PERSONALREPORT ÖFFENTLICHER DIENST 2020
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INHALT Vorwort: Der schlanke Staat hat sich blamiert ............................................................................. 3 Kapitel 1: Der öffentliche Dienst auf einen Blick .......................................................................... 4 Kapitel 2: Aufgabenbereiche des öffentlichen Dienstes nach Geschlecht ..................................... 7 Vor Ort nachgefragt: Maschinenraum der digitalen Verwaltung ...................................... 8 Kapitel 3: Langfristige Veränderungen im Personalstand............................................................ 14 Kapitel 4: Der öffentliche Dienst im europäischen Vergleich....................................................... 16 Vor Ort nachgefragt: Gesundheitsämter im Krisenmodus................................................ 18 Kapitel 5: Prekäre Beschäftigung im öffentlichen Dienst ........................................................... 24 Kapitel 6: Altersstruktur der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ............................................. 26 Kapitel 7: Teilzeit im öffentlichen Dienst .................................................................................... 31 Kapitel 8: Ausbildung im öffentlichen Dienst ............................................................................. 32 Kapitel 9: Zusammenschau......................................................................................................... 33 Resümee und Forderungen: Das ist zu tun! .......................................................................... 34 Anhang: Arbeitsorte des öffentlichen Dienstes .......................................................................... 38 Veröffentlichungen der Abteilung: Weiterlesen! .................................................................... 41 Acht Gute Gründe Mitglied zu werden: Mitmachen! ............................................................ 42 Impressum ................................................................................................................................. 43
VORWORT Der schlanke Staat hat sich blamiert Von Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des DGB Rettungsdienste, Polizei, Jobcenter, Schulen, Kitas, Krankenhäuser, Gesundheitsämter – die vergange- nen Monate hatten für KollegInnen diverser Arbeits- bereiche mit Entschleunigung nichts zu tun. Damit In Bauämtern braucht es mehr Personal, damit In- belegt die Corona-Krise die Bedeutung, die einer vestitionen nicht versanden. Und dem Pakt für den stabilen öffentlichen Infrastruktur beizumessen ist. Rechtsstaat zum Trotz fehlen vielerorts Staatsan- Das Leitbild des schlanken Staates hat sich in dieser wältInnen oder RichterInnen, um die Aufgaben der Krise blamiert. In den letzten Monaten aufgehäufte Justiz zu erfüllen. Mehrarbeit und unzählige Überstunden zeugen da- von. Der DGB Personalreport macht deutlich: Bei der Die einzelnen Kapitel des Reports werfen auf Ba- Personalausstattung wird weiter auf Kante genäht, sis der Zahlen des Statistischen Bundesamtes ein bindende Bedarfsanalysen fehlen. Von einer Trend- Schlaglicht auf die Personaldecke im öffentlichen wende kann auch 2020 keine Rede sein. Dienst im Jahr 2019. In den beiden Heftschwer- punkten lassen wir jene zu Wort kommen, die mit Die ersten Monate der Pandemie sind vorbei. Bisher der vorhandenen Personaldecke umgehen müssen ist es in Deutschland relativ gut gelungen, die Aus- und die alltäglichen Folgen sehen. In diesem Jahr breitung des Corona-Virus zu bremsen. Es gab Mut ist das zum einen der Softwareentwickler Holger machende Beispiele für gesellschaftliche Solidarität, Nickel, Personalratsvorsitzender beim hessischen es gab Beispiele für gesunden Pragmatismus und IT-Dienstleister HZD. Außerdem berichtet Christine die Gestaltungsmacht von Politik. Und nicht zuletzt Scherzinger über die Arbeit in Gesundheitsämtern. wurde deutlich: Die Beschäftigten im öffentlichen Sie ist Ärztin und Vorsitzende des Hauptpersonalrats Dienst halten den Laden am Laufen, auch und gera- beim Sozialministerium Baden-Württemberg. de in Krisensituationen. Was jetzt folgen muss, ist die Neujustierung staatlicher Aufgaben, und dabei muss Fakt ist: Mit einer löchrigen Personaldecke kann der insbesondere die Personalausstattung Thema sein. öffentliche Dienst seine Aufgaben nicht so erfüllen, wie es geboten ist. Und während seine Leistungsfä- Konsequenzen gezogen wurden bisher nur mit Blick higkeit sinkt, steigt für die Beschäftigten die Arbeits- auf die Gesundheitsämter, hier sollen in den nächs- belastung. Die vorhandenen Aufgaben sind auf zu ten Jahren 5.000 neue Stellen geschaffen werden. wenige Schultern verteilt. Dieser Schritt ist richtig, reicht allerdings nicht aus. In Kitas und an Schulen braucht es mehr Personal, Deshalb: Wir brauchen mehr Personal sowie gute Ar- um bessere Lernbedingungen zu ermöglichen (und beits- und Einkommensbedingungen im öffentlichen nebenbei auch einen besseren Infektionsschutz). Dienst! DGB | Personalreport 2020 3
KAPITEL 1 Der öffentliche Dienst auf einen Blick 27 % Laut dem Statistischen Jahrbuch lebten 2019 in Deutschland der Beschäftigten im 82,8 Millionen Menschen. Darunter öffentlichen Dienst waren älter als 55 waren Jahre und werden in den nächsten 44,7 Millionen 10 Jahren in den Ruhestand gehen. Erwerbstätige, Am Stichtag 30.06.2019 absolvierten 250.650 von denen 90,6 Prozent abhängig beschäftigt, also Angestellte, Personen eine BeamtInnen oder Auszubildende waren. Ausbildung im öffentlichen Dienst. Der Quelle: Statistisches Jahrbuch 2019 Frauenanteil betrug dabei 58,8 Prozent. 4,88 Millionen 34,9 Prozent. Der Frauenanteil liegt in diesem Menschen waren zum Stichtag 30.06.2019 Bereich bei 51,8 Prozent. im öffentlichen Dienst beschäftigt. 33,1 % Im Vergleich zum Vorjahr sind das 81.945 zusätzliche Beschäftige. der Beschäftigten im öffentlichen Dienst waren im Jahr 2019 in 14,8 % Teilzeit tätig, also 1.615.965 Personen 2019 hatten nur der (einschl. Altersteilzeit). Beschäftigten auf Bundesverwaltungsebene 1.556.445 einen Migrationshintergrund, obwohl sie ein Viertel der Gesellschaft ausmachen. Beschäftigte im Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung öffentlichen Dienst sind in den Kommunen tätig, das entspricht 31,9 Prozent. Der größte 1.703.175 Anteil, insgesamt 50,4 Prozent, arbeitet für die BeamtInnen Länder. Viele personalintensive Aufgaben wie und RichterInnen arbeiteten 2019 im das Bildungswesen oder der überwiegende Teil öffentlichen Dienst. Das ist ein Anteil von der Polizei fallen in ihre Zuständigkeit. 4 DGB | Personalreport 2020
61,6 % waren 2019 444.445 der ArbeitnehmerInnen im öffentlichen Dienst als im öffentlichen Dienst arbeiteten ArbeitnehmerInnen beschäftigt, das im Jahr 2019 auf Basis eines befristeten entspricht 3.011.080 Personen. Dabei liegt Arbeitsvertrages. Das ist eine der Frauenanteil bei 63 Prozent. Befristungsquote von 14,8 Prozent. Im Jahr 2019 arbeiteten 6,22 Millionen Beschäftigte bei öffentlichen Arbeitgebern. Dazu zählen der öffentlichen Dienst im engeren Sinn sowie Einrichtungen in privater Rechtsform mit überwiegend öffentlicher Beteiligung, etwa Stadtwerke oder die Deutsche Bahn AG. Dieser Report enthält Zahlen zum öffentlichen Dienst. BESCHÄFTIGTE IM ÖFFENTLICHEN DIENST 2.797.965 Frauen NACH BESCHÄFTIGUNGSBEREICHEN arbeiteten 2019 im öffentlichen Dienst. Das Sozialversicherung ist ein Frauenanteil von 57,3 Prozent. Bund 365.960 501.905 In der Kindertagesbetreuung lag der 7,5 % 10,3 % 94,4 % Anteil der Frauen mit überdurchschnittlich hoch, bei der Polizei 1.556.445 mit 29,3 Prozent deutlich darunter. 31,9 % 2.460.520 2019 betrug der Frauenanteil in Kommunen 50,4 % Führungspositionen in 36 % den obersten Bundesbehörden – das ist Länder im Vergleich zu 2015 ein Anstieg um 3,6 Prozentpunkte. Bis 2025 will der Bund DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, 50 Prozent erreichen. Fachserie 14, Reihe 6, 2019, Tab. 1.2.1 Quelle: Gleichstellungsindex 2019 Abbildung 1 Quellen auf dieser Doppelseite, soweit nicht anders vermerkt: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2019 DGB | Personalreport 2020 5
Tabelle 1 BESCHÄFTIGTE NACH AUFGABENBEREICHEN UND BESCHÄFTIGTENSTATUS (KÖPFE), 2019 Aufgabenbereich Insgesamt BeamtInnen, Arbeit RichterInnen, nehmerInnen SoldatInnen insgesamt 4.884.830 38,4 % 61,6 % Allgemeine Dienste 1.630.450 60,3 % 39,7 % Politische Führung und zentrale Verwaltung 514.110 29,9 % 70,1 % Auswärtige Angelegenheiten 9.440 31,2 % 68,9 % Verteidigung 239.610 81,0 % 19,0 % Öffentliche Sicherheit und Ordnung 495.105 71,0 % 29,0 % darunter Polizei 334.320 85,7 % 14,3 % Rechtsschutz 182.760 65,2 % 34,8 % Finanzverwaltung 189.425 85,0 % 15,0 % Bildungswesen, Wissenschaft, Forschung, 1.689.375 43,0 % 57,0 % kulturelle Angelegenheiten darunter: Allgemeinbildende 959.970 67,3 % 32,7 % und berufliche Schulen Hochschulen 575.885 10,2 % 89,8 % Soziale Sicherung, Familie und Jugend, 836.565 8,0 % 92,0 % Arbeitsmarktpolitik darunter Kindertagesbetreuung 248.805 0,6 % 99,4 % nach SGB VIII Gesundheit, Umwelt, Sport und Erholung 255.920 5,5 % 94,5 % darunter Krankenhäuser und Heilstätten 142.585 0,6 % 99,4 % Wohnungswesen, Städtebau, Raumordnung 127.895 14,2 % 85,8 % und kommunale Gemeinschaftsdienste Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 45.020 30,2 % 69,8 % Energie- und Wasserwirtschaft, Gewerbe, 156.135 9,4 % 90,6 % Dienstleistungen Verkehrs- und Nachrichtenwesen 133.210 26,3 % 73,7 % Finanzwirtschaft 10.265 15,2 % 84,8 % DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2019, Tab. 2.8.1 6 DGB | Personalreport 2020
KAPITEL 2 Aufgabenbereiche des öffentlichen Dienstes nach Geschlecht Der Anteil der weiblichen Beschäftigten im öf- Bei näherer Betrachtung der Aufgabenbereiche fentlichen Dienst stieg in den vergangenen Jahren zeigt sich auch, dass die Frauen- und Männeranteile kontinuierlich an. Im Juni 2019 waren 57,3 Prozent je nach Tätigkeitsfeld stark variieren. In der Kinder- aller Beschäftigten Frauen. In absoluten Zahlen sind tagesbetreuung (94,4 Prozent) und im Schuldienst das rund 2,8 Millionen. In der Nachkriegs-BRD der (72,2 Prozent) ist der Anteil der Frauen beispielswei- Fünfzigerjahre lag der Frauenanteil lediglich bei 19 se überdurchschnittlich hoch, in der Verteidigung Prozent. Unterschiede gibt es auch zwischen dem (18,5 Prozent), im Verkehr- und Nachrichtenwesen früheren Bundesgebiet und den »neuen Ländern«, (21,1 Prozent) sowie bei der Polizei (29,3 Prozent) in denen 61,1 Prozent der Beschäftigten im öffent- liegt er deutlich niedriger. lichen Dienst weiblich waren. Im früheren Bundes- gebiet lag der Frauenanteil 2019 dagegen bei 56,6 Prozent. Abbildung 2 WEIBLICHE BESCHÄFTIGTE IM ÖFFENTLICHEN DIENST NACH AUFGABENBEREICHEN, 2019 Kindertagesbetreuung nach SGB VIII 94,4 % Krankenhäuser und Heilstätten 73,3 % Allgemeinbildende und berufliche Schulen 72,2 % Politische Führung u. zentrale Verwaltung 57,9 % Öffentlicher Dienst insgesamt 57,3 % Finanzverwaltung 56,7 % Wohnungswesen, Städtebau, Raumordnung 36,4 % Polizei 29,3 % Verkehrs- und Nachrichtenwesen 21,1 % Verteidigung 18,5 % DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2019, Tab. 2.9 DGB | Personalreport 2020 7
VOR ORT NACHGEFRAGT Maschinenraum der digitalen Verwaltung In Deutschland werden im Zuge der OZG-Umsetzung immer mehr Verwaltungs- leistungen digitalisiert. Eine Arbeit ohne IT-Unterstützung ist auch im öffentlichen Dienst nur noch schwer vorstellbar. Die, die dafür die Infrastruktur bereitstellen, stehen allerdings selten im Fokus. Öffentliche IT Dienstleistungs- und Rechenzentren sind die Motoren der digitalen Ära, und wie überall läuft auch dort ohne die Beschäftigten gar nichts. Der DGB Personalreport hat vor Ort nachgefragt. Öffentliche IT Dienstleistungszentren stellen Fest- digitale Lerninhalte zu vermitteln. Zudem hat Coro- plattenspeicher und E-Mail-Postfächer zur Ver- na das Homeoffice auch im öffentlichen Dienst in fügung, arbeiten an der Firewall und beraten zur ganz neue Dimensionen befördert. Die öffentlichen Informationssicherheit, schulen die Beschäftigten IT Dienstleister und IT-Abteilungen mussten die zu Anwendungen und IT-Verfahren und bilden technischen Voraussetzungen für all diese Prozesse Nachwuchskräfte in der Verwaltungs-IT aus. Sie schaffen, und das im Eiltempo. entwickeln die Software für unterschiedliche Ver- waltungsabläufe, die die NutzerInnen unterstützen KONKURRENZ UM FACHKRÄFTE und entlasten soll. Diese Fachverfahren sind die Die Arbeit öffentlicher IT-Dienstleister ist wesent- zentralen Werkzeuge im Arbeitsalltag der Verwal- lich, sie muss in öffentlicher Verantwortung betrie- tungsbeschäftigten. Ihre konkrete Ausgestaltung ist ben werden. Im Sinne der digitalen Souveränität des auch deswegen wichtig, weil die Beschäftigten die Staates, welche auch die Vermeidung der Abhän- Auswirkungen der Digitalisierung ihrer Arbeit nicht gigkeit von Internet- oder Softwarekonzernen ein- als negativ empfinden sollen. Dass dies nicht gänz- schließt, braucht es dafür in Zukunft mehr Personal. lich gelingt, zeigen die Ergebnisse einer Umfrage: Und altersbedingt tritt auch in den IT-Abteilungen Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst registrie- eine Generation erfahrener SpezialistInnen nach ren eine höher Arbeitsbelastung. Auch die Zahl der und nach ab. Ausbildung und Rekrutierung stehen gleichzeitig zu erledigenden Aufgaben sei gestie- deshalb vielerorts im Fokus. Dabei ist auch im Ma- gen.1 schinenraum der digitalen Verwaltung die wesent- liche Voraussetzung: Gute Arbeit. Das folgende UND DANN KAM CORONA Interview mit Holger Nickel beschreibt die aktuelle Die Corona-Pandemie hat aber auch die positiven Situation in Hessen. Aspekte der Digitalisierung vor Augen geführt. Ohne leistungsfähige öffentliche IT-Infrastruktur wäre die- se Krise schlecht zu bewältigen. Nicht zuletzt durch die IT blieb die Verwaltung im Lockdown arbeits- 1 | Roth, Ines (2017): Digitalisierung und Arbeitsqualität. Son- fähig. IT wurde eingesetzt, um die Bevölkerung zu derauswertung DGB-Index Gute Arbeit zum Dienstleistungs- informieren oder SchülerInnen und Studierenden sektor. Online unter www.innovation-gute-arbeit.verdi.de 8 DGB | Personalreport 2020
ZAHLEN & FAKTEN 59 % der BürgerInnen haben in 63 % der Beschäftigten aus der Deutschland in den letzten 12 Monaten öffentlichen Verwaltung erklären, dass durch über das Internet mit dem Behörden die Digitalisierung die zu bewältigende Kontakt gehabt. In Österreich liegt der Anteil Arbeitsmenge größer geworden ist. 43 Prozent bei 70 Prozent in den Niederlanden bei fühlen sich häufig oder oft der digitalen 81 Prozent und in Dänemark bei 92 Prozent. Technik ausgeliefert. Quelle: Eurostat [isoc_r_gov_i] Quelle: Roth, Ines (2017), a.a.O. Insgesamt 21 % der BürgerInnen 38 Petabytes Speicherkapazität stellt in Deutschland gibt an, in den letzten das ITZBund der Verwaltung auf Bundesebene 12 Monaten Formulare elektronisch an die zur Verfügung. Beim IT-Dienstleister des Bundes Behörden gesendet zu haben. In Bayern, arbeiten 3.250 Personen an 12 Dienstsitzen. Bremen, Hessen und Rheinland-Pfalz liegen Quelle: www.itzbund.de: 2.10.2020 die Anteile über diesem Bundesdurchschnitt. 3.500 Quelle: Eurostat [isoc_r_gov_i] Insgesamt Beschäftigte 575 arbeiten für den norddeutschen IT-Dienstleister Verwaltungsleistungen für Dataport, der einige Kommunen, die IT der BürgerInnen und Unternehmen sollen laut Länder Schleswig-Holstein, Hamburg, Onlinezugangsgesetz bis 2022 digital zur Verfü- Bremen und Sachsen-Anhalt und die gung stehen. Steuerverwaltung in Niedersachsen und Quelle: IT-Planungsrat Mecklenburg-Vorpommern betreut. Quelle: www.dataport.de; 2.10.2020 93 % 240 Mio. der Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung sind nach eigenen Spam-E-Mails Angaben von der Digitalisierung betroffen, filtert die Hessische Zentrale für Daten- 76 Prozent von ihnen in sehr hohem verarbeitung pro Jahr aus dem Netz. oder hohem Maße. Quelle: HZD 2020: »Digitalisierung gemeinsam gestalten« Quelle: Roth, Ines (2017), a.a.O. 18.142 Studierende begannen im Wintersemester 2018/19 ein Studium der Informatik, davon 1.988 in Hessen. Quelle: Stat. Bundesamt, Ergebnis Tabelle 21311-0015 DGB | Personalreport 2020 9
ZUR PERSON Holger Nickel begann 1978 seine Aus- bildung zum Justizangestellten beim Amtsgericht Wiesbaden. Die IT der öffentlichen Verwaltung begleitet ihn seit- dem durch das Berufsleben. Ab 1988 hat er an der Hessischen Zentrale für Daten- verarbeitung (HZD) das Qualifizierungs- programm »Fortzubildende Angestellte und Beamte Fachrichtung Informations- technik« absolviert. Seitdem arbeitete er als Softwareentwickler in verschiedenen Arbeitsbereichen. Seit Anfang der Neun- zigerjahre ist er in der ÖTV und später in ver.di aktiv. Seit 2005 ist er im Personalrat der HZD, dem er seit Mai 2020 vorsitzt. Das Gremium vertritt die Interessen von momentan 950 HZD-Beschäftigten. »Wir haben Massen an Ausschreibungen, der Aushang ist voll« 10 DGB | Personalreport 2020
Seit Ende der Siebzigerjahre die Entwicklungs Während der ersten stufen der digitalen Verwaltung mitzuerleben Corona-Phase wurde – und das in deren Maschinenraum – war sicher von hier aus facettenreich. Was waren deine Schwerpunkte? sichergestellt, dass Holger Nickel: Ich habe nach der Ausbildung zuerst 40.000 Beschäftigte in der IT im Amtsgericht in Wiesbaden gearbeitet. des Landes mobil Wir hatten als erstes Amtsgericht in Hessen über- arbeiten können. haupt einen Rechner und waren richtig stolz drauf. Was da geleistet wurde, In der HZD hatte ich ab Ende der Achtzigerjahre ganz kann man unseren verschiedene Aufgaben. Ich habe für die Register- KollegInnen gar nicht führung der Amts- und Staatsanwaltschaften Soft- hoch genug anrechnen. ware programmiert oder andere Fachanwendungen für die Justiz betreut. Ich habe in Anforderungsana- lysen für Kunden untersucht, welche Softwarepro- zesse sie brauchen. Oder ich habe als Softwareent- wickler Benutzeroberflächen verbessert. Ein bunter Strauß also. dere sein. Es macht Angst, dabei Kompetenzen zu Und immer ging es auch darum, dass ihr als verlieren. Aber wir sollten den Wandel mitgehen und HZD die digitale Verwaltung vorantreibt? gestalten. Ja. Uns gibt es als HZD jetzt seit fünfzig Jahren, in- sofern ist das ein langer Prozess. Als ich in der Justiz Bei der HZD dreht sich die Diskussion eher um anfing, gab es noch Schreibdienste. Dort wurden Personalzuwachs als um Stellenabbau? Akten getippt. Diese Tätigkeit gibt es heute nicht Nicht unbedingt. Ich hab auch schon zwei Organi- mehr, alles wurde zusammengeführt und verdichtet. sationsuntersuchungen durch externe Beraterfirmen Schon 1988 konnten wir in den Zivilabteilungen des erleben dürfen. Da ging es um Umstrukturierungen Amtsgerichts 60 Prozent der Arbeit mit dem Com- und Modernisierungen, also letztlich auch darum, puter erledigen. Heute sind wir viel weiter, und die Personal einzusparen. Und Diskussionen um eine Digitalisierung der Dienststellen ist noch nicht zu Privatisierung der HZD gab es früher auch immer Ende. Und wenn ich sehe, dass Excel-Tabellen noch mal wieder. Aber heute ist die Situation anders. Wir als Datenbanken genutzt werden, dann fehlt da vor wachsen und das Ministerium weist uns zusätzliche Ort oft noch einiges. Stellen zu. Wir brauchen auch mehr Leute. Auch hier im Haus wird ja das Onlinezugangsgesetz umge- Werden durch die Digitalisierung in der Lan setzt, das auch die Landesverwaltung betrifft. Unser desverwaltung Tätigkeiten wegfallen? Bereich Finanzverwaltung betreut Fachverfahren, Sie werden sich verändern. In den Finanzämtern die bundesweit eingesetzt werden. Wir tauschen wird viel automatisiert. Es gibt dort jetzt Service gerade das Dokumentenmanagementsystem der Center und nicht mehr persönliche Ansprechperso- Landesverwaltung aus – ein jahrelanger Prozess. nen. Es wandelt sich viel. Ich bin jetzt schon lange Während der ersten Corona-Phase wurde von hier dabei und kenne natürlich die Diskussion. ‚EDV ist aus sichergestellt, dass 40.000 Beschäftigte des böse, da fallen Stellen weg‘, heißt es oft. Ich denke Landes mobil arbeiten können. Was da geleistet es kommt immer drauf an, wie es umgesetzt wird. wurde, kann man unseren KollegInnen gar nicht Ja, die eigene Arbeit wird im Zweifelsfall eine an- hoch genug anrechnen. DGB | Personalreport 2020 11
Spielt bei euch neben diesem Aufgabenzu Momentan suchen wir wachs auch die Altersstruktur der Beschäftig vor unter anderem ten eine Rolle? Softwareentwickler. Definitiv, wir sind mitten drin im demografischen Es ist schwierig, die Wandel. Seit drei, vier Jahren gehen sehr viele in den Bewerberlage ist Ruhestand, teilweise auch früher und mit Abschlä- mau. Selbst bei gen. Für die vorletzte Personalversammlung hatten hochkarätigen Stellen wir als Personalrat eine Prognose erstellt, demnach ist sie oft dürftig wird uns innerhalb der nächsten fünf Jahre ein und wir müssen ein Drittel der Beschäftigten altersbedingt verlassen. zweites oder drittes Viele junge Leute kommen nach, es ist ein großer Mal ausschreiben. Umbruch. Außerdem gibt es anders als früher auch KollegInnen, die kündigen, weil sie sich verändern wollen oder weil woanders mehr gezahlt wird. Sie wechseln in die Wirtschaft oder zu anderen Behör- den. Durch die vielen Aufgaben und die alters- oder konkurrenzbedingten Abgänge herrscht tatsächlich Personalmangel. Wir haben Massen an Ausschrei- bungen – der Aushang ist voll. ausschreiben. Je weniger spezialisiert die Aufgabe, desto mehr Bewerbungen haben wir logischerwei- Wie läuft denn die Personalsuche? se. SpezialistInnen zu finden, etwa für ein ganz be- Momentan suchen wir vor unter anderem Soft- sonderes Dokumentenmanagementsystem, das ist wareentwickler. Es ist schwierig, die Bewerberlage wirklich schwer. Wir haben auch Bewerbungen aus ist mau. Selbst bei hochkarätigen Stellen ist sie oft Indien und Pakistan, weil die HZD auf Jobportalen dürftig und wir müssen ein zweites oder drittes Mal ausschreibt. Die sind von der Papierlage topp, da werde ich echt neidisch. Woran liegt es, dass die Rekrutierung so IT-DIENSTLEISTUNGSZENTREN schwierig ist? DER VERWALTUNG Die Gehälter werden mit denen in der Wirtschaft verglichen. Dadurch sind die Erwartungen hoch. Die Bedeutung der Informationstechnik (IT) für die Ver- waltung nimmt zu. Der Betrieb einer modernen IT-Infra- Wo wir keine BeamtInnen einstellen, da zahlen wir struktur kann einzelne Behörden und Einrichtungen nach TV-H. Seit Anfang des Jahres gibt es dort eine dabei überfordern. Schon seit langer Zeit gibt es des- halb öffentliche IT-Dienstleister. Die Hessische Zentrale bessere Entgeltordnung mit einer IT-Regelung, auch für Datenverarbeitung etwa (siehe Interview) feierte durch unser Engagement in ver.di. Über 250 unserer gerade ihr 50jähriges Bestehen, was auch verdeutlicht, KollegInnen sind von der E11 in die E12 aufgestie- dass die Digitalisierung der Verwaltung stufenweise verläuft. Mit Blick auf Bund, Länder und Kommunen gen und es gibt eine neue Entgeltgruppenzulage. ist die Landschaft der IT-Dienstleister sehr heterogen. Dadurch landet mehr Geld in der Tasche. Aber die Auf Bundesebene ist das ITZBund zuständig, in den Ländern existiert fast überall mindestens ein eigenes HZD muss weiterhin auch mit anderen Benefits Landesrechenzentrum. Viele Bundesländer unterhalten punkten. Die Arbeit ist sinnvoll und sicher, das ist einen IT-Dienstleister, wobei Dataport im norddeut- auf dem freien Markt nicht immer so. Die Aufgaben schen Raum für gleich vier Bundesländer zuständig ist. hier sind für IT’ler wirklich vielfältig und reizvoll. Die technische Ausstattung ist ordentlich, Standard sind 12 DGB | Personalreport 2020
zwei Bildschirme und ein Notebook. Wir haben das Gibt es denn Möglichkeiten für eine Art Quer Jobticket für ganz Hessen, was für die PendlerInnen einstieg? wichtig ist. Die Vereinbarkeit Beruf und Familie läuft Es gibt das Trainee-Programm. Da fangen zweimal gut. Es gibt hier direkt eine Kindertagesstätte, pri- im Jahr 10 bis 12 Trainees an, die schon Uniab- mär gedacht für unsere Beschäftigten. Es gibt eine schlüsse haben. Sie haben dann ein halbes Jahr rei- wirklich gute Kantine, einen Gesundheitsraum, Be- ne Theorie, werden also erstmal mit IT aufgetankt. triebssportgruppen, Ausflüge und die jährliche Fast- Dann gibt es eine Prüfung und danach einen Praxis- nachtssitzung mit Büttenreden, Chor und Männer- teil in dem Bereich, in dem sie langfristig arbeiten ballett. sollen. »Learning on the Job« – das funktioniert gut und wird auch von HZD-Seite sehr gut betreut. Die Welche Rolle spielt das Thema Arbeitszeit bei Trainees werden nach den insgesamt zwei Jahren der Fachkräftegewinnung? eigentlich alle übernommen. Das ist wichtig und wird in Bewerbungsgesprächen gezielt nachgefragt. Wer sich aus einer IT-Berater- Als Fazit, was müsste noch geschehen, damit tätigkeit heraus bei uns bewirbt, sieht seine Fami- die HZD als Arbeitgeber attraktiv ist? lie bisher nur am Wochenende. Das will niemand Ich würde mir ein moderneres Auftreten nach außen dauerhaft machen. Wir haben hier eine gutes Gleit- wünschen. Die HZD hat für mich immer noch den zeitmodell mit Arbeitszeitkonto, können Mehrarbeit Hauch einer Behörde. Wir sollten noch mehr moder- schnell ausgleichen. Dadurch entstehen Freiräume. ne Arbeitstechniken einführen und das nach außen Home-Office funktioniert auch prima. Das war ohne- sichtbar machen. Das gibt es in einzelnen Projekten hin geplant, bevor uns Corona dann überrannt hat. schon, da wird agil gearbeitet, mit Scrum und einem Da haben ja auch wir fast alle Zuhause gearbeitet. Daily, also einem kurzen morgendlichen Austausch. Derzeit erarbeitet eine Arbeitsgruppe beim Finanz- Gerne mehr davon! Aber vieles läuft jetzt schon gut. ministerium ein Rahmenkonzept zur Flexibilisierung Unser Personalentwicklungskonzept unterstützt der Arbeitszeit und des Arbeitsortes. Da sind wir auf zum Beispiel, dass Leute regelmäßig rotieren und einem guten Weg, denke ich. Arbeitsbereiche wechseln können. Da wird versucht, auf die Wünsche der Beschäftigten einzugehen. Das Wie sieht es mit den eigenen Nachwuchskräf ist der richtige Weg. ten aus? Das Interwiew fand Mitte August 2020 statt. Mit dem Nachwuchs ist es ein bisschen schwierig. Wir haben aktuell fünf Stellen für Auszubildende ausgeschrieben und nur drei besetzen können. Viele Bewerber fallen schon im Vorfeld durch die Bewer- Wir haben hier eine bertests. Die sind nicht einfach, vor allem der Ma- gutes Gleitzeitmodell the- und Logiktest. Relativ neu ist das hessenweite mit Arbeitszeitkonto, Programm für ein duales Studium. Das Land zahlt können Mehrarbeit den Studierenden die Studiengebühren und eine schnell ausgleichen. Aufwandsentschädigung, die der Auszubildenden- Dadurch entstehen vergütung nach TV-AH entspricht. Da wird an ver- Freiräume. Home-Office schiedenen Standorten ausgebildet, zu IT-Sicherheit, funktioniert auch prima. Controlling, »Infrastructure«. Die AbsolventInnen sollen dann bei uns einsteigen, zum Beispiel als Ver- waltungsinformatiker. DGB | Personalreport 2020 13
KAPITEL 3 Langfristige Veränderungen im Personalstand In der Nachkriegs-BRD wuchs das Personal im öf- lionen. Vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjah- fentlichen Dienst stetig an, zwischen 1960 und 1990 ren gab es durch eine Ausweitung der Staatstätig- stieg die Zahl der Beschäftigten von 3 auf 4,68 Mil- keit deutliche Personalzuwächse. ENTWICKLUNG DES PERSONALSTANDS, KÖPFE, IN TAUSEND Jahr insgesamt BeamtInnen und ArbeitnehmerInnen Frauen im RichterInnen öffentlichen Dienst 1991 6.737,8 1.843,5 (27,4 %) 4.637,1 (68,8 %) 3.155,2 (46,8 %) 1995 5.371,0 1.701,1 (31,7 %) 3.475,5 (64,7 %) 2.677,2 (49,8 %) 2000 4.908,9 1.684,6 (34,3 %) 3.037,8 (61,9 %) 2.493,5 (50,8 %) 2005 4.599,4 1.691,6 (36,8 %) 2.722,7 (59,2 %) 2.390,8 (52 %) 2010 4.586,1 1.687,1 (36,8 %) 2.713,4 (59,2 %) 2.467,2 (53,8 %) 2015 4.645,5 1.671,3 (36 %) 2.808,2 (60,5 %) 2.603,4 (56 %) 2019 4.884,8 1.703,2 (34,9 %) 3.011,1 (61,6 %) 2.797,9 (57,3 %) DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, Tab. 1.2 und 2.1 Tabelle 2 Abbildung 3 BESCHÄFTIGTE DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, KÖPFE, IN TAUSEND 4.908,9 4.884,8 4.821,1 4.809,1 4.802,9 4.779,4 4.739,9 4.689,0 4.669,9 4.652,5 4.635,2 4.645,5 4.617,4 4.602,9 4.599,4 4.586,1 4.576,0 4.540,6 4.547,6 4.505,1 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2019, Tab. 8.1.1 14 DGB | Personalreport 2020
VERGLEICH ZUM VORJAHR, BESCHÄFTIGTE DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, KÖPFE, IN TAUSEND Jahr insgesamt Bund Länder Kommunen Sozial versicherung 30.06.2018 4.802,9 496,3 2.419,8 1.518,6 368,2 30.06.2019 4.884,8 501,9 2.460,5 1.556,4 366,0 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2019, Tab. 8.1.1 Tabelle 3 Ab den Neunzigerjahren folgte eine lange Phase Abbildung 3 zeigt die Personalstandentwicklung ab von Stellenstreichungen und Personalabbau. Zwi- dem Jahr 2000 nach Köpfen, Abbildung 4 zeigt sie schen 1991 und 2019 ist das Personal des öffentli- nach Vollzeitäquivalenten. Das Vollzeitäquivalent chen Dienstes um rund 30 Prozent von 6,74 auf 4,88 gibt an, wie viele Vollzeitstellen sich rechnerisch bei Millionen Beschäftigte gesunken. einer gemischten Personalbelegung mit Teilzeitbe- schäftigten ergeben. So wird ersichtlich, wie hoch die Für den Stichtag 30.06.2019 verzeichnet die Per- Zahl der Erwerbstätigen wäre, wenn es nur Vollzeit- sonalstandstatistik im Vergleich zum Vorjahr einen arbeitsplätze gäbe. Ein Vergleich macht deutlich, dass Personalzuwachs. Die Beschäftigtenzahl stieg insge- der Rückgang der Beschäftigtenzahlen den massiven samt um 81.945 Personen. Dies ist in erster Linie auf Abbau der Stellen im öffentlichen Dienst nur zum eine Zunahme bei den Landesbeschäftigten (plus Teil widerspiegelt. Hintergrund ist der Anstieg der 40.680) und im kommunalen Bereich (plus 37.850) Teilzeitbeschäftigung: Eine Vollzeitstelle wird immer zurückzuführen. häufiger von mehr als einer Person ausgefüllt. Abbildung 4 VOLLZEITÄQUIVALENTE IM ÖFFENTLICHEN DIENST, IN TAUSEND 4.438,8 4.333,2 4.292,1 4.303,6 4.237,9 4.232,7 4.179,2 4.132,7 4.111,1 4.087,2 4.083,0 4.057,4 4.030,4 4.026,2 3.995,7 4.001,5 3.956,1 3.973,6 3.953,8 3.921,9 00 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2019, Tab. 8.1.4 DGB | Personalreport 2020 15
KAPITEL 4 Der öffentliche Dienst im europäischen Vergleich In den europäischen Ländern haben öffentliche Ar- In Deutschland (und ähnlich in den Niederlanden) beitgeber eine sehr unterschiedliche beschäftigungs- hat der Staat als Arbeitgeber eine im Vergleich ge- politische Bedeutung. Am stärksten ausgeprägt ist ringere Bedeutung. der öffentliche Sektor in den skandinavischen Län- dern. In Schweden, Dänemark und Norwegen liegt Gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung geben die der Anteil der Beschäftigten öffentlicher Arbeitgeber europäischen Nachbarn deutlich mehr für ihren öf- an der Gesamtbeschäftigung nach Zahlen der OECD fentlichen Dienst aus. Im Jahr 2019 haben die vier bei knapp 30 Prozent.1 Im Nachbarland Frankreich skandinavischen Länder Dänemark, Finnland, Nor- liegt der Anteil bei rund 22 Prozent, in Deutschland wegen und Schweden (DK, FI, NO, SE) im Durch- dagegen nur bei 10 Prozent. Diese Unterschiede schnitt 13,8 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für sind ein Hinweis darauf, dass in den europäischen Personal im öffentlichen Dienst ausgegeben, Däne- Ländern die Bewertung dessen, was eine öffentlich mark als einzelnes Land sogar 15 Prozent (siehe Ab- zu erbringende Leistung ist, unterschiedlich ausfällt. bildung). Die Personalausgaben in Deutschland be- Abbildung 5 AUSGABEN FÜR DAS PERSONAL DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, ANTEIL AM BIP, IN PROZENT 17,3 16,0 15,0 14,6 11,5 13,8 10,8 10,7 10,0 8,8 7,9 7,5 Dänemark Durchschnitt DK, FI, NO, SE Durchschnitt BE, FR, NL, AT Durchschnitt Europa Deutschland 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2019 DGB | Quelle: EUROSTAT, Staatseinnahmen, -ausgaben und Hauptaggregate [gov_10a_main], zu leistende AN-Entgelte, Anteil am Bruttoinlandsprodukt, Stand Okt. 2020 16 DGB | Personalreport 2020
AUSGABEN FÜR DAS PERSONAL DES ÖFFENTLICHEN DIENSTES, ANTEIL AM BIP, 2019, IN PROZENT Island 14,2 Norwegen 15,4 Finnland 12,3 unter 8 Schweden 12,6 8 bis 10 10 bis 12 Estland 11,5 über 12 Lettland 10,9 Dänemark 15,0 Irland 6,9 Litauen 10,3 Vereinigtes Königreich 9,0 Niederlande 8,2 Polen 10,2 Deutschland 7,9 Belgien 12,3 EU-28 10,0 Luxemburg 10,1 Tschechien 10,2 Slowakei 10,2 Österreich 10,4 Frankreich 12,3 Ungarn 10,2 Slowenien 11,4 Rumänien 11,2 Portugal 10,7 Kroatien 11,9 Spanien 10,8 Bulgarien 10,3 Italien 9,7 Griechenland 11,7 Malta 11,2 DGB | Quelle: EUROSTAT, Staatseinnahmen, – ausgaben und Hauptaggregate Zypern 12,5 [gov_10a_main], zu leistende AN-Entgelte, Anteil am Bruttoinlandsprodukt, Stand Okt. 2020 Abbildung 6 liefen sich 2019 lediglich auf 7,9 Prozent. Sie liegen und 2019 hat sich die Differenz zu den beiden dar- also 5,9 Prozentpunkte unter dem Niveau der vier gestellten Ländergruppen jeweils leicht vergrößert. skandinavischen Länder. Die Sprünge, welche zwischen 2008 und 2012 zu beobachten sind, erklären sich durch Schwankun- Auch die kontinentaleuropäischen Länder Belgien, gen des BIP im Rahmen der Finanz- und Wirtschafts- Frankreich, Niederlande und Österreich (BE, FR, krise, nicht durch Personalzuwächse. NL, AT) investieren deutlich mehr in ihr Personal. Im Jahr 2019 waren es 10,8 Prozent. Die Ausga- ben in Deutschland sind im europäischen Vergleich Am stärksten ausgeprägt also niedrig. Schaut man auf das Jahr 1996, so ist ist der öffentliche Sektor Deutschland zudem zurückgefallen. Zwischen 1996 in den skandinavischen Ländern. 1 | OECD (2019): Government at a Glance 2019, Paris; S. 85 DGB | Personalreport 2020 17
VOR ORT NACHGEFRAGT Gesundheitsämter im Krisenmodus Die knapp 400 Gesundheitsämter in Deutschlands führen Einschulungsuntersuchungen durch, kontrollieren die hygienischen Standards beim Bau und Betrieb von Kitas oder Krankenhäusern, helfen und beraten bei psychosozialen Problemen, untersuchen unser Trinkwasser und erklären Kindern die richtige Zahnpflege. Sie fördern, beraten und schützen die Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren. Dass das ein sinnvolles und vor allem ein öffentliches Tätigkeitsfeld ist, wird seit der Corona-Pandemie niemand bestreiten. Der DGB Personalreport hat sie sich diese Arbeit näher angeschaut. Die Liste der Aufgaben, die die Gesundheitsämter Pandemie in Deutschland bisher vergleichsweise erfüllen müssen, ist lang. Und die Personaldecke ist glimpflich verläuft, ist nicht zuletzt diesem Engage- vielerorts löchrig. Die Zahl der ÄrztInnen etwa ist in ment zu verdanken. Das verdient Anerkennung, also den Ämtern in den letzten 20 Jahren um ein Drit- unter anderem eine bessere Personalausstattung. tel geschrumpft, erklärt der zuständige Bundesver- band. Auch weiteres medizinisches Personal fehlt. NACHWUCHSSUCHE Neumünster ist dafür ein Beispiel. »Die Leiterin des MUSS PRIORITÄT HABEN Gesundheitsamtes weist seit mindestens zehn Jah- Im Gesundheitsamts Neumünster machte eine Or- ren darauf hin, dass ihre Personalausstattung nicht ganisationsuntersuchung den Bedarf an zusätzli- ausreicht, um die gesetzlichen Aufgaben zu erfül- chen Stellen deutlich, schon vor Corona. Eine Ge- len«, erklärt Sabine Heidebrecht-Rüge, die Personal- genüberstellung der gesetzlichen Aufgaben und der ratsvorsitzende der dortigen Stadtverwaltung und personellen Ressourcen ermöglichte, dass weitere ver.di-Mitglied. Die Folge: Das Personal sei überlas- Stellen geschaffen wurden. Für den Personalrat und tet, das Alltagsgeschäft nur mit Ach und Krach zu die KollegInnen im Gesundheitsamt ein Erfolg, um meistern. den lange gerungen werden musste. Mittlerweile ist durch die Corona-Pandemie offensichtlich, wie UND DANN KAM CORONA die Ämter in den letzten Jahren vernachlässigt wur- Die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig funk- den. Durch den Pakt für den öffentlichen Gesund- tionierende Gesundheitsämter sind. Seit Anfang heitsdienst sollen 5.000 neue Stellen geschaffen des Jahres kämpfen HygieneinspektorInnen, Psy- werden. Das ist ein richtiger Schritt. Das Interview chologInnen, SozialarbeiterInnen, ArzthelferInnen, mit Christine Scherzinger zeigt allerdings, dass die Verwaltungsangestellte und ÄrztInnen dafür, dass Nachwuchssuche keineswegs leicht wird. die Corona-Pandemie die Kliniken und Praxen nicht überrollt. Konkret heißt das: Telefone laufen heiß, weil die Bevölkerung händeringend Informationen sucht. Kontaktpersonen von Infizierten müssen ge- sucht und Daten weitergeleitet werden. Dass die 18 DGB | Personalreport 2020
ZAHLEN & FAKTEN 15.870 Verwaltung unterstützten die Kontaktnach- Vollzeitäquivalente verfolgung, die Coronatests oder die Kontrolle wurden im Juni 2018 in den Gesundheitsdiensten von Quarantäne. im kommunalen Bereich gezählt. Die Stadtstaaten Quelle: Umfrage Deutscher Landkreistag und Deutscher Städtetag vom Juni 2020 sind hierbei nicht berücksichtigt. Quelle: Statistisches Bundesamt 2019: Fachserie 14 Reihe 6, Tab. 5.3 2.561 ÄrztInnen arbeiteten 1.785 in Deutschland im Dezember 2019 in den Beschäftigte arbeiteten im Gesundheitsämtern. Januar 2020 in den Gesundheitsämtern der Berliner Quelle: Ärztestatistik der Bundesärztekammer Bezirke (das sind 1.550 Vollzeitäquivalente). 77 % Quelle: Statistikstelle Personal, SenFin Berlin: »Personalbestand des unmittelbaren Landesdienstes Berlin«, Tab. 3.2 der insgesamt 242 ÄrztInnen im Öffentlichen Gesundheitsdienst in 15 Hamburg werden bis 2026 altersbedingt in den Insgesamt Beschäftigte pro 100.000 Ruhestand gehen. Das Durchschnittsalter liegt EinwohnerInnen beschäftigten die Gesundheits- bei über 50 Jahren. Neue Fachkräfte sind rar, ämter in Rheinland-Pfalz durchschnittlich im im Jahr 2018 konnten nur 46,7 Prozent der Frühjahr 2020: HygieneinspektorInnen, Psycholo- Stellen erfolgreich besetzt werden. gInnen, SozialarbeiterInnen, ArzthelferInnen, Ver- Quelle: Personalamt Hamburg: Personalbericht 2019 waltungsangestellte und ÄrztInnen. Dabei variiert 14,1 % die Zahl je nach Landkreis zwischen 7 und 21. Quelle: www.swr.de; 22.6.2020 Um ging die Zahl der AmtsärztInnen in den Gesundheitsämtern 6 in Mecklenburg-Vorpommern zwischen 2015 Ganze Mitarbeitende hat der Infektions- und 2018 zurück. schutz im Gesundheitsamt Wandsbek in Hamburg Quelle: Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 7/5037 normalerweise. Im Mai 2020 waren es aufgrund 20,5 % der Corona-Pandemie 110. Quelle: www.ndr.de; 19.5.2020 der vorgesehenen Stellen waren Ende März 2020 im Fachbereich 5.900 »Infektions- und umweltbezogener Gesundheits- Beschäftigte wurden in den schutz« der Berliner Gesundheitsämtern nicht Gesundheitsämtern der 13 Flächenländer im Juni besetzt. Der Stellenplan sieht 200 Stellen vor, 2020 zusätzlich zu den Planstellen eingesetzt. besetzt waren 159. Diese MitarbeiterInnen aus anderen Bereichen der Quelle: SenGPG Berlin: »Besetzungsstand im Öffentlichen Gesundheitsdienst« DGB | Personalreport 2020 19
»Mit wenig Personal ein Maximum geleistet« ZUR PERSON Christine Scherzinger ist Ärztin und arbeitet seit Januar 1990 für das Gesundheitsamt Raststatt in der Außenstelle Baden Baden. 2006 wurde sie in den Personalrat gewählt und schätzt seitdem die Arbeit auf der politischen Ebene. Seit 2007 ist sie die Wie bist du zum Gesundheitsamt gekommen? Vorsitzende des Hauptpersonalrats beim Ministerium für Soziales und Integration Christine Scherzinger: Ich habe Medizin studiert Baden-Württemberg. Das Gremium und einen Teil meiner Famulatur, das ist ein viermo- vertritt die Interessen der Beschäftigten des vergleichbaren höheren Dienstes, natiges Praktikum für werdende ÄrztInnen, hier in also von ÄrztInnen, JuristInnen, Baden Baden im Gesundheitsamt gemacht. Das war BiologInnen und Gesundheitswissen- damals möglich, heute leider nicht mehr. Nach der schaftlerInnen. Seit der Kommunalisie- rung in Baden-Württemberg sind nur Familienpause hat mich eine Kollegin aus dieser Zeit noch die Beschäftigten des höheren wegen einer Stellenausschreibung angesprochen. Dienstes Landesbeschäftigte, während die übrigen KollegInnen bei den Damals wurde die AIDS-Sprechstunde aufgebaut, Landkreisen angestellt sind. das war für mich ein toller Einstieg. Ich habe dann 20 DGB | Personalreport 2020
lange in der AIDS-Beratung gearbeitet, anfangs Hier ist es nicht fünf Betroffene betreut, Fachpersonal beraten und vie- vor zwölf, sondern le Jahre Aufklärung an Schulen gemacht. Das war Viertel nach. In den Anfang 1990, eine spannende Zeit. Die Risiken und letzten Jahren hatten Übertragungswege, das war ja überall unbekannt. wir bezüglich der Wir hatten durch das Bundesmodell AIDS und HIV Personalausstattung ein bundesweites Netzwerk und spannende Fortbil- Mangelwirtschaft. dungen. Später habe ich die aufkeimende Gesund- heitsförderung mit aufgebaut, das Thema lag mir immer am Herzen. Was ist das besondere an der Arbeit für das Ge sundheitsamt? Ich hatte immer viele Freiräume und konnte ein ganz weites Spektrum an Aufgaben bearbeiten. Und vor allem konzentriert sich die Arbeit nicht auf einzelne PatientInnen, sondern man kann Gesundheitsschutz für alle betreiben. Wir brauchen Aufklärung, an um daraus dem Landratsamt ein vermeintliches Schulen oder durch die Beratungsstelle für sexuel- Sparpotential aufzuzeigen. Die Gesundheitsämter le Gesundheit. Viele nehmen sexuell übertragbare wurden runtergewirtschaftet, das Landesgesund- Krankheiten nicht mehr ernst, seit die Behandlung heitsamt genauso. Das Landesgesundheitsamt ist von HIV sich verbessert hat. Aber auch eine Chlamy- die zentrale fachliche Leitstelle im Land, die Vorga- dien-Infektion kann schwere Folgen haben. Oder bei ben machen und Prioritäten setzen kann. Die sind der Einschulungsuntersuchung, da sehen wir jedes so ausgedünnt, dass das gar nicht mehr möglich ist. Kind und können eine Impfberatung machen oder Das ist wirklich dramatisch. Hier ist es nicht fünf vor Sprachförderung veranlassen. Wir sind für die Hygi- zwölf, sondern Viertel nach. In den letzten Jahren ene in öffentlichen Bauten zuständig. Wir haben hier hatten wir bezüglich der Personalausstattung Man- die vielen Bäder im Ort, da müssen wir z.B. die Keim- gelwirtschaft. belastung kontrollieren. Naja und dann den großen Bereich des Infektionsschutzes, der ja jetzt zu Tage Und dann kam die Corona-Pandemie. Was hat getreten ist. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist das für die Gesundheitsämter bedeutet? ein extrem wichtiges Aufgabenfeld, das wurde in Es wurde mit wenig Personal ein Maximum ge- der letzten Zeit einfach zu wenig erkannt. leistet. Es war natürlich gut, dass relativ schnell für Unterstützung gesorgt wurde. Die Landratsämter Wie hat sich die Personalausstattung seit den haben Personal aus der Verwaltung zur Verfügung Neunzigerjahren verändert? gestellt. Die Politik hat Geld bereitgestellt für einen Die ist massiv runtergegangen, über viele Jahre wur- Stellenpool, so dass zum Beispiel über die Landes- de Personal eingespart. Es gab Sparrunden, in denen ärztekammer noch Personal dazukam. Hier vor Ort jedes Gesundheitsamt bis zu zwei Stellen abtreten waren ursprünglich 35 Beschäftigte, da ist auf über musste. Wir hatten 2006 eine Organisationsunter- 90 aufgestockt worden. Allerdings mussten sie alle suchung, als die Gesundheitsämter kommunalisiert vom Stammpersonal erst mal angelernt werden. wurden. Damals wurden wir von einer externen Be- Für die Beschäftigten hier war es eine unglaubliche raterfirma intensiv nach unseren Aufgaben befragt, Arbeit, eine Herkulesaufgabe. DGB | Personalreport 2020 21
Hat sich eine Situation aus diesen Wochen be Es gibt in den sonders eingeprägt? Gesundheitsämtern Das absolute Wir-Gefühl hier im Gesundheitsamt, irrsinnig viele Überstunden. das war toll. Alle haben mitgezogen. Dass die Kol- Die gab es schon vor legInnen innerhalb kürzester Zeit so eine Leistung Corona, aber die Pandemie erbracht haben – aus dem Stand –, das hat mich hat das Problem natürlich wirklich beeindruckt. Viele von denen, die ich schon deutlich verschärft. Durch lange kenne, haben fast Tag und Nacht gearbeitet. die anhaltend hohe Auch am Wochenende, auch bis spät abends. Und Arbeitsdichte lassen sich das über Wochen. Nach dem Motto: Da müssen wir die Überstunden auch jetzt durch, wir machen das jetzt. nicht zeitnah abbauen. Die KollegInnen brauchen Und wie blickst du in die nächsten Wochen? Die Entlastung. Pandemie ist nicht vorbei und die Belastung weiter hoch. Auf Dauer lässt sich diese Schlagzahl nicht durchhal- ten. Jetzt kommen noch die Reiserückkehrer dazu, an unserem Regionalflughafen wird viel getestet. Und es gibt ja auch noch andere Aufgaben. Gera- de werden alle Kinder für die Einschulungsunter- suchungen einbestellt. Die Folge ist klar: Es gibt in den Gesundheitsämtern irrsinnig viele Überstunden. zeitkonto durchsetzen. Manche Landkreise nutzen Die gab es schon vor Corona, aber die Pandemie hat das schon, aber es gibt keine einheitliche Regelung. das Problem natürlich deutlich verschärft. Durch die Damit muss in der Corona Zeit zumindest begonnen anhaltend hohe Arbeitsdichte lassen sich die Über- werden – etwa für die älteren Beschäftigten. Die stunden auch nicht zeitnah abbauen. Wir wollen da- KollegInnen brauchen Entlastung. für als Hauptpersonalrat endlich ein Lebensarbeit- Gibt es denn mit Blick auf die Personaldecke Anzeichen für eine Verbesserung? Die Landesregierung hat gerade eine Kabinettsvor- DER ÖFFENTLICHE lage verabschiedet, dass in den Gesundheitsämtern GESUNDHEITSDIENST der 35 Kreise 74 unbefristete Stellen geschaffen werden. Das ist ein Anfang. Aber neues Personal Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) gilt in Deutschland neben dem ambulanten und stationären zu finden ist alles andere als einfach. Schon zuletzt Versorgungsbereich als dritte Säule im Gesundheits- waren von den ca. 350 Stellen für AmtsärztInnen system. Die zentralen Institutionen sind die insgesamt 380 Gesundheitsämter auf kommunaler Ebene. Bei der 40 nicht besetzt. Es fand jahrelang überhaupt keine Abwehr von Gesundheitsgefahren verfügen sie auch langfristige Personalplanung statt. Der Altersdurch- über eingriffs- und ordnungsrechtliche Befugnisse. Der schnitt in den Gesundheitsämtern ist beängstigend. ÖGD fällt dabei in den Aufgabenbereich der Länder. Ziele, Strukturen und Aufgabenspektrum sind in den Viele gehen zeitnah in den Ruhestand, insbesondere 16 Landesgesetzen für den Öffentlichen Gesundheits- bei den ÄrztInnen. Ich hatte gerade 10 bis 15 Aus- dienst geregelt. Daneben sind Bundesgesetze wie das Infektionsschutzgesetz maßgebend. schreibungen für Führungspositionen. Da wird ver- beamtet und gut bezahlt, aber die Stellenbesetzung ist auch da ein Problem. Auch beim sonstigen medi- 22 DGB | Personalreport 2020
zinischen Personal der Gesundheitsämter, das über Die Option für eine Famulatur im Gesundheitsamt die Landkreise angestellt wird, gibt es Lücken. Aber ist wirklich wichtig, davon habe ich persönlich sehr das hat man zumindest selbst in der Hand, hier vor profitiert. Das sollte man wieder einführen und so Ort werden kontinuierlich Hygienefachkräfte aus- den zukünftigen ÄrztInnen unsere breite Palette gebildet. spannender Aufgaben näherbringen. Obendrein bieten die Gesundheitsämter im höheren Dienst Warum ist es so schwierig, Fachkräfte zu ge inzwischen auch Stellen für BiologInnen und Ge- winnen? sundheitswissenschaftlerInnen an, die Multiprofes- Als ich angefangen habe, war es noch ein begehr- sionalität hat auch bei uns sehr erfolgreich Einzug ter Job, im Gesundheitsamt zu arbeiten. Es war eine gehalten. Diese Karrierewege sind momentan noch der ganz wenigen Stellen, wo ÄrztInnen halbtags zu intransparent. Und wie es eine Landarztquote ge- arbeiten konnten. Mittlerweile ist Teilzeit auch an ben soll, könnte ich mir eine Quote für den ÖGD wie Kliniken möglich. Und die Situation hat sich durch in Rheinland-Pfalz vorstellen. Das sind alles lang- den allgemeinen Ärztemangel so zugespitzt, vor al- fristige Dinge, aber man muss ja auch langfristig lem weil die Bezahlung im Vergleich nicht attraktiv planen. ist. Ich habe sehr viele Stellenausschreibungen mit- erlebt, wo die BewerberInnen toll und interessiert Was ist dein Fazit? und geeignet waren, dann aber wegen der Bezah- Die Bezahlung muss stimmen. Und wir müssen sehr lung abgesagt haben. Das soll nicht heißen, dass wir transparent machen, was wir als Gesundheitsämter wenig verdienen, aber im Vergleich funktioniert es alles leisten. Auch für die junge Generation ist es ja nicht. Schließlich sind die ÄrztInnen im Öffentlichen wieder wichtiger geworden, für das Gemeinwohl zu Gesundheitsdienst keine ÄrztInnen zweiter Klasse. arbeiten, damit können wir punkten. Und dafür ist Das ist eine Frage von Anerkennung und Respekt, genau jetzt der richtige Zeitpunkt. wenn jemand als Fachkraft irgendwo hinkommt. Au- Das Interwiew fand Mitte August 2020 statt. ßerdem müssen die Details stimmen. Bisher wurde zum Beispiel nur der Facharzt für Psychiatrie und für Kinderheilkunde anerkannt, um eine Entgeltgruppe mehr zu erhalten. Aber auch die Facharztdisziplin Die Bezahlung muss der Internistin oder des Allgemeinarztes ist ja für stimmen. Und wir das Gesundheitsamt nützlich. Wenn das nicht an- müssen sehr transparent erkannt wird, finden BewerberInnen das respektlos, machen, was wir als völlig zurecht. Gesundheitsämter alles leisten. Auch für Was sollte sich neben der Bezahlung noch ver die junge Generation ändern, damit die Gesundheitsämter Personal ist es ja wieder wichtiger gewinnen können? geworden, für das Wir haben sicher bei einigen Interesse geweckt, Gemeinwohl zu arbeiten, die wegen Corona zu uns gekommen sind und ge- damit können wir sehen haben, was für interessante Arbeitsgebie- punkten. te wir haben. Aber es muss mehr passieren. Die Außendarstellung muss pfiffiger werden, etwa bei den Ausschreibungen. Im Medizinstudium muss der Öffentliche Gesundheitsdienst sichtbarer werden. DGB | Personalreport 2020 23
KAPITEL 5 Prekäre Beschäftigung im öffentlichen Dienst Mit dem Begriff der Prekarisierung wird seit einigen Und dieser Trend scheint sich auch nicht umzukeh- Jahren ein tiefgreifender Wandel der Arbeitswelt be- ren. Zahlen aus dem Jahr 2019 zeigen, dass 37 Pro- schrieben. Die Unsicherheit nimmt zu: Ausweitung zent der Neueinstellungen befristet erfolgten. Ein des Niedriglohnsektors, Minijobs, unfreiwillige Teil- Blick auf die Wirtschaftszweige macht deutlich, dass zeit, Leiharbeit und befristete Arbeitsverträge. Die befristete Neueinstellungen im öffentlichen Dienst betroffenen Beschäftigten haben oft niedrige Ein- häufiger vorkommen als in der Privatwirtschaft. kommen und einen geringen sozialen Schutz. Insbe- Beim Arbeitgeber Staat wurden im Jahr 2019 rund sondere Neueinstellungen erfolgen heute oft in Be- 68.000 Beschäftigte befristet neu eingestellt, das schäftigungsverhältnissen, mit denen die Menschen entspricht 43,4 Prozent. nicht langfristig planen können. Die Zukunft er- scheint ungewiss. Dadurch wirken die Prekarisierung In den vergangenen Jahren war hier eine deutli- der Arbeit und die von ihr ausgelöste Furcht nicht che Zunahme an befristeten Arbeitsverhältnissen nur auf die Betroffenen, sondern auf die Gesellschaft zu verzeichnen.2 Deren Anteil erhöhte sich bei den insgesamt. Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst zwischen 2004 und 2019 von 9,8 Prozent auf 14,8 Prozent. BEFRISTUNGEN IM ÖFFENTLICHEN Am 30.6.2019 hatten insgesamt 444.445 Arbeitneh- DIENST merInnen im öffentlichen Dienst einen Zeitvertrag In Deutschland hatten im Jahr 2019 Insgesamt 2,8 (davon 56,9 Prozent Frauen). Millionen Menschen einen befristeten Arbeitsver- trag. Das sind mehr als doppelt so viele wie 1996.1 Abbildung 7 BEFRISTUNGEN BEI ARBEITNEHMERiNNEN IM ÖFFENTLICHEN DIENST 14,7 % 14,8 % 15,4 % 15,5 % 15,4 % 14,8 % 12,5 % 11 % 9,8 % 452.785 444.445 431.895 441.485 399.283 403.791 331.073 297.230 271.868 Anteil Befristung im öffentlichen Dienst Befristung in absoluten Zahlen 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2019 DGB | Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14, Reihe 6, 2004 – 2019, Tab. 7.2 24 DGB | Personalreport 2020
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