulante medizinische und gesundheitliche
    Arbeit b
           ­ etreut hat.                                                                       Versorgungssystematik in Deutschland
                                                                                        16  2.1 Primärversorgung
    Ich möchte mich zudem bei der Bereichsleiterin des Themen­bereichs                  17  2.2 Hausärztliche Versorgung
    Gesundheit, Frau Dr. Bernadette Klapper, als auch bei ­allen Kolleginnen            19  2.3 Fachärztliche Versorgung
    und Kollegen der Robert Bosch S ­ tiftung GmbH in Stuttgart bedanken.               20  2.4 Ambulante Krankenhausversorgung
    Durch meine Tätigkeit als Praxisstudentin habe ich viele Einblicke in
    die gemeinnützige S­ tiftungsarbeit und die unterschiedlichen Projekte              22        3. Neue Versorgungsformen
    des Themen­bereichs Gesundheit erhalten. Meine Anstellung dort hat                  23        3.1 Integrierte Versorgung
    es mir möglich gemacht, mich dem Thema Patienten­orientierte Zentren                25        3.2 Medizinische Versorgungszentren
    zur Primär- und Langzeitversorgung zu widmen. Ich bedanke mich für                  26        3.3 Hausarztzentrierte Versorgung
    den fachlichen Austausch, die anhaltende Hilfe­stellung und die vielen              28        3.4 Disease-Management-Programme
    Ratschläge während der Bearbeitung des Themas als auch für die gute                 29        3.5 Arztunterstützende Modelle
    und konstruktive Zusammenarbeit innerhalb der Stiftung.
                                                                                        32	4. P
                                                                                                ORT – Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung
    Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, meiner S
                                                    ­ chwester und                      33  4.1 Die Robert Bosch Stiftung GmbH und der Themenbereich Gesundheit
    meinem Ehemann. Ich danke euch für die zahlreiche Unterstützung, die                34  4.2 Entstehungshintergrund und Intention des Förderprogramms PORT
    unermüdliche Stärkung und die motivierenden Gespräche; nicht nur                    36		    4.2.1 Exkurs: Internationale Modelle
    während des Verfassens meiner Bachelorarbeit, sondern während der                   36		    4.2.2 Kanada
    gesamten Zeit meines Studiums.                                                      37		    4.2.3 Finnland
                                                                                        39  4.3 Das Förderprogramm PORT
    Kathrin Raslan                                                                      40  4.4 Eigenschaften und Merkmale der PORT-Zentren
                                                                                        41  4.5 Aufbau und Struktur der PORT-Zentren
                                                                                        42  4.6 Die PORT-Initiativen

                                                                                        44	5. D
                                                                                                iskussion – Gegenüberstellung von neuen
                                                                                               Versorgungsformen und PORT-Zentren
                                                                                        55  6. Fazit und Ausblick
                                                                                        56  7. Literaturverzeichnis
                                                                                        66  8. Anhang
6   EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
    ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
                                                                                                                   EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS / ABBILDUNGSVERZEICHNIS
                                                                                                                                                                                                   7

    Abkürzungsverzeichnis

    AGnES	Arztentlastende Gemeindenahe E-Health-gestützte Systemische Intervention          KBV                Kassenärztliche Bundesvereinigung
    ANP                  Advanced Nurse Practitioner(s)                                      KV                 Kassenärztliche Vereinigung(en)
    ASV                  Ambulante spezialfachärztliche Versorgung                           LGZ                Lokale Gesundheitszentren zur Primär- und Langzeitversorgung
    BÄK                  Bundesärztekammer                                                   LHH                Local Health Hub(s)
    BAG                  Berufsausübungsgemeinschaft(en)                                     LVG & AFS 	Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin
    BV                   Besondere Versorgung                                                            Niedersachsen e. V.

    BVA                  Bundesversicherungsamt                                              MFA                Medizinische Fachangestellte

    CHC                  Community Health Centre(s)                                          MOHLTC             Ministry of Health and Long-Term Care

    CHN                  Community Health Nurse(s)                                           MoNi               Modell Niedersachsen

    DBfK                 Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe                            MOPRA              Mobile Praxisassistenten

    DDR                  Deutsche Demokratische Republik                                     MVZ	Medizinisches Versorgungszentrum / Medizinische Versorgungszentren

    DEAS                 Deutscher Alterssurvey                                              NäPa               Nichtärztliche Praxisassistentin

    DEGAM	Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin                    OECD	Organisation for Economic Co-operation and Development

    DEGS1	Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland                                  PCMH               Patient Centered Medical Home

    DIVER                Regional differenzierte Versorgung                                  PORT-Zentren	Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung

    DMP	Disease-Management-Programm(e)                                                      PriKon	Primärversorgungszentren – Konzepte und Umsetzungspraxis

    E-Health             Electronic Health                                                   RBK                Robert-Bosch-Krankenhaus

    ELSID-Studie	Studie „Evaluation of a Large Scale Implementation of Disease Management   RBSG               Robert Bosch Stiftung GmbH
                  ­Programs for patients with type 2 diabetes“                               RKI                Robert Koch-Institut
    e. V.                Eingetragener Verein                                                SGB V	Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung
    EVA                  Entlastende Versorgungsassistentin                                  SVR	Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen
    FHT                  Family Health Team(s)                                               TB                 Themenbereich
    G-BA                 Gemeinsamer Bundesausschuss                                         UN                 United Nations
    GEDA                 Gesundheit in Deutschland aktuell                                   VERAH®	Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis
    GeKo                 Gesundheitskollektiv Berlin e. V.                                   WHO	Weltgesundheitsorganisation (international: World Health Organization)
    GKV                  Gesetzliche Krankenversicherung                                     WONCA	World Organization of National Colleges, Academies and Academic Associations
    GKVRefG2000	Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000            of General Practitioners / Family Physicians

    GKV-VSG	Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung
    GKV-VStG	Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen
              Krankenversicherung
    GKV-WSG	Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung     Abbildungsverzeichnis
    GmbH                 Gesellschaft mit beschränkter Haftung
    GMG                  Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
    GSG	Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen
                                                                                             Abbildung 1:	Umfassendes Modell einer regional vernetzten Versorgung
         Krankenversicherung
                                                                                                           im ländlichen Raum							 S. 66
    HELVER               ArztHELferinnen in der ambulanten VERsorgung
                                                                                             Abbildung 2:        igenschaften von Patientenorientierten Zentren zur Primär-
                                                                                                                E
    HzV                  Hausarztzentrierte Versorgung                                                          und Langzeitversorgung						 S. 67
    InGe                 Innovative Gesundheitsmodelle                                       Abbildung 3:        eispielhafte Bündelung der Leistungen in einem Patienten-
                                                                                                                B
    IV                   Integrierte Versorgung                                                                 orientierten Zentrum zur Primär- und Langzeitversorgung		                S. 67
8          EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
           EINFÜHRUNG
                                                                                                                                                                    EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                                                                                                       EINFÜHRUNG
                                                                                                                                                                                                                                                             9

1.
Einführung
                                                                                                                                 Bedarfslagen chronisch Erkrankter genügen und dabei die         Ebenso könnten derart neue Versorgungsformen auch neue
                                                                                                                                 Primär- und Langzeitversorgung in einer Region erfüllen zu      berufliche Möglichkeiten für Pflegende und andere Gesund­
                                                                                                                                 können, sind sogenannte Patientenorientierte Zentren zur        heitsberufe darstellen. Dieser Aspekt ist zudem besonders
                                                                                                                                 Primär- und Langzeitversorgung (PORT-Zentren) (vgl. Schott      interessant, da die eigenen Erfahrungen während des Pflege-/
                                                                                                                                 2017a).                                                         Pflegemanagementstudiums zeigen, dass sich neben den
                                                                                                                                                                                                 Kommilitoninnen und Kommilitonen des Pflegemanagements
                                                                                                                                 Ausschlaggebend für die ausgewählte Themenstellung              auch Studierende aus den Bereichen Pflegepädagogik und
                                                                                                                                 dieser Arbeit ist meine Anstellung als Praxisstudentin im       Pflegewissenschaft die Frage stellen, wo sie nach dem Studi­
„Der beste Weg, die Zukunft                                                                                                     Themen­bereich (TB) Gesundheit bei der Robert Bosch Stif­       enabschluss beruflich tätig sein können. Neben Institutionen
                                                                                                                                 tung Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) (RBSG)        wie Krankenhäusern oder stationären Langzeitpflegeeinrich­
  ­vorauszusagen, ist, sie zu                                                                                                    in Stuttgart. Die Tätigkeit innerhalb der Stiftung hat mich     tungen eignen sich neue Versorgungsformen, zum Beispiel
                                                                                                                                 mit dem seit Februar 2015 deutschlandweit ausgeschriebe­        in Form von etablierten PORT-Zentren, möglicherweise als
   ­gestalten.“                                                                                                                  nen Förderprogramm PORT – Patientenorientierte Zentren          potenzielle Arbeitgeber für die akademisch qualifizierten
                                                                                                                                 zur Primär- und Langzeitversorgung in Berührung gebracht.       als auch für die beruflich ausgebildeten Gesundheitsprofes­
    Willy Brandt, vierter deutscher Bundeskanzler                                                                                Ziel dieses stiftungsinitiierten Fördervorhabens ist „(…) die   sionen. Aus diesem Grund ist die Bearbeitung dieser Thema­
    und Friedensnobelpreisträger, 1913 – 1992                                                                                    (Weiter-)Entwicklung und Einführung von lokalen, inhalt­        tik hilfreich, sofern der Verortung der Pflege innerhalb der
                                                                                                                                 lich umfassenden und exzellenten Gesundheitszentren in          Modelle eine wesentliche Komponente zuteilwird.
                                                                                                                                 Deutschland, die die Primär- und Langzeitversorgung in einer
                                                                                                                                 Region abdecken können.“ (Schott 2017a) Dabei sollen die        Thematisch lässt sich die inhaltliche Auseinandersetzung
                                                                                                                                 zukünftigen PORT-Zentren eine koordinierte, kontinuierli­       mit den PORT-Zentren beziehungsweise den integrierten,
                                                                                                                                 che und umfassende Gesundheitsversorgung ermöglichen.           kooperativen Versorgungsmodellen dem Bereich der Gesund-
                                                                                                                                 Neben einer multiprofessionellen Ausrichtung, die alle          heitswissenschaften sowie der Versorgungs- und Gesund­
Die Gestaltung einer bedarfsgerechten gesundheitlichen          Auf nationaler und internationaler Ebene lassen sich ver­        Patientinnen und Patienten in ihrer individuellen Krankheits­   heitsforschung zuordnen. Die Thematik lässt zudem Paralle­
Versorgung ist eine der zentralen Aufgaben einer Gesund­        schiedene Modelle und Maßnahmen finden, die eine struk­          bewältigung unterstützt, gelten Prävention und Gesundheits­     len zu im Studium behandelten Inhalten erkennen. Beispiels­
heits- und Sozialpolitik der Zukunft. Der global voranschrei­   turelle Veränderung zur Behebung der sich abzeichnenden          förderung als integrative Bestandteile. Ausgerichtet auf        weise wurden innerhalb des Moduls H 2015 mitunter Aspekte
tende demografische Wandel bei gleichzeitiger Zunahme           gesundheitlichen Versorgungsproblematik, insbesondere für        den regionalen Bedarf sind Patientenzentrierung sowie eine      des Case-, Care- und Diseasemanagements bearbeitet, mit
der Anzahl der chronischen Erkrankungen stellt dabei eine       chronisch Erkrankte sowie in ländlichen Regionen Lebende,        gute kommunale Einbindung unabdingbar, damit die PORT-          denen sich diese Arbeit ebenfalls auseinandersetzt.
besondere Herausforderung dar, welche es in der zukünfti­       einschließen. In vielen Ländern setzen sich Wissenschaft         Zentren die Grundversorgung der Bevölkerung sowie eine
gen Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen gilt.              als auch Politik seither damit auseinander, wie eine bedarfs­    bedarfsgerechte Versorgung chronisch Erkrankter aus einer       Meiner Ansicht nach gehört es zur Aufgabe zukünftiger
Gleichermaßen herausfordernd ist zudem die Sicherstel-          gerechte Versorgungsgestaltung realisiert werden kann.           Hand gewährleisten können (vgl. Klapper 2015; vgl. Schott       Pflege­managerinnen und -manager, sich den Anforderungen
lung eines Versorgungssystems, das einen ungehinderten          Dabei reichen die unterschiedlichen Initiativen von neuen        2017a).                                                         an die gesundheitliche und pflegerische Versorgung im Zuge
Zugang für alle Bürgerinnen und Bürger ermöglicht; auch         Modellen zur Primärversorgung über eine Verbesserung der                                                                         des demografischen Wandels zu stellen und auf eine qualita­
in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Internatio­       Krankenhausversorgung bis hin zur Einrichtung von lokalen        Das PORT-Programm hat mein besonderes Interesse ge-             tiv hoch­wertige Leistung hinzuwirken. Dabei ist die Offenheit
nale Diskurse über die Gestaltung einer zukünftigen gesund­     Gesundheitszentren. In Deutschland begann die Debatte            weckt, weil es Impulse für eine Neuausrichtung der Gesund­      gegenüber möglichen Neuerungen obligat. Daher ist es für
heitlichen Versorgung im Hinblick auf die oben genannten        um neue Versorgungsformen vergleichsweise spät. Doch             heitsversorgung in Deutschland bietet und dabei auf eine        mich eine besondere Herausforderung, innerhalb dieser
Bedingungen sind bereits seit vielen Jahren präsent. Dabei      mittlerweile gibt es auch hier viele Ansätze, die auf eine       qualitative Weiterentwicklung der Versorgung abzielt. Es        Bachelorarbeit ein neues, alternatives Versorgungsmodell
gelten die Vorteile, welche integrierte, sektorenübergrei­      koordinierte und kooperative Versorgung abzielen. Neben der      verleiht der Tatsache Ausdruck, dass die Veränderung von        für eine um­­fassende gesundheitliche Versorgung in Deutsch­
fende und kooperative Versorgungsmodelle implizieren, als       Integrierten Versorgung (IV) oder der Hausarztzentrierten        gesundheitlichen Versorgungsstrukturen an Bedeutung             land vorzustellen und dessen Potenzial gegenüber bereits
unumstritten (vgl. Schaeffer, Hämel, Ewers 2015, S. 9 – 11;     Versorgung (HzV) gehören beispielsweise auch Disease-            gewinnt, was die gesellschaftliche und praktische Relevanz      bestehenden Modellen zu erörtern. Zu klären bleibt, ob
vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 1 – 4).                          Management-Programme (DMP), Medizinische Versorgungs­            der Auseinandersetzung mit dieser Thematik unterstreicht.       PORT-Zentren die Antwort auf eine zukünftige Gesundheits­
                                                                zentren (MVZ) sowie arztunterstützende Modelle dazu              Das beschriebene Förderprogramm stellt sich somit den           versorgung in Deutschland sind.
                                                                (vgl. Schaeffer, Hämel, Ewers 2015, S. 9 – 13; vgl. Schaeffer,   Anforderungen an eine zukunftsfähige Gesundheitsver-
                                                                Hämel 2016, S. 6 –  7). Ein weiteres Modell, um den komplexen    sorgung in Deutschland (vgl. Schott 2017b).
10        EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
          EINFÜHRUNG
                                                                                                                                                                        EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                                                                                                           EINFÜHRUNG
                                                                                                                                                                                                                                                                 11

1.1 
Hintergrund und Problem­stellung

Das deutsche Gesundheitssystem steht vor der Aufgabe,            (vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 2 – 3). In Deutschland gehö­       Analog dazu ist die Bilanz in der Pflege, wobei der Fach-         unzureichende Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen
der wachsenden Summe von älteren und hochaltrigen                ren Herz-Kreislauf-, Krebs-, Muskel-Skelett-, psychische und       kräftemangel dort als noch gravierender vorausgesagt wird         Versorgungsstrukturen zurückzuführen sind. Gerade der
Menschen innerhalb der Bevölkerung zu begegnen. Weiter-          demenzielle Erkrankungen sowie Diabetes mellitus zu den            (vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 3 – 4). Auf Grundlage der         ambulante Bereich kennzeichnet sich durch eine starke Zer-
hin sieht sich die Gesellschaft mit der steigenden Relevanz      vorherrschenden chronischen Krankheiten (vgl. RKI 2015,            Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2005 gehen Afentakis           gliederung, und die zunehmende Spezialisierung und Aus­
von Multimorbidität, chronischen Erkrankungen und Pflege-        S. 411).                                                           und Maier davon aus, dass bis zum Jahr 2025 bei gleich-           differenzierung erschwert den Patientinnen und Patienten
bedürftigkeit konfrontiert. Grundsätzlich zeichnet sich in                                                                          bleibender Morbiditätsentwicklung (Status-quo-Szenario)           die Orientierung. Das Gesundheitssystem in Deutschland ist
Deutschland eine ungenügende Orientierung angesichts             Der telefonische Gesundheitssurvey zur Multimorbidität             ein Defizit von etwa 112.000 Pflegevollkräften existieren         komplex. Letztendlich weist es Defizite in der Kooperation
der Versorgung von alten Menschen und chronisch Kranken          aus dem Jahr 2009 im Rahmen der Studie Gesundheit in               wird (vgl. Afentakis, Maier 2010, S. 997 – 999). Dem gegen­       und Koordination auf, was die Notwendigkeit der Integration
ab, die charakteristisch mit dauerhaften und komplexen           Deutschland aktuell (GEDA) des RKI belegt, dass sich die           über stehen die Ergebnisse von anderen Studien, die einen         zusätzlich unterstreicht. Die Verbesserung der Patientenori­
gesundheitlichen Problemen sowie langfristigen Verläufen         Prävalenz chronischer Krankheiten mit steigendem Lebens-           noch größeren Fachkräftemangel prognostizieren. So gehen          entierung im Gesundheitswesen spielt dabei eine wichtige
einhergeht. Dabei ist eine Neuausrichtung innerhalb der          alter erhöht. Die Ergebnisse zeigen, dass bei 75,8 Prozent         beispielsweise Rothgang et al. davon aus, dass in Deutsch­        Rolle (vgl. SVR 2012, S. 137 – 139; vgl. Schaeffer, Hämel 2016,
gesundheitlichen Versorgung denkbar, die insbesondere            der Frauen und rund 68 Prozent der Männer im Alter von             land im Jahr 2030 insgesamt rund 434.000 Vollzeitäquivalen­       S. 5 – 6).
die Potenziale von integrierten, kooperativen Versorgungs­       65 bis 74 Jahren mindestens zwei chronische Krankheiten            te in der ambulanten und stationären Pflege fehlen werden
modellen fokussiert (vgl. Robert Koch-Institut (RKI) 2015,       vorliegen. Bei den über 75-jährigen Frauen sind es 81,7            (vgl. Rothgang et al. 2012, S. 56). Grundsätzlich wird der        Abschließend kann festgehalten werden, dass der demo-
S. 415 –  416; vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 1 – 2).            Prozent und bei den Männern 74,2 Prozent. Fünf oder mehr           Mangel an Fachkräften in der Pflege sowie in der Medizin als      grafische Wandel Deutschland hinsichtlich seiner Gesund­
                                                                 chronische Krankheiten weisen in der Altersgruppe 65 bis           regional stark divergierend skizziert. Dabei sind ländliche       heitsversorgung besonders fordert. Altersassoziierte
Deutschland zählt zu den Ländern, die weltweit mit am            74 27,3 Prozent der Frauen und 19,6 Prozent der Männer auf.        und strukturschwache Regionen in besonderem Maße von              chronische Erkrankungen werden häufiger und bedürfen
stärksten vom demografischen Wandel betroffen sind.              Bei den über 75-Jährigen geben 34,6 Prozent der Frauen und         einem Rückgang der Fachkräftequote gefordert (vgl. Sach-          einer komplexen und langfristigen Versorgung. Der steigende
Im Jahr 2015 liegt der Anteil der Menschen, die 60 Jahre und     25,9 Prozent der Männer an, an fünf oder mehr chronischen          verständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im               Versorgungsbedarf, kombiniert mit dem Fachkräftemangel
älter sind, bei 27,6 Prozent und das Land im internationalen     Erkrankungen zu leiden (vgl. Fuchs et al. 2012, S. 579; vgl. RKI   Gesundheitswesen (SVR) 2012, S. 87; vgl. SVR 2014, S. 487;        und der wachsenden Fragmentierung der Prozesse, stellt das
Vergleich der United Nations (UN) somit weit vorne. An erster    2015, S. 415 – 416). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch           vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 4).                                System vor Herausforderungen. Mittlerweile verfügt auch
Stelle befindet sich Japan, mit einem Anteil von 33,1 Prozent    der Deutsche Alterssurvey (DEAS) aus dem Jahr 2014.                                                                                  Deutschland über verschiedene Modelle zur Entgegnung
an Personen, die 60 Jahre und älter sind. Den zweiten Platz      Hier führen 51,2 Prozent der 55- bis 69-Jährigen an, an zwei       Hinzu kommt, dass in Deutschland ein Verständnis von              der Desintegration, um eine stärkere integrierte, kooperative
belegt mit 28,6 Prozent Italien. Für das Jahr 2050 wird prog­    bis vier Erkrankungen zu leiden. Ferner geben 14,3 Prozent         gesundheitlicher Versorgung überwiegt, „(...) demzufolge          Versorgung zu erzielen, die den veränderten Bedarfslagen
nostiziert, dass jeder dritte Mensch in Deutschland mindes­      dieser Altersgruppe an, fünf oder mehr Erkrankungen zu             Gesundheitsförderung, Prävention, Kuration, Rehabilita­           der Bevölkerung entspricht (vgl. RKI 2015, S. 435; vgl.
tens 60 Jahre und älter ist. Die progrediente Bevölkerungs-      haben. Bei den Personen zwischen 70 und 85 Jahren liegen           tion und Pflege nacheinander geschaltete Maßnahmen                Schaeffer, Hämel 2016, S. 6 – 7).
alterung drückt sich besonders durch die Zunahme der             bei 56,7 Prozent zwei bis vier Erkrankungen vor. Personen          darstellen.“ (Schwartz, Helou 2000, S. 134) Das Verständ­
Anzahl an hochbetagten Menschen aus. Rund 4,5 Millionen          dieser Altersgruppe, die fünf oder mehr Erkrankungen haben,        nis kennzeichnet sich weiterhin durch die Ausrichtung auf
80-Jährige und Ältere leben im Jahr 2014 in Deutschland.         sind mit 25,4 Prozent vertreten (vgl. Deutsches Zentrum            Akutkrankheiten sowie eine sequenzielle Krankenversor­
Dies macht einen Anteil von etwa sechs Prozent der Bevöl-        für Altersfragen 2016, S. 23).                                     gung, was speziell den Bedürfnissen chronisch Erkrankter
kerung aus. Prognosen zufolge wird die Zahl Hochbetagter                                                                            wenig entspricht. Dem gegenüber steht eine kontinuierlich
im Jahr 2050 auf etwa 9,9 Millionen Menschen steigen,            Des Weiteren umfasst der demografische Wandel weitere              entwickelte Desintegration, was Badura und Feuerstein
was einem Bevölkerungsanteil von 13 Prozent gleichkommen         Problematiken, die sich auf die Beschäftigten im Gesund­           bereits in den 1990er Jahren festgestellt haben. Über viele
würde (vgl. UN, Department of Economic and Social Affairs        heitswesen auswirken. Die Ärztestatistik der Bundesärzte-          Jahre hinweg hat sich im deutschen Gesundheitswesen eine
2015, S. 138; vgl. Statistisches Bundesamt 2016a, S. 6,          kammer (BÄK) gibt an, dass im Jahr 2016 von insgesamt              Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Versorgung sowie
S. 12, S. 15).                                                   378.607 berufstätigen Ärztinnen und Ärzten 43.289 Personen         eine zunehmende Arbeitsteilung etabliert. Dies verursacht
                                                                 zwischen 60 und 65 Jahre alt sind, also rund 11,4 Prozent.         eine umfassende Fragmentierung der Prozesse, die das
Gleichzeitig birgt der demografische Wandel eine Änderung        Die Zahl der über 65 Jahre alten berufstätigen Ärztinnen           System komplex und intransparent erscheinen lässt (vgl.
des sogenannten Morbiditätsspektrums. Die Koexistenz             und Ärzte liegt bei 24.417 Personen und somit bei circa 6,5        Badura 1994, S. 259, S. 261 – 262; vgl. Feuerstein 1994a,
mehrerer Erkrankungen wird als Multimorbidität bezeichnet,       Prozent. Aufgrund der sich wandelnden Altersstruktur der           S. 205 – 206; vgl. Feuerstein 1994b, S. 233 – 234). Die zentral
deren Wahrscheinlichkeit mit wachsendem Lebensalter              Ärzteschaft wird für die nächsten Jahre ein zunehmender            bestehenden Probleme basieren auf der Trennung der
steigt. Damit geht eine erhöhte Hilfs- und Pflegebedürftigkeit   Mangel an Ärztinnen und Ärzten vorausgesagt (vgl. BÄK 2016;        einzelnen Sektoren, welche die soziale, gesundheitliche
einher. Bei der Gesundheitsversorgung von älteren Men­           vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 3 – 4).                             und pflegerische Versorgung betreffen. Dies impliziert
schen stellt die Multimorbidität einen zentralen Faktor dar                                                                         vielfach Schnittstellenproblematiken, die mitunter auf eine
12        EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
          EINFÜHRUNG
                                                                                                                             EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                                                                EINFÜHRUNG
                                                                                                                                                                                                                   13

1.2                                                                                     1.3 
Zentrale Fragestellungen                                                                  Methodik, Literaturauswahl
und Ziel der Arbeit                                                                       und Chronologie

Ausgehend von den beschriebenen Darstellungen und                                         Eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken        betreffen, wird in den Kapiteln 4.2.1 bis 4.2.3 ein Exkurs
Problemen haben sich das dieser Arbeit zugrunde liegende                                  CINAHL, CareLit®, PubMed als auch die Datenbanken und           zu verschiedenen Versorgungsmodellen der Länder Kanada
Ziel und die darauf aufbauenden Forschungsfragen entwi­                                   Bestandskataloge der Hochschule Esslingen sowie der             und Finnland vorgenommen. Im weiteren Verlauf werden
ckelt. Ziel dieser Arbeit ist es, Patientenorientierte Zentren                            Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart bilden den         die Eigenschaften und Merkmale sowie die Struktur und
zur Primär- und Langzeitversorgung als alternative, neue                                  theoretischen Rahmen dieser Arbeit. Ebenso erfolgte die         der Aufbau eines PORT-Zentrums abgebildet. Schließlich
Möglichkeit der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland                                Literaturrecherche über die Zeitschriftendatenbank ZDB          geht Kapitel 4.6 auf die ausgewählten PORT-Initiativen ein,
vorzustellen und sie bereits bestehenden nationalen Ver­                                  der Hochschule Esslingen und die der Württembergischen          indem deren Umsetzungsvorhaben kurz skizziert werden.
sorgungsformen und -modellen gegenüberzustellen. Hierfür                                  Landesbibliothek Stuttgart sowie über das Internet. Die         Das Kapitel 5 soll abschließend die Erkenntnisse der vorange­
sollen die nachfolgenden Fragestellungen leitend fungieren:                               methodische Durchsuchung der Literatur bezog sich über­         gangenen Darlegungen aufgreifen und die unterschiedlichen
                                                                                          wiegend auf die Bereiche der Versorgungs- und Gesund-           Versorgungsformen den PORT-Zentren gegenüberstellen,
•W  ie gestaltet sich die ambulante gesundheitliche und                                  heitsforschung. Ferner stellt das Sozialgesetzbuch Fünftes      um mögliche Potenziale dieses neuen Modells aufzuzeigen.
   medizinische Regelversorgung in Deutschland?                                           Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) eine             Abschließend werden ein Fazit sowie ein Ausblick gegeben.
• Welche Versorgungsmodelle und -formen als Maßnahme                                     Grundlage der in dieser Arbeit beschriebenen Versorgungs-       Im Zuge der Geschlechtergerechtigkeit und einer geschlech­
   zur integrierten und kooperativen Gesundheitsversorgung                                formen dar. Als Schlüsselwörter bei der Recherche gelten        tergerechten Sprachform erfolgt in dieser Bachelorarbeit
   gibt es in Deutschland?                                                                die Suchbegriffe Integration, integrierte Versorgung, Ge-       die Beidnennung der Geschlechter, indem sowohl das
• Was sind Patientenorientierte Zentren zur Primär- und                                  sundheitsversorgung, ambulante Gesundheitsversorgung,           generische Femininum als auch das generische Maskulinum
   Langzeit­versorgung und was zeichnet die gesundheitliche                               hausärztliche Versorgung, Kooperation, Primärversorgung,        (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) verwendet werden und
   Versorgung innerhalb dieser aus?                                                       Gesundheitszentren, Versorgungsmodelle, Versorgungs­            die Verwendung geschlechtsneutraler Begriffe (Mitarbei­
                                                                                          formen und Patientenorientierte Zentren zur Primär- und         tende) erfolgt. Die stationäre Gesundheitsversorgung, die
Die in dieser Arbeit vorgestellten Versorgungsformen und                                  Langzeitversorgung.                                             (pflegerische) Langzeitversorgung sowie die Darstellung der
-modelle sollen zudem die Relevanz von chronisch Kranken                                                                                                  Krankenversicherungssystematik in Deutschland sollen an
berücksichtigen und als Maßnahmen der integrierten und                                    Neben den bereits genannten Problemstellungen, der              dieser Stelle nicht weiterführend thematisiert werden.
kooperativen Gesundheitsversorgung gelten, deren Kern­                                    daraus resultierenden Zielformulierung und den zentralen
elemente in dieser Arbeit dargelegt werden. Die von der                                   Fragestellungen wird in Kapitel 2 dieser Arbeit zunächst
RBSG initiierten PORT-Zentren stellen eine neue Möglichkeit                               auf die ambulante medizinische und gesundheitliche Ver-
der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland dar. Es soll                               sorgungssystematik in Deutschland eingegangen. Kapitel
abschließend diskutiert werden, welche Potenziale diese                                   2.1 beschreibt den Begriff der Primärversorgung, wobei
Versorgungsform aufzeigt und ob ­beziehungsweise inwieweit                                in Kapitel 2.2 und 2.3 die haus- sowie die fachärztliche Ver-
PORT-Zentren eine Alternative in der Gesundheitsversorgung                                sorgungssystematik dargestellt werden. Im darauffolgen­
in Deutschland darstellen können.                                                         den Kapitel wird auf die ambulante Krankenhausversorgung
                                                                                          eingegangen. Das gesamte Kapitel 3 beschäftigt sich mit
                                                                                          Maßnahmen der integrierten und kooperativen Gesundheits­
                                                                                          versorgung, indem ausgewählte Versorgungsmodelle skiz­
                                                                                          ziert werden. Diese subsumieren sich unter dem Begriff der
                                                                                          neuen Versorgungsformen. Kapitel 3.1 beschreibt die IV und
                                                                                          Kapitel 3.2 die MVZ. In den Kapiteln 3.3 bis 3.5 werden die
                                                                                          HzV, die DMP sowie arztunterstützende Modelle vorgestellt.
                                                                                          Schließlich beschäftigt sich das Kapitel 4 mit dem Förder­
                                                                                          programm PORT der RBSG. Hierzu werden einleitend die
                                                                                          Stiftung sowie der TB Gesundheit vorgestellt, um im weiteren
                                                                                          Verlauf auf den Entstehungshintergrund und die Intention der
                                                                                          Stiftung zum PORT-Programm einzugehen. Da internationale
                                                                                          Versorgungsmodelle die Entstehung des Förderprogramms
14   EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
     AMBULANTE ­MEDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V   ­ ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                              EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                     AMBULANTE M
                                                                                                                               ­ EDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V  ­ ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                                                                                        15

2. 
Ambulante                                                                                    In diesem Kapitel soll das System der ambulanten gesund-
                                                                                             heitlichen und medizinischen Versorgungssystematik
                                                                                             in Deutschland aufgezeigt werden. Somit ist hier die
                                                                                                                                                             Weiterhin nehmen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV)
                                                                                                                                                             in Deutschland eine zentrale Funktion in der ambulanten
                                                                                                                                                             Versorgung ein. Als öffentlich-rechtliche Körperschaften

­medizinische und
                                                                                             Forschungsfrage, wie sich die ambulante gesundheitliche         erfüllen sie staatliche Aufgaben und agieren als Interessen­
                                                                                             und medizinische Versorgung in Deutschland gestaltet,           vertretung aller Vertragsärztinnen und -ärzte. Überdies hat
                                                                                             maßgeblich. Am Ende soll ein Verständnis dahingehend            der Staat ihnen den sogenannten Sicherstellungsauftrag
                                                                                             vorliegen, wie sich die ambulante Gesundheitsversorgung         erteilt, welcher die KV nach § 75 Absatz 1 SGB V gesetzlich

 gesundheitliche                                                                             zusammensetzt und welche Professionen und Institutionen
                                                                                             dabei relevant sind.
                                                                                                                                                             dazu verpflichtet, die ambulante vertragsärztliche Versor­
                                                                                                                                                             gung in dem jeweiligen KV-Bezirk zu sichern. Der Auftrag
                                                                                                                                                             umfasst zudem die angemessene und zeitnahe Bereitstellung

 ­Versorgungssystematik
                                                                                             Zunächst ist festzuhalten, dass medizinische und gesund-        von ambulanten ärztlichen Versorgungsleistungen für alle
                                                                                             heitliche Leistungen ambulant durchgeführt werden, wenn         gesetzlich Versicherten (vgl. Simon 2013, S. 271; vgl. RKI
                                                                                             die zu behandelnde Person nicht über Nacht in einer Ver-        2015, S. 303).

  in Deutschland
                                                                                             sorgungs­einrichtung verweilen muss. Dies bedeutet, dass
                                                                                             sich die ambulante Versorgung in der Regel außerhalb von        Aufgrund fehlender einheitlicher Definitionen der Begriffe
                                                                                             Kranken­häusern vollzieht. In einigen Fällen können Kranken­    Primärversorgung, primärärztliche Versorgung und haus-
                                                                                             häuser jedoch auch ambulante gesundheitliche Leistungen         ärztliche Versorgung erfolgt in der nationalen und internatio­
                                                                                             erbringen (vgl. RKI 2015, S. 303). Neben den niederge-          nalen Praxis eine ambivalente bis hin zur synonymen Ver-
                                                                                             lassenen Ärztinnen und Ärzten spielen weitere Gesundheits-      wendung dieser Termini. Obwohl es an einer Spezifizierung
                                                                                             professionen in der ambulanten Versorgung eine Rolle.           der Begrifflichkeiten fehlt, sind darauf basierende, differie­
                                                                                             Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten im          rende Versorgungskonzepte im deutschen Sozialrecht sta­
                                                                                             Jahr 2015 2.198.000 Personen in der ambulanten Gesund­          tuiert (vgl. Schlette, Blum, Busse 2009, S. 12; vgl. SVR 2010,
                                                                                             heitsversorgung. Die größte Berufsgruppe stellen mit insge­     S. 29; vgl. Räker 2017, S. 69). Eine Definition der genannten
                                                                                             samt 569.000 Personen Arzt- und Praxis­hilfen dar. An zweiter   Begriffe ist deshalb zu Beginn der Arbeit zielführend.
                                                                                             Stelle stehen die pflegenden Berufe – hier werden insge-
                                                                                             samt 334.000 Beschäftigte in der ambulanten Gesundheits-        Im ersten Teil dieses Kapitels erfolgt eine Beschreibung
                                                                                             und Kranken-, Alten- und Entbindungspflege sowie dem            der gesundheitlichen Primärversorgung. Dabei wird neben
                                                                                             Rettungsdienst verzeichnet. Die personell drittgrößte Gruppe    der Definition des Begriffes auf den Stellenwert der unter­
                                                                                             bilden Berufe der nichtärztlichen Therapie und Heilkunde:       schiedlichen Professionen innerhalb der primären Gesund­
                                                                                             Insgesamt 272.000 Personen sind in diesem Bereich tätig.        heitsversorgung eingegangen. Da Ärztinnen und Ärzte
                                                                                             Human- und Zahnmedizinerinnen und -mediziner stehen             eine zentrale Stellung in der ambulanten gesundheitlichen
                                                                                             mit 219.000 Personen an vierter Stelle der in der ambulanten    Versorgung haben, werden in den Kapiteln 2.2 und 2.3 die
                                                                                             Gesundheitsversorgung beschäftigten Personen (vgl. Statis­      haus- sowie die fachärztliche Versorgung erläutert. Daneben
                                                                                             tisches Bundesamt 2017a, S. 21– 30).                            können auch Krankenhäuser ambulante medizinische Leis­
                                                                                                                                                             tungen erbringen (vgl. RKI 2015, S. 303). Aus diesem Grund
                                                                                                                                                             wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels die ambulante
                                                                                                                                                             Krankenhausversorgung skizziert. Neben den Begriffsdefini­
                                                                                                                                                             tionen werden verschiedene Studienergebnisse zur Alters­
                                                                                                                                                             struktur der Ärzteschaft sowie zum bevölkerungsseitigen
                                                                                                                                                             Inanspruchnahmeverhalten der ambulanten Gesundheits-
                                                                                                                                                             versorgung vorgestellt.
16        EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
          AMBULANTE ­MEDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V   ­ ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                                 EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                        AMBULANTE M
                                                                                                                                                                  ­ EDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V  ­ ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                                                                                                                           17

2.1                                                                                                                             2.2
Primärversorgung                                                                                                                Hausärztliche Versorgung

Die Primärversorgung ist ein ursprünglich in Großbritannien     herausgestellt und die Erforderlichkeit einer Koordination      Im deutschen Gesundheitswesen erfolgt die ambulante            Das SGB V formuliert zur vertragsärztlichen Versorgung in
entwickeltes Konzept, welches auf dem Dawson Report             der verschiedenen Einrichtungen beziehungsweise Profes­         gesundheitliche und medizinische Versorgung neben Fach-        § 73 Absatz 1 Satz 1 Folgendes: „Die vertragsärztliche Versor­
aus dem Jahr 1920 beruht. Dieser Bericht erwähnt erstmals       sionen hervorgehoben, um so die Netzwerkfunktion der            ärztinnen und -ärzten vor allem durch Hausärztinnen und        gung gliedert sich in die hausärztliche und in die fachärztliche
ein Primary Health Centre – also ein Primärversorgungs-         Primärversorgung grundlegend zu sichern. Zudem führt die        -ärzte beziehungsweise Vertragsärztinnen und -ärzte der        Versorgung.“ Die hausärztliche Versorgung ist somit innerhalb
zentrum – als eine Einrichtung beziehungsweise erste Anlauf­    WHO an, dass eine wachsende Fragmentierung der Gesund­          gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die hausärztliche      der vertragsärztlichen Versorgung statuiert und stellt einen
stelle, welche die Erbringung von kurativen und präventiven     heitsversorgung eine stärkere Orientierung aller Staaten in     Versorgung nimmt dabei eine wesentliche Aufgabe in der         exakt definierten Tätigkeitsbereich dar, welcher in Abgren­
Interventionen umfasst. Diese Zentren sollen laut Dawson        Richtung einer primären Gesundheitsversorgung erfordert         gesundheitlichen Primärversorgung ein (vgl. SVR 2010,          zung zur fachärztlichen Versorgung steht. Hausärztinnen und
den Mittelpunkt der regionalen Gesundheitsversorgung            (vgl. WHO 1978; vgl. WHO 2008; vgl. van den Bussche 2011,       S. 27; vgl. Räker 2017, S. 48).                                -ärzte sind im Normalfall mit dem persönlichen Umfeld ihrer
darstellen und kurative als auch präventive medizinische        S. 453 – 454; vgl. SVR 2010, S. 34 – 35).                                                                                      Patientinnen und Patienten vertraut und können alle relevan­
Versorgungsleistungen bieten, die durch überwiegend dort                                                                        Heutzutage wird die ambulante ärztliche Versorgung in          ten Befunde der zu Behandelnden zusammenführen. Eine
tätige Hausärztinnen und -ärzte erbracht werden (vgl.           Daneben definiert der SVR die Primärversorgung als einen        Deutschland nahezu ausschließlich durch sogenannte             weiterführende fachärztliche Versorgung sollte möglichst nur
Dawson of Penn 1920; vgl. SVR 2010, S. 33 – 34).                „(…) Bereich medizinischer Grundversorgung, in dem die          niedergelassene Ärztinnen und Ärzte realisiert. Diese sind     nach einer durch die Hausärztin beziehungsweise den Haus­
                                                                primäre (auch durch ungefilterte Erstinanspruchnahme),          bei gesundheitlichen Problemen im Regelfall die erste          arzt getätigten Überweisung erfolgen (vgl. SVR 2010, S. 30;
Im Jahr 1978 wird das Konzept der Primärversorgung in der       umfassende und individuelle Versorgung aller Gesundheits­       Anlaufstelle für die Patientinnen und Patienten. Laut den      vgl. Simon 2013, S. 271 – 272). Der § 73 SGB V definiert ferner
Deklaration von Alma-Ata von der Weltgesundheitsorgani-         anliegen erfolgt. Die Primärversorgung umfasst die niedrig­     Ergebnissen der Mikrozensus-Zusatzerhebung aus dem Jahr        den Inhalt und das Aufgabenfeld der hausärztlichen Versor­
sation (WHO) weiterführend beschrieben. Gemäß der WHO           schwellige Betreuung auch durch andere Gesundheitsberufe        2015 sind in Deutschland 69.252.000 Personen gesetzlich        gung. In § 73 Absatz 1 a Satz 1 SGB V heißt es, dass „(...)
ist die primäre Gesundheitsversorgung, international als        und auch innerhalb von Familien sowie kommunalen Struk-         krankenversichert. Bei einem Bevölkerungsstand zum             1. Allgemeinärzte, 2. Kinderärzte, 3. Internisten ohne Schwer­
Primary Health Care bezeichnet, „(…) die erste Ebene, auf der   turen.“ (SVR 2010, S. 30)                                       31. Dezember 2015 von insgesamt 82.175.000 Personen            punktbezeichnung, die die Teilnahme an der hausärztlichen
Einzelpersonen, Familien und die Gemeinschaft in Kontakt                                                                        entspricht dies einem Anteil von rund 85 Prozent in Deutsch­   Versorgung gewählt haben, 4. Ärzte, die nach § 95a Abs. 4
mit dem nationalen Gesundheitssystem treten (…) und stellt      Die Zitate und Ausführungen veranschaulichen, dass es sich      land gesetzlich krankenversicherter Menschen. Ausgehend        und 5 Satz 1 in das Arztregister eingetragen sind und 5. Ärzte,
das erste Element eines kontinuierlichen Prozesses der          bei der primären Gesundheitsversorgung nicht ausschließlich     davon ist die ambulante ärztliche Versorgung gewissermaßen     die am 31. Dezember 2000 an der hausärztlichen Versorgung
Gesundheitsversorgung dar.“ (WHO 1978) Weiterhin lässt          um die medizinische Versorgung handelt; vielmehr geht es        bedeutungsgleich mit der ambulanten ärztlichen Versorgung      teilgenommen haben (...)“, an der hausärztlichen Versorgung
die WHO verlauten: „Die ­primäre Gesundheitsversorgung          um eine Kooperation von zahlreichen Aktivitäten in den unter­   von Krankenkassenpatientinnen und -patienten (vgl. Simon       teilnehmen.
(...) sollte durch integrierte, funktionsfähige und einander    schiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Primärversorgung     2013, S. 269; vgl. Statistisches Bundesamt 2016b, S. 18;
unterstützende Überweisungssysteme aufrechterhalten             übersteigt demzufolge die hausärztliche beziehungsweise         vgl. Statistisches Bundesamt 2017b).                           Zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)
werden (…).“ (WHO 1978) Ebenso werden in der Deklaration        allgemeinmedizinische Versorgung (vgl. WHO 1978; vgl. SVR                                                                      waren Polikliniken und Ambulatorien die vorherrschende
die verschiedenen Gesundheitsprofessionen als wichtige          2010, S. 33 – 34; vgl. van den Bussche 2011, S. 453 – 455).     Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte können die Ver-       Organisationsform der ambulanten ärztlichen Versorgung.
Akteure genannt. So heißt es, die Primärversorgung „(...) ist   Obwohl es keine verbindliche Definition gibt, kann abschlie­    sorgung von Krankenkassenpatientinnen und -patienten           Daneben wurde besonders in ländlichen Regionen die ambu­
auf der lokalen Ebene und bei Überweisungen auf Gesund­         ßend festgehalten werden, dass die Primärversorgung immer       nur vornehmen, wenn sie hierzu eine Zulassung als Vertrags­    lante Gesundheitsversorgung durch staatliche Arztpraxen
heitsfachkräfte wie Ärzte, Pflegekräfte, Hebammen, Hilfs­       ein umfassendes Konzept darstellt. Sie ist in den meisten       ärztin beziehungsweise Vertragsarzt der GKV haben. Unge­       sowie Gemeindeschwesternstationen ausgebaut. Nach der
kräfte und Sozialarbeiter, gegebenenfalls aber auch auf die     Gesundheitssystemen die erste Anlaufstelle für Patientinnen     fähr 95 Prozent der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte       Wiedervereinigung Deutschlands wurden die Polikliniken
Hilfe traditioneller Mediziner angewiesen (...).“ (WHO 1978)    und Patienten und bindet sowohl ärztliche als auch nichtärzt­   in Deutschland sind Vertragsärztinnen und -ärzte der GKV       schnell wieder aufgelöst und die darin angestellten Ärztinnen
Ausgehend von diesem Verständnis betont die WHO auch in         liche Gesundheitsberufe in die Versorgung ein. Ihr Ziel be-     (vgl. Simon 2013, S. 269). Laut Kassenärztlicher Bundes­       und Ärzte zur Niederlassung veranlasst (vgl. Busse, Blümel,
den darauffolgenden Jahren den besonderen Stellenwert der       steht in der Überwindung von zergliederten ambulanten und       vereinigung (KBV) nehmen im Jahr 2016 insgesamt 146.054        Ognyanova 2013, S. 182; vgl. Simon 2013, S. 60 – 63). In
Primärversorgung im Gesundheitswesen. 30 Jahre nach der         stationären Versorgungsstrukturen und der Koordination          Ärztinnen und Ärzte an der vertragsärztlichen Versorgung       Deutschland dominieren heute in der ambulanten gesund­
Deklaration von Alma-Ata veranstaltet die WHO eine inter-       der Gesundheitsversorgung im Sinne der Bevölkerung (vgl.        teil. Darunter sind 54.605 Hausärztinnen und -ärzte; exklu­    heitlichen Regelversorgung Einzelpraxen; in etwa 58 Prozent
nationale Konferenz in Almaty in Kasachstan, der ehemaligen     Schlette, Blum, Busse 2009, S. 11 – 14; vgl. van den Bussche    sive Pädiaterinnen und Pädiater (vgl. KBV 2016). Die an der    der Praxen sind in dieser Organisationsform strukturiert. In
Stadt Alma-Ata. Anlässlich dessen wird am 14. Oktober 2008      2011, S. 454 – 456). Die primäre Gesundheitsversorgung          vertragsärztlichen Versorgung Teilnehmenden werden unter­      einer Einzelpraxis behandelt eine Ärztin beziehungsweise ein
der World Health Report 2008 publiziert. Der WHO-­Bericht       kann „(...) je nach Land, System oder Profession über Versor­   gliedert in Vertrags-, Partner-, angestellte und ermächtigte   Arzt Patientinnen und Patienten eigenständig. Zur Gestaltung
verweist unter anderem auf eine direkte Verbindung zwischen     gungsebenen, über Funktionen und Aktivitäten oder eben          Ärztinnen und Ärzte. Sofern diese ambulant, aber außerhalb     der ärztlichen Versorgung gemäß eigenen Vorstellungen bie­
den Herausforderungen, die eine alternde Bevölkerung bei        über Organisationsstrukturen definiert werden.“ (Schlette,      der vertragsärztlichen Versorgung agieren, fungieren sie als   tet diese Organisationsform die größtmögliche Flexibilität –
gleichzeitiger Zunahme von chronischen Erkrankungen mit         Blum, Busse 2009, S. 12)                                        Privatärztinnen und -ärzte (vgl. Simon 2013, S. 273 – 275).    zum Beispiel in Bezug auf Leistungsspektrum, Ausstattung
sich bringt. Weiterhin wird die interdisziplinäre Kooperation                                                                                                                                  der Praxis oder Sprechstundenangebot. Bei der Behand­
als eine Komponente der primären Gesundheitsversorgung                                                                                                                                         lung innerhalb der Einzelpraxis assistieren dem ärztlichen
18        EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
          AMBULANTE ­MEDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V   ­ ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                                   EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                          AMBULANTE M
                                                                                                                                                                    ­ EDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V  ­ ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND
                                                                                                                                                                                                                                                               19

                                                                                                                                                                                                   2.3
                                                                                                                                                                                                   Fachärztliche Versorgung

Personal üblicherweise mehrere Medizinische Fachangestell­      der Frauen und rund 98 Prozent der Männer im Alter von 65         beigemessen und diese Disziplin als einer der Kernbereiche       Wie bereits dargestellt unterteilt sich die vertragsärztliche
te (MFA). Die Eigentümerinnen und Eigentümer der Praxis         bis 79 Jahren an, innerhalb des letzten Jahres mindestens         innerhalb der hausärztlichen Versorgung verstanden werden        Versorgung in die Bereiche der haus- und fachärztlichen
sind wirtschaftlich selbstständig und tragen die Verantwor­     einmal niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aufzusuchen.           (vgl. Simon 2013, S. 276; vgl. Räker 2017, S. 70).               Versorgung. Beinahe alle Fachgebiete der Medizin lassen
tung für die Finanzierung. Daneben zählen Praxisgemein­         Laut DEGS1 suchen rund 98 Prozent der 65- bis 79-jährigen                                                                          sich innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung vorfinden
schaften, Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) – in der          Frauen und rund 95 Prozent der 65- bis 79-jährigen Männer         In der Literatur existieren unterschiedliche Definitionen zum    (vgl. Busse, Blümel, Ognyanova 2013, S. 182). Die an der
Vergangenheit als Gemeinschaftspraxen bezeichnet – und          mindestens einmal jährlich eine Hausärztin oder einen Haus-       Gebiet der Allgemeinmedizin. Die Deutsche Gesellschaft für       hausärztlichen Versorgung partizipierenden Ärztinnen und
MVZ zu den klassischen Organisationsformen der ambulan­         arzt auf. Bei der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen           Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) beschreibt          Ärzte wurden im vorherigen Kapitel genannt. Demnach
ten ärztlichen Versorgung (vgl. Simon 2013, S. 283; vgl. KBV    spielen nicht nur Alter und Geschlecht, sondern auch Sozial-      in ihrer Fachdefinition: „Der Arbeitsbereich der Allgemein­      heißt es in § 73 Absatz 1 a Satz 2 SGB V: „Die übrigen Fach-
2017a; vgl. KBV 2017b).                                         status und Gesundheitszustand eine Rolle. Personen mit            medizin beinhaltet die Grundversorgung aller Patienten mit       ärzte nehmen an der fachärztlichen Versorgung teil.“
                                                                einem eher niedrigen Sozialstatus geben in den letzten zwölf      körperlichen und seelischen Gesundheitsstörungen in der
Während die in einer Praxisgemeinschaft zusammenge­             Monaten 10,4 Arztkontakte und Personen mit einem höheren          Notfall-, Akut- und Langzeitversorgung sowie wesentliche         Lediglich die über eine abgeschlossene Weiterbildung
schlossenen Ärztinnen und Ärzte lediglich Räumlichkeiten,       sozialen Status 8,3 Kontakte an. Die Personen mit einem           Bereiche der Prävention und Rehabilitation. Allgemeinärz­        verfügenden Ärztinnen und Ärzte können an der vertrags-
Personal und Ausstattungen innerhalb der Praxis gemein-         sehr guten bis guten Gesundheitszustand geben 7,4 Arzt­           tinnen und Allgemeinärzte sind darauf spezialisiert, als erste   ärztlichen Versorgung teilnehmen. Aufgrund dessen durch­
sam nutzen, schließen sich in einer BAG mindestens zwei         kontakte innerhalb eines Jahres an, wohingegen Personen           ärztliche Ansprechpartner bei allen Gesundheitsproblemen         laufen annähernd alle Ärztinnen und Ärzte eine fachärzt-
Ärztinnen und Ärzte in einer Praxis zusammen. Die in der        mit einem mittelmäßigen bis sehr schlechten Gesundheits­          zu helfen.“ (DEGAM 2002) Die BÄK definiert in ihrer (Muster-)    liche Weiterbildung, wenn sie im Anschluss an ihr Medizin-
BAG tätigen Medizinerinnen und Mediziner üben demnach           zustand durchschnittlich 15,0-mal eine Arztpraxis aufsuchen       Weiterbildungsordnung, dass der Bereich der Allgemeinme­         studium über eine kurative Tätigkeit verfügen möchten.
gemeinsam den Beruf aus, besitzen eine kollektive Patienten­    (vgl. Rattay et al. 2013, S. 833 – 837; vgl. RKI 2015, S. 423).   dizin eine lebenslang begleitende hausärztliche Betreuung        Innerhalb der Weiterbildung werden spezielle Kompetenzen
kartei, rechnen zusammen ab und verfügen über gemein-                                                                             einschließt. Diese soll für Menschen in jedem Alter und bei      in den jeweiligen medizinischen Fachgebieten vermittelt.
sam genutzte Räume, Ausstattung und Personal. Die Abrech­       Ferner soll kurz auf die Altersstruktur und die Arztzahlen-       jeglichen Formen von Gesundheitsstörungen erfolgen               Diese reichen über die innerhalb des Grundstudiums
nung innerhalb einer Praxisgemeinschaft erfolgt dahingegen      entwicklung eingegangen werden. Nach Angaben der KBV              (vgl. BÄK 2015). Eine weitere Definition formuliert der euro­    erworbenen Fähigkeiten hinaus. Art, Inhalt und Dauer der
getrennt; es existieren zudem separate Patientenkarteien        sind im Jahr 2016 10.243 Hausärztinnen und -ärzte zwischen        päische Zweig der World Organization of National Colleges,       Weiterbildung sind abhängig von der Fachdisziplin, und der
und die Berufsausübung erfolgt eigenständig. Die MVZ wer­       60 und 65 Jahre alt. Dies entspricht einem Anteil von 22,2        Academies and Academic Associations of General Practitio­        erfolgreiche Abschluss der Weiterbildung führt schließlich
den in einem gesonderten Kapitel beschrieben (vgl. Bilger,      Prozent. Weiterhin sind 5.774 Hausärztinnen und -ärzte über       ners / Family Physicians (WONCA). Sie beschreibt die             zur Facharztbezeichnung in der jeweiligen Fachrichtung.
Engeser 2017, S. 77; vgl. KBV 2017b; vgl. KBV 2017c).           65 Jahre alt und somit 12,5 Prozent der Personen 65 Jahre         Allgemeinmedizin als eine akademische und wissenschaft-          Der Großteil der von den Ländern verabschiedeten Kammer­
                                                                und älter (vgl. KBV 2016). Demgegenüber erklären Klose und        liche Fachrichtung, die auf die Primärversorgung ausgerichtet    gesetze reglementiert, dass sich Ärztinnen und Ärzte auf
Die GKV-Versicherten haben unter den als Vertragsärztinnen      Rehbein, dass im Jahr 2016 bundesweit knapp 33 Prozent            ist und als erster medizinischer Berührungspunkt im Gesund­      das medizinische Gebiet beschränken müssen, das deren
und -ärzten zugelassenen niedergelassenen Ärztinnen und         der Hausärztinnen und -ärzte 60 Jahre und älter sind (vgl.        heitssystem fungiert (vgl. WONCA 2002).                          Facharztbezeichnung entspricht. Hieraus ergibt sich die
Ärzten nach § 76 SGB V die freie Arztwahl. Ferner werden sie    Klose, Rehbein 2016, S. 28). Über Prognosen zur Arztzahlen-                                                                        Notwendigkeit, auch aus haftungsrechtlicher Sicht, dass
rechtlich dazu angehalten, sich eine Hausärztin beziehungs­     entwicklung in Deutschland liegen unterschiedliche Studien        Deutlich wird, dass die Allgemeinmedizin eine hohe Be-           Haus- sowie Fachärztinnen und -ärzte die zu Behandelnden
weise einen Hausarzt zu suchen und diesen innerhalb eines       vor. Kopetsch geht davon aus, dass bis zum Jahr 2020 ins-         deutung innerhalb der hausärztlichen und der primären            an ärztliche Kolleginnen und Kollegen verweisen müssen,
Kalendervierteljahres auch beizubehalten; allerdings wird       gesamt 23.768 Hausärztinnen und -ärzte, die aus dem Berufs­       Versorgung einnimmt. Laut Gesetz können neben Allgemein­         sofern diese die für eine weiterführende Behandlung
nicht überprüft, ob dieser gesetzlichen Regelung tatsächlich    leben ausscheiden, ersetzt werden müssen (vgl. Kopetsch           medizinerinnen und -medizinern ebenfalls Internistinnen          erforderlichen speziellen Kompetenzen haben (vgl. Scholz
Folge geleistet wird (vgl. Busse, Blümel, Ognyanova 2013,       2010, S. 64, S. 143). Ostwald et al. nehmen an, dass bis zum      und Internisten an der hausärztlichen Versorgung teilneh­        2009, S. 481; vgl. SVR 2010, S. 75).
S. 177).                                                        Jahr 2020 eine Neubesetzung von 23 Prozent der notwendi­          men. Sie können entweder an der haus- oder an der fachärzt­
                                                                gen Arztstellen in den ambulanten Arztpraxen nicht möglich        lichen Versorgung partizipieren. Beide Disziplinen stellen       Die vertragsärztliche Versorgung verteilt sich auf unterschied-
Über 90 Prozent der deutschen Bevölkerung haben eine Haus-      sein wird. Für das Jahr 2030 prognostizieren sie, dass über       unterschiedliche Fachrichtungen dar und erfordern eine           liche Fachgebiete. Dazu gehören zum Beispiel die Gebiete
ärztin beziehungsweise einen Hausarzt. Bei dem Personen­        87.000 Ärztinnen und Ärzte in den Arztpraxen fehlen werden        entsprechende ärztliche Fachweiterbildung. Von den im            der Chirurgie, Orthopädie, Radiologie und Frauenheilkunde
kreis der über 65-Jährigen sind es sogar knapp 95 Prozent       (vgl. Ostwald et al. 2010, S. 41 – 42).                           Jahr 2016 insgesamt 146.054 an der vertragsärztlichen Ver-       (vgl. KBV 2016). Laut DEGS1 stellt die Allgemeinmedizin die
(vgl. Klimm 2017, S. 58). In der Zeit von 2008 bis 2011 bege­                                                                     sorgung teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten sind 34.865           am häufigsten konsultierte Facharztrichtung dar. Von den
ben sich laut der vom RKI im Rahmen des bundesweiten Ge-        Wie bereits beschrieben ist die vertragsärztliche Versorgung      Personen Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner und              18- bis 79-jährigen Frauen und Männern suchen 79,4 Prozent
sundheitsmonitorings durchgeführten Studie zur Gesundheit       in die haus- und fachärztliche Versorgung gegliedert. Dabei       26.812 Personen Internistinnen und Internisten. Von den          mindestens einmal innerhalb eines Jahres eine Allgemein-
Erwachsener in Deutschland (DEGS1) Frauen und Männer            können an der hausärztlichen Versorgung nach § 73 SGB V           Internistinnen und Internisten sind 14.853 Personen haus-        ärztin beziehungsweise einen Allgemeinarzt auf. Mit einem
im Alter von 18 bis 79 Jahren durchschnittlich 9,2-mal binnen   unter anderem Allgemeinärztinnen und -ärzte teilnehmen.           ärztlich und 9.822 Personen fachärztlich tätig (vgl. Scholz      Anteil von 71,7 Prozent stellen die Zahnmedizinerinnen und
eines Jahres in eine Arztpraxis. Dabei geben 96 Prozent         Demnach kann der Allgemeinmedizin ein hoher Stellenwert           2009, S. 481; vgl. SVR 2010, S. 79; vgl. KBV 2016).              -mediziner die am zweithäufigsten konsultierte Facharzt-
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