Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
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Editorial Sehr geehrte Damen und Herren, die Lebenserwartung hat in den letzten Jahrzehnten in (fast) allen Ländern der Erde stetig zugenommen. Gängige Prognosen gehen davon aus, dass sich diese Entwick- lung in den nächsten Jahrzehnten fortsetzt. Deutschland ist mit einem durchschnittli- chen Alter von rund 46 Jahren derzeit das Land mit der weltweit zweitältesten Bevöl- kerung. Im Jahr 2060 wird ein Drittel der deutschen Bevölkerung 65 Jahre und älter sein und es werden doppelt so viele 70-Jährige leben, wie Kinder geboren werden. Die Lebenserwartung der dann Geborenen wird für Frauen auf bis zu 90 Jahre und für Dr. André Scharmanski Männer auf bis zu 86 Jahre geschätzt. Mit solchen Entwicklungen sind weitreichende Leiter Research Implikationen für den Gesundheitssektor verbunden. Durch die steigende Lebens- erwartung und der damit zunehmenden Alterung unserer Gesellschaft wird die Zahl der Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen steigen, was wiederum die Nachfrage nach Pflegeheimplätzen, medizinischen Leistungen (ambulant, stationär) und Reha-Maßnahmen antreiben wird. Die hohe Vorhersehbarkeit dieses Wachstumspfades trägt dazu bei, dass Gesund- heitsimmobilien bei institutionellen Investoren trotz hoher Regulierungsdichte und bundesweit uneinheitlichen Regelsets hoch im Kurs stehen. Denn im Gegensatz zu anderen Assetklassen ist die Nachfrage und damit die Vermietungssicherheit weni- ger kurzfristigen Markt- und Konjunkturschwankungen unterworfen, sondern hängt in erster Linie von der gut prognostizierbaren demografischen Entwicklung ab. Der aktuelle Quantum Focus No. 36 „Healthcare“ analysiert die jeweiligen Rahmenbe- dingungen, Chancen und Herausforderungen der verschiedenen Teilsektoren des Gesundheitsmarktes, angefangen von Pflegeeinrichtungen, über Ärztehäuser bis hin zu Krankenhäusern und Reha-Kliniken und gibt Antworten auf grundlegende Fragen: Wie sieht die jeweilige Gesetzeslage aus? Worauf sollten Betreiber und Investoren bei der Auswahl von Standorten und Objekten besonders achten? Essentiell für nach- haltige Investmententscheidungen ist dabei eine detaillierte Marktkenntnis, denn all diese Gebäudetypen weisen jeweils sehr spezifische Nutzungserfordernisse und regulatorische Besonderheiten auf, weswegen der Gesundheitsimmobilienmarkt als besonders komplex gilt. Wir freuen uns, wenn der Focus Ihr Interesse findet und wünschen Ihnen eine auf- schlussreiche und interessante Lektüre! Dr. André Scharmanski FOCUS 36 1
Seite 26 Krankenhäuser im Strukturwandel Seite 10 Pflegeimmobilien in einer alternden Gesellschaft 2 FOCUS 36
Inhalt 4 Healthcare – ein Rückblick aus dem Jahr 2060 8 Investmentmarkt mit Gesundheitsimmobilien 10 Pflegeimmobilien in einer alternden Gesellschaft 21 Ärztehäuser und steigende Ambulantisierung 26 Krankenhäuser im Strukturwandel 32 Rehabilitierungseinrichtungen 36 Interview mit Constantin Gutknecht 38 Kurz & knapp H E A LT H C A R E 3
Healthcare – ein Rückblick aus dem Jahr 2060 Mehr als ein Zehntel der Weltbevölkerung ist über 80 Gleichzeitig sind sie deutlich anfälliger für psychische Jahre alt. Mit immer besseren medizinischen Voraus- Erkrankungen. Beides führt dazu, dass zwar auch die- setzungen ist die durchschnittliche Lebenserwartung ser Teil der Bevölkerung älter wird als noch 40 Jahre in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und liegt zuvor, jedoch auch früher pflegebedürftig. in Deutschland bei 90 bzw. 86 Jahren (Frauen/Män- ner). Über 100-Jährige sind keine Seltenheit. Nicht nur Im Gegensatz dazu ist ein anderer Teil der Älteren die Lebenserwartung ist gestiegen, auch die Situation deutlich fitter und aktiver als es dieselbe Altersgrup- der hochaltrigen Bevölkerung hat sich verändert, und pe noch vor 40 Jahren war. Durch ein zunehmendes das in zwei Richtungen. Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil und ein gesundes Wohnumfeld halten sich viele Menschen Die fortschreitende Digitalisierung hat – trotz der Vor- körperlich und mental fit (Downaging). Pandemien, teile, die sie mit sich bringt – bei einem Teil der Bevöl- wie das Coronavirus in 2020/21 sowie weitere welt- kerung zu einem Verfall der körperlichen und geisti- weite Infektionskrankheiten, haben zu Veränderun- gen Fitness geführt. Technologien wie Virtual Reality gen im Hygieneverständnis und im Sozialverhalten ermöglichen die Teilnahme an privaten oder beruf- geführt. Durch medizinische Fortschritte können ver- lichen Treffen in virtuellen Welten unabhängig vom schiedenste Krankheitsbilder behandelt oder sogar physischen Aufenthaltsort. Während körperlich einge- verhindert werden. Die meisten der über 80-Jährigen schränkte Personen oder viel reisende Menschen von können und wollen selbstbestimmt leben. Neue Tech- diesen Möglichkeiten profitieren, verleiten sie andere nologien, insbesondere in den Bereichen Mobilität, dazu, die eigenen vier Wände kaum noch zu verlassen. Kommunikation und Smart Home Anwendungen, hel- Lebensmittel, Genuss- und Konsumprodukte können fen denjenigen, die trotz körperlicher Einschränkun- bequem nach Hause bestellt werden. Arztbesuche, gen eigenständig am gesellschaftlichen Leben teilha- Beratungstermine oder Behördengänge können digi- ben wollen. tal stattfinden. Durch ein unerschöpfliches Angebot an virtuellem Entertainment und digitaler Kommunika- Gesundheit hatte noch nie einen so hohen Stellenwert tion bewegen sich viele Menschen kaum noch, was zu- wie 2060. Das Wissen um den menschlichen Körper lasten der körperlichen Fitness und Gesundheit geht. und seine Funktionen hat sich mit zunehmend differen- 5
zierter Individualdiagnostik, neuen, wissenschaftlich gepersonal wird durch Pflegeroboter, Supersensoren fundierten Heilmethoden, aber auch einem gestärk- und Nanobots zunehmend entlastet und kann sich als ten Gesundheitsbewusstsein stetig erweitert. Wesent- „Gastgeber“ immer mehr um das Wohl der Patienten lich dazu beigetragen haben digitale Anwendungen für kümmern. Der Fokus der Gesundheitsleistungen liegt Smartphones, Sport-Armbänder oder andere tragba- nun neben der Digitalisierung und dem stärkeren Ein- re Geräte, die sich in erster Linie an gesunde Nutzer satz künstlicher Intelligenz auf der Bereitstellung um- richten und zum ständigen Begleiter entwickelt haben. fassender spezialisierter Dienste durch dynamische Sie motivieren ihre Nutzer, gesteckte Fitnessziele zu lokale bzw. regionale Netze, wodurch der Patient zu- erreichen, auf eine gesunde Ernährung und einen ent- nehmend in den Mittelpunkt der Versorgung gestellt sprechenden Lebensstil zu achten. Dabei zeichnen sie wird. Das traditionelle Krankenhaus, das lange Zeit kontinuierlich auch Vitalwerte auf und führen diese das gesamte Servicespektrum in einem zentralen Ge- Daten mit medizinischen Informationen des Patienten bäude aus einer Hand anbot, hat ausgedient. in einer ganzheitlichen elektronischen Patientenakte zusammen. Somit wird der Patient immer mehr befä- Die Bedeutung des Gesundheitsmarktes spiegelt sich higt seine eigenen und bessere Gesundheitsentschei- nicht zuletzt auch auf dem Immobiliensektor wider. dungen zu treffen. Und im Bedarfsfall steht der Arzt für 2060 übertrifft das Investment in Healthcare-Immo- ein persönliches Gespräch am Smartphone zur Ver- bilien im institutionellen Bereich erstmalig das Trans- fügung. Vor dem Hintergrund einer alternden Gesell- aktionsvolumen auf den Büro- und Wohnungsmärk- schaft und einer steigenden Anzahl pflegebedürftiger ten. Mit dem demografischen Wandel und der starken Menschen werden seit Jahren immer mehr Entschei- Resilienz in den vergangenen Krisen stehen Gesund- dungen mit Hilfe von Gesundheitsmonitoring, Teleme- heitsimmobilien ganz klar im Anlagefokus. Neben dizin und künstlicher Intelligenz im häuslichen Umfeld herkömmlichen Immobilienarten wie Pflegeeinrich- des Patienten getroffen. Grundvoraussetzung dafür tungen, Ärztehäusern, Krankenhäusern und Reha-Kli- ist auch die konsequente Umsetzung von Barrierefrei- niken drängen neue Versorgungsformen mit gesund- heit sowie altersgerechter Aus- und Umbauten in den heitsorientierten Angeboten in den Wachstumsmarkt Wohnungen, welche durch staatliche Förderungen in Gesundheit. Das Spektrum reicht hierbei von Franchi- den letzten Jahrzehnten angetrieben wurde. se-MVZ in Supermärkten, digitalen Kliniken, Express- Praxen in Einkaufszentren über Patientenhotels und Auch in Krankenhäusern, ambulanten Ärztezentren, Spezialressorts, in denen Therapien und Operatio- Reha-Kliniken und in der Pflege zeigt sich die Ge- nen unter Urlaubsbedingungen durchgeführt werden, sundheitswelt individueller, schneller, vernetzter und bis hin zu dezentralen „Mini-Max-Kliniken“ mit vielen digitaler. Mehr und mehr Tools ersetzen dabei alt- kleinen Einheiten (Health-hubs). Stark an Bedeutung hergebrachte Gerätschaften und analoge Prozesse. zugenommen haben auch sogenannte intersektorale So wird die Visite per Tablet erledigt, Vitalfunktionen Versorgungskonzepte, die ähnlich wie Shoppingcen- werden nicht mehr per Stethoskop abgehört, sondern ter mit einer hohen Vielfalt an Gesundheitsangeboten mit einem App-gestützten, kabellosen Sonographie- an einem Ort und damit kurzen Wegen überzeugen. In System überprüft und gerade körperlich anstrengen- diesem Feld haben sich gerade in Großstädten Ge- de Arbeit in der Pflege oder chirurgische Eingriffe im- sundheitsquartiere herausgebildet, die in einer Cam- mer mehr von autonomen oder halbautonomen Robo- puslogik gleichermaßen Maßnahmen zur Prävention, tern übernommen und präzisiert. Durch Hologramme Behandlung, Nachsorge und ergänzende Lifestyle- oder Avatare können sogar in abgelegenen Regionen Komponenten wie Wellness- oder Fitnessangebote, Operationen auf hohem medizinischem Niveau und aber auch Versorgung mit Heil- und Hilfsmittel oder relativ kostengünstig durchgeführt werden. Das Pfle- gesundheitsnahen Konsumgütern anbieten. 6 FOCUS 36
2060 übertrifft das Investment in Healthcare-Immobilien im institutionellen Bereich erstmalig das Transaktionsvolumen auf den Büro- und Wohnungsmärkten. H E A LT H C A R E 7
Investmentmarkt mit Gesundheitsimmobilien Springen wir zurück ins Jahr 2021. Ein Blick auf das höchsten Shareholder Returns, wodurch der Appetit Transaktionsgeschehen bekräftigt das Zukunftssze- von Finanzinvestoren auf Investitionsmöglichkeiten im nario 2060. Das Investoreninteresse an Pflegeeinrich- Gesundheitswesen ungebrochen ist. tungen, Ärztehäusern, Krankenhäusern und Reha-Kli- niken hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Mit Das Gesundheitswesen ist aber nicht nur auf Betreiber- knapp 4 Mrd. € wurde 2020 ein neues Rekordergebnis sondern auch auf der Immobilienseite ein hoch attrak- mit Gesundheitsimmobilien erzielt. Das Immobilien- tiver Markt. Denn im Gegensatz zu anderen Assetklas- transaktionsvolumen lag damit 68 Prozent über dem sen ist bei Gesundheitsimmobilien die Nachfrage und Vorjahreswert (BNP Paribas 2021). Auch 2021 deutet damit die Vermietungssicherheit weniger den Markt- vieles auf ein wiederholt hohes Transaktionsvolumen und Konjunkturschwankungen unterworfen, sondern auf dem Gesundheitsimmobilienmarkt hin. hängt in erster Linie von der demografischen Entwick- lung (u.a. veränderte Altersstruktur und steigende Le- Die zunehmende Beliebtheit dieses Sektors hängt eng benserwartung) ab. Letztere kann bereits heute für die zusammen mit der Konsolidierung und Professionali- nächsten Jahrzehnte relativ genau kalkuliert werden. sierung des stark fragmentierten Betreibermarktes im So lautet auch eine bekannte Formel des Ökonomen Gesundheitswesen. Dazu beigetragen hat gerade das David Foot: „Two thirds of everything can be explained zunehmende Engagement von Private Equity Inves- by demographics”. Diese Vorhersehbarkeit schätzen toren, welche die Konsolidierung im Healthcare-Seg- Investoren, denn die Entwicklung in diesem Segment ment sowohl im stationären als auch im ambulanten verläuft damit deutlich weniger zyklisch. Diese Resi- Bereich deutlich angetrieben haben. Neben Unter- lienz wird aus Investorensicht vor allem durch stabile nehmen aus der Technologiebranche erwirtschaf- Cashflows der langlaufenden Mietverträge, die attrak- teten Investitionen im Bereich Healthcare Services tiven Renditen im Vergleich zu anderen Assetklassen in den letzten 10 bis 15 Jahren durchschnittlich die sowie die steigende Professionalisierung bzw. Konso- lidierung der Betreiber, wodurch Ausfallrisiken besser mitigiert werden können, weiter untermauert. David Foot: „Two Beim Blick auf das Investitionsvolumen im Bereich Gesundheitsimmobilien entfielen mehr als zwei Drit- tel in 2020 auf Pflegeimmobilien, aber auch andere thirds of everything Gesundheitsimmobilien (wie etwa Ärztehäuser oder Kliniken) gewinnen zunehmend an Bedeutung und can be explained by haben ihren Anteil in den letzten 5 Jahren mehr als verdoppelt. Diese hohe Nachfrage spiegelt sich in der Renditekompression wider. So notierte die Net- demographics” to-Spitzenrendite für hochwertige, moderne Gesund- heitsimmobilien Ende 2020 bei nur noch 4,00 Prozent und hat damit allein in den letzten vier Jahren um mehr 8 FOCUS 36
Abb. 01 Investitionsvolumen und Renditeentwicklung Health Care im Vergleich Healthcare Büro Wohnen Rendite Healthcare Rendite Büro Rendite Wohnen (Bestand, Ø Top 5) 35.000 35.000 8,0% 8,0% in€Mio. € 30.000 30.000 7,0% 7,0% 6,0% in % 6,0% 25.000 25.000 Investitionsvolumen in Mio. Spitzenrenditen in % 5,0% Investitionsvolumen 5,0% Spitenrendite 20.000 20.000 4,0% 4,0% 15.000 15.000 3,0% 3,0% 10.000 10.000 2,0% 2,0% 5.000 5.000 1,0% 1,0% 0 0 0,0% 0% 2012 2012 2014 2014 2016 2016 2018 2018 2020 2020 Health Care Büro Wohnen Daten: BNP Paribas 2021 Rendite Health Care Rendite Büro Rendite Wohnen als 150 Basispunkte nachgegeben. Kurz- bis mittel- friktionsfreie Verzahnung) fristig wird das Investitionsvolumen angesichts der – akuter Fachkräftemangel (v.a. im ländlichen Raum) großen Investorennachfrage lediglich durch das Pro- – Digitalisierung (u.a. digitale oder digital unterstützte duktangebot begrenzt sein. Ein weiterer Rückgang der Versorgung) Spitzenrendite auf rund 3,25 Prozent bis 2022 wird er- – Patientendaten und Umgang (Datenschutz) wartet. (Abb. 01) – Entlastung des Personals (z.B. von administrativen Tätigkeiten) Ob nun das Gesundheitssegment, wie im Zukunfts- – regulatorisches Umfeld (v.a. Vereinheitlichung und szenario dargestellt, weiter zur Hauptanlageklasse Zentralisierung von föderalen Strukturen – Gesund- reüssieren wird, wird davon abhängen, inwieweit das heit ist zu häufig im Hoheitsgebiet der Bundesländer) deutsche Gesundheitssystem die aktuellen und zu- künftigen Herausforderungen auf dem Weg zu einer All das sind seit Jahren adressierte, aber politisch nicht modernen, zeitgemäßen und zukunftsfähigen Ge- nachhaltig angegangene Herausforderungen, die einer sundheitsversorgung meistern wird. dringenden Lösung bedürfen. Dazu gehören: Angesichts der dargestellten Trends und Entwicklun- gen in Deutschland und dem sich daraus ergebenden – Kosten- und Effizienzdruck (u.a. Finanzierung des hohen Bedarf an modernen Gesundheitsimmobilien Gesundheitswesens) wird privates Immobilienkapital dringend benötigt. Die – Investitionsrückstau (v.a. bei Altbestandsimmobilien) Assetklasse Healthcare umfasst dabei verschiedene – Strukturbereinigung in der Versorgungsinfrastruktur Teilsektoren, angefangen von Pflegeinrichtungen, über (Bevölkerungsentwicklung in Städten und ländlichen Ärztehäuser bis hin zu Krankenhäusern und Reha-Kli- Regionen) niken. All diese Gebäudetypen weisen jeweils sehr spe- – Ambulantisierung und Abbau von Sektorengrenzen zifische Nutzungserfordernisse auf, weswegen der Ge- (ambulanter vor stationärer Versorgung, aber auch sundheitsimmobilienmarkt als besonders komplex gilt. INVESTMENTMARKT MIT GESUNDHEITSIMMOBILIEN 9
Pflegeimmobilien in einer alternden Gesellschaft Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit pflegebedürf- tig zu werden. 2060 werden, je nach Szenario, 9 bis 13 Prozent der Bevölkerung über 80 Jahre alt sein. Bereits heute sind 6 Prozent „hochaltrig“. Die Zahl der über 65-Jährigen wird unter der Prämisse einer starken Zuwanderung um 32 Prozent zunehmen (Statistisches Bundesamt 2019). Gerade mit der Alterung der geburtenstarken Baby- Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) in 2017 erfolgte ein boomer-Generation innerhalb der nächsten 15 Jah- Wechsel von drei Pflegestufen in die neuen fünf Pfle- re wird der Bedarf an stationären und ambulanten gegrade. Waren vor 2017 für die Einordnung in eine der Pflegeangeboten deutlich wachsen. Bereits 2019 damals geltenden drei Pflegestufen nur der Zeitauf- gab es doppelt so viele Pflegebedürfte wie noch zu wand der Pflege und der Betreuung maßgeblich, ori- Beginn der 2000er Jahre. Allein innerhalb der letz- entiert sich der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff nun ten zwei Jahre ist ihre Anzahl um rund 21 Prozent auf daran, wie autonom ein Mensch seinen Alltag bewälti- über 4 Millionen gestiegen. Analog steigt die Nach- gen kann. Dieser Paradigmenwechsel soll die Situation frage nach Pflegeheimplätzen und -immobilien und von pflegebedürftigen Menschen und Pflegekräften wird mit der Altersstrukturverschiebung zwischen verbessern und die besonderen Bedürfnisse von psy- 2020 und 2060 einen Höchststand erreichen. (siehe chisch erkrankten Menschen (u.a. getrieben durch die Abb. 02) Volkskrankheit Demenz) bedarfsgerechter berück- sichtigen. (Abb. 03) Nicht nur die absolute Anzahl der Pflegebedürftigen, auch der Anteil pflegebedürftiger Personen an der Heute werden ca. 80 Prozent aller Pflegebedürftigen in jeweiligen Altersgruppe (sog. Pflegequote) hat bei Deutschland zu Hause durch Angehörige oder durch den Hochaltrigen in den letzten Jahren zugenommen. ambulante Pflegedienste betreut und versorgt. Der Knapp 50 Prozent der 85 bis 90-Jährigen und über 75 Großteil (fast 60 Prozent) dieser zu Hause versorg- Prozent der über 90-Jährigen waren 2019 pflegebe- ten Pflegebedürftigen hat Pflegegrad 1 oder 2. Über dürftig (+11 bzw. +17 Prozentpunkte ggü. 2009; Statisti- 818.000 pflegebedürftige Personen werden vollsta- sches Bundesamt 2019). tionär in rd. 15.400 Pflegeheimen versorgt. Knapp 80 Prozent dieser in voll- oder teilstationären Pflegehei- Jenseits der Bevölkerungsentwicklung und der Pflege- men versorgten Pflegebedürftigen sind in ihrer Selbst- quote wird der Bedarf an Pflegeplätzen auch von der ständigkeit schwer beeinträchtigt und dem Pflegegrad Art der Versorgung bestimmt. Im Rahmen des zweiten 3 oder höher zugeordnet (Statistisches Bundesamt 10 FOCUS 36
Abb. 02 Entwicklung der Altersgruppen bis 2060 Altersaufbau Altersaufbau Altersaufbau 1980 2021 2060 100 100 100 95 95 1965 95 1930 90 90 1970 90 1935 1895 85 85 1975 85 1940 1900 80 80 1980 80 1945 1905 75 75 1985 75 1950 1910 70 70 1990 70 1955 1915 65 65 1995 65 1960 1920 60 60 2000 60 1965 1925 55 55 2005 55 1970 1930 50 50 2010 50 1975 1935 45 45 2015 45 1980 1940 40 40 2020 40 1985 1945 35 35 2025 35 1990 1950 30 30 2030 30 1995 1955 25 25 2035 25 2000 1960 20 20 2040 20 2005 1965 15 15 2045 15 2010 1970 10 10 2050 10 2015 1975 5 5 2055 5 2020 1980 0 0 2060 0 700 600 500 400 300 200 100 0 0 100 200 300 400 500 600 700 700 600 500 400 300 200 100 0 0 100 200 300 400 500 600 700 600 500 400 300 200 100 0 0 100 200 300 400 500 600 Männer in Tausend Frauen in Tausend Männer in Tausend Frauen in Tausend Männer in Tausend Frauen in Tausend Annahmen: Geburtenhäufigkeit niedrig – Lebenserwartung hoch – Zuwanderung niedrig Daten: Statistisches Bundesamt 2019 Pflegeimmobilien als langfristige Investition in die Zukunft P F L E G E I M M O B I L I E N I N E I N E R A LT E R N D E N G E S E L L S C H A F T 11
Abb. 03 Pflegegrade – Definition und Verbreitung Pflegegrad Anteil 2019 1 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkte Geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit 7,2% 2 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkte Erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten 43,5% 3 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkte Schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten 29,5% 4 70 bis unter 90 Gesamtpunkte Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten 13,9% 5 90 bis unter 100 Gesamtpunkte Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen 5,9% an die pflegerische Versorgung Quelle: VDEK 2021 2019). Der Barmer Pflegereport 2019 zeigt, dass die nären Pflegeheimen befanden sich in Einzelzimmern, Zahl derer zunimmt, die durch Anreizstrukturen (u.a. der Rest verteilt sich auf Doppelzimmer. Wohnplätze neue Wohn- und Pflegeformen mit geringerer finanzi- für mehr als zwei Personen sind nicht mehr zulässig. eller Belastung) und höhere Flexibilität (beispielsweise Mit der seit Jahren steigenden Einzelzimmerquote durch Wahlfreiheit bei der Buchung einzelner Pflege- reagieren Pflegeheimbetreiber auf baurechtliche Vor- leistungen) auf ambulante Versorgungsstrukturen zu- gaben und auf veränderte Nachfragetrends. Auch auf greifen. Während insbesondere die niedrigeren Pfle- Investorenseite werden in der Regel Einzelzimmer- gegrade dem Trend der Ambulantisierung unterliegen, quoten von rund 80 Prozent kalkulatorisch vorausge- sind die stark pflegebedürftigen höheren Pflegegrade setzt (IMMAC 2020). in vielen Fällen weiterhin auf eine Versorgung in ent- sprechend ausgerüsteten Einrichtungen angewiesen. Die Nachfrage nach Pflegeplätzen übersteigt bereits Ein limitierender Faktor für die häusliche Pflege, die heute das Angebot. Gerade in den Ballungsgebieten heute überwiegend durch Verwandte, meistens Töch- existieren zum Teil lange Wartelisten für Pflegeheime. ter oder Lebenspartnerinnen geleistet wird, ist darü- Obwohl der Pflegemarkt in Deutschland überdurch- ber hinaus die steigende Frauenerwerbstätigkeit (Blin- schnittlich expandiert, ist das Angebot in den vergan- kert und Gräf 2009). genen Jahren weniger stark gewachsen als die Nach- frage. Pflegeeinrichtungen – Markt und zukünftiger Bedarf Schätzungen gehen von 150.000 bis 300.000 zu- In Deutschland gab es 2019 über 15.000 Pflegeein- sätzlich benötigten Pflegeheimplätzen bis 2030 aus richtungen, wovon rund 8.000 von freigemeinnützigen, (IREBS 2020, Simons 2019, Wüest Partner 2018). über 6.500 von privaten und ca. 700 von öffentlichen Bei einer durchschnittlichen Größe von 62 Plätzen Trägern betrieben wurden. Durchschnittlich waren 62 je Pflegeheim müssten pro Jahr zwischen 210 und Pflegebedürftige je Pflegeheim untergebracht. Knapp 390 neue Einrichtungen gebaut werden – vorausge- 70 Prozent der 2019 verfügbaren Plätze in vollstatio- setzt alle bestehenden Einrichtungen bleiben weiter- 12 FOCUS 36
2,0 Mio. botsseite ist die Verfügbarkeit von Pflegekräften. Laut IW könnte die Versorgungslücke an Beschäftigten in der Pflege bis 2035 auf 300.000 Stellen anwachsen. Der Fachkräftemangel kann in manchen Regionen Pflegebedürftige in Deutschland 2001 dazu führen, dass Betreiber den erforderlichen Perso- nalschlüssel nicht sicherstellen können. Pflegeimmobilien als krisenresistentes Investment 4,1 Mio. Die zur Deckung der steigenden Nachfrage benötigten Neuinvestitionen und Investitionen zur Substanzerhal- tung bestehender Einrichtungen sind ohne privates Kapital nicht zu bewältigen. In den letzten Jahrzehnten Pflegebedürftige in Deutschland 2019 sind immer mehr private Pflegeheimbetreiber auch aus dem Ausland in den Wettbewerb um die beste Versorgung eingetreten. 43 Prozent der Pflegeheime werden von privaten Trägern betrieben, 53 Prozent von freigemeinnützigen und 4 Prozent von öffentlichen 5,1 Mio. Trägern (Statistisches Bundesamt 2019). (Tab. 02) In Bezug auf die Zahl der Pflegeheime erzielten die pri- vaten Träger seit 2003 ein Wachstum von 40 Prozent (IMMAC 2020). Neben dem organischen Wachstum Pflegebedürftige in Deutschland 2050 durch den Bau von neuen Pflegeheimen ist der Betrei- bermarkt seit vielen Jahren stark von einem Konsoli- dierungsprozess geprägt. Dadurch ist die M&A Aktivi- tät von in- und ausländischen Strategen sowie Private Daten: Statistisches Bundesamt; Pflegereport 2019 Equity Investoren nach wie vor hoch. So erreichten die 30 größten Betreiber Ende 2020 einen Marktan- teil in Deutschland von rd. 23 Prozent (+1,6 Prozent- hin erhalten. Da sich die demografischen Verände- punkte gegenüber dem Vorjahr) (pflegemarkt.com). rungen unterschiedlich stark auf die verschiedenen Fest etablierter Bestandteil des Geschäfts- und Regionen auswirken, fällt der zusätzliche Bedarf in Wachstumsmodells v.a. der privaten Pflegeheimbe- den Bundesländern unterschiedlich aus. Die höchs- treiber ist die Trennung von Betriebs- und Immobilien- ten relativen Zuwächse an vollstationär versorgten gesellschaften (sog. Op-Co/PropCo-Modell). Hierbei Pflegebedürftigen werden in Berlin, Brandenburg verbleibt die Betriebsgesellschaft beim Betreiber und und Hessen erwartet. Durch die massive Verschie- die Immobiliengesellschaft wird an einen Immobilien- bung der Altersstruktur in den 2030er Jahren wird investoren (weiter-)verkauft. Diese Trennung erklärt der Zusatzbedarf bis 2035 in den meisten Regionen auch, warum Pflegeeinrichtungen heute den größten noch einmal deutlich höher ausfallen (siehe Abb. 04). Anteil am Marktvolumen der Gesundheitsimmobilien ausmachen und bereits einige Immobilieninvestoren in Räumlich differenziert wird künftig der stärkste ab- diese attraktive Assetklasse eingestiegen sind. solute Anstieg an zusätzlichem Pflegebedarf in den Städten erwartet, da in den letzten Jahrzehnten viele Bei aller Euphorie für eine Anlage in Pflegeimmobilien Menschen in die Städte gezogen sind und gleichzeitig bleiben dennoch das Betreiberrisiko und die Unsicher- die Umzugshäufigkeit im Alter sinkt. Das aktuelle Re- heit durch hohe politische und institutionelle Abhängig- gulierungs- und Marktumfeld trägt allerdings dazu bei, keit. Im Gegensatz zu anderen Immobilienmärkten han- dass der Neubau von Pflegeheimen in Kernstädten für delt es sich um einen stärker regulierten Markt, dessen private Entwickler ungünstiger ist als an peripheren Rahmenbedingungen in erheblichem Maße auch von Standorten. Neubauprojekte könnten damit eher dort politischen Leitlinien abhängig und infolge der föde- entstehen, wo mittel- bis langfristig die Nachfrage fehlt. ralen Struktur landesspezifisch ausgestaltet sind. Der Während in Großstädten gemessen an den zu erwar- Gesetzgeber hat sowohl für die Immobilie als auch für tenden Nachfragezuwächsen neue stationäre Pflege- den Betrieb umfassende Standards und Kontrollsys- einrichtungen in Zukunft fehlen könnten (Just/Plößl teme verankert, die u.a. Vorgaben zu Zimmergrößen, 2020). Ein weiterer limitierender Faktor auf der Ange- Gemeinschaftsflächen, Personalausstattung, Hygiene- P F L E G E I M M O B I L I E N I N E I N E R A LT E R N D E N G E S E L L S C H A F T 13
Abb. 04 Zusatzbedarf an Pflegeplätzen bis 2035 > 30% > 25 – 30% > 20 – 25% > 15 – 20% Kiel Rostock > 10 – 15% ≤ 10% Schwerin Hamburg Bremen Berlin Hannover Potsdam Magdeburg Düsseldorf Leipzig Dresden Erfurt Wiesbaden Mainz Saarbrücken Nürnberg Stuttgart München Quelle: Wüest Partner 2018 14 FOCUS 36
Tab. 01 * bis Maximalbetrag des Pflegegrades Kostenstruktur von Pflegeheimen ** Anghörige in direkter Linie Unterkunft und Verpflegung Pflege Investitionskosten Heizkosten Pflegeleistungen, Baukosten, Ausstattung Wasser, Strom Materialien € KOSTENARTEN Instandhaltung, -setzung, Hauswirtschaft Betreuung Sanierung, Modernisierung Reinigung Ärztliche Leistungen, Finanzierungskosten, Verpflegung, Freizeit Medikamente Verzinsung, Eigenkapital, Abschreibung, Leasing Therapien Miete, Pacht, Erbbauzinsen Vorrangig Bewohner Pflegekasse* Bewohner KOSTENTRÄGER Nachrangig 1 Angehörige** Bewohner Anghörige** Nachrangig 2 Sozialhilfeträger Angehörige** Sozialhilfeträger Nachrangig 3 Sozialhilfeträger Quelle: Just / Plößl 2020 standards bis hin zu Informations- und Dokumenta- pflegung sowie Pflege sind hingegen im Rahmen einer tionspflichten beinhalten (Simons et al 2019). Vor dem Immobilienbewertung nicht zu berücksichtigen, da die- Investment gilt es also, viele Unbekannte zum Beispiel se Zuschüsse zweckgebunden sind und von den Betrei- in puncto Wirtschaftlichkeit, Betreiberkonzept, Geset- bern nicht zur Deckung von Mieten eingesetzt werden zesrahmen, Betriebs- und Kostenstruktur zu durch- dürfen. Ausschlaggebend dafür sind u.a. der Anteil an leuchten. Ob das Investment in eine Pflegeimmobilie Einbettzimmern, der darüber entscheidet, wie intensiv Erfolg verspricht, hängt letztlich auch von Faktoren die Fläche genutzt werden kann. In den Bundesländern wie der zukünftigen Verfügbarkeit von Pflegekräften gibt es hierzu uneinheitliche Regelungen. So dürfen im Umfeld, der regionalen Reputation der Einrichtung, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen Neubauten nur der lokalen Heimleitung und der lokalen Wettbewerbs- noch Einzelzimmer bereitstellen, in Berlin wiederum situation ab. gilt eine Untergrenze von 60 Prozent für Einzelzimmer und in Bayern besteht die weiche Formulierung eines Maßgeblich für Bewertung von Pflegeimmobilien ist die angemessenen Anteils an Einzelwohnplätzen. Auch Kostenstruktur, die sich zusammensetzt aus Kosten bzgl. der für die Wirtschaftlichkeit von Pflegeeinrich- für Unterkunft und Verpflegung, Pflege sowie Investi- tungen relevanten Höchstanzahl an Betten (z.B. max. tionskosten. (Tab. 01) Letztere betreffen die direkten 80 in NRW) und der vorgeschriebenen Nutzfläche je gebäuderelevanten Kosten (Instandhaltung, Miete, Bett (z.B. mind. 40 Quadratmeter ohne Bad in NRW) Pacht etc.), die durch die Bewohner oder deren An- bestehen innerhalb Deutschlands unterschiedliche gehörige und wo dies nicht möglich ist, durch die So- Regelungen. Die regulatorischen Risiken zeigen sich zialhilfeträger getragen werden (Just/Plößl 2020). Die aktuell in Nordrhein-Westfalen, das ab Mitte 2021 als Investitionskosten machen jenen Teil des Pflegesatzes erste Landesregierung den Bestandsschutz der In- aus, der zur Refinanzierung der Immobilien und da- vestitionsfolgekosten im Mietmodell aufhebt. Nach mit der Mieten oder Pachten eingesetzt werden darf. Berechnungen des Bundesverbands privater Anbieter Üblicherweise liegt der IV-Anteil in einer Spanne von sozialer Dienste führt die Neukalkulation im Schnitt zu rund 12 bis 24 € pro Bett und Tag. Unterkunft und Ver- 20 bis 25 Prozent niedrigeren Investitionsfolgekosten, P F L E G E I M M O B I L I E N I N E I N E R A LT E R N D E N G E S E L L S C H A F T 15
wodurch gerade Betreiber mit langfristigen Mietverträ- Perspektivisch ist davon auszugehen, dass die Spe- gen in Schwierigkeiten geraten dürften (Terranus 2020). zialisierung in stationären Pflegeeinrichtungen weiter zunehmen wird. Im Fokus stehen besonders die Pfle- Trotz dieses Flickenteppichs unterschiedlicher Rege- ge von Demenzkranken sowie geriatrische, also al- lungen in 16 Landespflegegesetzen gelten Pflegeimmo- tersmedizinische Versorgungsangebote mit direktem bilien als krisenresistentes Investment, denn sie werden Anschluss an niedergelassene Strukturen (z.B. ambu- nicht nur reguliert, sondern auch gefördert. Die Mietzah- lante Ärzte- oder Therapiezentren) oder stationäre lungen der Bewohner werden im Bedarfsfall durch staat- Leistungserbringer (Krankenhäuser). Getrieben wird liche Unterstützung sichergestellt. Als Betreiberimmo- diese Entwicklung zum einen durch die Pflegeheim- bilien haben Pflegeheime außerdem in der Regel lange betreiber, die darin ein Differenzierungsmerkmal im Mietverträge von häufig mehr als 20 Jahren. Pflegeim- Wettbewerb sehen und auf eine gestiegene Nachfrage mobilien sind als konjunkturunabhängige Anlagen mit reagieren, aber auch die Pflegebedürftigen bzw. deren nachhaltigen Cashflows auch in der aktuellen rezessi- Angehörige haben gestiegene Anforderungen an sta- ven Wirtschaftsphase für Investoren attraktiv. Das zeigt tionäre Pflegekonzepte mit guter medizinischer und/ sich einerseits im hohen Marktanteil von Pflegeimmobi- oder therapeutischer Anbindung. Auch Krankenhäuser lien (72 Prozent) am Transaktionsvolumen von Gesund- wirken auf spezialisierte Pflegeangebote in Form von heitsimmobilien. Andererseits spiegeln die zuletzt auf Kurzzeitpflege in einem stationären Pflegesetting hin, etwa 4 Prozent gesunkenen Spitzenrenditen von Pfle- weil gerade ältere Patienten eine längere Rekonvales- geheimen die steigende Investorennachfrage und das zenz nach Operationen aufweisen. Die Kurzzeitpflege demgegenüber knappe Angebot wider. Für 2021 wird bietet somit neben höheren Investitionskosten einen erwartet, dass das Investitionsvolumen angesichts der attraktiven Entlasskanal zur Steuerung der mittleren steigenden Nachfrage allein durch das knappe Produkt- Verweildauer für noch immobile und vorübergehend angebot begrenzt wird (bulwiengesa 2021; CBRE 2021). stärker pflegebedürftige Patienten. 16 FOCUS 36
Zwischen Wohnen und Pflege: Betreutes Wohnen Sozusagen „zwischen“ dem Wohnen in den eigenen hin zu einem Full-Time-Serviceangebot mit moderater vier Wänden und der vollstationären Unterbringung in Betreuung. (Abb. 05) einer Pflegeeinrichtung ist das Konzept des Betreuten Wohnens einzuordnen. Häufig befinden sich Angebote Wunsch nach Individualität und Selbstständigkeit des Betreuten oder auch „Servicewohnens“ in direkter Nachbarschaft von Pflegeheimen oder sind unmittel- Insbesondere vor dem Hintergrund, dass aktuell bar an diese angeschlossen. Auch sind die Übergänge lediglich 2 Prozent des Wohnungsbestands bar- der beiden Wohnkonzepte mitunter fließend. Per De- rierearm ausgebaut und für viele im Alter Alleinste- finition (gif 2018) bietet das Betreute Wohnen neben hende die bisherige Wohnung zu groß ist, gewinnt altersgerecht ausgebauten Wohnungen (z.B. Barriere- Betreutes Wohnen vor allem für diejenigen an Be- freiheit) und einem höheren Anteil an Gemeinschafts- deutung, die die Pflege in den „eigenen vier Wän- flächen (z.B. Cafeteria) ein differenziertes Angebot den“ durch Angehörige oder ambulante Pflegediens- an Serviceleistungen (z.B. Reinigung). Im Gegensatz te bevorzugen. Rund 60 Prozent der Deutschen zu stationären Pflegeeinrichtungen gibt es allerdings planen auch im Alter in ihrer eigenen Wohnung zu weder bauliche noch qualitätsorientierte gesetzliche bleiben (Abb. 06). Dadurch ergeben sich neue Ange- Anforderungen. Der Umfang der erbrachten Service- botsfelder für die Immobilienwirtschaft (u.a. Betreutes leistungen sowie des Betreuungsaufwands variiert je Wohnen, Residenz). Neben den Grundvoraussetzun- nach Wohnkonzept und reicht von klassischem (bar- gen an die Immobilie wie Serviceangebote, Barriere- rierefreien) Wohnen ohne Service und Betreuung bis freiheit in der Wohnung und im Wohnumfeld müssen Abb. 05 Wohnformen nach Betreuungsaufwand und Serviceleistungen SERVICELEISTUNGEN Luxus Residenz Vollverpflegung Vollstationäre Pflege Ambulante Pflege Hotel n ne Wohn- oh gemeinschaft W es ut tre Frühstück Be ents d Service Reinigung Apar tm Concierge Ambulanter Ohne Wohnen Pflegedienst niedrig BETREUUNGSAUFWAND hoch Quelle: bulwiengesa 2020 P F L E G E I M M O B I L I E N I N E I N E R A LT E R N D E N G E S E L L S C H A F T 17
Abb. 06 Wohnpräferenzen der Deutschen im Alter n= 1048 Deutsche ab 40 Jahre; % gerundet 37% In den jetzigen vier Wänden – noch nicht barrierefrei. 23% In den jetzigen vier Wänden – bereits barrierefrei. 15% In neuer barrierefreier Wohnung. auch weitere Aspekte bei Standortentscheidungen 12% wie z.B. die barrierefreie und fußläufige Erreichbarkeit von Geschäften des täglichen Bedarfs, Arztpraxen Im Betreuten Wohnen, ggf. und Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs be- mit Serviceleistungen. rücksichtigt werden. Die zukünftige Hauptzielgruppe des Betreuten Wohnens, die Babyboomer-Genera- tion, ist gut ausgebildet und vermögend und bringt eine entsprechend hohe Zahlungsbereitschaft mit. Sie möchte ihren Lebensabend, sofern möglich, in 11% vertrauter Umgebung und möglichst selbstständig verbringen. Zunehmend gesucht werden dabei auch hochwertige betreute Wohnanlagen in guten Lagen, Im selbstbestimmten Projekt, z.B. Mehrgenerationenhaus. die sich in der Anmutung und Ausstattung deutlich von Standardpflegeeinrichtungen abgrenzen. Steigendes Investoreninteresse an Betreutem Wohnen 3% Der Markt für Seniorenwohnen ist aufgrund der feh- lenden Regulierung stark ausdifferenziert. Analog zur Bei Angehörigen. Sterne-Klassifizierung im Hotelgewerbe beurteilt die gif Wohnkonzepte des Betreuten Wohnens nach fünf Qualitätsstufen, wobei ein Stern die niedrigste und fünf Sterne die höchste Qualitätsstufe repräsentiert. We- Quelle: thyssenkrupp Encasa 2020 sentliche Qualitätskriterien für Wohnanlagen für Be- 18 FOCUS 36
Tab. 02 Übersicht der größten Betreiber von Pflegeeinrichtungen in Deutschland 2019 Rang Name Anzahl Pflegeplätze 1. Korian Gruppe (FR)** 26.884 2. Alloheim Senioren-Residenzen RE (SWE)** 22.000 3. Victor‘s Group (DE) ** 14.800 4. Orpea Deutschland GmbH ** 12.866 5. Kursana Residenzen GmbH ** 9.484 6. Azurit-Hansa-Gruppe ** 8.580 7. Johanniter Seniorenhäuser GmbH * 8.033 8. Evangelische Heimstiftung GmbH * 7.341 9. Arbeiterwohlfahrt * 6.782 10. DOREA GmbH ** 6.625 Art: * Gemeinnützig ** Privat Quelle: pflegemarkt.com treutes Wohnen sind Lage, Gebäude- und Wohnungs- gebote und kombinierte Einrichtungen mit Betreutem ausstattung und das Serviceangebot. Wenngleich die Wohnen, Tages- und Kurzzeitpflege sowie ambulant Nachfrage mit den steigenden Ansprüchen der zu- betreute Wohngemeinschaften zukünftig weiter an künftigen Generationen 65+ voraussichtlich zuneh- Relevanz gewinnen. Ebenso zu erwarten ist eine Be- men wird, ist das Premium-Segment mit vier und mehr deutungszunahme integrierter Pflegemodelle, also Sternen (noch) ein Nischenprodukt. Pflegeeinrichtungen, die stationäre Pflege mit anderen Wohnformen verbinden. Hierbei kann die stationäre Ähnlich wie bei rein stationär genutzten Pflegeimmo- Pflege durch eine Ergänzung um weitere Wohnformen, bilien bilden freigemeinnützige Träger mit 60 Prozent die bzgl. Miethöhe und baulichen Anforderungen weni- zwar noch den größten Anteil der Betreiber im Betreu- ger reguliert sind, teilweise quersubventioniert werden ten Wohnen (ZIA 2020). Viele, darunter auch auslän- (Just/Plößl 2020). dische, private Betreiber (z.B. Korian) gewinnen aber an Bedeutung und bauen derzeit ihren Bestand weiter aus, was vergleichbar zu den rein stationären Pflege- einrichtungen an der Trennung des Betreiber- und Im- 60% mobiliengeschäfts liegt. Wie bei anderen Gesundheits- immobilien ist die Qualität des Betreiberkonzeptes (und des Betreibers selbst) ausschlaggebend für die Attraktivität einer Wohnanlage mit Betreutem Wohnen als Investment. Bereits heute ist absehbar, dass eine flächendecken- de Versorgung der Pflegebedürftigen in Zukunft nicht allein durch rein stationäre Pflegeeinrichtungen rea- der Deutschen möchten auch im Alter in ihrer lisierbar ist. Daher werden alternative Wohnpflegean- eigenen Wohnung bleiben. P F L E G E I M M O B I L I E N I N E I N E R A LT E R N D E N G E S E L L S C H A F T 19
Abb. 07 Ambulante vs. stationäre Versorgung 2018 Ambulante Versorgung bei > 1 Mrd. Stationäre Krankenhausversorgung bei Arztkontakten 139,3 Mio. Behandlungstagen 98,5 Mrd. 718 Mio. Behandlungsfälle 5.088 € 41,1 Mrd. 19,5 Mio. 561 € Behandlungsfälle KOSTENANTEIL IN EURO VERSORGUNGSANTEIL KOSTEN PRO PATIENT Quelle: KBV 2021 20 FOCUS 36
Ärztehäuser und steigende Ambulanti- sierung Der Markt für ambulante Medizin befindet sich auf einem klaren Wachstumspfad, denn die Ambulantisierung in Deutschland gewinnt immer weiter an Bedeutung. Das bedeutet, dass ambulant-ärztliche Behandlungsfälle in den vergangenen Jahren gegenüber stationären Aufenthalten deutlich an Relevanz gewonnen und 2018 718 Mio. Fälle erreicht haben. Ambulanter Bereich mit starkem Wachstum Verbindung von ambulanten und stationären Versor- gungsteilen neu geordnet werden (Überwindung von Von dem wesentlichen Treiber in der medizinischen Sektorengrenzen hin zu einer integrierten Versor- Versorgung, der demografischen Entwicklung und gung). Zum anderen ist die ambulante Behandlung der damit verbundenen Verschiebung der Konstitu- von Patienten wesentlich kosteneffizienter, wodurch tion von Patienten (u.a. höhere Lebenserwartung mit die Zielsetzungen von Gesetzgeber und Kostenträger, erhöhter Wahrscheinlichkeit der Multimorbidität, d.h. die in der Gesamtversorgung eine optimale Qualität das gleichzeitige Bestehen mehrerer Krankheiten bei und Leistung zu möglichst geringen Kosten anstreben, einer einzelnen Person oder chronischer Erkrankung) weiter Aufwind erfahren wird. Pro behandeltem Pati- sowie dem zunehmenden Gesundheitsbewusstsein in enten kostet die ambulante Versorgung in einer Praxis der Bevölkerung, wird die ambulante Medizin ggü. der durchschnittlich 561 €, die stationäre Krankenhaus- stationären Leistungserbringung überproportional versorgung dagegen 5.088 € (KBV 2020). (Abb. 07) stark profitieren. Dies begründet sich zum einen im medizinisch-technischen Fortschritt und in modernen Auch wenn die Behandlungsleistungen hier nicht direkt Behandlungskonzepten, die immer häufiger stationäre vergleichbar sind, illustriert der Kostenunterschied Aufenthalte überflüssig machen oder verkürzen kön- welche Einsparpotentiale in der ambulanten Versor- nen. So können beispielsweise mittels neuer Verfah- gung liegen. Experten schätzen, dass 15 bis 20 Prozent ren Nebenwirkungen und Risiken von Behandlungen der stationären Fälle auch ambulant behandelt werden minimiert werden (z.B. durch minimalinvasive OPs) könnten. Derzeit bestehen allerdings noch Fehlanrei- oder dank verbesserter Technologien in der Diag- ze in der Vergütungsstruktur, wodurch das ambulante nostik die Identifizierung von Krankheitsursachen und Potential noch nicht ausgeschöpft wird. So wird etwa ihre gezieltere Behandlung vorangetrieben werden. eine identische Operation stationär höher vergütet als Dadurch kann das stationäre Leistungsgeschehen ambulant. Künftig ist davon auszugehen, dass die Kos- in Krankenhäusern durch ambulante Versorgung zu- tenträger hier regulierend eingreifen werden und die nehmend substituiert werden oder durch intelligente Ambulantisierung weiter an Dynamik gewinnen wird. ÄRZTEHÄUSER UND STEIGENDE AMBULANTISIERUNG 21
Medizinische Versorgungszentren auf dem Vormarsch jungen Mediziner gewandelt. So schätzt die junge Ärz- tegeneration die bessere Vereinbarkeit von Beruf und In Deutschland stellen rund 170.000 Ärzte und Psy- Familie durch z.B. feste Arbeitszeiten im Angestellten- chotherapeuten die ambulante vertragsärztliche Ver- verhältnis bei stark verminderter betriebswirtschaftli- sorgung sicher. Davon arbeiten immer mehr Ärzte in cher Verantwortung. Dazu trägt auch die zunehmen- kooperativen Strukturen. So ist die Anzahl der in Be- de Feminisierung des Ärzteberufs bei, die den Bedarf rufsausübungsgemeinschaften und Medizinischen flexibler Arbeitszeitmodelle (u.a. höhere Nachfrage Versorgungszentren (MVZ) tätigen Ärzte deutlich nach Teilzeit) deutlich ansteigen lässt. Auch die enge stärker angestiegen als in Einzelpraxen. 2010 arbeite- Zusammenarbeit mehrerer Fachrichtungen mit kurzen ten knapp 8.500 angestellte Ärzte in MVZ. Mittlerweile Wegen sowie der leichtere fachliche Austausch wer- sind es mehr als 21.500. Die Gesamtzahl der MVZ hat den zunehmend als Vorteil gesehen. Viele, vor allem sich in dieser Zeit von etwa 1.650 auf rund 3.540 mehr junge Ärzte tendieren zu mehr Kooperation und Spe- als verdoppelt. Parallel gab es einen Rückgang der zialisierung. Ferner werden in MVZ Organisations- und hausärztlichen Einzelarztpraxen um rund 16,2 Prozent Verwaltungsarbeiten in der Regel zentral organisiert auf ca. 28.000. (Abb. 08) und von Verwaltungspersonal übernommen. Die zunehmende Beliebtheit des MVZ fußt u.a. auf Von der Bündelung der Kapazitäten und Kompetenzen dem aktuellen Generationenwechsel der Ärzteschaft. an einem Standort profitieren auch die Patienten, in- Das Durchschnittsalter der Ärzte und Psychothera- dem das Angebotsspektrum der Versorgungsleistun- peuten ist in den vergangenen zehn Jahren von rund gen größer ist, Wartezeiten sich in der Regel verkürzen 51,9 (2009) auf 54,3 (2019) Jahre gestiegen. Über ein und redundante Untersuchungen vermieden werden Drittel der Hausärzte ist bereits über 60 Jahre alt. Der können. Darüber hinaus kann die Qualität der medizi- hohe Anteil der Ärzte im Renteneintrittsalter in eini- nischen Behandlung durch Spezialisierung und engere gen Arztgruppen macht deutlich, dass dort ein ent- Kooperation entlang des „Patient Journeys“, also des sprechender Nachbesetzungsbedarf von Arztsitzen Weges eines Patienten durch seine Erkrankung, er- entsteht. Jedoch hat sich das Selbstverständnis der höht werden. Abb. 08 Entwicklung niedergelassener Ärzte nach Praxisstrukturen in den letzten 10 Jahren (in Anteilen) Anteil in 2010 2019 Einzelpraxen 59,7% 55,0% Gemeinschafts- praxen 34,4% 32,2% MVZ 5,8% 12,8% Quelle: KBV 2021 22 FOCUS 36
MVZ unterliegen in Deutschland insofern einer star- ken Regulierung, dass eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an einem MVZ ausschließlich Medizinern mit kassenärztlicher Zulassung und Krankenhäusern vorbehalten ist. Wenn sich Investoren an einem MVZ beteiligen wollen, müssen sie entsprechend den Um- weg über ein sog. Plankrankenhaus, das dann als MVZ Trägervehikel dient, gehen. Dieses Plankrankenhaus muss ein Krankenhaus mit Versorgungsvertrag (gem. §108 SGB V) und damit Teil des Landesbettenplans eines Bundeslandes sein. Unter dieses Trägervehi- kel können dann grundsätzlich beliebig viele MVZ an beliebig vielen Orten angedockt werden. In MVZ wiederum können theoretisch beliebig viele KV-Sitze (Kassenärztliche Vereinigung) eingebracht werden, wobei mindestens zwei KV-Zulassungen für ein MVZ verpflichtend sind. Anders als in der Gemeinschafts- praxis bringen Ärzte bei Eintritt in ein MVZ ihren KV- Sitz fest ein und wechseln dann in ein Angestelltenver- hältnis. Bei Verlassen des MVZs verbleiben die Sitze im MVZ und können, auch anteilig (z.B. als Halbtags- stellen), mit angestellten Ärzten neu besetzt werden. In Abgrenzung zu Praxisgemeinschaften, die als Part- nerschaft von selbstständigen Ärzten funktioniert, er- leichtert ein MVZ die Anstellung von Ärzten. Die Größe und Bandbreite der angebotenen medizini- schen Leistungen der MVZ sind gesetzlich nicht gere- gelt, unterliegen aber de facto der Regulierung durch die kassenärztliche Vereinigung, die bei etwaigen tät bei Praxen und MVZ nach wie vor hoch und wird es Veränderungen einer MVZ Struktur (z.B. bei Vergabe, auch bleiben. Erwerb oder Einbringung von KV-Sitzen) zustimmen muss. Mit Blick auf die Realität zeigt sich bei MVZ ein Ärztehäuser aus Immobiliensicht breites Kontinuum, das von der fachgleichen Zweier- praxis über poliklinisch aufgestellte Standorte mit Die Begriffe MVZ und Ärztehaus werden im Zusam- zwanzig und mehr Ärzten bis hin zu ausgedehnten Fi- menhang mit der Immobilie häufig synonym verwendet lialnetzen mit vielen Zweigpraxen reicht. und werden nicht trennscharf begrifflich definiert. Wie beschrieben, sind Medizinische Versorgungszentren In den letzten Jahren haben sich in vielen Fachrich- zunächst mal losgelöst von der immobilienwirtschaft- tungen (z.B. in der Augenheilkunde, Radiologie, Zahn- lichen Perspektive neben Einzel- oder Gemeinschafts- medizin) spezialisierte MVZ Ketten etabliert. Dieser praxen eine Kooperationsform bzw. gesellschaftsrecht- Trend hat besonders davon profitiert, dass seit 2015 liche Form, die bestimmt, wie Ärzte zusammenarbeiten ein MVZ keine fachübergreifende Versorgung mehr und abrechnen können. Die Begriffe Arzthäuser oder anbieten muss und somit auch „fachgleiche“ MVZ, auch Facharztzentren wiederum beziehen sich auf die wie zum Beispiel reine Haus-/Allgemeinarzt MVZ oder Immobilie, in der ambulanten Leistungen erbracht wer- spezialisierte fachärztliche MVZ zulässig sind. Die den. In einem Ärztehaus können damit generell mehre- Konsolidierung und Kettenbildung v.a. in Facharztdis- re MVZ, Einzel- oder Gemeinschaftspraxen (oder auch ziplinen wurde hierbei ganz wesentlich durch Finanz- ein Mix von allen) untergebracht bzw. Mieter sein. Ge- investoren vorangetrieben und ist weiterhin im vollen rade bei großen Ärztehäusern kann dadurch ein großes Gange. Neben den MVZ Ketten sind natürlich auch Spektrum an allgemein- und fachärztlichen Angeboten Krankenhausbetreiber bei MVZ aktiv, um damit v.a. an einem Ort zusammengeführt werden. Dadurch kön- Zuweiser für ihr stationäres Geschäft zu gewinnen und nen integrierte Versorgungsstrukturen mit Gesund- die Wertschöpfung auch in den ambulanten Bereich heitsleistungen, ähnlich wie bei den Polikliniken in der auszuweiten. So ist insgesamt die Transaktionsaktivi- ehemaligen DDR, (Joeris 2019) entstehen. ÄRZTEHÄUSER UND STEIGENDE AMBULANTISIERUNG 23
Entscheidend für das Standort- und Raumkonzept die- zent) von Ärzten und Psychotherapeuten Zulassungs- ser Immobilien ist die intelligente Verknüpfung des me- beschränkungen für die jeweilige Arztgruppe, welche dizinischen Angebotes in die jeweilige Versorgungs- die Möglichkeiten für die Gründung und Erweiterung region, damit Vorteile und Synergien für die Mieter eines MVZ und damit auch Vermietbarkeit der Immo- entstehen und ein vom Patienten wahrgenommenes bilien einschränken (Joeris 2019; KVB 2021; CBRE/ Differenzierungsmerkmal der Einrichtung entsteht. Hamburg Team 2019). Daher werden Ärztehäuser mittlerweile immer häufiger durch sogenannte Komplementäreinrichtungen, zu de- Die Drittverwendungsfähigkeit der speziellen Gesund- nen beispielsweise Apotheken, aber auch Sanitätshäu- heitsimmobilien hängt maßgeblich von den bautechni- ser, Physiotherapeuten/Therapiezentren, Fitnessstu- schen und standortspezifischen Rahmenbedingungen dios sowie weitere Geschäfte aus dem medizinischen ab. Generell sollte der Grundriss von Ärztehäusern Bereich wie Optiker und Hörgeräteakustiker oder aus und MVZ möglichst flexibel sein, um diesen bei Mie- dem gesundheitsnahen Bereich wie Reformhäuser terwechsel anpassen zu können. Warteräume sollten oder Drogerien gehören können, ergänzt. vom Empfangsbereich hörbar getrennt sein, um Ver- traulichkeit zu gewährleisten. Immer mehr zum Stan- Generell lassen sich diese Gesundheitsimmobilien dard werden auch barrierefreie Räumlichkeiten sowie in zwei Typen unterscheiden: behindertengerechte Ausstattungen wie zum Beispiel mehrere Fahrstühle, von denen zumindest einer auch — Alleinstehende Immobilien (Stand alone) mit den Liegend-Transport ermöglichen sollte. Schließlich einem breiten Mietermix aus Praxen (u.a. MVZ) und müssen Räumlichkeiten für Radiologie, Strahlenthe- ggfs. weiteren Dienstleistungs- und Handelsangebo- rapie oder Nuklearmedizin besondere Anforderungen ten aus dem Bereich Gesundheit, womit für den Pa- im Hinblick auf den Strahlen- und Lärmschutz sowie tienten ein ambulantes Zentrum mit One-Stop-Shop die Bodentraglast erfüllen (Joeris 2019). Perspekti- Charakter geschaffen wird, in dem die Mieter mit ihren visch wird die Verlagerung von ambulanten Eingriffen medizinischen und nichtmedizinischen Angeboten di- in ambulante OP-Zentren auch neue Anforderungen rekt und indirekt voneinander profitieren für die Immobilien mit sich bringen. — Immobilien in räumlicher und inhaltlicher An- Im angelsächsischen Raum sind Ärztehäuser als so- bindung an stationäre Einrichtungen wie Krankenhäu- genannte Medical Office Buildings bereits als Kate- ser oder Reha-Kliniken, aber teilweise auch Pflege- gorie fester Bestandteil der Assetklasse Gesund- heime, wodurch das ambulante medizinische Angebot heitsimmobilie. Auch in Deutschland gewinnen diese eines Ärztehauses die stationäre Versorgung ergänzt Immobilien immer größeres Interesse bei Investoren. und beide Bereiche voneinander profitieren Durch den Vormarsch der MVZ und der fortschreiten- den Konsolidierung im ambulanten Bereich v.a. durch Bezüglich des Standortes bieten gerade Metropolre- Private Equity finanzierte MVZ Ketten, aber auch die gionen und Großstädte mit nachhaltigen demografi- Klinikbetreiber, werden Ärztehäuser eine immer stär- schen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen kere Etablierung als institutionelle Anlageklasse er- sowie einer überregionalen Bedeutung in der me- fahren. Durch den bereits eingeschlagenen Weg der dizinischen Versorgung ideale Voraussetzungen für Politik, die medizinische Versorgung von stationären Betreiber und Investoren. Innerhalb der Städte sind in ambulante Strukturen zu verlagern, könnte den zentrale Stadtteillagen, Standorte mit Anbindung an Ärztehäusern noch eine große Zukunft bevorstehen. Krankenhäuser, gewachsene Standorte mit einer gu- Sie könnten bei einer Strukturbereinigung der Kran- ten Erreichbarkeit und einer suffizienten Anzahl mög- kenhauslandschaft z.B. in ländlichen Regionen kleine lichst kostenfreier und ausreichend groß bemessener Krankenhäuser ersetzen und damit Teil einer „neuen Pkw-Stellplätze als besonders nachhaltig einzustufen. Regelversorgung“ werden. Aufgrund der Regulatorik, Wobei in Einzelfällen größere Gesundheitshäuser/ der regionalen Unterschiede und der hohen Bedeu- Facharztzentren mit einem breiten Angebot vor Ort tung verschiedener einzugsgebietsrelevanter sozio- und mit einem hohen Bekanntheitsgrad selbst eine ökonomischer und -demografischer Parameter sowie gute Lage schaffen können. Für Gesundheitsimmobi- der signifikanten Betreiberbedeutung wird spezifi- lien gilt allerdings generell die Besonderheit, dass bei sches Know-how unabdingbar sein, um in diesem Seg- der Standortwahl die Bedarfsplanung für bestimmte ment erfolgreich und nachhaltig zu investieren. ärztliche Fachrichtungen nicht außer Acht gelassen 1 Der Versorgungsgrad einer Region wird ermittelt, indem zwischen dem werden darf. Bundesweit bestehen in Planungsberei- Ist-Niveau des tatsächlichen Einwohner-Arzt-Verhältnisses und dem Soll- chen mit zu hohen Versorgungsgraden1 (ab 110 Pro- Niveau der Verhältniszahl verglichen wird. 24 FOCUS 36
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