Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG

Die Seite wird erstellt Kjell Holz
 
WEITER LESEN
Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
Focus
             No. 36 / 2021

Healthcare
Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
Editorial
                        Sehr geehrte Damen und Herren,

                        die Lebenserwartung hat in den letzten Jahrzehnten in (fast) allen Ländern der Erde
                        stetig zugenommen. Gängige Prognosen gehen davon aus, dass sich diese Entwick-
                        lung in den nächsten Jahrzehnten fortsetzt. Deutschland ist mit einem durchschnittli-
                        chen Alter von rund 46 Jahren derzeit das Land mit der weltweit zweitältesten Bevöl-
                        kerung. Im Jahr 2060 wird ein Drittel der deutschen Bevölkerung 65 Jahre und älter
                        sein und es werden doppelt so viele 70-Jährige leben, wie Kinder geboren werden.
                        Die Lebenserwartung der dann Geborenen wird für Frauen auf bis zu 90 Jahre und für
Dr. André Scharmanski   Männer auf bis zu 86 Jahre geschätzt. Mit solchen Entwicklungen sind weitreichende
Leiter Research         Implikationen für den Gesundheitssektor verbunden. Durch die steigende Lebens-
                        erwartung und der damit zunehmenden Alterung unserer Gesellschaft wird die Zahl
                        der Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen steigen, was wiederum die
                        Nachfrage nach Pflegeheimplätzen, medizinischen Leistungen (ambulant, stationär)
                        und Reha-Maßnahmen antreiben wird.

                        Die hohe Vorhersehbarkeit dieses Wachstumspfades trägt dazu bei, dass Gesund-
                        heitsimmobilien bei institutionellen Investoren trotz hoher Regulierungsdichte und
                        bundesweit uneinheitlichen Regelsets hoch im Kurs stehen. Denn im Gegensatz zu
                        anderen Assetklassen ist die Nachfrage und damit die Vermietungssicherheit weni-
                        ger kurzfristigen Markt- und Konjunkturschwankungen unterworfen, sondern hängt
                        in erster Linie von der gut prognostizierbaren demografischen Entwicklung ab. Der
                        aktuelle Quantum Focus No. 36 „Healthcare“ analysiert die jeweiligen Rahmenbe-
                        dingungen, Chancen und Herausforderungen der verschiedenen Teilsektoren des
                        Gesundheitsmarktes, angefangen von Pflegeeinrichtungen, über Ärztehäuser bis hin
                        zu Krankenhäusern und Reha-Kliniken und gibt Antworten auf grundlegende Fragen:
                        Wie sieht die jeweilige Gesetzeslage aus? Worauf sollten Betreiber und Investoren bei
                        der Auswahl von Standorten und Objekten besonders achten? Essentiell für nach-
                        haltige Investmententscheidungen ist dabei eine detaillierte Marktkenntnis, denn
                        all diese Gebäudetypen weisen jeweils sehr spezifische Nutzungserfordernisse und
                        regulatorische Besonderheiten auf, weswegen der Gesundheitsimmobilienmarkt als
                        besonders komplex gilt.

                        Wir freuen uns, wenn der Focus Ihr Interesse findet und wünschen Ihnen eine auf-
                        schlussreiche und interessante Lektüre!

                        Dr. André Scharmanski

                                              FOCUS 36                                                     1
Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
Seite 26
                             Krankenhäuser im Strukturwandel

                                                       Seite 10
               Pflegeimmobilien in einer alternden Gesellschaft

2   FOCUS 36
Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
Inhalt
4    Healthcare – ein Rückblick
     aus dem Jahr 2060

8    Investmentmarkt mit
     Gesundheitsimmobilien

10   Pflegeimmobilien in einer
     alternden Gesellschaft

21   Ärztehäuser und steigende
     Ambulantisierung

26   Krankenhäuser im Strukturwandel

32   Rehabilitierungseinrichtungen

36   Interview mit
     Constantin Gutknecht

38   Kurz & knapp

                    H E A LT H C A R E   3
Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
4   FOCUS 36
Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
Healthcare – ein
Rückblick aus dem
Jahr 2060

Mehr als ein Zehntel der Weltbevölkerung ist über 80         Gleichzeitig sind sie deutlich anfälliger für psychische
Jahre alt. Mit immer besseren medizinischen Voraus-          Erkrankungen. Beides führt dazu, dass zwar auch die-
setzungen ist die durchschnittliche Lebenserwartung          ser Teil der Bevölkerung älter wird als noch 40 Jahre
in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen und liegt     zuvor, jedoch auch früher pflegebedürftig.
in Deutschland bei 90 bzw. 86 Jahren (Frauen/Män-
ner). Über 100-Jährige sind keine Seltenheit. Nicht nur      Im Gegensatz dazu ist ein anderer Teil der Älteren
die Lebenserwartung ist gestiegen, auch die Situation        deutlich fitter und aktiver als es dieselbe Altersgrup-
der hochaltrigen Bevölkerung hat sich verändert, und         pe noch vor 40 Jahren war. Durch ein zunehmendes
das in zwei Richtungen.                                      Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil und ein
                                                             gesundes Wohnumfeld halten sich viele Menschen
Die fortschreitende Digitalisierung hat – trotz der Vor-     körperlich und mental fit (Downaging). Pandemien,
teile, die sie mit sich bringt – bei einem Teil der Bevöl-   wie das Coronavirus in 2020/21 sowie weitere welt-
kerung zu einem Verfall der körperlichen und geisti-         weite Infektionskrankheiten, haben zu Veränderun-
gen Fitness geführt. Technologien wie Virtual Reality        gen im Hygieneverständnis und im Sozialverhalten
ermöglichen die Teilnahme an privaten oder beruf-            geführt. Durch medizinische Fortschritte können ver-
lichen Treffen in virtuellen Welten unabhängig vom           schiedenste Krankheitsbilder behandelt oder sogar
physischen Aufenthaltsort. Während körperlich einge-         verhindert werden. Die meisten der über 80-Jährigen
schränkte Personen oder viel reisende Menschen von           können und wollen selbstbestimmt leben. Neue Tech-
diesen Möglichkeiten profitieren, verleiten sie andere       nologien, insbesondere in den Bereichen Mobilität,
dazu, die eigenen vier Wände kaum noch zu verlassen.         Kommunikation und Smart Home Anwendungen, hel-
Lebensmittel, Genuss- und Konsumprodukte können              fen denjenigen, die trotz körperlicher Einschränkun-
bequem nach Hause bestellt werden. Arztbesuche,              gen eigenständig am gesellschaftlichen Leben teilha-
Beratungstermine oder Behördengänge können digi-             ben wollen.
tal stattfinden. Durch ein unerschöpfliches Angebot
an virtuellem Entertainment und digitaler Kommunika-         Gesundheit hatte noch nie einen so hohen Stellenwert
tion bewegen sich viele Menschen kaum noch, was zu-          wie 2060. Das Wissen um den menschlichen Körper
lasten der körperlichen Fitness und Gesundheit geht.         und seine Funktionen hat sich mit zunehmend differen-

                                                                                                                  5
Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
zierter Individualdiagnostik, neuen, wissenschaftlich       gepersonal wird durch Pflegeroboter, Supersensoren
fundierten Heilmethoden, aber auch einem gestärk-           und Nanobots zunehmend entlastet und kann sich als
ten Gesundheitsbewusstsein stetig erweitert. Wesent-       „Gastgeber“ immer mehr um das Wohl der Patienten
lich dazu beigetragen haben digitale Anwendungen für        kümmern. Der Fokus der Gesundheitsleistungen liegt
Smartphones, Sport-Armbänder oder andere tragba-            nun neben der Digitalisierung und dem stärkeren Ein-
re Geräte, die sich in erster Linie an gesunde Nutzer       satz künstlicher Intelligenz auf der Bereitstellung um-
richten und zum ständigen Begleiter entwickelt haben.       fassender spezialisierter Dienste durch dynamische
Sie motivieren ihre Nutzer, gesteckte Fitnessziele zu       lokale bzw. regionale Netze, wodurch der Patient zu-
erreichen, auf eine gesunde Ernährung und einen ent-        nehmend in den Mittelpunkt der Versorgung gestellt
sprechenden Lebensstil zu achten. Dabei zeichnen sie        wird. Das traditionelle Krankenhaus, das lange Zeit
kontinuierlich auch Vitalwerte auf und führen diese         das gesamte Servicespektrum in einem zentralen Ge-
Daten mit medizinischen Informationen des Patienten         bäude aus einer Hand anbot, hat ausgedient.
in einer ganzheitlichen elektronischen Patientenakte
zusammen. Somit wird der Patient immer mehr befä-          Die Bedeutung des Gesundheitsmarktes spiegelt sich
higt seine eigenen und bessere Gesundheitsentschei-        nicht zuletzt auch auf dem Immobiliensektor wider.
dungen zu treffen. Und im Bedarfsfall steht der Arzt für   2060 übertrifft das Investment in Healthcare-Immo-
ein persönliches Gespräch am Smartphone zur Ver-           bilien im institutionellen Bereich erstmalig das Trans-
fügung. Vor dem Hintergrund einer alternden Gesell-        aktionsvolumen auf den Büro- und Wohnungsmärk-
schaft und einer steigenden Anzahl pflegebedürftiger       ten. Mit dem demografischen Wandel und der starken
Menschen werden seit Jahren immer mehr Entschei-           Resilienz in den vergangenen Krisen stehen Gesund-
dungen mit Hilfe von Gesundheitsmonitoring, Teleme-        heitsimmobilien ganz klar im Anlagefokus. Neben
dizin und künstlicher Intelligenz im häuslichen Umfeld     herkömmlichen Immobilienarten wie Pflegeeinrich-
des Patienten getroffen. Grundvoraussetzung dafür          tungen, Ärztehäusern, Krankenhäusern und Reha-Kli-
ist auch die konsequente Umsetzung von Barrierefrei-       niken drängen neue Versorgungsformen mit gesund-
heit sowie altersgerechter Aus- und Umbauten in den        heitsorientierten Angeboten in den Wachstumsmarkt
Wohnungen, welche durch staatliche Förderungen in          Gesundheit. Das Spektrum reicht hierbei von Franchi-
den letzten Jahrzehnten angetrieben wurde.                 se-MVZ in Supermärkten, digitalen Kliniken, Express-
                                                           Praxen in Einkaufszentren über Patientenhotels und
Auch in Krankenhäusern, ambulanten Ärztezentren,           Spezialressorts, in denen Therapien und Operatio-
Reha-Kliniken und in der Pflege zeigt sich die Ge-         nen unter Urlaubsbedingungen durchgeführt werden,
sundheitswelt individueller, schneller, vernetzter und     bis hin zu dezentralen „Mini-Max-Kliniken“ mit vielen
digitaler. Mehr und mehr Tools ersetzen dabei alt-         kleinen Einheiten (Health-hubs). Stark an Bedeutung
hergebrachte Gerätschaften und analoge Prozesse.           zugenommen haben auch sogenannte intersektorale
So wird die Visite per Tablet erledigt, Vitalfunktionen    Versorgungskonzepte, die ähnlich wie Shoppingcen-
werden nicht mehr per Stethoskop abgehört, sondern         ter mit einer hohen Vielfalt an Gesundheitsangeboten
mit einem App-gestützten, kabellosen Sonographie-          an einem Ort und damit kurzen Wegen überzeugen. In
System überprüft und gerade körperlich anstrengen-         diesem Feld haben sich gerade in Großstädten Ge-
de Arbeit in der Pflege oder chirurgische Eingriffe im-    sundheitsquartiere herausgebildet, die in einer Cam-
mer mehr von autonomen oder halbautonomen Robo-            puslogik gleichermaßen Maßnahmen zur Prävention,
tern übernommen und präzisiert. Durch Hologramme           Behandlung, Nachsorge und ergänzende Lifestyle-
oder Avatare können sogar in abgelegenen Regionen          Komponenten wie Wellness- oder Fitnessangebote,
Operationen auf hohem medizinischem Niveau und             aber auch Versorgung mit Heil- und Hilfsmittel oder
relativ kostengünstig durchgeführt werden. Das Pfle-       gesundheitsnahen Konsumgütern anbieten.

6                                                    FOCUS 36
Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
2060 übertrifft das Investment
in Healthcare-Immobilien im
institutionellen Bereich erstmalig
das Transaktionsvolumen auf den
Büro- und Wohnungsmärkten.

                  H E A LT H C A R E   7
Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
Investmentmarkt mit
Gesundheitsimmobilien

Springen wir zurück ins Jahr 2021. Ein Blick auf das    höchsten Shareholder Returns, wodurch der Appetit
Transaktionsgeschehen bekräftigt das Zukunftssze-       von Finanzinvestoren auf Investitionsmöglichkeiten im
nario 2060. Das Investoreninteresse an Pflegeeinrich-   Gesundheitswesen ungebrochen ist.
tungen, Ärztehäusern, Krankenhäusern und Reha-Kli-
niken hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Mit   Das Gesundheitswesen ist aber nicht nur auf Betreiber-
knapp 4 Mrd. € wurde 2020 ein neues Rekordergebnis      sondern auch auf der Immobilienseite ein hoch attrak-
mit Gesundheitsimmobilien erzielt. Das Immobilien-      tiver Markt. Denn im Gegensatz zu anderen Assetklas-
transaktionsvolumen lag damit 68 Prozent über dem       sen ist bei Gesundheitsimmobilien die Nachfrage und
Vorjahreswert (BNP Paribas 2021). Auch 2021 deutet      damit die Vermietungssicherheit weniger den Markt-
vieles auf ein wiederholt hohes Transaktionsvolumen     und Konjunkturschwankungen unterworfen, sondern
auf dem Gesundheitsimmobilienmarkt hin.                 hängt in erster Linie von der demografischen Entwick-
                                                        lung (u.a. veränderte Altersstruktur und steigende Le-
Die zunehmende Beliebtheit dieses Sektors hängt eng     benserwartung) ab. Letztere kann bereits heute für die
zusammen mit der Konsolidierung und Professionali-      nächsten Jahrzehnte relativ genau kalkuliert werden.
sierung des stark fragmentierten Betreibermarktes im    So lautet auch eine bekannte Formel des Ökonomen
Gesundheitswesen. Dazu beigetragen hat gerade das       David Foot: „Two thirds of everything can be explained
zunehmende Engagement von Private Equity Inves-         by demographics”. Diese Vorhersehbarkeit schätzen
toren, welche die Konsolidierung im Healthcare-Seg-     Investoren, denn die Entwicklung in diesem Segment
ment sowohl im stationären als auch im ambulanten       verläuft damit deutlich weniger zyklisch. Diese Resi-
Bereich deutlich angetrieben haben. Neben Unter-        lienz wird aus Investorensicht vor allem durch stabile
nehmen aus der Technologiebranche erwirtschaf-          Cashflows der langlaufenden Mietverträge, die attrak-
teten Investitionen im Bereich Healthcare Services      tiven Renditen im Vergleich zu anderen Assetklassen
in den letzten 10 bis 15 Jahren durchschnittlich die    sowie die steigende Professionalisierung bzw. Konso-
                                                        lidierung der Betreiber, wodurch Ausfallrisiken besser
                                                        mitigiert werden können, weiter untermauert.

David Foot: „Two                                        Beim Blick auf das Investitionsvolumen im Bereich
                                                        Gesundheitsimmobilien entfielen mehr als zwei Drit-
                                                        tel in 2020 auf Pflegeimmobilien, aber auch andere
thirds of everything                                    Gesundheitsimmobilien (wie etwa Ärztehäuser oder
                                                        Kliniken) gewinnen zunehmend an Bedeutung und

can be explained by                                     haben ihren Anteil in den letzten 5 Jahren mehr als
                                                        verdoppelt. Diese hohe Nachfrage spiegelt sich in
                                                        der Renditekompression wider. So notierte die Net-
demographics”                                           to-Spitzenrendite für hochwertige, moderne Gesund-
                                                        heitsimmobilien Ende 2020 bei nur noch 4,00 Prozent
                                                        und hat damit allein in den letzten vier Jahren um mehr

8                                                 FOCUS 36
Healthcare - No. 36 / 2021 - Quantum AG
Abb. 01
              Investitionsvolumen und Renditeentwicklung Health Care im Vergleich

                                               Healthcare                    Büro                        Wohnen

                                               Rendite Healthcare            Rendite Büro                Rendite Wohnen (Bestand, Ø Top 5)

                                                 35.000
                                                35.000                                                                                                 8,0%
                                                                                                                                                       8,0%
                                   in€Mio. €

                                                30.000
                                                30.000                                                                                                 7,0%
                                                                                                                                                       7,0%

                                                                                                                                                       6,0%

                                                                                                                                                                                      in %
                                                                                                                                                       6,0%
                                                 25.000
                                                25.000
          Investitionsvolumen in Mio.

                                                                                                                                                                   Spitzenrenditen in %
                                                                                                                                                       5,0%
   Investitionsvolumen

                                                                                                                                                       5,0%

                                                                                                                                                                Spitenrendite
                                                20.000
                                                20.000
                                                                                                                                                       4,0%
                                                                                                                                                       4,0%
                                                    15.000
                                                15.000
                                                                                                                                                       3,0%
                                                                                                                                                       3,0%
                                                    10.000
                                                10.000
                                                                                                                                                       2,0%
                                                                                                                                                       2,0%

                                                    5.000
                                                5.000                                                                                                  1,0%
                                                                                                                                                       1,0%

                                                0           0                                                                                          0,0%
                                                                                                                                                       0%
                                                                    2012
                                                                    2012            2014
                                                                                    2014           2016
                                                                                                    2016             2018
                                                                                                                      2018             2020
                                                                                                                                        2020

                                                            Health Care                     Büro                                  Wohnen
                                                                                                                                             Daten: BNP Paribas 2021

                                                            Rendite Health Care             Rendite Büro                          Rendite Wohnen

als 150 Basispunkte nachgegeben. Kurz- bis mittel-                                                       friktionsfreie Verzahnung)
fristig wird das Investitionsvolumen angesichts der                                                  –   akuter Fachkräftemangel (v.a. im ländlichen Raum)
großen Investorennachfrage lediglich durch das Pro-                                                  –   Digitalisierung (u.a. digitale oder digital unterstützte
duktangebot begrenzt sein. Ein weiterer Rückgang der                                                     Versorgung)
Spitzenrendite auf rund 3,25 Prozent bis 2022 wird er-                                               –   Patientendaten und Umgang (Datenschutz)
wartet. (Abb. 01)                                                                                    –   Entlastung des Personals (z.B. von administrativen
                                                                                                         Tätigkeiten)
Ob nun das Gesundheitssegment, wie im Zukunfts-                                                      –   regulatorisches Umfeld (v.a. Vereinheitlichung und
szenario dargestellt, weiter zur Hauptanlageklasse                                                       Zentralisierung von föderalen Strukturen – Gesund-
reüssieren wird, wird davon abhängen, inwieweit das                                                      heit ist zu häufig im Hoheitsgebiet der Bundesländer)
deutsche Gesundheitssystem die aktuellen und zu-
künftigen Herausforderungen auf dem Weg zu einer                                                      All das sind seit Jahren adressierte, aber politisch nicht
modernen, zeitgemäßen und zukunftsfähigen Ge-                                                         nachhaltig angegangene Herausforderungen, die einer
sundheitsversorgung meistern wird.                                                                    dringenden Lösung bedürfen.

Dazu gehören:                                                                                        Angesichts der dargestellten Trends und Entwicklun-
                                                                                                     gen in Deutschland und dem sich daraus ergebenden
– Kosten- und Effizienzdruck (u.a. Finanzierung des                                                  hohen Bedarf an modernen Gesundheitsimmobilien
  Gesundheitswesens)                                                                                 wird privates Immobilienkapital dringend benötigt. Die
– Investitionsrückstau (v.a. bei Altbestandsimmobilien)                                              Assetklasse Healthcare umfasst dabei verschiedene
– Strukturbereinigung in der Versorgungsinfrastruktur                                                Teilsektoren, angefangen von Pflegeinrichtungen, über
  (Bevölkerungsentwicklung in Städten und ländlichen                                                 Ärztehäuser bis hin zu Krankenhäusern und Reha-Kli-
  Regionen)                                                                                          niken. All diese Gebäudetypen weisen jeweils sehr spe-
– Ambulantisierung und Abbau von Sektorengrenzen                                                     zifische Nutzungserfordernisse auf, weswegen der Ge-
  (ambulanter vor stationärer Versorgung, aber auch                                                  sundheitsimmobilienmarkt als besonders komplex gilt.

                                                                           INVESTMENTMARKT MIT GESUNDHEITSIMMOBILIEN                                                                         9
Pflegeimmobilien
in einer alternden
Gesellschaft

 Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit pflegebedürf-
tig zu werden. 2060 werden, je nach Szenario, 9 bis 13 Prozent der
 Bevölkerung über 80 Jahre alt sein. Bereits heute sind 6 Prozent
„hochaltrig“. Die Zahl der über 65-Jährigen wird unter der Prämisse
 einer starken Zuwanderung um 32 Prozent zunehmen (Statistisches
 Bundesamt 2019).

Gerade mit der Alterung der geburtenstarken Baby-          Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) in 2017 erfolgte ein
boomer-Generation innerhalb der nächsten 15 Jah-           Wechsel von drei Pflegestufen in die neuen fünf Pfle-
re wird der Bedarf an stationären und ambulanten           gegrade. Waren vor 2017 für die Einordnung in eine der
Pflegeangeboten deutlich wachsen. Bereits 2019             damals geltenden drei Pflegestufen nur der Zeitauf-
gab es doppelt so viele Pflegebedürfte wie noch zu         wand der Pflege und der Betreuung maßgeblich, ori-
Beginn der 2000er Jahre. Allein innerhalb der letz-        entiert sich der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff nun
ten zwei Jahre ist ihre Anzahl um rund 21 Prozent auf      daran, wie autonom ein Mensch seinen Alltag bewälti-
über 4 Millionen gestiegen. Analog steigt die Nach-        gen kann. Dieser Paradigmenwechsel soll die Situation
frage nach Pflegeheimplätzen und -immobilien und           von pflegebedürftigen Menschen und Pflegekräften
wird mit der Altersstrukturverschiebung zwischen           verbessern und die besonderen Bedürfnisse von psy-
2020 und 2060 einen Höchststand erreichen. (siehe          chisch erkrankten Menschen (u.a. getrieben durch die
Abb. 02)                                                   Volkskrankheit Demenz) bedarfsgerechter berück-
                                                           sichtigen. (Abb. 03)
Nicht nur die absolute Anzahl der Pflegebedürftigen,
auch der Anteil pflegebedürftiger Personen an der          Heute werden ca. 80 Prozent aller Pflegebedürftigen in
jeweiligen Altersgruppe (sog. Pflegequote) hat bei         Deutschland zu Hause durch Angehörige oder durch
den Hochaltrigen in den letzten Jahren zugenommen.         ambulante Pflegedienste betreut und versorgt. Der
Knapp 50 Prozent der 85 bis 90-Jährigen und über 75        Großteil (fast 60 Prozent) dieser zu Hause versorg-
Prozent der über 90-Jährigen waren 2019 pflegebe-          ten Pflegebedürftigen hat Pflegegrad 1 oder 2. Über
dürftig (+11 bzw. +17 Prozentpunkte ggü. 2009; Statisti-   818.000 pflegebedürftige Personen werden vollsta-
sches Bundesamt 2019).                                     tionär in rd. 15.400 Pflegeheimen versorgt. Knapp 80
                                                           Prozent dieser in voll- oder teilstationären Pflegehei-
Jenseits der Bevölkerungsentwicklung und der Pflege-       men versorgten Pflegebedürftigen sind in ihrer Selbst-
quote wird der Bedarf an Pflegeplätzen auch von der        ständigkeit schwer beeinträchtigt und dem Pflegegrad
Art der Versorgung bestimmt. Im Rahmen des zweiten         3 oder höher zugeordnet (Statistisches Bundesamt

10                                                   FOCUS 36
Abb. 02
      Entwicklung der Altersgruppen bis 2060

      Altersaufbau                                                                               Altersaufbau                                                                         Altersaufbau
      1980                                                                                       2021                                                                                 2060
                                          100                                                                                      100                                                                                  100
                                          95                                                                                       95                                                                        1965       95
                                                                                                                        1930
                                          90                                                                                       90                                                                        1970       90
                                                                                                                        1935
                               1895       85                                                                                       85                                                                        1975       85
                                                                                                                        1940
                               1900       80                                                                                       80                                                                        1980       80
                                                                                                                        1945
                               1905       75                                                                                       75                                                                        1985       75
                                                                                                                        1950
                               1910       70                                                                                       70                                                                        1990       70
                                                                                                                        1955
                               1915       65                                                                                       65                                                                        1995       65
                                                                                                                        1960
                               1920       60                                                                                       60                                                                        2000       60
                                                                                                                        1965
                               1925       55                                                                                       55                                                                        2005       55
                                                                                                                        1970
                               1930       50                                                                                       50                                                                        2010       50
                                                                                                                        1975
                               1935       45                                                                                       45                                                                        2015       45
                                                                                                                        1980
                               1940       40                                                                                       40                                                                        2020       40
                                                                                                                        1985
                               1945       35                                                                                       35                                                                        2025       35
                                                                                                                        1990
                               1950       30                                                                                       30                                                                        2030       30
                                                                                                                        1995
                               1955       25                                                                                       25                                                                        2035       25
                                                                                                                        2000
                               1960       20                                                                                       20                                                                        2040       20
                                                                                                                        2005
                               1965       15                                                                                       15                                                                        2045       15
                                                                                                                        2010
                               1970       10                                                                                       10                                                                        2050       10
                                                                                                                        2015
                               1975       5                                                                                        5                                                                         2055       5
                                                                                                                        2020
                               1980       0                                                                                        0                                                                         2060       0
700    600 500   400 300 200 100      0         0   100   200   300   400   500 600 700   700   600 500   400 300 200 100      0         0   100   200   300   400   500 600 700   600 500 400 300 200 100          0         0   100    200   300 400 500 600

          Männer in Tausend                               Frauen in Tausend                         Männer in Tausend                               Frauen in Tausend                    Männer in Tausend                              Frauen in Tausend

      Annahmen: Geburtenhäufigkeit niedrig – Lebenserwartung hoch – Zuwanderung niedrig                                                                                              Daten: Statistisches Bundesamt 2019

                                                                                                                                                                                                            Pflegeimmobilien als
                                                                                                                                                                                           langfristige Investition in die Zukunft

                                                                  P F L E G E I M M O B I L I E N I N E I N E R A LT E R N D E N G E S E L L S C H A F T                                                                                                    11
Abb. 03
     Pflegegrade – Definition und Verbreitung

     Pflegegrad                                                                                                Anteil 2019

     1            12,5 bis unter 27 Gesamtpunkte
                  Geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit                                           7,2%
     2            27 bis unter 47,5 Gesamtpunkte
                  Erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
                  oder der Fähigkeiten
                                                                                                      43,5%
     3            47,5 bis unter 70 Gesamtpunkte
                  Schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
                  oder der Fähigkeiten
                                                                                                       29,5%
     4            70 bis unter 90 Gesamtpunkte
                  Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
                  oder der Fähigkeiten
                                                                                                        13,9%
     5            90 bis unter 100 Gesamtpunkte
                  Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
                  oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen
                                                                                                          5,9%
                  an die pflegerische Versorgung

                                                                                                          Quelle: VDEK 2021

2019). Der Barmer Pflegereport 2019 zeigt, dass die                   nären Pflegeheimen befanden sich in Einzelzimmern,
Zahl derer zunimmt, die durch Anreizstrukturen (u.a.                  der Rest verteilt sich auf Doppelzimmer. Wohnplätze
neue Wohn- und Pflegeformen mit geringerer finanzi-                   für mehr als zwei Personen sind nicht mehr zulässig.
eller Belastung) und höhere Flexibilität (beispielsweise              Mit der seit Jahren steigenden Einzelzimmerquote
durch Wahlfreiheit bei der Buchung einzelner Pflege-                  reagieren Pflegeheimbetreiber auf baurechtliche Vor-
leistungen) auf ambulante Versorgungsstrukturen zu-                   gaben und auf veränderte Nachfragetrends. Auch auf
greifen. Während insbesondere die niedrigeren Pfle-                   Investorenseite werden in der Regel Einzelzimmer-
gegrade dem Trend der Ambulantisierung unterliegen,                   quoten von rund 80 Prozent kalkulatorisch vorausge-
sind die stark pflegebedürftigen höheren Pflegegrade                  setzt (IMMAC 2020).
in vielen Fällen weiterhin auf eine Versorgung in ent-
sprechend ausgerüsteten Einrichtungen angewiesen.                     Die Nachfrage nach Pflegeplätzen übersteigt bereits
Ein limitierender Faktor für die häusliche Pflege, die                heute das Angebot. Gerade in den Ballungsgebieten
heute überwiegend durch Verwandte, meistens Töch-                     existieren zum Teil lange Wartelisten für Pflegeheime.
ter oder Lebenspartnerinnen geleistet wird, ist darü-                 Obwohl der Pflegemarkt in Deutschland überdurch-
ber hinaus die steigende Frauenerwerbstätigkeit (Blin-                schnittlich expandiert, ist das Angebot in den vergan-
kert und Gräf 2009).                                                  genen Jahren weniger stark gewachsen als die Nach-
                                                                      frage.
Pflegeeinrichtungen – Markt und zukünftiger Bedarf
                                                                      Schätzungen gehen von 150.000 bis 300.000 zu-
In Deutschland gab es 2019 über 15.000 Pflegeein-                     sätzlich benötigten Pflegeheimplätzen bis 2030 aus
richtungen, wovon rund 8.000 von freigemeinnützigen,                  (IREBS 2020, Simons 2019, Wüest Partner 2018).
über 6.500 von privaten und ca. 700 von öffentlichen                  Bei einer durchschnittlichen Größe von 62 Plätzen
Trägern betrieben wurden. Durchschnittlich waren 62                   je Pflegeheim müssten pro Jahr zwischen 210 und
Pflegebedürftige je Pflegeheim untergebracht. Knapp                   390 neue Einrichtungen gebaut werden – vorausge-
70 Prozent der 2019 verfügbaren Plätze in vollstatio-                 setzt alle bestehenden Einrichtungen bleiben weiter-

12                                                           FOCUS 36
2,0 Mio.
                                                                               botsseite ist die Verfügbarkeit von Pflegekräften. Laut
                                                                               IW könnte die Versorgungslücke an Beschäftigten in
                                                                               der Pflege bis 2035 auf 300.000 Stellen anwachsen.
                                                                               Der Fachkräftemangel kann in manchen Regionen
   Pflegebedürftige in Deutschland 2001                                        dazu führen, dass Betreiber den erforderlichen Perso-
                                                                               nalschlüssel nicht sicherstellen können.

                                                                               Pflegeimmobilien als krisenresistentes Investment

   4,1 Mio.
                                                                               Die zur Deckung der steigenden Nachfrage benötigten
                                                                               Neuinvestitionen und Investitionen zur Substanzerhal-
                                                                               tung bestehender Einrichtungen sind ohne privates
                                                                               Kapital nicht zu bewältigen. In den letzten Jahrzehnten
   Pflegebedürftige in Deutschland 2019                                        sind immer mehr private Pflegeheimbetreiber auch
                                                                               aus dem Ausland in den Wettbewerb um die beste
                                                                               Versorgung eingetreten. 43 Prozent der Pflegeheime
                                                                               werden von privaten Trägern betrieben, 53 Prozent
                                                                               von freigemeinnützigen und 4 Prozent von öffentlichen

   5,1 Mio.
                                                                               Trägern (Statistisches Bundesamt 2019). (Tab. 02) In
                                                                               Bezug auf die Zahl der Pflegeheime erzielten die pri-
                                                                               vaten Träger seit 2003 ein Wachstum von 40 Prozent
                                                                               (IMMAC 2020). Neben dem organischen Wachstum
   Pflegebedürftige in Deutschland 2050                                        durch den Bau von neuen Pflegeheimen ist der Betrei-
                                                                               bermarkt seit vielen Jahren stark von einem Konsoli-
                                                                               dierungsprozess geprägt. Dadurch ist die M&A Aktivi-
                                                                               tät von in- und ausländischen Strategen sowie Private
                 Daten: Statistisches Bundesamt; Pflegereport 2019
                                                                               Equity Investoren nach wie vor hoch. So erreichten die
                                                                               30 größten Betreiber Ende 2020 einen Marktan-
                                                                               teil in Deutschland von rd. 23 Prozent (+1,6 Prozent-
hin erhalten. Da sich die demografischen Verände-                              punkte gegenüber dem Vorjahr) (pflegemarkt.com).
rungen unterschiedlich stark auf die verschiedenen                             Fest etablierter Bestandteil des Geschäfts- und
Regionen auswirken, fällt der zusätzliche Bedarf in                            Wachstumsmodells v.a. der privaten Pflegeheimbe-
den Bundesländern unterschiedlich aus. Die höchs-                              treiber ist die Trennung von Betriebs- und Immobilien-
ten relativen Zuwächse an vollstationär versorgten                             gesellschaften (sog. Op-Co/PropCo-Modell). Hierbei
Pflegebedürftigen werden in Berlin, Brandenburg                                verbleibt die Betriebsgesellschaft beim Betreiber und
und Hessen erwartet. Durch die massive Verschie-                               die Immobiliengesellschaft wird an einen Immobilien-
bung der Altersstruktur in den 2030er Jahren wird                              investoren (weiter-)verkauft. Diese Trennung erklärt
der Zusatzbedarf bis 2035 in den meisten Regionen                              auch, warum Pflegeeinrichtungen heute den größten
noch einmal deutlich höher ausfallen (siehe Abb. 04).                          Anteil am Marktvolumen der Gesundheitsimmobilien
                                                                               ausmachen und bereits einige Immobilieninvestoren in
Räumlich differenziert wird künftig der stärkste ab-                           diese attraktive Assetklasse eingestiegen sind.
solute Anstieg an zusätzlichem Pflegebedarf in den
Städten erwartet, da in den letzten Jahrzehnten viele                          Bei aller Euphorie für eine Anlage in Pflegeimmobilien
Menschen in die Städte gezogen sind und gleichzeitig                           bleiben dennoch das Betreiberrisiko und die Unsicher-
die Umzugshäufigkeit im Alter sinkt. Das aktuelle Re-                          heit durch hohe politische und institutionelle Abhängig-
gulierungs- und Marktumfeld trägt allerdings dazu bei,                         keit. Im Gegensatz zu anderen Immobilienmärkten han-
dass der Neubau von Pflegeheimen in Kernstädten für                            delt es sich um einen stärker regulierten Markt, dessen
private Entwickler ungünstiger ist als an peripheren                           Rahmenbedingungen in erheblichem Maße auch von
Standorten. Neubauprojekte könnten damit eher dort                             politischen Leitlinien abhängig und infolge der föde-
entstehen, wo mittel- bis langfristig die Nachfrage fehlt.                     ralen Struktur landesspezifisch ausgestaltet sind. Der
Während in Großstädten gemessen an den zu erwar-                               Gesetzgeber hat sowohl für die Immobilie als auch für
tenden Nachfragezuwächsen neue stationäre Pflege-                              den Betrieb umfassende Standards und Kontrollsys-
einrichtungen in Zukunft fehlen könnten (Just/Plößl                            teme verankert, die u.a. Vorgaben zu Zimmergrößen,
2020). Ein weiterer limitierender Faktor auf der Ange-                         Gemeinschaftsflächen, Personalausstattung, Hygiene-

                                P F L E G E I M M O B I L I E N I N E I N E R A LT E R N D E N G E S E L L S C H A F T              13
Abb. 04
     Zusatzbedarf an Pflegeplätzen bis 2035

        > 30%
        > 25 – 30%
        > 20 – 25%
        > 15 – 20%
                                          Kiel
                                                                       Rostock
        > 10 – 15%

        ≤ 10%
                                                               Schwerin
                                                 Hamburg

                                     Bremen

                                                                                      Berlin
                                              Hannover             Potsdam
                                                                Magdeburg

                Düsseldorf                                     Leipzig
                                                                                 Dresden
                                                   Erfurt

                     Wiesbaden
                             Mainz

                 Saarbrücken                                Nürnberg

                                     Stuttgart

                                                                  München

                                                                                    Quelle: Wüest Partner 2018

14                                               FOCUS 36
Tab. 01                                                                                                       * bis Maximalbetrag des Pflegegrades
    Kostenstruktur von Pflegeheimen                                                                                       ** Anghörige in direkter Linie

                                  Unterkunft und
                                  Verpflegung                               Pflege                                   Investitionskosten

                                  Heizkosten                                Pflegeleistungen,                        Baukosten, Ausstattung
                                  Wasser, Strom                             Materialien

                  €
  KOSTENARTEN

                                                                                                                     Instandhaltung, -setzung,
                                  Hauswirtschaft                            Betreuung                                Sanierung, Modernisierung
                                  Reinigung
                                                                            Ärztliche Leistungen,                    Finanzierungskosten,
                                  Verpflegung, Freizeit                     Medikamente                              Verzinsung, Eigenkapital,
                                                                                                                     Abschreibung, Leasing
                                                                            Therapien
                                                                                                                     Miete, Pacht, Erbbauzinsen

                 Vorrangig        Bewohner                                  Pflegekasse*                             Bewohner
  KOSTENTRÄGER

                 Nachrangig 1     Angehörige**                              Bewohner                                 Anghörige**

                 Nachrangig 2     Sozialhilfeträger                         Angehörige**                             Sozialhilfeträger

                 Nachrangig 3                                               Sozialhilfeträger

                                                                                                                              Quelle: Just / Plößl 2020

standards bis hin zu Informations- und Dokumenta-                              pflegung sowie Pflege sind hingegen im Rahmen einer
tionspflichten beinhalten (Simons et al 2019). Vor dem                         Immobilienbewertung nicht zu berücksichtigen, da die-
Investment gilt es also, viele Unbekannte zum Beispiel                         se Zuschüsse zweckgebunden sind und von den Betrei-
in puncto Wirtschaftlichkeit, Betreiberkonzept, Geset-                         bern nicht zur Deckung von Mieten eingesetzt werden
zesrahmen, Betriebs- und Kostenstruktur zu durch-                              dürfen. Ausschlaggebend dafür sind u.a. der Anteil an
leuchten. Ob das Investment in eine Pflegeimmobilie                            Einbettzimmern, der darüber entscheidet, wie intensiv
Erfolg verspricht, hängt letztlich auch von Faktoren                           die Fläche genutzt werden kann. In den Bundesländern
wie der zukünftigen Verfügbarkeit von Pflegekräften                            gibt es hierzu uneinheitliche Regelungen. So dürfen
im Umfeld, der regionalen Reputation der Einrichtung,                          zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen Neubauten nur
der lokalen Heimleitung und der lokalen Wettbewerbs-                           noch Einzelzimmer bereitstellen, in Berlin wiederum
situation ab.                                                                  gilt eine Untergrenze von 60 Prozent für Einzelzimmer
                                                                               und in Bayern besteht die weiche Formulierung eines
Maßgeblich für Bewertung von Pflegeimmobilien ist die                          angemessenen Anteils an Einzelwohnplätzen. Auch
Kostenstruktur, die sich zusammensetzt aus Kosten                              bzgl. der für die Wirtschaftlichkeit von Pflegeeinrich-
für Unterkunft und Verpflegung, Pflege sowie Investi-                          tungen relevanten Höchstanzahl an Betten (z.B. max.
tionskosten. (Tab. 01) Letztere betreffen die direkten                         80 in NRW) und der vorgeschriebenen Nutzfläche je
gebäuderelevanten Kosten (Instandhaltung, Miete,                               Bett (z.B. mind. 40 Quadratmeter ohne Bad in NRW)
Pacht etc.), die durch die Bewohner oder deren An-                             bestehen innerhalb Deutschlands unterschiedliche
gehörige und wo dies nicht möglich ist, durch die So-                          Regelungen. Die regulatorischen Risiken zeigen sich
zialhilfeträger getragen werden (Just/Plößl 2020). Die                         aktuell in Nordrhein-Westfalen, das ab Mitte 2021 als
Investitionskosten machen jenen Teil des Pflegesatzes                          erste Landesregierung den Bestandsschutz der In-
aus, der zur Refinanzierung der Immobilien und da-                             vestitionsfolgekosten im Mietmodell aufhebt. Nach
mit der Mieten oder Pachten eingesetzt werden darf.                            Berechnungen des Bundesverbands privater Anbieter
Üblicherweise liegt der IV-Anteil in einer Spanne von                          sozialer Dienste führt die Neukalkulation im Schnitt zu
rund 12 bis 24 € pro Bett und Tag. Unterkunft und Ver-                         20 bis 25 Prozent niedrigeren Investitionsfolgekosten,

                                P F L E G E I M M O B I L I E N I N E I N E R A LT E R N D E N G E S E L L S C H A F T                                     15
wodurch gerade Betreiber mit langfristigen Mietverträ-      Perspektivisch ist davon auszugehen, dass die Spe-
gen in Schwierigkeiten geraten dürften (Terranus 2020).     zialisierung in stationären Pflegeeinrichtungen weiter
                                                            zunehmen wird. Im Fokus stehen besonders die Pfle-
Trotz dieses Flickenteppichs unterschiedlicher Rege-        ge von Demenzkranken sowie geriatrische, also al-
lungen in 16 Landespflegegesetzen gelten Pflegeimmo-        tersmedizinische Versorgungsangebote mit direktem
bilien als krisenresistentes Investment, denn sie werden    Anschluss an niedergelassene Strukturen (z.B. ambu-
nicht nur reguliert, sondern auch gefördert. Die Mietzah-   lante Ärzte- oder Therapiezentren) oder stationäre
lungen der Bewohner werden im Bedarfsfall durch staat-      Leistungserbringer (Krankenhäuser). Getrieben wird
liche Unterstützung sichergestellt. Als Betreiberimmo-      diese Entwicklung zum einen durch die Pflegeheim-
bilien haben Pflegeheime außerdem in der Regel lange        betreiber, die darin ein Differenzierungsmerkmal im
Mietverträge von häufig mehr als 20 Jahren. Pflegeim-       Wettbewerb sehen und auf eine gestiegene Nachfrage
mobilien sind als konjunkturunabhängige Anlagen mit         reagieren, aber auch die Pflegebedürftigen bzw. deren
nachhaltigen Cashflows auch in der aktuellen rezessi-       Angehörige haben gestiegene Anforderungen an sta-
ven Wirtschaftsphase für Investoren attraktiv. Das zeigt    tionäre Pflegekonzepte mit guter medizinischer und/
sich einerseits im hohen Marktanteil von Pflegeimmobi-      oder therapeutischer Anbindung. Auch Krankenhäuser
lien (72 Prozent) am Transaktionsvolumen von Gesund-        wirken auf spezialisierte Pflegeangebote in Form von
heitsimmobilien. Andererseits spiegeln die zuletzt auf      Kurzzeitpflege in einem stationären Pflegesetting hin,
etwa 4 Prozent gesunkenen Spitzenrenditen von Pfle-         weil gerade ältere Patienten eine längere Rekonvales-
geheimen die steigende Investorennachfrage und das          zenz nach Operationen aufweisen. Die Kurzzeitpflege
demgegenüber knappe Angebot wider. Für 2021 wird            bietet somit neben höheren Investitionskosten einen
erwartet, dass das Investitionsvolumen angesichts der       attraktiven Entlasskanal zur Steuerung der mittleren
steigenden Nachfrage allein durch das knappe Produkt-       Verweildauer für noch immobile und vorübergehend
angebot begrenzt wird (bulwiengesa 2021; CBRE 2021).        stärker pflegebedürftige Patienten.

16                                                    FOCUS 36
Zwischen Wohnen und Pflege:
Betreutes Wohnen
Sozusagen „zwischen“ dem Wohnen in den eigenen                             hin zu einem Full-Time-Serviceangebot mit moderater
vier Wänden und der vollstationären Unterbringung in                       Betreuung. (Abb. 05)
einer Pflegeeinrichtung ist das Konzept des Betreuten
Wohnens einzuordnen. Häufig befinden sich Angebote                         Wunsch nach Individualität und Selbstständigkeit
des Betreuten oder auch „Servicewohnens“ in direkter
Nachbarschaft von Pflegeheimen oder sind unmittel-                         Insbesondere vor dem Hintergrund, dass aktuell
bar an diese angeschlossen. Auch sind die Übergänge                        lediglich 2 Prozent des Wohnungsbestands bar-
der beiden Wohnkonzepte mitunter fließend. Per De-                         rierearm ausgebaut und für viele im Alter Alleinste-
finition (gif 2018) bietet das Betreute Wohnen neben                       hende die bisherige Wohnung zu groß ist, gewinnt
altersgerecht ausgebauten Wohnungen (z.B. Barriere-                        Betreutes Wohnen vor allem für diejenigen an Be-
freiheit) und einem höheren Anteil an Gemeinschafts-                       deutung, die die Pflege in den „eigenen vier Wän-
flächen (z.B. Cafeteria) ein differenziertes Angebot                       den“ durch Angehörige oder ambulante Pflegediens-
an Serviceleistungen (z.B. Reinigung). Im Gegensatz                        te bevorzugen. Rund 60 Prozent der Deutschen
zu stationären Pflegeeinrichtungen gibt es allerdings                      planen auch im Alter in ihrer eigenen Wohnung zu
weder bauliche noch qualitätsorientierte gesetzliche                       bleiben (Abb. 06). Dadurch ergeben sich neue Ange-
Anforderungen. Der Umfang der erbrachten Service-                          botsfelder für die Immobilienwirtschaft (u.a. Betreutes
leistungen sowie des Betreuungsaufwands variiert je                        Wohnen, Residenz). Neben den Grundvoraussetzun-
nach Wohnkonzept und reicht von klassischem (bar-                          gen an die Immobilie wie Serviceangebote, Barriere-
rierefreien) Wohnen ohne Service und Betreuung bis                         freiheit in der Wohnung und im Wohnumfeld müssen

   Abb. 05
   Wohnformen nach Betreuungsaufwand und Serviceleistungen

   SERVICELEISTUNGEN

   Luxus
                                                                            Residenz
   Vollverpflegung
                                                                                                                        Vollstationäre Pflege

                                                                                                        Ambulante
                                                                                                          Pflege
                              Hotel

                                                           n
                                                         ne

                                                                                                          Wohn-
                                                     oh

                                                                                                       gemeinschaft
                                                    W
                                                  es
                                                ut
                                             tre

   Frühstück
                                          Be
                                  ents
                                   d
                           Service

   Reinigung
                          Apar tm

   Concierge
                                                                                                Ambulanter
   Ohne               Wohnen                                                                    Pflegedienst

                         niedrig                              BETREUUNGSAUFWAND                                                                 hoch

                                                                                                                      Quelle: bulwiengesa 2020

                            P F L E G E I M M O B I L I E N I N E I N E R A LT E R N D E N G E S E L L S C H A F T                                     17
Abb. 06
     Wohnpräferenzen der Deutschen im Alter
     n= 1048 Deutsche ab 40 Jahre; % gerundet

                         37%
                         In den jetzigen vier Wänden –
                         noch nicht barrierefrei.

                         23%
                         In den jetzigen vier Wänden –
                         bereits barrierefrei.

                         15%
                         In neuer barrierefreier
                         Wohnung.

                                                                    auch weitere Aspekte bei Standortentscheidungen
                         12%                                        wie z.B. die barrierefreie und fußläufige Erreichbarkeit
                                                                    von Geschäften des täglichen Bedarfs, Arztpraxen
                         Im Betreuten Wohnen, ggf.
                                                                    und Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs be-
                         mit Serviceleistungen.
                                                                    rücksichtigt werden. Die zukünftige Hauptzielgruppe
                                                                    des Betreuten Wohnens, die Babyboomer-Genera-
                                                                    tion, ist gut ausgebildet und vermögend und bringt
                                                                    eine entsprechend hohe Zahlungsbereitschaft mit.
                                                                    Sie möchte ihren Lebensabend, sofern möglich, in

                         11%                                        vertrauter Umgebung und möglichst selbstständig
                                                                    verbringen. Zunehmend gesucht werden dabei auch
                                                                    hochwertige betreute Wohnanlagen in guten Lagen,
                         Im selbstbestimmten Projekt,
                         z.B. Mehrgenerationenhaus.                 die sich in der Anmutung und Ausstattung deutlich von
                                                                    Standardpflegeeinrichtungen abgrenzen.

                                                                    Steigendes Investoreninteresse an Betreutem
                                                                    Wohnen

                         3%                                         Der Markt für Seniorenwohnen ist aufgrund der feh-
                                                                    lenden Regulierung stark ausdifferenziert. Analog zur
                         Bei Angehörigen.
                                                                    Sterne-Klassifizierung im Hotelgewerbe beurteilt die
                                                                    gif Wohnkonzepte des Betreuten Wohnens nach fünf
                                                                    Qualitätsstufen, wobei ein Stern die niedrigste und fünf
                                                                    Sterne die höchste Qualitätsstufe repräsentiert. We-
                                 Quelle: thyssenkrupp Encasa 2020   sentliche Qualitätskriterien für Wohnanlagen für Be-

18                                                            FOCUS 36
Tab. 02
   Übersicht der größten Betreiber von Pflegeeinrichtungen
   in Deutschland 2019

   Rang		Name                                                                                                          Anzahl Pflegeplätze

   1. 		 Korian Gruppe (FR)**		                                                                                                    26.884
   2.		 Alloheim Senioren-Residenzen RE (SWE)**                                                                                    22.000
   3. 		 Victor‘s Group (DE) **                                                                                                     14.800
   4. 		 Orpea Deutschland GmbH **		                                                                                                12.866
   5. 		 Kursana Residenzen GmbH **                                                                                                  9.484
   6. 		 Azurit-Hansa-Gruppe **                                                                                                      8.580
   7.		 Johanniter Seniorenhäuser GmbH *                                                                                             8.033
   8. 		 Evangelische Heimstiftung GmbH *                                                                                             7.341
   9. 		 Arbeiterwohlfahrt *		                                                                                                       6.782
   10. 		 DOREA GmbH **		                                                                                                            6.625

   Art: 		 * Gemeinnützig   ** Privat

                                                                                                                      Quelle: pflegemarkt.com

treutes Wohnen sind Lage, Gebäude- und Wohnungs-                            gebote und kombinierte Einrichtungen mit Betreutem
ausstattung und das Serviceangebot. Wenngleich die                          Wohnen, Tages- und Kurzzeitpflege sowie ambulant
Nachfrage mit den steigenden Ansprüchen der zu-                             betreute Wohngemeinschaften zukünftig weiter an
künftigen Generationen 65+ voraussichtlich zuneh-                           Relevanz gewinnen. Ebenso zu erwarten ist eine Be-
men wird, ist das Premium-Segment mit vier und mehr                         deutungszunahme integrierter Pflegemodelle, also
Sternen (noch) ein Nischenprodukt.                                          Pflegeeinrichtungen, die stationäre Pflege mit anderen
                                                                            Wohnformen verbinden. Hierbei kann die stationäre
Ähnlich wie bei rein stationär genutzten Pflegeimmo-                        Pflege durch eine Ergänzung um weitere Wohnformen,
bilien bilden freigemeinnützige Träger mit 60 Prozent                       die bzgl. Miethöhe und baulichen Anforderungen weni-
zwar noch den größten Anteil der Betreiber im Betreu-                       ger reguliert sind, teilweise quersubventioniert werden
ten Wohnen (ZIA 2020). Viele, darunter auch auslän-                         (Just/Plößl 2020).
dische, private Betreiber (z.B. Korian) gewinnen aber
an Bedeutung und bauen derzeit ihren Bestand weiter
aus, was vergleichbar zu den rein stationären Pflege-
einrichtungen an der Trennung des Betreiber- und Im-

                                                                             60%
mobiliengeschäfts liegt. Wie bei anderen Gesundheits-
immobilien ist die Qualität des Betreiberkonzeptes
(und des Betreibers selbst) ausschlaggebend für die
Attraktivität einer Wohnanlage mit Betreutem Wohnen
als Investment.

Bereits heute ist absehbar, dass eine flächendecken-
de Versorgung der Pflegebedürftigen in Zukunft nicht
allein durch rein stationäre Pflegeeinrichtungen rea-                       der Deutschen möchten auch im Alter in ihrer
lisierbar ist. Daher werden alternative Wohnpflegean-                       eigenen Wohnung bleiben.

                             P F L E G E I M M O B I L I E N I N E I N E R A LT E R N D E N G E S E L L S C H A F T                             19
Abb. 07
     Ambulante vs. stationäre Versorgung 2018

               Ambulante Versorgung bei > 1 Mrd.                          Stationäre Krankenhausversorgung bei
               Arztkontakten                                              139,3 Mio. Behandlungstagen

                          98,5 Mrd.            718 Mio.
                                               Behandlungsfälle
                                                                                                        5.088 €

      41,1 Mrd.
                                                                  19,5 Mio.             561 €
                                                                  Behandlungsfälle

          KOSTENANTEIL IN EURO                      VERSORGUNGSANTEIL                      KOSTEN PRO PATIENT

                                                                                                           Quelle: KBV 2021

20                                                          FOCUS 36
Ärztehäuser und
steigende Ambulanti-
sierung

Der Markt für ambulante Medizin befindet sich auf einem klaren
Wachstumspfad, denn die Ambulantisierung in Deutschland gewinnt
immer weiter an Bedeutung. Das bedeutet, dass ambulant-ärztliche
Behandlungsfälle in den vergangenen Jahren gegenüber stationären
Aufenthalten deutlich an Relevanz gewonnen und 2018 718 Mio. Fälle
erreicht haben.

Ambulanter Bereich mit starkem Wachstum                 Verbindung von ambulanten und stationären Versor-
                                                        gungsteilen neu geordnet werden (Überwindung von
Von dem wesentlichen Treiber in der medizinischen       Sektorengrenzen hin zu einer integrierten Versor-
Versorgung, der demografischen Entwicklung und          gung). Zum anderen ist die ambulante Behandlung
der damit verbundenen Verschiebung der Konstitu-        von Patienten wesentlich kosteneffizienter, wodurch
tion von Patienten (u.a. höhere Lebenserwartung mit     die Zielsetzungen von Gesetzgeber und Kostenträger,
erhöhter Wahrscheinlichkeit der Multimorbidität, d.h.   die in der Gesamtversorgung eine optimale Qualität
das gleichzeitige Bestehen mehrerer Krankheiten bei     und Leistung zu möglichst geringen Kosten anstreben,
einer einzelnen Person oder chronischer Erkrankung)     weiter Aufwind erfahren wird. Pro behandeltem Pati-
sowie dem zunehmenden Gesundheitsbewusstsein in         enten kostet die ambulante Versorgung in einer Praxis
der Bevölkerung, wird die ambulante Medizin ggü. der    durchschnittlich 561 €, die stationäre Krankenhaus-
stationären Leistungserbringung überproportional        versorgung dagegen 5.088 € (KBV 2020). (Abb. 07)
stark profitieren. Dies begründet sich zum einen im
medizinisch-technischen Fortschritt und in modernen     Auch wenn die Behandlungsleistungen hier nicht direkt
Behandlungskonzepten, die immer häufiger stationäre     vergleichbar sind, illustriert der Kostenunterschied
Aufenthalte überflüssig machen oder verkürzen kön-      welche Einsparpotentiale in der ambulanten Versor-
nen. So können beispielsweise mittels neuer Verfah-     gung liegen. Experten schätzen, dass 15 bis 20 Prozent
ren Nebenwirkungen und Risiken von Behandlungen         der stationären Fälle auch ambulant behandelt werden
minimiert werden (z.B. durch minimalinvasive OPs)       könnten. Derzeit bestehen allerdings noch Fehlanrei-
oder dank verbesserter Technologien in der Diag-        ze in der Vergütungsstruktur, wodurch das ambulante
nostik die Identifizierung von Krankheitsursachen und   Potential noch nicht ausgeschöpft wird. So wird etwa
ihre gezieltere Behandlung vorangetrieben werden.       eine identische Operation stationär höher vergütet als
Dadurch kann das stationäre Leistungsgeschehen          ambulant. Künftig ist davon auszugehen, dass die Kos-
in Krankenhäusern durch ambulante Versorgung zu-        tenträger hier regulierend eingreifen werden und die
nehmend substituiert werden oder durch intelligente     Ambulantisierung weiter an Dynamik gewinnen wird.

                              ÄRZTEHÄUSER UND STEIGENDE AMBULANTISIERUNG                                   21
Medizinische Versorgungszentren auf dem Vormarsch          jungen Mediziner gewandelt. So schätzt die junge Ärz-
                                                           tegeneration die bessere Vereinbarkeit von Beruf und
In Deutschland stellen rund 170.000 Ärzte und Psy-         Familie durch z.B. feste Arbeitszeiten im Angestellten-
chotherapeuten die ambulante vertragsärztliche Ver-        verhältnis bei stark verminderter betriebswirtschaftli-
sorgung sicher. Davon arbeiten immer mehr Ärzte in         cher Verantwortung. Dazu trägt auch die zunehmen-
kooperativen Strukturen. So ist die Anzahl der in Be-      de Feminisierung des Ärzteberufs bei, die den Bedarf
rufsausübungsgemeinschaften und Medizinischen              flexibler Arbeitszeitmodelle (u.a. höhere Nachfrage
Versorgungszentren (MVZ) tätigen Ärzte deutlich            nach Teilzeit) deutlich ansteigen lässt. Auch die enge
stärker angestiegen als in Einzelpraxen. 2010 arbeite-     Zusammenarbeit mehrerer Fachrichtungen mit kurzen
ten knapp 8.500 angestellte Ärzte in MVZ. Mittlerweile     Wegen sowie der leichtere fachliche Austausch wer-
sind es mehr als 21.500. Die Gesamtzahl der MVZ hat        den zunehmend als Vorteil gesehen. Viele, vor allem
sich in dieser Zeit von etwa 1.650 auf rund 3.540 mehr     junge Ärzte tendieren zu mehr Kooperation und Spe-
als verdoppelt. Parallel gab es einen Rückgang der         zialisierung. Ferner werden in MVZ Organisations- und
hausärztlichen Einzelarztpraxen um rund 16,2 Prozent       Verwaltungsarbeiten in der Regel zentral organisiert
auf ca. 28.000. (Abb. 08)                                  und von Verwaltungspersonal übernommen.

Die zunehmende Beliebtheit des MVZ fußt u.a. auf           Von der Bündelung der Kapazitäten und Kompetenzen
dem aktuellen Generationenwechsel der Ärzteschaft.         an einem Standort profitieren auch die Patienten, in-
Das Durchschnittsalter der Ärzte und Psychothera-          dem das Angebotsspektrum der Versorgungsleistun-
peuten ist in den vergangenen zehn Jahren von rund         gen größer ist, Wartezeiten sich in der Regel verkürzen
51,9 (2009) auf 54,3 (2019) Jahre gestiegen. Über ein      und redundante Untersuchungen vermieden werden
Drittel der Hausärzte ist bereits über 60 Jahre alt. Der   können. Darüber hinaus kann die Qualität der medizi-
hohe Anteil der Ärzte im Renteneintrittsalter in eini-     nischen Behandlung durch Spezialisierung und engere
gen Arztgruppen macht deutlich, dass dort ein ent-         Kooperation entlang des „Patient Journeys“, also des
sprechender Nachbesetzungsbedarf von Arztsitzen            Weges eines Patienten durch seine Erkrankung, er-
entsteht. Jedoch hat sich das Selbstverständnis der        höht werden.

     Abb. 08
     Entwicklung niedergelassener Ärzte nach Praxisstrukturen
     in den letzten 10 Jahren (in Anteilen)

     Anteil in                                                  2010		          		               2019

     Einzelpraxen                                               59,7%			55,0%

     Gemeinschafts-
     praxen                                                     34,4%			32,2%

     MVZ                                                        5,8%			12,8%

                                                                                                 Quelle: KBV 2021

22                                                   FOCUS 36
MVZ unterliegen in Deutschland insofern einer star-
ken Regulierung, dass eine gesellschaftsrechtliche
Beteiligung an einem MVZ ausschließlich Medizinern
mit kassenärztlicher Zulassung und Krankenhäusern
vorbehalten ist. Wenn sich Investoren an einem MVZ
beteiligen wollen, müssen sie entsprechend den Um-
weg über ein sog. Plankrankenhaus, das dann als MVZ
Trägervehikel dient, gehen. Dieses Plankrankenhaus
muss ein Krankenhaus mit Versorgungsvertrag (gem.
§108 SGB V) und damit Teil des Landesbettenplans
eines Bundeslandes sein. Unter dieses Trägervehi-
kel können dann grundsätzlich beliebig viele MVZ
an beliebig vielen Orten angedockt werden. In MVZ
wiederum können theoretisch beliebig viele KV-Sitze
(Kassenärztliche Vereinigung) eingebracht werden,
wobei mindestens zwei KV-Zulassungen für ein MVZ
verpflichtend sind. Anders als in der Gemeinschafts-
praxis bringen Ärzte bei Eintritt in ein MVZ ihren KV-
Sitz fest ein und wechseln dann in ein Angestelltenver-
hältnis. Bei Verlassen des MVZs verbleiben die Sitze
im MVZ und können, auch anteilig (z.B. als Halbtags-
stellen), mit angestellten Ärzten neu besetzt werden.
In Abgrenzung zu Praxisgemeinschaften, die als Part-
nerschaft von selbstständigen Ärzten funktioniert, er-
leichtert ein MVZ die Anstellung von Ärzten.

Die Größe und Bandbreite der angebotenen medizini-
schen Leistungen der MVZ sind gesetzlich nicht gere-
gelt, unterliegen aber de facto der Regulierung durch
die kassenärztliche Vereinigung, die bei etwaigen         tät bei Praxen und MVZ nach wie vor hoch und wird es
Veränderungen einer MVZ Struktur (z.B. bei Vergabe,       auch bleiben.
Erwerb oder Einbringung von KV-Sitzen) zustimmen
muss. Mit Blick auf die Realität zeigt sich bei MVZ ein   Ärztehäuser aus Immobiliensicht
breites Kontinuum, das von der fachgleichen Zweier-
praxis über poliklinisch aufgestellte Standorte mit       Die Begriffe MVZ und Ärztehaus werden im Zusam-
zwanzig und mehr Ärzten bis hin zu ausgedehnten Fi-       menhang mit der Immobilie häufig synonym verwendet
lialnetzen mit vielen Zweigpraxen reicht.                 und werden nicht trennscharf begrifflich definiert. Wie
                                                          beschrieben, sind Medizinische Versorgungszentren
In den letzten Jahren haben sich in vielen Fachrich-      zunächst mal losgelöst von der immobilienwirtschaft-
tungen (z.B. in der Augenheilkunde, Radiologie, Zahn-     lichen Perspektive neben Einzel- oder Gemeinschafts-
medizin) spezialisierte MVZ Ketten etabliert. Dieser      praxen eine Kooperationsform bzw. gesellschaftsrecht-
Trend hat besonders davon profitiert, dass seit 2015      liche Form, die bestimmt, wie Ärzte zusammenarbeiten
ein MVZ keine fachübergreifende Versorgung mehr           und abrechnen können. Die Begriffe Arzthäuser oder
anbieten muss und somit auch „fachgleiche“ MVZ,           auch Facharztzentren wiederum beziehen sich auf die
wie zum Beispiel reine Haus-/Allgemeinarzt MVZ oder       Immobilie, in der ambulanten Leistungen erbracht wer-
spezialisierte fachärztliche MVZ zulässig sind. Die       den. In einem Ärztehaus können damit generell mehre-
Konsolidierung und Kettenbildung v.a. in Facharztdis-     re MVZ, Einzel- oder Gemeinschaftspraxen (oder auch
ziplinen wurde hierbei ganz wesentlich durch Finanz-      ein Mix von allen) untergebracht bzw. Mieter sein. Ge-
investoren vorangetrieben und ist weiterhin im vollen     rade bei großen Ärztehäusern kann dadurch ein großes
Gange. Neben den MVZ Ketten sind natürlich auch           Spektrum an allgemein- und fachärztlichen Angeboten
Krankenhausbetreiber bei MVZ aktiv, um damit v.a.         an einem Ort zusammengeführt werden. Dadurch kön-
Zuweiser für ihr stationäres Geschäft zu gewinnen und     nen integrierte Versorgungsstrukturen mit Gesund-
die Wertschöpfung auch in den ambulanten Bereich          heitsleistungen, ähnlich wie bei den Polikliniken in der
auszuweiten. So ist insgesamt die Transaktionsaktivi-     ehemaligen DDR, (Joeris 2019) entstehen.

                               ÄRZTEHÄUSER UND STEIGENDE AMBULANTISIERUNG                                     23
Entscheidend für das Standort- und Raumkonzept die-        zent) von Ärzten und Psychotherapeuten Zulassungs-
ser Immobilien ist die intelligente Verknüpfung des me-    beschränkungen für die jeweilige Arztgruppe, welche
dizinischen Angebotes in die jeweilige Versorgungs-        die Möglichkeiten für die Gründung und Erweiterung
region, damit Vorteile und Synergien für die Mieter        eines MVZ und damit auch Vermietbarkeit der Immo-
entstehen und ein vom Patienten wahrgenommenes             bilien einschränken (Joeris 2019; KVB 2021; CBRE/
Differenzierungsmerkmal der Einrichtung entsteht.          Hamburg Team 2019).
Daher werden Ärztehäuser mittlerweile immer häufiger
durch sogenannte Komplementäreinrichtungen, zu de-         Die Drittverwendungsfähigkeit der speziellen Gesund-
nen beispielsweise Apotheken, aber auch Sanitätshäu-       heitsimmobilien hängt maßgeblich von den bautechni-
ser, Physiotherapeuten/Therapiezentren, Fitnessstu-        schen und standortspezifischen Rahmenbedingungen
dios sowie weitere Geschäfte aus dem medizinischen         ab. Generell sollte der Grundriss von Ärztehäusern
Bereich wie Optiker und Hörgeräteakustiker oder aus        und MVZ möglichst flexibel sein, um diesen bei Mie-
dem gesundheitsnahen Bereich wie Reformhäuser              terwechsel anpassen zu können. Warteräume sollten
oder Drogerien gehören können, ergänzt.                    vom Empfangsbereich hörbar getrennt sein, um Ver-
                                                           traulichkeit zu gewährleisten. Immer mehr zum Stan-
Generell lassen sich diese Gesundheitsimmobilien           dard werden auch barrierefreie Räumlichkeiten sowie
in zwei Typen unterscheiden:                               behindertengerechte Ausstattungen wie zum Beispiel
                                                           mehrere Fahrstühle, von denen zumindest einer auch
—       Alleinstehende Immobilien (Stand alone) mit        den Liegend-Transport ermöglichen sollte. Schließlich
einem breiten Mietermix aus Praxen (u.a. MVZ) und          müssen Räumlichkeiten für Radiologie, Strahlenthe-
ggfs. weiteren Dienstleistungs- und Handelsangebo-         rapie oder Nuklearmedizin besondere Anforderungen
ten aus dem Bereich Gesundheit, womit für den Pa-          im Hinblick auf den Strahlen- und Lärmschutz sowie
tienten ein ambulantes Zentrum mit One-Stop-Shop           die Bodentraglast erfüllen (Joeris 2019). Perspekti-
Charakter geschaffen wird, in dem die Mieter mit ihren     visch wird die Verlagerung von ambulanten Eingriffen
medizinischen und nichtmedizinischen Angeboten di-         in ambulante OP-Zentren auch neue Anforderungen
rekt und indirekt voneinander profitieren                  für die Immobilien mit sich bringen.

—       Immobilien in räumlicher und inhaltlicher An-      Im angelsächsischen Raum sind Ärztehäuser als so-
bindung an stationäre Einrichtungen wie Krankenhäu-        genannte Medical Office Buildings bereits als Kate-
ser oder Reha-Kliniken, aber teilweise auch Pflege-        gorie fester Bestandteil der Assetklasse Gesund-
heime, wodurch das ambulante medizinische Angebot          heitsimmobilie. Auch in Deutschland gewinnen diese
eines Ärztehauses die stationäre Versorgung ergänzt        Immobilien immer größeres Interesse bei Investoren.
und beide Bereiche voneinander profitieren                 Durch den Vormarsch der MVZ und der fortschreiten-
                                                           den Konsolidierung im ambulanten Bereich v.a. durch
Bezüglich des Standortes bieten gerade Metropolre-         Private Equity finanzierte MVZ Ketten, aber auch die
gionen und Großstädte mit nachhaltigen demografi-          Klinikbetreiber, werden Ärztehäuser eine immer stär-
schen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen              kere Etablierung als institutionelle Anlageklasse er-
sowie einer überregionalen Bedeutung in der me-            fahren. Durch den bereits eingeschlagenen Weg der
dizinischen Versorgung ideale Voraussetzungen für          Politik, die medizinische Versorgung von stationären
Betreiber und Investoren. Innerhalb der Städte sind        in ambulante Strukturen zu verlagern, könnte den
zentrale Stadtteillagen, Standorte mit Anbindung an        Ärztehäusern noch eine große Zukunft bevorstehen.
Krankenhäuser, gewachsene Standorte mit einer gu-          Sie könnten bei einer Strukturbereinigung der Kran-
ten Erreichbarkeit und einer suffizienten Anzahl mög-      kenhauslandschaft z.B. in ländlichen Regionen kleine
lichst kostenfreier und ausreichend groß bemessener        Krankenhäuser ersetzen und damit Teil einer „neuen
Pkw-Stellplätze als besonders nachhaltig einzustufen.      Regelversorgung“ werden. Aufgrund der Regulatorik,
Wobei in Einzelfällen größere Gesundheitshäuser/           der regionalen Unterschiede und der hohen Bedeu-
Facharztzentren mit einem breiten Angebot vor Ort          tung verschiedener einzugsgebietsrelevanter sozio-
und mit einem hohen Bekanntheitsgrad selbst eine           ökonomischer und -demografischer Parameter sowie
gute Lage schaffen können. Für Gesundheitsimmobi-          der signifikanten Betreiberbedeutung wird spezifi-
lien gilt allerdings generell die Besonderheit, dass bei   sches Know-how unabdingbar sein, um in diesem Seg-
der Standortwahl die Bedarfsplanung für bestimmte          ment erfolgreich und nachhaltig zu investieren.
ärztliche Fachrichtungen nicht außer Acht gelassen         1
                                                            Der Versorgungsgrad einer Region wird ermittelt, indem zwischen dem
werden darf. Bundesweit bestehen in Planungsberei-         Ist-Niveau des tatsächlichen Einwohner-Arzt-Verhältnisses und dem Soll-
chen mit zu hohen Versorgungsgraden1 (ab 110 Pro-          Niveau der Verhältniszahl verglichen wird.

24                                                   FOCUS 36
Sie können auch lesen