Politische Ernährung Mobilisierung, Konsumverhalten und Motive von Teilnehmer*innen der Wir haben es satt!-Demonstration 2020 - Institut für ...

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Politische Ernährung Mobilisierung, Konsumverhalten und Motive von Teilnehmer*innen der Wir haben es satt!-Demonstration 2020 - Institut für ...
Madalena Meinecke, Renata Motta, Michael Neuber, Moritz Sommer, Simon
Teune, Janina Hennigfeld, Noémi Unkel, Carolin Küppers

Politische Ernährung
Mobilisierung, Konsumverhalten und Motive von
Teilnehmer*innen der Wir haben es satt!-Demonstration 2020

                                          ipb working paper 1/2021
Politische Ernährung Mobilisierung, Konsumverhalten und Motive von Teilnehmer*innen der Wir haben es satt!-Demonstration 2020 - Institut für ...
Autor*innen

ipb working papers | Berlin, Januar 2021
                                                    Madalena Meinecke
                                                    Freie Universität Berlin
Die ipb working papers werden vom Verein für        BMBF-Nachwuchsgruppe „Food for Justice“
Protest- und Bewegungsforschung e.V. heraus-        madalena.meinecke@fu-berlin.de
gegeben. Sie erscheinen in loser Folge. Der Ver-
ein ist Träger des gleichnamigen Instituts. Des-    Renata Motta
sen Aktivitäten sind unter http://protestinsti-     Freie Universität Berlin & ipb
tut.eu dokumentiert. Für die Redaktion der ipb-     BMBF-Nachwuchsgruppe „Food for Justice“
working papers sind Jannis Grimm, Dieter Rucht      renata.motta@fu-berlin.de
und Sabrina Zajak verantwortlich.                   Michael Neuber
                                                    Technische Universität Berlin & ipb
Alle bisher erschienenen Texte aus der Reihe        neuber@campus.tu-berlin.de
sind online abrufbar unter:
                                                    Moritz Sommer
https://protestinstitut.eu/ipb-working-papers/      DeZIM-Institut & ipb
                                                    sommer@dezim-institut.de
                                                    Simon Teune
                                                    IASS Potsdam & ipb
                                                    simon.teune@iass-potsdam.de
„Politische Ernährung. Mobilisierung, Konsum-       Janina Hennigfeld
verhalten und Motive von Teilnehmer*innen           HnE Eberswalde
der Wir haben es satt!-Demonstration 2020“          janina@hennigfeld.com
von Madalena Meinecke, Renata Motta, Mi-
                                                    Noémi Unkel
chael Neuber, Moritz Sommer, Simon Teune,
                                                    noemi.shirin@gmail.com
Janina Hennigfeld, Noémi Unkel und Carolin
Küppers ist lizenziert unter einer Creative Com-    Carolin Küppers
mons Namensnennung International Lizenz (CC-        Freie Universität Berlin
BY 4.0).                                            BMBF-Nachwuchsgruppe „Food for Justice“
                                                    carolin.kueppers@fu-berlin.de
Die Titelseite wurde unter Verwendung eines
Fotos von Ruben Neugebauer/Campact erstellt.
Das Foto ist lizensiert mit einer Creative Com-
mons Lizenz (CC BY-NC 2.0) und wurde bereitge-
stellt von https://www.flickr.com/photos/cam-
pact/49404505717/.

Das working paper wurde unter dem gleichen
Titel als Foor for Justice-working paper Nr. 3 an
der Freien Universität Berlin veröffentlicht.

Meinecke, Madalena; Motta, Renata; Neuber, Michael; Sommer, Moritz; Teune, Simon; Hennigfeld,
Janina; Unkel, Noémi & Küppers, Carolin. 2021. Politische Ernährung. Mobilisierung,
Konsumverhalten und Motive von Teilnehmer*innen in der Wir haben es satt!-Demonstration
2020, ipb working paper series, 1/2021. Berlin: Institut für Protest- und Bewegungsforschung.
Politische Ernährung Mobilisierung, Konsumverhalten und Motive von Teilnehmer*innen der Wir haben es satt!-Demonstration 2020 - Institut für ...
Abstract                                             Inhaltsverzeichnis

Die von dem Bündnis Meine Landwirtschaft or-         Vorwort                                         4
ganisierte Großdemonstration Wir haben es            1. Die Wir haben es satt!– Demonstration 2020 5
satt! findet seit zehn Jahren zum Auftakt der Ag-    1.1. Kurzportrait Meine Landwirtschaft & Wir
rarmesse Grüne Woche in Berlin statt. Das            haben es satt!                                   5
Bündnis setzt sich für eine nachhaltige, faire       1.2. Der Ablauf der Wir haben es satt! – Proteste
Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion ein        2020                                             6
und unterstützt deutschlandweit bäuerliche Be-
triebe. Das working paper fasst die Ergebnisse       2. Die Methode der Demonstrationsbefragung 7
einer Befragung unter den Teilnehmer*innen           3. Wer sind die Teilnehmer*innen der Wir
der Wir haben es satt!-Demonstration am 18.          haben es satt!-Demonstration                9
Januar 2020 zusammen. Es gibt Auskunft dar-          3.1. Die demographische Zusammensetzung der
über, wer die Demonstrant*innen waren, was           Demonstration                               9
ihre Anliegen und politischen Haltungen sind
und, nicht zuletzt, wie sie durch ihr eigenes Ver-   4. Politisches Engagement und Einstellungen der
halten in Konsum und Lebensführung eine an-          Demonstrant*innen                            13
dere Landwirtschaft unterstützen. Die Wir ha-        5. Essgewohnheiten und Konsumverhalten der
ben es satt!-Demonstration ist stärker von           Demonstrant*innen                        19
Frauen geprägt als andere Proteste, junge Teil-
nehmende machen einen geringeren Anteil aus          6. Motive der Demonstrant*innen                23
Die Mehrheit gab an, über einen Hochschulab-         6.1. Anliegen der Demonstrant*innen            24
schluss und ein mittleres bis hohes Einkommen        6.2. Forderungen der Demonstrant*innen         24
zu verfügen. Die Befragten ordnen sich politisch     6.3. Kritikpunkte der Demonstrant*innen        26
deutlich links der Mitte ein und sie teilen ein      6.4. Handlungsvorschläge der
vergleichsweise starkes politisches Engage-          Demonstrant*innen                              27
ment: Sie sind häufig Mitglieder in politischen      7. Fazit                                       28
Organisationen und zudem erfahrene Demonst-          7.1. Ausblick                                  29
rierende. Fast alle Befragten hatten in der Ver-
gangenheit bereits an Demonstrationen teilge-        Abbildungsverzeichnis                          31
nommen. Wir haben es satt!-Demonstrierende           Abstract, Englisch                             31
sind besonders ernährungsbewusst und bringen
ihre politische Position insbesondere durch          Literaturverzeichnis                           32
ethische Kaufentscheidungen zum Ausdruck.
Unter den Befragten befanden sich nur wenige
Demonstrierende, die selbst Lebensmittel er-
zeugen. Dieser Befund ist zum Teil darauf zu-
rückzuführen, dass die auf Traktoren mitfahren-
den Teilnehmenden nicht befragt werden konn-
ten.
Politische Ernährung Mobilisierung, Konsumverhalten und Motive von Teilnehmer*innen der Wir haben es satt!-Demonstration 2020 - Institut für ...
Vorwort                                               37 Prozent der gesamten anthropogenen Netto-
                                                      Treibhausgasemissionen betragen (IPCC 2019: 7).

Produktion, Vertrieb und Konsum von Lebensmit-        Die Umstellung von einer Erdöl-basierten auf eine
teln sind in den letzten Jahren zunehmend zu ei-      Biomasse-basierte Agrarwirtschaft (Bioökono-
ner politischen Angelegenheit geworden (Holt-         mie), sprich das Ersetzen von fossilen Ressourcen
Giménez & Shattuck 2011). Ein zentrales Phäno-        durch verschiedene nachwachsende Rohstoffe,
men innerhalb dieses Politisierungsprozesses ist      spielt eine immer wichtigere Rolle in gesellschaft-
das Erstarken einer Bewegung, die über De-            lichen und politischen Diskursen. Dennoch gibt es
monstrationen aber auch durch andere Protest-         weiterhin aus normativ-politischer Sicht zahlrei-
aktionen für eine Ernährungs- und Agrarwende          che Unklarheiten und nicht zuletzt auch ökonomi-
aufruft. Das wohl bekannteste Protestereignis         sche Konflikte, wie diese postfossile Transforma-
zum Thema Lebensmittel in Deutschland sind die        tion aussehen und vollzogen werden soll. Techno-
Wir haben es satt!-Demonstrationen, die seit          kratische Lösungsansätze, basierend auf mehr
2011 jährlich im Januar zum Auftakt der Agrar-        Technologie und Effizienz im Sinne des Paradig-
messe Grüne Woche in Berlin von dem Bündnis           mas ökologischer Modernisierung, stoßen auf Kri-
Meine Landwirtschaft organisiert werden. Das          tik und Widerstand in der organisierten und mo-
Bündnis initiert seine Protestaktionen unter dem      bilisierten Zivilgesellschaft. Die Transformation
Motto “Gute Landwirtschaft und gutes Essen”           der Agrarwirtschaft in Richtung einer Bioökono-
und spricht somit sowohl die Produktion als auch      mie setzt einen gesellschaftlichen Wandel voraus,
den Konsum von Lebensmitteln an.                      in dem Werte wie ökologische Nachhaltigkeit, ge-
                                                      sundes Essen, fairer Handel, Erhaltung der Bio-
In einer Zeit, in der die Verwobenheit zwischen       diversität sowie Schutz der Tier- und Menschen-
dem vorherrschenden Landwirtschaftssystem             rechte im Vordergrund stehen. Auf Demonstrati-
und der Klimakrise sowie die Konflikte um erneu-      onen wie Wir haben es satt! werden die Anliegen,
erbare Energieversorgung und Ernährungssicher-        Forderungen und Lösungsvorschläge der mobili-
heit an Bedeutung gewinnen, rückt die Forderung       sierten Bevölkerung in die Öffentlichkeit getra-
nach einer nachhaltigen Landwirtschaft zuneh-         gen.
mend in den Vordergrund. Die konventionell in-
dustrielle Landwirtschaft ist auf fossile Ressour-    In diesem Kontext entwickelte sich das For-
cen wie Pestizide und Düngemittel sowie auf glo-      schungsinteresse, eine Online-Befragung unter
bale Transportlösungen (fossile Brennstoffe) aus-     den Teilnehmer*innen der Wir haben es satt!-De-
gerichtet. Immer mehr Studien weisen auf die ne-      monstration durchzuführen. Die Befragung soll
gativen Auswirkungen des vorherrschenden Ag-          unter anderem Einblicke in die politische Ernäh-
rar- und Landwirtschaftssystems auf die Umwelt        rung der Demonstrant*innen geben. Darunter
hin wie z.B. Verlust der Artenvielfalt, Entwaldung,   verstehen wir nicht nur das Ess- und Konsumver-
Verunreinigung von Luft, Boden und Wasser             halten im Sinne eines politischen Konsums, son-
durch Chemikalien und Düngemittel sowie die           dern auch inwiefern sich die Teilnehmer*innen
Missachtung des Tierschutzes. Zudem ist die           politisch mobilisieren, Motive äußern und Forde-
Landwirtschaft eine der Hauptursachen des Kli-        rungen an den Staat stellen. In anderen Worten,
mawandels (Zukunftsstiftung Landwirtschaft            wie sie sich für eine Agrar- und Ernährungswende
2016). Wenn die Sektoren Land- und Forstwirt-         engagieren.
schaft und andere Landnutzung (AFOLU) zusam-          Wir möchten als Forschungsgruppe anhand die-
mengefasst werden, beträgt der Anteil der anth-       ser Ergebnisse weitere Forschungsfragen ableiten
ropogenen Treibhausgasemissionen (2007-2016)          und einzelnen Hypothesen im Zusammenhang
etwa 23 Prozent (IPCC 2019: 4). Addiert man           des Projekts Food for Justice: Power, Politics and
Transport, Marketing und Handel sowie Verkauf         Food Inequalities in a Bioeconomy nachgehen.
und Konsum von Nahrungsmitteln, schätzt der           Denkbar wäre dazu bspw. eine Ausdehnung der
Weltklimarat (IPCC), dass die Emissionen 21 bis       Protestbefragung auf den Traktorenumzug unter

                                                                                                       4
Politische Ernährung Mobilisierung, Konsumverhalten und Motive von Teilnehmer*innen der Wir haben es satt!-Demonstration 2020 - Institut für ...
Einbeziehung ergänzender qualitativer Interviews      Auch möchten wir uns für den Dialog über die ers-
mit ausgewählten Akteur*innen.                        ten Ideen des Fragebogens bei Birgit Peukmann
                                                      und Markus Rauchecker sowie für das konstruk-
Um ein Porträt der Wir haben es satt!-Demonst-
                                                      tive Mitwirken bei der Erstellung des Fragebo-
rant*innen zu zeichnen, schlossen sich die vom
                                                      gens bei Marco Antônio Teixeira, Lea Zentgraf,
Bundesministerium für Bildung und Forschung
                                                      Nicolas Goez Restrepo und Kevin Kaisig bedan-
(BMBF) finanzierte Nachwuchsgruppe Food for
                                                      ken.
Justice: Power, Politics and Food Inequalities in a
Bioeconomy (ab hier Food for Justice) und das
Institut für Protest- und Bewegungsforschung          1. Die Wir haben es satt!–
(ipb) zusammen und führten unter den Teilneh-
mer*innen der zehnten Wir haben es satt!-De-          Demonstration 2020
monstration am 18. Januar 2020 eine quantita-
tive Online-Befragung durch.                          1.1. Kurzportrait Meine Landwirtschaft
Food for Justice untersucht seit April 2019 As-       & Wir haben es satt!
pekte von Ungleichheit, Gerechtigkeit, Recht und
Demokratie, die in gesellschaftlichen Debatten        Das Bündnis Meine Landwirtschaft ist ein breiter,
um die Frage „Wie werden wir die Welt ernäh-          gesellschaftlicher Zusammenschluss von 50 Orga-
ren?“ aufkommen. Die Forschungsgruppe befasst         nisationen, die unter anderem in den Bereichen
sich mit der sozialen Mobilisierung und mit sozia-    Landwirtschaft, Lebensmittelhandwerk, Umwelt-
len und politischen Innovationen, die Ungerech-       schutz, Tierschutz, globale und soziale Gerechtig-
tigkeiten im Ernährungssystem thematisieren. Im       keit, Demokratie tätig sind. Thematisch befasst
Fokus stehen dabei häufig soziale Ungleichheiten      sich die Kampagne von Meine Landwirtschaft mit
wie Klasse, Geschlecht, Race, Ethnizitäten und        der grundsätzlichen Frage der Herkunft von Le-
Nationalität, die die Ernährungssouveränität be-      bensmitteln in Bezug auf den damit verbundenen
einträchtigen.                                        Produktionsprozess. Da sich diese Frage nur im
                                                      Kontext des globalen Wirtschaftssystems beant-
Das ipb initiiert kooperative Forschung zu Protes-    worten lässt, versteht Meine Landwirtschaft die
ten und sozialen Bewegungen. Dabei organisiert        eigene politische Arbeit im Kontext transnationa-
es vor allem kurzfristige, anlassbezogene Projekte    ler Solidarität. Seit 2010 setzt sich die Kampagne
wie die Befragung von Demonstrationsteilneh-          aktiv für eine Agrar- und Ernährungswende im
mer*innen. Seit 2014 wurden im Rahmen des ipb         Sinne einer bäuerlichen und ökologischen bzw.
zahlreiche Befragungen durchgeführt, unter an-        sozial gerechteren, tier- und umweltfreundlichen
derem bei den Protesten gegen TTIP, bei Pegida        Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion – in
oder den Fridays for Future.                          Deutschland und weltweit ein. Thematische
Danksagung Wir möchten uns bei all den moti-          Schwerpunkte lagen in den letzten Jahren auf der
vierten und kritisch reflektierten Interviewer*in-    Umsetzung der europäischen Gemeinsamen Ag-
nen bedanken, die sich für eine zweistündige          rarpolitik (GAP), Tierhaltung, Pestiziden, Gen-
Schulung Zeit genommen und uns während der            technik und Nachhaltigkeit im Allgemeinen. Auf
Demonstration bei der Flyerverteilung und Face-       der Website von Meine Landwirtschaft heißt es
to-Face Befragung unterstützt haben: Tamta Ak-        zudem: „Wir informieren über Themen rund um
haladze, Melissa Berger, Franziska Dittrich, Sarah    gute Landwirtschaft und gutes Essen und fördern
Dröge, Leona Flach, Charlotte Gengenbach, Nico-       den Dialog zwischen Erzeuger*innen und Konsu-
las Goez Restrepo, Joana Hofstetter, Karin Hüls-      ment*innen”. Dieser Dialog soll nicht nur zur Ag-
mann, Frithjof Isenberg, Kevin Kaisig, Philipp Ke-    rar- sondern auch wortwörtlich zu einer Ernäh-
ßel, Cosima Langer, Fulko Meyer, Simon Mösch,         rungswende beitragen. Das Motto heißt: „Gutes
Marieluise Mühe, Frederik Probst, Rahul Rahman,       Essen für alle!“.
Bettina Ress, Mascha Schädlich, Ania Spatzier,
Luca Sumfleth, Carla Venneri und Lea Zentgraf.

                                                                                                      5
Die Wir haben es satt!-Demonstration kann als          die Bundesregierung aufgefordert, ein klares
etabliertes und durch ressourcenreiche Organisa-       Veto gegen das Mercosur-Abkommen einzule-
tionen getragenes serielles Protestereignis im         gen. Zusammenfassend beziehen sich die Forde-
Format der Großdemonstration bezeichnet wer-           rungen des Bündnisses im Jahr 2020 vordergrün-
den. Im Gegensatz zu anderen Protestmobilisie-         dig auf die EU-Agrarreform der Gemeinsamen Ag-
rungen, wie z.B. Fridays for Future, die sich kurz-    rarpolitik (GAP) und die Subventionen, die gezielt
fristig, dezentral und von unten entwickelt haben      zur Förderung einer artgerechten Tierhaltung und
(Haunss & Sommer 2020), handelt es sich bei Wir        für mehr Klima- und Umweltschutz eingesetzt
haben es satt! um eine stark strukturierte De-         werden sollen. Der Aufruf des Bündnisses im Zei-
monstration. Das Besondere an Wir haben es             chen des Klimaschutzes ist geprägt durch die Kli-
satt! ist die Koalition von verschiedenen sozialen     maproteste im Jahr 2019. Mit Fridays for Future
Bewegungen und ihren Organisationen, wie dem           rief ein zentraler Akteur dieser Proteste auch zur
BUND, Greenpeace, Attac u.a. Jede der Organisa-        Teilnahme an der Wir haben es satt!-Demonstra-
tionen hat ihre eigenen Kampagnen und Protest-         tion auf und verzichtete dabei auf eine eigene, für
aktionen wie Petitionen, Demonstrationen, Sitz-        den Vortag geplante Demonstration. Hier können
blockaden u.ä. Meine Landwirtschaft ist also ein       wir eine Verflechtung zweier Bewegungen be-
Schnittpunkt für verschiedene soziale Bewegun-         obachten, die sich gegenseitig stärken und inei-
gen und deren Protestformen.                           nander verwoben sind. Ein großer Teil der Befrag-
                                                       ten (40,2%) gibt an, dass sie für beide Bewegun-
Mit dem Aufruf „Agrarwende anpacken, Klima
                                                       gen auf die Straße gehen würden.
schützen! – Wir haben die fatale Politik satt!” for-
derte Meine Landwirtschaft in ganz Deutschland         1.2. Der Ablauf der Wir haben es satt!
Bäuer*innen und Konsument*innen auf, am 18.            – Proteste 2020
Januar an der zehnten Wir haben es satt!-De-
monstration teilzunehmen. Auf der Kampagnen-           Über die Jahre hat sich bei den Wir haben es satt!-
Webseite wird beschrieben, dass die aktuelle in-       Protesten ein wiederkehrender Ablauf etabliert.
dustrielle Landwirtschaft fatale Auswirkungen          Er besteht aus einer Traktoren-Demonstration,
hätte: ”Flächendeckender Pestizideinsatz tötet         einer gemeinsamen Auftaktkundgebung und dem
massenhaft Insekten. Zu viel Gülle verschmutzt         Demonstrationszug durch das Berliner Regie-
unser Wasser. Für das Gensoja-Futter in deut-          rungsviertel. Am Vorabend findet zudem seit
schen Tierfabriken werden Regenwälder abge-            2012 eine sogenannte “Schnippeldisko” statt.
brannt. Dumping-Exporte überschwemmen die              Während Musik aufgelegt und getanzt wird,
Märkte im globalen Süden und berauben unzäh-           „schnippeln” Freiwillige große Mengen an Ge-
lige Bäuer*innen ihrer Existenz. Die Agrarindust-      müse. Gleichzeitig werden auch Workshops,
rie heizt die Klimakrise und gesellschaftliche Kon-    Kunstprojekte und Diskussionsrunden angebo-
flikte gefährlich an” (Wir haben es satt 2020).        ten. Inspiriert von dem Aktionsformat Teller statt
Auch steht die Verteilung der Agrarsubventionen        Tonne von Slow Food werden Ausschusswaren
durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Eu-        von Lebensmittelerzeuger*innen verwendet.
ropäischen Union im Fokus der Debatten, da die         2020 fand das Event im Zirkuszelt Cabuwazi auf
Bundesministerin für Landwirtschaft und Ernäh-         dem Tempelhofer Feld in Berlin statt. Das ge-
rung, Julia Klöckner, aufgrund der diesjährigen        schnittene Gemüse wurde vor Ort zu Suppe ver-
deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine noch ein-        kocht und am nächsten Tag während der Auftakt-
flussreichere Rolle innehat als zuvor. Ihr wird vor-   und Abschlusskundgebung am Brandenburger
geworfen, die Bäuer*innen bei den notwendigen          Tor sowie nach der Demonstration in der Hein-
Veränderungen allein zu lassen, indem unter an-        rich-Böll-Stiftung während des Events Soup & Talk
derem Subventionen weiterhin jenen zukommen,           ausgegeben.
die viel Land besitzen – „egal, wie sie wirtschaf-
ten” (Wir haben es satt 2020). Demnach fordert         Am Samstag, dem 18. Januar 2020, startete um 8
das Bündnis von der Bundesregierung „eine Poli-        Uhr die Traktoren-Demonstration zur Agrarminis-
tik, die uns eine Zukunft gibt”. Des Weiteren wird     ter*innenkonferenz im Auswärtigen Amt, wo die

                                                                                                        6
Bundesministerin Julia Klöckner rund 70 Agrarmi-           Wir haben es satt!-Demonstration im Jahr 2011
nister*innen aus aller Welt begrüßte. In diesem            lag die Zahl der Teilnehmer*innen zwischen
Rahmen findet jedes Jahr die Übergabe einer                18.000 (2017) und 50.000 (2015) Teilnehmer*in-
bäuerlichen Protestnote statt. Um 12 Uhr ver-              nen (siehe Abbildung 1).
sammelten sich die Demonstrant*innen zur Auf-
taktkundgebung am Brandenburger Tor. An der
Demonstration nahmen laut Meine Landwirt-
schaft 27.000 Protestierende teil. Seit der ersten

Abbildung 1: Anzahl der Teilnehmer*innen nach Angaben der WHES-Veranstalter*innen

 60000

 50000

 40000

 30000                                                                                            27000

 20000

 10000

      0
            2011      2012      2013      2014      2015      2016      2017        2018   2019   2020

2. Die Methode der                                         Bei der Befragung von Teilnehmer*innen der Wir
Demonstrationsbefragung                                    haben es satt!-Demonstration wurden zwei Erhe-
                                                           bungstechniken kombiniert: Nach einem
Die Demonstrationsbefragung ist eine etablierte            Zufallsprinzip ausgewählte Personen wurden mit
Forschungsmethode der Protestforschung. Sie er-            einem Handzettel darum gebeten, einen Online-
laubt es, Momentaufnahmen gesellschaftlicher               Fragebogen auszufüllen. Jede fünfte Person
Konflikte zu machen, die Aufschlüsse über die Zu-          wurde zusätzlich dazu zur Teilnahme an einer
sammensetzung der Beteiligten und deren Ein-               Vor-Ort-Befragung gebeten. Durch die Kombina-
stellungen geben. Die Menschen, die an einer De-           tion dieser beiden Methoden lässt sich abschät-
monstration teilnehmen, stellen einen mobilisier-          zen, inwieweit bestimmte Gruppen in der Befra-
ten Teil der Zivilgesellschaft dar, der seine Kritik       gung über- oder unterrepräsentiert sind.
öffentlich sichtbar machen will. Damit zeigen De-          Anders als bei Bevölkerungsumfragen sind die
monstrationsbefragungen einen Ausschnitt eines             Kennwerte der Grundgesamtheit von Demonst-
Konfliktes, der nicht nur auf der Straße ausgetra-         rant*innen nicht bekannt. Eine repräsentative
gen wird und der mit Adressat*innen, Gegner*in-            Befragung, in der die befragten Personen nach
nen, Mittler*innen und Verbündeten von kom-                diesen Kriterien ausgewählt werden, ist deshalb
plexen Akteurskonstellationen geprägt ist.                 in diesem Kontext nur indirekt möglich. Die

                                                                                                          7
Methode, mit der man sich dem Ideal der Reprä-         Grund dafür, dass im Datensatz die Gruppe der
sentativität annähern kann, ist ein Zufallssystem,     kommerziellen Lebensmittelproduzent*innen1
nach dem jede an der Demonstration teilneh-            mit etwa drei Prozent sehr klein ist. Auf Basis der
mende Person die gleiche Chance hat, für die Be-       Anzahl der Traktoren und der geschätzten Anzahl
fragung ausgewählt zu werden. Das bei Wir ha-          an Passagieren im Verhältnis zur Gesamtzahl der
ben es satt! gewählte Zufallssystem orientiert         Demonstrationsteilnehmer*innen ist aber davon
sich daher an dem internationalen Forschungs-          auszugehen, dass die Gruppe der Konsument*in-
projekt „Caught in the Act of Protest - Contextua-     nen auf der Wir haben es satt!-Demonstration
lizing Contestation” (im Folgenden CCC)                insgesamt klar dominiert. 51 Prozent der Befrag-
(Klandermans et. al 2011). 32 Interviewer*innen        ten geben an, keine eigenen Lebensmittel zu pro-
wurden nach diesem System geschult und in              duzieren und weitere 45 Prozent stellen Lebens-
Teams von drei bis vier Personen eingesetzt.           mittel ausschließlich für den Eigenverzehr her.
Für die Gewährleistung der möglichst zufälligen        Auf dem von den Befragungsteams verteilten
Auswahl unter den Demonstrationsteilneh-               Handzetteln fanden die ausgewählten Personen
mer*innen kamen in Anlehnung an die CCC-Me-            eine URL und einen individuellen Zugangscode,
thodik folgende Techniken zum Einsatz: 1) Die          mit dem die Befragung freigeschaltet werden
Auswahl und Ansprache der zu Befragenden               konnte. Damit wurden die Möglichkeiten zur Teil-
wurde nicht von derselben Person umgesetzt,            nahme von nicht ausgewählten Personen er-
sondern auf zwei Personen (Interviewer*in und          schwert. Insgesamt fanden 1.194 Kontakte statt,
Pointer*in) aufgeteilt, wodurch eine Verzerrung        dabei wurden 1.020 Handzettel ausgegeben und
durch persönliche Sympathie minimiert wird. 2)         199 Interviews geführt. 256 Personen füllten den
Um den Teilnehmer*innen in ihrer räumlichen            Online-Fragebogen vollständig aus. Daraus ergibt
Verteilung gerecht zu werden, wurden zwei Me-          sich eine Rücklaufquote von 25 Prozent – ein für
thoden zur Erschließung des Raumes verfolgt. Der       Online-Befragungen guter Wert. Auch die Koope-
Ort der Auftaktkundgebung, der Platz des 18.           rationsquote, die jenen Anteil der angesproche-
März, wurde in Sektoren aufgeteilt, die von den        nen Demonstrant*innen repräsentiert, der bereit
Befragungs-Teams systematisch erschlossen wur-         war, einen Handzettel entgegenzunehmen bzw.
den. Je nach Dichte der Menschenmenge wurden           ein Kurzinterview durchzuführen, war mit 86 Pro-
die Personen nach einer gleichbleibenden Syste-        zent vergleichsweise hoch.
matik ausgewählt. Im Demonstrationszug wur-
                                                       Der Online-Fragebogen besteht aus zehn Modu-
den die Teams nach und nach eingesetzt. Hier er-
                                                       len. Davon wurden fünf Module aus einem Kern-
schlossen sie jeweils einen Abschnitt des Zuges
                                                       fragebogen des ipb verwendet (Modul A: Motiva-
und gingen nach dem gleichen System vor. Mit
                                                       tion; Modul H Organisationsbindung, Kommuni-
dieser Methode konnte weitestgehend sicherge-
                                                       kationskanäle, Spontanität; Modul I: Aktivistische
stellt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, zur
                                                       Erfahrung/Engagement, Modul K: Politische Ori-
Online-Befragung eingeladen zu werden, über
                                                       entierung/Parteieinbindung, Modul L: Demogra-
alle Teilnehmer*innen gleichverteilt war.
                                                       fische Fragen). Da diese Fragebatterien in vorhe-
Insofern beziehen sich im Folgenden alle Aussa-        rigen Demonstrationsbefragungen des ipb ange-
gen auf die im Demonstrationszug Beteiligten.          wandt wurden, lassen sich die Ergebnisse der Be-
Einschränkend ist anzumerken, dass eine be-            fragung mit bei anderen Demonstrationen erho-
stimmte Sektion der Demonstration, in der die          benen Daten vergleichen. Die fünf weiteren Mo-
Demonstrant*innen mit 165 Traktoren auftraten,         dule wurden themenspezifisch für die Wir haben
für das Befragungsteam größtenteils unzugäng-          es satt!-Demonstration entwickelt (Modul B:
lich war. Diese Verzerrung im Sampling ist ein
_____
1
 Eine grobe Schätzung auf Grundlage der Anzahl der     Prozent bis acht Prozent. In der Schätzung gehen wir
Traktoren ergibt einen Anteil der Lebensmittelprodu-   davon aus, dass die Traktoren mit Anhängern mit je-
zent*innen unter den Demonstrant*innen von sechs       weils ein bis acht Personen besetzt waren.

                                                                                                         8
Themenspezifische Fragen2, Modul C: Konsum-               mobilisiert werden konnten, wer sich hauptsäch-
und Kaufverhalten3, Modul D: Anbau, Modul E:              lich betroffen fühlt oder schlicht, wem es möglich
Tierhaltung, Modul F: Lebensmittelverkauf4).              ist und zielführend erscheint, sich in dieser Form
                                                          politisch zu engagieren. Während Protestbewe-
Im ausführlichen Online-Fragebogen wurden zu-
                                                          gungen einen unabdingbaren Bestandteil funkti-
dem zwei offene Fragen gestellt, um ein detail-
                                                          onierender Demokratien darstellen, ist ihre Zu-
liertes Bild von den individuellen Positionen der
                                                          sammensetzung deutlich weniger repräsentativ
Befragten zu erhalten. Die Antworten auf die Fra-
                                                          für die gesamte Bevölkerung als z.B. Wahlen. Seit
gen zu persönlichen Anliegen im Protest und
                                                          der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wer-
Handlungsvorschlägen wurden mittels computer-
                                                          den soziale Bewegungen in Deutschland und
gestützter qualitativer Daten- und Textanalyse
                                                          Westeuropa vor allem von einer gut gebildeten,
(MAXQDA) mit Bezug auf ihre Kernaussage sowie
                                                          politisch aktiven Mittelschicht getragen (Van A-
das Vorkommen bestimmter Schlagwörter ko-
                                                          elst & Walgrave 2001; Hadjar & Becker 2007;
diert. Das Kodieren ist ein zentraler Bestandteil
                                                          Stolle & Hooghe 2011). Im Folgenden sollen die
der qualitativen Inhaltsanalyse bei der induktiv
                                                          demographischen Daten der Teilnehmer*innen
Kategorien am Material entwickelt und anschlie-
                                                          der Wir haben es satt!-Demonstration vor dem
ßend Textsegmente diesen Kategorien zugeord-
                                                          Hintergrund dieses Bias bei der außerparlamen-
net werden (vgl. Kuckartz 2016).
                                                          tarischen politischen Beteiligung untersucht wer-
Der Anteil ausführlicher Erläuterungen und Ant-           den.
worten im Hinblick auf die offenen Fragen lässt
auf ein hohes Erklärungs- und Differenzierungs-           3.1. Die demographische Zusammensetzung
bedürfnis der Demonstrant*innen schließen. Vor            der Demonstration
diesem Hintergrund zeigt sich einerseits, dass es
sinnvoll ist, die Befragten im Rahmen einer quan-         Das Geschlechterverhältnis unter Demonst-
titativen Umfrage mithilfe von offenen Fragen             rant*innen variiert je nach Thema deutlich. Wäh-
selbst zu Wort kommen zu lassen und ihnen die             rend die Proteste gegen TTIP oder G20 etwa pari-
Möglichkeit zu geben, Aussagen über die festge-           tätisch besucht waren (Daphi et al. 2016; Haunss
legten Antwortoptionen hinaus zu treffen. Ande-           et al. 2017), zeigt sich bei völkischen und extrem
rerseits werden hier die bekannten Limitierungen          rechten Protesten eine starke Dominanz von
einer rein quantitativen Datenerhebung deutlich.          Männern (Daphi et al. 2015). Bei der Wir haben es
                                                          satt!-Demonstration 2020 stellen Frauen mit 57,3
                                                          Prozent deutlich mehr als die Hälfte der Befrag-
3. Wer sind die Teilneh-                                  ten. Bei 1,2 Prozent, die sich nicht im binären Ge-
mer*innen der Wir haben es                                schlechtersystem verorten, verbleiben in der Ka-
                                                          tegorie „männlich” 41,5 Prozent.
satt!-Demonstration
                                                          Die Asymmetrie zugunsten der Beteiligung von
                                                          Mädchen und Frauen teilen sie mit den frühen
Wohl keine Protestbewegung bringt einen Quer-
                                                          Fridays for Future Protesten. Beim Globalen Kli-
schnitt der Bevölkerung auf die Straße. Wer bei
                                                          mastreik in Berlin und Bremen im März 2019
einer Demonstration anwesend ist, gibt also
                                                          machten      Frauen     59,6     Prozent    der
Rückschluss darauf, welche Teile der Gesellschaft

_____
2
  Dieses Modul setzte sich aus Fragen bzgl. des aktuel-   Zeitraum 29.11.2013 bis 02.12.2013) waren die Berei-
len Lebensmittelsystems und Agrarpolitik zusammen.        che „Lebensmittelkonsum und Ernährung“, Lebens-
3
  Diese Fragebatterie wurde in Anlehnung an eine TNS-     mittelwirtschaft“ und „ländlicher Raum“.
                                                          4
Emnid-Umfrage des Bundesministeriums für Ernäh-             Modul D, E und F wurden in Anlehnung des Fragebo-
rung und Landwirtschaft (BMEL) entwickelt. Der            gens für die von Food for Justice durchgeführte Mar-
Schwerpunkte der repräsentativen Verbraucherbefra-        cha das Margaridas-Befragung im Jahr 2019 entwi-
gung (1.000 Befragte, Bevölkerung ab 18 Jahren,           ckelt (siehe Teixeira et. al. i.E.).

                                                                                                            9
Teilnehmer*innen aus (Sommer et al. 2019).5 Im          Mit Blick auf die Altersstruktur (Abbildung 3) zei-
Kontrast dazu betrug bei der Befragung von De-          gen unsere Daten, dass der Protest für Ernäh-
monstrant*innen gegen Stuttgart 21 der Frauen-          rungs- und Umweltgerechtigkeit im Vergleich zu
anteil lediglich 40 Prozent (Baumgarten & Rucht         anderen Demonstrationen stärker von älteren
2013); unter den Pegida-Demonstrant*innen lag           Aktivist*innen getragen wird. Mehr als die Hälfte
er sogar nur bei 18 Prozent (Daphi et al. 2015).        der Befragten war zwischen 40 und 64 Jahren alt.
                                                        Weitaus mehr Teilnehmer*innen aus den höhe-
Abbildung 2: Geschlechterverteilung                     ren Alterskohorten waren beispielsweise bei den
                                                        Protesten gegen Stuttgart 21 und Hartz IV. Auf
                        1,2%                            der Wir haben es satt!-Demonstration waren Ju-
                                                        gendliche und junge Erwachsene etwas unterre-
                                                        präsentiert: nur knapp vier Prozent der Befragten
                                                        waren zwischen 14 und 19 Jahre alt6. Der Alters-
                                                        durchschnitt der bei der Wir haben es satt!-De-
           41,5%                                        monstration Befragten, die angeben, an Fridays
                                                        for Future-Aktionen teilgenommen zu haben,
                                      57,3%             liegt bei 44 Jahren (Median7: 48 Jahre) und liegt
                                                        damit 10 Jahre, beim Medianalter sogar 17 Jahre
                                                        über dem der Fridays for Future-Demonstrant*in-
                                                        nen (vgl. Neuber & Gardner 2020).

          Weiblich       Männlich       Divers*

_____
5
  In Berlin und Chemnitz wurde bei den Großprotesten    Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren, die an der De-
der Fridays for Future bereits im September eine aus-   monstration teilgenommen haben, sind daher nicht
gewogene Geschlechterverteilung beobachtet (Neu-        berücksichtigt.
                                                        7
ber & Gardner 2020). Für weiterführende Analysen zu       Jede Bevölkerung lässt sich nach dem Alter in eine
Fridays for Future, siehe auch Haunss & Sommer 2020.    jüngere und eine ältere Hälfte teilen, das entspre-
6
  Dabei ist zu berücksichtigen, dass unsere Befragung   chende Teilungsalter wird als „Medianalter“ bezeich-
aus juristischen und forschungsethischen Gründen nur    net (Bundeszentrale für politische Bildung 2011).
Teilnehmer*innen ab 14 Jahren einschließen konnte.

                                                                                                          10
Abbildung 3: Vergleich der Altersstrukturen ausgewählter Demonstrationen

 80%

 70%

 60%
                                                                                                                    52,5%
 50%

 40%

 30%
                                                                               19,2%
 20%                                  16,5%
                                                                                                                                                           11,8%
 10%

   0%
                     unter 25                          25-39                                             40-64                          über 64
                             Pegida     Stuttgart 21         Hartz IV                  Irakkrieg                 TTIP           G20     FFF            WHES

Abbildung 4: Bildungsgrad der Wir haben es satt!-Demonstrant*innen

 80%
 70%                                                                                                                    67,2%

 60%
 50%
 40%
 30%
 20%                                                                                     17,0%

 10%                                                      6,9%                                                                                7,3%
              0,4%                      1,2%
  0%
                                                                                                                        Universitäts-
               Grundschule

                                                                                         Fachhochschulreife
                                         Hauptschule

                                                                                                                                               Sonstiges
                                                          Realschulabschluss

                                                                                                                         abschluss
                                                                                              / Abitur
                                                                / POS

                                                                                                                                                               11
Abbildung 5: Netto-Einkommen der Wir haben es satt!-Demonstrant*innen

    25%                                       23,4%

    20%
                                                                                     16,4%
                                                                 14,8%
    15%                   13,5%
                                                                                                                 12,3%                      11,9%

    10%     7,8%

    5%

    0%
              4.000€ +

                                                                                                                                              0€ - 500€
                            3.000€ - 4.000€

                                               2.000€ - 3.000€

                                                                  1.500€ - 2.000€

                                                                                       1.000€ - 1.500€

                                                                                                                  500€ - 1.000€
Frage L5: Wie hoch war Ihr Einkommen (Nettoverdienst), d.h. Lohn oder Gehalt nach Abzug von Steu-
ern und Sozialversicherungsbeiträgen, im letzten Monat?

Im Einklang mit der Beobachtung, dass Protestbe-                       Abbildung 6: Anteil der Wir haben es satt!-Demonstrant*in-
wegungen in Deutschland überwiegend von einer                          nen mit Migrationsgeschichte
gebildeten, politisch aktiven Mittelschicht getra-
gen werden, überrascht der hohe Bildungsstatus
                                                                                             2,5%
der Demonstrant*innen nicht (Abbildung 4,
oben). Über zwei Drittel der Befragten (67,2%)                                      10,7%
                                                                                                                                  keine
                                                                                                                                  Migrationsgeschichte
geben einen solchen als höchsten Bildungsab-
schluss an. Der Anteil der Befragten ohne Fach-
                                                                                                                                  Migrationsgeschichte
hochschulreife liegt unter neun Prozent.                                                                                          (mind. ein Elternteil im
                                                                                                                                  Ausland geboren)
Auch der ökonomische Status der Befragten ist
                                                                                                                                  Geburtsland der Eltern
vergleichsweise hoch (Abbildung 5, oben). Das je-                                                        86,8%
                                                                                                                                  und eigenes Geburtsland
weilige Netto-Einkommen ist auf den ersten Blick                                                                                  im Ausland
zwar relativ gleichmäßig verteilt. Alle Einkom-
mensklassen zwischen Null und 500€ sowie
4.000€ aufwärts waren vertreten. Fast die Hälfte                       Die Wir haben es satt!-Demonstration hat nicht
(44,7%) der Befragten verdienen jedoch zwischen                        nur in Bezug auf Bildungsgrad und Einkommen
2.000€ und 4.000€ monatlich8. Da im Fragebogen                         eine relativ homogene Gruppe mobilisiert, son-
nach dem individuellen Nettoeinkommen gefragt                          dern auch in Bezug auf den Anteil der Teilneh-
wurde, kann man davon ausgehen, dass die Haus-                         mer*innen mit Migrationsgeschichte (Abbildung
haltseinkommen teils deutlich höher ausfallen.                         6). Das Geburtsland der Teilnehmer*innen war in

_____
8
  Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirt-                  ohne Kinder und ein Paar mit bis zu einem Kind und
schaft in Köln gehört ein Single in dieser Einkommens-                 dem gleichen Einkommen gehören demnach statis-
klasse bereits zur oberen Mittelschicht. Auch ein Paar                 tisch zur Mittelschicht (vgl. Niehues 2017).

                                                                                                                                                             12
fast allen Fällen (94,3%) Deutschland. Rund zehn             Auch bei den Teilnehmer*innen, die von außer-
Prozent der Demonstrant*innen geben an, dass                 halb Berlins angereist waren scheint es sich zu ei-
mindestens eines ihrer Elternteile im Ausland ge-            nem großen Teil um Menschen zu handeln, die in
boren worden war. Weniger als drei Prozent wa-               Städten leben (Abbildung 8). So geben 52 Prozent
ren selbst im Ausland geboren.                               von ihnen an, aus einer Großstadt zu kommen,
                                                             16,5 Prozent lebten zum Zeitpunkt der Befragung
Für eine Demonstration zum Thema Agrarwende
                                                             am Rande einer Großstadt oder in deren Voror-
ist es zunächst kontraintuitiv, dass ein Großteil
                                                             ten. Nur 1,2 Prozent der Demonstrant*innen le-
der Befragten aus dem urbanen Raum kommt. 44
                                                             ben auf Einzelgehöften oder haben ein alleinste-
Prozent von ihnen waren zum Zeitpunkt der Wir
                                                             hendes Haus auf dem Land. Diese Verzerrung
haben es satt! Demonstration in Berlin wohnhaft
                                                             spiegelt sich auch in dem verschwindend gerin-
(Abbildung 7). Nach der Hauptstadt sind Branden-
                                                             gen Anteil der Demonstrant*innen wider, die
burg mit 13 Prozent, Baden-Württemberg mit 10
                                                             selbst Lebensmittel für den Verkauf anbauen
Prozent und Bayern mit knapp sieben Prozent die
                                                             oder verarbeiten.
Bundesländer mit der stärksten Mobilisierung.

Abbildung 7: Wohnort der Wir haben es satt! Teilnehmer*in-
nen (Bundesland)
                                                             4. Politisches Engagement
                                                             und Einstellungen der
        Nordrhein-
        Westfalen;
                                                             Demonstrant*innen
           3,2%
      Hessen;
       4,0%
                                                             Jeder Protest ist Ausdruck eines politischen Anlie-
     Schleswig-                                              gens oder Interesses und daher eine Art demo-
      Holstein;                      Berlin;
       4,8%
                                                             kratisches Sprachrohr der Bürger*innen (della
                Bayern;              44,4%
                   6,9%
                                                             Porta 2009, Etzioni 1970). Die Beteiligung an Pro-
                                                             testen führt häufig zu einer weiteren Politisierung
                                                             der Beteiligten: Forderungen können geteilt und
        Niedersachsen;                                       kombiniert, kontrastiert und erweitert werden –
            10,1%
                          Brandenburg; 13,3%                 es bildet sich eine wichtige soziale Dimension,
                                                             von der individuelle politische Überzeugungen
Abbildung 8: Wohnort der Wir haben es satt! Teilnehmer*in-   gerahmt werden. Häufig sind daher die Forderun-
nen (urban oder ländlich)                                    gen, die bei einer Demonstration artikuliert wer-
                                                             den, eng mit den politischen Überzeugungen der
                             Einzelgehöft; 1,2%
                                                             Beteiligten verzahnt.
       Ländliches Dorf;
           14,1%                                             Bei der von uns untersuchten Wir haben es satt!-
                                                             Demonstration lassen sich, wie bereits beschrie-
                                                             ben, starke Verknüpfungen zu den Klimaprotes-
  Mittel- oder
  Kleinstadt;                                                ten der Fridays for Future beobachten. Etwa drei
    16,1%                            Großstadt;              Viertel der Befragten (77,1%) geben an, in der
                                       52,0%
                     Rand einer
                                                             Vergangenheit an mindestens einer Fridays for
                     Großstadt;                              Future-Protestaktion teilgenommen zu haben.
                       16,5%
                                                             Selbst bei denen, die nicht bereits an Fridays for
                                                             Future-Demonstrationen teilgenommen hatten,
                                                             identifiziert sich knapp ein Drittel mit den Fridays
Frage L4: Welche der Kategorien auf dieser Liste             for Future-Protesten. Demnach bietet es sich an,
beschreibt am besten, wo Sie wohnen?                         diese beiden Mobilisierungen im Folgenden mit

                                                                                                             13
Blick auf politisches Engagement und Einstellun-        anzugeben (siehe Tabelle 1). Am häufigsten wird
gen zu vergleichen9.                                    demnach die Form des appellativen Protests ge-
                                                        nutzt: 84 Prozent der Befragten geben an, schon
Angesichts der langen Geschichte der Wir haben
                                                        einmal eine Petition oder einen öffentlichen Brief
es satt!-Demonstration ist es wenig überra-
                                                        unterzeichnet zu haben. Entsprechend dem Profil
schend, dass ein hoher Anteil der Teilnehmer*in-
                                                        des Konsument*innenprotestes sind auch For-
nen bereits über Protesterfahrung verfügt. Fast
                                                        men des politischen Konsums weit verbreitet.
drei Viertel der Beteiligten (73,8%) hatten in der
                                                        Rund 78 Prozent der Befragten geben an, gezielt
Vergangenheit im Durchschnitt 3,7 mal an einer
                                                        Produkte aus politischen, ethischen oder ökologi-
Wir haben es satt!-Demonstration teilgenom-
                                                        schen Gründen zu kaufen, und rund zwei Drittel
men.
                                                        haben Erfahrung mit dem Boykott von Produkten.
Diese Beobachtung passt auch zu den vergleichs-         Etwa genauso viele Befragte geben an, aus politi-
weise stark institutionalisierten Mobilisierungs-       schen, ethischen oder ökologischen Gründen ins-
wegen. Hinsichtlich der Informationskanäle und          gesamt weniger Produkte konsumiert zu haben.
sozialen Kontakte, über die im Vorfeld über die         Etwas mehr als die Hälfte hat darüber hinaus aus
Demonstration informiert wurde, fällt auf, dass         politischen, ethischen oder ökologischen Grün-
etablierte Organisationen wie Greenpeace, Cam-          den die eigene Ernährung umgestellt. Deutlich
pact und der BUND maßgeblich an der Mobilisie-          weniger verbreitet sind Erfahrungen mit direkter
rung der Teilnehmer*innen beteiligt waren. Ins-         Kontaktaufnahme zu Politik und Verwaltung (24,1
gesamt geben über die Hälfte (52,2%) der De-            %) oder disruptiven Protestformen wie Aktionen
monstrant*innen an, Mitglieder einer solchen Or-        des zivilen Ungehorsams (16,9%).
ganisation zu sein. Rund ein Drittel (32,9%) erfuhr
                                                        Die großen Überschneidungen der Wir haben es
durch das Informationsmaterial, durch Websei-
                                                        satt!-Demonstration mit den Klimaprotesten
ten und Mailinglisten oder durch Veranstaltun-
                                                        zeigt sich auch bei der Frage, in welchen Themen-
gen einer Organisation von der Demonstration.
                                                        feldern die Befragten bislang aktiv geworden sind
Zusätzlich wurde ein Viertel (27,3%) der De-
                                                        (siehe Tabelle 2). Knapp neun von zehn Befragte
monstrant*innen über Mitglieder aus ihrer Orga-
                                                        beantworten diese Frage mit Klimaschutz; für 85
nisation auf die Demonstration aufmerksam ge-
                                                        Prozent ist Umweltschutz ein wichtiges Thema.
macht.
                                                        Auch geben knapp über die Hälfte der Befragten
Im Vergleich dazu mobilisiert die Fridays for Fu-       Frieden (52,6%) und Anti-Rassismus (52,2%) als
ture Bewegung mit ihren jungen und im Aktivis-          Themen an, für die sie sich engagieren. Interes-
mus noch vergleichsweise unerfahrenen Unter-            santerweise setzen sich die Demonstrant*innen
stützer*innen am stärksten über persönliche             vergleichsweise wenig für internationale Solidari-
Kontakte und soziale Medien: Schüler*innen zum          tät (25,9%) oder den Globalen Süden und Ent-
Beispiel kommunizieren offensichtlich entweder          wicklungspolitik (16,2%) ein. Auffällig ist auch das
direkt in der Schule miteinander oder nutzen da-        nachrangige Engagement in den Feldern Arbeit
für neue Medien (Sommer et al. 2019; Neuber &           (22,7%) und Soziales (21,9%).
Gardner 2020: 130). Organisationen spielen bei
der Mobilisierung eine untergeordnete Rolle
(Neuber & Gardner 2020: 124).
Die Teilnehmer*innen wurden in der Befragung
gebeten, ihre bisherigen politischen Aktivitäten

_____
9
 Der Vergleich bietet sich auch aus dem Grunde an, da   verschiedenen Fridays for Future-Protesten in Berlin
die letzte vom ipb durchgeführte Befragung bei zwei     und Bremen stattfanden.

                                                                                                         14
Tabelle 1: Aktivismus der Wir haben es satt!-Demonstrant*innen

 Art                                                                                  Anteil in %
 … eine Petition/öffentlichen Brief unterzeichnet?                                       83,9
 … gezielt Produkte aus politischen, ethischen oder ökologischen Gründen gekauft?        78,3
 … einer politischen Organisation oder Gruppierung Geld gespendet?                       67,5
 … bestimmte Produkte boykottiert?                                                       66,3
 … aus politischen, ethischen oder ökologischen Gründen insgesamt weniger Produkte
                                                                                         65,9
 konsumiert?
 … Ihre Ernährung aus politischen, ethischen oder ökologischen Gründen geändert?         55,0
 … ein Abzeichen einer Kampagne getragen oder irgendwo angebracht?                       39,8
 … in den Sozialen Medien auf ein politisches Anliegen aufmerksam gemacht?               36,5
 … eine/n Politiker/in oder eine/n Vertreter/in der Verwaltung kontaktiert?              24,1
 … an einer direkten Aktion teilgenommen (Blockade, Besetzung, ziviler Ungehorsam)?      16,9

Tabelle 2: Themen Engagement der Wir haben es satt!-Demonstrant*innen

 Engagementthema                                                                      Anteil in %
 Klimaschutz                                                                             88,3
 Umweltschutz                                                                            85,4
 Frieden                                                                                 52,6
 Anti-Rassismus                                                                          52,2
 Freihandelsabkommen                                                                     45,3
 Migration/Geflüchtete                                                                   42,9
 Menschenrechte                                                                          40,5
 Tierrechte                                                                              36,4
 Frauenrechte                                                                            27,5
 Internationale Solidarität                                                              25,9
 Arbeitnehmer*innenrechte                                                                22,7
 Soziale Rechte                                                                          21,9
 Europa                                                                                  21,1
 Homosexualität/Transgender/LGBTIQ*                                                      17,0
 Globaler Süden/ Entwicklungspolitik                                                     16,2
 Sonstiges                                                                               12,6
 Netzpolitik / digitale Rechte                                                           11,7
 Finanz- und Bankenkrise                                                                 10,1
 Ich habe mich im Rahmen der Demonstration erstmalig engagiert.                          1,6

                                                                                                    15
Bei der Vertrauensfrage werden die Beteiligten
Um etwas über die politische Verortung der Wir
                                                               gebeten, verschiedene Institutionen, wie die Bun-
haben es satt!-Demonstrant*innen zu erfahren,
                                                               desregierung, den Bundestag, politische Parteien,
haben wir die Befragten zunächst darum gebe-
                                                               die Europäische Union, die Vereinten Nationen,
ten, sich auf einer Skala von 0 (links) bis 11
                                                               die Polizei, etablierte Massenmedien und die Re-
(rechts) im politischen Spektrum einzuordnen10.
                                                               gierung und Verwaltung ihrer Stadt auf einer
Bei einem Mittelwert von 2,1 (Median = 1), posi-
                                                               Skala von 1 (volles Vertrauen) bis 5 (kein Ver-
tionieren sich 99 Prozent der Befragten links der
                                                               trauen) zu bewerten. Die Mittelkategorie
Mitte.
                                                               „teils/teils“ ist dabei für alle Institutionen am
Dieses sehr deutliche Bild wird auch durch die                 stärksten ausgeprägt (siehe Abbildung 10).
Antworten auf die Frage nach der Wahlabsicht
                                                               Das größte Misstrauen bringen die Befragten der
gestützt (siehe Abbildung 9). Wenn am Sonntag
                                                               deutschen Regierung entgegen. Ein Drittel gibt
Bundestagswahlen wären, würde die absolute
                                                               an, wenig oder gar kein Vertrauen in die Bundes-
Mehrheit (62.7%) der bei der von uns Befragten
                                                               regierung zu haben. Ähnliche Werte ergeben sich
Bündnis 90/Die Grünen wählen. DIE LINKE ist mit
                                                               für die politischen Parteien (27,8%) und die Euro-
14,5 Prozent die zweithäufigste gewählte Partei.
                                                               päische Union (26,2%). Der Bundestag verzeich-
12 Prozent geben an, eine andere Partei zu wäh-
                                                               nete mit 23,5 Prozent den geringsten Misstrau-
len. Hier wurde die Ökologisch-Demokratische
                                                               enswert.
Partei (ÖDP) am häufigsten genannt. Nur eine
Person (0,4%) gibt an, gar nicht wählen zu wollen.             Kommunale Regierungen und Verwaltungen
3 Prozent würden ungültig wählen und 1,2 Pro-                  schätzen die Befragten am vertrauenswürdigsten
zent sind in Deutschland nicht wahlberechtigt.                 ein: 42,3 Prozent vertrauen ihnen voll oder eher.
                                                               Die Polizei, Medien und die Vereinten Nationen
Abbildung 9: Sonntagsfrage bei der Wir haben es satt!-De-      rangieren zwischen den hohen und niedrigen Ver-
monstration
                                                               trauenswerten.
                    3,2%
             4,0%                      Die Grünen

     12,0%                             Die Linke

                                       SPD
 1,6%                                  Andere Partei

                                       Weiß nicht
                            63,0%
        15,0%
                                       Würde ungültig wählen

                                       Nicht wahlberechtigt

                                       Würde nicht wählen

_____
10
    Frage K1: Viele Leute verwenden die Begriffe ‚links’       wie würden Sie sich selbst einstufen?
und ‚rechts’, wenn es darum geht, unterschiedliche po-
litische Einstellungen zu kennzeichnen. Wenn Sie an
Ihre eigenen politischen Ansichten denken,

                                                                                                              16
Abbildung 10: Vertrauen in Institutionen

Regierung und Verwaltung Ihrer Stadt 3,2%                      39,1%                                      39,5%                     15,7%

Etablierte Medien (TV, Radio, Zeitung) 4,0%              29,0%                                    44,0%                         14,9%         8,1%

                              Polizei     6,5%             31,5%                                        41,5%                     13,3%       7,3%

              Vereinte Nationen (UN) 4,9%                  32,1%                                        44,3%                      13,8%       4,9%

              Europäische Union (EU) 1,6%              28,2%                                    44,0%                           20,2%         6,0%

                   Politische Parteien        11,3%                                   60,5%                                     22,2%         5,6%

                          Bundestag      4,9%           26,7%                                     44,9%                         15,8%         7,7%

                    Bundesregierung 2,4%          19,4%                                 43,7%                           20,6%             13,8%

                                         0%      10%       20%         30%           40%        50%       60%     70%      80%          90%       100%
                                   volles Vertrauen        Vertrauen              teils/teils    geringes Vertrauen        kein Vertrauen

                                                                             zufrieden) gegenüber der Ordnung des Grundge-
Die Demonstrant*innen wurden zudem gebeten,
                                                                             setzes (29%/50,4%) und noch mehr gegenüber
ihre Zufriedenheit mit dem Funktionieren der De-
                                                                             der Idee der Demokratie stark ab (60,1%/27,4%).
mokratie anzugeben. Dabei wurde unterschieden
                                                                             Im Vergleich zur Befragung unter den Teilneh-
zwischen der Demokratie als Idee, der Demokra-
                                                                             mer*innen des Klimastreiks im März und Septem-
tie, wie sie in der Verfassung festgelegt ist und der
                                                                             ber zeigt sich bei der Wir haben es satt!-Demonst-
Demokratie, wie sie tatsächlich in Deutschland
                                                                             ration eine größere Unzufriedenheit.11 Nur jede*r
funktioniert (siehe Abbildung 11). Analog zu an-
                                                                             vierte Befragte gibt hier an, mit dem Funktionie-
deren Demonstrationsbefragungen und reprä-
                                                                             ren der Demokratie in Deutschland zufrieden zu
sentativen Bevölkerungsumfragen fällt die Beur-
                                                                             sein, während dieser Wert bei den Fridays for Fu-
teilung der real existierenden Demokratie in
                                                                             ture-Protesten um 15 Prozent höher liegt.12
Deutschland (2,1% sehr zufrieden/23,9%

_____
11                                                                           12
   Berechnungen auf Grundlage der Befragungen der                              Diese Fragen wurden bei den einzelnen Befragungen
Fridays for Future-Demonstrierenden im März und                              mit unterschiedlich stark differenzierten Skalen ge-
September 2019 durch Beth G. Gardner, Sebastian                              stellt. Für den Vergleich wurden daher die Kategorien
Haunss, Piotr Kocyba, Michael Neuber, Dieter Rucht,                          vereinheitlichend zusammengefasst.
Moritz Sommer, Simon Teune, Jurek Wejwoda und
Sabrina Zajak.

                                                                                                                                                      17
Abbildung 11: Zufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland

70%

60%

50%

40%

30%

20%

10%

  0%
          sehr zufrieden           zufrieden            teils/teils          unzufrieden     sehr unzufrieden
                      Idee im Allgemeinen        Verfassung in Deutschland        in Deutschland

                                                                – 82 Prozent der Befragten davon aus, dass sie
Die Kritik am Funktionieren der Demokratie spie-
                                                                über Wahlen Einfluss auf das politische Gesche-
gelt sich zum Teil auch in der Bewertung von Po-
                                                                hen nehmen können. Dagegen fand die Aussage
litiker*innen und Parteien wieder. Der Aussage
                                                                „Mit meinem Engagement kann ich die Politik in
„Die meisten Politiker*innen machen eine Menge
                                                                diesem Land beeinflussen” die Zustimmung von
Versprechungen, aber tun dann nichts” stimmt
                                                                knapp zwei Dritteln der Befragten. Die Wir haben
insgesamt fast die Hälfte der Befragten zu
                                                                es satt!-Demonstrant*innen sind damit aber op-
(49,4%), weitere 41 Prozent stimmen ihr teilweise
                                                                timistischer als die Teilnehmer*innen der Fridays
zu. Deutlich weniger Zustimmung erhielt die Aus-
                                                                for Future-Proteste, bei denen nur knapp die
sage „Die Parteien tun eh, was sie wollen”: In 42
                                                                Hälfte der Befragten diese Position teilten.
Prozent der Fälle stimmen die Befragten teilweise
zu, fast ebenso viele (40,2%) stimmen nicht oder                Eine positive Erwartung an die Wirkung kol-
ganz und gar nicht zu.                                          lektiven Handelns zeigt sich bei den Befragten so-
                                                                wohl auf der nationalen wie auch auf der interna-
Trotz der durchaus kritischen Haltung gegenüber
                                                                tionalen Ebene. Der Aussage „Wenn sich Bür-
der real existierenden Demokratie in der Bundes-
                                                                ger*innen zusammenschließen, können sie eine
republik sind die Befragten nicht politikverdros-
                                                                Menge Einfluss auf politische Entscheidungen in
sen. Wie in Abbildung 12 unten deutlich wird,
                                                                diesem Land nehmen” stimmen 85 Prozent zu,
handelt es sich bei den Wir haben es satt!-De-
                                                                bezogen auf den Zusammenschluss von Men-
monstrant*innen zum größten Teil um Bürger*in-
                                                                schen verschiedener Länder sehen mehr als drei
nen, die der Politik in Deutschland vertrauen und
                                                                Viertel (76,9%) das Potential, die internationale
an ihre kollektive Handlungsfähigkeit in einer De-
                                                                Politik zu beeinflussen.
mokratie glauben. So gehen – konsistent mit der
hohen Wahlbeteiligung (siehe Abbildung 9 oben)

                                                                                                                18
Abbildung 12: Aussagen über die Politik und Politiker*innen der Bundesrepublik

Ich setze mich mit den verschiedenen Meinungen und Positionen
                                                                                  48,8%                            38,7%             12,1%
         auseinander, bevor ich eine Entscheidung treffe

          Wenn sich Menschen aus verschiedenen Ländern
       zusammenschließen, können sie eine Menge Einfluss auf                   42,9%                       34,0%                21,5%
                  internationale Politik nehmen
  Wenn sich Bürger*innen zusammenschließen, können Sie eine
  Menge Einfluss auf politische Entscheidungen in diesem Land                     49,2%                        35,9%                12,9%
                             nehmen

    Mit meinem Engagement kann ich die Politik in diesem Land
                                                                         27,4%                    38,3%                     27,4%       5,6%
                       beeinflussen

                            Die Parteien tun eh, was sie wollen 6,9% 11,4%                   41,5%                  21,1%           19,1%

                          Ich sehe keinen Sinn darin zu wählen        6,0%8,1%                             82,3%

              Die meisten Politiker*innen machen eine Menge
                                                                       21,1%              28,3%                    40,5%              8,1%
                   Versprechungen, aber tun dann nichts

                                                                 0%     10%    20%     30%    40%    50%    60%     70%      80%    90% 100%

                                        Stimme voll und ganz zu                  stimme zu            stimme teilweise zu

                                                                       Die Befragung zeigt, dass es sich bei den De-
5. Essgewohnheiten und                                                 monstrant*innen um eine ernährungsbewusste
                                                                       Gruppe von Menschen handelt. Eine bemerkens-
Konsumverhalten der                                                    werte Mehrheit der Befragten gibt an, täglich fri-
Demonstrant*innen                                                      sches Obst und Gemüse (77,0%) zu essen, 43 Pro-
                                                                       zent kochen täglich selbst. Zudem konsumiert
Wie bereits beschrieben, geben 80 Prozent der                          über die Hälfte der Befragten (55,9%) nur selten
Befragten an, dass sie gezielt Produkte aus politi-                    Fertiggerichte, über ein Viertel (26,2%) sogar nie.
schen, ethischen oder ökologischen Gründen                             Auffällig sind die Antworten auch bezüglich der
kaufen. Über die Hälfte geben an, ihre Ernährung                       vegetarischen bzw. fleischhaltigen Ernährung. In
aus den gleichen Gründen umgestellt zu haben.                          unserer Befragung gibt ein Drittel (33,2%) der De-
Um ein möglichst umfassendes Bild der Motive                           monstrant*innen an, nie Fleisch zu essen (siehe
und des (politischen und sozialen) Engagements                         Abbildung 13). Dieser Wert entspricht der Summe
der Teilnehmer*innen zu erhalten, wollen wir er-                       der Befragten, die sich als Vegetarier*innen
fahren, wie und wo sie Konsumentscheidungen in                         (22,7%) oder Veganer*innen (11,0%) identifizie-
Bezug auf Nahrungsmittelkauf und -verzehr tref-                        ren (siehe Tabelle 3 unten).
fen.

                                                                                                                                               19
Abbildung 13: Verzehr von Lebensmitteln I

               Fisch                22,3%                                   47,3%                                   28,1%

             Fleisch          16,4%                 21,9%                      28,5%                           33,2%

     frisches Obst
                                                                    77,0%                                              20,3%
     und Gemüse

                       0%       10%         20%       30%           40%       50%       60%        70%        80%       90%       100%

             Ausschließlich     Täglich      Mehrmals die Woche             Etwa einmal in der Woche          Selten     nie

Abbildung 14: Verzehr von Lebensmitteln II

        vegane Gerichte            10,6% 6,3%                 29,8%                  12,5%                 33,7%                7,1%

   vegetarische Gerichte               21,3%                   25,3%                               42,3%                    4,7% 5,1%

       Essen außer Haus                     23,6%                     26,0%                                47,2%                  0,4%

             Fertiggerichte 5,5% 12,5%                                       55,9%                                   26,2%

selbstgekochte Gerichte         7,4%                        43,0%                                     43,8%                     3,5%

                              0%       10%        20%        30%       40%      50%          60%     70%       80%       90%      100%
                   Ausschließlich         Täglich     Mehrmals die Woche             Etwa einmal in der Woche          Selten     nie

Tabelle 3: Angaben zur Ernährungsweise
                                                                          Zudem ist bemerkenswert, dass 43,5 Prozent der
 Essgewohnheit                                        Anteil in %         Beftagten angeben „nur Fleisch/Fisch aus tierge-
 Ich bin Veganer*in.                                        11,0          rechter und/oder ökologischer Tierhaltung“ zu
 Ich bin Vegetarier*in.                                     22,7          essen. Weitere 20 Prozent wählen die offene Ant-
                                                                          wortmöglichkeit „Sonstiges“, also keine der vor-
 Ich esse nur Fleisch/Fisch aus tiergerechter
                                                            43,5          gegebenen Kategorien aus, um ihre Ernährung
 und/oder ökologischer Tierhaltung.
                                                                          genauer zu beschreiben. Ein großer Anteil der De-
 Ich esse Fleisch/Fisch zu einem möglichst                                monstrierenden setzt sich also kritisch mit ver-
                                                             2,7
 guten Preis-Leistungs-Verhältnis.
                                                                          schiedenen Thematiken im Kontext Nahrungsge-
 Sonstiges                                                  20,0          rechtigkeit   auseinander.     Die     Befragten

                                                                                                                                        20
verwenden in ihren Antworten vermehrt Adjek-             wir nach Gewohnheiten beim Lebensmittelein-
tive wie „bemühen“ oder „versuchen“. Hier kön-           kauf gefragt. Die Befragten sollten angeben, wie
nen wir allein anhand der gewählten Sprache eine         oft sie auf bestimmte Merkmale von Lebensmit-
bewusste Auseinandersetzung ableiten.                    teln achten (ökologisch, regional, saisonal und
                                                         importierte Lebensmittel aus Übersee) und wie
Beispiel 1: „Ich bemühe mich, wenig Fleisch zu es-
                                                         häufig sie ihre Lebensmittel von bestimmten Ein-
sen.“
                                                         kaufsorten (Bio-Supermarkt, Supermarkt, Disco-
Beispiel 2: „Ich esse selten Fleisch. Wenn ich           unter, Reformhaus oder Weltladen, Wochen-
Fleisch esse versuche ich nicht das billigste im Su-     markt, Solidarische Landwirtschaft, Abo-Kiste
permarkt zu kaufen.“                                     oder Hofladen) beziehen (Abbildungen 15 und 16,
                                                         nächste Seite).
Andere erklären detailliert, warum sie Fleisch kon-
sumieren.                                                Auch die Antworten bezüglich der Lebensmittel-
                                                         merkmale zeigen ein vergleichsweise homogenes
Beispiel 3: „Fleisch nur, bevor es weggeworfen
                                                         Bild der Demonstrant*innen. Über die Hälfte der
wird, sonst Vegetarier.“
                                                         Befragten (54,5%) gibt an, „immer/fast immer“
Beispiel 4: „Ich bin Solawista mit Grundversor-          ökologische Lebensmittel zu kaufen, weitere 38
gung, d.h. wir haben zwei Betriebe mit Tieren und        Prozent „häufig“ und nur 0,4 Prozent „selten oder
esse auch die tierischen Produkte, von denen es          nie“ (Abbildung 15). Das sind zusammengefasst
allerdings nur wenige gibt. Ich halte generell nicht     über 90% der Befragten, die überwiegend Le-
viel von Dogmen, sondern bin davon überzeugt,            bensmittel aus ökologischem Anbau kaufen.
dass es unterschiedliche körperliche Notwendig-
                                                         Auch die entsprechenden Antworten auf Fragen
keiten geben kann, was die Ernährung betrifft, so-
                                                         bezüglich Regionalität, Saisonalität und dem Kauf
wohl im Leben eines Individuums als auch im Ver-
                                                         von importierten Lebensmittel aus Übersee zei-
gleich verschiedener Individuen.”
                                                         gen, dass eine große Mehrheit der Befragten be-
Die meisten Antworten beziehen sich darauf,              wusst nachhaltige Kaufentscheidungen trifft.
dass die Befragten nur bzw. hauptsächlich Fleisch        Weit über die Hälfte der Befragten gibt an, „häu-
essen, welches aus einer tiergerechten und/oder          fig“ (68,2%) bzw. „immer/fast immer“ (14,1%) re-
ökologischen Tierhaltung stammt. Außerdem be-            gionale Lebensmittel zu kaufen. Des Weiteren er-
ziehen sich diese Antworten auf die Häufigkeit           klären 59 Prozent „häufig“ und 18 Prozent „im-
bzw. Seltenheit des Fleischkonsums. Auch hier            mer/fast immer“ saisonale Lebensmittel einzu-
werden die Differenziertheit sowie das Interesse         kaufen. Fast die Hälfte (45,5%) gibt an, „selten“
der Befragten deutlich, die eigene Meinung mit-          und weitere 45 Prozent bekunden, „manchmal“
zuteilen.                                                importierte Lebensmittel aus Übersee zu kaufen.
Beispiel 5: „Ich esse zwar nur Fleisch/Fisch aus         Über die Hälfte der Befragten (63%) geben an,
tiergerechter und/oder ökologischer Tierhaltung.         ihre Lebensmittel „häufig“ (40,2%) bzw. „im-
Das bedeutet jedoch, dass ich Fleisch/Fisch nicht        mer/fast immer“ (22,8%) im Bio-Supermarkt (z.B.
regelmäßig esse, sondern ca. dreimal im Jahr.“           Biocompany, Alnatura oder Denn’s) zu kaufen.
                                                         Weitere 34,6 Prozent der Teilnehmer*innen kau-
Beispiel 6: „Wenig Fleisch und dann meistens aus
                                                         fen ihre Lebensmittel „häufig“ im Supermarkt
tiergerechter ökologischer Tierhaltung.“
                                                         (z.B. Edeka, Rewe oder Kaufland). Weniger als ein
Beispiel 7: „Ich esse Fleisch/Fisch fast nur aus tier-   Sechstel erwirbt Lebensmittel im Discounter (z.B.
gerechter und ökologischer Tierhaltung.“                 Aldi, Lidl oder Penny) („häufig” 14,5%, „im-
                                                         mer/fast immer“ 1,6%, 31% sogar „nie”).
Beispiele 8: „Vegetarierin mit ganz selten Öko-
Fleisch.“                                                Obwohl man vermuten könnte, dass eine Direkt-
                                                         vermarktung den bislang beschriebenen Kauf-
Um herauszufinden, inwiefern sich die politische
                                                         und Ernährungsentscheidungen entsprechen
und aktivistische Haltung der Demonstrant*innen
                                                         würde, ergab sich, dass nur 17 Prozent der
in deren alltäglichem Handeln reflektiert, haben

                                                                                                       21
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