Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine - Euler Hermes Rating GmbH

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Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine - Euler Hermes Rating GmbH
Titelgeschichte

     Revolution im Handel:
     Amazon macht
     Lebensmitteln Beine
     Amazon ist in den hart umkämpften deutschen Lebensmittelmarkt
     eingestiegen – als Onlinebringdienst. Nach diesem Vorstoß dürfte die
     Konkurrenz immer härter werden. Doch müssen unsere Supermärkte wie
     Rewe und Co. tatsächlich um ihr Bestehen fürchten?

     Autorin: Sarah Hölting

     Der Markteintritt Amazons in den            Gemüse stößt Amazon in Deutschland
     deutschen Onlinefrischedienst sorg-         auf weniger bestellfreudige Verbrau-
     te im Mai für Aufsehen und versetzte        cher. So ist der Anteil der Nach-Hau-
     den ein oder anderen Supermarkt in          se-Lieferung von Lebensmitteln in
     Alarmbereitschaft. Offiziell äußern         Deutschland noch sehr gering. Wäh-
     wollen sich Rewe und Co. allerdings         rend der Lebensmittelumsatz insge-
     nicht zum neuen Mitbewerber, sie            samt zwischen 2015 und 2016 zwar um
     halten sich lieber bedeckt und be-          rund 27 Prozent auf 932 Millionen Euro
     obachten die Lage. Wir haben daher          nach oben schoss, lag der Anteil expli-
     mit Experten über die Auswirkun-            zit online gehandelter Lebensmittel bei
     gen des Neulings auf die Branche ge-        dürftigen 1,2 Prozent – so die Zahlen der
     sprochen und darüber, wie sich die          Bevh-Konsumenten-Studie „Interakti-
     anderen Supermärkte jetzt am bes-           ver Handel in Deutschland 2016“.
     ten verhalten sollten.
         Als Amazon-Gründer Jeff Bezos mit       Schon jetzt ein „Großer“
     seinem Frischedienst Amazon Fresh
     britisches Terrain betrat, war doch         Dennoch glauben viele Experten, dass
     irgendwie klar: Ein Markteintritt in        Amazon trotz dieser schwierigen Aus-
     Deutschland kann nicht mehr in weiter       gangslage gute Chancen haben dürfte.
     Ferne liegen. Und die Spekulationen         Denn was viele nicht wissen: „Amazon
     sollten sich bewahrheiten: Im Sommer        war ja schon vor dem Start von Amazon
     schlug Amazon seine mit frischen Le-        Fresh einer der größten Händler ver-
     bensmitteln gefüllten Warenlager in         packter Lebensmittel in Deutschland
                                                                                                      FOTOS: GETTY IMAGES/JONATHAN KANTOR STUDIO, SUBJUG;

     Teilen von Hamburg sowie in Berlin          und ist in diesem Sinne längst kein
     und Potsdam auf. Doch mit der Liefe-        Neuling mehr“, bemerkt Jörg Walbaum,
     rung frischer Ware ist das so eine Sache,   Senior Rating Analyst der europäischen
     denn Frisches ist eben auch schnell         Ratingagentur Euler Hermes Rating
     verderblich. Daher fragte die Süddeut-      (Ehrg), und verweist auf die Entwick-
                                                                                                      MONTAGE: ABSATZWIRTSCHAFT

     sche prompt: Und, kommt die Gurke           lung des Umsatzes, den Amazon allein
     denn auch pünktlich? Und kam zu dem         aus online verkauften Lebensmitteln
     Schluss: Ja, tut sie! Schade für die Su-    in Deutschland erzielte. Dieser lag im
     permarktketten, gut für Amazon. Doch        vergangenen Jahr bei rund 211 Millio-
     trotz zuverlässiger Lieferung und gut       nen US-Dollar (rund 199 Millionen Eu-
     gekühltem, super frischem Obst und          ro*) und damit rund 52 Prozent über

26   absatz
     wirtschaft 10 2017                                             * Währungskurs vom 9. Juni 2017
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dem Onlineumsatz von Rewe und sogar        zon-Kunden unter den Onlineshoppern
85 Prozent über dem von Lidl (siehe        noch größer. Die Nutzung von Ama-
Grafik auf Seite 29).                      zon sei für diese Gruppe ein fester Be-
    Betrachtet man den Umsatz, den         standteil des Kaufprozesses geworden,
die führenden Lebensmittelketten ins-      heißt es in der Untersuchung. Produkte
gesamt – also überwiegend offline – er-    und Preise von Wettbewerbern würden
zielten, schaffte es Amazon 2016 im Ver-   stets mit dem Angebot und dem Preis-
gleich allerdings „nur“ auf den sechsten   niveau von Amazon verglichen. Mittler-
Platz (siehe Grafik auf Seite 29).         weile hat Amazon auch Google über-
                                           holt, wenn es bei Konsumenten um das
Die Deutschen sind Amazons                 Thema Produktsuche im Internet geht.
beste Kunden                               Der Erfolg des US-Giganten wirke sich
                                           auch auf die Offlinewelt aus: Gut ein
Wenn auch nicht offline, so ist Amazon     Drittel der befragten Amazon-Kunden
zumindest schon jetzt im Onlinebereich     (34 Prozent) gab an, mittlerweile sel-
„DER“ Spitzenverkäufer. Das zeigt auch     tener bei stationären Händlern einzu-
diese – ziemlich bemerkenswerte – Zahl:    kaufen, und die stehen nach Einschät-
90 Prozent der deutschen Onlineshop-       zung des PwC-Handelsexperten Gerd
per kaufen inzwischen bei Amazon ein,      Bovensiepen daher vor großen Heraus-
womit die Deutschen weltweit zu den        forderungen. Denn die Digitalisierung
besten Kunden von Amazon gehören.          habe nicht nur die Art und Weise revo-
Nur in Japan, Großbritannien, Italien      lutioniert, wie Konsumenten Produkte
und den USA ist der PwC-Studie „Total      und Dienstleistungen kaufen. Amazon
Retail 2017“ zufolge der Anteil der Ama-   und Co. hätten auch neue Standards

                                                                                  absatz
                                                                      10 2017 wirtschaft   27
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     bei Liefergeschwindigkeit, Produktaus-      Spezialisierung auf den Bereich Food/      das Bestellen und die Auslieferung geht
     wahl und -erlebnis gesetzt.                 Lebensmittelhandel, ist der Ansicht,       schneller und wird von Amazon Prime
        Trotz der damit einhergehenden           dass Amazon auf dem richtigen Weg sei:     garantiert“, so Rüschen. Unter den vie-
     Schwierigkeiten für die Händler in den      Das Angebot von Amazon Fresh umfasst       len Amazon-Fresh-Produkten befinden
     Einkaufsstraßen bringt Amazon laut          inzwischen insgesamt über 300 000          sich laut Versandgigant auch 6 000 Bio-
     Walbaum zur Freude vieler Konsumen-         Artikel – rund 200 000 Non-Food-Pro-       produkte sowie Artikel von etwa 25 Ber-
     ten mit seiner Professionalität, sowie      dukte sind parallel zum Markteintritt in   liner Feinkostgeschäften und ortsansäs-
     hohen Kundenorientierung, seinen ge-        Hamburg hinzugekommen. Neben fri-          sigen Lebensmittelhändlern, darunter
     planten hohen Servicestandards und          schen Lebensmitteln und Produkten des      Lindner Esskultur oder das Kochhaus.
     Kompetenzen Bewegung in den Markt.          täglichen Bedarfs bietet Amazon Fresh
     Zudem nehme Amazon bewusst in Kauf,         seitdem eine noch breitere Auswahl aus     Schnell, schneller, Amazon
     kurz- bis mittelfristig kein Geld zu ver-   den Bereichen Küche, Sport sowie Spiel-
     dienen und den Onlinelebensmittel-          und Schreibwaren. „Rewe und Kaufland       Neben einem umfangreicheren Angebot
     markt gewohnt aggressiv und innovativ       kommen hingegen auf nur 10 000 – was       punktet Amazon aber auch mit schnel-
     mitzugestalten. Auch Stephan Rüschen,       weniger ist als in ihren Läden. Allein     leren Lieferzeiten. Während beispiels-
     Professor an der Hochschule DHBW Heil-      dadurch schafft Amazon für den Kun-        weise Rewe als schnellste Option eine
     bronn im Studiengang BWL-Handel mit         den eine ganz andere Qualität. Auch        Lieferung am Folgetag anbietet, liefert
                                                                                            Amazon noch am Tag der Bestellung –
                                                                                            und zwar zwischen acht und 22 Uhr mit
                                                                                            einem Wartefenster von nur zwei Stun-
                                                                                            den. Und wer am Vortag bereits genau
                                                                                            weiß, was er am nächsten Morgen zum
                                                                                            Frühstück essen möchte, kann sich sei-
                                                                                            nen Warenkorb sogar ab fünf Uhr mor-
                                                                                            gens an einen gewünschten Ort wie den
                                                                                            Garten liefern lassen. Neben tagglei-
                                                                                                  cher Lieferung gibt Amazon sei-
                                                                                                       nen Kunden zusätzlich ein
                                                                                                                 „Frischeversprechen“.
                                                                                                                 Das machen zwar die
                                                                                                                  Wettbewerber auch,
                                                                                                                   jedoch geht Amazon
                                                                                                                    noch einen Schritt
                                                                                                                    weiter: Wenn ein Ar-
                                                                                                                    tikel nicht verfügbar
                                                                                                                    ist, liefert Amazon
                                                                                                                    einen Ersatzartikel,
                                                                                                                   dem Kunden werden
                                                                                                                 dann weder der be-
                                                                                            stellte       noch der Ersatzartikel be-
                                                                                            rechnet. In den Augen Walbaums schon
                                                                                            „eine echte Service-Hausmarke“.

                                                                                            Warum Stadt statt Land?

                                                                                            Doch warum startet Amazon Fresh in
                                                                                            Großstädten, wo es dort doch sowieso
                                                                                            schon so viele Supermärkte gibt? „Hier-
                                                                                            bei geht es um die hohe Auslastung.
                                                                                                                                            MONTAGE: ABSATZWIRTSCHAFT; INFOGRAFIK: ABSATZWIRTSCHAFT
                                                                                                                                            FOTOS: GETTY IMAGES/SUBJUG, SJOERD VAN DER WAL, FLOORTJE;

                                                                                            Der Gegenentwurf wäre die Belieferung
                                                                                            des ländlichen Raums, doch da gibt es
                                                                                            eine ganz andere Auslastung der Lie-
                                                                                            ferkapazitäten. In Großstädten lebt ein
                                                                                            höherer Anteil an Menschen, die eine
                                                                                            Affinität zu Onlinelebensmitteln ha-
                                                                                            ben, als auf dem Land“, meint Profes-
                                                                                            sor Dominik Große Holtforth, der das
                                                                                            E-Commerce Institut Köln der Hoch-
                                                                                            schule Fresenius leitet. Auch Rüschen
                                                                                            hat eine klare Meinung: „Die Zielgrup-
                                                                                            pe in der Stadt passt besser zu so einem

28   absatz
     wirtschaft 10 2017
Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine - Euler Hermes Rating GmbH
Titelgeschichte

Die 5 Top-Onlineshops für Bruttoumsatz der führenden Unternehmen im
Lebensmittel und Getränke Lebensmittelhandel in Deutschland
nach Umsatz, in Deutschland im Jahr 2016                                nach Umsatz, in Deutschland im Jahr 2016 (in Millionen Euro)
(in Millionen US-Dollar)
250                                                                                 Edeka                                                                     53,8
                                 Quelle: Ecommercedb.com,
                                           Statista, LZ, 2017             Schwarz-Gruppe                                                  37,76

200                                                                                  Rewe                                               35,77

                                                                                       Aldi                                     28,32
150                                                                                                                           26,27
                                                                                     Metro

                                                                                  Amazon                     10,4
100
                                                                                Lekkerland                 9,27

                                                                              Tengelmann               7,57
 50
                                                                                        dm             7,5

                                                                                Rossmann             6,1
  0
                            .de                                    om
              .de                                            sli.c
          zon            sko      .de      l.de
                                                         e                                          4,92
         a            we        we                   mu                             Globus
      Am            Ha        Re        Lid       My                                                                                              Quelle: Statista, 2017

Dienst, dazu geht es um eine profitable                                 Frachtflugzeuge sowie Paketwagen und
Auslieferung. Die ist in der Stadt besser                               experimentiert mit der Lieferung über
gewährleistet, wenn man auf einer Stra-                                 Drohnen und autonome Fahrzeuge.
ße sechs Stopps machen kann, anstatt                                    „Langfristig erwarten wir, dass Amazon
20 Minuten aufs Land rausfahren zu                                      sein Ziel umsetzt und verstärkt Waren –
müssen. Ich denke, im zweiten Schritt                                   darunter auch Lebensmittel – in Eigen-
werden auch die ländlichen Regionen                                     regie zustellen wird“, schätzt Walbaum.
beliefert.“ Auch die Zahlen belegen                                     Mit DHL hat sich Amazon auch für einen
die höhere Rentabilität eines Starts in                                 Partner entschieden, der 80 Prozent des
Großstädten: „Bislang steht Amazon                                      deutschen Marktes logistisch abdeckt
Fresh nur Amazon-Prime-Kunden zur                                       und sich dadurch qualifizierte, dass er
Verfügung. Geschätzt hat Amazon aktu-                                   bereits unter dem Namen Allyouneed
ell zwischen 17 und 18 Millionen Prime-                                 Fresh einen Lebensmittel-Lieferdienst
Kunden in Deutschland, davon sicher-                                    betreibt. Dennoch, für Rüschen spricht
lich mit mehr Marktanteilen und Dichte                                  wenig für eine Kooperation mit DHL:
in Großstädten als in Kleinstädten oder                                 „Diese Kooperation war für mich über-
im ländlichen Raum“, sagt Walbaum.                                      raschend und scheint für mich auch
    Für die Lieferung setzt Amazon                                      falsch zu sein. Der Fahrer ist das einzige
nicht auf eine eigene Flotte, sondern                                   Gesicht, das der Kunde bei der Auslie-
arbeitet mit der Deutschen Post DHL                                     ferung sieht. Da würde ich als Zuliefe-
zusammen. „Dadurch schont Amazon                                        rer meine eigenen Leute einstellen, die
anfangs finanzielle Ressourcen. Der                                     dann als Mitarbeiter von Amazon agie-
deutsche Lebensmittelmarkt ist ein                                      ren und darauf vorbereitet sind.“ Lange
hart umkämpfter Markt mit geringen                                      wird es allerdings nicht dauern, ist sich
Margen. Amazon sieht das Ganze an-                                      Rüschen sicher, bis Amazon selbst neue
fangs auch als Lernphase. Die Logistik                                  Lieferwagen anschafft und Mitarbeiter
und vor allem die Effizienz der soge-                                   einstellt.
nannten letzten Meile ist im Onlinele-
bensmittelhandel unter anderem durch
das Einhalten der Kühlkette erfolgskri-                                 Liefervoraussetzung: das
tisch“, sagt Walbaum. Allerdings beob-                                  Amazon-Prime-Konto – ein
achte er, dass Amazon parallel die eige-                                Hemmnis?
nen Vertriebswege sukzessive ausbaut.
So bietet Amazon Paketboxen und Lie-                                    Ein großer Unterschied und besonders
ferungen per Fahrradkurier an, betreibt                                 vorteilhaft im Vergleich zu anderen

                                                                                                                                                               absatz
                                                                                                                                                   10 2017 wirtschaft      29
Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine - Euler Hermes Rating GmbH
Titelgeschichte

                                                                                                Bestellungen hat Amazon ganz ande-
                                                                                                re Möglichkeiten als die Wettbewerber,
                                                                                                über Skaleneffekte und Bündelung die
                                                                                                Kostenprobleme in den Griff zu bekom-
                                                                                                men. Und das Prime-Serviceangebot
                                                                                                wird stetig weiterentwickelt, um die
                                                                                                Attraktivität zu erhöhen“, so Walbaum.
                                                                                                Langfristig erwartet Walbaum auch,
                                                                                                dass weitere Angebote wie zum Beispiel
                                                                                                Kommunikation und Mobilität in das
                                                                                                Prime-Programm integriert werden, um
                                                                                                daraus weitere monetarisierbare Daten
                                                                                                zu gewinnen. Mit Amazon Echo schlei-
                                                                                                che sich bereits ein smarter Sprachassis-
                                                                                                tent in die Haushalte der Konsumenten,
                                                                                                mit dem perspektivisch weitere neue
                                                                                                E-Commerce-Potenziale         erschlossen
                                                                                                werden könnten. Vor dem Hintergrund
                                                                                                der hohen Markteintrittsbarrieren durch
                                                                                                die hohe Supermarktdichte und das
                                                                                                stark ausgeprägte traditionelle Kaufver-
                                                                                                halten hätte der Experte jedoch ein an-
     Nach Berlin und Potsdam startete Amazon seinen Lebensmittel-Lieferdienst Fresh auch in     deres Preismodell erwartet: Im Vergleich
     Hamburg. Insgesamt sollen 300 000 Artikel verfügbar sein                                   zu Streaming- und Cloud-Diensten er-
                                                                                                kennt der Kunde in der Zusatzgebühr
                                                                                                von 9,99 Euro für Lebensmittel nicht so-
                                                                                                fort einen unmittelbaren Mehrwert.

                                                                                                Sparmentalität schreckt
                                                    Onlineshops ist zudem Amazons Finan-        Deutsche
                                                    zierungsmodell seines Frischedienstes       von Gebühren ab
                                                    über das Prime-Programm: „Gerade in
                                                    den Metropolen ist die Zielgruppe der       Was die Liefergebühren betrifft, sieht es
                                                    Personen, die bereit sind, für Bequem-      Hudetz ähnlich wie Walbaum und weist
                                                    lichkeit im Lebensmitteleinkauf auch        auf die Preissensibilität der Deutschen
                                                    einen Aufpreis zu bezahlen, vergleichs-     hin: „Es existieren ja ereits zahlreiche On-
                                                    weise groß. Amazon entwickelt sich          lineangebote im Lebensmitteleinzelhan-
                                                    damit für seine Prime-Kunden zum            del, grundsätzlich sind die Deutschen
                                                    Universalanbieter über alle Produkt-        demgegenüber auch sehr aufgeschlos-
                                                    kategorien hinweg“, meint Kai Hudetz,       sen. Aber die Masse der Konsumenten
                                                    Geschäftsführer des IFH Köln. Für ei-       ist sehr preissensibel, so dass die Kosten
                                                    ne Prime-Mitgliedschaft müssen Kun-         für die Liefergebühren kaum umgelegt
                                                    den eine einmalige Aufnahmegebühr           werden können.“ Dazu passt auch ein Er-
                                                                                                                                               FOTOS: GETTY IMAGES/FLOORTJE, AMAZON, EDEKA, LIDL, REWE; MONTAGE: ABSATZWIRTSCHAFT
                                                    von 70 Euro zahlen. Um Amazon Fresh         gebnis, zu dem Vexacash in einer Studie
                                                    nutzen zu können, wird – zumindest in       kommt: Danach steht Deutschland im
                                                    der Testphase – zusätzlich eine Monats-     weltweiten Vergleich mit 10,3 Prozent an
                                                    gebühr von 9,99 Euro fällig. Immerhin       neunter Stelle der Gering-Ausgeber für
                                                    sind dann Lieferungen ab einem Min-         Nahrungsmittel. 355 Euro investieren
                                                    destbestellwert von je 40 Euro gratis.      wir hierzulande in unseren monatlichen
                                                    Sind diese Beträge nicht hinderlich?        Bedarf an Essen und Getränken. Und das
                                                        Nein, wenn der Kunde dadurch            bei Einnahmen von ungefähr 3 451 Eu-
                                                    Vorteile oder Mehrwerte sieht, glaubt       ro. Somit könnte die Sparmentalität der
                                                    Walbaum, für den das Mitgliedermo-          Deutschen den Onlinehandel ausbrem-
                                                    dell zweifelsohne eines der erfolgreichs-   sen, die sicher vor Versandkosten bei
                                                    ten Kundenbindungsinstrumente am            Onlinebestellungen zurückschrecken,
                                                    Markt ist. „Mit Prime bündelt Amazon        so Vexacash.
                                                    schon heute seine vielfältigen Dienst-           Zeitnahe Lieferung, frische Lebens-
                                                    leistungen, vom Streaming-Dienst bis        mittel, ein 1-a-Finanzierungsmodell –
                                                    zum Premium-Lieferservice. Über das         alles keine besonders schlechten Voraus-
                                                    Abo-Modell und die Bündelung von            setzungen für Jeff Bezos, auf dem deut-
                                                    Lebensmittellieferungen mit anderen         schen Markt erfolgreich Fuß zu fassen.

30   absatz
     wirtschaft 10 2017
Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine - Euler Hermes Rating GmbH
Titelgeschichte

                                                                                                 Inländische Anbieter wie Rewe, Edeka
                                                                                                 oder Lidl sollten dies lieber nicht auf
                                                                                                 die leichte Schulter nehmen, hat Ama-
                                                                                                 zon doch immer wieder Benchmarks
                                                                                                 gesetzt und bereits in vielen Segmenten
                                                                                                 und Services eine Leuchtturmfunktion
                                                                                                 übernommen. Zudem ist Amazon – sei
                                                                                                 es als Marktplatz, als Logistik- oder als
                                                                                                 IT-Anbieter – als Teil der Infrastruktur
                                                                                                 im Onlinehandel nicht mehr wegzuden-
                                                                                                 ken. Doch was sollen „unsere“ Super-
                                                                                                 märkte tun: in Ehrfurcht erstarren, mit
                                                                                                 Amazon kooperieren oder lieber ihre
                                                                                                 eigenen Konzepte prüfen und gegebe-
                                                                                                 nenfalls optimieren? Rewe und Edeka
                                                                                                 üben sich zwar nicht offenkundig in
                                                                                                 Ehrfurcht, experimentieren aber mit
Das Sortiment von Edekas Onlineshop ist mit über 20 000 Produkten groß. Die Lieferzeiten         dezentralen      Multichannel-Ansätzen.
sind mit bis zu vier Werktagen jedoch recht lang. Auch der Mindestbestellwert für eine Gratis-   Walbaum vermutet eher, dass die Reak-
lieferung liegt mit 70 Euro höher als bei Amazon Fresh                                           tion von Rewe und Edeka eine Reaktion
                                                                                                 auf das sich ändernde, zunehmend ka-
                                                                                                 nalübergreifend werdende Kaufverhal-
                                                                                                 ten ist und der Sicherung der Marktpo-
                                                                                                 sition dienen soll beziehungsweise den
                                                                                                 Markteintritt von Amazon erschweren
                                                                                                 soll: „Allerdings haben beide sehr starre
                                                                                                 und komplexe Strukturen sowie kaum
                                                                                                 Data-Analytics-Expertise, da wird es
                                                                                                 schwierig, Amazon einzuholen.“

                                                                                                 Edeka „besorgt’s ganz Berlin“

                                                                                                 Der Edeka-Verbund sorgte beispiels-
                                                                                                 weise mit der Übernahme von Bring-
                                                                                                 meister, der bislang zu Kaiser’s Ten-
                                                                                                 gelmann gehörte, für Aufsehen. Im
                                                                                                 Mai starteten die beiden neuen Partner
Der Discounter Lidl bietet in seinem Onlineshop nach eigenen Angaben rund 30 000 Artikel         unter dem Slogan „Bringmeister be-
an. Davon sind aber nur etwa 4 000 Produkte Lebensmittel und Drogerieprodukte. Für frische       sorgt es ganz Berlin“ in der Hauptstadt
Lebensmittel hat Lidl keinen Liefer- oder Abholservice                                           durch, wo sie seither Onlinebestellun-
                                                                                                 gen von frischen Lebensmitteln und
                                                                                                 ein Supermarktwarensortiment von
                                                                                                 13 000 Artikeln in allen Berliner Post-
                                                                                                 leitzahlengebieten ausliefern. Dabei
                                                                                                 setzen Edeka und Bringmeister beson-
                                                                                                 ders auf Frischwaren. Obst und Gemüse
                                                                                                 sowie Fleisch, Wurst und Käse können
                                                                                                 grammweise bestellt werden. Dabei
                                                                                                 gewährt Bringmeister eine Frische-
                                                                                                 garantie: Ist die gelieferte Ware nicht
                                                                                                 frisch, gibt es das Geld zurück. Neben
                                                                                                 dem Bringmeister-Sortiment können
                                                                                                 die Kunden außerdem die Eigenmar-
                                                                                                 ken-Produktpalette von Edeka und Gut
                                                                                                 & Günstig bestellen.

                                                                                                 Rewe setzt aufs eigene Pferd

Weniger Produkte (runs 9 000), dafür aber auch frische Produkte wie Gemüse und Obst finden       Auch Rewe ist wie Edeka mit seinem
sich im Onlineshop von Rewe. Der Mindestbestellwert von 40 Euro für eine versandkostenfreie      Onlineservice in Berlin vertreten –
Lieferung ist deckungsgleich mit dem von Amazon Fresh                                            insgesamt in 75 Städten, darunter

                                                                                                                                         absatz
                                                                                                                             10 2017 wirtschaft   31
Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine - Euler Hermes Rating GmbH
Titelgeschichte

     Hamburg, Frankfurt, München und           Doch nicht nur der Marktplatz ist eine     So geht Rewe bereits seit Längerem mit
     Köln sowie das Umland. Doch ein einfa-    neue Entwicklung in der Rewe Group,        neuen On- und Offlineformaten in die
     cher Onlineshop reicht der Handelsket-    auch die Discounter-Tochter Penny ist      Offensive. Im Vergleich zu unmittel-
     te scheinbar nicht mehr, um sich sicher   jetzt mit einem eigenen Onlineshop         baren Wettbewerbern werde Rewe da-
     für die Zukunft aufgestellt zu fühlen.    digital gegangen. Damit hatte wohl         durch aktuell als viel innovativer bei
     Daher entstand im Sommer ein Online-      niemand gerechnet, fehlte von der Bil-     den Konsumenten und im Markt wahr-
     marktplatz, über den Kunden nicht nur     ligkette trotz der Präsenz von Mitbewer-   genommen. „Zudem verfolgt Rewe im
     aus dem Sortiment von Rewe wählen         bern wie Lidl und Netto doch bisher je-    Onlinebereich ambitionierte Ziele. Im
     können, sondern auch Produkte ande-       de Spur im Netz.                           Jahr 2016 konnte Rewe im Onlinehandel
     rer Hersteller bestellen wie Deko-Arti-       Ist diese Entwicklung bei Rewe viel-   bereits einen Umsatz von mehr als 100
     kel, Spielzeug oder Geschirr. Oberstes    leicht doch eine Reaktion auf den Markt-   US Dollar erwirtschaften. Bis 2020 will
     Ziel sei es, „dass Kunden eine zentrale   eintritt von Amazon Fresh in Deutsch-      Rewe die Onlineumsätze auf 800 US
     Anlaufstelle für ihren gesamten Ein-      land? Steigt der Druck, online breiter     Dollar steigern. Zur Umsetzung der Mul-
     kauf des täglichen Bedarfs haben“, sagt   aufgestellt zu sein, um den US-Gigan-      tichannel-Strategie gehört dabei auch
     Jean-Jacques van Oosten, Chief Digi-      ten nicht ungehindert auf die Überhol-     die Eröffnung des Penny-Onlineshops,
     tal Officer Rewe Group. Die erste Test-   spur rasen zu lassen? Laut Walbaum         um die Zielgruppenbasis zu erweitern
     phase startete mit Partnern wie Dall-     ist Rewes Kurs nur eine konsequente        und sich gegenüber den Onlinestrate-
     mayr, Mytoys oder Idee Creativmarkt.      Fortsetzung seiner bisherigen Strategie.   gien der anderen Discounter zu positio-
                                                                                          nieren, die bislang eher zögerlich agie-
                                                                                          ren“, so Walbaum. Mit dem virtuellen
                                                                                          Marktplatz-Konzept testet Rewe einen
                                                                                          Online- One-Stop-Shopping-Ansatz,
                                                                                          wie ihn auch Amazon und Co. verfol-
                                                                                          gen. Rewe will mit dem Ansatz auf den
                                                                                          Konsumtrend reagieren, dass Kunden
                                                                                          immer weniger Zeit für den Einkauf von
                                                                                          Waren des täglichen Bedarfs aufwenden
                                                                                          wollen“, weiß Walbaum. Auf den ersten
                                                                                          Blick ähnelt es dem Amazon-Ansatz,
                                                                                          „jedoch soll es im Gegensatz zu Amazon
                                                                                          keine offene Plattform werden, sondern
                                                                                          eine geschlossene Themenplattform
                                                                                          mit Bezug zum Food-Geschäft. Vom
                                                                                          Ansatz her ist es der richtige Weg, denn
                                                                                          Plattformkonzepten und der sinnhaften
                                                                                          Vernetzung verschiedener Teilnehmer
                                                                                          gehört die Zukunft. Der Erfolg wird je-
                                                                                          doch sehr stark von der Attraktivität der
                                                                                          Partner, dem Servicelevel und der Dif-
                                                                                          ferenzierung zu Amazon abhängen“, ist
                                                                                          sich der Experte sicher.
                                                                                              Während Rewe also eigene Wege
                                                                                          geht und sich als starker Mitbewerber
                                                                                          zu Amazon aufstellen möchte, verhal-
                                                                                          ten sich die anderen „Großen“ bisher
                                                                                          bedeckt. Vielleicht fassen sie still und
                                                                                                                                      FOTO: GETTY IMAGES/STUDIOCASPER, IFH KÖLN; MONTAGE: ABSATZWIRTSCHAFT

                                                                                          heimlich eine Partnerschaft mit Ama-
                                                                                          zon ins Auge, so wie es Berliner Fein-
                                                                                          kostgeschäfte und ortsansässige Le-
                                                                                          bensmittelhändler bereits tun? Nicht
                                                                                          von Interesse, zumindest für die „Gro-
                                                                                          ßen“, meint Walbaum: „Der deutsche
                                                                                          Markt wird von Edeka, Rewe sowie Aldi
                                                                                          und Lidl dominiert. Die großen Play-
                                                                                          er haben bislang kein Interesse daran,
                                                                                          sich ‚den Feind‘ ins Haus zu holen.
                                                                                          Sie wollen es lieber selber machen.“
                                                                                          Große Holtforth hingegen sieht Ama-
                                                                                          zon selbst als Bremsklotz: „Amazon
                                                                                          ist kein kooperatives Unternehmen.
                                                                                          Wenn man sich die Gesamtstrategie

32   absatz
     wirtschaft 10 2017
Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine - Euler Hermes Rating GmbH
Titelgeschichte

des Unternehmens ansieht, weiß man,           se Digital- und Data-Analytic-Kompetenz     Lidl-Sortiment bedeuten. Grund sei,
dass es den Anspruch hat, alle liefer-        aufgebaut werden. Dafür braucht man         dass Lidl um seine Preisführerschaft
baren Produkte im Sortiment zu be-            ganz andere Kompetenzen und Mitarbei-       bange – unabhängig von der Prime-Mit-
sitzt und nur Kooperationen mit klei-         ter als im stationären Handel“, begründet   gliedschafts-Gebühr und der Monats-
nen Händlern eingeht.“ Aufgrund der           Walbaum die größere Offenheit der klei-     gebühr. Denn bei vielen sogenannten
überwiegend noch sehr schwachen               neren Supermärkte. Übrigens, während        Eckartikeln wie Kaffee, Milch oder
Ausprägung der Digital- und Data-Ana-         sich die großen Supermärkte eher zieren,    Schokolade unterbietet Amazon den
lytics-Kompetenz aufseiten der großen         bewies unter den Drogerien gerade ein       stationären Handel bereits.
deutschen Lebensmittelhändler erwar-          „Großer“ mehr Zugewandtheit. So gab             Aldi hingegen gibt sich – zumindest
tet Walbaum, dass mit zunehmenden             Rossmann im August bekannt, dass es         nach außen – gelassen. Doch scheinbar
Verschiebungstendenzen zum Inter-             rund ein Viertel seiner Artikel über den    will auch dieser deutsche Discounter
nethandel auch der Handlungsdruck             Lieferservice Prime Now anbieten will.      das boomende Geschäft mit online ge-
perspektivisch steigt. Walbaum spielt         Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit        handelten Lebensmitteln nicht an sich
dabei auf die aktuellen Entwicklungen         ist Berlin, wo Prime-Kunden über Ama-       vorbeiziehen lassen. So gab Aldi Ende
in den USA an beziehungsweise auf die         zon bereits ausgewählte Angebote einiger    August eine Partnerschaft mit dem ka-
geplante Kooperation zwischen Walmart         lokaler Händler wahrnehmen können.          lifornischen Start-up Instacart bekannt,
und Google. Walbaum kann sich gut vor-                                                    die US-Kunden das Bestellen im Inter-
stellen, dass perspektivisch auch einer       Steigende Nervosität –                      net und die Lieferung von Aldi-Arti-
der „Big-Four-Lebensmittelhändler“ ei-        vor allem bei Lidl                          keln nach Hause ermöglichen soll. Das
ne Kooperation mit Google eingeht, um                                                     Pilotprogramm startet in den Städten
Zu- kunftsthemen zu entwickeln. Als Bei-      Wie nervös einige große Player dann         Atlanta, Dallas und Los Angeles – mit
spiele nennt Walbaum Bestellungen über        doch werden, zeigt unter anderem            ausdrücklichem Potenzial für künftige
Sprachassistenten oder die Verknüpfung        die Reaktion von Lidl, das bereits vor      Expansionen. Bei Instacart wählen Kun-
von On- und Offlinekundendaten, um            neun Jahren mit seinem Onlineshop           den ein Zeitfenster für die Zustellung
Rückschlüsse über das kanalübergrei-          in den elektronischen Handel einstieg       und füllen per Mausklick einen virtuel-
fende Kaufverhalten der Kunden zu             und dessen Angebot rund 30 000 Ar-          len Warenkorb, Bestellung und Bezah-
ziehen und absatzorientiert Angebote          tikel umfasst. Der Discounter drohte        lung erfolgen ebenfalls digital über App
anzupassen.                                   laut „Lebensmittel Zeitung“ all seinen      oder Website. Aldi und Instacart ver-
                                              Lieferanten, dass sie mit Sanktionen        sprechen Lieferzeiten ab einer Stunde.
Tegut lässt sich auf Amazon-                  rechnen müssen, wenn sie mit Ama-
Partnerschaft ein                             zon kooperieren. Dies könnte sogar ei-      Von wegen „Offline ist out“
                                              ne Aussortierung der Artikel aus dem
Dass die „kleineren Player“ sich tatsäch-                                                 Doch die Konkurrenz sollte nicht nur
lich eher auf eine Kooperation einlassen,                                                 beobachten, was Amazon online auf die
zeigt das Beispiel des aus Fulda stam-                                                    Beine stellt, sondern auch, dass Amazon
menden Vollsortimenters Tegut, der sein                                                   die Offlinewelt nicht aus den Augen ver-
Onlinelebensmittelgeschäft beziehungs-                                                    liert. So investierte Jeff Bezos im Som-
weise Trockensortiment zukünftig über                                                     mer in den Einzelhandel und übernahm
Amazon abwickeln wird. Doch warum                                                         Whole Foods, das für ökologisch nachhal-
kooperieren kleine Supermärkte wie Te-         Amazon entwickelt sich                     tige Waren in den USA steht. Die Biokette
gut eher mit Amazon? Zum einen können          für seine Prime-Kunden zum                 wurde für rund 13,7 Milliarden US-Dollar
die kleineren regionalen Supermarkt-           Universalanbieter                          verkauft. Den jüngsten Zahlen nach zu
ketten von Amazons Reichweite profi-                                                      urteilen gibt es 461 Lebensmittel-Super-
tieren und über die Amazon-Plattform           Kai Hudetz,                                märkte – 440 Geschäfte in den USA, wei-
ihren überregionalen Bekanntheitsgrad          Geschäftsführer des IFH Köln               tere zwölf in Kanada und neun in Groß-
steigern, wenn sie zum Beispiel in neue                                                   britannien. In dem Kaufpreis für Whole
Regionen expandieren wollen. Zum an-                                                      Foods enthalten: die rund 3,1 Milliarden
deren ist es ein Ressourcen- und Kom-                                                     US-Dollar Schulden. Rund 87 000 Mit-
petenzthema. Für das digitale Geschäft                                                    arbeiter arbeiten bei der Bioladenkette.
sind hohe Investitionen notwendig. Un-                                                    Welchen Effekt die Übernahme auf die
ter anderem in Personal, Logistik und IT.                                                 Branche hat, zeigt ein Blick auf die Bör-
Gleichzeitig ist auch nicht gesichert, dass                                               se: Denn nachdem Amazon die Über-
sich die Investitionen amortisieren und                                                   nahme im Juni bekannt gab, stürzten
das Onlinegeschäft mittelfristig rentabel                                                 kurzerhand die Aktienkuruse der großen
wird und nachhaltig Erträge abwirft. „Es                                                  Lebensmittelhändler ab. Was denkt sich
genügt nicht einfach, einen Onlineshop                                                    Bezos bei dem Kauf? Große Holtforth ist
angeschlossen zu haben. Das haben wir                                                     sich sicher, dass es eine Strategie dahinter
schon in anderen Branchen gesehen.                                                        gibt:„Amazon will ‚Allesverkäufer‘ sein
Der Onlineshop muss stetig gepflegt und                                                   und stellt ‚Customer-Obsession‘ in das
weiterentwickelt werden. Die Customer-                                                    Zentrum seiner Strategie. Das bedeutet,
Journey muss analysiert beziehungswei-                                                    dass Amazon in den Kanälen Waren

                                                                                                                                    absatz
                                                                                                                        10 2017 wirtschaft   33
Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine - Euler Hermes Rating GmbH
Titelgeschichte

     Im realen Supermarkt – wie hier bei Edeka – können die Kunden noch selbst entscheiden, welche Banane ihnen am meisten zusagt. Vielleicht ein
     Grund dafür, warum stationäre Filialen in Europa und den USA nach wie vor der wichtigste Absatzkanal sind. Ob Amazon das ändern kann?

     anbietet, die die Kunden favorisieren.          Kanäle im Wesentlichen getrennt blei-
     Und bei Lebensmitteln ist sowohl in             ben.“ Whole Foods ist somit groß genug,
     den USA als auch in Europa die statio-          um als neuer Kanal im Amazon-Portfo-
     näre Filiale nach wie vor der wichtigste        lio eine Rolle zu spielen, aber zu klein,
     Kanal. Hier kann Amazon seinen Ein-             um die expansive Strategie bei Amazon
     fluss durch den Zukauf deutlich vergrö-         Fresh zu ersetzen. „Es wird vermutlich
     ßern. Allerdings darf dieser Zuwachs            eine Schnittmenge geben – ein Online-
     nicht überschätzt werden. Whole Foods           versand mit Filialanschluss und einen
     hat in den USA etwa 440 Filialen, der           Filialbetrieb mit Onlineinnovationen“,
     große Konkurrent Walmart in den USA             glaubt Große Holtforth.
     etwa zehnmal so viel, also über 4 600.“             Für die Offlinewelt hält Ama-
                                                     zon den von Große Holtforth er-
     Wird Amazon Fresh zum                           wähnten, futuristisch anmuten-
     Nebenschauplatz?                                den kassenlosen Supermarkt
                                                     „Amazon Go“ bereit. „Go“
     Bedeutet das, Amazon könnte auch in             deswegen, weil die Kunden
     Deutschland eine Supermarktkette kau-           einfach aus dem Laden spa-
     fen, sie technologisch aufrüsten und so-        zieren können, ohne sich ein
     mit für neue Konkurrenz auf dem Markt           einziges Mal an einer Kasse
     sorgen? Was passiert dann mit Amazon            anzustellen oder an einem
     Fresh? Bleibt es nur ein kleiner Neben-         Automaten zu bezahlen.
     schauplatz? „Ich sehe nicht, dass die           Einzig     erforderlich   ist,
     Akquisition von Whole Food Amazon               die Amazon-Go-App auf
     Fresh in Frage stellt. Vielmehr dürften         dem Smartphone zu ins-
     die Whole-Food-Filialen Amazon Fresh            tallieren und beim Betre-
     ergänzen und auch die eine oder ande-           ten des Supermarktes einen
     re Synergie zulassen. Ich denke, dass           QR-Code-ähnlichen „Key“ zum
     Amazon beide Kanäle eigenständig ent-           Öffnen der Eintrittsschranke
     wickelt. Sicher werden Whole-Foods-Fi-          einzuscannen. Sensoren und Deep-
     lialen digitalisiert, dabei kann Amazon         Learning-Algorithmen, wie sie auch bei
     auf Konzepte und Technologien seines            autonom fahrenden Autos zum Einsatz
     Muster-Stores Amazon Go zurückgrei-             kommen, überwachen dann, was der
     fen. Außerdem könnten die Filialen die          Kunde in seine Tasche legt. Entscheidet
     Amazon-Fresh-Infrastruktur ergänzen,            er sich doch gegen ein Produkt und legt
     zum Beispiel als Rückgabestationen“,            es zurück ins Regal, aktualisiert sich der
     weiß Große Holtforth. „Allerdings dürfte        virtuelle Warenkorb automatisch. Nach
     aufgrund der Unterschiedlichkeit der lo-        dem Verlassen des Geschäfts wird die
     gistischen Prozesse zwischen Filial- und        fällige Summe vom Amazon-Konto ab-
     Versandbetrieb auch die Logistik beider         gebucht. Um in den Genuss des stress-

34   absatz
     wirtschaft 10 2017
Revolution im Handel: Amazon macht Lebensmitteln Beine - Euler Hermes Rating GmbH
Titelgeschichte

                                                   Störfaktoren im Supermarkt
                                                   Eine repräsentative Umfrage unter 1 058 Deutschen zwischen 18 und 70 Jahren
                                                   zu Aspekten, von denen sie sich beim Einkauf im Supermarkt gestört fühlen

                                                   Andere Kunden                        Zu nahes Aufrücken                                                        Kassierer

                                                   75,6                                 Männer sagen:                Frauen sagen:
                                                                                                                                                        46,7
                                                   Prozent der Befragten
                                                   fühlen sich gestört, wenn            50,4                         72,9                               Prozent der Männer stören
                                                                                                                                                        sich daran, wenn sie an
                                                   andere Kunden die Gänge              Prozent stören sich daran,   Prozent stören sich daran,         der Kasse nicht begrüßt
                                                   im Supermarkt blockieren,            wenn Männer an der Kasse     wenn Männer an der Kasse           werden
                                                   weil sie eine Unterhaltung
                                                   führen
                                                                                        zu nah aufrücken

                                                                                        38,0
                                                                                                                     zu nah aufrücken

                                                                                                                     64,0                               55,2        Prozent der
                                                                                                                                                        Frauen finden das störend
                                                                                        Prozent stören sich an       Prozent stören sich an
                                                                                        zu nahem Aufrücken von
                                                                                        Frauen
                                                                                                                     zu nahem Aufrücken von
                                                                                                                     Frauen                             44,2
                                                                                                                                                        Prozent der Männer stören
                                                                                                                                                        sich an zu langsamem
                                                                                                                                                        Kassenpersonal

                                                                                                                                                        51,1      Prozent der
                                                                                                                                                        Frauen finden das störend

                                                                                                                                                        40,9
                                                   82,8                                                                                                 Prozent der Männer stören
                                                   Prozent der Deutschen                                                                                sich an zu schnellem
                                                   stört es, wenn sich andere                                                                           Kassieren
                                                   Kunden an der Super-
                                                   marktkasse vordrängeln
                                                   wollen
                                                                                                                                                        49,1       Prozent der
                                                                                                                                                        Frauen finden das störend

                                                                                                                                                             Quelle: Mymarktforschung.de, 2016

                                                   freien Einkaufserlebnisses zu kommen,      machen“, meint Walbaum und weiter:           Den Jungen könnte es gefallen
                                                   muss man allerdings – noch – in Seattle    „Zu lange warten, langsame oder un-
                                                   wohnen, wo der erste Store eröffnet hat.   freundliche Kassierer sind bekannte          Punkten könnte Amazon mit dem auto-
                                                   Da sich das Konzept außerdem erst in       Probleme, die auch Rewe und Co. ken-         nomen Supermarkterlebnis vor allem bei
                                                   der Testphase befindet, können auch        nen. Aber solange es die Konsumenten         jungen Kunden, die in ihrer Mittagspause
                                                   nur Amazon-Mitarbeiter hier einkaufen.     ertragen, haben die dominanten Unter-        auf der Suche nach einem Snack für zwi-
                                                   Läuft alles wie geplant, soll der Super-   nehmen im Markt keine großen Ambi-           schendurch sind oder nach der Arbeit
                                                   markt seine Türen Anfang nächsten Jah-     tionen, das Konzept umzustellen.“ Zum        noch Kleinigkeiten einkaufen möchten,
                                                   res aber für alle Amazon-Kunden öffnen.    einen sei die Umrüstung ein Kostenfak-       denn: Bisher werden in dem Store vor
                                                       Wäre das kassenlose System nicht       tor, zum anderen müsse man wissen,           allem Schnellversorgungs- beziehungs-
                                                   auch etwas für Deutschland? Betrach-       dass die Kassenzone einer der umsatz-        weise Convenience-Produkte angeboten.
 FOTOS: GETTY IMAGES/ISABELLE ROZENBAUM, PRIVAT;

                                                   tet man die oben stehende Grafik, fällt    stärksten Bereiche im Supermarkt ist.        Unter den Älteren, die oftmals verstärkt
                                                   zumindest schnell auf: Kunden stören       Studien belegen, dass der Quadratme-         auf Beratung setzen und wenig techni-
ILLUSTRATIONEN: ABSATZWIRTSCHAFT (5)

                                                   sich am Schlangestehen, an Dränglern       terumsatz je nach Größe des Marktes          kaffin sind, dürfte Amazon den traditio-
                                                   und an unsympathischen Kassierern.         durchschnittlich bei über 30 000 Euro        nellen Händlern eher keine Konkurrenz
                                                   „Auch wenn die ersten Tests bei Ama-       liegt, was rund das Sechsfache des Um-       machen. Hinzu kommt, dass man für den
                                                   zon Go noch nicht so erfolgreich verlau-   satzes aller anderen Abteilungen ist.        Einkauf bei Amazon Go über ein Kun-
                                                   fen sind: Mittel- bis langfristig werden   „Eine Veränderung oder Abschaffung           denkonto verfügen und die App installie-
                                                   sich solche Konzepte durchsetzen, die      der Kasse würde ganz neue Ansätze in         ren muss. Damit macht man sich jedoch
                                                   technologische Entwicklung wird da         der Sortimentspolitik nach sich zie-         überwachbar, denn mit der App sowie mit
                                                   noch einige ‚smarte Lösungen‘ möglich      hen“, so Walbaum.                            im Markt integrierten Beacons folgt

                                                                                                                                                                                        absatz
                                                                                                                                                                            10 2017 wirtschaft   35
Titelgeschichte

     Amazon den Kunden auf Schritt und          Umsatzentwicklung von                                          dass Amazon das Onlinegeschäft be-
     Tritt, weiß, an welchen Regalen sie be-    Amazon Fresh und                                               herrscht wie kein anderes Unternehmen.
     sonders lange verweilen oder was ihre                                                                         „Amazon hat bereits heute eine
     Lieblingsprodukte sind. Dies könnte ein
                                                Prime Now                                                      sehr breite Kundenbasis, deren On-
     Grund sein, warum sich viele Menschen      Prognose für Deutschland von 2016 bis                          line- beziehungsweise Kaufverhalten es
     gegen den Einkauf bei Amazon Go ent-       2021 (in Millionen Euro)                                       aus dem Effeff kennt. Amazon kommt
     scheiden. Würden hingegen Ketten wie                                                                      auch dem sich ändernden Kaufverhal-
     Edeka oder Rewe, zu denen die Kunden       125                                                            ten entgegen. Für die Kunden wird ka-
     bereits über Jahre Vertrauen aufgebaut                         Prime Now                                  nalübergreifender und bequemer Kon-
     haben, ähnliche Konzepte einführen,                            Amazon Fresh                               sum zunehmend Normalität. Bisher hat
     wäre es auch durchaus hierzulande          100                                                            nur das Angebot gefehlt, das kommt
     denkbar, dass kassenloses Einkaufen zu-                                                                   jetzt in den Markt. Mit den hohen Ser-
     mindest unter den jungen Erwachsenen       75                                                             vice-Benchmarks sollen Bestellern
     ein Erfolgsgarant sein könnte.                                                                            die Kaufhürden genommen und eine
                                                                                                               schnelle Marktdurchdringung erreicht
     Fazit: Deutschlands etablierte             50                                                             werden“, prognostiziert Walbaum die
     Größen müssen umdenken                                                                                    guten Etablierungs- und Marktchancen
                                                                                                               in Deutschland. Und das Schlagwort
                                                25
     Auch wenn viele Supermärkte Amazon                                                                        „kanalübergreifender Konsum“ nimmt
     noch nicht offenkundig als ernsthafte                                                                     Amazon sehr ernst, wandelt es sich
     Konkurrenz bezeichnen würden, sollten       0                                                             durch die Übernahme der US-Bio-Su-
     die etablierten Händler wie Edeka und                                                                     permarktkette Whole Foods doch vom
     Rewe dennoch die Entwicklungen bei                                                                        reinen Onlinehändler zum Multi-Chan-
     Amazon im Auge behalten. Denn ins-
                                                -25                                                            nel-Verkäufer. Noch haben die Super-
     gesamt lässt sich wohl nicht bestreiten,         2016   2017    2018     2019       2020        2021      märkte hierzulande zwar Oberwasser,
                                                                       Quelle: LZ (LZ Retailytics), Statista   dennoch sollten sie sich nicht vor Mul-
                                                                                                               tichannel-Konzepten verschließen und
                                                                                                               den rein stationären Handel zwingend
                                                                                                               mit dem Netz-Shopping verbinden.
                                                                                                                   Fest steht auch, dass Amazon Fresh
                                                                                                               früher oder später weiter in Deutschland
                                                                                                               eingeführt wird: „Wir sind gestartet mit
                                                                                                               einem großen Sortiment, mit dem Kun-
                                                                                                               den in einem begrenzten Liefergebiet
                                                                                                               den kompletten Wocheneinkauf online
                                                                                                               erledigen können (…). Kunden schätzen
                                                                                                               die Kombination aus großer Auswahl,
                                                                                                               flexiblen Lieferoptionen und guten Prei-
                                                                                                               sen. Die Messlatte im Lebensmittelein-
                                                                                                               zelhandel liegt sehr hoch. Deshalb neh-
                                                                                                               men wir uns die Zeit, unseren Service
                                                                                                               auf Basis des Kunden-Feedbacks weiter
                                                                                                               zu verbessern. Dabei überlegen wir sehr
                                                                                                               genau, wie wir Amazon Fresh erweitern
                                                                                                               werden. Aber klar ist: Wir wollen Ama-
                                                                                                               zon Fresh in Zukunft auch für Kunden
                                                                                                               in anderen Gebieten Deutschlands ver-
                                                                                                               fügbar machen“, so Amazon-Pressespre-
                                                                                                               cherin Christine Maukel.
                                                                                                                   Gesellschaftlich sollten wir eines nie
                                                                                                               vergessen: auf die Nachhaltigkeit der
                                                                                                                                                            ABSATZWIRTSCHAFT; INFOGRAFIK: ABSATZWIRTSCHAFT
                                                                                                                                                            FOTOS: GETTY IMAGES/JULICHKA, PRIVAT; MONTAGE:

                                                                                                               neuen Entwicklungen achtzugeben. Zu
                                                                                                               viel Verpackung, Lieferfahrzeuge mit
                                                                                                               Dieselmotor und eine schlechte Lebens-
                                                                                                               mittelqualität können dazu führen, dass
                                                                                                               das Projekt der Onlinebestellung zu ei-
                                                                                                               nem Desaster wird. „Ich bin davon über-
                                                                                                               zeugt, dass E-Commerce die Welt verbes-
                                                                                                               sern kann. Aber man muss darauf achten,
                                                                                                               dass solche Projekte die Welt nicht ver-
                                                                                                               schlechtern“, meint Große Holtforth.

36   absatz
     wirtschaft 10 2017
Titelgeschichte

Wie viel Potenzial steckt im E-Food-Markt?
Ist der neue Online-Food-Hype nur ein Strohfeuer oder ist er eine sinnvolle
Shopping-Ergänzung?
Stephan Rüschen, Professor an der             Der Bundesverband E-Commerce und           und Nischenprodukte, die man stati-
Hochschule DHBW Heilbronn im                  Versandhandel Deutschland (Bevh)           onär nicht flächendeckend, aber im
Studiengang BWL-Handel, hat für den           geht ebenfalls von einem moderaten         Onlinehandel überall hin bekommt.
gesamten Markt eine positive Vermu-           Wachstum aus: In den kommenden             Damit ersetzt der Onlinekauf nicht den
tung: „Ich denke, dass wir 2025 an die        drei bis fünf Jahren müsste der Anteil     Bummel über den Wochenmarkt oder
Zehnprozentmarke rankommen kön-               des E-Commerce an Lebensmitteln            zum Schlachter oder zum Gemüse-
nen, was dann schon sehr viel wäre. Es        laut Verband auf drei bis fünf Prozent     händler, ergänzt ihn aber. Gleichzeitig
ist ein angebotsgetriebener Markt, der        wachsen. „Die Voraussetzungen dafür        bietet er attraktiven und spezialisierten
Wachstumspotenzial hat. In Berlin gibt        sind heute schon angelegt: Noch mehr       Stationärhändlern Existenz und Wachs-
es jetzt schon drei Anbieter, das heißt,      Anbieter bedienen das Segment. Es          tumspotenzial“, glaubt Saß. Die größten
der Druck steigt, weil alle bekannter         gibt mehr Vielfalt bei den entsprechen-    Herausforderungen für den Onlinele-
werden wollen. Es bleibt spannend.“           den Logistikanbietern. Regionalisie-       bensmittelhandel seien Prozessopti-
                                              rung ist dabei ein großes Thema. Die       mierung und die Kosten, insbesondere
Auch Jörg Walbaum, Senior Rating              Akzeptanz des E-Food-Handels beim          der Logistik für die „letzte Meile“. Be-
Analyst der europäischen Ratingagen-          Verbraucher nimmt durch immer mehr         züglich der Qualität könne die Branche
tur Euler Hermes Rating, erwartet             positive Onlineeinkaufserfahrungen zu“,    schon sehr gut mithalten und müsse,
langfristig einen E-Commerce-Anteil           sagt Susan Saß, Pressesprecherin des       um weiter Verbrauchervertrauen zu
im Lebensmittelhandel von zehn bis 15         Bevh. Konsumenten allgemein würden         gewinnen, immer noch ein wenig besser
Prozent.                                      mit Selbstverständlichkeit Dinge des       und kundenfreundlicher sein als die
                                              täglichen Bedarfs (sogenannte FMCGs)       Etablierten. Onlinehandel mit Gütern
Ein ganz anderes Bild zeichnet Kai            inklusive Lebensmitteln online bestel-     des täglichen Bedarfs und Lebensmit-
Hudetz, Geschäftsführer des IFH Köln.         len. Der Grundbedarf des Haushalts,        teln sei dann aber gerade eine große
Er schätzt, dass der Onlinehandel mit         zum Beispiel der Wochenendeinkauf,         Chance für strukturschwache Räume,
Lebensmitteln zumindest kurz- und             werde aus Zeitgründen und wegen des        damit diese überhaupt noch flächen-
mittelfristig stark wachsen werde, aber       tollen Service der Zustellung regelmä-     deckend versorgt werden können. „Die
auf einem überschaubaren Niveau: „Wir         ßig online erworben und im gewünsch-       Logistik bietet immer mehr Möglichkei-
rechnen für 2020 mit rund zwei Prozent        ten Zeitfenster verlässlich zugestellt.    ten, unterscheidet aber zwischen Bal-
Marktanteil.“ Außerdem weist er darauf        „Es wird dem Konsumenten vieles            lungsräumen und dünner besiedelten
hin, dass auch andere Länder noch nicht       erleichtert und dadurch auch verein-       Räumen. Gerade in Letzteren sind zum
so weit sind, wie manchmal suggeriert         facht – ich denke an den Siegeszug der     Beispiel die Zustellung in verlässlichen
wird. Das beweise ein Blick auf die           Sprachsteuerung. Die automatisierte        Wunsch-Zeitfenstern und auch tagglei-
Anteile in den „Vorreiter-Nationen“: „In      Nachbestellung von Verbrauchsgütern        che Zustellung sowie eine Mehrwegver-
England ist man schon bei einem Markt-        über Einkaufs-Apps, Dash-Buttons           packung insbesondere von Kühl- und
anteil von über vier Prozent. Dies ist in     oder im Internet of Things wird vielfach   Tiefkühlware sehr wünschenswert,
der hohen Onlineaffinität der Briten be-      das Einkaufen ergänzen oder sogar          aber leider noch keine tägliche Praxis.
gründet und dem riesigen Ballungsraum         ersetzen. Zudem gibt es Spezialitäten      Im Trockensortiment klappt das aber
London geschuldet, der die Skalierung                                                    schon flächendeckend gut.“
ermöglicht“, sagt Hudetz. Frankreich
liege leicht dahinter mit einem ebenfalls
einstelligen Prozentanteil, überwiegend
Click-and-Collect. „Dadurch sparen
Käufer in den riesigen Hypermarchés                                                      2025 können wir an
viel Zeit – viel mehr Zeit, als in Deutsch-                                              die Zehnprozentmarke
land gespart würde“, sagt Hudetz. Die
                                                                                         herankommen
Schweiz glänzt seit 2000 mit dem
Onlinevorreiter Le Shop, doch der                                                        Stephan Rüschen,
Onlinemarktanteil stagniere in                                                              Professor an der Hoschschule DHBW
Wirklichkeit trotz der großen                                                                   Heilbronn
Warenkörbe bei nur knapp zwei
Prozent.

                                                                                                                                     absatz
                                                                                                                         10 2017 wirtschaft   37
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