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S2 Plus Schule 21/22 Mittwoch, 28. April 2021 MEDIENKOMPETENZ - Kompass im Ozean der Unübersichtlichkeit Ein Kommentar von Helge Fahrnberger I n diesem Jahrtausend Geborene ver- wird, jedenfalls aber keinen Stein auf Foto: Lisa Lux sammeln sich nicht um 19:30 Uhr dem anderen lässt. Und wir, die Groß- vor der „Zeit im Bild“, dem Lager- eltern, live dabei, Revolutionärinnen feuer der Nation, sie lesen kaum noch und Revolutionäre wider Willen. Denn Zeitung, und viele sind dennoch bes- ob wir es mögen oder nicht – wir ser informiert, als wir es jemals wa- stecken mittendrin in dieser neuen ren. Sie schauen die Welt ganz anders Unübersichtlichkeit. an, als wir das in unserer Jugend ge- tan haben. Was ist wahr? Wem glauben? Nachrichten erreichen sie oft in In meiner Zeit als Teenager hatte ich Messaging-Apps oder sozialen Medi- Zugang zu vielen rechtsextremen en, empfohlen und weitergeleitet von und verschwörungstheoretischen ihren Freundinnen und Freunden. Hetzschriften, die mein Großvater Insta, TikTok, Snapchat – die Tools der abonniert hatte. Wenn stimmte, was Aufmerksamkeitsökonomie ändern ich da las, dann wäre vieles von dem, sich ständig, aber die Mechanik bleibt was ich in der Schule und in Medien die gleiche. Und die Inhalte reichen hörte, schlicht falsch. So war ich früh von der wissenschaftlichen Covid- gezwungen, Stellung zu beziehen – 19-Studie, deren Tinte noch nicht ge- und dabei spielten Diskussionen mit trocknet ist, bis zur Schlangengrube Lehrerinnen und Lehrern sowie an Verschwörungstheorien auf You- Gleichaltrigen in der Schule eine ent- Tube. Als „persönliche Redaktion“ scheidende Rolle. fungiert das eigene Umfeld, das Infor- Jugend ist das Alter besonders vie- mationen vorselektiert und empfiehlt. ler Fragen. In Zeiten, in denen „Wahr- Als die Kommunikationswissenschaft heiten“ von Chemtrails, der Erde als dieses Phänomen im Zuge des US- Scheibe und Bill Gates, der uns alle Wahlkampfs 2008 erstmals analy- per Impfung verchippt, auf Whats- sierte und junge Menschen gefragt App und YouTube kursieren, gilt das wurden, woher sie ihre Informationen wohl besonders. Hier sollte die Schule bezögen, ohne regelmäßig Medien zu helfen. Nicht unbedingt indem sie Ju- konsumieren, antwortete eine jun- gendlichen die Antworten auf all diese ge Frau mit dem seitdem geflügelten Fragen liefert, sondern indem sie ih- Satz: „If the news is important, it will nen die nötigen Werkzeuge vermittelt, find me.“ diese Antworten selbst zu finden. Während die Nachteile dieser Ent- So können im Unterricht Fakten- wicklung schmerzlich spürbar sind checks geübt werden: Wie glaubwür- – von Medien, die nicht mehr wissen, dig ist die Quelle einer bestimmten Helge Fahrnberger wie sie Qualitätsjournalismus finan- Nachricht? Was ist ihr Ursprung? Was warum muss ich mir selbst misstrau- ist Technologie- als Aufsatz, Blog-Artikel oder auf zieren sollen, bis zu Familienmit- sagen andere Quellen, insbesondere en? Wie formuliere ich eine Hypothe- unternehmer und Facebook – wichtig ist hier, dass auch gliedern, die in Parallelrealitäten ab- Autoritäten, zum Thema der Nach- se? Wie identifiziere ich Expertinnen Lehrbeauftragter Unbeteiligte nachvollziehen können, driften –, wissen wir noch zu wenig, richt? Wie verhält es sich mit meinem und Experten, und wie kann ich diese für Journalismus in worum es geht, und dass man nicht welche Vorteile sie bringen wird. eigenen Weltbild, „will“ ich die Nach- kontaktieren? Wien sowie Gründer nur bereits Überzeugte anspricht, Als Anfang der Nullerjahre Web- richt möglicherweise glauben? Dabei lassen sich digitale Grund- des preisgekrönten sondern auch zur eigenen Position sites online gestellt wurden, wo man Solche Faktenchecks lassen sich kenntnisse üben, die über eine simple Medien-Watchblogs kritisch Eingestellte. anonym jede Seite bearbeiten konnte thematisch angepasst mit vielen Fä- Google-Suche hinausgehen: Wie su- Kobuk.at. Er twittert Mit dieser Medienkompetenz aus- – sogenannte Wikis –, konnte ich mir chern verbinden und müssen sich che ich nach Bildern, wissenschaftli- unter @helge. gestattet, werden Jugendliche das gleich vorstellen, dass hier Menschen auch nicht auf Social Media oder Ver- chen Publikationen und in Büchern? Selbstbewusstsein entwickeln, Aussa- Lügen, Gerüchte und Bombenbau- schwörungstheorien beschränken: Wie suche ich in Fremdsprachen, in- gen zu hinterfragen, um sich in einer anleitungen veröffentlichen würden. Gerade Berichte etablierter Medien klusive jener, die ich selbst gar nicht unübersichtlichen Welt nicht den ma- Dass genau damit das größte Wissens- eignen sich dafür manchmal hervor- beherrsche? Wie kann ich soziale Me- nipulativen Welterklärern ausliefern projekt der Menschheitsgeschichte ragend. dien nutzen, um Unterstützung bei zu müssen. Und diese Medienkompe- entstehen würde, die Wikipedia, mit meiner Recherche zu bekommen? Wie tenz überdauert auch das sich ständig 56 Millionen enzyklopädischen Arti- Faktencheck als digitale Grund- funktioniert die Wikipedia, und wie ändernde Angebot an digitalen Werk- keln in 309 Sprachen, kam mir nicht kompetenz im 21. Jahrhundert kann ich sie als Recherche-Startpunkt zeugen und Applikationen. in den Sinn. Negative Folgen von Ver- In der Folge kann man Jugendliche al- nützen? Kann ich alles glauben, was Keine Generation von Lehrenden änderung sind sehr viel schneller vor- tersgerecht mit den Grundlagen kriti- in der Wikipedia steht? vor uns hatte diese Möglichkeiten: stellbar als positive. schen Denkens vertraut machen: Was Sobald Jugendliche gelernt haben, Wir sind die Ersten, die ein Gerät in Unsere Enkel werden uns dereinst bedeutet „gesichertes Wissen“, und sich der Frage zu nähern, was denn der Hosentasche stecken haben, mit fragen, wie das damals war, während wie finde ich es? Was ist eine echte nun stimmt, sollten sie lernen, ihre dem man beinahe das gesamte Wis- des großen kulturellen Umbruchs der Quelle? Wie formuliere ich gute Fra- Faktenchecks auch zu verteidigen, sen der Menschheit jederzeit abrufen Digitalisierung. Eine Revolution, die gen? Wie funktioniert Wissenschaft? also andere zu überzeugen. Ob münd- kann. Wir sind Revolutionärinnen Schlechtes und Gutes gebracht haben Was ist der „Bestätigungsfehler“, und lich in einem Referat oder schriftlich und Revolutionäre. IMPRESSUM: Plus Schule 21/22 ist eine Verlagsbeilage der Wiener Zeitung. Erscheinungstag: 28.04.2021 Herausgeber: Die Republik Österreich, Ballhausplatz 2, 1014 Wien Medieninhaber, Redaktion (der Wiener Zeitung), Verlagsort, Redaktions- und Verwaltungsadresse: Wiener Zeitung GmbH, Media Quarter Marx 3.3, Maria-Jacobi-Gasse 1, 1030 Wien Realisierung: Abteilung Content Production Leitung Corporate Publishing & Content Production: Nadja James Autorinnen und Autoren: Helge Fahrnberger, Sabina König, Gerhard Mészáros, Katharina Schmidt, Clemens Stachel Lektorat: Oliver Poschner Art Direction: Richard Kienzl Anzeigen: Ramona Hammermüller, Alexander Palaschke, Manfred Svec (Ltg.) Geschäftsführer: Martin Fleischhacker Chief Commercial Officer: Markus Graf Produktion: Manfred Rohrbacher, Christian Simulak Vertrieb: Alexandra Kauer Druck/Herstellungsort: Herold Druck & Verlag AG, Faradaygasse 6, 1030 Wien Offenlegung gem. § 25 Abs. 2 & 3 Mediengesetz: www.wienerzeitung.at/unternehmen/impressum/95_Impressum.html
Mittwoch, 28. April 2021 Schule 21/22 Plus S3 Foto: stock.adobe.com/Thomas Reimer WACHSAM durch die MEDIENWELT Medienkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation, die im digitalen Zeitalter eine neue Bedeutung erfährt. Eine Herausforderung für Lehrende: Für eine adäquate Vermittlung im Unterricht brauchen sie Willen, Wissen und Weiterbildung. Von Sabina König U nsicherheit, Wut und Zu- schem zu unterscheiden – denn die es einen bewussten und reflektier- kunftsangst bieten einen per- Flut an Nachrichten steigt stän- ten Umgang mit Medien und ihrem fekten Nährboden für Gerüchte. dig, ebenso die Anzahl potenzieller Angebot. Medienkompetenz ist also Kein Wunder, dass sich Falschmeldun- Informationsquellen. Gerade in diesen eine Schlüsselqualifikation, die uns gen über SARS-CoV-2 in der aktuellen unsicheren Zeiten ist das Wissen um im Alltag Orientierung gibt und uns Pandemie so schnell verbreiten wie den richtigen Umgang mit Medien und hilft, bessere Entscheidungen zu tref- das Virus selbst. Die Weltgesund- Information also wichtiger denn je. fen. Wir alle brauchen sie, wenn wir heitsorganisation (WHO) hat für die an der Informationsgesellschaft teil- schnelle Ausbreitung von Falsch- und Chancen nutzen, nehmen wollen. Die Jugend für diese Desinformation zum Virus über sozi- Risiken minimieren Herausforderungen fit zu machen, ist ale Netzwerke sogar einen eigenen Die moderne Medienlandschaft bietet auch eine wesentliche Aufgabe unse- Begriff gefunden: „Infodemie“. Diese nie dagewesene Chancen, etwa was res Bildungssystems. stiftet Misstrauen in der Bevölkerung den Zugang zu Informationen und und macht damit die Bekämpfung die Möglichkeit, frei seine Meinung Unterrichtsprinzip des Coronavirus noch schwieriger. zu äußern, angeht – aber auch vie- fester verankern Tatsächlich fällt es selbst kritischen le Risiken. Um die Vorteile optimal Die Medienbildung zählt – ebenso Betrachterinnen und Betrachtern nutzen zu können und die Nachteile wie etwa politische Bildung, Um- nicht immer leicht, Wahres von Fal- möglichst gering zu halten, braucht welt- oder Finanzerziehung – zu den Für die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen www.goed.at Gemeinsam jeden Tag für Fairness
S4 Plus Schule 21/22 Mittwoch, 28. April 2021 Illustration: stock.adobe.com/L-TOP Weißt du, was ich Echt?! gelesen habe? Das muss ich Knoblauch schützt gleich mit meiner vor dem Community teilen! Coronavirus! Unterrichtsprinzipien. Das heißt, dass sie vom Standort und vom persönlichen Ein- müssten Lehrende offen begegnen: Wel- unabhängig vom Unterrichtsfach von allen satz der Lehrkräfte ab, weiß Christian che Medien nutzen die Schülerinnen und Pädagoginnen und Pädagogen berücksich- Swertz, Professor für Medienpädagogik Schüler? Welchen Zugang haben sie zu tigt werden soll. „Gerade bei der Medien- am Institut für Bildungswissenschaft unterschiedlichen Themen? Und wo fin- erziehung geht es ja darum, den Schülern der Universität Wien. „Unsere Analysen den sich Überschneidungen, die gemein- eine Multiperspektivität zu eröffnen. Sie haben gezeigt: Wenn die Kolleginnen sam betrachtet werden können? Fessl ist sollen verschiedene Aspekte des The- und Kollegen sich entschließen, das Fach überzeugt: „Wer das Interesse der Kinder mas aus unterschiedlichen Blickwinkeln tatsächlich zu unterrichten, und sich die wecken möchte, muss an deren Lebens- betrachten und kombinieren können“, Zeit nehmen, sich abzusprechen, dann welt andocken.“ erklärt Iris Rauskala, Leiterin der Präsi- funktioniert das gut. Gelegentlich fehlt dialsektion im Bundesministerium für Bil- es aber an Ambitionen, neues Material Medien selbst gestalten dung, Wissenschaft und Forschung. Bisher zu erarbeiten. Dann heißt es: ‚Du kennst Derzeit beschäftigt sich Fessl mit seinen seien die Prinzipien je nach Neigung der dich ein bisschen mit Computer aus, Schülerinnen und Schülern zum Beispiel Lehrkraft mehr oder weniger berücksich- übernimm du das mal.‘“ Mangels Ausbil- viel mit Corona-Mythen und Verschwö- tigt worden. Das solle sich mit der Gene- dung wissen die Lehrerinnen und Lehrer rungstheorien. „Die Schüler dürfen er- ration der neuen Lehrpläne, die auf Kom- laut Swertz oft selbst nicht genau, was zählen, welche Informationen sie woher petenzen fokussieren, ändern: Da es nun sie da eigentlich unterrichten sollen – ein beziehen, und wir schauen uns gemein- konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, wie ernsthaftes Problem. Zwar gibt es an al- sam an, was davon stimmen kann. Dabei man die Unterrichtsprinzipien einbinden len Hochschulen Medienzentren, die von gilt es, weniger zu werten und mehr zu- kann, werden sie laut Rauskala verbind- den angehenden Pädagoginnen und Pä- zuhören“, erzählt Fessl. Er analysiert mit licher im Unterricht verankert. Seit dem dagogen genutzt werden können. Doch seinen Schülerinnen und Schülern Video- Medienkompetenz auf dem Schuljahr 2018/19 absolvieren die Schüle- um das Thema fundiert aufbereiten zu und Audiobeiträge in unterschiedlichen Prüfstand: Wie gut sind Sie im rinnen und Schüler in der Sekundarstufe I können, brauche es auch akademisches Medien oder lässt sie selbst Verschwö- Umgang mit Nachrichten im Web? außerdem die verbindliche Übung Digita- Know-how, sagt Swertz. Solange es keine rungstheorien basteln – eine lustige, aber le Grundbildung, die ihnen den Umgang einschlägige Ausbildung gibt, ist Eigen- auch lehrreiche Aufgabe. Das Interesse Die Stiftung Neue Verantwortung führte mit Standardanwendungen, Coding und initiative gefragt. Sein Tipp: Lehrende der Schülerinnen und Schüler sei groß, im Herbst 2020 eine Studie zur Medien- Algorithmen, digitalen Medien und Daten, sollten Weiterbildungsangebote nutzen besonders dann, wenn sie sich selbst ak- kompetenz der deutschen Bevölkerung aber auch gesellschaftliche Aspekte von und eine Einführung in die Medienkom- tiv und kreativ mit dem Thema ausein- durch – mit ernüchternden Ergebnissen: Medienwandel und Digitalisierung näher- petenz lesen, um sich davon ausgehend andersetzen dürfen. Gerade in sozial Nur 22 Prozent der Befragten erreichten bringen soll. Vorgesehen sind zwei bis vier Material für den Unterricht zu suchen. durchmischten Klassen könnten die Schü- hohe Kompetenzwerte. Gut die Hälfte war Wochenstunden innerhalb von vier Jah- Und auch die Lektüre der von ihm ver- lerinnen und Schüler dabei auch viel von- beispielsweise in der Lage zu erkennen, ren. Die Schulen entscheiden selbst, ob sie fassten Präambel des Lehrplans biete vie- einander lernen. Swertz empfiehlt eine wenn eine Quelle nicht neutral oder nicht Stunden widmen oder die Übung in ande- le Anregungen, so Swertz. handlungsorientierte Medienpädagogik vertrauenswürdig war. Die gute Nachricht: re Fächer integrieren. und Medienproduktion im Unterricht: Sei Je jünger die Teilnehmerinnen und Teilneh- Persönlicher Umgang entscheidend es bei der Herstellung einer Schulzeitung, mer waren, desto besser schnitten sie ab. Häufig fließt das Thema Medienkompe- einer Website, eines Films, beim Program- Machen Sie den Test: Via Internet können Medien kritisch nutzen tenz in den Deutschunterricht ein. So etwa mieren eines Computerspiels – oder bei auch Sie Ihre Kompetenzen auf die Probe und einsetzen bei Michael Fessl, Deutschlehrer am BRG der Gestaltung einer Falschmeldung: „Wer stellen. Neben Fragen enthält der Test Die Jugendlichen sollen in der Schule Pichelmayergasse in Wien. Er sieht sich in selbst Fake News machen kann, hat deren auch Nachrichten und Behauptungen, lernen, wie sie unterschiedliche Medien der Pflicht, die Schülerinnen und Schüler Mechanismen durchschaut und geht auf- die Userinnen und User einschätzen oder bedienen, und sich mit ihrer Hilfe kreativ fit für den Umgang mit verschiedenen Me- merksamer durch die Welt“, ist sich der bewerten müssen. So kann jeder und jede ausdrücken können. Doch auch die kriti- dien zu machen. Das Thema interessiere Experte sicher. für sich prüfen, in welchen Bereichen er sche Auseinandersetzung mit Medien und ihn persönlich – eine wichtige Grundlage: oder sie noch Aufholbedarf hat. ihren Mechanismen darf laut Rauskala „Ich bin ein Mensch, der sich auch privat Tipps und Tools im Web der-newstest.de nicht zu kurz kommen. „Der sichere Um- viel mit Medien aller Art beschäftigt. Ich Das Werkzeug dafür finden Lehrende im gang mit Medien ist wichtig für die heuti- zähle aber auch zu den Jüngeren im Leh- Internet: Auf der Website mediamanual.at ge Jugend, die mit Social Media und Influ- rerzimmer. Für viele Kollegen spielen Me- bietet das Bildungsministerium Anregun- encern aufwächst. Denn die beherrschen dien im persönlichen Umfeld keine große gen für den Unterricht und hält einen gro- ihr Handwerk perfekt und wissen, wie sie Rolle, dann kommt Medienbildung meist ßen Fundus an Materialien bereit. Auch junge Menschen beeinflussen können“, auch im Unterricht zu kurz. Ein eigenes darüber hinaus setzt das Bildungsminis- erklärt Rauskala. Schülerinnen und Schü- Fach wäre wünschenswert, ebenso eine in- terium Maßnahmen, um das Thema ins ler müssen sich zudem der Gefahren und tensivere Abstimmung mit den Kollegen“, öffentliche Bewusstsein zu rücken – etwa Mechanismen von Hatespeech und Cyber- erzählt Fessl. mit dem „media literacy award“, der vor- mobbing bewusst sein, aber auch den bildliche Projekte vor den Vorhang holt, rechtlichen Rahmen kennen, wenn es etwa Weniger werten, mehr zuhören oder mit der „Woche der Medienkompe- um Persönlichkeitsrechte oder Urheber- Wie Medienkompetenz Eingang in den tenz“, die heuer von 18. bis 25. Oktober rechte geht. So können sie Fallen aus dem Unterricht findet, hängt seiner Meinung über die Bühne geht. „Das Thema Digitali- Weg gehen, aber auch eigene Grenzüber- nach aber auch von der Berufsauffassung sierung nimmt gerade erst so richtig Fahrt schreitungen vermeiden. Außerdem muss ab. Fessl: „Die moderne Pädagogik sieht auf, im Bereich der Tools wird sich in den die breite Medienvielfalt im Rahmen einer den Lehrer nicht mehr als reinen Vermitt- nächsten Jahren viel bewegen“, kündigt zeitgemäßen Didaktik Einsatz finden. An ler. Vielmehr sind wir auch Lernende und Iris Rauskala an. Jedenfalls wird ein ver- den Pädagogischen Hochschulen ist daher können daran wachsen, wenn wir uns auf sierter, reflektierter Umgang mit Medien laut Rauskala vieles in Bewegung. die Perspektive der Schüler einlassen.“ im nächsten Jahr, wenn die Sekundar- Ob und wie stark Schülerinnen und Der Medienkonsum von Jugendlichen stufe I mit digitalen Endgeräten ausgestattet Schüler im Unterricht tatsächlich eine unterscheide sich wesentlich von jenem wird, noch wesentlicher sein. Medienbildung erhalten, hängt enorm der Erwachsenen. Diesen Differenzen
Mittwoch, 28. April 2021 Schule 21/22 Plus S5 RICHTIG umgehen mit FALSCHEN Infos Die Autorin und Journalistin Ingrid Brodnig verrät, worauf es bei Medienkompetenz ankommt, was eine glaubwürdige Quelle ausmacht und warum unseriöse Akteure besonders im Web leichtes Spiel haben. Was bedeutet Medienkompetenz? Warum können sich Falschnachrichten im Web Ingrid Brodnig: Ich sehe zwei Ebenen: so gut verbreiten? Zum einen die klassische Quellenkompe- Das hängt eigentlich mit einer positiven tenz, die auch vor dem Internet schon wich- Eigenschaft des Internets zusammen: Es tig war. Wenn die Menschen mit einer Infor- gibt kaum Zugangsbarrieren, jeder kann sei- mation konfrontiert werden, denken sie oft ne eigene Meinung präsentieren. Die über- lange über die Aussage nach, aber das kostet wiegende Mehrzahl der Menschen geht ver- Zeit und verwirrt womöglich. Medienkompe- antwortungsvoll mit dieser Möglichkeit um, tenz kann auch bedeuten, zuerst den Blick aber eben nicht alle. Die Vielzahl der Infor- auf den Absender zu richten und dessen mationen erschwert die Übersicht. Anders, Seriosität einzuschätzen, ehe man sich die wenn ich in die Trafik gehe: Wir kennen die Inhalte länger durchliest. Dazu kommt die Tageszeitungen, wissen ungefähr, wie sie digitale Kompetenz: Hier geht es darum, die ausgerichtet sind. Dieser Radar erleichtert Mechanismen der digitalen Informations- die Orientierung. Dazu kommt, dass Des- verbreitung zu verstehen. Dazu können information oft kurz, knackig und emotio- sich Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel nalisierend ist – so kann sie noch leichter die Funktionsweise der Google-Suche näher verstanden und verbreitet werden. Eine anschauen. Wenn ich nach dem Schlagwort Nachricht, die wütend macht oder Angst „Klimakrise“ suche, erhalte ich ganz andere auslöst, hat eine größere Chance, weiter- Ergebnisse als bei „Klimalüge“. Das kann geleitet zu werden. Die Realität ist meistens man mit den Schülerinnen und Schülern komplizierter. durchspielen. Wenn ich den Wahrheits- gehalt einer Aussage infrage stelle, kann Wie schätzen Sie den Status quo in Sachen Me- ich bei Google einfach „Faktencheck“ dazu dienkompetenz an den heimischen Schulen ein? eingeben. So lande ich eher auf Seiten, die Das Wissen um die Bedeutung von Medi- Fakten prüfen. Das sind kleine Tricks, die enkompetenz ist in der Lehrerschaft groß, den Weg abkürzen. Auch ein elementares wie ich bei Seminaren immer wieder fest- Know-how über Psychologie und die Irratio- stelle. Oft setzen die Lehrenden aber zu nalität der Menschen kann hilfreich sein. hohe Ansprüche an sich selbst und haben Wenn wir etwa Informationen erhalten, die das Gefühl, jedes Portal kennen zu müssen. uns ins Weltbild passen, nehmen wir sie oft Das ist natürlich nicht möglich. Vielmehr unhinterfragt auf und erinnern uns eher müssen sie den Mut haben, zu sagen: Diese an sie – der sogenannte Bestätigungsfehler Plattform kenne ich nicht so gut, aber schau- oder Confirmation Bias. en wir sie uns gemeinsam an. Die Schülerin- nen und Schüler sind weniger auf Facebook Welche Rolle spielt die Schule bei der Vermitt- und Instagram, dafür mehr auf Kanälen wie lung von Medienkompetenz? TikTok unterwegs, die Erwachsenen oft we- Mein Eindruck ist: Viele Jugendliche sind nig vertraut sind. Es ist sinnvoll zu fragen, sich darüber im Klaren, dass es im Internet welche Influencer und Kanäle die Schüle- reichlich Falschinfos gibt. Doch abseits die- rinnen und Schüler mögen, sich diese selbst ses Bewusstseins braucht es auch konkrete anzuschauen und sie eventuell auch im Un- technische Fähigkeiten, um die Seriosität ei- terricht als Beispiele zu behandeln. In digi- ner Information zu prüfen. Die Schule spielt talen Zeiten kann ich als Lehrerin oder Leh- eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, rer nicht auf alles eine Antwort haben, aber dieses Know-how zu vermitteln. Manche ich muss über Grundkompetenzen verfügen Schülerinnen und Schüler erhalten dieses und diese auf unterschiedliche Plattformen Wissen zu Hause nicht, weil auch die Eltern anwenden können. Es ist bestimmt nicht sich beim Bewerten der Glaubwürdigkeit ei- davon auszugehen, dass alle Schülerinnen ner Nachricht schwertun. und Schüler hier ausreichende Einblicke be- kommen. Die Frage ist, ob Lehrerinnen und Woran erkenne ich eine seriöse Quelle? Lehrer überhaupt genug Möglichkeiten und In erster Linie muss sich die Quelle jour- Zeit haben, sich dem Thema im Unterricht nalistischen oder wissenschaftlichen Krite- zu widmen. Letztlich ist es sicher auch eine rien verpflichtet haben. Dazu zählt zum Bei- Glücksfrage, ob ich als Schülerin oder Schü- spiel, dass man eine Behauptung überprüft, ler eine Lehrkraft habe, die das Thema ernst ehe man sie wiedergibt. Im Internet finden nimmt. sich viele Seiten, die komplett einseitig ausgerichtet sind, oft einen rechtspopulisti- Wie können Lehrkräfte damit umgehen, wenn schen Drall haben, oder Fake-Seiten, die ein- Schülerinnen und Schüler oder Eltern Falsch- fach nur darauf abzielen, Leute in die Falle informationen verbreiten? zu locken. Auch klassische Medien machen Es kommt oft vor, dass Jugendliche Falsch- Fehler oder haben blinde Flecken, nicht alles informationen in der Schule verbreiten, die im Journalismus ist top. Aber es gibt einige sie von den Eltern gehört haben. Als Lehr- Warnsignale: Sind die Quellen transparent kraft damit umzugehen, ist sicher schwie- ausgewiesen? Gibt es ein Impressum? Wie rig. Ich würde zumindest versuchen, im umfassend erfolgte die Recherche? Werden Unterricht möglichst einfühlsam zu zeigen, Errata richtiggestellt? Auch abseits des In- warum etwas nicht logisch ist, und erklä- ternets, in Boulevardmedien zum Beispiel, ren, wo man seriöse Informationen findet. erscheinen oft Headlines, die den Inhalt des Die Schülerinnen und Schüler werden sich Artikels nicht korrekt wiedergeben. Solche dann nicht einfach belehren lassen, aber Beispiele kann man im Unterricht mit den kommen zumindest auch mit anderen Ar- Schülerinnen und Schülern analysieren. gumenten in Kontakt. So kann man als Leh- Auch auf den Websites mimikama.at oder rerin oder Lehrer wenigstens dafür sorgen, Foto: Gianmaria Gava correctiv.org können sich Lehrende hilfrei- dass Falschinfos nicht auf andere übersprin- che Beispiele holen: Die Redakteurinnen gen. Grundsätzlich ist es wichtig, dem Ge- und Redakteure entlarven Falschmeldungen genüber Wertschätzung zu zeigen. Das hilft und erklären auch, woran sie diese erkannt oft zu deeskalieren, denn mit Konfrontation haben. erreicht man häufig das Gegenteil.
S6 Plus Schule 21/22 Mittwoch, 28. April 2021 Foto: funk / ARD und ZDF / Mai Thi Nguyen-Kim „MEDIENKO ist politische Wie medienkompetent sind eige Woher bekommen sie Und lesen sie überha Wir haben diese Fragen einigen Jour Von Kathari Die Modernisierung der Nachrichten: Heute erklärt uns Mai Thi Nguyen-Kim mit ihrem „maiLab“ die Welt ... D Andreas Sator ie Tageszeitung zu Hause auf dem Frühstückstisch. Die El- tern, die sich abwechselnd in Der Wiener Journalist betreibt mit „Erklär mir die Welt“ einen der am meisten gehörten den Politik- und den Wirtschaftsteil Podcasts in Österreich. Er ist Autor des Buches „Alles gut?! Unangenehme Fragen & opti- vertiefen. Die „ZiB“, die jeden Abend mistische Antworten für eine gerechtere Welt“ (Verlag Kremayr & Scheriau). um Punkt 19:30 Uhr über den Röh- renfernseher flimmert. Was klingt wie eine 60 Jahre alte Vorabendse- Welche Medienkanäle schauen Sie sich in der Wir hatten in der Handelsakademie in rie, gehörte in vielen Haushalten Früh als Erstes an? Steyr immer Zeitungen herumliegen. Das bis vor einigen Jahren zum Alltag Gar keine. Ich lese morgens nur Zeitung war toll. Heute funktioniert es vor allem – und in manchen tut es das noch vom Wochenende, Magazine oder wirklich über Persönlichkeiten, die auf Instagram, heute. Doch die Zahl der Menschen, alte Wochenend-Zeitungen. Seit ich nicht in Podcasts, mit Newslettern oder Blogs die sich noch über die traditionellen mehr das Verlangen habe, immer sofort beziehungsweise persönlichen Artikeln Medien informieren, nimmt konti- „alles“ zu wissen, weiß ich eigentlich mehr. quasi wie Influencerinnen und Influencer nuierlich ab. Klingt komisch, aber die Welt ist kompli- Themen zugänglicher machen. Während die Nutzung des linearen ziert und lässt sich hektisch nicht durchbli- Fernsehens in den vergangenen fünf cken. Lieber in Ruhe und zwei Tage später. Wie können junge Menschen gegen Extremis- Jahrzehnten auf hohem Niveau eini- men, Fake News und Verschwörungstheorien Foto: Matthias Cremer germaßen gleich geblieben ist, ha- Welchen Accounts auf Social Media lohnt es immunisiert werden? ben gedruckte Zeitungen vor allem sich zu folgen, wenn man sich ein möglichst Wichtig ist Quellenkunde. Es gibt Leu- in den letzten 15 Jahren einen mas- umfassendes Bild vom Weltgeschehen ver- te, deren Job es ist, zu recherchieren, was siven Rückgang in der Reichweite schaffen möchte? stimmt oder nicht. Journalismus ist nicht verzeichnet. Bei den 14- bis 29-Jähri- @zeitimbild auf Instagram ist super immer richtig und entsteht oft unter Zeit- gen ist auch die Nutzung von Radio für Nachrichten. Auf YouTube mag ich druck, aber es gibt ein paar sehr gute Zei- und Fernsehen stark rückläufig. Die- andreas.sator „maiLab“, „The School of Life“, „Wendover tungen, etwa „Die Presse“, „Der Standard“ se Zahlen gehen aus einer Langzeit- Productions“ und „Y-Kollektiv“. Unter den oder „Die Zeit“. Wenn ich etwas höre und studie zur Massenkommunikation Podcasts finde ich „Frauenfragen“ von Mari wissen möchte, ob das stimmt, google ich von ARD und ZDF hervor und gelten @a_sator Lang und „Die Lösung“, den Psychologie- gerne zum Beispiel: „Impfung Thrombose daher für Deutschland. Podcast von PULS, gut. site:zeit.de“. So bekomme ich nur Artikel Das Institut für empirische So- von einem mir vertrauten Medium. Im In- zialforschung (IFES) hat 2020 im Wie wurden Sie als Jugendlicher an Medien ternet steht so viel Blödsinn, oft sind un- @a_sator Auftrag der Stadt Wien eine Studie herangeführt und wie kann das heute funktio- kontrollierte Google-Recherchen nicht ziel- zur Mediennutzung und zum Infor- nieren? führend. mationsverhalten der Wienerinnen und Wiener durchgeführt. Auch hier zeigt sich deutlich: Während nur 44 Prozent der Befragten unter Johannes Huber 30 Jahren mehrmals wöchentlich Tageszeitungen lesen, sind es bei Johannes Huber ist Journalist, Autor und Blogger, unter anderem auch regelmäßig in den den Menschen über 60 Jahren 80 „Vorarlberger Nachrichten“, auf vienna.at und in den „Salzburger Nachrichten“. Er hat das Prozent. Noch deutlicher wird der Nachrichtenportal dieSubstanz.at gegründet, auf dem er regelmäßig Politik-Analysen und Kulturwandel mit Blick auf die Social- Hintergrundinformationen veröffentlicht. Media-Nutzung: 81 Prozent der unter 30-jährigen Wienerinnen und Wiener nutzen soziale Medien täg- Welche Medienkanäle schauen Sie sich in der Wie wurden Sie als Jugendlicher an Medien lich oder mehrmals pro Woche, bei Früh als Erstes an? herangeführt und wie kann das heute funktio- den über 60-Jährigen sind es nur 35 In der Früh verschaffe ich mir einen nieren? Prozent. Überblick. Zunächst über Newsletter, die Ich bin durch die Zeitung sozialisiert Der Trend geht also eindeutig weg ich von klassischen Zeitungen und Maga- worden. Das ist meines Erachtens noch von den traditionellen Medien hin zinen beziehe („Presse“, „Kleine Zeitung“, immer ein Klassiker, der gut und vernünf- zu Newsfeeds auf Twitter, Instagram „Vorarlberger Nachrichten“, „Profil“, tig ist. Viele Tages- und Wochenzeitungen und Co. Das macht es wesentlich „Falter“, „NZZ“, „Spiegel“, „Economist“...). oder Magazine haben Kinderseiten und schwieriger als früher, Kinder und Dann vertiefe ich die Lektüre über E-Paper- Angebote (z.B. „Zeit Leo“) mit spannenden Jugendliche an Medien heranzufüh- Ausgaben und Websites. Außerdem immer Inhalten. ren. Welchen Kanälen lohnt es sich auf dem Programm: Ein Blick auf Twitter, zu folgen? Wie kann man sich ge- um zu erfahren, was die Politikszene seit Wie können junge Menschen gegen Extremis- gen radikale Strömungen und Fake dem Vorabend beschäftigt hat (abhängig men, Fake News und Verschwörungstheorien Foto: privat News wappnen? Wir haben das The- davon schaue ich z. B. immer wieder Teile immunisiert werden? ma Medienkompetenz auf die Meta- der „ZiB 2“ nach). Zwei Dinge: Zum einen halte ich eine ebene gehoben und einige Medien- Zeitung oder ein fixes und professionelles menschen befragt, wie sie sich per- @diesubstanz Welchen Accounts auf Social Media lohnt es Angebot (wie orf.at) für gut und vernünf- sönlich informieren – und welche sich zu folgen? tig, weil die Erfahrung lehrt, dass Verlass Tipps sie für die Jugend haben. Für ein umfassendes Bild eignet sich darauf ist. Inhalte entsprechen journalisti- @johannes_huber1 meines Erachtens orf.at. Das ist das über- schen Kriterien (überprüft, relevant etc.). sichtlichste, vollständigste Angebot, das Zum anderen ist ein kritisches Hinterfra- ich kenne. Persönlich schätze ich fürs gen notwendig, das permanent trainiert Weltgeschehen beziehungsweise für ver- werden will: Kann das stimmen? Wer sagt www.diesubstanz.at tiefende, erhellende Inhalte den „Econo- das? Wer bestätigt es? Lässt es sich über- mist“, der auch auf Twitter sehr fleißig ist. prüfen?
Mittwoch, 28. April 2021 Schule 21/22 Plus S7 Foto: Cermak, Alfred / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com OMPETENZ e BILDUNG“ entlich Medienmenschen selbst? e ihre Informationen? aupt noch Zeitungen? rnalistinnen und Journalisten gestellt. ina Schmidt ... früher war es Peter Fichna, Nachrichtensprecher bei der „Zeit im Bild“ (hier im Jahr 1965). Solmaz Khorsand Die Journalistin studierte an der Johns Hopkins University und arbeitete für zahlreiche Medien im deutsch- sprachigen Raum, darunter „Die Zeit“ und die „Wiener Zeitung“. Derzeit ist sie für das Schweizer Magazin „Republik“ tätig. Im Februar 2021 erschien ihr Buch „Pathos“ im Verlag Kremayr & Scheriau. Welche Medienkanäle schauen Sie sich in Wie wurden Sie als Jugendliche an Medien men, Fake News und Verschwörungstheorien der Früh als Erstes an? herangeführt und wie kann das heute funk- immunisiert werden? Ich fange den Tag meistens mit dem tionieren? Ich denke, dass es helfen würde, sie da- Ö1-Morgenjournal an, gehe dann über zu Es wurde zu Hause viel Zeitung gele- bei anzuleiten, wie sie gezielt nach Infor- derstandard.at und meinen Timelines auf sen und Radio gehört, ebenso standen die mationen suchen und welche Quellen sie diversen Social-Media-Kanälen. Fernsehnachrichten am Abend auf dem als glaubwürdig einstufen können, damit Programm. Es hängt mit einem gewissen sie begreifen, dass es einen Unterschied Welchen Accounts auf Social Media lohnt es Erziehungsauftrag zusammen, Medien- macht, ob die Information auf Wikipedia sich zu folgen? kompetenz als politische Bildung zu be- steht, auf orf.at oder einem Blog. Ebenso Auch wenn es langweilig klingt, aber greifen. Wer Kinder und Jugendliche zu sollten YouTube, Telegram-Kanäle und ich mag die großen Accounts etablier- politisch mündigen Bürgerinnen und Bür- Newsfeeds auf Instagram dabei mitein- ter Medien, ob „New York Times“, „Eco- gern erziehen will, muss auch ihre Medi- bezogen werden, sodass klar ist, dass die nomist“ oder „Die Zeit“, denen folge ich enkompetenz fördern. Passiert das nicht Jugendlichen durchaus ihre Informationen Foto: Luiza Puiu selbst gerne, ebenso den einzelnen Res- zu Hause, muss es die Schule tun. Ich erin- von dort beziehen können. Sie sollten da- sorts der jeweiligen Medienhäuser (wie nere mich nicht, dass das in meinem Fall bei nur immer wieder hinterfragen, wer etwa SZ Kultur, New York Times Maga- im Gymnasium geschehen ist, obwohl ich die Quelle der einzelnen Inhalte ist. Bei zine etc.). Für ausgewählte Themen folge sehr interessiert war. Zu dem Zeitpunkt politischem Extremismus würde ich tat- solmaz.khorsand ich auch vereinzelt Journalistinnen und habe ich schon für den „Standard“ ge- sächlich Aussteigerorganisationen für Be- Journalisten, Soziologinnen und Sozio- schrieben und die Schülerzeitung gegrün- gegnungen in Betracht ziehen, im Bereich logen, Politikwissenschafterinnen und det. Ich denke, dass Partizipation ein gu- des Rechtsextremismus würden sich auch @solmazkhorsand Politikwissenschaftern, wie etwa Michael tes Mittel ist, Jugendlichen einerseits das – noch – Zeitzeugengespräche anbieten. Bonvalot für Rechtsextremismus in Öster- journalistische Handwerk näherzubrin- Ich denke, dass Lehrerinnen und Lehrer reich, Franziska Schutzbach für Soziolo- gen und sie andererseits auch generell diesen Auftrag erfüllen und das Aufrecht- @khorsand.solmaz gie und Genderfragen, Abbas Milani für für die Themen der Zeit zu interessieren. erhalten der Erinnerung als ersten An- den Nahen Osten, Nikesh Shukla für bri- dockpunkt jedweder Immunisierung ge- tische Innenpolitik etc. Wie können junge Menschen gegen Extremis- genüber Fanatismen begreifen sollten. Philipp Schild Philipp Schild ist seit November 2020 Programmgeschäftsführer von funk. Das Content-Netzwerk der deutschen Sender ARD und ZDF bietet Online-Inhalte für 14- bis 29-Jährige aus den Bereichen Information, Orientierung und Unterhaltung, darunter etwa das bekannte Wissenschaftsformat „maiLab“. Welche Medienkanäle schauen Sie sich in der Perspektive wird die Welt wohl nirgendwo Wie können junge Menschen gegen Extremis- Früh als Erstes an? so anschaulich erklärt wie auf „maiLab“. men, Fake News und Verschwörungstheorien Um mich über die wichtigsten Themen immunisiert werden? des Tages zu informieren, nutze ich vor Wie wurden Sie als Jugendlicher an Medien Ich glaube, es ist gar nicht möglich, sich allem Nachrichten-Apps, zum Beispiel herangeführt und wie kann das heute funkti- vollständig gegen Fake News oder Ver- von der „tagesschau“. In meiner Rolle als onieren? schwörungstheorien zu immunisieren. funk-Programmgeschäftsführer ist für Ich bin in einer Zeit groß geworden, Wichtig ist aber, Techniken zu erlernen, mich wichtig, mit den eigenen Inhalten in in der die Medienlandschaft noch ganz um Falschmeldungen zu erkennen, einzu- den Tag zu starten. Ansonsten bin ich ein anders aussah und die Medienangebote ordnen und mit ihnen umgehen zu kön- großer Freund des öffentlich-rechtlichen viel weniger vielfältig waren, als sie es nen. Hier spielt Medienkompetenz eine Info-Radios – sicher ein eher klassischer heute sind. Ich denke, dass man gerade wichtige Rolle, um die Glaubwürdigkeit Medienkanal, aber perfekt, um relevante als junger Mensch ganz entscheidend von journalistischen Informationen über- Foto: funk/Jana Kay Informationen auch „nebenbei“ mitzube- von der Mediennutzung des eigenen prüfen zu können. Nicht zuletzt aufgrund kommen. Umfelds geprägt wird, da spielt Partizi- unserer vergleichsweise jungen Zielgrup- pation heute sicher eine sehr große Rol- pe, die einen großen Teil ihrer Zeit online Welchen Accounts auf Social Media lohnt es le. Die interaktive Kommunikation mit verbringt, ist der Umgang mit Desinfor- sich zu folgen? unseren Nutzerinnen und Nutzern und mation für funk ein wichtiges Thema. funk Um sich einen Überblick über das aktu- Möglichkeiten der Partizipation ergeben Wir beobachten die Entwicklungen in elle politische Geschehen zu verschaffen sich für funk bereits aus dem staatsver- unserer Gesellschaft bezüglich des Ver- und sich eine eigene Meinung zu bilden, traglichen Auftrag und beeinflussen un- trauens in „klassische“ Medien sowie das @funk empfehle ich die funk-Formate „DIE DA sere Angebote sehr. Der Austausch mit vermehrte Auftreten von „Empörungs- OBEN!“, „Deutschland3000“ und „MrWis- unserer Zielgruppe prägt daher den Le- wellen“ kritisch und setzen uns intensiv sen2Go“, die sich mit gesellschaftlichen benszyklus von funk-Formaten von ihrer mit dem Thema auseinander. Aber auch und politischen Themen befassen und Entstehung bis hin zur kontinuierlichen einzelne funk-Formate befassen sich mit www.funk.net auf Facebook, YouTube und Instagram zu Weiterentwicklung des Portfolios. diesen Fragen. finden sind. Aus einer wissenschaftlichen
S8 Plus Schule 21/22 Mittwoch, 28. April 2021 Foto: stock.adobe.com/Ingo Bartussek „Meine Schüler sind zu ZOMBIES geworden“ Plötzlich Distance-Learning: Direktorinnen und Lehrer berichten von Chaos und Kreativität während der Lockdowns. Psychische Probleme verschärften sich ebenso wie soziale Unterschiede. Von Gerhard Mészáros „I ch will endlich meinen Beruf die Schülerinnen und Schüler war es gestiegen. Um 8:30 Uhr sind alle vor Schule, auch weil sie die Mitschüler zurück“, rief ein Lehrer an der nicht viel besser: „Wir können nicht ihren Notebooks gesessen“, sagt Di- gerne wiedersehen würden. Für man- BHAK Wien 22, als im vergan- mehr“, bekamen die Lehrkräfte oft rektor Posad. Und die Lehrkräfte wur- che war die Belastung wirklich groß.“ genen Winter schon wieder ein Lock- zu hören. Kein Wunder, gab es doch den in der Gestaltung des Unterrichts Die Zahl der psychischen Erkrankun- down verkündet wurde. Tatsächlich plötzlich auch in Fächern wie Bildne- immer kreativer: „In Geographie habe gen sei gestiegen, vor allem Depres- sei seine Schule eine andere gewor- rische Erziehung und Werkerziehung ich viel mit Online-Zeitungsartikeln sionen und Belastungsstörungen kä- den, sagt auch Direktor Christian Hausaufgaben. In dem Chaos sei es gearbeitet, aber auch Quiz oder ande- men häufiger vor. Das bestätigt auch Posad. Der März 2020 hatte alles auf besonders schwer gewesen, Routinen re Spiele eingesetzt“, erzählt Laube. Fares Kayali, Professor an der Uni- den Kopf gestellt: Innerhalb von zwei zu entwickeln. „Meine Schüler sind Vor allem der Sportunterricht hatte versität Wien: „Viele Studien zeigen, Tagen wurden jahrzehntelange Ge- zu Zombies geworden, sind zu Mittag sich radikal gewandelt: Die Klassen dass psychische Probleme bei Kin- wohnheiten pulverisiert, es musste aufgestanden, haben um Mitternacht erhielten Aufgaben wie zum Beispiel dern und Jugendlichen zugenommen komplett auf Distance-Learning um- Hausübungen abgegeben“, erzählt „Schau dir dieses Yoga-Video an und haben. Das wird nach der Pandemie gestellt werden – quasi von heute auf Direktor Posad. „Es war wirklich eine schreibe einen Kommentar dazu“, noch explodieren.“ morgen. „Der erste Lockdown hat uns schwierige Zeit.“ „Erstelle einen Trainingsplan“, „Pos- Wie sieht es mit dem viel beklagten alle auf dem falschen Fuß erwischt“, te dein Krafttraining“. Auch Video- „Der erste Bildungsverlust durch die Distance- erzählt Posad. Der zweite Lockdown: unterricht gab es, mit der ganzen Lockdown Learning-Phasen aus? „Das ist schwer „Das war total chaotisch, weder Fast schon Routine Klasse im Sportgewand vor der Web- hat uns alle abzuschätzen“, sagt Kayali. „Man Lehrer noch Schüler haben sich aus- Aus der man aber gelernt hat. Über cam. Ein Wellnessurlaub war das frei- könnte durchaus die Meinung ver- gekannt“, erinnert sich Georg Laube, den Sommer wurden IT-Schulungs- lich trotzdem nicht: Eine Befragung auf dem treten: Verpassen wir halt ein biss- der am Gymnasium Parhamerplatz offensiven durchgeführt. Jede Schule der Universität Wien ergab, dass sich falschen Fuß chen was – dafür erwerben wir neue in Wien Geographie und Sport unter- legte sich auf eine Lernplattform fest, im zweiten Lockdown 74 Prozent der Kompetenzen.“ Ein anderer Aspekt richtet. Zu den „gewaltigen Anfangs- um den Wildwuchs an Kommunika- Lehrkräfte „stark“ oder „eher stark“ erwischt“ sei relevanter: „Wirklich dramatisch schwierigkeiten“ gehörte vor allem, tionstools einzuschränken. „In un- durch die Situation belastet fühlten. ist die Verstärkung der Zweiklas- dass jede Lehrkraft auf sich allein serem Fall war das MS Teams“, sagt Im Frühling waren es 61 Prozent ge- sengesellschaft. Das Schulwesen ist gestellt war. Auch in Fächern wie Reinhard Sepp, Direktor des BRG und wesen. schon bisher nicht genug auf soziale Geographie, die normalerweise ohne BORG Dornbirn Schoren. „Außerdem Unterschiede eingegangen. Mit dem Hausübungen auskommen, galt es habe ich den Lehrkräften nahegelegt, „Psychische Probleme Distance-Learning vergrößern sich plötzlich Arbeitspakete zu erstellen, im Unterricht auf einen Mix aus Me- werden explodieren“ die Unterschiede noch weiter.“ Durch noch dazu digital. „Da wurde viel im- thoden zu setzen, also sowohl Video- Direktor Sepp aus Dornbirn hat im eine schlechtere technische Ausstat- provisiert, und logischerweise hat es unterricht als auch Arbeitsaufträge Winter unter Schülerinnen und Schü- tung, Sprachprobleme sowie weniger jeder Lehrer ein bisschen anders ge- zu verwenden.“ Das verringerte die lern sowie deren Eltern eine Umfrage ungestörte Arbeitsräume würden macht.“ Das Arbeitspensum ist enorm anfangs großen Unterschiede zwi- zum Distance-Learning durchgeführt. sozial schwache Kinder weiter zu- gestiegen. „Das Kontrollieren der Auf- schen den individuellen Unterrichts- „Das Feedback war recht positiv“, rückbleiben. Laut einer Studie der gaben war ein Wahnsinn“, sagt Laube. stilen. In der BHAK Wien 22 wurde sagt er. Einzelne Schülerinnen und Uni Wien vom Herbst 2020 ist jeder In einer digitalen Lernplattform zig ab dem zweiten Lockdown auch im Schüler meldeten, dass es ihnen im zehnte Schüler nach wie vor digital Hausübungsdokumente öffnen und Distance-Learning der Stundenplan Fernunterricht sogar besser gehe. nicht erreichbar. Kayali: „Wollen wir für jedes eine schriftliche Bewertung strikt eingehalten: „Dadurch ist die „Das war aber eine Minderheit. diese ‚New Digital Divide‘ wirklich verfassen – das kostet viel Zeit. Für Pünktlichkeit der Schüler dramatisch Die Mehrheit möchte wieder in die akzeptieren?“ Plattformen, Tools & Co Zentrale Drehscheibe für Distance-Learning ist eine Lernplattform beziehungsweise ein Lernmanagementsystem. An Österreichs Schulen werden vor allem Microsoft Teams, Ange- bote von Google, das Moodle-basierte Eduvidual sowie LMS.at eingesetzt. Sie dienen der Kommunikation zwischen Lehrkräften und Lernenden, dem Bereitstellen von Unterrichts- materialien und dem Einsammeln von Hausübungen. Die Plattformen können auch miteinander kombiniert werden. Für Videounterricht setzen manche zusätzlich auf Zoom. Deutlich unübersichtlicher ist die Welt der digitalen Lehr- und Lernmaterialien, die im Unter- richt eingesetzt werden können. YouTube hat sich auf jeden Fall bewährt. Das Bildungsminis- terium hat mit Eduthek und Edutube eigene Portale lanciert. Kahoot! ist ein Klassiker unter den Lernspiel-Plattformen. Herauszufinden, welche Programme und Apps sich für welche Fächer und Schulstufen eignen, ist jedoch mühsame Kleinarbeit. Hinweise geben etwa Fach- magazine wie das „journal für lehrerInnenbildung“. Eine Fortbildung in Sachen digitales Lernen bietet seit August der Distance Learning MOOC. Über 20.000 Lehrkräfte haben bereits an dem von der Virtuellen Pädagogischen Hochschule koordinierten Projekt teilgenommen. Infos auf www.virtuelle-ph.at/dlm.
Mittwoch, 28. April 2021 Schule 21/22 Plus S9 Nach 20 Minuten hört niemand mehr zu tor vec om/se be.c .ado :stock tration Illus Von Gruppendynamik bis Zeitmanagement: Zwei Experten geben Tipps, wie Lehrkräfte Distance-Learning optimal einsetzen können. G anze Schulen, die sich zu Lernen – mit Arbeitsaufgaben, Lesen einem Live-Setting alle Teilnehmen- mit einem Screencast kombiniert wer- hundert Prozent im Distance- von Texten oder Ansehen von Videos den fragen, wie es ihnen gehe – und den, also einer Videoaufzeichnung Learning befinden – das hatte es – den Schülerinnen und Schülern nur sie mit einem Emoji antworten lassen. des Bildschirms, an dem die Lehrkraft bisher nicht gegeben. Entsprechend mit Einschränkungen zumutbar ist. Oder man könne mit einem virtuel- eine Aufgabe korrigiert. begrenzt waren die wissenschaftli- Kayali: „Es ist wichtig, den Schülern len Stift gemeinsam ein Whiteboard chen Erkenntnisse darüber, sagt Fares eine Struktur zu geben, die Abfolge bemalen. „Das füllt natürlich nicht Motivation: Ist da jemand? Kayali, Professor für Digitalisierung von Aufgaben genau zu erklären, auch die ganze Lehreinheit aus, aber es Vor allem bei schwächeren Schülerin- im Bildungsbereich am Zentrum für anzugeben, wie viel Zeit man wofür ein- sind gute Einstiegsmethoden“, er- nen und Schülern stellt sich das Pro- Lehrer*innenbildung der Universität planen sollte. Diese Struktur soll nicht klärt Schallert. Außerdem ließen sich blem, dass manche nach einer länge- Wien. „Es hat sich jedenfalls gezeigt: einengen, sondern Sicherheit geben.“ auch im Live-Unterricht oder bei den ren Phase des Distance-Learning die Der Frontalunterricht, der schon im Arbeitsaufgaben Gruppenarbeiten ein- Motivation verlieren. Schallert rät hier Präsenzmodus nicht besonders gut Soziale Präsenz: bauen. zu einer stärkeren Kontrolle der Leis- funktioniert, funktioniert im digitalen Icebreaker-Methoden helfen tungen durch die Lehrkraft: „Wenn ich Bereich überhaupt nicht mehr. Wenn Eine Kernfrage sei, wie man im Dis- Arbeitspensum: eine Aufgabe kontrolliere, dann zeige der Vortrag länger als 20 Minuten tance-Learning soziale Präsenz schaf- Nicht zu viel schreiben ich damit auch Wertschätzung. Ich dauert, hört niemand mehr zu.“ Zu fen könne, sagt Stefanie Schallert. Die Wie kann man dafür sorgen, dass das zeige, dass ich da bin – und dass der leicht werde man vor dem Computer ehemalige HAK-Lehrerin leitet heute Arbeitspensum nicht völlig aus dem Lernende nicht einfach untertauchen abgelenkt, zu schwierig sei die Kon- das Team der Virtuellen Pädagogi- Ruder läuft? Es empfehle sich, Aufga- kann.“ Auch einzelne Feedback-Ge- zentration ohne physische Präsenz. schen Hochschule, die seit 2011 On- ben nicht per E-Mail, sondern über spräche können helfen und das Gefühl „Dinge persönlich zu erklären ist line-Fortbildungsformate entwickelt. eine Lernplattform abgeben zu lassen, vermitteln: Da ist jemand, der dir hel- weiterhin notwendig, aber es sollte „Ich empfehle Icebreaker-Methoden, und besser nicht schriftlich zu reagie- fen möchte. Manche Lehrkräfte bieten nicht zu lange dauern.“ Auch der Live- die ein Gruppengefühl schaffen und ren – denn das verursache in der Tat zudem virtuelle Sprechstunden an, Unterricht sollte daher zum Teil inter- zeigen: Ich bin nicht allein, es gibt einen „wahnsinnigen Aufwand“. „Es in denen unter vier Augen Fragen ge- aktiv gestaltet, etwa für Diskussionen auch noch andere, die vor ihren Ge- gibt Tools, mit denen man mündlich stellt werden können. Und Methoden, genutzt werden. Auf der anderen Seite räten sitzen. Wir sind schließlich alle Feedback geben kann“, so Schallert. die die soziale Präsenz stärken, för- zeigt sich, dass das selbstbestimmte Menschen.“ So könne die Lehrkraft in Diese Audio-Aufnahmen können auch dern tendenziell auch die Motivation. Das KLASSENZIMMER steht kopf Das Distance-Learning hat auch positive Seiten. Die vergangenen Monate brachten einen Digitalisierungsschub, der die Zukunft der Schulen noch lange prägen wird. „I n meinen Klassen sitzen jetzt viel mehr Schüler mit einem Laptop als früher“, erzählt Geographielehrer Georg Laube. war“, sagt Direktor Reinhard Sepp aus Vorarlberg. „Das kann eine Bereicherung für den Unterricht sein und auch die vorbereitet und die Wortmeldungen sind kürzer.“ Berufsleben.“ Die digitalen Lernplattfor- men würden sich zudem hervorragend für neue Formen des Unterrichtens nach Die meisten Verlage bieten ihre Schulbü- Motivation erhöhen.“ Stefanie Schallert „Gezwungen, neue Dinge dem Flipped-Classroom-Prinzip eignen, bei cher mittlerweile digital an, da tragen die von der Virtuellen PH betont die neuen auszuprobieren“ dem die Lernenden eine aktivere Rolle ein- Schülerinnen und Schüler lieber einen Möglichkeiten, die sich im Bereich der Auch Nina Brenner, Lehrerin an der nehmen – und der herkömmliche Frontal- Computer statt fünf Bücher mit sich he- Medienpädagogik eröffnen: „Lernende BHAK Wien 22, findet manches an der unterricht quasi auf den Kopf gestellt wird. rum. „Man bemerkt schon einen großen können selber Dinge produzieren, zum Bei- Distance-Learning-Erfahrung erfreulich: Fares Kayali von der Uni Wien: „Man hat Digitalisierungsschub“, so der Lehrer. Das spiel ein Video oder einen Blog erstellen. „Sowohl Lehrer als auch Schüler waren schon vorher gewusst, dass neue, selbstbe- Arbeiten mit Lernplattformen wurde nach Das gibt es in der analogen Welt in dieser dazu gezwungen, neue Dinge auszupro- stimmte Formen des Lernens besser funk- den Lockdowns ebenfalls beibehalten. Form nicht.“ Und der Wiener HAK-Direktor bieren. Die Schüler mussten digitale Kom- tionieren als das simple Vortragen. Jetzt „Generell wird jetzt eine Fülle von E-Lear- Christian Posad hat tolle Erfahrungen mit petenzen erwerben. Außerdem mussten haben wir die Chance, diese neue Form des ning-Tools mit einer Selbstverständlich- Online-Lehrerkonferenzen gemacht: „Das sie lernen, sich selbst zu organisieren. Unterrichtens stärker zu verankern.“ keit eingesetzt, die vorher nicht gegeben läuft viel effizienter ab, die Leute sind gut Diese Fähigkeiten benötigen sie auch im Foto: stock.adobe.com/Volha Hlinskaya
S10 Plus Schule 21/22 Mittwoch, 28. April 2021 „Was ist so schlimm daran, dass Ihr KIND YOUTUBER werden will?“ Wie navigieren Schülerinnen und Schüler zwischen Social Media, Handyverboten und dem Traumjob YouTuber? Der Unternehmer, Trendforscher und EU-Jugendbotschafter Ali Mahlodji erklärt im Interview mit Clemens Stachel, warum Schülerinnen und Schüler medienkompetenter sind, als wir glauben, was bei der Fake-News-Aufklärung im Unterricht falschläuft und woran es Kindern heute am meisten mangelt. Herr Mahlodji, Sie sind erfolgreicher Unterneh- te, die in ihrer Jugend ihre Talente mit den Foto: Diva Shukoor mer und Gründer der Berufsorientierungsplatt- digitalen Technologien verknüpft haben – form whatchado. Seit einigen Jahren halten Sie aber nicht etwa in der Schule, sondern in stark nachgefragte Vorträge an Schulen, arbei- ihrer Freizeit! ten in Workshops mit Schülerinnen und Schü- Was ich damit sagen will: 65 Prozent der lern, aber auch mit Lehrkräften und Eltern. Nach- Berufe, die wir in zehn Jahren haben wer- dem Sie Tausende Schülerinnen und Schüler in den, gibt es noch nicht. Wenn also ein Kind ganz Österreich kennengelernt haben – wie steht heute sagt, „Ich will YouTuber werden“, und es um ihre Medienkompetenz? daraufhin von Eltern und Lehrkräften nicht Ali Mahlodji: Es tut mir leid, dass ich Ablehnung, sondern Unterstützung erfährt, das Gespräch mit einer Gegenfrage begin- dann ist die Chance groß, dass dieses Kind nen muss: Wie steht es denn um die Me- in 15 Jahren kein YouTuber ist, aber dafür dienkompetenz der Erwachsenen? Es gibt seinen Traumjob landet – von dem wir heute erschreckende Studien darüber, wie vie- noch nicht einmal den Namen kennen. le Menschen Fake News nicht von echten News unterscheiden können. Und auch die Bleiben wir bei YouTube und den digitalen Medi- echten Nachrichten können viele nicht rich- en. Das Smartphone ist im Klassenzimmer nicht tig einordnen. Anders gesagt: Es sind nicht gern gesehen, es raubt Schülerinnen und Schü- die Kinder, die zu Tausenden auf die Straße lern die Konzentration. Gleichzeitig spielt sich gehen, um gegen die Corona-Maßnahmen aber auf diesen Geräten fast der gesamte Medien- zu „demonstrieren“, und den schlimmsten konsum der Kinder und Jugendlichen ab. Wie Verschwörungstheorien anhängen. Es sind könnte also ein Unterricht über die Smartphone- Erwachsene. Medien aussehen? Wichtig wäre zunächst, dass die Lehrerin- Muss man sich dann um die heranwachsende nen und Lehrer nicht den Fehler machen, Generation nicht umso mehr Sorgen machen? das Internet als die große Gefahr darzustel- Ja und nein. Es gibt hier zwei Aspekte, len, vor der die Kinder „geschützt“ werden die mir aus Sicht der Erwachsenen wichtig müssen. Zurzeit ist an Schulen beispiels- erscheinen. Erstens, wie wir Eltern wissen, weise die Aufklärung über Fake News weit sind Kinder Kopiermaschinen. Sie tun, was verbreitet. Das ist sicher gut gemeint, aber man ihnen vormacht und vorlebt. Und wenn ich beobachte es kritisch. Es etabliert eine es in unserer Gesellschaft für Erwachsene schiefe Ebene, wo Erwachsene Kindern er- normal ist, in der U-Bahn-Station nach den klären, was „richtig“ und was „falsch“ ist. Gratiszeitungen mit den Mega-Schlagzeilen Die Botschaft wird dann oft verkürzt: Man zu greifen, dann tun die Kinder und Jugend- könne nur mehr den großen, staatlichen Me- lichen das auch. Wie sollen Kinder Kom- dien vertrauen, alle anderen seien potenziell petenz im Umgang mit Medien erlernen, gefährlich oder „fake“. Ich habe den Ein- wenn das die Normalität ist, die sie von den druck, dass die Schülerinnen und Schüler Erwachsenen in ihrem Umfeld vorgelebt sofort merken, dass das so nicht stimmt. Es bekommen? Und der zweite Aspekt, der da- hat auch nichts mit ihrer Lebensrealität zu mit zusammenhängt: Wir unterschätzen die tun, weil sie wissen: Auch auf YouTube oder Selbständigkeit der Kinder. Wir trauen ih- Instagram kann man sich seriöse, professio- nen zu wenig zu. Das gilt dann vor allem in nell aufbereitete Information holen. Außer- dem sozialen Umfeld der „Helikoptereltern“, dem ist es nicht ratsam, Menschen vorzu- wo die Kinder den ganzen Tag umsorgt wer- werfen, sie konsumierten Fake News, ohne den. Dieses Nicht-Zutrauen hemmt die Kin- sich mit den Gründen dafür zu beschäftigen. der stark in der Entwicklung eigener Kom- Das führt erst recht zu einer Abwehrreakti- petenzen. on und zu einem Gefühl der Abwertung, nie- mals zur großen Erkenntnis. Sie meinen, wir haben es mit einer Selffulfilling Prophecy zu tun: Wir trauen den Kindern nicht Wie also sollen Lehrkräfte den Umgang mit digi- zu, dass sie die komplexe Medienwelt begreifen talen Medien im Unterricht thematisieren? können, was dazu führt, dass wir sie erst recht Ali Mahlodji, der selbst die Schule ab- Ich würde alle Schülerinnen und Schüler damit allein lassen? Genau da liegt das Missverständnis. Viele gebrochen und die Matura nachgeholt bitten, je ein kurzes Referat zu halten: Er- Ich treffe an Schulen so viele Eltern, die mir Eltern denken so: Mein Kind sollte alles ge- hat, gilt als Wiener Prototyp des digi- zähl, was du im Netz am liebsten machst. vorjammern: Hilfe, mein Kind will YouTuber nauso machen, wie ich es vor 30 Jahren ge- talen Entrepreneurs. 2012 gründete er Welche Apps verwendest du? Welche Social- werden! Das scheint zurzeit eine der größ- macht habe, nur um eine Stufe erfolgreicher. whatchado, eine Berufsorientierungs- Media-Accounts benutzt du? Was sind deine ten Sorgen von Eltern in Österreich zu sein. Denn es soll es einmal „besser haben als plattform für junge Menschen. Er hält Lieblingschannels auf YouTube? Welche sind Dann erwarten sie, dass ich ihnen Tipps ich“. Ein Aufstiegsglaube, der für die Nach- Vorträge und veranstaltet Workshops zurzeit deine aktivsten Chats auf Whats- gebe, wie sie ihrem Kind diesen dummen kriegsgenerationen sinnvoll war, aber heute an Schulen, ist EU-Jugendbotschafter, App? Hast du schon einmal ein TikTok-Video Berufswunsch wieder austreiben können. völlig verfehlt ist. Wie wir glauben, dass die Autor des „Work Report 2019“ des gepostet? Wie funktioniert das? Was findest Aber ich sage ihnen dann: Was ist denn so Welt funktioniert, hat immer weniger damit Zukunftsinstituts und berät staatliche du cool? Was ärgert dich? Die Schülerin- schlimm daran, dass Ihr Kind YouTuber wer- zu tun, wie die Welt wirklich funktioniert – und private Bildungsinitiativen. nen und Schüler müssen begreifen, dass den möchte? Erstens, vielleicht schafft er und erst die Welt in zehn Jahren! Stellen Sie sie bereits etwas können, und dass ich als oder sie es ja! Zweitens, das ist ein respekta- sich vor, vor zehn Jahren hätte eine Jugendli- Lehrerin oder als Lehrer gewillt bin, auch bler Medienberuf wie jeder andere auch. Und che zu ihren Eltern gesagt: „Ich möchte ein- von ihnen zu lernen. Sie müssen verstehen, drittens, was würde denn schlimmstenfalls mal selbständige Social-Media-Managerin dass ihr Umgang mit der für uns Erwachse- passieren, wenn Ihr Kind es nicht schafft werden, da kann ich mein Wissen, wie man nen so verwirrenden Welt der Social-Media- oder auf halbem Weg die Lust verliert? Dann auf Facebook kommuniziert, einsetzen und Plattformen bereits eine Kompetenz dar- hätte es Erfahrung, Wissen und Kompeten- obendrein viel Geld verdienen.“ Was hätten stellt, und dass sie sich durch ihr tägliches zen gesammelt, die ihm auf seinem weiteren die Eltern geantwortet? Ich vermute, so et- Hantieren mit dem Smartphone bereits Lebensweg von Nutzen sein können. was wie: „Was redest du für Schwachsinn?“ großes Wissen über Medien aneignen – sie Heute suchen die größten internationalen müssen nur den Blick dafür schärfen. Dann Diese Eltern wünschen sich wohl, dass das Kind Unternehmen händeringend nach guten geht es darum, gemeinsam über Inhalte und einen „richtigen“ Job anstrebt – einen, der es Social-Media-Beraterinnen und -Beratern. Formate zu reden, und darum, hinter die Ku- absichert. Und wer kriegt diese Jobs? Jene jungen Leu- lissen dieser Medien zu schauen.
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