Phytotherapeutische Optionen bei Harnwegsinfekten - SMGP

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Phytotherapeutische Optionen bei Harnwegsinfekten - SMGP
Zertifikatsarbeit
       zur Erlangung des Fähigkeitsausweises Phytotherapie
                                 SMGP

Phytotherapeutische Optionen bei Harnwegsinfekten
           – Evidenz häufig eingesetzter Arzneipflanzen –
gut dokumentierte pflanzliche Urologika bei HWI – eine Alternative im
                 Zeitalter der Antibiotikaresistenzen

                              vorgelegt von:

                          Dorothea Staub-Helg
                          Eidg. dipl. Apothekerin

                          Ricketwilerstrasse 15
                             8405 Winterthur

                                Mentorin:
                         Dr. sc. nat. Beatrix Falch

                     Winterthur, den 21. Januar 2021
Phytotherapeutische Optionen bei Harnwegsinfekten - SMGP
Inhalt

1.   ZUSAMMENFASSUNG.......................................................................................1
2.   FRAGESTELLUNG UND ZIELSETZUNG......................................................2
3.   EINLEITUNG.......................................................................................................3
4.   METHODEN, VORGEHENSWEISE.................................................................6
5.   RESULTATE / BEURTEILUNG DER PFLANZEN.........................................7
 5.1. ISOTHIOCYANATE (SENFÖLE) ENTHALTENDE PFLANZEN DER FAMILIEN CRUCIFERAE/BRASSICACEAE
     UND TROPAEOLACEAE............................................................................................................7
    5.1.1. Einleitung.............................................................................................................7
    5.1.2. Nomenklatur.........................................................................................................8
    5.1.3. Inhaltsstoffe..........................................................................................................8
    5.1.4. Wirkmechanismus, Pharmakologie.......................................................................9
    5.1.5. Traditionelle Anwendung...................................................................................12
    5.1.6. Klinische Datenlage...........................................................................................12
    5.1.7. Zugelassene Arzneimittel, Arzneiformen............................................................14
 5.2. SOLIDAGO VIRGAUREA / ECHTE GOLDRUTE............................................................................15
    5.2.1. Nomenklatur.......................................................................................................15
    5.2.2. Inhaltsstoffe........................................................................................................16
    5.2.3. Wirkmechanismus, Pharmakologie.....................................................................16
    5.2.4. Pharmakokinetik, Toxizität.................................................................................18
    5.2.5. Traditionelle Anwendung...................................................................................18
    5.2.6. Klinische Datenlage...........................................................................................18
    5.2.7. Zugelassene Arzneimittel, Arzneiformen............................................................19
 5.3. ARCTOSTAPHYLOS UVA-URSI / BÄRENTRAUBE..........................................................................20
    5.3.1. Nomenklatur.......................................................................................................20
    5.3.2. Inhaltsstoffe........................................................................................................21
    5.3.3. Wirkmechanismus, Pharmakologie.....................................................................21
    5.3.4. Pharmakokinetik, Toxizität.................................................................................23
    5.3.5. Traditionelle Anwendung...................................................................................24
    5.3.6. Klinische Datenlage...........................................................................................24
    5.3.7. Zugelassene Arzneimittel, Arzneiformen............................................................26
 5.4. JUNIPERUS COMMUNIS / WACHOLDER...................................................................................27
    5.4.1. Nomenklatur.......................................................................................................27
    5.4.2. Inhaltsstoffe........................................................................................................28
    5.4.3. Wirkmechanismus, Pharmakologie.....................................................................28
    5.4.4. Traditionelle Anwendung...................................................................................29
    5.4.5. Klinische Datenlage...........................................................................................30
    5.4.6. Zugelassene Arzneimittel, Arzneiformen............................................................30
 5.5. VACCINIUM MACROCARPON / CRANBERRY UND VACCINIUM VITIS-IDAEA L. / PREISELBEERE.............31
    5.5.1. Nomenklatur.......................................................................................................31
    5.5.2. Inhaltsstoffe........................................................................................................32
    5.5.3. Wirkmechanismus, Pharmakologie.....................................................................32
    5.5.4. Traditionelle Anwendung...................................................................................33
    5.5.5. Klinische Datenlage...........................................................................................33
    5.5.6. Zugelassene Arzneimittel, Arzneiformen............................................................35
 5.6. ÜBERSICHT ÜBER DEN EVIDENZLEVEL / EMPFEHLUNGSGRAD....................................................35
6.   FAZIT / AUSBLICK / DISKUSSION...............................................................36

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7.    LITERATURVERZEICHNIS............................................................................42
8. ANHANG.............................................................................................................48

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Phytotherapeutische Optionen bei Harnwegsinfekten - SMGP
Zusammenfassung

1. Zusammenfassung

Unkomplizierte Harnwegsinfekte gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen
und damit zu den Spitzenreitern bezüglich der Verschreibung von Antibiotika, was den
Selektionsdruck auf die Bakterien erhöht. Die schnell steigenden Raten an
antibiotikaresistenten Keimen sind alarmierend, auch im ambulanten Bereich.
  In dieser Arbeit wurden Arzneipflanzen, welche häufig und auch traditionell breit
abgestützt zur Prophylaxe und Therapie von Zystitiden eingesetzt werden, auf ihre
pharmakologische und klinische Datenlage untersucht und nach Evidenzlevel beurteilt.
  Mit klinischen Studien gut dokumentiert ist die Kombination der beiden
isothiocyanathaltigen Pflanzen Tropaeolum majus (Kapuzinerkresse) und Armoracia
rusticana (Meerrettich) in der Prophylaxe und Therapie von Infekten der Harn- und
Atemwege, signifikante Wirkung konnte insbesondere zur Prophylaxe nachgewiesen
werden. Solidago virgaurea (Echte Goldrute) hat sich durch die Kombination von
diuretischen, antiphlogistischen und immunmodulatorischen Wirkprinzipien als
Ergänzung zu rein antiseptisch wirkenden Pflanzen traditionell bewährt. Zur in vitro
nachgewiesenen antibakteriellen Wirkung von Arctostaphylos uva-ursi (Bärentraube)
können neben dem Arbutin auch die zahlreichen Tannine beitragen. Klinisch kann die
Wirkung nur zur Prophylaxe als erhärtet bezeichnet werden. Die in vitro bestens
belegte antibakterielle Wirkung von ätherischen Ölen konnte am Beispiel des
traditionell bei Harnwegsinfekten angewandten Juniperi aetheroleum (Wacholderöl)
nicht mit klinischen Studien belegt werden. Andere ätherische Öle, wie beispielsweise
dasjenige des Oregano, scheinen besser dokumentiert, auch in Kombination mit
Antibiotika. Die proanthocyanidinhaltigen Früchte der nordamerikanischen Vaccinium
macrocarpon (Cranberry) und der europäischen Vaccinium vitis-idaea (Preiselbeere)
können begrenzt zur Prophylaxe empfohlen werden.
  Es hat sich gezeigt, dass bei ausreichender Dosierung der pflanzlichen
Vielstoffgemische nicht nur eine gute antibakterielle, sondern auch eine die
Virulenzfaktoren und die Biofilmbildung der Bakterien beeinträchtigende Wirkung
erwartet werden kann, was sich auch in Kombination mit Antibiotika in einer besseren
Eradikation der pathogenen Bakterien äussert.

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Phytotherapeutische Optionen bei Harnwegsinfekten - SMGP
Fragestellung und Zielsetzung

2. Fragestellung und Zielsetzung

Mit der Indikation „Infekte der ableitenden Harnwege“ steht eine lange Liste von
Arzneipflanzen im Einsatz. Im Rahmen dieser Arbeit werden Arzneipflanzen
ausgewählt und insbesondere bezüglich ihrer klinischen Evidenz verglichen. Die
Auswahl der Arzneipflanzen kann nach verschiedenen Kriterien erfolgen. Für die
vorliegende Arbeit wurden in der Praxis häufig verwendete Arzneipflanzen
ausgewählt, weil man davon ausgehen kann, dass sie entweder traditionell breit
abgestützt sind oder über eine mehr oder weniger gute klinische Datenlage verfügen.
  Basierend auf dem Wissen und der Erfahrung, dass sowohl die alleinige Gabe eines
antiphlogistisch wirksamen Analgetikums eine positive Wirkung zeigt, als auch
ergänzend zu Antibiotika einen zusätzlichen Nutzen bringt, wurden bewusst
Arzneipflanzen mit verschiedenen pharmakologischen Schwerpunkten in die
Untersuchung einbezogen.
  So lautet die Fragestellung dieser Arbeit: Welche Arzneipflanzen können aufgrund
der wissenschaftlichen Datenlage und damit des Evidenzlevels alleine oder in
Kombination zur Prophylaxe und Therapie bei unkomplizierten Infekten der unteren
Harnwege eingesetzt werden?

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Phytotherapeutische Optionen bei Harnwegsinfekten - SMGP
Einleitung

3. Einleitung

Antibiotikaresistenzen gelten heute als eine der grössten Herausforderungen und
Bedrohungen im Gesundheitswesen (WHO 2015). Antibiotika gehören zu den
meistverschriebenen Medikamenten. Oft werden Antibiotika, teilweise auch auf Druck
der Patienten1, ohne strenge Indikationsstellung, mit zu breitem Spektrum oder mit zu
langer Therapiedauer eingesetzt. Resistenzentwicklungen sind grundsätzlich ein
natürliches Phänomen auf Grund von zufälligen Mutationen, auch unter den unseren
Darm bevölkernden E. coli-Keimen (Schwenke 2018). Allerdings übt der Einsatz von
Antibiotika einen starken Selektionsdruck auf die Vermehrung dieser Keime aus. Je
länger die Antibiotikatherapie dauert, desto länger hält dieser Selektionsdruck in
Richtung      Resistenzentwicklung         an.   Antibiotika      sollten,     entgegen   früherer
Empfehlungen, also nicht länger als nötig gegeben werden (Llewelyn 2017). Die
weltweite Antibiotikaresistenzsituation verschlechtert sich Jahr für Jahr, auch regional
eng korrelierend mit übermässigem Antibiotikaeinsatz in der Humanmedizin und
Tiermast (Schwenke 2018). Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt seit 2014
vor einer post-antibiotischen Ära als realistischem Szenario im 21. Jahrhundert. In
ihrem globalen Aktionsplan gegen Antibiotikaresistenzen appelliert sie für die
Förderung des Bewusstseins und der Forschung zum Thema Resistenzbildung, die
Prävention von Infektionen, sowie für den optimierten Einsatz von Antibiotika in der
Veterinär- und Humanmedizin (WHO 2015). Durch den weltweiten übermässigen
Einsatz von Antibiotika in der Tiermast gelangen resistente Keime in die
Nahrungskette. Ebenso tragen Reisende in Gebiete mit hohen Resistenzraten (z.B.
Balkan, Türkei, Indien) bei ihrer Rückkehr oft multiresistente E. coli-Bakterien im
Darm, welche oft monatelang im Darm persistieren (Schwenke 2018).
    Im Raum Zürich waren im Jahre 2010 28 % der häufigsten Harnwegsinfektions-
Erreger (E. coli) gegen Cotrimoxazol und 16 % gegen Quinolone, wie Ciprofloxacin
oder Norfloxacin, resistent. Am Universitätsspital Zürich erwiesen sich 2010 sogar
30 % als resistent gegen Quinolone. 2004 waren es schweizweit erst 10 %. Die
Resistenzbildung betrifft nicht nur die Spitäler. Die Zunahme von sogenannten
Extended Spectrum Beta-Lactamasen (ESBL)-bildenden Keimen ist in den letzten
zehn Jahren im ambulanten Bereich ähnlich stark angestiegen wie in den Spitälern. So
1
    Zur Verbesserung der Lesbarkeit wurde auf die weibliche Form verzichtet.

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Einleitung

sind heute ca. 10 % aller untersuchten E. coli ESBL-bildend, 2004 waren es erst knapp
1 % (Savaria 2012). Antibiotikatherapien schädigen unsere Normalflora und erleichtern
so die Kolonisation mit resistenten Keimen, wodurch möglicherweise das
Rezidivrisiko erhöht wird (Schwenke 2018).
  Neben der Prävention steht die Suche nach alternativen antimikrobiellen
Substanzen im Fokus. Angestrebt werden ebenso wirksame Prinzipien ohne das
Risiko, Resistenzbildung zu induzieren. Das Konzept der Antivirulenz-Behandlung
zielt auf die wichtigsten Virulenzfaktoren der pathogenen Keime. Dabei sollen stark
abgeschwächte Bakterien zurückbleiben, welchen das Immunsystem gewachsen ist
(Marcon 2019). Zu den Virulenzfaktoren wird auch die sogenannte Internalisierung der
Bakterien, d.h. Adhäsion und anschliessendes Eindringen ins Zellinnere, gezählt. Diese
Internalisierung erlaubt den Bakterien möglicherweise, eine Antibiotikatherapie zu
überdauern und Rezidive auszulösen (Kropidlowski 2015).
  Harnwegsinfekte gehören ambulant und im Spital zu den häufigsten Infekten
(Foxman 2002), entsprechend gehören sie zu den Spitzenreitern bezüglich
Antibiotikaverordnungen.     Die     Deutschen   S3-Leitlinien    zu   Harnwegsinfekten
(Wagenlehner 2017) widmen sich der Prävention, Diagnose und der evidenzbasierten
Therapie     von      unkomplizierten,     bakteriellen,    ambulant       erworbenenen
Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen. Hauptziel dabei ist, die klinischen Symptome
rascher zum Abklingen zu bringen. Gemäss diesen Leitlinien kann bei Patientinnen mit
leichten bis mittelgradigen Beschwerden die alleinige symptomatische Therapie als
Alternative zur antibiotischen Behandlung erwogen werden. Bei der Prophylaxe steht
als erste Empfehlung die Beratung zur Vermeidung von Risikoverhalten. Gemäss S3-
Leitlinien soll eine Immuntherapie über drei Monate angewendet werden, empfohlen
werden können auch Mannose oder Phytotherapeutika wie Bärentraubenblätter
(maximal    für    einen   Monat),    Kapuzinerkressenkraut      und   Meerrettichwurzel
(Wagenlehner 2017).
  Aus der Sicht, dass der Therapiefokus nicht nur auf den Erreger gelegt werden soll,
sondern auf die Entzündungsreaktion des Körpers, ist die randomisierte, kontrollierte
Studie von Interesse, welche Fosfomycin (3 g einmalig) gegen Ibuprofen (3 × 400 mg,
3 d) bei unkomplizierten Harnwegsentzündungen bei Frauen verglich. Zwei Drittel der
Frauen erholten sich unter Ibuprofen ohne Antibiotikagabe, die Symptome dauerten

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Einleitung

länger. Es entwickelten aber mehr Frauen eine Pyelonephritis als in der Fosfomycin -
Gruppe (Gágyor, 2015).
  Im Rahmen dieser Arbeit soll der Stellenwert von Phytotherapeutika in Prophylaxe
und Therapie evaluiert werden.

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Methoden, Vorgehensweise

4. Methoden, Vorgehensweise

Für die vorliegende Arbeit wurden in der Praxis häufig verwendete Arzneipflanzen
ausgewählt, weil man davon ausgehen kann, dass sie entweder traditionell breit
abgestützt sind oder über eine mehr oder weniger gute klinische Datenlage verfügen.
Der Evidenzlevel der klinischen Wirksamkeit wurde nach den RCOG-Guidelines
beurteilt (s. Schema).

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Resultate / Beurteilung der Pflanzen

5. Resultate / Beurteilung der Pflanzen

5.1. Isothiocyanate (Senföle) enthaltende Pflanzen der Familien
     Cruciferae/Brassicaceae und Tropaeolaceae

5.1.1. Einleitung

In den intakten Pflanzen der Familien Cruciferae/Brassicaceae (Kreuzblütler) und
Tropaeolaceae (Kapuzinerkressengewächse) finden wir in separaten Kompartimenten
einerseits die inaktiven Vorstufen der Senföle, die Glucosinolate, andererseits das
Enzym Myrosinase, das zur enzymatischen Spaltung der Glucosinolate in die aktiven
und als aggressiv empfundenen Isothiocyanate (Senföle) notwendig ist. Wird das
pflanzliche Gewebe durch einen Schädling oder durch Mikroorganismen zerstört,
werden die Glucosinulate hydrolisiert und die aktiven Isothiocyanate freigesetzt,
welche Schädlinge abwehren, Pilze und Bakterien abtöten sollen. Sie dienen der
Pflanze sozusagen als Frassschutz (Kropidlowski 2015).
  Die Isothiocyanate werden im Dünndarm rasch resorbiert und nach Bindung an
Glutathion über die Nieren als Merkapturonsäure ausgeschieden (Fintelmann 2017).
Zumindest    teilweise   wurde   eine   Rückverstoffwechselung     zu   den   freien
Isothiocyanaten beschrieben (Márton 2013).
  Wir kennen die flüchtigen Senföle mit ihrem stechenden Geruch und beissenden
Geschmack aus der Nahrung von verschiedenen Kohlarten, Senfkörnern, Meerrettich
und Kapuzinerkresse. Die antiinfektiöse Wirkung der Isothiocyanate wurde schon in
den 1950er-Jahren untersucht. In Fertigpräparaten erhältlich ist die Kombination des
Krautes von Tropaeolum majus (Grosse Kapuzinerkresse) und der Wurzel von
Armoracia rusticana (Meerrettich), weshalb die Mehrzahl der klinischen Daten sich
auf diese Kombination (Angocin®-Tabletten) bezieht.
  Exemplarisch für die Isothiocyanate enthaltenden Pflanzen wird in der Folge
Tropaeolum majus genauer betrachtet, im Wissen, dass sich die Profile an
Senfölderivaten unterscheiden. Leider wurde bis anhin weder zu Meerrettich noch zu
Kapuzinerkresse eine HMPC- oder eine ESCOP-Monographie erarbeitet, wohl
mangels Monopräparat und entsprechenden Einzelstudien.

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Resultate / Beurteilung der Pflanzen

Abbildung 1: Tropaeolum majus / Grosse Kapuzinerkresse (Foto: Beat Baumgartner,
Herborama GmbH)

5.1.2. Nomenklatur

Lateinischer Name:              Tropaeolum majus L.
Deutscher Name:                 Grosse Kapuzinerkresse
Volkstümliche Namen:            Blumenkresse, Jelängerjelieber
Pflanzenfamilie:                Tropaeolaceae
Verwendete Pflanzenteile:       Blühendes Kraut
Geschmack:                      leicht scharf
Zubereitungen:                  Tinkturen, Urtinkturen, Trockenpulver
Standardisierung:               -
Monographien:                   Positiv-Monographie der Kommssion E
                                HMPC-Monographie: keine
                                Pharmakopoe-Monographie: keine
                                WHO-Monographie: keine

5.1.3. Inhaltsstoffe

Glucosinulate (Glucotropaeolin ca. 0.1 %, Vorstufe des Benzylisothiocyanates)
Carotinoide, Anthocyanidine v.a. Blüten

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Resultate / Beurteilung der Pflanzen

Polyphenole, Chlorogensäure, Flavonoide (Isoquercetin)
Ascorbinsäure (frische Blätter bis 320 mg / 100 g)
(Bäumler 2007, Schilcher 2016)

5.1.4. Wirkmechanismus, Pharmakologie

Isothiocyanate sind die am häufigsten vorkommenden Produkte der Hydrolyse. Sie
zeigen im Gegensatz zu den inaktiven Glucosinulaten eine signifikante antimikrobielle
Aktivität gegen grampositive und gramnegative Bakterien aus dem menschlichen
Darm (Aires 2009).
  Bereits in den 1950er-Jahren konnte in vitro insbesondere für die flüchtigen
Inhaltsstoffe von Tropaeoli majori herba eine breite antibakterielle Wirkung im
grampositiven und gramnegativen Spektrum gezeigt werden. Diese lag teilweise über
der Wirkung des isolierten Benzylsenföls. Nachgewiesen werden konnte auch, dass
nach Verzehr des Salates von Kapuzinerkresse etwa 40 % der antibakteriellen Aktivität
im Urin wieder zu finden war (Winter 1954, Halbeisen 1954). Aus Armoraciae
rusticanae radix ist für das Allylsenföl eine gute Wirksamkeit im grampositiven
Spektrum beschrieben, 2-Phenylethylsenföl soll das Spektrum im gramnegativen
Bereich erweitern (Conrad 2006).
  Mittels einer in vitro-Untersuchung wurde die Empfindlichkeit von 13 klinisch
relevanten Bakterienspezies gegenüber den gasförmigen Inhaltsstoffen (flüchtige
Senföle) einer Mischung von Tropaeolum majus und Armoracia rusticana geprüft. Die
früheren positiven Ergebnisse konnten bestätigt werden. Am Beispiel von
Pseudomonas aeruginosa konnte gezeigt werden, dass die Kombination beider
Pflanzen Vorteile bietet gegenüber den Einzelpflanzen. Auch ein Methicillin-
resistenter S. aureus und E. coli zeigten sich besonders empfindlich. Insbesondere
initial konnte eine ausgeprägte Wachstumshemmung beobachtet werden, nach 92
Stunden war die Elimination nur begrenzt. Die Autoren der Studie mutmassen, dass
das Immunsystem die initial geschwächten Erreger anschliessend besser zu bekämpfen
vermag, die repetitive Einnahme möglicherweise ebenfalls zu einer vollständigen
Elimination der Erreger führen könnte (Conrad 2006).
  Die isolierten Isothiocyanate Benzylsenföl, Allylsenföl und 2-Phenylethylsenföl
wurden    in   einem    dem    zugelassenen    Produkt   Angocin®     entsprechenden
Mischungsverhältnis     in    vitro   gegen   klinisch   relevante   und    teilweise
antibiotikaresistente grampositive und gramnegative Bakterien sowie Candida spp.

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Resultate / Beurteilung der Pflanzen

geprüft.   Die   minimale    Hemmkonzentration    und    die   minimale    bakterizide
Konzentration wurden bestimmt. Es bestätigte sich, dass die Isothiocyanate
verantwortlich sind für die bereits früh beschriebene breite antimikrobielle Wirkung
von      Kapuzinerkresse    und   Meerrettich.   Interessanterweise   zeigten     sich
antibiotikaempfindliche und multiresistente Keime derselben Spezies als vergleichbar
empfindlich gegenüber den Isothiocyanaten (Conrad 2013).
   Pseudomonas aeruginosa gilt als gefürchteter Keim wegen seiner Biofilmaktivität
und Multiresistenzen insbesondere bei nosokomialen Infekten.              Isolate von
biofilmbildenden Pseudomonas aeruginosa-Stämmen wurden mit den einzelnen
Isothiocyanaten Benzylsenföl, Allylsenföl und 2-Phenylethylsenföl und ihrer
Mischung geprüft bezüglich ihrer Aktivität gegen die Proliferation planktonischer
(freischwimmender) Bakterien, Biofilmbildung, metabolische Aktivität eines reifen
Biofilmes und Synergismus mit einem Antibiotikum (Meropenem). Alle eingesetzten
Isothiocyanate zeigten eine antimikrobielle Wirkung gegen Pseudomonas aeruginosa
und vermochten die metabolische Aktivität des reifen Biofilmes signifikant zu
reduzieren. Sowohl die Senfölmischung als auch 2-Phenylethylsenföl vermochten in
Konzentrationen unter der minimalen Hemmkonzentration die Biofilmbildung
signifikant zu inhibieren. In Kombination mit dem Antibiotikum Meropenem konnte
eine synergistische Wirkung gegen die biofilmbildenden Pseudomonas aeruginosa-
Stämme nachgewiesen werden (Kaiser 2017). Bereits in einer früheren Studie konnte
gezeigt werden, dass die Isothiocyanate im Stande sind, das zur Biofilmbildung
notwendige bakterielle Kommunikationssystem Quorum sensing zu inhibieren (Borges
2014).
   Im Rahmen einer Dissertationsarbeit wurde untersucht, ob Isothiocyanate aus
Tropaeolum majus und Armoracia rusticana die sogenannte Internalisierung von
verschiedenen uropathogenen E. coli-Stämmen in humanen Uroepithelzellen zu
verhindern mögen (Kropidlowski 2015). Bei der sogenannten Internalisierung oder
Invasion in die Zelle gelingt dem Bakterium durch stammspezifische Virulenzfaktoren
das Anheften an der Oberfläche der Wirtszelle und anschliessende Eindringen. Im
Inneren der Zelle scheint das Bakterium sozusagen geschützt. Abwehrmechanismen
des Organismus oder verabreichte Antibiotika sind oft nicht effektiv, da sie bis zum
internalisierten Bakterium nicht vorzudringen vermögen. Dieses intrazelluläre
Überdauern der internalisierten Bakterien scheint auch im Zusammenhang mit

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Resultate / Beurteilung der Pflanzen

Antibiotikaresistenzen    und       rezidivierenden         HWI      von     Bedeutung       zu   sein
(Kropidlowski 2015). Bei der zitierten in vitro-Untersuchung wurde in Anwesenheit
von Isothiocyanaten aus Tropaeolum majus und Armoracia rusticana bei fünf der
sieben untersuchten E. coli-Stämme die Internalisierung gehemmt, bei zwei Stämmen
eher gefördert. Eine verstärkte Internalisierungsrate bei allen sieben Stämmen wurde
auch für Cranberryextrakt gezeigt (Kropidlowski 2015).
  Isothiocyanate zeigten in einer anderen in vitro-Studie an uropathogenen Stämmen
von E. coli, sowohl multiresistenten Keimen als auch antibiotikaempfindlichen, eine
starke antimikrobielle Aktivität, wobei die minimale Hemmkonzentration MIC bei den
multiresistenten Keimen etwas erhöht war. Die Internalisierungsrate von E. coli in
humane Uroepithelialzellen konnte durch Zugabe von Isothiocyanaten um
durchschnittlich 31.9 % gesenkt werden, mit beträchtlicher Variabilität zwischen den
verschiedenen Stämmen (Mutters 2018).
  Eine weitere aktuelle in vitro-Untersuchung mit 40 verschiedenen uropathogenen
gramnegativen       (komplizierte      und      unkomplizierte          HWIs          verursachenden)
Keimstämmen        verglich   die     Wirkung         von    D-Mannose,        Proanthocyanidinen
(Cranberry), Rosmarinextrakt sowie Isothiocyanaten einzeln und in der Angocin®
entsprechenden Mischung auf Virulenzfaktoren. Als entscheidende Virulenzfaktoren
für uropathogene Keime wurde die Adhäsionsfähigkeit mittels Typ-1-Fimbrien,
flagellenbasierte Motilität und das Bakterienwachstum getestet. Bezüglich Hemmung
der     Adhäsion    schnitt   D-Mannose          bei        allen    Typ-1-Fimbrien          tragenden
Bakterienstämmen bereits in tiefen Konzentrationen sehr gut ab, zeigte jedoch keine
wachstumshemmende Wirkung. Proanthocyanidine, Benzylisothiocyanat und 2-
Phenylehtylisothiocyanat      konnten        keimspezifisch          meist     erst     in    höheren
Konzentrationen, Allylisothiocyanat und die Mischung der Isothiocyanate jedoch
bereits in tiefen Konzentrationen eine gute Adhäsionshemmung bei Typ-1-Fimbrien
tragenden Bakterienstämmen zeigen. Die sogenannte flagellenvermittelte Motilität, die
den Bakterien ein Aufsteigen und die Kolonisation der Harnwege ermöglicht, konnte
durch die Zugabe von Isothiocyanaten stark gehemmt werden. Rosmarinextrakt zeigte
einen    starken    bakteriostatischen       Effekt     beim        Bakterienwachstumstest,        die
Isothiocyanate wurden diesbezüglich nicht getestet (Marcon 2019).
  Für die Kapuzinerkresse konnte tierexperimentell sowohl für den ethanolischen
Extrakt aus Tropaeolum majus als auch für das isolierte Flavonoid Isoquercitrin ein

                                                                                                   11
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

diuretischer Effekt nachgewiesen werden, welcher auf einem ähnlichen Mechanismus
zu basieren scheint, wie derjenige der ACE-Hemmer (Gasparotto 2012).
  Ein wässriger Auszug aus Tropaeolum majus zeigte in vitro an menschlichen
Immunzellen konzentrationsabhängig gute entzündungshemmende Eigenschaften,
wobei unter anderem das Enzym COX-2 in seiner Protein-Expression gehemmt wurde,
also nicht in seiner Aktivität wie es von den NSAR bekannt ist (Tran 2016).
  Ferner wurde auch für die Meerrettichwurzel eine von Allylisothiocyanat
unabhängige antiphlogistische Wirkung in Immunzellen nachgewiesen (Herz 2017).
  In vitro konnte ausserdem für Allylisothiocyanat aus Wasabia japonica (Wasabi)
eine neuroprotektive Wirkung auf Microgliazellen nachgewiesen werden (Subedi
2017).
  Voraussetzung    für   eine     pharmakologische   Wirkung     ist,   dass   die   p.o.
eingenommenen     Glucosinolate     in   ausreichender   Menge    zu    Isothiocyanaten
metabolisiert werden. Demnach soll nach einer einmaligen Gabe von fünf Tabletten
Angocin® eine Menge an Isothiocyanaten im Urin gemessen worden sein, welche als
bioaktiv angesehen werden kann (Márton 2013).

5.1.5. Traditionelle Anwendung

R. Kalbermatten charakterisiert Tropaeolum majus folgendermassen: Durchwärmung
des Wässrigen und Lichtdurchdringung des Feuchten und Dunkeln. Anwendung bei
Infektionen der Harnwege und der Atemwege, grippalen Infekten, Bronchitis, zur
unterstützenden Behandlung von verschiedenen Mykosen, bei Vaginalmykosen
innerlich und äusserlich (Kalbermatten 2012). Aktivierung der körpereigenen
Abwehrkraft wird ebenfalls diskutiert. Aufgrund hyperämisierender Eigenschaften
auch äusserlich bei Prellungen und Muskelschmerzen einsetzbar. Speziell in ihrer
Heimat Peru wird Kapuzinerkresse auch bei infizierten und schlecht heilenden
Wunden angewandt (Bäumler 2007).

5.1.6. Klinische Datenlage

Siehe auch Tabelle 1, Anhang I.
  In einer doppelblind randomisierten, placebokontrollierten Studie wurde die
Kombination Kapuzinerkresse / Meerrettich (zwei mal zwei Tabl. Angocin® pro Tag)

                                                                                      12
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

prophylaktisch bei chronisch rezidivierenden Harnwegsinfekten erfolgreich geprüft
(Albrecht 2007).
  Analog wurde auch die Prophylaxe von Atemwegsinfekten getestet. Die
Infektionsinzidenz konnte mit der Tagesdosis von drei mal zwei Tabletten von 24.3 %
auf 12.7 % gesenkt werden (Fintelmann 2012).
  Eine offene prospektive Kohortenstudie bei Patienten mit akuter Sinusitis,
Bronchitis oder Zystitis zeigte mit Angocin® gegenüber Standardtherapie mit
Antibiotika eine Nicht-Unterlegenheit für die Indikationen Sinusitis und Bronchitis
(Schwelle: −10 %) (Goos 2006).
  In einer analog angelegten Kohortenstudie bei Kindern und Jugendlichen gegenüber
Standard-Antibiotika-Therapie zeigte sich Angocin® als nicht unterlegen. Es wird
jedoch eingeräumt, dass der behandelnde Arzt bei schwerer Erkrankung das
Antibiotikum bevorzugt einsetzte. Die Verträglichkeit wurde als besser beurteilt als
diejenige des Antibiotikums (Goos 2007).
  Eine doppelblinde Vergleichsstudie von Angocin® mit Cotrimoxazol bei akuter
Zystitis wurde wegen Problemen mit der Patientenrekrutierung vorzeitig beendet.
Obwohl beide Studienarme ein Ansprechen bei etwa der Hälfte der Patienten zeigten,
konnte die Nicht-Unterlegenheit von Angocin statistisch nicht belegt werden (Stange
2017).
  In einer offenen dreiarmigen Studie zu katheterassoziierten nosokomialen
Harnwegsinfekten bei Patienten mit neurogener Blasenfunktionsstörung waren
Antibiotika (gemäss Antibiogramm) und Antibiotika plus Angocin® ebenbürtig,
Angocin® als Monotherapie jedoch klar unterlegen, die Rate an unerwünschten
Wirkungen jedoch klar tiefer. Die Rezidivrate konnte mit der Angocin®-Add-on-
Therapie (50 %) statistisch signifikant gesenkt werden gegenüber der Antibiotika-
Monotherapie (79.3 %) (Lau 2018).
  Zu einer in Lehrbüchern erwähnten Warnung vor einer Albuminurie infolge
Überdosierung (vermutlich durch Schädigung des Glomerulum- und Tubulussystems)
(Bäumler 2007, Schilcher 2016) konnten keine neueren Daten gefunden werden. Als
Nebenwirkung werden Haut- und Schleimhautirritationen, Magen-Darm-Beschwerden
verursacht durch das freie Benzylsenföl erwähnt, weshalb eine Einnahme zu den
Mahlzeiten und in magensaftresistenter Form empfohlen wird. Ebenfalls erwähnt wird,

                                                                                  13
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

dass Benzylsenföl die Alkoholtoleranz verringern könne (Schilcher 2016). In den
klinischen Studien wird durchwegs eine sehr gute Verträglichkeit beschrieben.
  Die Kommission E beurteilt die Kapuzinerkresse positiv, mit folgender
Begründung:
Auf Grund der pharmakologischen Eigenschaften kann qualitativ ein positiver Beitrag
zur Wirksamkeit in Kombinationen zur unterstützenden Behandlung von Infekten der
ableitenden Harnwege, Katarrhen der Luftwege sowie äusserlich bei leichten
Muskelschmerzen angenommen werden (Kommission E 1992).
  Evidenzlevel / Empfehlungsgrad:
  Prophylaxe: I b / A (Kombination von Tropaeolum majus und Armoracia rusticana
bei Infekten der Harnwege und des Respirationstraktes)
  Therapie: II b / B (akute Zystitis doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Studie
mit zu vielen Drop-outs)

5.1.7. Zugelassene Arzneimittel, Arzneiformen

   •   Angocin® Filmtabletten
   •   A. Vogel Zink-Complex® Tabletten (Nahrungsergänzungsmittel)
   •   Alpinamed Capucin Immun®
   •   Ceres Tropaeolum-Urtinktur
   •   Kernosan Meerrettich-Elixir
(Details siehe Anhang II)

                                                                                   14
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

5.2. Solidago virgaurea / Echte Goldrute

Abbildung 2: Solidago virgaurea / Echte Goldrute (Foto: Beat Baumgartner, Herborama
GmbH)

5.2.1. Nomenklatur

Lateinischer Name:              Solidago virgaurea L.
Deutscher Name:                 Echte Goldrute
Volkstümliche Namen:            Edelwundkraut, Heidnisch Wundkraut
Pflanzenfamilie:                Asteraceae, Körbchenblütler
Verwendete Pflanzenteile:       Herba, die getrockneten, ganzen oder zerkleinerten,
                                blühenden, oberirdischen Teile (Ph. Eur. 10)
Geschmack:                      herb, etwas adstringierend
Zubereitungen:                  Tee, Tinkturen, Urtinkturen, Trockenextrakte
                                (Ethanol-Wasser-Extrakt)
Standardisierung:               0.5–1.5 % Flavonoide, berechnet als Hyperosid bezogen
                                auf die getrocknete Droge (Ph. Eur. 10)
Differenzierung:                Kanadische Goldrute (Solidago canadensis)
                                Riesengoldrute (Solidago gigantea)
Monographien:                   Ph. Eur. 10:

                                                                                         15
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

                                   „Echtes Goldrutenkraut“, Solidaginis virgaureae herba
                                   „Goldrutenkraut“, Solidaginis herba erlaubt als
                                   Stammpflanzen auch S. canadensis und S. gigantea
                                   Kommssion E: Gleichstellung von Solidago canadensis
                                   und Solidago gigantea mit Solidago virgaurea
                                   HMPC (HMPC Solidago virgaurea 2008)
                                   ESCOP

5.2.2. Inhaltsstoffe
     •    Flavonoide (Rutin, Hyperosid, Isoquercitrin Nicotiflorin u.a.) 1.1–2 %
     •    Triterpensaponine (Virgaureasaponine) 0.2–0.3 %
     •    Phenolglukoside (u.a. Leiocarposid, Virgaureosid A, beide nur in S. virgaurea)
     •    Kaffeesäureester
     •    Gerbstoffe
     •    ätherische Öle (Mono- und Sesquiterpene) 0.4–0.5 %, getrocknete Droge
          < 0.2 %
(Jänicke 2003, Fintelmann 2017, Melzig 2004, Schilcher 2016)

5.2.3. Wirkmechanismus, Pharmakologie

Antiinflammatorische Wirkung

An       Ratten   konnte     ein   antiinflammatorischer Effekt     nachgewiesen werden,
insbesondere auch in der Kombination Phytodolor® mit Fraxinus excelsior (Gemeine
Esche) und Populus tremula (Zitter-Pappel) (Okpanyi 1989). Für die Flavonoide und
Kaffeesäureester konnte eine Hemmung der inflammatorisch aktiven leukozytären
Elastase     sowie     der    proinflammatorisch    wirkenden     freien   Sauerstoffradikale
nachgewiesen werden (Melzig 2000, Melzig 2004).
  In vitro zeigte ein ethanolischer Extrakt von Solidago virgaurea eine Hemmung der
enzymatischen oxidativen Aktivität gemessen an reaktivem Sauerstoff (Meyer 1995).

Spasmolytische Aktivität

Die spasmolytische Aktivität auf die glatte Muskulatur konnte in vivo und
tierexperimentell nachgewiesen werden und wird insbesondere den Flavonoiden
Quercetin und Kaempferol zugeschrieben (Westendorf 1981). Eine gewisse

                                                                                          16
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

analgetische Wirkung könnte auf das bei der Esterhydrolyse entstehende Salicin
zurückgeführt werden (Melzig 2004).

Antibakterielle Wirkung

Eine antibakterielle Wirkung gegen Staphylococcus aureus und Staph. epidermidis
konnte in vitro nachgewiesen werden, verstärkt jedoch in Kombination mit anderen
Drogen, z.B. Uvae ursi folium. Dabei zeigte Solidago virgaurea eine breitere
antimikrobielle Aktivität als Solidago gigantea und Solidago canadensis (Brantner
1999). Gemäss in vitro-Experimenten basiert diese leichte antibakterielle Aktivität auf
einer Hemmung der Dihydrofolat-Reduktase (Strehl 1995).
  Extrakte von Solidago virgaurea können die Bildung eines Biofilmes durch
Candida albicans verhindern und damit auch die Wirksamkeit von Antimykotika
verstärken (Chevalier 2019).
  Ferner konnte in vitro vermutlich basierend auf den Triterpensaponinen eine
schwache antimykotische, tumorhemmende und immunmodulierende Aktivität
nachgewiesen werden (Pepeljnjak 1998, Plohmann 1997, Plohmann 1999).

Diuretische Wirkung

Die diuretische Wirkung eines Infuses von Solidago virgaurea L., verbunden mit einer
vermehrten Elimination von Natrium-, Kalium- und Chlorid-Ionen, konnte an Ratten
gezeigt werden. Es wird vermutet, dass acylierte Triterpen-Saponine einen Einfluss auf
die Permeabilität der Membran ausübt und daraus eine Veränderung der Ionen-
Homöostase folgt (Schilcher 1988, Melzig 2001). Der Flavonoid-Fraktion,
insbesondere dem Quercetin, wurde eine hemmende Wirkung auf die NEP (Neutral
Endopepitdase) und ACE (Angiotensin-converting Enzyme) nachgewiesen. Insgesamt
kann Solidago virgaurea den Wasser- und Natriumhaushalt sowie die kardiovaskuläre
Homöostase regulieren durch erhöhte Wasser- und Natriumausscheidung sowie
arterielle und venöse Vasodilatation (Melzig, Major 2000).

Zusammenfassung

Zusammenfassung der pharmakologischen Erkenntnisse gemäss HMPC-Assessment
Report: Nicht klinische Daten zeigen für            Solidago virgaurea diuretische,
antiinflammatorische, antioxidative, analgetische und spasmolytische, antibakterielle,
antifungale, tumorhemmende und immunmodulatorische Aktivität. Da kein einzelner

                                                                                    17
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

Inhaltsstoff verantwortlich ist für diese Effekte, muss die ganze Zubereitung von
Solidago virgaurea als aktiver Inhaltsstoff betrachtet werden (HMPC Solidago
virgaurea 2008).

5.2.4. Pharmakokinetik, Toxizität

Bei   in   vitro-Untersuchungen    konnte   eine   Induktion   des   CYP3A4-Enzyms
nachgewiesen werden (Brandin 2007).
  Es gibt keine relevanten Daten zur Toxizität von Solidago virgaurea, ausser zum
isolierten Leiocarposid bei Ratten (LD50 (oral): 1.55 g/kg) (Chodera 1985).

5.2.5. Traditionelle Anwendung

Kalbermatten beschreibt die Goldrute als spezifischstes Nierenfunktionsmittel,
welches von seiner Signatur her für innig freundschaftliche Beziehung steht
(Kalbermatten 2012). Die Wirkung der Goldrute wird des weiteren von ihm als
harntreibend, entzündungshemmend, krampflösend, antiexsudativ, antimikrobiell, der
Bildung    von     Harnsteinen    vorbeugend   beschrieben.    Sie   wird      auch   zur
Stoffwechselanregung bei rheumatischen Erkrankungen empfohlen (Kalbermatten
2012). Äusserlich wird die Goldrute auch zur Wundheilung verwendet (Dal Cero
2009). Die Anwendung des echten Goldrutenkrautes als Urologikum und
Wundheilmittel wurde bereits Ende des 13. Jh. dokumentiert (Melzig 2004).

5.2.6. Klinische Datenlage

Siehe auch Tabelle 2, Anhang I.
  Die diuretische Wirkung von Goldruten Tropfen® (Tinktur mit 65 % Ethanol, nicht
mehr im Handel) wurde an 22 gesunden Probanden placebokontrolliert gezeigt
(Bioforce 1992 a).
  Darüber hinaus konnten nur offene, nicht randomisierte Studien zu Monopräparaten
mit Solidago virgaurea gefunden werden. Diese zeigen eine signifikante Verbesserung
der Symptome einer Harnwegsentzündung und bei Reizblase (Bioforce 1992 b, Laszig
1999).
  Andere Studien wurden mit Kombinationspräparaten wie Solidagoren® (Goldrute,
Schachtelhalm und Gänsefingerkraut), das in Deutschland im Handel ist, durchgeführt.
Mit der Gabe einer Kombination von Trockenextrakten von                       Solidaginis,
Orthosiphonis und Betulae folia begleitend zu einer prophylaktischen Antibiotikagabe

                                                                                       18
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

konnte die Rezidivrate signifikant besser gesenkt werden gegenüber Antibiotika allein
(Frumenzio 2013).
  Als Kontraindikation für die Durchführung einer Durchspülungstherapie mit
Solidago virgaurea werden Ödeme infolge eingeschränkter Herz- oder Nierentätigkeit
angegeben (Schilcher 2016, Kalbermatten 2012).
  Kommission E: Durchspülungstherapie bei entzündlichen Erkrankungen der
ableitenden Harnwege und Vorbeugung bei Harnsteinen und Nierengriess.
  ESCOP: Durchspülungstherapie der ableitenden Harnwege, besonders bei
Entzündung und Nierengriess, adjuvant bei bakteriellen Infektionen der ableitenden
Harnwege.
  HMPC: Die Indikation einer Erhöhung des Urinvolumens, insbesondere bei
Entzündungen und Nierengriess ist gut dokumentiert in Monographien sowie
Lehrbüchern und Erfahrungen im Langzeitgebrauch. Mangels klinischer Daten wird
Solidago virgaurea gut dokumentierter „traditional use“ zugestanden, jedoch keine
„well-established indication“.
  Evidenzlevel / Empfehlungsgrad: II a / B

5.2.7. Zugelassene Arzneimittel, Arzneiformen

   •   Hänseler Nieren- und Blasendragées S
   •   Ceres Solidago Urtinktur
   •   Ceres Solidago comp Tropfen
   •   Teemischungen: Künzle Nieren Blasentee, Morga Blasentee
(Details siehe Anhang II)

                                                                                   19
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

5.3. Arctostaphylos uva-ursi / Bärentraube

Abbildung 3: Arctostaphylos uva-ursi / Bärentraube (Foto: Beat Baumgartner,
Herborama GmbH)

5.3.1. Nomenklatur

Lateinischer Name:               Arctostaphylos uva-ursi (L.) Spreng.
Deutscher Name:                  Bärentraube
Volkstümliche Namen:             Moosbeere, wilder Buchs, Wolfsbeere
Pflanzenfamilie:                 Ericaceae, Heidekrautgewächse
Verwendete Pflanzenteile:        Folia, die ganzen oder zerkleinerten Blätter von
                                 Arctostaphylos uva-ursi (L.) Spreng (Ph. Eur. 10)
Geruch, Geschmack:               eigenartiger Geruch, adstringierender, schwach bitterer
                                 Geschmack
Zubereitungen:                   Tee, Tinkturen, Urtinkturen,
                                 Trockenextrakte (Ethanol-Wasser-Extrakt)
Standardisierung:                mind. 7.0 % wasserfreies Arbutin, bezogen auf die
                                 getrocknete Droge (Ph. Eur. 10)
Monographien:                    Ph. Eur. 10
                                 Kommission E
                                 HMPC (HMPC Arctostaphylos uva-ursi 2018)

                                                                                           20
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

                                ESCOP
                                WHO (Schilcher 2016)

5.3.2. Inhaltsstoffe

      •    Hydrochinonglykoside 5–16 %, darunter Arbutin 4–12 %, Methylarbutin
      •    Flavonoide (Quercetin)
      •    Gerbstoffe vom Gallussäuretyp (Polyphenole) (10–20 %)
      •    organische Säuren (0.25 %)
      •    Iridoidglykosid (Monotropein)
(Schilcher 2016, Bäumler 2007)

5.3.3. Wirkmechanismus, Pharmakologie

Siehe auch Tabelle 3, Anhang I.

Antimikrobielle Wirkung

In vitro-Untersuchungen zeigten in Anwesenheit eines wässrigen Dekoktes von
Bärentraubenblättern bei 40 verschiedenen Stämmen von E. coli und Acinetobacter
baumannii eine deutliche Verstärkung der hydrophoben Eigenschaften an der
Bakterienzelloberfläche. Dies bedeutet eine Schwächung der Virulenz durch
Verhinderung der Adhäsion an die Wirtszelle als möglicher Wirkmechanismus (Türi
1997).
  In vitro konnte gezeigt werden, dass ein wässriger Extrakt von Bärentraubenblättern
und Preiselbeerblättern (Arbutingehalt 2–5 %), aber auch von reiner Tanninsäure die
hydrophoben Eigenschaften der Zelloberfläche von zehn Stämmen von Helicobacter
pylori verstärkt. Der wässrige Extrakt von Uvae ursi folia zeigte zudem eine markante
bakteriostatische Wirkung (Annuk 1999).
  Für hydrophobe Auszüge aus getrockneten ethanolischen und wässrigen Extrakten
von Bärentraubenblättern wurde gegenüber Chromobacterium violaceum eine direkte
antimikrobielle Aktivität nachgewiesen werden (Tolmacheva 2014).
  In vitro-Studien zeigen, dass die antibakterielle Aktivität des Phenolglykosides
Arbutin gegen verschiedene uropathogene Bakterienspezies korreliert mit der Aktivität
der       β-Glucosidase   des   infektiösen   Organismus.   Unter   den   untersuchten
Bakterienspezies zeigte Streptococcus faecalis die höchste enzymatische Aktivität,
Escherichia coli die niedrigste (HMPC Arctostaphylos uva-ursi 2018).

                                                                                     21
Resultate / Beurteilung der Pflanzen

  An verschiedenen, teils multiresistenten Stämmen von Staphylococcus aureus
wurde der antimikrobielle Wirkmechanismus von Arbutin und Hydrochinon
untersucht. Für das Aglykon Hydrochinon konnte eine schädigende Wirkung auf die
Bakterienzellwand und -membran, sowie eine Erhöhung der Permeabilität
nachgewiesen werden, woraus wiederum ein intrazellulärer Proteinmangel und eine
reduzierte Genexpression resultieren (Ma 2019).

Diuretische Wirkung

Während ältere Untersuchungen eine diuretische Wirkung in Zweifel ziehen, konnte an
Mäusen eine verstärkte Diurese mit einem wässrigen Extrakt von Bärentraubenblättern
nachgewiesen werden, nach vier Stunden sogar leicht überlegen zu jener unter
Furosemid (Saeed 2015).

Hemmung der Harnsteinbildung

Unter sieben Pflanzen wurde auch ein wässriger Auszug von Bärentraubenblättern an
Ratten bezüglich Bildung von Harnsteinen untersucht. Als Grund für die beobachteten
positiven   Effekte    wurde   eine   desinfizierende   Komponente,    Saponine   und
möglicherweise auch eine Basenkapazität gewisser Pflanzen vermutet (Grases 1994).

Antiinflammatorische Aktivität

Im Tierversuch konnte aus Bärentraubenblättern extrahiertes Arbutin 24 Stunden nach
einer provozierten Kontaktdermatitis peroral appliziert die Schwellung reduzieren und
die Wirkung von subkutan appliziertem Prednisolon und Dexamethason verstärken
ohne negative Effekte auf Thymus und Milz (Matsuda 1990). Analog konnte auch ein
alleiniger und ein verstärkender Effekt von Arbutin auf die antiinflammatorische
Wirkung von Indometacin bei Kontaktdermatitis und adjuvant induzierter Arthritis
gezeigt werden (Matsuda 1991).
  An menschlichen neutrophilen Blutzellen zeigte sich für Arbutin und Carvedilol
eine   Reduktion      gewebeschädigender    Enzyme.     In   Kombination    war    der
antiinflammatorische Effekt noch deutlicher (Pečivová 2014).

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Resultate / Beurteilung der Pflanzen

Weitere Aktivitäten

  In vitro konnte für einen wässrigen Extrakt aus Uvae-ursi folia eine antivirale
Aktivität gegen Herpes simplex-Virus Typ 2, gewisse Influenza- und Vaccinia-Viren
nachgewiesen werden. Es wurde beobachtet, dass antivirale Eigenschaften vermehrt
bei Pflanzen mit hohem Anteil an Tanninen gefunden wurden (May 1978).
  Auch eine antitussive Wirkung für Arbutin nach peroraler Verabreichung konnte an
Ratten nachgewiesen werden (Strapkova 1991).

5.3.4. Pharmakokinetik, Toxizität

Das als Hauptwirkstoff von Arctostaphylos uva-ursi betrachtete Phenolglukosid
Arbutin wird im Dünndarm grösstenteils rasch resorbiert und in der Leber von der β-
Glucosidase vorerst in Hydrochinon und Glucose gespalten, dann weiter mit
Glucuron- oder Schwefelsäure konjugiert. Nach der Einnahme von 420 mg Arbutin
durch freiwillige Probanden werden 70 % des Arbutins in Form dieser toxikologisch
unbedenklichen Hauptmetaboliten via Nieren im Urin ausgeschieden, maximal 0.6 %
werden als freies Hydrochinon im Urin nachgewiesen, Arbutin wird nicht gefunden im
Urin (Siegers 1997). Glucosidaseproduzierende Bakterien im infizierten Harntrakt
nehmen diese Metaboliten auf, reichern sie im Cytoplasma an und vermögen sie
wieder zu spalten und Hydrochinon freizusetzen. Dieses destabilisiert die
Zellmembran des pathogenen Keimes. Dazu ist keine Alkalisierung des Urins
notwendig. Nach Inkubation des Urins von freiwilligen Probanden mit E. coli und
anschliessender   Zentrifugation   konnte   im   Bakteriensediment    eine   20-fache
Konzentration an freiem Hydrochinon nachgewiesen werden gegenüber dem
Überstand (Siegers 2003, Garcia de Arriba 2010). Gegen eine Hydrolyse des Arbutins
bereits im Darmlumen durch die dortige Mikroflora spricht einerseits die geringe
Bakteriendichte des Dünndarmes, andererseits konnte bei Tieren fäkal kaum freies
Hydrochinon nachgewiesen werden. Auch in Geweben, Organen und Knochen wird
maximal 2 % des verabreichten Arbutins als Hydrochinon gefunden, es scheint sich in
keiner Weise zu kumulieren. Sicherheitsbedenken bezüglich einer möglichen Toxizität
des freien Hydrochinons, welches auch in unserer Nahrung sowie in Kaffee und Tee
vorkommt, scheinen bei der medizinischen Anwendung von Bärentraubenblättern in
keiner Weise gerechtfertigt. Diverse Studien mit freiem Hydrochinon konnten weder

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Resultate / Beurteilung der Pflanzen

eine Hepato- noch eine Nephrotoxizität noch eine höhere Tumorinzidenz nachweisen
(McGregor 2007, Garcia de Arriba 2013).
  Tierexperimentell wurde während 90 Tagen ein Rohextrakt von Arctostaphylos
uvae-ursi geprüft. Hämatologisch und im Urin konnten keine Unterschiede festgestellt
werden, in den Organen wurden keine signifikanten pathologischen Veränderungen des
Gewebes gefunden (Saeed 2014).
  Das freie Hydrochinon wurde in diätetischen Mengen an Ratten getestet über 13
Wochen, dabei wurden keinerlei leberschädigenden Effekte festgestellt, es konnte
sogar ein schützender Effekt gegenüber leberzellkarzinominduzierenden Substanzen
nachgewiesen werden (Williams 2007).
  Auf Grund einer in vitro-Untersuchung mit wässrigen und methanolischen
Extrakten aus Bärentraubenblättern ist eine Inhibition von Cytochrom P450
Isoenzymen, auch von CYP3A4, möglich (Chauhan 2007). Es gibt jedoch keinerlei
Fallbeschreibungen diesbezüglich.

5.3.5. Traditionelle Anwendung

In der chinesischen Medizin werden arbutinhaltige Arzneipflanzen nicht nur bei
Harnwegsinfekten und zur Wundheilungsförderung, sondern auch gegen Asthma
eingesetzt. Ebenso wird es in der Nahrungsmittel- und Kosmetik-Industrie eingesetzt,
unter anderem zur Behandlung von Hyperpigmentierungen auf Grund der Hemmung
der Tyrosinase und der daraus resultierenden Reduktion der Melanogenese (Zhou
2019). Als Pflanze mit nördlichem Verbreitungsgebiet war die Bärentraube den Ärzten
der römisch-griechischen Antike nicht bekannt. Verbreitet angewendet wird sie seit
dem 18. Jahrhundert (Dal Cero 2009). Im 13. Jahrhundert wurde sie in einem
walisischen Arzneibuch erwähnt (Bäumler 2007).

5.3.6. Klinische Datenlage

Siehe auch Tabelle 4, Anhang I.
  In einer schwedischen, doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Studie
mit 57 Probandinnen, welche im Vorjahr an mindestens drei mit Antibiotika
behandelten Zystitiden litten, wurden präventiv während eines Monates mit einem
Kombinationspräparat in Tablettenform basierend auf einem ethanolischen Extrakt von
Uvae-ursi folium und Taraxaci radix cum herba oder Placebo therapiert. In der

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Resultate / Beurteilung der Pflanzen

Beobachtungsdauer von 12 Monaten erlitten 23 % der mit Placebo behandelten Frauen
ein Rezidiv, in der Verum-Gruppe keine (Larsson 1993).
  In einer doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Studie wurde ein
Bärentraubenblätter-Extrakt (20 % Arbutin) mit einer Tagesdosis von 3600 mg bei
unkomplizierten Infekten der unteren Harnwege mit 382 Probandinnen geprüft. In der
vierarmigen Studie wurde teilweise zusätzlich die Empfehlung für Ibuprofen 1200
mg/die gegeben, Antibiotika wurden in Reserve angeboten. Auch wenn der
Antibiotikagebrauch in der Gruppe mit Bärentraubenblättern mit 39.9 % tiefer liegt als
in der Placebogruppe mit 47.4 %, konnte für Bärentraubenblätter statistisch keine
Reduktion des Antibiotikagebrauchs ermittelt werden, für den Einsatz von Ibuprofen
hingegen schon. Für die Symptomlinderung von Tag 2–4 konnte für beide Substanzen
keine Evidenz ermittelt werden. Hingegen wurden in der ganzen Studie keine Infekte
der oberen Harnwege erfasst. Mit Ibuprofen konnte mit der Behandlung von sieben
Frauen immerhin eine Antibiotikagabe verhindert werden (Moore 2019).
  In einer einleitenden Studie zur Prävention von rezidivierenden Harnwegsinfekten
wurden drei verschiedene pflanzliche Extraktkombinationen je mit D-Mannose
kombiniert untersucht. Die Pflanzenkombinationen mit Berberin, Arbutin, Birke und
D-Mannose (A), sowie zusätzlich noch Forskolin (B) zeigte während der Therpapie
und im Follow-up eine reduzierte Inzidenz von Harnwegsinfekten und eine tiefere
Bakteriendichte    im    Urin    gegenüber    der    prophylaktischen    Gabe     von
Proanthocyanidinen und D-Mannose (Genovese 2018).
  Als Nebenwirkung wird in der Literatur auf Grund des hohen Gehaltes an Tanninen
(10–20 %) bei magenempfindlichen Patienten Übelkeit und Erbrechen erwähnt. Eine
Kaltmazeration der Blätter könnte die Magenverträglichkeit verbessern (Schilcher
2016).
  In Lehrbüchern werden bei Überdosierung u.a. mögliche Leberschädigungen,
Reizung der Blasenschleimhaut aufgeführt, dazu fehlen jedoch Fallberichte.
  Kommission E: entzündliche Erkrankungen der ableitenden Harnwege
  ESCOP: unkomplizierte Infektionen der ableitenden Harnwege wie Zystitis, wenn
eine Antibiotikabehandlung nicht nötig ist.
  WHO: innere Anwendung als mildes Harnantiseptikum für moderate Entzündungen
der Harnwege und Blase wie Zystitis, Urethritis und Dysurie (Schilcher 2016).

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Resultate / Beurteilung der Pflanzen

  HMPC:        leichte   wiederkehrende    Harnwegsinfektionen    wie    Brennen   beim
Wasserlassen     und/oder    häufigem     Wasserlassen   bei   Frauen,   wenn   (andere)
schwerwiegende Ursachen durch einen Arzt ausgeschlossen wurden (Schilcher 2016).
  Angesichts der wenigen verfügbaren klinischen Daten wird Arctostaphylos uva-ursi
„traditional use“ zugestanden, jedoch kein „well-established use“. Für Männer und
junge Frauen unter 18 Jahren wird die Anwendung nicht empfohlen, weil eine ärztliche
Konsultation für angezeigt gehalten wird.
  Die Einnahme von bärentrauben- oder arbutinhaltigen Präparaten bei einer
maximalen Dosis von 840 mg Hydrochinon-Derivaten (berechnet als wasserfreies
Arbutin) pro Tag während einer Woche wird als sicher angenommen.
  Die Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit wird mangels Daten nicht
empfohlen.
  Die S3-Leitlinien für Harnwegsinfekte erwähnen Bärentraubenblätter als Option zur
Prävention rezidivierender Harnwegsinfekte, während maximal eines Monates
(Wagenlehner 2017).
  Evidenzlevel / Empfehlungsgrad:
  Prophylaxe: I b / A
  Therapie: IV / C

5.3.7. Zugelassene Arzneimittel, Arzneiformen

   •   Hänseler Nieren- und Blasendragées S
   •   Cystinol: Trockenextrakt aus Uvae-ursi folia
(Details siehe Anhang II)

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Resultate / Beurteilung der Pflanzen

5.4. Juniperus communis / Wacholder

Abbildung 4: Juniperus communis / Wacholder (Foto: Beat Baumgartner, Herborama
GmbH)

5.4.1. Nomenklatur

Lateinischer Name:              Juniperus communis L.
Deutscher Name:                 Gemeiner Wacholder, Heidewacholder
Volkstümliche Namen:            Reckholder, Räukholder, Kaddig, Kranewitter,
                                Machandel
Pflanzenfamilie:                Cupressaceae, Zypressengewächse
Verwendete Pflanzenteile:       Beerenzapfen / Juniperi galbulus (pseudofructus),
                                getrocknet, reif (Ph. Eur. 10)
                                früher auch Holz
Geruch, Geschmack:              Beerenzapfen: stark aromatischer Geruch, besonders
                                beim Zerstossen (Ph. Eur. 10)
Zubereitungen:                  ätherisches Öl (Juniperi aetheroleum)
                                Wacholdergeist zur äusserlichen Anwendung
                                Tee aus zerstossenen Beerenzapfen,
                                Kapseln mit ätherischem Öl

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