Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung - Eine neue Perspektive für die zukünftige Gesundheitsversorgung in Deutschland ...
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Kathrin Janine Raslan Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung Eine neue Perspektive für die zukünftige Gesundheitsversorgung in Deutschland
2 EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND VORWORT EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND VORWORT 3 Vorwort Unsere Gesundheitsversorgung ist mehr denn je in Bewegung. Die Zahl Die Bündelung dieser Merkmale unter einem Dach oder an einem Stand- der Gesundheitsfachkräfte sinkt, vor allem in ländlichen Regionen. ort ist in der deutschen Gesundheitslandschaft innovativ. Für die Die Zahl der älteren Menschen steigt und chronische und Mehrfacher Patienten ist jedoch eine koordinierte Versorgung entscheidend und sie krankungen nehmen zu. Auch unser Wissen ist gewachsen und damit gewinnen viel, wenn die F achkräfte miteinander kooperieren. Erfreu die Erwartungen an eine q ualitativ hochwertige Gesundheitsversor licherweise nimmt auch hierzulande die Bedeutung von Ansätzen, bei gung. Das Gesundheitssystem steht unter Reformdruck. Wie sehen denen Sektoren- und Berufsgrenzen überwunden werden, zu. Mit dem Lösungen für die Versorgung vor Ort aus? Wie schaffen wir ein zukunfts Programm PORT knüpfen wir deswegen auch an bereits b estehende fähiges Angebot, das allen offensteht? integrierte und sektorenübergreifende Strukturen an. Etliche Länder haben sich damit bereits seit Längerem auseinander- Die vorliegende Arbeit betrachtet einige dieser Versorgungsformen und gesetzt und auf den geänderten Versorgungsbedarf in der Bevölkerung zeigt Potenziale zur Weiterentwicklung auf. Wir freuen uns, dass Frau unter anderem mit dem Aufbau lokaler Gesundheitszentren reagiert. Raslans Tätigkeit als Praxisstudentin im Themenbereich Gesundheit von Derartige Modelle hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der September 2016 bis Februar 2018 sie zu dieser Analyse angeregt hat, Entwicklung im Gesundheitswesen schon in seinem Bericht von 2014 und danken ihr für die sehr gelungene und strukturierte Aufarbeitung auch für die Gesundheitsversorgung in Deutschland empfohlen. der Thematik. Mit der Publikation der vorliegenden Arbeit möchten wir den Austausch zu Lösungsansätzen für die Zukunft der Versorgung Mit dem Programm „PORT – Patientenorientierte Zentren zur Primär- weiter fördern. und Langzeitversorgung“ und dem im Sommer 2018 gestarteten, ergänzenden Förderprogramm „supPORT“ fördern wir als Robert Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre! Bosch Stiftung daran anknüpfend die Einführung von lokalen, inhaltlich umfassenden und exzellenten Gesundheitszentren in Deutschland, Mit freundlichen Grüßen welche die Primär- und Langzeitversorgung in einer Region abdecken Robert Bosch Stiftung GmbH können. Wir unterstützen unter anderem Initiativen in Berlin, Büsum, Hohenstein und Willingen-Diemelsee. An diesen Standorten sollen in den kommenden Jahren lokale Gesundheitszentren entstehen, die Dr. Bernadette Klapper Bereichsleiterin Gesundheit • auf den regionalen Bedarf abgestimmt sind, • eine patientenzentrierte, koordinierte, kontinuierliche Versorgung „aus einer Hand“ anbieten und stetig weiterentwickeln, • den Patienten im Umgang mit seiner Erkrankung unterstützen, • multiprofessionelle Teamarbeit auf Augenhöhe voraussetzen, • neue Potenziale wie E-Health nutzen, • Prävention und Gesundheitsförderung mit einschließen sowie • kommunal gut eingebunden sind.
4 EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND DANKSAGUNG EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND INHALT 5 Danksagung Inhalt An dieser Stelle möchte ich mich bei denjenigen Personen bedanken, 06 Abkürzungsverzeichnis die durch ihre fachliche und persönliche Unterstützung zum Gelingen 07 Abbildungsverzeichnis dieser Bachelorarbeit beigetragen haben. 08 1. Einführung Zunächst gilt mein Dank Herrn Professor Dr. P.H. MPH, D ipl.-Kfm. (FH) 10 1.1 Hintergrund und Problemstellung Reinhold Wolke für seine wissenschaftliche und methodische Hilfe- 12 1.2 Zentrale Fragestellungen und Ziel der Arbeit stellung während der Erstellung dieser Arbeit. Ebenso bedanke ich mich 13 1.3 Methodik, Literaturauswahl und Chronologie bei Herrn Professor Dr. rer. pol. Dipl.-Betr.-päd. Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Arnold Pracht, der mich ebenfalls im Rahmen der Anfertigung dieser 14 2. A mbulante medizinische und gesundheitliche Arbeit b etreut hat. Versorgungssystematik in Deutschland 16 2.1 Primärversorgung Ich möchte mich zudem bei der Bereichsleiterin des Themenbereichs 17 2.2 Hausärztliche Versorgung Gesundheit, Frau Dr. Bernadette Klapper, als auch bei allen Kolleginnen 19 2.3 Fachärztliche Versorgung und Kollegen der Robert Bosch S tiftung GmbH in Stuttgart bedanken. 20 2.4 Ambulante Krankenhausversorgung Durch meine Tätigkeit als Praxisstudentin habe ich viele Einblicke in die gemeinnützige S tiftungsarbeit und die unterschiedlichen Projekte 22 3. Neue Versorgungsformen des Themenbereichs Gesundheit erhalten. Meine Anstellung dort hat 23 3.1 Integrierte Versorgung es mir möglich gemacht, mich dem Thema Patientenorientierte Zentren 25 3.2 Medizinische Versorgungszentren zur Primär- und Langzeitversorgung zu widmen. Ich bedanke mich für 26 3.3 Hausarztzentrierte Versorgung den fachlichen Austausch, die anhaltende Hilfestellung und die vielen 28 3.4 Disease-Management-Programme Ratschläge während der Bearbeitung des Themas als auch für die gute 29 3.5 Arztunterstützende Modelle und konstruktive Zusammenarbeit innerhalb der Stiftung. 32 4. P ORT – Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, meiner S chwester und 33 4.1 Die Robert Bosch Stiftung GmbH und der Themenbereich Gesundheit meinem Ehemann. Ich danke euch für die zahlreiche Unterstützung, die 34 4.2 Entstehungshintergrund und Intention des Förderprogramms PORT unermüdliche Stärkung und die motivierenden Gespräche; nicht nur 36 4.2.1 Exkurs: Internationale Modelle während des Verfassens meiner Bachelorarbeit, sondern während der 36 4.2.2 Kanada gesamten Zeit meines Studiums. 37 4.2.3 Finnland 39 4.3 Das Förderprogramm PORT Kathrin Raslan 40 4.4 Eigenschaften und Merkmale der PORT-Zentren 41 4.5 Aufbau und Struktur der PORT-Zentren 42 4.6 Die PORT-Initiativen 44 5. D iskussion – Gegenüberstellung von neuen Versorgungsformen und PORT-Zentren 55 6. Fazit und Ausblick 56 7. Literaturverzeichnis 66 8. Anhang
6 EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS / ABBILDUNGSVERZEICHNIS 7 Abkürzungsverzeichnis AGnES Arztentlastende Gemeindenahe E-Health-gestützte Systemische Intervention KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung ANP Advanced Nurse Practitioner(s) KV Kassenärztliche Vereinigung(en) ASV Ambulante spezialfachärztliche Versorgung LGZ Lokale Gesundheitszentren zur Primär- und Langzeitversorgung BÄK Bundesärztekammer LHH Local Health Hub(s) BAG Berufsausübungsgemeinschaft(en) LVG & AFS Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin BV Besondere Versorgung Niedersachsen e. V. BVA Bundesversicherungsamt MFA Medizinische Fachangestellte CHC Community Health Centre(s) MOHLTC Ministry of Health and Long-Term Care CHN Community Health Nurse(s) MoNi Modell Niedersachsen DBfK Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe MOPRA Mobile Praxisassistenten DDR Deutsche Demokratische Republik MVZ Medizinisches Versorgungszentrum / Medizinische Versorgungszentren DEAS Deutscher Alterssurvey NäPa Nichtärztliche Praxisassistentin DEGAM Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin OECD Organisation for Economic Co-operation and Development DEGS1 Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland PCMH Patient Centered Medical Home DIVER Regional differenzierte Versorgung PORT-Zentren Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung DMP Disease-Management-Programm(e) PriKon Primärversorgungszentren – Konzepte und Umsetzungspraxis E-Health Electronic Health RBK Robert-Bosch-Krankenhaus ELSID-Studie Studie „Evaluation of a Large Scale Implementation of Disease Management RBSG Robert Bosch Stiftung GmbH Programs for patients with type 2 diabetes“ RKI Robert Koch-Institut e. V. Eingetragener Verein SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung EVA Entlastende Versorgungsassistentin SVR Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen FHT Family Health Team(s) TB Themenbereich G-BA Gemeinsamer Bundesausschuss UN United Nations GEDA Gesundheit in Deutschland aktuell VERAH® Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis GeKo Gesundheitskollektiv Berlin e. V. WHO Weltgesundheitsorganisation (international: World Health Organization) GKV Gesetzliche Krankenversicherung WONCA World Organization of National Colleges, Academies and Academic Associations GKVRefG2000 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 of General Practitioners / Family Physicians GKV-VSG Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-VStG Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-WSG Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung Abbildungsverzeichnis GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GMG Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung GSG Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Abbildung 1: Umfassendes Modell einer regional vernetzten Versorgung Krankenversicherung im ländlichen Raum S. 66 HELVER ArztHELferinnen in der ambulanten VERsorgung Abbildung 2: igenschaften von Patientenorientierten Zentren zur Primär- E HzV Hausarztzentrierte Versorgung und Langzeitversorgung S. 67 InGe Innovative Gesundheitsmodelle Abbildung 3: eispielhafte Bündelung der Leistungen in einem Patienten- B IV Integrierte Versorgung orientierten Zentrum zur Primär- und Langzeitversorgung S. 67
8 EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND EINFÜHRUNG EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND EINFÜHRUNG 9 1. Einführung Bedarfslagen chronisch Erkrankter genügen und dabei die Ebenso könnten derart neue Versorgungsformen auch neue Primär- und Langzeitversorgung in einer Region erfüllen zu berufliche Möglichkeiten für Pflegende und andere Gesund können, sind sogenannte Patientenorientierte Zentren zur heitsberufe darstellen. Dieser Aspekt ist zudem besonders Primär- und Langzeitversorgung (PORT-Zentren) (vgl. Schott interessant, da die eigenen Erfahrungen während des Pflege-/ 2017a). Pflegemanagementstudiums zeigen, dass sich neben den Kommilitoninnen und Kommilitonen des Pflegemanagements Ausschlaggebend für die ausgewählte Themenstellung auch Studierende aus den Bereichen Pflegepädagogik und dieser Arbeit ist meine Anstellung als Praxisstudentin im Pflegewissenschaft die Frage stellen, wo sie nach dem Studi „Der beste Weg, die Zukunft Themenbereich (TB) Gesundheit bei der Robert Bosch Stif enabschluss beruflich tätig sein können. Neben Institutionen tung Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) (RBSG) wie Krankenhäusern oder stationären Langzeitpflegeeinrich vorauszusagen, ist, sie zu in Stuttgart. Die Tätigkeit innerhalb der Stiftung hat mich tungen eignen sich neue Versorgungsformen, zum Beispiel mit dem seit Februar 2015 deutschlandweit ausgeschriebe in Form von etablierten PORT-Zentren, möglicherweise als gestalten.“ nen Förderprogramm PORT – Patientenorientierte Zentren potenzielle Arbeitgeber für die akademisch qualifizierten zur Primär- und Langzeitversorgung in Berührung gebracht. als auch für die beruflich ausgebildeten Gesundheitsprofes Willy Brandt, vierter deutscher Bundeskanzler Ziel dieses stiftungsinitiierten Fördervorhabens ist „(…) die sionen. Aus diesem Grund ist die Bearbeitung dieser Thema und Friedensnobelpreisträger, 1913 – 1992 (Weiter-)Entwicklung und Einführung von lokalen, inhalt tik hilfreich, sofern der Verortung der Pflege innerhalb der lich umfassenden und exzellenten Gesundheitszentren in Modelle eine wesentliche Komponente zuteilwird. Deutschland, die die Primär- und Langzeitversorgung in einer Region abdecken können.“ (Schott 2017a) Dabei sollen die Thematisch lässt sich die inhaltliche Auseinandersetzung zukünftigen PORT-Zentren eine koordinierte, kontinuierli mit den PORT-Zentren beziehungsweise den integrierten, che und umfassende Gesundheitsversorgung ermöglichen. kooperativen Versorgungsmodellen dem Bereich der Gesund- Neben einer multiprofessionellen Ausrichtung, die alle heitswissenschaften sowie der Versorgungs- und Gesund Die Gestaltung einer bedarfsgerechten gesundheitlichen Auf nationaler und internationaler Ebene lassen sich ver Patientinnen und Patienten in ihrer individuellen Krankheits heitsforschung zuordnen. Die Thematik lässt zudem Paralle Versorgung ist eine der zentralen Aufgaben einer Gesund schiedene Modelle und Maßnahmen finden, die eine struk bewältigung unterstützt, gelten Prävention und Gesundheits len zu im Studium behandelten Inhalten erkennen. Beispiels heits- und Sozialpolitik der Zukunft. Der global voranschrei turelle Veränderung zur Behebung der sich abzeichnenden förderung als integrative Bestandteile. Ausgerichtet auf weise wurden innerhalb des Moduls H 2015 mitunter Aspekte tende demografische Wandel bei gleichzeitiger Zunahme gesundheitlichen Versorgungsproblematik, insbesondere für den regionalen Bedarf sind Patientenzentrierung sowie eine des Case-, Care- und Diseasemanagements bearbeitet, mit der Anzahl der chronischen Erkrankungen stellt dabei eine chronisch Erkrankte sowie in ländlichen Regionen Lebende, gute kommunale Einbindung unabdingbar, damit die PORT- denen sich diese Arbeit ebenfalls auseinandersetzt. besondere Herausforderung dar, welche es in der zukünfti einschließen. In vielen Ländern setzen sich Wissenschaft Zentren die Grundversorgung der Bevölkerung sowie eine gen Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen gilt. als auch Politik seither damit auseinander, wie eine bedarfs bedarfsgerechte Versorgung chronisch Erkrankter aus einer Meiner Ansicht nach gehört es zur Aufgabe zukünftiger Gleichermaßen herausfordernd ist zudem die Sicherstel- gerechte Versorgungsgestaltung realisiert werden kann. Hand gewährleisten können (vgl. Klapper 2015; vgl. Schott Pflegemanagerinnen und -manager, sich den Anforderungen lung eines Versorgungssystems, das einen ungehinderten Dabei reichen die unterschiedlichen Initiativen von neuen 2017a). an die gesundheitliche und pflegerische Versorgung im Zuge Zugang für alle Bürgerinnen und Bürger ermöglicht; auch Modellen zur Primärversorgung über eine Verbesserung der des demografischen Wandels zu stellen und auf eine qualita in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Internatio Krankenhausversorgung bis hin zur Einrichtung von lokalen Das PORT-Programm hat mein besonderes Interesse ge- tiv hochwertige Leistung hinzuwirken. Dabei ist die Offenheit nale Diskurse über die Gestaltung einer zukünftigen gesund Gesundheitszentren. In Deutschland begann die Debatte weckt, weil es Impulse für eine Neuausrichtung der Gesund gegenüber möglichen Neuerungen obligat. Daher ist es für heitlichen Versorgung im Hinblick auf die oben genannten um neue Versorgungsformen vergleichsweise spät. Doch heitsversorgung in Deutschland bietet und dabei auf eine mich eine besondere Herausforderung, innerhalb dieser Bedingungen sind bereits seit vielen Jahren präsent. Dabei mittlerweile gibt es auch hier viele Ansätze, die auf eine qualitative Weiterentwicklung der Versorgung abzielt. Es Bachelorarbeit ein neues, alternatives Versorgungsmodell gelten die Vorteile, welche integrierte, sektorenübergrei koordinierte und kooperative Versorgung abzielen. Neben der verleiht der Tatsache Ausdruck, dass die Veränderung von für eine umfassende gesundheitliche Versorgung in Deutsch fende und kooperative Versorgungsmodelle implizieren, als Integrierten Versorgung (IV) oder der Hausarztzentrierten gesundheitlichen Versorgungsstrukturen an Bedeutung land vorzustellen und dessen Potenzial gegenüber bereits unumstritten (vgl. Schaeffer, Hämel, Ewers 2015, S. 9 – 11; Versorgung (HzV) gehören beispielsweise auch Disease- gewinnt, was die gesellschaftliche und praktische Relevanz bestehenden Modellen zu erörtern. Zu klären bleibt, ob vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 1 – 4). Management-Programme (DMP), Medizinische Versorgungs der Auseinandersetzung mit dieser Thematik unterstreicht. PORT-Zentren die Antwort auf eine zukünftige Gesundheits zentren (MVZ) sowie arztunterstützende Modelle dazu Das beschriebene Förderprogramm stellt sich somit den versorgung in Deutschland sind. (vgl. Schaeffer, Hämel, Ewers 2015, S. 9 – 13; vgl. Schaeffer, Anforderungen an eine zukunftsfähige Gesundheitsver- Hämel 2016, S. 6 – 7). Ein weiteres Modell, um den komplexen sorgung in Deutschland (vgl. Schott 2017b).
10 EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND EINFÜHRUNG EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND EINFÜHRUNG 11 1.1 Hintergrund und Problemstellung Das deutsche Gesundheitssystem steht vor der Aufgabe, (vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 2 – 3). In Deutschland gehö Analog dazu ist die Bilanz in der Pflege, wobei der Fach- unzureichende Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen der wachsenden Summe von älteren und hochaltrigen ren Herz-Kreislauf-, Krebs-, Muskel-Skelett-, psychische und kräftemangel dort als noch gravierender vorausgesagt wird Versorgungsstrukturen zurückzuführen sind. Gerade der Menschen innerhalb der Bevölkerung zu begegnen. Weiter- demenzielle Erkrankungen sowie Diabetes mellitus zu den (vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 3 – 4). Auf Grundlage der ambulante Bereich kennzeichnet sich durch eine starke Zer- hin sieht sich die Gesellschaft mit der steigenden Relevanz vorherrschenden chronischen Krankheiten (vgl. RKI 2015, Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2005 gehen Afentakis gliederung, und die zunehmende Spezialisierung und Aus von Multimorbidität, chronischen Erkrankungen und Pflege- S. 411). und Maier davon aus, dass bis zum Jahr 2025 bei gleich- differenzierung erschwert den Patientinnen und Patienten bedürftigkeit konfrontiert. Grundsätzlich zeichnet sich in bleibender Morbiditätsentwicklung (Status-quo-Szenario) die Orientierung. Das Gesundheitssystem in Deutschland ist Deutschland eine ungenügende Orientierung angesichts Der telefonische Gesundheitssurvey zur Multimorbidität ein Defizit von etwa 112.000 Pflegevollkräften existieren komplex. Letztendlich weist es Defizite in der Kooperation der Versorgung von alten Menschen und chronisch Kranken aus dem Jahr 2009 im Rahmen der Studie Gesundheit in wird (vgl. Afentakis, Maier 2010, S. 997 – 999). Dem gegen und Koordination auf, was die Notwendigkeit der Integration ab, die charakteristisch mit dauerhaften und komplexen Deutschland aktuell (GEDA) des RKI belegt, dass sich die über stehen die Ergebnisse von anderen Studien, die einen zusätzlich unterstreicht. Die Verbesserung der Patientenori gesundheitlichen Problemen sowie langfristigen Verläufen Prävalenz chronischer Krankheiten mit steigendem Lebens- noch größeren Fachkräftemangel prognostizieren. So gehen entierung im Gesundheitswesen spielt dabei eine wichtige einhergeht. Dabei ist eine Neuausrichtung innerhalb der alter erhöht. Die Ergebnisse zeigen, dass bei 75,8 Prozent beispielsweise Rothgang et al. davon aus, dass in Deutsch Rolle (vgl. SVR 2012, S. 137 – 139; vgl. Schaeffer, Hämel 2016, gesundheitlichen Versorgung denkbar, die insbesondere der Frauen und rund 68 Prozent der Männer im Alter von land im Jahr 2030 insgesamt rund 434.000 Vollzeitäquivalen S. 5 – 6). die Potenziale von integrierten, kooperativen Versorgungs 65 bis 74 Jahren mindestens zwei chronische Krankheiten te in der ambulanten und stationären Pflege fehlen werden modellen fokussiert (vgl. Robert Koch-Institut (RKI) 2015, vorliegen. Bei den über 75-jährigen Frauen sind es 81,7 (vgl. Rothgang et al. 2012, S. 56). Grundsätzlich wird der Abschließend kann festgehalten werden, dass der demo- S. 415 – 416; vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 1 – 2). Prozent und bei den Männern 74,2 Prozent. Fünf oder mehr Mangel an Fachkräften in der Pflege sowie in der Medizin als grafische Wandel Deutschland hinsichtlich seiner Gesund chronische Krankheiten weisen in der Altersgruppe 65 bis regional stark divergierend skizziert. Dabei sind ländliche heitsversorgung besonders fordert. Altersassoziierte Deutschland zählt zu den Ländern, die weltweit mit am 74 27,3 Prozent der Frauen und 19,6 Prozent der Männer auf. und strukturschwache Regionen in besonderem Maße von chronische Erkrankungen werden häufiger und bedürfen stärksten vom demografischen Wandel betroffen sind. Bei den über 75-Jährigen geben 34,6 Prozent der Frauen und einem Rückgang der Fachkräftequote gefordert (vgl. Sach- einer komplexen und langfristigen Versorgung. Der steigende Im Jahr 2015 liegt der Anteil der Menschen, die 60 Jahre und 25,9 Prozent der Männer an, an fünf oder mehr chronischen verständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Versorgungsbedarf, kombiniert mit dem Fachkräftemangel älter sind, bei 27,6 Prozent und das Land im internationalen Erkrankungen zu leiden (vgl. Fuchs et al. 2012, S. 579; vgl. RKI Gesundheitswesen (SVR) 2012, S. 87; vgl. SVR 2014, S. 487; und der wachsenden Fragmentierung der Prozesse, stellt das Vergleich der United Nations (UN) somit weit vorne. An erster 2015, S. 415 – 416). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 4). System vor Herausforderungen. Mittlerweile verfügt auch Stelle befindet sich Japan, mit einem Anteil von 33,1 Prozent der Deutsche Alterssurvey (DEAS) aus dem Jahr 2014. Deutschland über verschiedene Modelle zur Entgegnung an Personen, die 60 Jahre und älter sind. Den zweiten Platz Hier führen 51,2 Prozent der 55- bis 69-Jährigen an, an zwei Hinzu kommt, dass in Deutschland ein Verständnis von der Desintegration, um eine stärkere integrierte, kooperative belegt mit 28,6 Prozent Italien. Für das Jahr 2050 wird prog bis vier Erkrankungen zu leiden. Ferner geben 14,3 Prozent gesundheitlicher Versorgung überwiegt, „(...) demzufolge Versorgung zu erzielen, die den veränderten Bedarfslagen nostiziert, dass jeder dritte Mensch in Deutschland mindes dieser Altersgruppe an, fünf oder mehr Erkrankungen zu Gesundheitsförderung, Prävention, Kuration, Rehabilita der Bevölkerung entspricht (vgl. RKI 2015, S. 435; vgl. tens 60 Jahre und älter ist. Die progrediente Bevölkerungs- haben. Bei den Personen zwischen 70 und 85 Jahren liegen tion und Pflege nacheinander geschaltete Maßnahmen Schaeffer, Hämel 2016, S. 6 – 7). alterung drückt sich besonders durch die Zunahme der bei 56,7 Prozent zwei bis vier Erkrankungen vor. Personen darstellen.“ (Schwartz, Helou 2000, S. 134) Das Verständ Anzahl an hochbetagten Menschen aus. Rund 4,5 Millionen dieser Altersgruppe, die fünf oder mehr Erkrankungen haben, nis kennzeichnet sich weiterhin durch die Ausrichtung auf 80-Jährige und Ältere leben im Jahr 2014 in Deutschland. sind mit 25,4 Prozent vertreten (vgl. Deutsches Zentrum Akutkrankheiten sowie eine sequenzielle Krankenversor Dies macht einen Anteil von etwa sechs Prozent der Bevöl- für Altersfragen 2016, S. 23). gung, was speziell den Bedürfnissen chronisch Erkrankter kerung aus. Prognosen zufolge wird die Zahl Hochbetagter wenig entspricht. Dem gegenüber steht eine kontinuierlich im Jahr 2050 auf etwa 9,9 Millionen Menschen steigen, Des Weiteren umfasst der demografische Wandel weitere entwickelte Desintegration, was Badura und Feuerstein was einem Bevölkerungsanteil von 13 Prozent gleichkommen Problematiken, die sich auf die Beschäftigten im Gesund bereits in den 1990er Jahren festgestellt haben. Über viele würde (vgl. UN, Department of Economic and Social Affairs heitswesen auswirken. Die Ärztestatistik der Bundesärzte- Jahre hinweg hat sich im deutschen Gesundheitswesen eine 2015, S. 138; vgl. Statistisches Bundesamt 2016a, S. 6, kammer (BÄK) gibt an, dass im Jahr 2016 von insgesamt Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Versorgung sowie S. 12, S. 15). 378.607 berufstätigen Ärztinnen und Ärzten 43.289 Personen eine zunehmende Arbeitsteilung etabliert. Dies verursacht zwischen 60 und 65 Jahre alt sind, also rund 11,4 Prozent. eine umfassende Fragmentierung der Prozesse, die das Gleichzeitig birgt der demografische Wandel eine Änderung Die Zahl der über 65 Jahre alten berufstätigen Ärztinnen System komplex und intransparent erscheinen lässt (vgl. des sogenannten Morbiditätsspektrums. Die Koexistenz und Ärzte liegt bei 24.417 Personen und somit bei circa 6,5 Badura 1994, S. 259, S. 261 – 262; vgl. Feuerstein 1994a, mehrerer Erkrankungen wird als Multimorbidität bezeichnet, Prozent. Aufgrund der sich wandelnden Altersstruktur der S. 205 – 206; vgl. Feuerstein 1994b, S. 233 – 234). Die zentral deren Wahrscheinlichkeit mit wachsendem Lebensalter Ärzteschaft wird für die nächsten Jahre ein zunehmender bestehenden Probleme basieren auf der Trennung der steigt. Damit geht eine erhöhte Hilfs- und Pflegebedürftigkeit Mangel an Ärztinnen und Ärzten vorausgesagt (vgl. BÄK 2016; einzelnen Sektoren, welche die soziale, gesundheitliche einher. Bei der Gesundheitsversorgung von älteren Men vgl. Schaeffer, Hämel 2016, S. 3 – 4). und pflegerische Versorgung betreffen. Dies impliziert schen stellt die Multimorbidität einen zentralen Faktor dar vielfach Schnittstellenproblematiken, die mitunter auf eine
12 EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND EINFÜHRUNG EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND EINFÜHRUNG 13 1.2 1.3 Zentrale Fragestellungen Methodik, Literaturauswahl und Ziel der Arbeit und Chronologie Ausgehend von den beschriebenen Darstellungen und Eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken betreffen, wird in den Kapiteln 4.2.1 bis 4.2.3 ein Exkurs Problemen haben sich das dieser Arbeit zugrunde liegende CINAHL, CareLit®, PubMed als auch die Datenbanken und zu verschiedenen Versorgungsmodellen der Länder Kanada Ziel und die darauf aufbauenden Forschungsfragen entwi Bestandskataloge der Hochschule Esslingen sowie der und Finnland vorgenommen. Im weiteren Verlauf werden ckelt. Ziel dieser Arbeit ist es, Patientenorientierte Zentren Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart bilden den die Eigenschaften und Merkmale sowie die Struktur und zur Primär- und Langzeitversorgung als alternative, neue theoretischen Rahmen dieser Arbeit. Ebenso erfolgte die der Aufbau eines PORT-Zentrums abgebildet. Schließlich Möglichkeit der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland Literaturrecherche über die Zeitschriftendatenbank ZDB geht Kapitel 4.6 auf die ausgewählten PORT-Initiativen ein, vorzustellen und sie bereits bestehenden nationalen Ver der Hochschule Esslingen und die der Württembergischen indem deren Umsetzungsvorhaben kurz skizziert werden. sorgungsformen und -modellen gegenüberzustellen. Hierfür Landesbibliothek Stuttgart sowie über das Internet. Die Das Kapitel 5 soll abschließend die Erkenntnisse der vorange sollen die nachfolgenden Fragestellungen leitend fungieren: methodische Durchsuchung der Literatur bezog sich über gangenen Darlegungen aufgreifen und die unterschiedlichen wiegend auf die Bereiche der Versorgungs- und Gesund- Versorgungsformen den PORT-Zentren gegenüberstellen, •W ie gestaltet sich die ambulante gesundheitliche und heitsforschung. Ferner stellt das Sozialgesetzbuch Fünftes um mögliche Potenziale dieses neuen Modells aufzuzeigen. medizinische Regelversorgung in Deutschland? Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) eine Abschließend werden ein Fazit sowie ein Ausblick gegeben. • Welche Versorgungsmodelle und -formen als Maßnahme Grundlage der in dieser Arbeit beschriebenen Versorgungs- Im Zuge der Geschlechtergerechtigkeit und einer geschlech zur integrierten und kooperativen Gesundheitsversorgung formen dar. Als Schlüsselwörter bei der Recherche gelten tergerechten Sprachform erfolgt in dieser Bachelorarbeit gibt es in Deutschland? die Suchbegriffe Integration, integrierte Versorgung, Ge- die Beidnennung der Geschlechter, indem sowohl das • Was sind Patientenorientierte Zentren zur Primär- und sundheitsversorgung, ambulante Gesundheitsversorgung, generische Femininum als auch das generische Maskulinum Langzeitversorgung und was zeichnet die gesundheitliche hausärztliche Versorgung, Kooperation, Primärversorgung, (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) verwendet werden und Versorgung innerhalb dieser aus? Gesundheitszentren, Versorgungsmodelle, Versorgungs die Verwendung geschlechtsneutraler Begriffe (Mitarbei formen und Patientenorientierte Zentren zur Primär- und tende) erfolgt. Die stationäre Gesundheitsversorgung, die Die in dieser Arbeit vorgestellten Versorgungsformen und Langzeitversorgung. (pflegerische) Langzeitversorgung sowie die Darstellung der -modelle sollen zudem die Relevanz von chronisch Kranken Krankenversicherungssystematik in Deutschland sollen an berücksichtigen und als Maßnahmen der integrierten und Neben den bereits genannten Problemstellungen, der dieser Stelle nicht weiterführend thematisiert werden. kooperativen Gesundheitsversorgung gelten, deren Kern daraus resultierenden Zielformulierung und den zentralen elemente in dieser Arbeit dargelegt werden. Die von der Fragestellungen wird in Kapitel 2 dieser Arbeit zunächst RBSG initiierten PORT-Zentren stellen eine neue Möglichkeit auf die ambulante medizinische und gesundheitliche Ver- der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland dar. Es soll sorgungssystematik in Deutschland eingegangen. Kapitel abschließend diskutiert werden, welche Potenziale diese 2.1 beschreibt den Begriff der Primärversorgung, wobei Versorgungsform aufzeigt und ob beziehungsweise inwieweit in Kapitel 2.2 und 2.3 die haus- sowie die fachärztliche Ver- PORT-Zentren eine Alternative in der Gesundheitsversorgung sorgungssystematik dargestellt werden. Im darauffolgen in Deutschland darstellen können. den Kapitel wird auf die ambulante Krankenhausversorgung eingegangen. Das gesamte Kapitel 3 beschäftigt sich mit Maßnahmen der integrierten und kooperativen Gesundheits versorgung, indem ausgewählte Versorgungsmodelle skiz ziert werden. Diese subsumieren sich unter dem Begriff der neuen Versorgungsformen. Kapitel 3.1 beschreibt die IV und Kapitel 3.2 die MVZ. In den Kapiteln 3.3 bis 3.5 werden die HzV, die DMP sowie arztunterstützende Modelle vorgestellt. Schließlich beschäftigt sich das Kapitel 4 mit dem Förder programm PORT der RBSG. Hierzu werden einleitend die Stiftung sowie der TB Gesundheit vorgestellt, um im weiteren Verlauf auf den Entstehungshintergrund und die Intention der Stiftung zum PORT-Programm einzugehen. Da internationale Versorgungsmodelle die Entstehung des Förderprogramms
14 EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND AMBULANTE MEDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND AMBULANTE M EDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND 15 2. Ambulante In diesem Kapitel soll das System der ambulanten gesund- heitlichen und medizinischen Versorgungssystematik in Deutschland aufgezeigt werden. Somit ist hier die Weiterhin nehmen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) in Deutschland eine zentrale Funktion in der ambulanten Versorgung ein. Als öffentlich-rechtliche Körperschaften medizinische und Forschungsfrage, wie sich die ambulante gesundheitliche erfüllen sie staatliche Aufgaben und agieren als Interessen und medizinische Versorgung in Deutschland gestaltet, vertretung aller Vertragsärztinnen und -ärzte. Überdies hat maßgeblich. Am Ende soll ein Verständnis dahingehend der Staat ihnen den sogenannten Sicherstellungsauftrag vorliegen, wie sich die ambulante Gesundheitsversorgung erteilt, welcher die KV nach § 75 Absatz 1 SGB V gesetzlich gesundheitliche zusammensetzt und welche Professionen und Institutionen dabei relevant sind. dazu verpflichtet, die ambulante vertragsärztliche Versor gung in dem jeweiligen KV-Bezirk zu sichern. Der Auftrag umfasst zudem die angemessene und zeitnahe Bereitstellung Versorgungssystematik Zunächst ist festzuhalten, dass medizinische und gesund- von ambulanten ärztlichen Versorgungsleistungen für alle heitliche Leistungen ambulant durchgeführt werden, wenn gesetzlich Versicherten (vgl. Simon 2013, S. 271; vgl. RKI die zu behandelnde Person nicht über Nacht in einer Ver- 2015, S. 303). in Deutschland sorgungseinrichtung verweilen muss. Dies bedeutet, dass sich die ambulante Versorgung in der Regel außerhalb von Aufgrund fehlender einheitlicher Definitionen der Begriffe Krankenhäusern vollzieht. In einigen Fällen können Kranken Primärversorgung, primärärztliche Versorgung und haus- häuser jedoch auch ambulante gesundheitliche Leistungen ärztliche Versorgung erfolgt in der nationalen und internatio erbringen (vgl. RKI 2015, S. 303). Neben den niederge- nalen Praxis eine ambivalente bis hin zur synonymen Ver- lassenen Ärztinnen und Ärzten spielen weitere Gesundheits- wendung dieser Termini. Obwohl es an einer Spezifizierung professionen in der ambulanten Versorgung eine Rolle. der Begrifflichkeiten fehlt, sind darauf basierende, differie Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten im rende Versorgungskonzepte im deutschen Sozialrecht sta Jahr 2015 2.198.000 Personen in der ambulanten Gesund tuiert (vgl. Schlette, Blum, Busse 2009, S. 12; vgl. SVR 2010, heitsversorgung. Die größte Berufsgruppe stellen mit insge S. 29; vgl. Räker 2017, S. 69). Eine Definition der genannten samt 569.000 Personen Arzt- und Praxishilfen dar. An zweiter Begriffe ist deshalb zu Beginn der Arbeit zielführend. Stelle stehen die pflegenden Berufe – hier werden insge- samt 334.000 Beschäftigte in der ambulanten Gesundheits- Im ersten Teil dieses Kapitels erfolgt eine Beschreibung und Kranken-, Alten- und Entbindungspflege sowie dem der gesundheitlichen Primärversorgung. Dabei wird neben Rettungsdienst verzeichnet. Die personell drittgrößte Gruppe der Definition des Begriffes auf den Stellenwert der unter bilden Berufe der nichtärztlichen Therapie und Heilkunde: schiedlichen Professionen innerhalb der primären Gesund Insgesamt 272.000 Personen sind in diesem Bereich tätig. heitsversorgung eingegangen. Da Ärztinnen und Ärzte Human- und Zahnmedizinerinnen und -mediziner stehen eine zentrale Stellung in der ambulanten gesundheitlichen mit 219.000 Personen an vierter Stelle der in der ambulanten Versorgung haben, werden in den Kapiteln 2.2 und 2.3 die Gesundheitsversorgung beschäftigten Personen (vgl. Statis haus- sowie die fachärztliche Versorgung erläutert. Daneben tisches Bundesamt 2017a, S. 21– 30). können auch Krankenhäuser ambulante medizinische Leis tungen erbringen (vgl. RKI 2015, S. 303). Aus diesem Grund wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels die ambulante Krankenhausversorgung skizziert. Neben den Begriffsdefini tionen werden verschiedene Studienergebnisse zur Alters struktur der Ärzteschaft sowie zum bevölkerungsseitigen Inanspruchnahmeverhalten der ambulanten Gesundheits- versorgung vorgestellt.
16 EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND AMBULANTE MEDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND AMBULANTE M EDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND 17 2.1 2.2 Primärversorgung Hausärztliche Versorgung Die Primärversorgung ist ein ursprünglich in Großbritannien herausgestellt und die Erforderlichkeit einer Koordination Im deutschen Gesundheitswesen erfolgt die ambulante Das SGB V formuliert zur vertragsärztlichen Versorgung in entwickeltes Konzept, welches auf dem Dawson Report der verschiedenen Einrichtungen beziehungsweise Profes gesundheitliche und medizinische Versorgung neben Fach- § 73 Absatz 1 Satz 1 Folgendes: „Die vertragsärztliche Versor aus dem Jahr 1920 beruht. Dieser Bericht erwähnt erstmals sionen hervorgehoben, um so die Netzwerkfunktion der ärztinnen und -ärzten vor allem durch Hausärztinnen und gung gliedert sich in die hausärztliche und in die fachärztliche ein Primary Health Centre – also ein Primärversorgungs- Primärversorgung grundlegend zu sichern. Zudem führt die -ärzte beziehungsweise Vertragsärztinnen und -ärzte der Versorgung.“ Die hausärztliche Versorgung ist somit innerhalb zentrum – als eine Einrichtung beziehungsweise erste Anlauf WHO an, dass eine wachsende Fragmentierung der Gesund gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die hausärztliche der vertragsärztlichen Versorgung statuiert und stellt einen stelle, welche die Erbringung von kurativen und präventiven heitsversorgung eine stärkere Orientierung aller Staaten in Versorgung nimmt dabei eine wesentliche Aufgabe in der exakt definierten Tätigkeitsbereich dar, welcher in Abgren Interventionen umfasst. Diese Zentren sollen laut Dawson Richtung einer primären Gesundheitsversorgung erfordert gesundheitlichen Primärversorgung ein (vgl. SVR 2010, zung zur fachärztlichen Versorgung steht. Hausärztinnen und den Mittelpunkt der regionalen Gesundheitsversorgung (vgl. WHO 1978; vgl. WHO 2008; vgl. van den Bussche 2011, S. 27; vgl. Räker 2017, S. 48). -ärzte sind im Normalfall mit dem persönlichen Umfeld ihrer darstellen und kurative als auch präventive medizinische S. 453 – 454; vgl. SVR 2010, S. 34 – 35). Patientinnen und Patienten vertraut und können alle relevan Versorgungsleistungen bieten, die durch überwiegend dort Heutzutage wird die ambulante ärztliche Versorgung in ten Befunde der zu Behandelnden zusammenführen. Eine tätige Hausärztinnen und -ärzte erbracht werden (vgl. Daneben definiert der SVR die Primärversorgung als einen Deutschland nahezu ausschließlich durch sogenannte weiterführende fachärztliche Versorgung sollte möglichst nur Dawson of Penn 1920; vgl. SVR 2010, S. 33 – 34). „(…) Bereich medizinischer Grundversorgung, in dem die niedergelassene Ärztinnen und Ärzte realisiert. Diese sind nach einer durch die Hausärztin beziehungsweise den Haus primäre (auch durch ungefilterte Erstinanspruchnahme), bei gesundheitlichen Problemen im Regelfall die erste arzt getätigten Überweisung erfolgen (vgl. SVR 2010, S. 30; Im Jahr 1978 wird das Konzept der Primärversorgung in der umfassende und individuelle Versorgung aller Gesundheits Anlaufstelle für die Patientinnen und Patienten. Laut den vgl. Simon 2013, S. 271 – 272). Der § 73 SGB V definiert ferner Deklaration von Alma-Ata von der Weltgesundheitsorgani- anliegen erfolgt. Die Primärversorgung umfasst die niedrig Ergebnissen der Mikrozensus-Zusatzerhebung aus dem Jahr den Inhalt und das Aufgabenfeld der hausärztlichen Versor sation (WHO) weiterführend beschrieben. Gemäß der WHO schwellige Betreuung auch durch andere Gesundheitsberufe 2015 sind in Deutschland 69.252.000 Personen gesetzlich gung. In § 73 Absatz 1 a Satz 1 SGB V heißt es, dass „(...) ist die primäre Gesundheitsversorgung, international als und auch innerhalb von Familien sowie kommunalen Struk- krankenversichert. Bei einem Bevölkerungsstand zum 1. Allgemeinärzte, 2. Kinderärzte, 3. Internisten ohne Schwer Primary Health Care bezeichnet, „(…) die erste Ebene, auf der turen.“ (SVR 2010, S. 30) 31. Dezember 2015 von insgesamt 82.175.000 Personen punktbezeichnung, die die Teilnahme an der hausärztlichen Einzelpersonen, Familien und die Gemeinschaft in Kontakt entspricht dies einem Anteil von rund 85 Prozent in Deutsch Versorgung gewählt haben, 4. Ärzte, die nach § 95a Abs. 4 mit dem nationalen Gesundheitssystem treten (…) und stellt Die Zitate und Ausführungen veranschaulichen, dass es sich land gesetzlich krankenversicherter Menschen. Ausgehend und 5 Satz 1 in das Arztregister eingetragen sind und 5. Ärzte, das erste Element eines kontinuierlichen Prozesses der bei der primären Gesundheitsversorgung nicht ausschließlich davon ist die ambulante ärztliche Versorgung gewissermaßen die am 31. Dezember 2000 an der hausärztlichen Versorgung Gesundheitsversorgung dar.“ (WHO 1978) Weiterhin lässt um die medizinische Versorgung handelt; vielmehr geht es bedeutungsgleich mit der ambulanten ärztlichen Versorgung teilgenommen haben (...)“, an der hausärztlichen Versorgung die WHO verlauten: „Die primäre Gesundheitsversorgung um eine Kooperation von zahlreichen Aktivitäten in den unter von Krankenkassenpatientinnen und -patienten (vgl. Simon teilnehmen. (...) sollte durch integrierte, funktionsfähige und einander schiedlichen gesellschaftlichen Bereichen. Primärversorgung 2013, S. 269; vgl. Statistisches Bundesamt 2016b, S. 18; unterstützende Überweisungssysteme aufrechterhalten übersteigt demzufolge die hausärztliche beziehungsweise vgl. Statistisches Bundesamt 2017b). Zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) werden (…).“ (WHO 1978) Ebenso werden in der Deklaration allgemeinmedizinische Versorgung (vgl. WHO 1978; vgl. SVR waren Polikliniken und Ambulatorien die vorherrschende die verschiedenen Gesundheitsprofessionen als wichtige 2010, S. 33 – 34; vgl. van den Bussche 2011, S. 453 – 455). Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte können die Ver- Organisationsform der ambulanten ärztlichen Versorgung. Akteure genannt. So heißt es, die Primärversorgung „(...) ist Obwohl es keine verbindliche Definition gibt, kann abschlie sorgung von Krankenkassenpatientinnen und -patienten Daneben wurde besonders in ländlichen Regionen die ambu auf der lokalen Ebene und bei Überweisungen auf Gesund ßend festgehalten werden, dass die Primärversorgung immer nur vornehmen, wenn sie hierzu eine Zulassung als Vertrags lante Gesundheitsversorgung durch staatliche Arztpraxen heitsfachkräfte wie Ärzte, Pflegekräfte, Hebammen, Hilfs ein umfassendes Konzept darstellt. Sie ist in den meisten ärztin beziehungsweise Vertragsarzt der GKV haben. Unge sowie Gemeindeschwesternstationen ausgebaut. Nach der kräfte und Sozialarbeiter, gegebenenfalls aber auch auf die Gesundheitssystemen die erste Anlaufstelle für Patientinnen fähr 95 Prozent der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Wiedervereinigung Deutschlands wurden die Polikliniken Hilfe traditioneller Mediziner angewiesen (...).“ (WHO 1978) und Patienten und bindet sowohl ärztliche als auch nichtärzt in Deutschland sind Vertragsärztinnen und -ärzte der GKV schnell wieder aufgelöst und die darin angestellten Ärztinnen Ausgehend von diesem Verständnis betont die WHO auch in liche Gesundheitsberufe in die Versorgung ein. Ihr Ziel be- (vgl. Simon 2013, S. 269). Laut Kassenärztlicher Bundes und Ärzte zur Niederlassung veranlasst (vgl. Busse, Blümel, den darauffolgenden Jahren den besonderen Stellenwert der steht in der Überwindung von zergliederten ambulanten und vereinigung (KBV) nehmen im Jahr 2016 insgesamt 146.054 Ognyanova 2013, S. 182; vgl. Simon 2013, S. 60 – 63). In Primärversorgung im Gesundheitswesen. 30 Jahre nach der stationären Versorgungsstrukturen und der Koordination Ärztinnen und Ärzte an der vertragsärztlichen Versorgung Deutschland dominieren heute in der ambulanten gesund Deklaration von Alma-Ata veranstaltet die WHO eine inter- der Gesundheitsversorgung im Sinne der Bevölkerung (vgl. teil. Darunter sind 54.605 Hausärztinnen und -ärzte; exklu heitlichen Regelversorgung Einzelpraxen; in etwa 58 Prozent nationale Konferenz in Almaty in Kasachstan, der ehemaligen Schlette, Blum, Busse 2009, S. 11 – 14; vgl. van den Bussche sive Pädiaterinnen und Pädiater (vgl. KBV 2016). Die an der der Praxen sind in dieser Organisationsform strukturiert. In Stadt Alma-Ata. Anlässlich dessen wird am 14. Oktober 2008 2011, S. 454 – 456). Die primäre Gesundheitsversorgung vertragsärztlichen Versorgung Teilnehmenden werden unter einer Einzelpraxis behandelt eine Ärztin beziehungsweise ein der World Health Report 2008 publiziert. Der WHO-Bericht kann „(...) je nach Land, System oder Profession über Versor gliedert in Vertrags-, Partner-, angestellte und ermächtigte Arzt Patientinnen und Patienten eigenständig. Zur Gestaltung verweist unter anderem auf eine direkte Verbindung zwischen gungsebenen, über Funktionen und Aktivitäten oder eben Ärztinnen und Ärzte. Sofern diese ambulant, aber außerhalb der ärztlichen Versorgung gemäß eigenen Vorstellungen bie den Herausforderungen, die eine alternde Bevölkerung bei über Organisationsstrukturen definiert werden.“ (Schlette, der vertragsärztlichen Versorgung agieren, fungieren sie als tet diese Organisationsform die größtmögliche Flexibilität – gleichzeitiger Zunahme von chronischen Erkrankungen mit Blum, Busse 2009, S. 12) Privatärztinnen und -ärzte (vgl. Simon 2013, S. 273 – 275). zum Beispiel in Bezug auf Leistungsspektrum, Ausstattung sich bringt. Weiterhin wird die interdisziplinäre Kooperation der Praxis oder Sprechstundenangebot. Bei der Behand als eine Komponente der primären Gesundheitsversorgung lung innerhalb der Einzelpraxis assistieren dem ärztlichen
18 EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND AMBULANTE MEDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND EINE NEUE PERSPEKTIVE FÜR DIE ZUKÜNFTIGE GESUNDHEITSVERSORGUNG IN DEUTSCHLAND AMBULANTE M EDIZINISCHE UND GESUNDHEITLICHE V ERSORGUNGSSYSTEMATIK IN DEUTSCHLAND 19 2.3 Fachärztliche Versorgung Personal üblicherweise mehrere Medizinische Fachangestell der Frauen und rund 98 Prozent der Männer im Alter von 65 beigemessen und diese Disziplin als einer der Kernbereiche Wie bereits dargestellt unterteilt sich die vertragsärztliche te (MFA). Die Eigentümerinnen und Eigentümer der Praxis bis 79 Jahren an, innerhalb des letzten Jahres mindestens innerhalb der hausärztlichen Versorgung verstanden werden Versorgung in die Bereiche der haus- und fachärztlichen sind wirtschaftlich selbstständig und tragen die Verantwor einmal niedergelassene Ärztinnen und Ärzte aufzusuchen. (vgl. Simon 2013, S. 276; vgl. Räker 2017, S. 70). Versorgung. Beinahe alle Fachgebiete der Medizin lassen tung für die Finanzierung. Daneben zählen Praxisgemein Laut DEGS1 suchen rund 98 Prozent der 65- bis 79-jährigen sich innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung vorfinden schaften, Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) – in der Frauen und rund 95 Prozent der 65- bis 79-jährigen Männer In der Literatur existieren unterschiedliche Definitionen zum (vgl. Busse, Blümel, Ognyanova 2013, S. 182). Die an der Vergangenheit als Gemeinschaftspraxen bezeichnet – und mindestens einmal jährlich eine Hausärztin oder einen Haus- Gebiet der Allgemeinmedizin. Die Deutsche Gesellschaft für hausärztlichen Versorgung partizipierenden Ärztinnen und MVZ zu den klassischen Organisationsformen der ambulan arzt auf. Bei der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) beschreibt Ärzte wurden im vorherigen Kapitel genannt. Demnach ten ärztlichen Versorgung (vgl. Simon 2013, S. 283; vgl. KBV spielen nicht nur Alter und Geschlecht, sondern auch Sozial- in ihrer Fachdefinition: „Der Arbeitsbereich der Allgemein heißt es in § 73 Absatz 1 a Satz 2 SGB V: „Die übrigen Fach- 2017a; vgl. KBV 2017b). status und Gesundheitszustand eine Rolle. Personen mit medizin beinhaltet die Grundversorgung aller Patienten mit ärzte nehmen an der fachärztlichen Versorgung teil.“ einem eher niedrigen Sozialstatus geben in den letzten zwölf körperlichen und seelischen Gesundheitsstörungen in der Während die in einer Praxisgemeinschaft zusammenge Monaten 10,4 Arztkontakte und Personen mit einem höheren Notfall-, Akut- und Langzeitversorgung sowie wesentliche Lediglich die über eine abgeschlossene Weiterbildung schlossenen Ärztinnen und Ärzte lediglich Räumlichkeiten, sozialen Status 8,3 Kontakte an. Die Personen mit einem Bereiche der Prävention und Rehabilitation. Allgemeinärz verfügenden Ärztinnen und Ärzte können an der vertrags- Personal und Ausstattungen innerhalb der Praxis gemein- sehr guten bis guten Gesundheitszustand geben 7,4 Arzt tinnen und Allgemeinärzte sind darauf spezialisiert, als erste ärztlichen Versorgung teilnehmen. Aufgrund dessen durch sam nutzen, schließen sich in einer BAG mindestens zwei kontakte innerhalb eines Jahres an, wohingegen Personen ärztliche Ansprechpartner bei allen Gesundheitsproblemen laufen annähernd alle Ärztinnen und Ärzte eine fachärzt- Ärztinnen und Ärzte in einer Praxis zusammen. Die in der mit einem mittelmäßigen bis sehr schlechten Gesundheits zu helfen.“ (DEGAM 2002) Die BÄK definiert in ihrer (Muster-) liche Weiterbildung, wenn sie im Anschluss an ihr Medizin- BAG tätigen Medizinerinnen und Mediziner üben demnach zustand durchschnittlich 15,0-mal eine Arztpraxis aufsuchen Weiterbildungsordnung, dass der Bereich der Allgemeinme studium über eine kurative Tätigkeit verfügen möchten. gemeinsam den Beruf aus, besitzen eine kollektive Patienten (vgl. Rattay et al. 2013, S. 833 – 837; vgl. RKI 2015, S. 423). dizin eine lebenslang begleitende hausärztliche Betreuung Innerhalb der Weiterbildung werden spezielle Kompetenzen kartei, rechnen zusammen ab und verfügen über gemein- einschließt. Diese soll für Menschen in jedem Alter und bei in den jeweiligen medizinischen Fachgebieten vermittelt. sam genutzte Räume, Ausstattung und Personal. Die Abrech Ferner soll kurz auf die Altersstruktur und die Arztzahlen- jeglichen Formen von Gesundheitsstörungen erfolgen Diese reichen über die innerhalb des Grundstudiums nung innerhalb einer Praxisgemeinschaft erfolgt dahingegen entwicklung eingegangen werden. Nach Angaben der KBV (vgl. BÄK 2015). Eine weitere Definition formuliert der euro erworbenen Fähigkeiten hinaus. Art, Inhalt und Dauer der getrennt; es existieren zudem separate Patientenkarteien sind im Jahr 2016 10.243 Hausärztinnen und -ärzte zwischen päische Zweig der World Organization of National Colleges, Weiterbildung sind abhängig von der Fachdisziplin, und der und die Berufsausübung erfolgt eigenständig. Die MVZ wer 60 und 65 Jahre alt. Dies entspricht einem Anteil von 22,2 Academies and Academic Associations of General Practitio erfolgreiche Abschluss der Weiterbildung führt schließlich den in einem gesonderten Kapitel beschrieben (vgl. Bilger, Prozent. Weiterhin sind 5.774 Hausärztinnen und -ärzte über ners / Family Physicians (WONCA). Sie beschreibt die zur Facharztbezeichnung in der jeweiligen Fachrichtung. Engeser 2017, S. 77; vgl. KBV 2017b; vgl. KBV 2017c). 65 Jahre alt und somit 12,5 Prozent der Personen 65 Jahre Allgemeinmedizin als eine akademische und wissenschaft- Der Großteil der von den Ländern verabschiedeten Kammer und älter (vgl. KBV 2016). Demgegenüber erklären Klose und liche Fachrichtung, die auf die Primärversorgung ausgerichtet gesetze reglementiert, dass sich Ärztinnen und Ärzte auf Die GKV-Versicherten haben unter den als Vertragsärztinnen Rehbein, dass im Jahr 2016 bundesweit knapp 33 Prozent ist und als erster medizinischer Berührungspunkt im Gesund das medizinische Gebiet beschränken müssen, das deren und -ärzten zugelassenen niedergelassenen Ärztinnen und der Hausärztinnen und -ärzte 60 Jahre und älter sind (vgl. heitssystem fungiert (vgl. WONCA 2002). Facharztbezeichnung entspricht. Hieraus ergibt sich die Ärzten nach § 76 SGB V die freie Arztwahl. Ferner werden sie Klose, Rehbein 2016, S. 28). Über Prognosen zur Arztzahlen- Notwendigkeit, auch aus haftungsrechtlicher Sicht, dass rechtlich dazu angehalten, sich eine Hausärztin beziehungs entwicklung in Deutschland liegen unterschiedliche Studien Deutlich wird, dass die Allgemeinmedizin eine hohe Be- Haus- sowie Fachärztinnen und -ärzte die zu Behandelnden weise einen Hausarzt zu suchen und diesen innerhalb eines vor. Kopetsch geht davon aus, dass bis zum Jahr 2020 ins- deutung innerhalb der hausärztlichen und der primären an ärztliche Kolleginnen und Kollegen verweisen müssen, Kalendervierteljahres auch beizubehalten; allerdings wird gesamt 23.768 Hausärztinnen und -ärzte, die aus dem Berufs Versorgung einnimmt. Laut Gesetz können neben Allgemein sofern diese die für eine weiterführende Behandlung nicht überprüft, ob dieser gesetzlichen Regelung tatsächlich leben ausscheiden, ersetzt werden müssen (vgl. Kopetsch medizinerinnen und -medizinern ebenfalls Internistinnen erforderlichen speziellen Kompetenzen haben (vgl. Scholz Folge geleistet wird (vgl. Busse, Blümel, Ognyanova 2013, 2010, S. 64, S. 143). Ostwald et al. nehmen an, dass bis zum und Internisten an der hausärztlichen Versorgung teilneh 2009, S. 481; vgl. SVR 2010, S. 75). S. 177). Jahr 2020 eine Neubesetzung von 23 Prozent der notwendi men. Sie können entweder an der haus- oder an der fachärzt gen Arztstellen in den ambulanten Arztpraxen nicht möglich lichen Versorgung partizipieren. Beide Disziplinen stellen Die vertragsärztliche Versorgung verteilt sich auf unterschied- Über 90 Prozent der deutschen Bevölkerung haben eine Haus- sein wird. Für das Jahr 2030 prognostizieren sie, dass über unterschiedliche Fachrichtungen dar und erfordern eine liche Fachgebiete. Dazu gehören zum Beispiel die Gebiete ärztin beziehungsweise einen Hausarzt. Bei dem Personen 87.000 Ärztinnen und Ärzte in den Arztpraxen fehlen werden entsprechende ärztliche Fachweiterbildung. Von den im der Chirurgie, Orthopädie, Radiologie und Frauenheilkunde kreis der über 65-Jährigen sind es sogar knapp 95 Prozent (vgl. Ostwald et al. 2010, S. 41 – 42). Jahr 2016 insgesamt 146.054 an der vertragsärztlichen Ver- (vgl. KBV 2016). Laut DEGS1 stellt die Allgemeinmedizin die (vgl. Klimm 2017, S. 58). In der Zeit von 2008 bis 2011 bege sorgung teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten sind 34.865 am häufigsten konsultierte Facharztrichtung dar. Von den ben sich laut der vom RKI im Rahmen des bundesweiten Ge- Wie bereits beschrieben ist die vertragsärztliche Versorgung Personen Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner und 18- bis 79-jährigen Frauen und Männern suchen 79,4 Prozent sundheitsmonitorings durchgeführten Studie zur Gesundheit in die haus- und fachärztliche Versorgung gegliedert. Dabei 26.812 Personen Internistinnen und Internisten. Von den mindestens einmal innerhalb eines Jahres eine Allgemein- Erwachsener in Deutschland (DEGS1) Frauen und Männer können an der hausärztlichen Versorgung nach § 73 SGB V Internistinnen und Internisten sind 14.853 Personen haus- ärztin beziehungsweise einen Allgemeinarzt auf. Mit einem im Alter von 18 bis 79 Jahren durchschnittlich 9,2-mal binnen unter anderem Allgemeinärztinnen und -ärzte teilnehmen. ärztlich und 9.822 Personen fachärztlich tätig (vgl. Scholz Anteil von 71,7 Prozent stellen die Zahnmedizinerinnen und eines Jahres in eine Arztpraxis. Dabei geben 96 Prozent Demnach kann der Allgemeinmedizin ein hoher Stellenwert 2009, S. 481; vgl. SVR 2010, S. 79; vgl. KBV 2016). -mediziner die am zweithäufigsten konsultierte Facharzt-
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