Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine - Euler Hermes Rating GmbH
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Titelgeschichte Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine Amazon ist in den hart umkämpften deutschen Lebensmittelmarkt eingestiegen – als Onlinebringdienst. Nach diesem Vorstoß dürfte die Konkurrenz immer härter werden. Doch müssen unsere Supermärkte wie Rewe und Co. tatsächlich um ihr Bestehen fürchten? Autorin: Sarah Hölting Der Markteintritt Amazons in den Gemüse stößt Amazon in Deutschland deutschen Onlinefrischedienst sorg- auf weniger bestellfreudige Verbrau- te im Mai für Aufsehen und versetzte cher. So ist der Anteil der Nach-Hau- den ein oder anderen Supermarkt in se-Lieferung von Lebensmitteln in Alarmbereitschaft. Offiziell äußern Deutschland noch sehr gering. Wäh- wollen sich Rewe und Co. allerdings rend der Lebensmittelumsatz insge- nicht zum neuen Mitbewerber, sie samt zwischen 2015 und 2016 zwar um halten sich lieber bedeckt und be- rund 27 Prozent auf 932 Millionen Euro obachten die Lage. Wir haben daher nach oben schoss, lag der Anteil expli- mit Experten über die Auswirkun- zit online gehandelter Lebensmittel bei gen des Neulings auf die Branche ge- dürftigen 1,2 Prozent – so die Zahlen der sprochen und darüber, wie sich die Bevh-Konsumenten-Studie „Interakti- anderen Supermärkte jetzt am bes- ver Handel in Deutschland 2016“. ten verhalten sollten. Als Amazon-Gründer Jeff Bezos mit Schon jetzt ein „Großer“ seinem Frischedienst Amazon Fresh britisches Terrain betrat, war doch Dennoch glauben viele Experten, dass irgendwie klar: Ein Markteintritt in Amazon trotz dieser schwierigen Aus- Deutschland kann nicht mehr in weiter gangslage gute Chancen haben dürfte. Ferne liegen. Und die Spekulationen Denn was viele nicht wissen: „Amazon sollten sich bewahrheiten: Im Sommer war ja schon vor dem Start von Amazon schlug Amazon seine mit frischen Le- Fresh einer der größten Händler ver- bensmitteln gefüllten Warenlager in packter Lebensmittel in Deutschland FOTOS: GETTY IMAGES/JONATHAN KANTOR STUDIO, SUBJUG; Teilen von Hamburg sowie in Berlin und ist in diesem Sinne längst kein und Potsdam auf. Doch mit der Liefe- Neuling mehr“, bemerkt Jörg Walbaum, rung frischer Ware ist das so eine Sache, Senior Rating Analyst der europäischen denn Frisches ist eben auch schnell Ratingagentur Euler Hermes Rating verderblich. Daher fragte die Süddeut- (Ehrg), und verweist auf die Entwick- MONTAGE: ABSATZWIRTSCHAFT sche prompt: Und, kommt die Gurke lung des Umsatzes, den Amazon allein denn auch pünktlich? Und kam zu dem aus online verkauften Lebensmitteln Schluss: Ja, tut sie! Schade für die Su- in Deutschland erzielte. Dieser lag im permarktketten, gut für Amazon. Doch vergangenen Jahr bei rund 211 Millio- trotz zuverlässiger Lieferung und gut nen US-Dollar (rund 199 Millionen Eu- gekühltem, super frischem Obst und ro*) und damit rund 52 Prozent über 26 absatz wirtschaft 10 2017 * Währungskurs vom 9. Juni 2017
Titelgeschichte dem Onlineumsatz von Rewe und sogar zon-Kunden unter den Onlineshoppern 85 Prozent über dem von Lidl (siehe noch größer. Die Nutzung von Ama- Grafik auf Seite 29). zon sei für diese Gruppe ein fester Be- Betrachtet man den Umsatz, den standteil des Kaufprozesses geworden, die führenden Lebensmittelketten ins- heißt es in der Untersuchung. Produkte gesamt – also überwiegend offline – er- und Preise von Wettbewerbern würden zielten, schaffte es Amazon 2016 im Ver- stets mit dem Angebot und dem Preis- gleich allerdings „nur“ auf den sechsten niveau von Amazon verglichen. Mittler- Platz (siehe Grafik auf Seite 29). weile hat Amazon auch Google über- holt, wenn es bei Konsumenten um das Die Deutschen sind Amazons Thema Produktsuche im Internet geht. beste Kunden Der Erfolg des US-Giganten wirke sich auch auf die Offlinewelt aus: Gut ein Wenn auch nicht offline, so ist Amazon Drittel der befragten Amazon-Kunden zumindest schon jetzt im Onlinebereich (34 Prozent) gab an, mittlerweile sel- „DER“ Spitzenverkäufer. Das zeigt auch tener bei stationären Händlern einzu- diese – ziemlich bemerkenswerte – Zahl: kaufen, und die stehen nach Einschät- 90 Prozent der deutschen Onlineshop- zung des PwC-Handelsexperten Gerd per kaufen inzwischen bei Amazon ein, Bovensiepen daher vor großen Heraus- womit die Deutschen weltweit zu den forderungen. Denn die Digitalisierung besten Kunden von Amazon gehören. habe nicht nur die Art und Weise revo- Nur in Japan, Großbritannien, Italien lutioniert, wie Konsumenten Produkte und den USA ist der PwC-Studie „Total und Dienstleistungen kaufen. Amazon Retail 2017“ zufolge der Anteil der Ama- und Co. hätten auch neue Standards absatz 10 2017 wirtschaft 27
Titelgeschichte bei Liefergeschwindigkeit, Produktaus- Spezialisierung auf den Bereich Food/ das Bestellen und die Auslieferung geht wahl und -erlebnis gesetzt. Lebensmittelhandel, ist der Ansicht, schneller und wird von Amazon Prime Trotz der damit einhergehenden dass Amazon auf dem richtigen Weg sei: garantiert“, so Rüschen. Unter den vie- Schwierigkeiten für die Händler in den Das Angebot von Amazon Fresh umfasst len Amazon-Fresh-Produkten befinden Einkaufsstraßen bringt Amazon laut inzwischen insgesamt über 300 000 sich laut Versandgigant auch 6 000 Bio- Walbaum zur Freude vieler Konsumen- Artikel – rund 200 000 Non-Food-Pro- produkte sowie Artikel von etwa 25 Ber- ten mit seiner Professionalität, sowie dukte sind parallel zum Markteintritt in liner Feinkostgeschäften und ortsansäs- hohen Kundenorientierung, seinen ge- Hamburg hinzugekommen. Neben fri- sigen Lebensmittelhändlern, darunter planten hohen Servicestandards und schen Lebensmitteln und Produkten des Lindner Esskultur oder das Kochhaus. Kompetenzen Bewegung in den Markt. täglichen Bedarfs bietet Amazon Fresh Zudem nehme Amazon bewusst in Kauf, seitdem eine noch breitere Auswahl aus Schnell, schneller, Amazon kurz- bis mittelfristig kein Geld zu ver- den Bereichen Küche, Sport sowie Spiel- dienen und den Onlinelebensmittel- und Schreibwaren. „Rewe und Kaufland Neben einem umfangreicheren Angebot markt gewohnt aggressiv und innovativ kommen hingegen auf nur 10 000 – was punktet Amazon aber auch mit schnel- mitzugestalten. Auch Stephan Rüschen, weniger ist als in ihren Läden. Allein leren Lieferzeiten. Während beispiels- Professor an der Hochschule DHBW Heil- dadurch schafft Amazon für den Kun- weise Rewe als schnellste Option eine bronn im Studiengang BWL-Handel mit den eine ganz andere Qualität. Auch Lieferung am Folgetag anbietet, liefert Amazon noch am Tag der Bestellung – und zwar zwischen acht und 22 Uhr mit einem Wartefenster von nur zwei Stun- den. Und wer am Vortag bereits genau weiß, was er am nächsten Morgen zum Frühstück essen möchte, kann sich sei- nen Warenkorb sogar ab fünf Uhr mor- gens an einen gewünschten Ort wie den Garten liefern lassen. Neben tagglei- cher Lieferung gibt Amazon sei- nen Kunden zusätzlich ein „Frischeversprechen“. Das machen zwar die Wettbewerber auch, jedoch geht Amazon noch einen Schritt weiter: Wenn ein Ar- tikel nicht verfügbar ist, liefert Amazon einen Ersatzartikel, dem Kunden werden dann weder der be- stellte noch der Ersatzartikel be- rechnet. In den Augen Walbaums schon „eine echte Service-Hausmarke“. Warum Stadt statt Land? Doch warum startet Amazon Fresh in Großstädten, wo es dort doch sowieso schon so viele Supermärkte gibt? „Hier- bei geht es um die hohe Auslastung. MONTAGE: ABSATZWIRTSCHAFT; INFOGRAFIK: ABSATZWIRTSCHAFT FOTOS: GETTY IMAGES/SUBJUG, SJOERD VAN DER WAL, FLOORTJE; Der Gegenentwurf wäre die Belieferung des ländlichen Raums, doch da gibt es eine ganz andere Auslastung der Lie- ferkapazitäten. In Großstädten lebt ein höherer Anteil an Menschen, die eine Affinität zu Onlinelebensmitteln ha- ben, als auf dem Land“, meint Profes- sor Dominik Große Holtforth, der das E-Commerce Institut Köln der Hoch- schule Fresenius leitet. Auch Rüschen hat eine klare Meinung: „Die Zielgrup- pe in der Stadt passt besser zu so einem 28 absatz wirtschaft 10 2017
Titelgeschichte Die 5 Top-Onlineshops für Bruttoumsatz der führenden Unternehmen im Lebensmittel und Getränke Lebensmittelhandel in Deutschland nach Umsatz, in Deutschland im Jahr 2016 nach Umsatz, in Deutschland im Jahr 2016 (in Millionen Euro) (in Millionen US-Dollar) 250 Edeka 53,8 Quelle: Ecommercedb.com, Statista, LZ, 2017 Schwarz-Gruppe 37,76 200 Rewe 35,77 Aldi 28,32 150 26,27 Metro Amazon 10,4 100 Lekkerland 9,27 Tengelmann 7,57 50 dm 7,5 Rossmann 6,1 0 .de om .de sli.c zon sko .de l.de e 4,92 a we we mu Globus Am Ha Re Lid My Quelle: Statista, 2017 Dienst, dazu geht es um eine profitable Frachtflugzeuge sowie Paketwagen und Auslieferung. Die ist in der Stadt besser experimentiert mit der Lieferung über gewährleistet, wenn man auf einer Stra- Drohnen und autonome Fahrzeuge. ße sechs Stopps machen kann, anstatt „Langfristig erwarten wir, dass Amazon 20 Minuten aufs Land rausfahren zu sein Ziel umsetzt und verstärkt Waren – müssen. Ich denke, im zweiten Schritt darunter auch Lebensmittel – in Eigen- werden auch die ländlichen Regionen regie zustellen wird“, schätzt Walbaum. beliefert.“ Auch die Zahlen belegen Mit DHL hat sich Amazon auch für einen die höhere Rentabilität eines Starts in Partner entschieden, der 80 Prozent des Großstädten: „Bislang steht Amazon deutschen Marktes logistisch abdeckt Fresh nur Amazon-Prime-Kunden zur und sich dadurch qualifizierte, dass er Verfügung. Geschätzt hat Amazon aktu- bereits unter dem Namen Allyouneed ell zwischen 17 und 18 Millionen Prime- Fresh einen Lebensmittel-Lieferdienst Kunden in Deutschland, davon sicher- betreibt. Dennoch, für Rüschen spricht lich mit mehr Marktanteilen und Dichte wenig für eine Kooperation mit DHL: in Großstädten als in Kleinstädten oder „Diese Kooperation war für mich über- im ländlichen Raum“, sagt Walbaum. raschend und scheint für mich auch Für die Lieferung setzt Amazon falsch zu sein. Der Fahrer ist das einzige nicht auf eine eigene Flotte, sondern Gesicht, das der Kunde bei der Auslie- arbeitet mit der Deutschen Post DHL ferung sieht. Da würde ich als Zuliefe- zusammen. „Dadurch schont Amazon rer meine eigenen Leute einstellen, die anfangs finanzielle Ressourcen. Der dann als Mitarbeiter von Amazon agie- deutsche Lebensmittelmarkt ist ein ren und darauf vorbereitet sind.“ Lange hart umkämpfter Markt mit geringen wird es allerdings nicht dauern, ist sich Margen. Amazon sieht das Ganze an- Rüschen sicher, bis Amazon selbst neue fangs auch als Lernphase. Die Logistik Lieferwagen anschafft und Mitarbeiter und vor allem die Effizienz der soge- einstellt. nannten letzten Meile ist im Onlinele- bensmittelhandel unter anderem durch das Einhalten der Kühlkette erfolgskri- Liefervoraussetzung: das tisch“, sagt Walbaum. Allerdings beob- Amazon-Prime-Konto – ein achte er, dass Amazon parallel die eige- Hemmnis? nen Vertriebswege sukzessive ausbaut. So bietet Amazon Paketboxen und Lie- Ein großer Unterschied und besonders ferungen per Fahrradkurier an, betreibt vorteilhaft im Vergleich zu anderen absatz 10 2017 wirtschaft 29
Titelgeschichte Bestellungen hat Amazon ganz ande- re Möglichkeiten als die Wettbewerber, über Skaleneffekte und Bündelung die Kostenprobleme in den Griff zu bekom- men. Und das Prime-Serviceangebot wird stetig weiterentwickelt, um die Attraktivität zu erhöhen“, so Walbaum. Langfristig erwartet Walbaum auch, dass weitere Angebote wie zum Beispiel Kommunikation und Mobilität in das Prime-Programm integriert werden, um daraus weitere monetarisierbare Daten zu gewinnen. Mit Amazon Echo schlei- che sich bereits ein smarter Sprachassis- tent in die Haushalte der Konsumenten, mit dem perspektivisch weitere neue E-Commerce-Potenziale erschlossen werden könnten. Vor dem Hintergrund der hohen Markteintrittsbarrieren durch die hohe Supermarktdichte und das stark ausgeprägte traditionelle Kaufver- halten hätte der Experte jedoch ein an- Nach Berlin und Potsdam startete Amazon seinen Lebensmittel-Lieferdienst Fresh auch in deres Preismodell erwartet: Im Vergleich Hamburg. Insgesamt sollen 300 000 Artikel verfügbar sein zu Streaming- und Cloud-Diensten er- kennt der Kunde in der Zusatzgebühr von 9,99 Euro für Lebensmittel nicht so- fort einen unmittelbaren Mehrwert. Sparmentalität schreckt Onlineshops ist zudem Amazons Finan- Deutsche zierungsmodell seines Frischedienstes von Gebühren ab über das Prime-Programm: „Gerade in den Metropolen ist die Zielgruppe der Was die Liefergebühren betrifft, sieht es Personen, die bereit sind, für Bequem- Hudetz ähnlich wie Walbaum und weist lichkeit im Lebensmitteleinkauf auch auf die Preissensibilität der Deutschen einen Aufpreis zu bezahlen, vergleichs- hin: „Es existieren ja ereits zahlreiche On- weise groß. Amazon entwickelt sich lineangebote im Lebensmitteleinzelhan- damit für seine Prime-Kunden zum del, grundsätzlich sind die Deutschen Universalanbieter über alle Produkt- demgegenüber auch sehr aufgeschlos- kategorien hinweg“, meint Kai Hudetz, sen. Aber die Masse der Konsumenten Geschäftsführer des IFH Köln. Für ei- ist sehr preissensibel, so dass die Kosten ne Prime-Mitgliedschaft müssen Kun- für die Liefergebühren kaum umgelegt den eine einmalige Aufnahmegebühr werden können.“ Dazu passt auch ein Er- FOTOS: GETTY IMAGES/FLOORTJE, AMAZON, EDEKA, LIDL, REWE; MONTAGE: ABSATZWIRTSCHAFT von 70 Euro zahlen. Um Amazon Fresh gebnis, zu dem Vexacash in einer Studie nutzen zu können, wird – zumindest in kommt: Danach steht Deutschland im der Testphase – zusätzlich eine Monats- weltweiten Vergleich mit 10,3 Prozent an gebühr von 9,99 Euro fällig. Immerhin neunter Stelle der Gering-Ausgeber für sind dann Lieferungen ab einem Min- Nahrungsmittel. 355 Euro investieren destbestellwert von je 40 Euro gratis. wir hierzulande in unseren monatlichen Sind diese Beträge nicht hinderlich? Bedarf an Essen und Getränken. Und das Nein, wenn der Kunde dadurch bei Einnahmen von ungefähr 3 451 Eu- Vorteile oder Mehrwerte sieht, glaubt ro. Somit könnte die Sparmentalität der Walbaum, für den das Mitgliedermo- Deutschen den Onlinehandel ausbrem- dell zweifelsohne eines der erfolgreichs- sen, die sicher vor Versandkosten bei ten Kundenbindungsinstrumente am Onlinebestellungen zurückschrecken, Markt ist. „Mit Prime bündelt Amazon so Vexacash. schon heute seine vielfältigen Dienst- Zeitnahe Lieferung, frische Lebens- leistungen, vom Streaming-Dienst bis mittel, ein 1-a-Finanzierungsmodell – zum Premium-Lieferservice. Über das alles keine besonders schlechten Voraus- Abo-Modell und die Bündelung von setzungen für Jeff Bezos, auf dem deut- Lebensmittellieferungen mit anderen schen Markt erfolgreich Fuß zu fassen. 30 absatz wirtschaft 10 2017
Titelgeschichte Inländische Anbieter wie Rewe, Edeka oder Lidl sollten dies lieber nicht auf die leichte Schulter nehmen, hat Ama- zon doch immer wieder Benchmarks gesetzt und bereits in vielen Segmenten und Services eine Leuchtturmfunktion übernommen. Zudem ist Amazon – sei es als Marktplatz, als Logistik- oder als IT-Anbieter – als Teil der Infrastruktur im Onlinehandel nicht mehr wegzuden- ken. Doch was sollen „unsere“ Super- märkte tun: in Ehrfurcht erstarren, mit Amazon kooperieren oder lieber ihre eigenen Konzepte prüfen und gegebe- nenfalls optimieren? Rewe und Edeka üben sich zwar nicht offenkundig in Ehrfurcht, experimentieren aber mit Das Sortiment von Edekas Onlineshop ist mit über 20 000 Produkten groß. Die Lieferzeiten dezentralen Multichannel-Ansätzen. sind mit bis zu vier Werktagen jedoch recht lang. Auch der Mindestbestellwert für eine Gratis- Walbaum vermutet eher, dass die Reak- lieferung liegt mit 70 Euro höher als bei Amazon Fresh tion von Rewe und Edeka eine Reaktion auf das sich ändernde, zunehmend ka- nalübergreifend werdende Kaufverhal- ten ist und der Sicherung der Marktpo- sition dienen soll beziehungsweise den Markteintritt von Amazon erschweren soll: „Allerdings haben beide sehr starre und komplexe Strukturen sowie kaum Data-Analytics-Expertise, da wird es schwierig, Amazon einzuholen.“ Edeka „besorgt’s ganz Berlin“ Der Edeka-Verbund sorgte beispiels- weise mit der Übernahme von Bring- meister, der bislang zu Kaiser’s Ten- gelmann gehörte, für Aufsehen. Im Mai starteten die beiden neuen Partner Der Discounter Lidl bietet in seinem Onlineshop nach eigenen Angaben rund 30 000 Artikel unter dem Slogan „Bringmeister be- an. Davon sind aber nur etwa 4 000 Produkte Lebensmittel und Drogerieprodukte. Für frische sorgt es ganz Berlin“ in der Hauptstadt Lebensmittel hat Lidl keinen Liefer- oder Abholservice durch, wo sie seither Onlinebestellun- gen von frischen Lebensmitteln und ein Supermarktwarensortiment von 13 000 Artikeln in allen Berliner Post- leitzahlengebieten ausliefern. Dabei setzen Edeka und Bringmeister beson- ders auf Frischwaren. Obst und Gemüse sowie Fleisch, Wurst und Käse können grammweise bestellt werden. Dabei gewährt Bringmeister eine Frische- garantie: Ist die gelieferte Ware nicht frisch, gibt es das Geld zurück. Neben dem Bringmeister-Sortiment können die Kunden außerdem die Eigenmar- ken-Produktpalette von Edeka und Gut & Günstig bestellen. Rewe setzt aufs eigene Pferd Weniger Produkte (runs 9 000), dafür aber auch frische Produkte wie Gemüse und Obst finden Auch Rewe ist wie Edeka mit seinem sich im Onlineshop von Rewe. Der Mindestbestellwert von 40 Euro für eine versandkostenfreie Onlineservice in Berlin vertreten – Lieferung ist deckungsgleich mit dem von Amazon Fresh insgesamt in 75 Städten, darunter absatz 10 2017 wirtschaft 31
Titelgeschichte Hamburg, Frankfurt, München und Doch nicht nur der Marktplatz ist eine So geht Rewe bereits seit Längerem mit Köln sowie das Umland. Doch ein einfa- neue Entwicklung in der Rewe Group, neuen On- und Offlineformaten in die cher Onlineshop reicht der Handelsket- auch die Discounter-Tochter Penny ist Offensive. Im Vergleich zu unmittel- te scheinbar nicht mehr, um sich sicher jetzt mit einem eigenen Onlineshop baren Wettbewerbern werde Rewe da- für die Zukunft aufgestellt zu fühlen. digital gegangen. Damit hatte wohl durch aktuell als viel innovativer bei Daher entstand im Sommer ein Online- niemand gerechnet, fehlte von der Bil- den Konsumenten und im Markt wahr- marktplatz, über den Kunden nicht nur ligkette trotz der Präsenz von Mitbewer- genommen. „Zudem verfolgt Rewe im aus dem Sortiment von Rewe wählen bern wie Lidl und Netto doch bisher je- Onlinebereich ambitionierte Ziele. Im können, sondern auch Produkte ande- de Spur im Netz. Jahr 2016 konnte Rewe im Onlinehandel rer Hersteller bestellen wie Deko-Arti- Ist diese Entwicklung bei Rewe viel- bereits einen Umsatz von mehr als 100 kel, Spielzeug oder Geschirr. Oberstes leicht doch eine Reaktion auf den Markt- US Dollar erwirtschaften. Bis 2020 will Ziel sei es, „dass Kunden eine zentrale eintritt von Amazon Fresh in Deutsch- Rewe die Onlineumsätze auf 800 US Anlaufstelle für ihren gesamten Ein- land? Steigt der Druck, online breiter Dollar steigern. Zur Umsetzung der Mul- kauf des täglichen Bedarfs haben“, sagt aufgestellt zu sein, um den US-Gigan- tichannel-Strategie gehört dabei auch Jean-Jacques van Oosten, Chief Digi- ten nicht ungehindert auf die Überhol- die Eröffnung des Penny-Onlineshops, tal Officer Rewe Group. Die erste Test- spur rasen zu lassen? Laut Walbaum um die Zielgruppenbasis zu erweitern phase startete mit Partnern wie Dall- ist Rewes Kurs nur eine konsequente und sich gegenüber den Onlinestrate- mayr, Mytoys oder Idee Creativmarkt. Fortsetzung seiner bisherigen Strategie. gien der anderen Discounter zu positio- nieren, die bislang eher zögerlich agie- ren“, so Walbaum. Mit dem virtuellen Marktplatz-Konzept testet Rewe einen Online- One-Stop-Shopping-Ansatz, wie ihn auch Amazon und Co. verfol- gen. Rewe will mit dem Ansatz auf den Konsumtrend reagieren, dass Kunden immer weniger Zeit für den Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs aufwenden wollen“, weiß Walbaum. Auf den ersten Blick ähnelt es dem Amazon-Ansatz, „jedoch soll es im Gegensatz zu Amazon keine offene Plattform werden, sondern eine geschlossene Themenplattform mit Bezug zum Food-Geschäft. Vom Ansatz her ist es der richtige Weg, denn Plattformkonzepten und der sinnhaften Vernetzung verschiedener Teilnehmer gehört die Zukunft. Der Erfolg wird je- doch sehr stark von der Attraktivität der Partner, dem Servicelevel und der Dif- ferenzierung zu Amazon abhängen“, ist sich der Experte sicher. Während Rewe also eigene Wege geht und sich als starker Mitbewerber zu Amazon aufstellen möchte, verhal- ten sich die anderen „Großen“ bisher bedeckt. Vielleicht fassen sie still und FOTO: GETTY IMAGES/STUDIOCASPER, IFH KÖLN; MONTAGE: ABSATZWIRTSCHAFT heimlich eine Partnerschaft mit Ama- zon ins Auge, so wie es Berliner Fein- kostgeschäfte und ortsansässige Le- bensmittelhändler bereits tun? Nicht von Interesse, zumindest für die „Gro- ßen“, meint Walbaum: „Der deutsche Markt wird von Edeka, Rewe sowie Aldi und Lidl dominiert. Die großen Play- er haben bislang kein Interesse daran, sich ‚den Feind‘ ins Haus zu holen. Sie wollen es lieber selber machen.“ Große Holtforth hingegen sieht Ama- zon selbst als Bremsklotz: „Amazon ist kein kooperatives Unternehmen. Wenn man sich die Gesamtstrategie 32 absatz wirtschaft 10 2017
Titelgeschichte des Unternehmens ansieht, weiß man, se Digital- und Data-Analytic-Kompetenz Lidl-Sortiment bedeuten. Grund sei, dass es den Anspruch hat, alle liefer- aufgebaut werden. Dafür braucht man dass Lidl um seine Preisführerschaft baren Produkte im Sortiment zu be- ganz andere Kompetenzen und Mitarbei- bange – unabhängig von der Prime-Mit- sitzt und nur Kooperationen mit klei- ter als im stationären Handel“, begründet gliedschafts-Gebühr und der Monats- nen Händlern eingeht.“ Aufgrund der Walbaum die größere Offenheit der klei- gebühr. Denn bei vielen sogenannten überwiegend noch sehr schwachen neren Supermärkte. Übrigens, während Eckartikeln wie Kaffee, Milch oder Ausprägung der Digital- und Data-Ana- sich die großen Supermärkte eher zieren, Schokolade unterbietet Amazon den lytics-Kompetenz aufseiten der großen bewies unter den Drogerien gerade ein stationären Handel bereits. deutschen Lebensmittelhändler erwar- „Großer“ mehr Zugewandtheit. So gab Aldi hingegen gibt sich – zumindest tet Walbaum, dass mit zunehmenden Rossmann im August bekannt, dass es nach außen – gelassen. Doch scheinbar Verschiebungstendenzen zum Inter- rund ein Viertel seiner Artikel über den will auch dieser deutsche Discounter nethandel auch der Handlungsdruck Lieferservice Prime Now anbieten will. das boomende Geschäft mit online ge- perspektivisch steigt. Walbaum spielt Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit handelten Lebensmitteln nicht an sich dabei auf die aktuellen Entwicklungen ist Berlin, wo Prime-Kunden über Ama- vorbeiziehen lassen. So gab Aldi Ende in den USA an beziehungsweise auf die zon bereits ausgewählte Angebote einiger August eine Partnerschaft mit dem ka- geplante Kooperation zwischen Walmart lokaler Händler wahrnehmen können. lifornischen Start-up Instacart bekannt, und Google. Walbaum kann sich gut vor- die US-Kunden das Bestellen im Inter- stellen, dass perspektivisch auch einer Steigende Nervosität – net und die Lieferung von Aldi-Arti- der „Big-Four-Lebensmittelhändler“ ei- vor allem bei Lidl keln nach Hause ermöglichen soll. Das ne Kooperation mit Google eingeht, um Pilotprogramm startet in den Städten Zu- kunftsthemen zu entwickeln. Als Bei- Wie nervös einige große Player dann Atlanta, Dallas und Los Angeles – mit spiele nennt Walbaum Bestellungen über doch werden, zeigt unter anderem ausdrücklichem Potenzial für künftige Sprachassistenten oder die Verknüpfung die Reaktion von Lidl, das bereits vor Expansionen. Bei Instacart wählen Kun- von On- und Offlinekundendaten, um neun Jahren mit seinem Onlineshop den ein Zeitfenster für die Zustellung Rückschlüsse über das kanalübergrei- in den elektronischen Handel einstieg und füllen per Mausklick einen virtuel- fende Kaufverhalten der Kunden zu und dessen Angebot rund 30 000 Ar- len Warenkorb, Bestellung und Bezah- ziehen und absatzorientiert Angebote tikel umfasst. Der Discounter drohte lung erfolgen ebenfalls digital über App anzupassen. laut „Lebensmittel Zeitung“ all seinen oder Website. Aldi und Instacart ver- Lieferanten, dass sie mit Sanktionen sprechen Lieferzeiten ab einer Stunde. Tegut lässt sich auf Amazon- rechnen müssen, wenn sie mit Ama- Partnerschaft ein zon kooperieren. Dies könnte sogar ei- Von wegen „Offline ist out“ ne Aussortierung der Artikel aus dem Dass die „kleineren Player“ sich tatsäch- Doch die Konkurrenz sollte nicht nur lich eher auf eine Kooperation einlassen, beobachten, was Amazon online auf die zeigt das Beispiel des aus Fulda stam- Beine stellt, sondern auch, dass Amazon menden Vollsortimenters Tegut, der sein die Offlinewelt nicht aus den Augen ver- Onlinelebensmittelgeschäft beziehungs- liert. So investierte Jeff Bezos im Som- weise Trockensortiment zukünftig über mer in den Einzelhandel und übernahm Amazon abwickeln wird. Doch warum Whole Foods, das für ökologisch nachhal- kooperieren kleine Supermärkte wie Te- Amazon entwickelt sich tige Waren in den USA steht. Die Biokette gut eher mit Amazon? Zum einen können für seine Prime-Kunden zum wurde für rund 13,7 Milliarden US-Dollar die kleineren regionalen Supermarkt- Universalanbieter verkauft. Den jüngsten Zahlen nach zu ketten von Amazons Reichweite profi- urteilen gibt es 461 Lebensmittel-Super- tieren und über die Amazon-Plattform Kai Hudetz, märkte – 440 Geschäfte in den USA, wei- ihren überregionalen Bekanntheitsgrad Geschäftsführer des IFH Köln tere zwölf in Kanada und neun in Groß- steigern, wenn sie zum Beispiel in neue britannien. In dem Kaufpreis für Whole Regionen expandieren wollen. Zum an- Foods enthalten: die rund 3,1 Milliarden deren ist es ein Ressourcen- und Kom- US-Dollar Schulden. Rund 87 000 Mit- petenzthema. Für das digitale Geschäft arbeiter arbeiten bei der Bioladenkette. sind hohe Investitionen notwendig. Un- Welchen Effekt die Übernahme auf die ter anderem in Personal, Logistik und IT. Branche hat, zeigt ein Blick auf die Bör- Gleichzeitig ist auch nicht gesichert, dass se: Denn nachdem Amazon die Über- sich die Investitionen amortisieren und nahme im Juni bekannt gab, stürzten das Onlinegeschäft mittelfristig rentabel kurzerhand die Aktienkuruse der großen wird und nachhaltig Erträge abwirft. „Es Lebensmittelhändler ab. Was denkt sich genügt nicht einfach, einen Onlineshop Bezos bei dem Kauf? Große Holtforth ist angeschlossen zu haben. Das haben wir sich sicher, dass es eine Strategie dahinter schon in anderen Branchen gesehen. gibt:„Amazon will ‚Allesverkäufer‘ sein Der Onlineshop muss stetig gepflegt und und stellt ‚Customer-Obsession‘ in das weiterentwickelt werden. Die Customer- Zentrum seiner Strategie. Das bedeutet, Journey muss analysiert beziehungswei- dass Amazon in den Kanälen Waren absatz 10 2017 wirtschaft 33
Titelgeschichte Im realen Supermarkt – wie hier bei Edeka – können die Kunden noch selbst entscheiden, welche Banane ihnen am meisten zusagt. Vielleicht ein Grund dafür, warum stationäre Filialen in Europa und den USA nach wie vor der wichtigste Absatzkanal sind. Ob Amazon das ändern kann? anbietet, die die Kunden favorisieren. Kanäle im Wesentlichen getrennt blei- Und bei Lebensmitteln ist sowohl in ben.“ Whole Foods ist somit groß genug, den USA als auch in Europa die statio- um als neuer Kanal im Amazon-Portfo- näre Filiale nach wie vor der wichtigste lio eine Rolle zu spielen, aber zu klein, Kanal. Hier kann Amazon seinen Ein- um die expansive Strategie bei Amazon fluss durch den Zukauf deutlich vergrö- Fresh zu ersetzen. „Es wird vermutlich ßern. Allerdings darf dieser Zuwachs eine Schnittmenge geben – ein Online- nicht überschätzt werden. Whole Foods versand mit Filialanschluss und einen hat in den USA etwa 440 Filialen, der Filialbetrieb mit Onlineinnovationen“, große Konkurrent Walmart in den USA glaubt Große Holtforth. etwa zehnmal so viel, also über 4 600.“ Für die Offlinewelt hält Ama- zon den von Große Holtforth er- Wird Amazon Fresh zum wähnten, futuristisch anmuten- Nebenschauplatz? den kassenlosen Supermarkt „Amazon Go“ bereit. „Go“ Bedeutet das, Amazon könnte auch in deswegen, weil die Kunden Deutschland eine Supermarktkette kau- einfach aus dem Laden spa- fen, sie technologisch aufrüsten und so- zieren können, ohne sich ein mit für neue Konkurrenz auf dem Markt einziges Mal an einer Kasse sorgen? Was passiert dann mit Amazon anzustellen oder an einem Fresh? Bleibt es nur ein kleiner Neben- Automaten zu bezahlen. schauplatz? „Ich sehe nicht, dass die Einzig erforderlich ist, Akquisition von Whole Food Amazon die Amazon-Go-App auf Fresh in Frage stellt. Vielmehr dürften dem Smartphone zu ins- die Whole-Food-Filialen Amazon Fresh tallieren und beim Betre- ergänzen und auch die eine oder ande- ten des Supermarktes einen re Synergie zulassen. Ich denke, dass QR-Code-ähnlichen „Key“ zum Amazon beide Kanäle eigenständig ent- Öffnen der Eintrittsschranke wickelt. Sicher werden Whole-Foods-Fi- einzuscannen. Sensoren und Deep- lialen digitalisiert, dabei kann Amazon Learning-Algorithmen, wie sie auch bei auf Konzepte und Technologien seines autonom fahrenden Autos zum Einsatz Muster-Stores Amazon Go zurückgrei- kommen, überwachen dann, was der fen. Außerdem könnten die Filialen die Kunde in seine Tasche legt. Entscheidet Amazon-Fresh-Infrastruktur ergänzen, er sich doch gegen ein Produkt und legt zum Beispiel als Rückgabestationen“, es zurück ins Regal, aktualisiert sich der weiß Große Holtforth. „Allerdings dürfte virtuelle Warenkorb automatisch. Nach aufgrund der Unterschiedlichkeit der lo- dem Verlassen des Geschäfts wird die gistischen Prozesse zwischen Filial- und fällige Summe vom Amazon-Konto ab- Versandbetrieb auch die Logistik beider gebucht. Um in den Genuss des stress- 34 absatz wirtschaft 10 2017
Titelgeschichte Störfaktoren im Supermarkt Eine repräsentative Umfrage unter 1 058 Deutschen zwischen 18 und 70 Jahren zu Aspekten, von denen sie sich beim Einkauf im Supermarkt gestört fühlen Andere Kunden Zu nahes Aufrücken Kassierer 75,6 Männer sagen: Frauen sagen: 46,7 Prozent der Befragten fühlen sich gestört, wenn 50,4 72,9 Prozent der Männer stören sich daran, wenn sie an andere Kunden die Gänge Prozent stören sich daran, Prozent stören sich daran, der Kasse nicht begrüßt im Supermarkt blockieren, wenn Männer an der Kasse wenn Männer an der Kasse werden weil sie eine Unterhaltung führen zu nah aufrücken 38,0 zu nah aufrücken 64,0 55,2 Prozent der Frauen finden das störend Prozent stören sich an Prozent stören sich an zu nahem Aufrücken von Frauen zu nahem Aufrücken von Frauen 44,2 Prozent der Männer stören sich an zu langsamem Kassenpersonal 51,1 Prozent der Frauen finden das störend 40,9 82,8 Prozent der Männer stören Prozent der Deutschen sich an zu schnellem stört es, wenn sich andere Kassieren Kunden an der Super- marktkasse vordrängeln wollen 49,1 Prozent der Frauen finden das störend Quelle: Mymarktforschung.de, 2016 freien Einkaufserlebnisses zu kommen, machen“, meint Walbaum und weiter: Den Jungen könnte es gefallen muss man allerdings – noch – in Seattle „Zu lange warten, langsame oder un- wohnen, wo der erste Store eröffnet hat. freundliche Kassierer sind bekannte Punkten könnte Amazon mit dem auto- Da sich das Konzept außerdem erst in Probleme, die auch Rewe und Co. ken- nomen Supermarkterlebnis vor allem bei der Testphase befindet, können auch nen. Aber solange es die Konsumenten jungen Kunden, die in ihrer Mittagspause nur Amazon-Mitarbeiter hier einkaufen. ertragen, haben die dominanten Unter- auf der Suche nach einem Snack für zwi- Läuft alles wie geplant, soll der Super- nehmen im Markt keine großen Ambi- schendurch sind oder nach der Arbeit markt seine Türen Anfang nächsten Jah- tionen, das Konzept umzustellen.“ Zum noch Kleinigkeiten einkaufen möchten, res aber für alle Amazon-Kunden öffnen. einen sei die Umrüstung ein Kostenfak- denn: Bisher werden in dem Store vor Wäre das kassenlose System nicht tor, zum anderen müsse man wissen, allem Schnellversorgungs- beziehungs- auch etwas für Deutschland? Betrach- dass die Kassenzone einer der umsatz- weise Convenience-Produkte angeboten. FOTOS: GETTY IMAGES/ISABELLE ROZENBAUM, PRIVAT; tet man die oben stehende Grafik, fällt stärksten Bereiche im Supermarkt ist. Unter den Älteren, die oftmals verstärkt zumindest schnell auf: Kunden stören Studien belegen, dass der Quadratme- auf Beratung setzen und wenig techni- ILLUSTRATIONEN: ABSATZWIRTSCHAFT (5) sich am Schlangestehen, an Dränglern terumsatz je nach Größe des Marktes kaffin sind, dürfte Amazon den traditio- und an unsympathischen Kassierern. durchschnittlich bei über 30 000 Euro nellen Händlern eher keine Konkurrenz „Auch wenn die ersten Tests bei Ama- liegt, was rund das Sechsfache des Um- machen. Hinzu kommt, dass man für den zon Go noch nicht so erfolgreich verlau- satzes aller anderen Abteilungen ist. Einkauf bei Amazon Go über ein Kun- fen sind: Mittel- bis langfristig werden „Eine Veränderung oder Abschaffung denkonto verfügen und die App installie- sich solche Konzepte durchsetzen, die der Kasse würde ganz neue Ansätze in ren muss. Damit macht man sich jedoch technologische Entwicklung wird da der Sortimentspolitik nach sich zie- überwachbar, denn mit der App sowie mit noch einige ‚smarte Lösungen‘ möglich hen“, so Walbaum. im Markt integrierten Beacons folgt absatz 10 2017 wirtschaft 35
Titelgeschichte Amazon den Kunden auf Schritt und Umsatzentwicklung von dass Amazon das Onlinegeschäft be- Tritt, weiß, an welchen Regalen sie be- Amazon Fresh und herrscht wie kein anderes Unternehmen. sonders lange verweilen oder was ihre „Amazon hat bereits heute eine Lieblingsprodukte sind. Dies könnte ein Prime Now sehr breite Kundenbasis, deren On- Grund sein, warum sich viele Menschen Prognose für Deutschland von 2016 bis line- beziehungsweise Kaufverhalten es gegen den Einkauf bei Amazon Go ent- 2021 (in Millionen Euro) aus dem Effeff kennt. Amazon kommt scheiden. Würden hingegen Ketten wie auch dem sich ändernden Kaufverhal- Edeka oder Rewe, zu denen die Kunden 125 ten entgegen. Für die Kunden wird ka- bereits über Jahre Vertrauen aufgebaut Prime Now nalübergreifender und bequemer Kon- haben, ähnliche Konzepte einführen, Amazon Fresh sum zunehmend Normalität. Bisher hat wäre es auch durchaus hierzulande 100 nur das Angebot gefehlt, das kommt denkbar, dass kassenloses Einkaufen zu- jetzt in den Markt. Mit den hohen Ser- mindest unter den jungen Erwachsenen 75 vice-Benchmarks sollen Bestellern ein Erfolgsgarant sein könnte. die Kaufhürden genommen und eine schnelle Marktdurchdringung erreicht Fazit: Deutschlands etablierte 50 werden“, prognostiziert Walbaum die Größen müssen umdenken guten Etablierungs- und Marktchancen in Deutschland. Und das Schlagwort 25 Auch wenn viele Supermärkte Amazon „kanalübergreifender Konsum“ nimmt noch nicht offenkundig als ernsthafte Amazon sehr ernst, wandelt es sich Konkurrenz bezeichnen würden, sollten 0 durch die Übernahme der US-Bio-Su- die etablierten Händler wie Edeka und permarktkette Whole Foods doch vom Rewe dennoch die Entwicklungen bei reinen Onlinehändler zum Multi-Chan- Amazon im Auge behalten. Denn ins- -25 nel-Verkäufer. Noch haben die Super- gesamt lässt sich wohl nicht bestreiten, 2016 2017 2018 2019 2020 2021 märkte hierzulande zwar Oberwasser, Quelle: LZ (LZ Retailytics), Statista dennoch sollten sie sich nicht vor Mul- tichannel-Konzepten verschließen und den rein stationären Handel zwingend mit dem Netz-Shopping verbinden. Fest steht auch, dass Amazon Fresh früher oder später weiter in Deutschland eingeführt wird: „Wir sind gestartet mit einem großen Sortiment, mit dem Kun- den in einem begrenzten Liefergebiet den kompletten Wocheneinkauf online erledigen können (…). Kunden schätzen die Kombination aus großer Auswahl, flexiblen Lieferoptionen und guten Prei- sen. Die Messlatte im Lebensmittelein- zelhandel liegt sehr hoch. Deshalb neh- men wir uns die Zeit, unseren Service auf Basis des Kunden-Feedbacks weiter zu verbessern. Dabei überlegen wir sehr genau, wie wir Amazon Fresh erweitern werden. Aber klar ist: Wir wollen Ama- zon Fresh in Zukunft auch für Kunden in anderen Gebieten Deutschlands ver- fügbar machen“, so Amazon-Pressespre- cherin Christine Maukel. Gesellschaftlich sollten wir eines nie vergessen: auf die Nachhaltigkeit der ABSATZWIRTSCHAFT; INFOGRAFIK: ABSATZWIRTSCHAFT FOTOS: GETTY IMAGES/JULICHKA, PRIVAT; MONTAGE: neuen Entwicklungen achtzugeben. Zu viel Verpackung, Lieferfahrzeuge mit Dieselmotor und eine schlechte Lebens- mittelqualität können dazu führen, dass das Projekt der Onlinebestellung zu ei- nem Desaster wird. „Ich bin davon über- zeugt, dass E-Commerce die Welt verbes- sern kann. Aber man muss darauf achten, dass solche Projekte die Welt nicht ver- schlechtern“, meint Große Holtforth. 36 absatz wirtschaft 10 2017
Titelgeschichte Wie viel Potenzial steckt im E-Food-Markt? Ist der neue Online-Food-Hype nur ein Strohfeuer oder ist er eine sinnvolle Shopping-Ergänzung? Stephan Rüschen, Professor an der Der Bundesverband E-Commerce und und Nischenprodukte, die man stati- Hochschule DHBW Heilbronn im Versandhandel Deutschland (Bevh) onär nicht flächendeckend, aber im Studiengang BWL-Handel, hat für den geht ebenfalls von einem moderaten Onlinehandel überall hin bekommt. gesamten Markt eine positive Vermu- Wachstum aus: In den kommenden Damit ersetzt der Onlinekauf nicht den tung: „Ich denke, dass wir 2025 an die drei bis fünf Jahren müsste der Anteil Bummel über den Wochenmarkt oder Zehnprozentmarke rankommen kön- des E-Commerce an Lebensmitteln zum Schlachter oder zum Gemüse- nen, was dann schon sehr viel wäre. Es laut Verband auf drei bis fünf Prozent händler, ergänzt ihn aber. Gleichzeitig ist ein angebotsgetriebener Markt, der wachsen. „Die Voraussetzungen dafür bietet er attraktiven und spezialisierten Wachstumspotenzial hat. In Berlin gibt sind heute schon angelegt: Noch mehr Stationärhändlern Existenz und Wachs- es jetzt schon drei Anbieter, das heißt, Anbieter bedienen das Segment. Es tumspotenzial“, glaubt Saß. Die größten der Druck steigt, weil alle bekannter gibt mehr Vielfalt bei den entsprechen- Herausforderungen für den Onlinele- werden wollen. Es bleibt spannend.“ den Logistikanbietern. Regionalisie- bensmittelhandel seien Prozessopti- rung ist dabei ein großes Thema. Die mierung und die Kosten, insbesondere Auch Jörg Walbaum, Senior Rating Akzeptanz des E-Food-Handels beim der Logistik für die „letzte Meile“. Be- Analyst der europäischen Ratingagen- Verbraucher nimmt durch immer mehr züglich der Qualität könne die Branche tur Euler Hermes Rating, erwartet positive Onlineeinkaufserfahrungen zu“, schon sehr gut mithalten und müsse, langfristig einen E-Commerce-Anteil sagt Susan Saß, Pressesprecherin des um weiter Verbrauchervertrauen zu im Lebensmittelhandel von zehn bis 15 Bevh. Konsumenten allgemein würden gewinnen, immer noch ein wenig besser Prozent. mit Selbstverständlichkeit Dinge des und kundenfreundlicher sein als die täglichen Bedarfs (sogenannte FMCGs) Etablierten. Onlinehandel mit Gütern Ein ganz anderes Bild zeichnet Kai inklusive Lebensmitteln online bestel- des täglichen Bedarfs und Lebensmit- Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln. len. Der Grundbedarf des Haushalts, teln sei dann aber gerade eine große Er schätzt, dass der Onlinehandel mit zum Beispiel der Wochenendeinkauf, Chance für strukturschwache Räume, Lebensmitteln zumindest kurz- und werde aus Zeitgründen und wegen des damit diese überhaupt noch flächen- mittelfristig stark wachsen werde, aber tollen Service der Zustellung regelmä- deckend versorgt werden können. „Die auf einem überschaubaren Niveau: „Wir ßig online erworben und im gewünsch- Logistik bietet immer mehr Möglichkei- rechnen für 2020 mit rund zwei Prozent ten Zeitfenster verlässlich zugestellt. ten, unterscheidet aber zwischen Bal- Marktanteil.“ Außerdem weist er darauf „Es wird dem Konsumenten vieles lungsräumen und dünner besiedelten hin, dass auch andere Länder noch nicht erleichtert und dadurch auch verein- Räumen. Gerade in Letzteren sind zum so weit sind, wie manchmal suggeriert facht – ich denke an den Siegeszug der Beispiel die Zustellung in verlässlichen wird. Das beweise ein Blick auf die Sprachsteuerung. Die automatisierte Wunsch-Zeitfenstern und auch tagglei- Anteile in den „Vorreiter-Nationen“: „In Nachbestellung von Verbrauchsgütern che Zustellung sowie eine Mehrwegver- England ist man schon bei einem Markt- über Einkaufs-Apps, Dash-Buttons packung insbesondere von Kühl- und anteil von über vier Prozent. Dies ist in oder im Internet of Things wird vielfach Tiefkühlware sehr wünschenswert, der hohen Onlineaffinität der Briten be- das Einkaufen ergänzen oder sogar aber leider noch keine tägliche Praxis. gründet und dem riesigen Ballungsraum ersetzen. Zudem gibt es Spezialitäten Im Trockensortiment klappt das aber London geschuldet, der die Skalierung schon flächendeckend gut.“ ermöglicht“, sagt Hudetz. Frankreich liege leicht dahinter mit einem ebenfalls einstelligen Prozentanteil, überwiegend Click-and-Collect. „Dadurch sparen Käufer in den riesigen Hypermarchés 2025 können wir an viel Zeit – viel mehr Zeit, als in Deutsch- die Zehnprozentmarke land gespart würde“, sagt Hudetz. Die herankommen Schweiz glänzt seit 2000 mit dem Onlinevorreiter Le Shop, doch der Stephan Rüschen, Onlinemarktanteil stagniere in Professor an der Hoschschule DHBW Wirklichkeit trotz der großen Heilbronn Warenkörbe bei nur knapp zwei Prozent. absatz 10 2017 wirtschaft 37
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