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ÄRZTEBLATT 1/2021 MECKLENBURG-VORPOMMERN Blick nach Neu Ziddorf Foto: Dr. Th. Müller Co-Existenz, Corona, Cool-bleiben Spezifische pneumologische Post-Corona-Rehabilitation Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen
Inhalt Editorial Die Interdisziplinäre Kinder-Intensivstation (iKIT) der Universitätsmedizin Rostock 30 Co-Existenz, Corona, Cool-bleiben 4 Erste Hilfe für die Seele – Strukturen der Wissenschaft und Forschung Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) in Mecklenburg-Vorpommern 35 Spezifische pneumologische Post-Corona- Rehabilitation 5 Aus der Schlichtungsstelle COVID-19 in Mecklenburg-Vorpommern: Der Klassiker in der Kniegelenkschirurgie: Was lehren uns die Erfahrungen der „ersten Welle“? 11 Aufklärung und Operation bei degenerativen Innenmeniskusschäden 24 Junge Ärzte in M-V Die Jungen Ärzte MV – eine erste Bilanz 15 Veranstaltungen und Kongresse Impfkurse in Mecklenburg-Vorpommern 25 Leserbrief Veranstaltungen der Ärztekammer M-V 25 Anmerkungen zum Artikel „Aktuelle Aspekte der allgemeinpädiatrischen Versorgung im Flächenland Veranstaltungen in unserem Kammerbereich 25 Mecklenburg-Vorpommern“ 17 Geschichte der Medizin Service 38 Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf Oktober 2021 verschoben 18 Rezensionen Hinweise und Empfehlungen zur Beschaffung Für Sie gelesen 39 von elektronischen Heilberufsausweisen für Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus 18 Geburtstage Der Verzeichnisdienst der Telematikinfrastruktur 19 Wir beglückwünschen 40 Impressum 40 Aktuelles Neue Chefärztin der Stralsunder Psychiatrie 21 „Gemeinsam auf dem Laufenden“ – 27. Hausärztetag Mecklenburg-Vorpommern 21 Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen 22 3. Notfalltag M-V 28 Genderneutrale Sprache Hinweis: Aufgrund der Medienresonanz in den ver- In der deutschen Sprache sind personenbezogene Pluralformen grundsätzlich geschlechtsneutral. Soweit singuläre Formen wie Arzt, gangenen Wochen hat die Ärztekammer einen Fak- Patient, Gast o.ä. aus Gründen der Flüssigkeit und besseren Lesbar- tencheck zur Begehung der Psychiatrie in Rostock- keit in den Texten des Ärzteblattes Mecklenburg Vorpommern ver- wendet werden, bezeichnen sie wie auch die Pluralformen in jedem Gehlsdorf am 13.11.2020 auf der Homepage veröf- Fall sowohl Personen des weiblichen wie des männlichen als auch fentlicht: www.aek-mv.de Sie finden dort alle relevan- eines möglichen dritten Geschlechts. Die Redaktion ten Informationen zu dem Thema. AUSGABE 1/2021 31. JAHRGANG Seite 3
EDITORIAL Co-Existenz, Corona, Cool-bleiben Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es ist wieder ein Jahr vergangen. weisen, auf der Informationen zur ge- Während ich diese Zeilen schreibe, genwärtigen Situation zu finden sind. liegt das Weihnachtsfest und der Jah- reswechsel noch vor uns. Ich hoffe, Wir sind uns alle einig, dass es Rege- dass wir alle trotz aller Unübersicht- lungen gab und gibt, die wir als Ver- lichkeit Tage der Erholung und Ent- antwortliche wahrscheinlich nicht so spannung gestalten konnten. getroffen hätten. Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass es auch falsche Die Veröffentlichungen, Stellungnah- Festlegungen gibt und gab, die auch men, Anfragen und Gespräche in den durch Einflussnahme auf die verant- letzten Wochen und Monaten haben wortlichen Politiker hervorgerufen uns gezeigt, dass auch die Ärzteschaft wurden. anfällig ist, sich durch äußere Fakto- ren in ihrer „Co-Existenz“ beeinflussen zu lassen. Wie in Ob sich der viel beschworene Föderalismus mit seinen un- allen Bevölkerungsgruppen haben sich auch unter uns Ärz- terschiedlichen, den Menschen schwer vermittelbaren Ei- ten Meinungen zum aktuellen Geschehen herausgebildet, genheiten als vorteilhaft erweist, wird sich erst im Rückblick die auch dazu führten, dass wir einander leider nicht mehr zeigen. zugehört haben. In einzelnen Einrichtungen werden die Politik und deren Auch im Vorstand der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpom- Maßnahmen öffentlich in Frage gestellt. Das führt zu einer mern gibt es im Rückblick auf die vergangenen Monate un- Verunsicherung der Patienten und zu einer Beschädigung terschiedliche Sichtweisen. Das hängt unter anderem mit des Ansehens unseres Berufsstandes. verschiedenen Lebenserfahrungen, unterschiedlichen Inte- ressenslagen, persönlichen Sichtweisen und auch mit dem Ich denke, dass wir uns alle einig sind, dass SARS-CoV-2 eine täglichen Berufserlebnis zusammen. Das wurde so in ver- ernst zu nehmende Erkrankung ist, die unsere Aufmerksam- schiedenen Gesprächen in größeren und kleineren Gruppen keit erfordert, die ungewohnte Maßnahmen erfordert, die deutlich und war kürzlich auch Thema einer internen Vor- aber auch eine Ärzteschaft erfordert, die in der Lage ist, standssitzung. trotz unterschiedlicher Ansichten sich in den Dienst der Pa- tienten, der Gesellschaft zu stellen. Eine unüberschaubare Flut an Informationen zum Thema „Corona“ ist über unsere Gesellschaft hereingebrochen. Die Ich wünsche uns allen ein übersichtliches Jahr 2021, Gesund- Gesellschaft ist in Verlierer und Gewinner, in Befürworter heit, Zeit für Familie und Freunde und natürlich auch wie- und Ablehner, in Passive und Aktive gespalten. Diese Ge- der Zeit für Abwechslungen, die auch zum Leben notwen- gensätze ließen sich noch fortsetzen, um einen Zustand zu dig sind. beschreiben, in dem die Mitglieder der Gesellschaft es zum Teil verlernt haben, auch in schwierigeren Zeiten Toleranz Mit herzlichen Grüßen zu üben und „cool zu bleiben“, um auch eine andere Mei- Dr. med. Andreas Gibb nung anzuhören und sich damit auseinander zu setzen. In dieser dynamischen Zeit ist es für eine Körperschaft wie der Ärztekammer nicht möglich, als wissenschaftliche Leit- struktur zu wirken. Wie schon angesprochen, müssen wir uns in unserem täglichen Umgang mit den Patienten und untereinander mit Respekt und Toleranz begegnen. Dazu möchte ich auch einmal auf die Homepage der Kammer hin- Foto: AdobeStock Seite 4 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Spezifische pneumologische Post-Corona- Rehabilitation Medizinische Ergebnisqualität gemessen an somatischen und psychotherapeutischen Parametern Jördis Frommhold* have impaired performance, in order to avoid long-term con- Abstrakt sequences and to enable a comprehensive participation. Covid-19 hält die Republik und das Gesundheitssystem in Einleitung Atem. Während eine zweite Corona-Welle anläuft, werden Patienten nach Abklingen des akuten Infektionsgeschehens Die durch das SARS-CoV-2 Virus ausgelöste Erkrankung kenn- aus der ersten Welle zunehmend auch in Rehabilitationskli- zeichnet sich durch einen unspezifischen, variierenden und niken behandelt. Der Post-Corona-Rehabilitationsansatz be- vielfältigen Krankheitsverlauf. Laut Grabowski und Maddox rücksichtigt hierbei die umfassenden somatischen und psy- (2020) zeigen 14% der Patienten schwere Symptome aber chischen wie auch sozialen Beeinträchtigungen der Betroffe- mit noch nicht lebensbedrohlichen Verläufen, bei 6% der Fäl- nen. Die MEDIAN Klinik Heiligendamm behandelt seit April le wird ein kritischer bis lebensbedrohlicher Verlauf mit Lun- Post-Corona-Patienten mit einem spezifisch hierfür entwi- genversagen, septischem Schock oder multiplem Organver- ckelten Konzept. Da bei Konzeptentwicklung eine systemati- sagen verzeichnet (1). sche Beobachtung der Patienten vorgesehen wurde, liegen Obschon aktuell noch keine Evidenz zu Langzeitfolgen der von den ersten 45 Patienten nun Daten anhand von systema- Covid-19-Erkrankung vorliegt, vermutet das Robert Koch Ins- tisch erfassten somatischen und psychischen Ergebnispara- titut (RKI) aufgrund von Studien im Rahmen der SARS-Epide- metern vor. Diese ersten Ergebnisse deuten auf die Sinnhaf- mie 2010, dass für Covid-19-Patienten ebenfalls mit körperli- tigkeit einer zeitnahen Rehabilitation von weiterhin nicht chen sowie psychischen Langzeitfolgen zu rechnen sein könn- beschwerdefreien sowie leistungsgeminderten Covid-19-Er- te (2). Die SARS-Studien belegen, dass sich mitunter nach der krankten, um langfristige Folgen zu vermeiden und eine akuten Erkrankung eine anhaltende Einschränkung der Lun- möglichst allumfassende Teilhabe zu ermöglichen. genfunktion, geminderte physische Leistungsfähigkeit und verschiedene psychosomatische sowie posttraumatische Belas- Abstract tungsstörungen herausbildeten (3,4). Erste Veröffentlichun- gen zur Rehabilitation von Patienten mit Covid-19 deuten be- Covid-19 is keeping the nation and the health care system on reits die Wichtigkeit von Physiotherapie in der akuten Krank- its heels. While a second corona wave is approaching, pati- heitsphase, aber auch die Notwendigkeit der anschließenden ents from the first wave are increasingly treated in rehabili- Post-Corona-Rehabilitation an und empfehlen eine Rehabili- tation clinics. The post-corona rehabilitation approach takes tation, um Langzeitfolgen zu vermeiden (5,6). into account the comprehensive somatic and psychological as Die MEDIAN Klinik Heiligendamm mit den Fachbereichen well as social impairments of the affected persons. Since Ap- Pneumologie und Psychosomatik rehabilitiert seit Jahrzehn- ril, MEDIAN Klinik Heiligendamm has been treating post-co- ten Patienten aus dem gesamten pneumologischen Fachge- rona patients with a concept specifically developed for this biet unter anderem mit Asthma bronchiale, COPD, pulmona- purpose. Since a systematic assessment of the patients was le Tumorerkrankungen, Zustand nach thoraxchirurgischen planned during the development of the concept, data are Eingriffen jeglicher Genese auch nach Transplantation, Pneu- now available for the first 45 patients based on systemati- monien oder Lungenembolien, Sarkoidose und Lungenfibro- cally recorded somatic and psychological outcome parame- se sowie Patienten mit notwendiger Langzeitsauerstoffthe- ters. First results point to the usefulness of a rehabilitation of rapie oder nicht invasiver häuslicher Beatmung. Covid-19 patients who are still not free of symptoms or who Im Kontext der Corona-Pandemie wurde in einer Arbeits- gruppe von drei pneumologischen Chefärzten ein Konzept * Dr. med. Jördis Frommhold, Chefärztin der Abteilung für Atemwegserkrankungen und Allergien zur Behandlung von Covid-19 Patienten entwickelt und in MEDIAN Klinik Heiligendamm unter Mitarbeit von Dr. Laura Golenia, den MEDIAN Kliniken Heiligendamm, Flechtingen und Bad Thomas Preuß MEDIAN Kliniken Unternehmenszentrale Berlin Salzuflen implementiert. AUSGABE 1/2021 31. JAHRGANG Seite 5
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Der größte Teil der Patienten hatte keinerlei Risikofaktoren Infobox 1: Aufnahmekriterien für die spezifische pneumologische Post-Corona-Rehabilitation und befand sich vor der akuten Erkrankung in gutem bis zum Teil exzellenten Allgemein- und Leistungszustand. Alle Pati- ■ Nachweis zweier negativer Abstriche bzgl. Covid-19-(AHB) enten waren zuvor sportlich aktiv und zeigten eine gesunde ■ Keine einschränkenden Vorgaben durch das zuständige Lebensweise. In vereinzelten Fällen bestanden pulmonale Gesundheitsamt Vorerkrankungen im Sinne eines Asthma bronchiale oder in ■ Selbstversorgung muss möglich sein (Barthel-Index 80) einem Fall einer exogen allergischen Alveolitis. 54% der be- ■ Patienten mit Langzeitsauerstofftherapie oder nicht in- handelten Patienten hatten einen schwersten bis lebensbe- vasiver häuslicher Beatmung können behandelt werden drohlichen Verlauf der Covid-19-Erkrankung und wurden ■ Direktverlegung aus dem Akutkrankenhaus (AHB) so- intensivmedizinisch versorgt. Darunter waren Patienten nach wie Heilverfahren sind möglich stattgehabter ECMO oder mit bis zu achtwöchiger Beatmung via Tracheotomie samt katecholaminpflichtigem Multiorgan- versagen, Dialysepflichtigkeit, Delir, CIP (Critical illness Poly- Dieses Behandlungsangebot richtet sich primär an COVID- neuropathie), prolongiertes Weaning und notwendiger neu- 19-Erkrankte mit pulmonalen Komorbiditäten oder schwers- rologischer Frührehabilitation, wobei die Aufenthaltsdauer tem Krankheitsverlauf nach Langzeitbeatmung und mit im Akutkrankenhaus bei diesen Patienten zwischen acht Wo- stattgehabtem akuten Lungenversagen (ARDS) auch unter chen und zweieinhalb Monaten lag. Die restlichen Patienten Einsatz der extracorporalen Membranoxygenierung (ECMO), boten alle eine Covid-Pneumonie und wurden peripher sta- da hier eine weitere ausgewiesene pneumologische Experti- tionär oder ambulant behandelt, auch in diesen Fällen erga- se in der Rehabilitation notwendig ist. Aber auch Patienten ben sich überwiegend Arbeitsunfähigkeitsdauern von deut- ohne Lungenvorerkrankungen können behandelt werden. lich größer als 6 Wochen. Auch wenn es sich bei der COVID-19-Infektion um eine Multi- Übergeordnetes Ziel der Post-Corona-Rehabilitation ist die systemerkrankung handelt, findet sich in den allermeisten Wiederherstellung und Sicherung der Teilhabe, definiert als Fällen zunächst eine pulmonale Beteiligung in Form einer aus- Integration in Beruf, Familie und Privatleben sowie die Erhal- gedehnten Lungenentzündung mit in der Folge entweder tung der Selbstständigkeit, nach überstandener Corona-Er- Erschöpfung oder Atrophie der Atemmuskulatur. Daher wird krankung. zu Beginn der Rehabilitation dem Training der Atemmuskula- Der Behandlungsansatz der Post-Corona-Reha berücksichtigt tur, Schulung von Atemtechniken und Atemtherapie einen daher die umfassenden somatischen und psychischen wie großen Stellenwert zugemessen. Ergänzt wird das Therapie- auch sozialen Beeinträchtigungen der Betroffenen durch die programm durch Ausdauer- und Krafttraining, Inhalationsthe- individuellen und gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pan- rapien, Haltungs- und Koordinationsübungen sowie psycholo- demie im Rahmen des biopsychosozialen ICF-bezogenen gische Unterstützung in speziellen Covid-Gesprächsgruppen Krankheitsmodells, um einen bestmöglichen Rehabilitations- oder Einzeltherapien. Der Therapieplan wird individuell je erfolg auch im Sinne der ungestörten Teilhabe am gesell- nach Leistungsniveau erstellt und im stationären Verlauf stetig schaftlichen und beruflichen Leben zu erreichen. angepasst, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Die Therapiedauer beträgt bei stationären Rehabilitanden in Um den Behandlungserfolg nachhalten zu können, wurde der Regel drei bis fünf Wochen, abhängig von der Ausgangs- ein Set von psychologischen und somatischen Outcome Para- situation des Patienten. metern zu Beginn und zum Abschluss der Rehabilitation er- hoben. Bei den ärztlicherseits dokumentierten somatischen Methode Parameter handelt es sich um die Sauerstoffsättigung in Ruhe und nach Belastung, die Atemfrequenz, die forcierte Seit April beträgt der Anteil der Post-Corona-Patienten circa Vitalkapazität, den 6 Minuten Gehtest und die Diffusionska- 10% der Gesamtbelegung bei 120 verfügbaren fachspezi- pazität (Kohlenmonoxid-Transferfaktor TLCO)(7). Die psycho- fisch pneumologischen Betten der Klinik; aktuell logischen Outcome Parameter werden durch den PHQ-9(8), (01.12.2020) 44 Patienten bei 140 belegten Betten. Bis zum GAD-7 (8,9), IQT-Teil 1 (10) abgebildet und direkt durch An- jetzigen Zeitpunkt sind somit bereits über 60 Patienten im gaben der Patienten erfasst. Darüber hinaus wurde der sub- Versorgungsmodell der Post-Corona-Reha therapiert. Die jektive Behandlungserfolg aus Sicht der Patienten erfasst. hier vorgelegten Daten beziehen sich auf die ersten 45 Pa- tienten. Von diesen waren 58% männlich und 42% weiblich. Ergebnisse Der Altersdurchschnitt lag bei 60 Jahren (Range: 40 - 82 Jahre) bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 26 Ta- Die 45 Post-Corona-Patienten eint eine Trias aus erstens mas- gen (Range: 14 - 44). siver Einschränkung der somatischen Leistungsfähigkeit, Seite 6 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG welche sich bei Aufnahme bei dem überwiegenden Teil der Patienten als reduziert darstellte (Abbildung 1). Diese ver- besserte sich signifikant von im Mittel TLCO 68% (Range 23 – 131) bei Aufnahme auf TLCO 82% bei Entlassung (Range 40 – 158) (p-Wert
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Abbildung 2: Ergebnisse der psy- chosomatischen Testung (n= 43) A) GAD-7 B) PHQ-9 C) ITC Stabilität der o.g. Parameter erfolgen. Auch die übrige Lun- auch durch die zunehmende Rückgewinnung der Autonomie genfunktion zeigte keine Pathologie und ist daher nicht aus- im Sinne der Leistungssteigerung. Allerdings zeigt sich bei sagekräftig zur Einschätzung des Leistungsniveaus nach Co- den Patienten, die nahe Angehörige verloren haben, dass die vid-19-Erkrankung. Traumatisierung mitunter auch länger anhält. Psychosomatische Beschwerden Die Entwicklungen spiegeln sich in ähnlicher Form in den Die psychosomatischen Parameter, bezogen auf Angst, Trau- Rückmeldungen zum subjektiven Behandlungserfolg wieder. matisierung und Depression, zeigten allesamt eine signifikan- Hierfür wurden die Patienten zum Ende der Rehabilitation, te Verbesserung (p-Werte
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Um den Einfluss von Corona-assoziierten Live-Events evalu- tige neuronale Symptome und multifaktorielle psychosoma- ieren zu können, wurden alle Patienten hierzu am Anfang tische Beschwerden deklariert werden. Insbesondere fällt des Aufenthalts befragt. Patienten nach ITS-Aufenthalt be- auf, dass diese Post-Covid-Symptome unabhängig von dem richten zunehmend über Nahtoderfahrungen und sehr be- Schweregrad des akuten Verlaufs auftreten. Diagnostisch lastende lebensnahe Alpträume, die sie auch zu Beginn der relevant scheint die Erkenntnis, dass die Lungenfunktion bei Rehabilitation noch plagen. Das Gefühl der Hilflosigkeit der Leistungseinschätzung der Post-Covid-Patienten nicht und des Ausgeliefertsein wird von viele Patienten als sehr wegweisend zu sein scheint, sondern die Diffusionskapazi- belastend beschrieben, dies wurde von 40 der untersuchten tät und Belastungstest z.B. via Ergometer. Frappierend ist, 43 Patienten angegeben. Auch die mitunter langen Isolati- dass auch Patienten mit leichtem Akutverlauf mitunter ext- onszeiten und Trennung von nahen Angehörigen oder auch rem unter den Post-Covid-Symptomen leiden und häufig Tod selbiger, Corona-assoziierten Tod einer zentralen Be- verkannt werden, was die Patienten zusätzlich belastet und zugsperson 2 von 43 Patienten, sind Ursachen für mitunter in die Hilflosigkeit sowie Arbeitsunfähigkeit drängt. im Verlauf entstehende posttraumatische Belastungsstörun- Bei aktuell laut RKI insgesamt 220.000 Infizierten und gen oder auch depressive Episoden. Auch die Sorge um die 200.000 Genesenen wird aber in keinerlei Weise erkennt- eigene ökonomische Lebensgrundlage belastet einige der lich, wie viele wirklich beschwerdefrei und arbeitsfähig sind Patienten. bzw. wie viele „Genesene“ noch unter extrem einschrän- kenden Post-Covid-Symptomen leiden. Über Langzeitfolgen Neurologische Beschwerden kann sicherlich noch keine evidenzbasierte Aussage getrof- Für uns unerwartet und daher nicht in systematischer und fen werden, aber bei verkannten persistierenden Post-Co- strukturierter Form erfasst sind neurologische Ausfaller- vid-Symptomen bleibt unklar, ob dies auch zu Chronifizie- scheinungen wie Koordinationsstörungen, Ataxie, Konzen- rung oder weitreichenden psychischen Folgen führen kann. trationsstörungen, Wortfindungsstörungen, Vergesslichkeit Auffällig sind die verlängerte Rekonvaleszenzzeit nach Co- und andere. Viele Patienten beschreiben neben Koordina- vid-Infektion und die o.g. klinischen Trias. Es wird in der tions- und Konzentrationsstörungen auch, dass sie spezifi- hier dargestellten klinischen Verlaufsbetrachtung und in sche Bewegungsabläufe (zum Beispiel Schwimmen) zwar den regelmäßigen Visiten der Patienten deutlich, dass die- wissen, aber nicht umsetzen können. ser Leistungszuwachs insbesondere auf dem Wiedererler- Hinsichtlich der erst im Verlauf festgestellten neurologi- nen der richtigen Atemmechanik beruht und erst dann die schen Symptome zeigt sich in der klinischen Beobachtung, weiteren Therapien zum Ausdauer- und Krafttraining mög- dass nach Stabilisierung der Leistungsfähigkeit und unter- lich sind. Bei einer Post-Covid-Schonatmung kommen die stützt durch Koordinations- und Haltungsübungen auch die Patienten mit steigenden Trainingsanforderung nicht zu- vielfältigen neurologischen Einschränkungen rückläufig recht und eine Leistungssteigerung ist nicht möglich. Viele sind. Erfahrungsgemäß bessern sich die neurologischen Patienten beschreiben bei Aufnahme noch eine sehr flache Symptome deutlich zögerlicher als die somatischen Be- Atmung und die Neigung zur Hyperventilation bei kleinster schwerden. Eine systematische Erfassung anhand definier- Anstrengung. Durch Atemmassage, Atemmuskeltraining, ter Ergebnisparameter hat hier jedoch nicht stattgefunden, da a priori ein neurologisches Erkrankungsbild nicht erwar- ANZEIGE tet wurde. Diskussion Nach Auswertung der oben beschriebenen Daten und auch klinisch in der Beobachtung der Patienten stellt sich zu- nächst heraus, dass sich bei allen Patienten im Verlauf der Rehabilitation die Leistungsfähigkeit deutlich verbessert hat. Dies über die drei Dimensionen der somatisch-pulmo- logischen Leistungsfähigkeit, der psychosomatischen Ein- schränkung sowie initial nicht erwarteter neurologischer Ausfallerscheinungen. Die Daten belegen erstmalig für Deutschland die Wirksam- keit einer stationären Rehabilitation für Patienten nach Covid-19-Infektion. Als Hauptmerkmale im postakuten Ver- lauf konnten die Trias massive Leistungsminderung, vielfäl- AUSGABE 1/2021 31. JAHRGANG Seite 9
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Schulung der Atemphysiologie, Atemtraining und Entspan- Referenzen nungsverfahren lernen die Patienten, die physiologische 1. Grabowski DC, Joynt Maddox KE. Postacute Care Preparedness for COVID-19: Thinking Ahead. JAMA - J Am Med Assoc. Atemtechnik auch bei zunehmender Anstrengung anzuwen- 2020;323(20):2007–8. den und gerade dann nicht in ihre durch die stattgehabte 2. Robert Koch Institut. Risikobewertung zu COVID-19 [Internet]. Covid-Erkrankung bedingte Schonatmung oder Hyperventi- 2020 [cited 2020 Aug 17]. Available from: https://www.rki.de/ lation zurückzufallen. Selbst Patienten, die ausgebildete Phy- DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung. siotherapeuten sind, schaffen es nicht eigenständig, dieses html pathologische Atemmuster zu durchbrechen. Möglicherwei- 3. Hui DSC, Wong KT, Antonio GE, Tong M, Chan DP, Sung JJY. Long-term sequelae of SARS: Physical, neuropsychiatric, and se ist ein Grund dafür auch die Covid-bedingte neuronale quality-of-life assessment. Hong Kong Med J [Internet]. 2009;15 Beteiligung. Viele motorische Abläufe gelingen erst, wenn Suppl 8(852):21–3. Available from: http://www.ncbi.nlm.nih. diese durch Therapeuten visualisiert werden. Ähnlich könnte gov/pubmed/20393208 es sich auch beim Wiedererlernen der physiologischen Atem- 4. Ngai JC, Ko FW, Ng SS, To KW, Tong M, Hui DS. The long-term mechanik verhalten. impact of severe acute respiratory syndrome on pulmonary function, exercise capacity and health status. Respirology. Festhalten können wir auf Basis der hier vorgenommen ers- 2010;15(3):543–50. ten Darstellung, dass eine stationäre Rehabilitation von Pati- 5. Simpson R, Robinson L. Rehabilitation After Critical Illness in enten nach überstandener akuter Infektionsphase sowohl in People With COVID-19 Infection. Am J Phys Med Rehabil. Bezug auf physische als auch psychische Beschwerden eine 2020;99(6):470–4. statisch signifikante und klinisch relevante Verbesserung be- 6. Korupolu R, Francisco G, Levin H, Needham D. Rehabilitation of wirkt. So konnte jeder Patient wieder in sein alltägliches Le- critically Ill COVID-19 survivors. J Int Soc Phys Rehabil Med. 2020;0(0):0. ben und in den Beruf integriert werden, wenn auch mitunter 7. Sorichter S, Scholz T. Lungenfunktionsdiagnostik Spirometrie, im weiteren ambulanten Verlauf noch physikalische oder Provokation, CO-Diffusion und funktionelle Residualkapazität. psychotherapeutische Therapien unterstützend notwendig Der Pneumol. 2015;3. waren. 8. Löwe B, Spitzer RL, Zipfel S, Herzog W. Gesundheitsfragebogen Einschränkend bleibt festzuhalten, dass diese Darstellung le- für Patienten (PHQ D). Komplettversion und Kurzform. 2. Aufla- ge. Karlsruhe: Pfizer; 2002. diglich auf 45 Fällen aus einer Klinik beruht. Weitere Ergeb- 9. Spitzer RL, Kroenke K, Williams JBW, Löwe B. A brief measure for nisse mit größerer Fallzahl und aus weiteren Kliniken sind assessing generalized anxiety disorder: The GAD-7. Arch Intern notwendig, um diese Erkenntnisse abzusichern. Med. 2006;166(10):1092–7. Diese ersten Ergebnisse deuten jedoch auf die Sinnhaftigkeit 10. Cloitre, M., Shevlin M., Brewin, C.R., Bisson, J.I., Roberts, N.P., einer zeitnahen Rehabilitation von weiterhin nicht beschwer- Maercker, A., Karatzias, T., Hyland P. The International Trauma defreien sowie leistungsgeminderten Covid-19-Erkrankten Questionnaire: Development of a self-report measure of ICD-11 PTSD and Complex PTSD. Acta Psychiatr Scand. 2018;138(6):536– hin, um langfristige Folgen zu vermeiden und eine möglichst 46. allumfassende Teilhabe zu ermöglichen. Seite 10 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG COVID-19 in Mecklenburg-Vorpommern: Was lehren uns die Erfahrungen der „ersten Welle“? Luisa Werner, Hilte Geerdes-Fenge, Micha Löbermann, Martina Littmann, Emil C. Reisinger Einleitung Ergebnisse Im Dezember 2019 wurde erstmalig aus China von einem Im Zeitraum vom 3. März 2020 bis 17. Juni 2020 wurden in neuartigen Coronavirus berichtet [1], das Pneumonien verur- Mecklenburg-Vorpommern 790 Personen positiv auf SARS- sachte und sich innerhalb von wenigen Wochen pandemisch CoV-2 getestet. Das entspricht 0,05% der Bevölkerung Meck- über alle Kontinente, ausgenommen der Antarktis [2], aus- lenburg-Vorpommerns (Einwohnerzahl: 1,61 Mio. Stand: breitete [3],[4]. Am 3. März 2020 wurden die ersten zwei, auf 31.12.2019 [5]), Inzidenz 49/100.000 Einwohner (Tab. 1). dieses Virus positiv getestete Patienten in Mecklenburg-Vor- pommern ans Gesundheitsamt Vorpommern-Greifswald ge- 52,7% der 790 positiv Getesteten waren männlich (Abb. 1). meldet. Die von SARS-CoV-2 ausgelöste Krankheit wird als Der Altersdurchschnitt lag bei 47,8 ± 20,3 Jahren (Median 49; „corona virus disease 2019 (COVID-19)“ bezeichnet. Spannweite: 0-99 Jahre). Die höchste Zahl wurde im Land- kreis Vorpommern-Greifswald mit 139 (17,6%) positiv Getes- Wir stellen hier vorab erste Ergebnisse einer retrospektiven teten gemeldet, die zweithöchste Zahl im Landkreis Meck- Datenanalyse aller auf SARS-CoV-2 positiv getesteten Perso- lenburgische-Seenplatte mit 125 (15,8%). Die wenigsten Fäl- nen vor, die vom Landesamt für Gesundheit und Soziales le (n=76; 9,6%) wurden im Landkreis Rostock gemeldet. Bei (LaGuS) MV im Zeitraum vom 3. März 2020 bis 17. Juni 2020 alleiniger Betrachtung der Inzidenz ist der Stadtkreis Schwe- erhoben wurden. rin mit einer Inzidenz von 95,1/100.000 Einwohner an erster Tabelle 1: Epidemiologischer Vergleich MV und Deutschland in der „ersten Welle“ Mecklenburg-Vorpommern Deutschland Fälle (1.3.2020-17.6.2020) 790 49/100.000 Einwohner 187184 225/100.000 Einwohner Verstorbene 20 (2,5%) 1,2/100.000 Einwohner 8830 (4,7%) 10,6/100.000 Einwohner Hospitalisiert 117 14,8% 28561 18% Demographie absolut in % absolut in % Männlich 416 52,7% 97336 48% 90 Jahre 14 1,8% 5287 2,8% Altersdurchschnitt 47,8 Jahre Median: 49 49 Jahre Median: 49 Klinische Aspekte Husten 364 46,1% 91720 49% Fieber 261 33% 76745 41% Schnupfen 155 19,6% 39309 21% Pneumonie 22 2,8% 4865 3% AUSGABE 1/2021 31. JAHRGANG Seite 11
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Abbildung 1: Alters- und Geschlechtsverteilung bei 790 COVID-19-Patienten in MV während der “ersten Welle” 100 Tabelle 2: Inzidenz der Land-/Stadtkreise in MV 90 (Stand: 17. Juni 2020) 80 Land-/Stadtkreis Inzidenz/100.000 70 Einwohner 60 Anzahl 50 LK Ludwigslust-Parchim 41,6 40 LK Mecklenburgische- 48,4 30 Seenplatte 20 LK Nordwestmecklenburg 50,2 10 LK Rostock 35,2 0 0-9 10-19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 >80 LK Vorpommern-Greifswald 59,0 männlich weiblich LK Vorpommern-Rügen 36,6 Abbildung 1: Alters- und Geschlechtsverteilung bei 790 COVID- SK Rostock 49,2 19-Patienten in MV während der „ersten Welle” SK Schwerin 95,1 6 Stelle zu nennen, gefolgt vom Landkreis Vorpommern- (36,8%). Das durchschnittliche Alter der Hospitalisierten be- Greifswald (Inzidenz 59,0/100.000 Einwohner). Die niedrigste trug 65,8 ± 16,9 Jahre (Median 68 Jahre, Spannweite 21 bis Inzidenz von 35,2/100.000 Einwohner wurde im Landkreis 95 Jahre). Die führenden Symptome waren Fieber (n=61; Rostock ermittelt (Tab. 2). 52,2%) und Husten (n=60; 51,3%). Eine Pneumonie trat bei den Hospitalisierten in 20 Fällen (17,1%) auf, bei den ambu- Als häufigstes Symptom wurde Husten (n=364; 46,1%) ange- lanten Patienten wurde nur bei zwei Erkrankten (0,3%) eine geben, danach Fieber (n=261; 33,0%) und vermindertes All- Pneumonie angegeben. Das Symptom Luftnot bestand bei gemeinbefinden (n=235; 29,7%). 207 der 790 (26,2%) Perso- 17,1% der stationären COVID-19-Patienten und bei 2,8% der nen gaben bei Kontakt mit dem Gesundheitsamt an, keines ambulant Behandelten. Bei 21 (17,9%) der Hospitalisierten der abgefragten Symptome zu haben (Abb. 2). wurden keine COVID-19-typischen Symptome dokumentiert (Abb. 2). Bei 318 der 790 Fälle (40,3%) gab es Angaben zu Vorerkran- kungen, davon an erster Stelle „Herzerkrankungen“ (n=58; 59 der 117 stationär Behandelten (50,2%) gaben mindestens 18,2%), an zweiter Stelle „Diabetes“ (n=32; 10,1%) und an einen Risikofaktor an (Herzerkrankung n=22; 18,8%, Diabe- dritter Stelle „Neurologische Erkrankungen“ (n=25; 7,9%). tes n=11; 9,4%, Lungenerkrankung n=10; 8,5% und Krebser- krankungen n=10; 8,5%). Im Mittel dauerte die Quarantäne 117 Patienten (14,8%) mussten im Krankenhaus behandelt der stationär betreuten Patienten 14,7 ± 6,1 Tage (Median: werden, davon waren 74 männlich (63,2%) und 43 weiblich 14 Tage). Abbildung 2: Symptome bei stationären und ambulanten Patienten 60% 51,3% 52,1% 50% 45,2% 40% 35,0% 29,7% 28,8% 27,6% 30% 21,7% 21,8% 17,1% 17,9% 20% 11,1% 8,5% 7,7% 10% 2,8% 3,3% 2,5%5,3% 0% Schnupfen Halsschmerz Husten Fieber Allgemein Dyspnoe Durchfall Geruchs- und keine Geschmacks- Symptome störungen stationär ambulant Abbildung 2: Symptomvergleich der stationären und ambulanten COVID-19 Patienten in MV während der „ersten Welle“ Abbildung 3: Seite 12 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN Urlaubsländer außerhalb MV
stationär ambulant WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Abbildung 3: Insgesamt verstarben 20 Patienten innerhalb der ersten Wel- Urlaubsländer außerhalb MV le, das entspricht einer Fallsterblichkeit von 2,5% aller 790 5,7% COVID-19 Patienten. 15 Verstorbene waren männlich und 9,8% 20,1% fünf weiblich, das durchschnittliche Alter betrug 76,8 ± 10,5 3,4% Jahre (Median 78,5 Jahre, Spannweite: 57-93 Jahre). 19 der 20 Verstorbenen wurden stationär behandelt, sechs davon 9,2% auf einer Intensivstation. Alle Verstorbenen wiesen einen oder mehrere Risikofaktoren auf, die Hälfte hatte eine Herz- 6,3% erkrankung, ein Viertel hatte eine Demenzerkrankung, ein 5,7% Viertel eine Krebserkrankung und ein Zehntel Diabetes. Der 39,7% Zeitraum zwischen Erkrankungsbeginn und Tod betrug im Mittel 12,8 ±7,5 Tage (Spannweite: 5-23 Tage). Deutschland Österreich Italien Spanien Sonstige Europa Ägypten Sonstige Welt Keine Landangabe 612 (77,5%) der 790 positiv Getesteten konnten das genaue Datum des Erkrankungsbeginns angeben. Zwischen Erkran- Abbildung 3: Reiseländer außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns während der „ersten Welle“ kungsbeginn und Meldedatum vergingen im Mittel 4,9 Tage (Median 4 Tage). Zwischen Erkrankungsbeginn und Quaran- tänebeginn vergingen im Mittel 2,9 Tage (Median 2 Tage). das Reiseende nicht dokumentiert. 81 (46,6%) der Reiserück- Die Quarantänedauer betrug durchschnittlich 14,4 Tage. In kehrer waren in ein Ausbruchsgeschehen involviert. 359 (45,4%) Fällen wurde der Quarantänebeginn und in 124 Fällen das Quarantäneende dokumentiert. Genesungsdaten Insgesamt wurden 99 Ausbruchsgeschehen im Zeitraum von wurden nicht erhoben. Anfang März bis Mitte Juni 2020 in Mecklenburg-Vorpom- mern ermittelt. 469 (59,4%) der 790 positiv Getesteten konn- Bis das Auswärtige Amt am 17. März 2020 den Bürgern ten einem Ausbruchsgeschehen zugeordnet werden. Deutschlands nahelegte, nur noch zwingend notwendige Rei- sen zu unternehmen, gaben 139 (17,6%) der erkrankten Per- Häufungen konnten in folgenden Settings dokumentiert sonen aus Mecklenburg-Vorpommern an, in den letzten 14 werden: Tagen eine Reise ins Ausland gemacht zu haben. Außerdem sind 35 (4,4%) innerhalb Deutschlands gereist. Durchschnitt- „Privater Haushalt“ (46 Ausbrüche mit 129 Fällen), lich betrug die Reisedauer 7,1 Tage. Die häufigsten Reiselän- „Krankenhaus“ (acht Ausbrüche mit 62 Fällen), der sind in Abb. 3 dargestellt. Während einer Reise erkrank- „Alten-/Pflegeheim“ (drei Ausbrüche mit 62 Fällen), ten 26 Personen (14,9%) und nach der Reiserückkehr 99 Per- „Flüchtlings-/Asylheim“ (zwei Ausbrüche mit 53 Fällen), sonen (56,9%). Bei den restlichen 49 Reisenden (28,2%) (In- „Hotels, Pensionen, Restaurants und Wohnheimen“ und Ausland) wurde entweder das Erkrankungsdatum oder (vier Ausbrüche mit sieben Fällen). Beratung von Experte zu Experte. AUSGABE 1/2021 31. JAHRGANG Seite 13
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG 117 Infizierte (14,8%) arbeiteten in Betreuungseinrichtun- (69 der 174 Reisenden), wo sich das Virus vor allem in Après- gen, davon 46 Personen im medizinischen Bereich, zehn Per- Ski-Lokalitäten schnell und vorerst unbemerkt verbreitete sonen in Kitas oder Schulen, 56 Personen in Alten- und Pfle- [12]. Durch die nördliche Lage Mecklenburg-Vorpommerns geheimen, Obdachlosenunterkünften, Asyl- und Flüchtlings- ist Skifahren als Wintersport weniger populär als in südliche- heimen und fünf Personen in Küchen und Gaststätten zur ren Bundesländern. Je größer die Entfernung zu Skigebieten, Gemeinschaftsverpflegung. 36 (30,8%) davon waren männ- desto geringer war die Inzidenz [13]. lich und 81 (69,2%) weiblich. 84 der 117 Infizierten (71,8%) Außerdem fanden in Mecklenburg-Vorpommern in diesem waren in eines von 32 Ausbruchsgeschehen involviert. Zeitraum keine Großereignisse im Sinne von „Superspreading- Events“ wie Karnevalsfeiern (z. B. in Heinsberg) statt [14]. Diskussion Auch die zeitliche Verzögerung des Pandemiebeginns in M-V konnte zum Vorteil genutzt werden. Die Pandemie breitete Nachdem am 3. März 2020 die ersten zwei SARS-CoV-2 posi- sich vom Süden her kommend in den Norden aus. Da die AHA- tiven Patienten im Landkreis Vorpommern-Greifswald an das Regeln (Abstand halten, Hygiene beachten und Alltagsmaske Gesundheitsamt gemeldet wurden, war COVID-19 auch in tragen), Kontaktverbote und vor allem das richtige Tragen Mecklenburg-Vorpommern angekommen. Jedoch war M-V von Masken in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln in weniger stark von der ersten Welle der Pandemie betroffen einem frühen Stadium der Pandemie griffen, begannen die als andere Bundesländer in Deutschland. Erkrankungszahlen ca. 14 Tage nach dem ersten Lockdown Die Inzidenz war laut des täglichen Lageberichts des RKI vom Ende März/Anfang April wieder zu sinken [15],[16]. 17. Juni 2020 in Mecklenburg-Vorpommern mit 49/100.000 Einwohner am niedrigsten innerhalb Deutschlands, die durch- Es gab wenige Ausbrüche in Hotels, Pensionen und Gaststät- schnittliche Inzidenz zu diesem Zeitpunkt lag in Deutschland ten. Das kann zunächst auf den am 16. März 2020 verhäng- bei 225/100.000 Einwohner [6]. ten bundesweiten Lockdown zurückgeführt werden, bei dem Schwere Krankheitsverläufe mit Pneumonien, ARDS oder Hotels und Gaststätten geschlossen wurden. Später konnten Beatmung traten in MV eher bei Menschen höheren Alters Hotels, Restaurants und Gaststätten mit geeigneten Hygie- und mit Vorerkrankungen auf, aber auch jüngere positiv nekonzepten wieder öffnen und es gab keine weiteren ge- getestete Patienten ohne Vorerkrankungen können an meldeten Ausbrüche in dem Zeitraum der Beobachtung. schweren Krankheitsverläufen mit Pneumonien und Throm- boembolien erkranken [7], [8]. In Deutschland lag die Rate der Verstorbenen bei 10,6/100.000 Einwohner, im Vergleich Fazit für das Niedriginzidenzgebiet Mecklenburg-Vorpom- dazu in Mecklenburg-Vorpommern bei 1,2/100.000 Einwoh- mern: ner, obwohl der Altersdurchschnitt in M-V mit 47 Jahren ■ Auslöser der ersten Welle in Mecklenburg-Vorpommern (ein Viertel der Bevölkerung ist älter als 65 Jahre) oberhalb waren vor allem Reiserückkehrer. des Altersdurchschnittes in Deutschland (44,5 Jahre) liegt ■ Durch den zeitlich verzögerten Pandemiebeginn in Meck- [6],[9],[10]. Das Risiko, an COVID-19 zu versterben, steigt lenburg-Vorpommern wurden die Maßnahmen in einer mit dem Alter und vorhandenen Vorerkrankungen [8]. Auch frühen Phase der Pandemie angesetzt und konnten somit alle 20 verstorbenen Patienten aus M-V litten unter bekann- schnell das Steigen der Inzidenzrate verhindern. ten Vorerkrankungen. ■ Möglicherweise vorteilhaft ist die geringe Bevölkerungs- Die Altersverteilung der positiv getesteten COVID-19 Patien- dichte Mecklenburg-Vorpommerns. ten in M-V entspricht der von Deutschland (Median jeweils ■ Ausbrüche wurden vor allem in Settings beobachtet, in 49) [6]. Es wurden im untersuchten Zeitraum sowohl in M-V denen viele Menschen auf engem Raum für lange Zeit als auch bundesweit weitaus weniger Kinder als Erwachsene leben, wie Alten- und Pflegeheimen sowie Asyl-und mit einem positiven Testergebnis an das LAGuS gemeldet Flüchtlingsunterkünften. Wider Erwarten wurden wenige [11]. Jedoch ist anzumerken, dass die Geschlechterverteilung Ausbrüche in Hotels und Gaststätten gemeldet. in Mecklenburg-Vorpommern umgekehrt zu der in Deutsch- land ist. Es erkrankten in M-V mehr Männer (52,7%) und Literatur bei den Verfassern: bundesweit mehr Frauen (52%). Kontakt: Anfangs waren die Reiserückkehrer die treibende Kraft für Prof. Dr. Emil Reisinger die Ausbreitung von COVID-19 in Deutschland und M-V. Das Abt. für Tropenmedizin und Infektionkrankheiten, RKI wies nach und nach immer mehr Landkreise und später Universitätsmedizin Rostock auch Länder als Risikogebiete aus. Das häufigste Reiseland Ernst-Heydemann-Str. 6, 18057 Rostock der Bürger Mecklenburg-Vorpommerns war Österreich tropen@med.uni-rostock.de Seite 14 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
JUNGE ÄRZTE M-V Die Jungen Ärzte MV – eine erste Bilanz Rostock, 14. November 2018 Einzig die Meldepflicht, der jährlich zu entrichtende Kam- – Erste Sitzung der neu ge- merbeitrag und Information zu Weiterbildungsordnungen gründeten Arbeitsgruppe jun- waren der gemeinsame Nenner der Neuankömmlinge. ger Ärzte. Der Start in den Räumlichkeiten der Ärztekam- Von Seiten der Kammer, meist vertreten durch den Präsiden- mer war eine gemeinsame Fin- ten und den Geschäftsführer, bestand vom ersten Tag an ein dungsphase. Für die meisten, großes Interesse an den Belangen und Sichtweisen der jun- bunt zusammengewürfelten, gen und jüngeren Ärztegeneration. Die Unterstützung von jungen Kolleginnen und Kolle- Kammerseite war und ist enorm. Insbesondere auch durch gen aus ganz Mecklenburg- den Vorstand der Ärztekammer konnte mehr und mehr Ein- Vorpommern waren diese Räumlichkeiten bisher fremd, blick in die Kammerarbeit und die Strukturen gewonnen beschränkte sich der Kontakt mit der Kammer doch bisher werden und im gegenseitigen Austausch, Anknüpfpunkte meist auf ein Minimum. und Potential zur Verbesserung gemeinsam aufgedeckt und Aufgabe der Kammer, Selbstverwaltung, interne Abläufe – erarbeitet werden. Viel Beistand erhielt die AG auch durch unbekannt. die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle. Sie unterstützen ANZEIGEN AUSGABE 1/2021 31. JAHRGANG Seite 15
JUNGE ÄRZTE IN M-V die Kammeranfänger bei den aufkommenden Fragen und Engagement und Themen der AG der Gruppenorganisation. Auf der Internetpräsenz der Ärztekammer MV stellen wir un- sere Gruppe von Ärztinnen und Ärzten aus ganz MV, aus Dem Ziel, die Eintrittsschwelle zur Kammer für alle Ärztinnen dem ambulanten als auch klinischen Bereich vor. Wir sehen und Ärzte niedriger zu gestalten, sind wir mit Aktivitäten uns als Plattform zwischen der Selbstverwaltung der Ärzte in wie der Begrüßungsbroschüre für frischgebackene Kammer- Mecklenburg-Vorpommern, unserer Ärztekammer, einer- mitglieder, regelmäßigen Artikeln im Ärzteblatt Mecklen- seits, und den jungen Ärzten und Studenten andererseits. burg-Vorpommern und mehr Präsenz in den neuen Medien Eines der Hauptziele ist die Vernetzung der Ärzte unseres schon etwas nähergekommen. Aktuell wird gemeinsam an Bundeslandes. Dadurch möchten wir bidirektional die Bin- einer kleinen Fortbildungsreihe gefeilt, die Kammer und kli- dung von Ärztinnen und Ärzten zur Ärztekammer stärken. nische Themen verknüpft und so Arbeit und Kammer zusam- menbringen soll – Start 2021. Zu unseren weiteren Aufgaben zählen wir die Unterstüt- Um die Arbeit der Gruppe griffiger zu gestalten, hat sich die zung junger Ärztinnen und Ärzte bei ihrem ersten Kontakt AG ein Leitbild erarbeitet, dass hier vorgestellt werden soll: zur Ärztekammer. Hierbei auftretende Fragen möchten wir niederschwellig beantworten und zum Beispiel konkrete Leitbild der Arbeitsgruppe Junge Ärzte MV Themen und Ansprechpartner in der Ärztekammer benen- nen. Hier soll eine neugestaltete Broschüre den Erstkontakt Engagiert, Offen, Mitgestaltend vereinfachen, diese kann über die Ärztekammer erhalten werden. Außerdem geben wir auf der Internetseite der Ärz- Die Jungen Ärzte MV (JÄ MV) sind eine, vom Vorstand der tekammer einen Überblick über die Tätigkeitsbereiche der Landesärztekammer Mecklenburg-Vorpommern gegründete Kammer und die dazugehörigen Ansprechpartner. Arbeitsgruppe, von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung und Fachärzten, welche sich als Plattform und Bindeglied Eine weitere Aufgabe ist die Aufnahme und Weiterleitung zwischen der Ärztekammer MV und den genannten Ärztin- von Themen, welche die jungen Kollegen in MV bewegen. nen und Ärzten sowie den Medizinstudierenden aus Meck- Hierbei sammeln wir aktuelle Probleme, welche uns bei der lenburg-Vorpommern sieht. täglichen Arbeit begegnen. Die Themen werden auf regel- mäßigen Treffen intern erörtert und entsprechende Lösungs- Die Arbeitsgruppe Junge Ärzte MV verfolgt folgende Ziele: ansätze entwickelt. Über die Kooptation in den verschiede- 1. Nachwuchsgewinnung für die Landesärztekammer Meck- nen Ausschüssen und die Teilnahme an den regelmäßigen lenburg-Vorpommern Kammerversammlungen können die erarbeiteten Lösungs- 2. Interessensvertretung der jungen Ärztinnen und Ärzten vorschläge direkt in das Kammerleben eingebracht werden. in Mecklenburg-Vorpommern Dies ermöglicht der Ärztekammer die Ansichten, Meinungen 3. Erleichterung des Einstiegs in die Arbeitswelt und Nöte der jungen Kollegen im Land aufzunehmen und in 4. Einbringen von wichtigen Themen der im Land tätigen ihre jeweiligen Entscheidungen einfließen zu lassen. Ärzte in die ÄK MV Nachdem Ihr uns nun kennengelernt habt, seid Ihr gefragt. Für diese Themen engagieren sich die Jungen Ärzte MV un- Habt Ihr Themen, welche Euch interessieren, Fragen, welche ter anderem in der Vernetzung der in MV tätigen Ärztinnen Euch in Bezug auf die Ärztekammer und den Einstieg in das und Ärzte in Weiterbildung und Fachärztinnen und Fachärz- Berufsleben unter den Nägeln brennen? Dann wendet Euch te, halten den Kontakt zu den Fachschaften der medizini- an uns jungeaerzte@aek-mv.de. schen Fakultäten des Landes und zu vergleichbaren Organi- sationen aus anderen Bundesländern. Marcel Baschin und Andreas Enz für die Jungen Ärzte ANZEIGEN Seite 16 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
LESERBRIEF Leserbrief zum Artikel „Aktuelle Aspekte der allgemeinpädiatrischen Versorgung im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern“ Ärzteblatt Ausgabe 12/20, S. 460 ff. Eine eigentliche Kritik an dem Artikel möchte ich aus ver- desland sehr gravierende Problem, dass, wenn seltene schiedenen Gründen ausdrücklich nicht vornehmen. Aber ich Krankheitsbilder an verschiedenen, über das Land verstreu- möchte ein paar Aspekte vielleicht ein wenig anders be- ten Stellen in für die Weiterbildung ungenügender Zahl be- leuchten. treut werden, die Weiterbildung auf so einem Spezialgebiet Es gibt viele Gründe dafür, dass Kinderkliniken immer mehr selbst in großen oder universitären Kliniken nicht mehr ge- schrumpfen und in der Fläche auszusterben drohen. Es ist währleistet werden kann. vor allem die Entwicklung der modernen Medizin. Viele der Die Rolle der Kassenärztlichen Vereinigung wird an man- Krankheitsbilder, die vor 50 Jahren stationär behandelt wur- chen Stellen des Artikels aus meiner Sicht zu einseitig gese- den (damals wohl auch mussten), können heute ohne Prob- hen. Der so entscheidende Zulassungsausschuss besteht z.B. leme ambulant versorgt werden. Die ganz große Ausnahme zur Hälfte aus Vertretern der Krankenkassen. ist die Versorgung und Aufzucht kleiner und sehr kleiner Besser wäre es deshalb, von Problemen zu sprechen, die Frühgeborener. Kinderkliniken, die das leisten können, ha- durch das gegenwärtig bestehende System impliziert sind, ben einerseits einen speziellen Personalbedarf – anderer- das von einer relativ strengen Trennung zwischen Kranken- seits spielen sie gerade dadurch im Verhältnis zur allgemei- häusern und niedergelassenen Ärzten ausgeht. Innerhalb nen Pädiatrie ungewöhnlich hohe Vergütungen ein. Diese dieses Systems sind KVen sinnvoll und zumindest für die Nie- sind es, die in dem im Artikel erwähnten Case-Mix-System dergelassenen von großer Bedeutung. letztlich auch „unwirtschaftliche“ (aber notwendige) ande- Abgesehen davon sind die Schlussfolgerungen des Artikels re Spezialabteilungen am Leben halten können. nicht nur zu unterstreichen, sondern es muss aus Sicht der Auch hat sich das Krankheitsspektrum verschoben. pädiatrischen Versorgung in der Zukunft auch darüber nach- Entitäten, die heute eine sehr große Rolle spielen (z.B. Teil- gedacht werden, ob ein zumindest in Teilen verändertes Sys- leistungsstörungen und Schulleistungsprobleme) waren da- tem nicht den zukünftigen Erfordernissen besser gerecht mals eher Randerscheinungen. Und beispielsweise gab es werden könnte. Ein System, das es gestatten würde, ambu- Logopädie und Ergotherapie, heute nicht mehr wegzuden- lant und stationär so zu verzahnen, dass die Ressourcen der ken, damals nicht oder nur in Ansätzen. Diese neuen Prob- Kliniken ohne Probleme auch ambulant genutzt und vergü- lemfelder sind (und waren) nie die Domäne der Kinderklini- tet werden können und dass ambulant vorhandenes Können ken. Stattdessen kam es zur Entwicklung von Sozialpädiatri- auch stationär genutzt und vergütet werden kann. So könn- schen Zentren, die heute äußerst effizient und kompetent ten auch wirtschaftlich nur schwer zu betreibende Spezial- diese Probleme bearbeiten. An ihrem Beispiel kann man se- praxen funktionieren. hen, wie durch neue Strukturen (die im Übrigen nicht ohne Eine Vorstufe könnte die Zusammenfassung des ambulanten Beharrlichkeit und zähen Kampf entstehen konnten) heute kinderärztlichen Bereitschaftsdienstes mit dem stationären Probleme bearbeitet (und v.a. vergütet) werden können, die an kleineren Häusern sein. Sicher kein leichtes Unterfangen jede Einzelpraxis überfordern würden (sowohl bezüglich des – und man muss zugeben, dass wohl derzeit leider weder die gebündelten Spezialwissens verschiedener Berufe, als eben KV noch die meisten ambulant tätigen Kinderärzte grund- auch wirtschaftlich). sätzlich dazu bereit wären. Vergleichsweise dazu sind rein somatisch orientierte pädia- Eigentlich schade; denn gerade letzteren sollte es ja um das trische Spezialpraxen (z.B. Kinderkardiologie, Kinderbron- Wohl der Kinder gehen. chologie, Kinderneuopädiatrie und Kindergastroenterolo- gie) vom Prinzip her sowohl personalmäßig als auch geräte- Dr. Thomas Müller, Rostock technisch als Einzelpraxen gut führbar. Sie rentieren sich al- lerdings nur, wenn sie eine entsprechend große Überwei- sungsrate akquirieren können. Einigen gelingt das gut, da die durch sie zu bearbeitenden Krankheitsbilder sehr ver- breitet sind; anderen nicht (wie z.B. Kindergastroenterolo- gie), deren Krankheitsbilder seltener sind. Hinzu kommt das für die Entwicklung der Pädiatrie insgesamt in unserem Bun- AUSGABE 1/2021 31. JAHRGANG Seite 17
SERVICE Elektronische Arbeitsunfähigkeits- bescheinigung auf Oktober 2021 verschoben Nicht zu Jahresbeginn, sondern erst ab Oktober 2021 wird Außerdem haben KBV und GKV-Spitzenverband als Partner die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur des Bundesmantelvertrages Näheres zum sogenannten Er- Pflicht. Dann müssen alle Vertragsärzte die AU-Daten digital satzverfahren geregelt, falls die Telematikinfrastruktur aus- an die Krankenkassen übermitteln. Darauf haben sich die fallen sollte. In diesem Fall muss sichergestellt sein, dass für KBV und der GKV-Spitzenverband geeinigt. den Patienten keine Nachteile bei Entgeltfortzahlung oder Die KBV hatte sich frühzeitig beim Bundesgesundheitsminis- Krankengeldzahlung entstehen. terium für eine Verschiebung eingesetzt, weil die Technik noch nicht flächendeckend verfügbar ist, weder auf Seiten Für eAU erforderlich: Update, KIM-Dienst, eHBA der Praxen noch auf Seiten der Kassen. Der Aufschub ändert nichts an der grundsätzlichen Kritik der Zur Übermittlung der eAU an die Krankenkassen benötigen KBV, dass das Ausstellen von AU-Bescheinigungen nur teil- Praxen einen Dienst für Kommunikation in der Medizin (KIM- weise auf ein digitales Verfahren umgestellt wird. So müssen Dienst), mit dem sie innerhalb der Telematikinfrastruktur si- Vertragsärzte ab 1. Oktober 2021 neben der elektronischen cher Daten versenden können. Außerdem sind ein Update Datenübermittlung an die Kassen Papier-Bescheinigungen des Praxisverwaltungssystems und des Konnektors erforder- ausdrucken, die der Patient für sich sowie für seinen Arbeit- lich (Update zum E-Health-Konnektor). Für die elektronische geber erhält. Signatur benötigen Ärzte einen elektronischen Heilberufs- Erst ab 1. Juli 2022 sind die Krankenkassen zur elektronischen ausweis. Weiterleitung der AU-Daten an die Arbeitgeber verpflichtet. Doch auch dann laufe das Verfahren nicht komplett papier- (Nach einer Pressemitteilung der KBV, bearb. von K.S.) los ab. Der Patient bekomme weiterhin einen Ausdruck für seine Unterlagen. Hinweise und Empfehlungen zur Beschaffung von elektronischen Heilberufsausweisen für Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus Der digitale Wandel ist in nahezu allen Gesellschaftsberei- Bei der Nutzung dieser digitalen Anwendungen muss ge- chen in vollem Gange – auch im deutschen Gesundheitswe- währleistet sein, dass ein Zugriff auf die sensiblen medizini- sen. Elektronische Patientenakten, Notfalldaten auf der Ge- schen Daten des Patienten nur mit einer entsprechenden sundheitskarte oder der elektronische Medikationsplan sind Berechtigung erfolgt. Es muss sichergestellt sein, dass eine digitale Anwendungen, die Patienten und Ärzten behand- Ärztin oder ein Arzt auf die Daten des Patienten zugreift lungsrelevante Informationen schnell und unkompliziert zur und wer genau dies ist. Verfügung stellen sollen. Im Gegensatz zu rein verwaltungs- Diese Funktion übernimmt der eHBA. Nur wer über einen technischen Instrumenten, wie dem Versichertenstammda- eHBA der zweiten Generation verfügt, kann alle geplanten tenmanagement, können sie einen echten medizinischen medizinischen Anwendungen nutzen und abrechnen. Der Mehrwert bieten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie eHBA ist außerdem für die ab 1. Oktober 2021 obligatorische schon bald fester Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit sein elektronische Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheini- werden. gung erforderlich. Seite 18 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
SERVICE Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Ärztekammer Meck- ■ Vor der Beantragung eines eHBA sollte die Entscheidung lenburg-Vorpommern, den eHBA rechtzeitig und eigenver- für einen Vertrauensdiensteanbieter (VDA) getroffen antwortlich unter folgenden Gesichtspunkten zu beschaffen: und die Finanzierungsfrage mit dem Arbeitgeber ge- ■ Der eHBA ist ein personengebundener Arztausweis, der klärt werden. neben einer qualifizierten elektronischen Signatur jeder ■ Informationen zum VDA sowie zum An- einzelnen Ärztin / jedes einzelnen Arztes die Authentifi- tragsprozedere finden Sie auf der Websei- zierung dieser Person in der medizinischen Telematikinf- te der Ärztekammer Mecklenburg-Vor- rastruktur übernimmt. Demzufolge kann der eHBA nur pommern: http://ehba.aek-mv.de. persönlich durch die Ärztin oder den Arzt bei der zustän- digen Ärztekammer beantragt werden. Das Krankenhaus Ab sofort kann mit dem Beantragungsprozess begonnen kann den Beantragungsprozess nicht übernehmen. werden. ■ Es sollte geklärt werden, wann, in welchen Organisations- einheiten und wo genau die geeigneten Kartenlesegerä- Ärztekammer M-V te aufgestellt werden, über die der Zugriff auf die TI- Struktur ermöglicht wird. ■ Urlaubs-, Eltern- und andere Abwesenheitszeiten sowie ggf. Ablauf der Berufserlaubnis sind unbedingt zu be- rücksichtigen. Der Verzeichnisdienst der Telematik- infrastruktur Medizinische Daten gehören zu den sensibelsten personen- sierbar und es können für ihn Nachrichten verschlüsselt wer- bezogenen Daten, die über Patienten vorliegen und bei der den. Also sowohl für andere Leistungserbringer, die für ihn Behandlung verwendet werden. Sie sind daher besonders elektronische Arztbriefe verschlüsseln und mittels KIM schützenswert und durch geeignete technische Mittel vor übertragen wollen, als auch für Patienten, die dem Aus- einem unberechtigten Gebrauch abzusichern. Hierzu wer- weisinhaber Zugriffsrechte auf Ihre elektronische Patiente- den Techniken aus der Welt der Kryptographie verwendet, nakte erteilen wollen. Sowohl ein zugriffserteilender Pati- aus der sich in folgenden auch ein Bedarf für den soge- ent als auch ein sendender Kollege müssen aus dem Ver- nannten „Verzeichnisdienst der Telematikinfrastruktur“ ab- zeichnisdienst den öffentlichen Schlüssel des Empfängers leitet. Daher muss sichergestellt sein, dass nur Berechtigte herunterladen. auf die medizinischen Daten der Versicherten zugreifen Das hört sich zunächst kompliziert an. In der praktischen können. Verwendung erfolgen diese Schritte, wie das Herunterladen Aus diesem Grunde kommt es zu einem Aufbau eines Regis- und Ver- und Entschlüsseln, beim Sender und Empfänger im ters. Heilberufsausweisherausgeber, wie die Landesärzte- Hintergrund und ohne Zutun des Nutzers. kammern, übermitteln an den TI-Verzeichnisdienst die Da- Eine Alternative wäre, dass jede Anwendung bzw. jeder An- ten aller potenziellen Nutzer der Telematikinfrastruktur, wender ein „eigenes“ Adressbuch aufbaut und pflegt. Da also das Zertifikat (mit dem öffentlichen Schlüssel) des alle Ausweise (eHBA, SMC-B, eGK) aber eine begrenzte eHBA, den Namen des Ausweisinhabers sowie weitere ad- Laufzeit von max. 5 Jahren haben oder auch verloren gehen ressierende Informationen, wie die Praxisanschrift und die können und damit regelmäßig durchgetauscht werden und Facharztbezeichnung, die sich gut als Suchkriterien eignen. sich damit auch die Schlüsselpaare ändern, ist dies nicht Man muss sich den Verzeichnisdienst wie ein umfangreiches praktikabel. Adressbuch vorstellen. Der Gesetzgeber hat aus diesem Grund mit § 313 SGB V vor- Erst mit dem Eintrag im Verzeichnisdienst ist der Ausweisin- gegeben, dass die gematik den Verzeichnisdienst der Tele- haber für Dritte in der Telematikinfrastruktur einfach adres- matikinfrastruktur betreibt und gem. § 307 Abs. 5 i.V.m. § AUSGABE 1/2021 31. JAHRGANG Seite 19
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