Polizei- und Ordnungsrecht

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Philipps-Universität Marburg WS 2010/2011

                       Polizei- und Ordnungsrecht
                                - 14 Doppelstunden -

                        Lehrbeauftragter RVGH Falko Jeuthe

Montag, 22. November 2010
(3 Doppelstunden)

C. Eingriffsvoraussetzungen und -grenzen

I. Allgemeines

1. Abgrenzung: präventives und repressives Handeln

a) Die Legaldefinition der Gefahrenabwehr in § 1 Abs. 1 Satz 1 HSOG bezieht sich
auf die präventive Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung,
entspricht dem materiellen Polizeibegriff und eröffnet für die Gefahrenabwehr- und
Polizeibehörden den allgemeinen Aufgaben- und Anwendungsbereich nach dem
HSOG, neben speziellen Gesetzen der Gefahrenabwehr (z. B. HBO, VersG). Der
präventiven Gefahrenabwehr steht für die Polizeibehörden die ihnen gemäß § 1
Abs. 2 HSOG u. a. zugewiesene repressive Aufgabe der Verfolgung von Straf-
taten gemäß § 163 StPO und Ordnungswidrigkeiten gemäß § 53 OWiG gegen-
über. In diesen Fällen ist bereits eine Rechtsverletzung in Form einer konkret
begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit erfolgt. Bei der repressiven Ermittlung
und Ahndung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten werden die Polizeibehörden
als „Hilfsbeamte“ der Staatsanwaltschaft gemäß § 152 GVG tätig; allerdings sind
auch Ordnungsbehörden teilweise zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zustän-
dig. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 HSOG finden die Vorschriften dieses Gesetzes bei der
Erfüllung von Aufgaben der (präventiven) Gefahrenabwehr Anwendung; dies gilt
nach Absatz 3 dieser Vorschrift „bei der Erforschung und Verfolgung von Straftaten
und Ordnungswidrigkeiten“ ergänzend zur Strafprozessordnung nur für die Vorschrif-
ten der §§ 55 bis 62 HSOG über die Art und Weise der Anwendung unmittelbaren
Zwanges, soweit die StPO keine abschließenden Regelungen enthält.
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Die Unterscheidung in präventive und repressive Maßnahmen ist schon für die
Gesetzgebungskompetenz relevant. Die präventive Gefahrenabwehr fällt gemäß
Art. 30 und Art. 70 Abs. 1 GG grundsätzlich in die (Auffang-)Kompetenz der Länder,
während die Strafverfolgung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG der konkurrierenden
Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das „gerichtliche Verfahren“ im Bereich
des Strafrechts unterliegt.
Die Befugnisnormen für die präventive Gefahrenabwehr sind dem HSOG oder
speziellen Gesetzen der Gefahrenabwehr, die Befugnisse im Rahmen der Straf- oder
Ordnungswidrigkeitenverfolgung dagegen der StPO zu entnehmen. Die Abgrenzung
ist insbesondere bei Maßnahmen aufgrund einzelner Standardbefugnisse erheb-
lich, weil entsprechende Eingriffsbefugnisse auch im Rahmen der Strafverfolgung
bestehen (z. B. Datenerhebung, Identitätsfeststellung, erkennungsdienstliche
Maßnahmen, Durchsuchung oder Beschlagnahme bzw. Sicherstellung).
Die Unterscheidung ist weiterhin wegen der unterschiedlichen Handlungsgrund-
sätze relevant. Während im präventiven Gefahrabwehrbereich der Opportunitäts-
grundsatz gilt (vgl. etwa § 5 HSOG), wonach die Maßnahmen der Gefahrenabwehr
nach pflichtgemäßen Ermessen erfolgen, gilt für die repressive Strafverfolgung (an-
ders bei Ordnungswidrigkeiten) das Legalitätsprinzip (vgl. § 152, § 160 und § 163
StPO), wonach Staatsanwaltschaft und Polizei grundsätzlich zur Strafverfolgung
verpflichtet sind.
Schließlich ist die Unterscheidung zwischen präventivem und repressivem Handeln
der Polizei für den dagegen einzuschlagenden Rechtsweg erheblich. Die Klage
gegen eine präventive Gefahrabwehrmaßnahme stellt eine den allgemeinen
Verwaltungsgerichten gemäß § 40 Abs. 1 VwGO zugewiesene öffentlich-rechtliche
Streitigkeit dar, während über die sog. Justizverwaltungsakte auf dem Gebiet der
Strafrechtspflege die ordentlichen Gerichte aufgrund der abdrängenden Sonder-
zuweisung des § 23 Abs. 1 EGGVG zu entscheiden haben.

b) Die Abgrenzung ist dann unproblematisch, wenn mehrere polizeiliche Maßnah-
men zwar in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, sie sich
aber bei natürlicher Betrachtungsweise in einen teilweise präventiven und einen
teilweise repressiven Handlungsteil trennen lassen (Gemengelage), die dann einzeln
zu betrachten und zu bewerten sind.
Beispiel: Nach einem Handtaschendiebstahl entreißt der beobachtende Polizist dem
Täter die Tasche, um sie in Sicherheit zu bringen (präventive Gefahrenabwehr), und
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verfolgt anschließend den flüchtenden Täter, um ihn festzunehmen (repressive
Strafverfolgung).

Schwieriger zu beurteilen sind dagegen (echte) doppelfunktionale Maßnahmen, die
zugleich der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung dienen und eine Trennung in
unterschiedliche Handlungsabschnitte nicht ermöglichen.
Beispiele: Sicherstellung und Beschlagnahme von Waffen im Vorfeld einer
Demonstration oder eines Kfz nach mehrfachen Fahrten ohne Fahrerlaubnis zur
Beweissicherung für die Strafverfolgung und Gefahrvermeidung für die Versamm-
lungs- bzw. Verkehrsteilnehmer, Eindringen der Polizei während einer Großveran-
staltung in ein Studentenwohnheim, aus dem Steine geworfen werden.

In solchen Fällen stellt die herrschende Schwerpunkttheorie (vgl. grundlegend:
BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1974 – 1 C 11.73 – BVerwGE 47 S. 255 = NJW
1975 S. 893 ff. = juris) auf den präventiven oder repressiven Schwerpunkt der
Gesamtmaßnahme ab, wobei auf den erkennbaren oder geäußerten Willen der
handelnden Beamten und andernfalls darauf abgestellt wird, wie sich der Sachver-
halt nach dem objektiven äußeren Anschein der Maßnahme einem verständigen
Bürger bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt.

Nach einer anderen Auffassung wird aus der echten Doppelfunktion der Maßnahme
hergeleitet, dass sie sowohl auf präventive wie auch auf repressive Befugnisse
gestützt werden kann und dem Betroffenen dagegen auch beide oben angeführten
Rechtswege offenstehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gericht des
zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit gemäß § 17 Abs. 2 GVG unter allen in
Betracht kommenden rechtlichen Gesichts-punkten entscheidet.

Einen Sonderfall stellt die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“ gemäß § 1
Abs. 4 HSOG dar. Die erste Alternative der Verhütung zu erwartender Straftaten ist
unproblematisch eine Aufgabe der präventiven Gefahrenabwehr.
Problematischer ist die zweite Alternative, wonach die Polizeibehörden als sog.
Strafverfolgungsvorsorge „für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen“
haben. Dabei geht es um die Speicherung und Nutzung personenbezogener
Informationen, um bei zukünftigen Strafverfahren bessere Ermittlungsansätze zu
haben. Durch die Vorhaltung von Informationen soll die spätere Aufklärung anderer
Straftaten erleichtert werden. Dabei ist fraglich, ob diese Tätigkeit nicht der Aufgabe
der Erforschung und Aufklärung von Straftaten gemäß § 163 StPO und damit dem
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repressiven Bereich der Strafverfolgung zuzuordnen ist, für den der Bund die
konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG hat (vgl.
Hess. VGH, Urteil vom 9. März 1993 – 11 UE 2613/89 – NVwZ-RR 1994 S. 652 ff. =
juris). Das Bundesverwaltungsgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung die
Ansicht, die „Strafverfolgung“ beziehe sich nur auf ein konkretes Strafverfahren,
während die Strafverfolgungsvorsorge, bei der – ohne unmittelbaren Bezug zu einem
konkreten Strafverfahren – durch die vorsorgende Bereitstellung sächlicher Hilfsmittel
die sachgerechte Erforschung und Aufklärung zukünftiger Straftaten durch die
Kriminalpolizei ermöglicht oder jedenfalls erleichtert wird, der polizeilichen Aufgabe
der (präventiven) Gefahrenabwehr zuzuordnen sei, für die sich eine konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz des Bundes unmittelbar oder jedenfalls im Wege der
Annex-Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ergebe (vgl. u. a. BVerwG, Urteil vom
23. November 2005 – 6 C 2/05 – NJW 2006 S. 1225 f. = juris). Danach ist die Straf-
verfolgungsvorsorge trotz der kompetenzrechtlichen Zuordnung zum Strafverfah-
rensrecht wegen ihres Präventivcharakters materiell-rechtliches Polizeirecht (a.A. VG
Berlin, Beschluss vom 28. März 2006 – 1 A 152.05 – juris), so dass die abdrängende
Sonderzuweisung des § 23 EGGVG nicht greift (Beispiel: Fall „ekennungsdienstliche
Maßnahmen“).

Der hessische Landesgesetzgeber hatte zunächst durch eine Ergänzung des § 1
Abs. 4 HSOG klargestellt, dass die Strafverfolgungsvorsorge „im Rahmen der
Gefahrenabwehr“ erfolge. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 27. Juli
2005 – 1 BvR 668/04 – (BVerfGE 113 S. 348 ff. = NJW 2005 S. 2603 ff. = juris)
Regelungen des niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes über die
vorbeugende Telekommunikationsüberwachung für nichtig erklärt, weil den Ländern
für diese Art der Verfolgungsvorsorge von Straftaten keine Gesetzgebungskompe-
tenz zustehe. Die Beweissicherung für künftige Strafverfahren erfolge zwar zeitlich
präventiv vor einer begangenen Straftat, betreffe aber gegenständlich ein zukünftiges
repressiv ausgerichtetes Strafverfahren, sei deshalb der Strafverfolgung zuzuordnen
und unterliege damit der konkurrierenden Bundesgesetzgebungskompetenz für das
„gerichtliche Verfahren“ gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Da der Bundesgesetzgeber
die Telekommunikationsüberwachung in der StPO abschließend geregelt habe,
bestehe insoweit für die Länder die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG. Im Hinblick
auf diese Entscheidung hat der hessische Landesgesetzgeber mit Änderungsgesetz
vom 14. Dezember 2009 in der Aufgabenzuweisungsnorm des § 1 Abs. 4 HSOG den
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Zusatz „im Rahmen der Gefahrenabwehr“ wieder gestrichen. Ob Eingriffsbefugnisse
für Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge in landesrechtlichen Polizeigesetzen
geregelt werden können, richtet sich somit danach, ob der Bundesgesetzgeber im
fraglichen Bereich bereits eine abschließende Regelung getroffen hat oder nicht.

Da für die Vornahme und Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen § 81 b
StPO Ermächtigungsgrundlage ist, wenn sie von einem Beschuldigten in einem
konkreten Strafverfahren erhoben worden sind, stellt sich danach die - später zu
behandelnde - Frage, ob im Übrigen die landesrechtliche Regelung für die
entsprechende Standardmaßnahme gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 2 HSOG auch die
Strafverfolgungsvorsorge erfasst.

2. Gefahrenabwehr als staatliche Aufgabe

Nach § 81 HSOG ist die Gefahrenabwehr Angelegenheit des Landes, soweit andere
Rechtsvorschriften nichts anderes bestimmen, also staatliche Aufgabe.

a) Die Organisationsform des Staates rechtfertigt sich aus der gewaltlosen Fortent-
wicklung des Rechts und dem Schutz der so geschaffenen Rechtsordnung u. a.
durch Sicherung der Sicherheit der Bürger, durch Gerichtsbarkeit (Art. 19 Abs. 4 GG)
und Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG). Der staatliche Schutzauftrag ergibt sich aus
dem anerkannten Gewaltmonopol des Staates und aus den Freiheitsverbürgung-
en der Grundrechte und richtet sich an alle Zweige der Staatsgewalt.

b) Die unter § 81 HSOG fallende Gefahrenabwehraufgabe ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz
1 HSOG nicht nur den staatlichen Polizeibehörden, sondern auch den bei den
Gemeinden und Landkreisen angesiedelten Verwaltungsbehörden gemäß §§ 82 ff.
HSOG und Ordnungsbehörden gemäß §§ 85 ff. HSOG zugewiesen. Die Verant-
wortung des Staates kann deshalb nur dadurch einheitlich und gleichmäßig wahr-
genommen werden, dass diese Aufgaben nicht als Selbstverwaltungsangelegen-
heiten gemäß Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 137 HV ( Ausnahme: Brandschutz und
Rettungsdienst), sondern als Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung (§ 82 Abs. 1
HSOG) bzw. als Auftragsangelegenheiten (§ 85 Abs. 1 Satz 2 HSOG) übertragen
worden sind und den übergeordneten Landesbehörden deshalb Aufsichtsbefug-
nisse bis hin zum Selbsteintrittsrecht und Organisationsbefugnisse zustehen.
(Beispiel: Fall „Melderecht“).

c) Die Verantwortlichkeit des Staates für die Gefahrenabwehr schließt die
Heranziehung Privater nicht grundsätzlich aus.
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Selbständige Hilfspersonen sind die Beliehenen, denen Aufgaben der Gefahren-
abwehr auf gesetzlicher Grundlage zur selbständigen Wahrnehmung übertragen und
die dabei von den zuständigen staatlichen Stellen überwacht werden. Ihre auf unmit-
telbare Rechtswirkung nach außen gerichteten Maßnahmen sind Verwaltungsakte
gemäß § 35 Satz 1 HVwVfG, die mit einer gegen den Beliehenen gerichteten
Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO anfechtbar sind; Amtshaftungsan-
sprüche richten sich gegen die beleihende Körperschaft. Derartige Beliehene sind
z. B. die Technischen Überwachungsvereine im Hinblick auf die Kraftfahrzeug-
verkehr und überwachungsbedürftige Anlagen, die Bezirksschornsteinfeger, die
Prüfingenieure für Baustatik und Vermessungsingenieure.
Unselbständige, d. h. weisungsgebundene Hilfspersonen sind etwa Hilfspolizei-
beamte gemäß § 99 HSOG, die zur Aufstellung von Straßenschildern nach § 45 Abs.
6 StVO befugten Bauunternehmer, zum Abschleppen verbotswidrig abgestellter
Kraftfahrzeuge herangezogene Abschleppunternehmer oder von der Bauaufsichts-
behörde zur Beurteilung der Standsicherheit herangezogene Sachverständige.
Der Einsatz von Angehörigen des Freiwilligen Polizeidienstes, die sich nach dem
Hessischen Freiwilligen-Polizeidienst-Gesetz (HFPG) vom 13. Juni 2000 freiwillig für
die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben zur Verfügung gestellt haben, ohne Be-
dienstete einer Polizeibehörde zu sein, ist gemessen an Art. 33 Abs. 4 GG recht
zweifelhaft, wonach die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Auf-
gabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen ist, die in
einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, so dass für die
Ausnahme der Übertragung an Privatpersonen ein Rechtfertigungsbedarf besteht.
Die zum Kern der originären Staatsaufgaben gehörende präventive und repressive
Tätigkeit im Bereich der öffentlichen Sicherheit und die damit verbundene Wahr-
nehmung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe soll danach im Regel-
fall staatlichen Beamten anvertraut werden. Demgegenüber werden durch das HFPG
den nichtverbeamteten Angehörigen des Freiwilligen Polizeidienstes, die nach einer
Kurzeinweisung in ihrer arbeitsfreien Zeit gegen eine von der Kommune gezahlte
Aufwandsentschädigung ehrenamtlich tätig sind, umfangreiche polizeiliche Befug-
nisse einschließlich des Einsatzes von Zwangsmitteln zur eigenständigen Wahr-
nehmung übertragen (vgl. zur dortigen Auflösung des freiwilligen, ehrenamtlichen
Polizeidienstes: VerfGH Berlin, Beschluss vom 1. November 2004 – 120/03 – LKV
2005 S. 212 = juris).
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Die zunehmend für den Objekt- und Personenschutz eingesetzten privaten
Sicherheitsdienste verfügen mangels Beleihung und Verleihung hoheitlicher
Befugnisse über keinerlei (hoheitliche) Handlungsrechte gegenüber Dritten. Sie
dürfen ausschließlich die ihrem Auftraggeber zustehenden privaten Rechte, wie
Schutz- und Selbsthilferechte nach den §§ 859 und 226 ff. BGB, Notwehr-, Nothilfe-
und Notstandsrechte nach den §§ 32 ff. StGB und strafprozessuale Verfolgungs-
rechte nach § 127 StPO gegenüber Dritten ausüben. Sie bedürfen gemäß § 34 a
GewO i.V.m. der Verordnung über das Bewachungsgewerbe einer gewerberecht-
lichen Erlaubnis. An ihre Mitarbeiter dürfen bei Zuverlässigkeit, persönlicher Eignung
und Sachkunde waffenrechtliche Erlaubnisse zum Führen von Schusswaffen erteilt
werden, wenn besonders anzuerkennende persönliche oder wirtschaftliche Interes-
sen als Bewachungsunternehmer glaubhaft gemacht sind. Durch die zunehmende
Stärke der privaten Sicherheitsdienste im Verhältnis zu der eher abnehmenden Zahl
der Polizeivollzugsbeamten droht das staatliche Gewaltmonopol in Frage gestellt zu
werden. Dieses dürfte aber etwa der Übertragung des „Hausrechts“ an innerstädt-
ischen Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen an den Einzelhandel entgegenstehen.

3. Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes

a) Die rechtsstaatliche Ausübung der Gefahrenabwehr ist zunächst durch die
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gewährleistet und
kommt vor allem in der Wahrung der Grundrechte zum Ausdruck. Während der
Vorrang des Gesetzes ausnahmslos für jegliche Verwaltungstätigkeit gilt und einen
Verstoß gegen bestehende Gesetze verbietet, besagt der aus den Grundrechten,
dem Rechtsstaatsprinzip und dem Demokratieprinzip abgeleitete Vorbehalt des
Gesetzes, dass in den Schutzbereich von Freiheitsgrundrechten eingreifende
Verwaltungsmaßnahmen einer formal-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage
bedürfen. Dieser sog. Parlamentsvorbehalt verlangt, dass die wesentlichen Voraus-
setzungen für den Eingriff in Grundrechte durch das demokratisch legitimierte
Parlament selbst geregelt werden müssen oder sich zumindest auf eine solche
Regelung zurückführen lassen; dementsprechend bestimmt Art. 80 Abs. 1 GG, dass
Inhalt, Zweck und Ausmaß einer Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung
im Gesetz bestimmt werden muss. Ein den Gesetzes- bzw. Parlamentsvorbehalt
auslösender Eingriff geht über finale, unmittelbare Rechtseingriffe durch Gebote und
Verbote hinaus und umfasst etwa auch die nicht bezweckten, aber voraussehbaren
und in Kauf genommenen Nebenfolgen in Form einer schwerwiegenden Beeinträch-
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tigung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten beruflichen Betätigungsfreiheit.
Beispiel: Veröffentlichung einer Liste glykolhaltiger Weine nach Herkunftsland,
Jahrgang, Bezeichnung, Prüfnummer, Name der Abfüller und Glykolgehalt des
jeweiligen Weines.

b) Dementsprechend gehört es zum rechtsstaatlichen Wesen des Gefahrenabwehr-
rechts, dass zwischen Aufgabenzuweisungsnormen wie § 1 Abs. 1 HSOG und
Befugnisnormen wie § 11 und §§ 12 bis 43 HSOG genau unterschieden wird.
Die Aufgabenzuweisungsvorschriften eröffnen den behördlichen Aufgabenbereich
und gemäß § 3 Abs. 1 HSOG den Anwendungsbereich dieses Gesetzes. Sie enthal-
ten keine detaillierten Tatbestandsvoraussetzungen, an die eine Berechtigung zu
Gefahrenabwehrmaßnahmen geknüpft wird, und erfüllen deshalb nicht die Voraus-
setzungen einer Ermächtigung zu Eingriffen in „Freiheit und Eigentum“. Entgegen
dem historischen Verständnis des Polizeistaates im Absolutismus ist ein Schluss von
der Aufgabe auf die Befugnis nicht zulässig. Aufgabenzuweisungsnormen bringen
das Gesetzmäßigkeitsprinzip nur insoweit zur Geltung, als sie Maßnahmen ohne
Eingriffsqualität erlauben, wie etwa Streifenfahrten, allgemeine Warnungen (vor
Jugendsekten) oder Vorbeugeaktionen.

II. Befugnisnormen (Struktur)

1. Die danach für Gefahrabwehrmaßnahmen mit „Eingriffswirkung“ erforderlichen
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen bzw. Befugnisnormen unterliegen im Gefah-
renabwehrrecht einer Dreiteilung in aufgabenbezogene Generalklauseln im Sinne
der preußischen Rechtstradition (§ 11 HSOG) und fachspezifische Einzelermächti-
gungen im Sinne der süddeutschen Tradition, die sich ihrerseits aufteilen in die
typologischen Standardmaßnahmen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts
(§§ 12 bis 43 HSOG) und die sondergesetzlichen Eingriffsermächtigungen in
Fachgesetzen zur Gefahrenabwehr (wie etwa im Versammlungs-, Vereins-, Gewer-
be-, Verkehrs-, Ausländer-, Umwelt- und Bauordnungsrecht).
Dabei besteht ein Anwendungsvorrang im Sinne der Spezialität der sondergesetz-
lichen Eingriffsermächtigungen gegenüber den subsidiär anwendbaren Befugnisnor-
men des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts (vgl. § 3 Abs.1 Sätze 2 und 3
HSOG) und hier wiederum im Verhältnis der Standardbefugnisse gegenüber der
Generalklausel (§ 11, 2. HS HSOG).

Die Anwendbarkeit der Generalklausel ist also doppelt subsidiär.
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2. Der Anwendungsvorrang der fachspezifischen Ermächtigungen setzt voraus,
dass diese eine abschließende Regelung treffen, was sich sowohl auf die Eingriffs-
voraussetzungen wie auch auf die Eingriffsmaßnahmen beziehen kann. In Fällen der
ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes und in der Regel auch bei der konkur-
rierenden Gesetzgebung kann grundsätzlich von einer abschließenden Regelung
ausgegangen werden. Als Faustregel kann gelten, dass gesetzlich geregelte
spezielle Eingriffsvoraussetzungen eher eine abschließende Regelung darstellen als
die auf der Rechtsfolgenseite geregelten Gefahrenabwehrmaßnahmen in Bezug auf
Inhalt und Adressaten; hier ist ein Rückgriff auf das allgemeine Polizei- und Ord-
nungsrecht im Allgemeinen nicht ausgeschlossen.

3. Die im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht enthaltenen Spezialermächti-
gungen für standardisierte Maßnahmen (sog. Standardbefugnisse) richten sich in
Hessen neben den Polizeibehörden auch teilweise an die allgemeinen Gefahren-
abwehrbehörden, weisen jeweils einen direkten Grundrechtsbezug auf und stellen
deshalb vielfach engere Eingriffsvoraussetzungen auf, vor allem gesteigerte Anfor-
derungen an die Gefahr; sie stellen i.d.R. gegenüber der Generalklausel abschlie-
ßende Regelungen dar. Da sie den der Polizei im Rahmen der repressiven Strafver-
folgung verliehenen Eingriffsbefugnissen teilweise sehr ähnlich sind, muss zur
Ermittlung der anwendbaren Befugnisnorm und des zutreffenden Rechtsweges
zwischen präventiver Gefahrenabwehr und repressiver Strafverfolgung abgrenzt
werden, was insbes. bei Gemengelagen die oben bereits dargestellten
Schwierigkeiten aufwirft .

4. Aus dem Anwendungsvorrang der sondergesetzlichen Eingriffsermächtigungen
und der Standardbefugnisse des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts ergibt
sich die Subsidiarität der Anwendung der Generalklausel. Die Generalklausel kann
bei einem „zerlegbaren“ einheitlichen Lebensvorgang neben Spezialermächtigungen
zur Anwendung kommen. Ergänzend ist sie dann heranzuziehen, wenn Spezial-
gesetze nur (straf- oder bußgeldbewehrte) Gebote und Verbote, aber keine
Befugnisnormen zu ihrer behördlichen Durchsetzung enthalten, wie etwa das
Hessische Feiertagsgesetz. Da der Vorbehalt des Gesetzes sich auch auf die Art und
Weise der Durchsetzung gesetzlicher Anordnungen bezieht, sind materielle Ge- und
Verbotsbestimmungen keine Ermächtigungsgrundlagen, so dass für den Eingriff auf
die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel ergänzend zurückgegriffen
werden muss (sog. unselbständige Verfügung).
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Die polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklauseln weisen übereinstimmend eine
konditionale Normstruktur auf, die dem klassischen „Wenn-Dann-Schema“ folgt:
Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, dann ist die zuständige
Behörde berechtigt, die zur Gefahrenabwehr notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
Dabei beinhaltet die Tatbestandsseite zwei Eingriffsvoraussetzungen: es muss für
ein Schutzgut (öffentliche Sicherheit/öffentliche Ordnung) eine Gefahr bestehen. Auf
der Rechtsfolgenseite ist die notwendige Gefahrenabwehrmaßnahme in das Er-
messen der Behörde gestellt, das aus Entschließungs- und Auswahlermessen
besteht. Das Auswahlermessen bezieht sich sowohl auf das einzusetzende Mittel
wie auch auf die Auswahl zwischen mehreren Verantwortlichen.

Die Struktur der Generalklausel verbindet danach unbestimmte Rechtsbegriffe auf
der Tatbestandsseite mit Ermessen auf der Rechtsfolgenseite.

III. Schutzgüter

Obwohl in den traditionellen polizeirechtlichen Generalklauseln des § 10 Teil II Titel
17 PrALR und § 14 Abs. 1 PrPVG die „öffentliche Ordnung“ als polizeiliches Schutz-
gut gleichrangig neben der „öffentlichen Sicherheit“ aufgeführt war, kommt der
„öffentlichen Sicherheit“ im Zuge der fortschreitenden „Verrechtlichung“ aller Lebens-
verhältnisse für die Gefahrenabwehr die weit überwiegende Bedeutung zu.

1. Öffentliche Sicherheit

Der Begriff der öffentlichen Sicherheit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der nicht
dem behördlichen Beurteilungsspielraum, sondern voller gerichtlicher Überprüfung
unterliegt. Er ist im HSOG nicht definiert, aber in langjähriger und umfangreicher
Rechtsprechung und in der Literatur so konkretisiert worden, dass er den Bestimmt-
heitsanforderungen einer Ermächtigungsgrundlage für gefahrabwehrende Eingriffs-
maßnahmen genügt. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit enthält entsprechend den
traditionellen Vorbildern individual- und kollektiv bezogene Elemente.
In § 3 Nr. 1 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes
Sachsen-Anhalt (SOG LSA) findet sich eine Legaldefinition; danach ist öffentliche
Sicherheit

             „die Unverletztlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven
             Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestandes,
             der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger
             Träger der Hoheitsgewalt.“
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a) Durch das Element der Unverletzlichkeit der (objektiven) Rechtsordnung sind
alle formellen und materiellen Gesetze vom Grundgesetz bis zu Rechtsverordnungen
und Satzungen in den Schutzbereich einbezogen. Im Vordergrund steht dabei die
Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten; § 1 Abs. 4 HSOG enthält
insoweit lediglich eine Klarstellung für die Polizeibehörden. Wegen des präventiven
Charakters der Gefahrenabwehr ist für ein Einschreiten eine drohende objektive
Verletzung von Straf- und Ordnungswidrigkeitenvorschriften ausreichend, auf
subjektive Strafbarkeitselemente wie Verschulden und Schuldfähigkeit kommt es
deshalb nicht an
Beispiel: Unterschlagung einer Geldbörse durch einen Volltrunkenen.
Auch die (drohende) Verletzung öffentlich-rechtlicher Gebote und Verbote in
Spezialgesetzen oder etwa auch in Gefahrabwehrverordnungen, die häufig keine
eigenen Ermächtigungsgrundlagen für behördliche Eingriffe enthalten, kann unter
Heranziehung der Generalklausel abgewehrt werden, ohne dass im konkreten
Einzelfall eine Gefährdung oder Verletzung des jeweiligen Schutzgutes festgestellt
werden muss. Durch die öffentlich-rechtliche Durchnormierung vieler Lebensbereiche
wird dadurch die Gefahrenabwehr in die abstrakte Gefahrenvorsorge und -verhütung
vorverlagert.

b) Der Schutz privater Rechte und individueller Rechtsgüter umfasst nicht nur die
absoluten Rechte (Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum), sondern grundsätzlich
auch privatrechtliche Rechtsansprüche. Für ausschließlich privatrechtlich geschützte
Rechte ist aber die Subsidiaritätsklausel des § 1 Abs. 3 HSOG zu berücksichtigen.
Im Sinne der staatlichen Kompetenzordnung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG obliegt der
Schutz privater Rechte und individueller Rechtsgüter primär den ordentlichen
Gerichten und den ihnen zugeordneten Vollstreckungsorganen, wobei für Eilfälle
auch vorläufiger Rechtsschutz durch Arrest (§§ 916 ff. ZPO) und einstweilige Verfü-
gung (§§ 935 ff. ZPO) in Frage kommt. Die subsidiäre Zuständigkeit der Gefahren-
abwehrbehörden besteht nur für Not- bzw. Eilfälle und muss sich regelmäßig auf
vorläufige Maßnahmen zur Sicherung des gefährdeten Rechts beschränken; nur
ausnahmsweise können endgültige Maßnahmen getroffen werden. Die Bedeutung
dieses Subsidiaritätsgrundsatzes ist aber deshalb gering, weil viele private Rechts-
güter häufig zugleich durch das öffentliche Recht, insbesondere durch Straf- bzw.
Ordnungswidrigkeitentatbestände geschützt sind.      Beispiele: Hausbesetzung und
§ 123 StGB, übermäßiger Lärm und Lärmschutzverordnung.
12

Dem entspricht es, dass der Einzelne nach herkömmlicher Anschauung auch im
öffentlichen Interesse als „Repräsentant der Allgemeinheit“ geschützt wird. Da die
Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte gegen Staatseingriffe gewähren,
sondern sich aus ihnen auch eine objektiv-rechtliche Wertentscheidung der Verfas-
sung mit der Schutzverpflichtung des Staates ergibt, ist das öffentliche Schutzinter-
esse immer berührt, wenn die bedrohten Individualrechtsgüter grundrechtsrelevant
sind.
Fraglich ist diese staatliche Schutzpflicht allerdings dann, wenn es um Fälle reiner
Selbstgefährdung geht, durch die Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit nicht in
Mitleidenschaft gezogen werden. Beispiele: Hochseilartisten, gefährliche Sportarten,
medizinische Selbstversuche, übermäßiger Alkoholkonsum.

Der soziale Bezug einer Selbstgefährdung kann aber etwa die Gurt- und Helmpflicht
für Auto- und Motorradfahrer rechtfertigen, wie auch beim alpinen Klettern der poten-
tielle Einsatz der Bergwacht mitberücksichtigt werden muss. Auch durch Vorschriften
des Betäubungsmittelrechts und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften
werden Selbstgefährdungen dem Schutzgut der öffentlichen Sicherheit unterworfen.
Das aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG grundsätzlich herzuleitende Recht zur
Selbstgefährdung findet wegen der Schutzpflicht des Staates für das Rechtsgut
„Leben“ in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch seine Grenze bei einer Selbstmordgefahr.
Hier kann, wie auch in anderen Selbstgefährdungsfällen, darauf abgestellt werden,
ob der Betroffene in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand
handelt. So kann eine Schutzgewahrsamsnahme gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 1 HSOG
oder eine Zwangsernährung Gefangener gemäß § 101 StrVollzG gerechtfertigt sein.
Wegen der Bedrohung von Leben, Gesundheit und Eigentum kann auch eine unfrei-
willige Obdachlosigkeit als Gefahr für die öffentliche Sicherheit angesehen werden.
Auch der Schutz der zu einem kollektiven Gesamtrechtsgut zusammengefassten
Individualrechtsgüter (z. B. Volksgesundheit, öffentliche Wasserversorgung, Natur
und Landschaft) kann der öffentlichen Sicherheit zugeordnet werden.

c) Der Schutz des Staates und sonstiger Hoheitsträger in Bestand und Funktions-
fähigkeit ihrer Einrichtungen und Veranstaltungen insbesondere gegen äußere Stö-
rungen umfasst alle Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts (Bund, Länder, Kommu-
nen, Kammern, Hochschulen, Rundfunkanstalten etc.), Behörden und Organe
(Regierungen, Parlamente, Gerichte etc.) sowie Einrichtungen (Theater, Museen,
Bibliotheken, Dienstgebäude etc.) und Veranstaltungen (Staatsbesuche, Manöver).
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Dieses Schutzelement ist angesichts der Vielzahl besonderer Rechtsvorschriften
relativ bedeutungslos. Der Schutz ihrer Funktionsfähigkeit wird häufig auch durch die
betroffenen staatlichen Organe oder Einrichtungen über ihre Ordnungsgewalt
(Parlamentspräsidenten, „Sitzungspolizei“ des Gerichtsvorsitzenden gemäß § 176
GVG) oder durch das öffentlich-rechtliche Hausrecht von Behördenleitern gewähr-
leistet, in deren Bereich die Gefahrabwehrbehörden nur auf Ersuchen hin zum
Schutz wichtiger Rechtsgüter tätig werden. Die Polizei kann etwa auch zum Schutz
ihrer eigenen Tätigkeit Platzverweisungen aussprechen. In diesem Zusammenhang
ist auch der Fall der „Warnung vor einer polizeilichen Radarkontrolle“ relevant, wo-
durch zwar einerseits Verkehrsverstöße vermieden, andererseits aber die Verfolgung
begangener Ordnungswidrigkeiten durch die Polizei erschwert wird.
Im Rahmen dieses Schutzelementes ist auch eine deutliche Zuständigkeitsabgren-
zung zwischen den beobachtend und informierend tätigen Verfassungsschutz-
ämtern und den Gefahrabwehrbehörden erforderlich; ob diese Trennung verfas-
sungsrechtlich geboten ist, ist streitig. Die Verfassungsschutzämter sind der Polizei
gegenüber nicht weisungsbefugt.

2. Öffentliche Ordnung

a) Die Bedeutung des noch in § 14 Abs. 1 PrPVG aufgeführten selbständigen
Schutzgutes der „öffentlichen Ordnung“ ist angesichts der fortschreitenden Verrecht-
lichung fast aller Lebensbereiche sehr gering.

In einigen Landesgesetzen (Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen,
Saarland, Schleswig-Holstein) ist es in den Generalklauseln nicht mehr enthalten.
Nach der Legaldefinition in § 3 Nr. 2 SOG LSA ist die öffentliche Ordnung

           „die Gesamtheit der im Rahmen der verfassungsmäßigen
           Ordnung liegenden ungeschriebenen Regeln für das Verhalten
           des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils
           herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines
           geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens betrachtet wird“.

Dieses Schutzgut ist zudem erheblicher Kritik ausgesetzt. Der Begriff sei zu unbe-
stimmt, bleibe trotz der Konkretisierungsversuche unscharf, sei inhaltlich örtlich und
regional unterschiedlich und einem ständigen Wandel unterworfen, verwische unzu-
lässig die Grenzen zwischen Recht, Sitte und Moral. In einem demokratischen
Rechtsstaat sei es Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers, die für das
Zusammenleben unverzichtbaren Regeln zu Sitte und Moral aufzustellen. Es gehe
14

um die Durchsetzung von Wertvorstellungen der Mehrheit, also um eine „Wertedik-
tatur“ zu Lasten von Minderheiten. So werden die Urteile des Bundesverwaltungs-
gerichts zur Sittenwidrigkeit von Peep-Shows als „spätwilhelminisch-autoritäre
staatliche Sittenwächterei“ bezeichnet (Denninger, in Staats- und Verwaltungsrecht
für Hessen, 5. Aufl. 2000, S. 289).
Nach anderer Auffassung komme diesem Schutzgut eine Reservefunktion zu, die
zurückhaltend anzuwenden sei. Dafür werden u. a. folgende Fallgruppen aufgeführt:
Soziale Notlagen wie etwa die unfreiwillige Obdachlosigkeit, Fallgestaltungen mit
Bezug zu Sittlichkeits- bzw. Sexualitätsfragen wie„Nacktradel-Aktionen“ oder nicht
verbotene Prostitution, anstößig empfundene Spiele bzw. Wettbewerbe wie etwa
Tötungsspiele mit Laserpistolen, aggressives Betteln und Alkoholkonsum im
öffentlichen Straßenraum oder Aufmärsche und Aktivitäten von Rechtsextremisten.

IV. Gefahr

1. Allgemeines

a) Der Tatbestand der „Gefahr“ bestimmt in der Abwägung zwischen dem staatlichen
Schutzzweck der Sicherheitsgewährleistung und der Freiheitsbeeinträchtigung des
Betroffenen die „Eingriffsschwelle“ für Gefahrabwehrmaßnahmen. Auch dieser
unbestimmte Rechtsbegriff unterliegt keinem behördlichen Beurteilungsspielraum
und ist deshalb gerichtlich voll überprüfbar. Auch insoweit haben Rechtsprechung
und Literatur eine als hinreichend anzusehende Konkretisierung bewirkt.

b) Auch für den Begriff der Gefahr findet sich im HSOG keine Legaldefinition (vgl.
aber § 3 Nr. 3 SOG LSA), nach allgemeiner Auffassung ist aber eine Gefahr

             „eine Sachlage, in der bei ungehindertem Ablauf des objektiv
             zu erwartenden Geschehens in absehbarer Zeit mit hinreichender
             Wahrscheinlichkeit ein Schaden für ein polizeiliches Schutzgut
             eintreten wird“.

Als Schaden wird die nicht ganz unerhebliche Minderung des polizeilichen Schutz-
gutes angesehen, um bloße Belästigungen, Unbequemlichkeiten oder Geschmack-
losigkeiten aus der Gefahrenabwehr herauszunehmen.
Die hinreichende Wahrscheinlichkeit erfordert eine behördliche Prognose, die
nach den zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegenden objektiven Tatsachen aus
der ex- ante-Sicht eines objektiven und besonnenen Amtswalters zu stellen ist. Die
„hinreichende“ Wahrscheinlichkeit erfordert keine absolute Gewissheit und ist bei
15

einer bloß ganz entfernt liegenden Möglichkeit nicht gegeben. Unter Einbeziehung
des bedrohten Schutzgutes sind im Sinne einer Wechselwirkung die an die Wahr-
scheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellenden Anforderungen umso geringer, je
bedeutsamer und höherwertiger das gefährdete Schutzgut ist. Bei drohenden
Lebens- oder schwerwiegenden Gesundheitsgefahren kann für die Gefahrenprog-
nose sogar die entfernte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ausreichen.
Bei einer Störung hat sich die Gefahr bereits verwirklicht, die Gefahrenabwehr be-
zweckt dann die Beseitigung einer fortdauernden Rechtsgutverletzung und die Ver-
hinderung weiterer in die Zukunft wirkender Gefährdungen. Nur wenn sich die Gefahr
danach abschließend realisiert hat, ist für präventive Maßnahmen kein Raum mehr,
sondern nur noch für repressives Vorgehen und/oder Schadensersatz.

2. konkrete und abstrakte Gefahr

Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Gefahrmodalitäten ist nicht für die
Eröffnung des Aufgabenbereichs der Gefahrenabwehr gemäß § 1 Abs. 1 HSOG
maßgeblich, sie stellen auch keine unterschiedlichen Anforderungen an die
Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts auf, sondern haben lediglich andere
Bezugspunkte und sind deshalb für die den Gefahrenabwehrbehörden jeweils
eröffneten Handlungsmodalitäten von Bedeutung.
Die „im einzelnen Falle“ bestehende konkrete Gefahr ist Voraussetzung für
Einzelfallmaßnahmen aufgrund der Generalklausel gemäß § 11 HSOG oder
aufgrund der Standardbefugnisse gemäß §§ 12 bis 43 HSOG. Eine abstrakte
Gefahr ist demgegenüber eine Sachlage, die bei genereller Beurteilung bestimmter
Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder
den Erkenntnissen fachkundiger Stellen (vgl. § 3 Nr. 3 f SOG LSA) typischerweise
und regelmäßig, mindestens aber in einer Vielzahl von Fällen mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu einem Einzelfallschaden führt, mit abstrakt- generellen
Mitteln zu bekämpfen ist und deshalb gemäß § 71 HSOG den Erlass von Gefahren-
abwehrverordnungen (z.B. Taubenfütterungsverbot ) rechtfertigt. Fehlt ein solche
unmittelbare Schadensgefahr, kommt eine bloße Gefahrenvorsorge in Frage, die
einer speziellen gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl. etwa § 71 a HSOG)

3. besondere Gefahrenstufen

In spezialgesetzlichen Eingriffstatbeständen und den polizeirechtlichen Standard-
befugnissen sind häufig Maßnahmen mit höherer Eingriffsintensität vorgesehen,
16

die dementsprechend auch höhere und qualifizierte Anforderungen an die den
Eingriff rechtfertigende Gefahrenlage stellen, und zwar hinsichtlich der Wahrschein-
lichkeit eines Schadenseintritts und/oder des Gewichts des bedrohten Schutzgutes.

a) Bei einer gegenwärtigen bzw. drohenden Gefahr ist die Störung bereits einge-
treten und fortwirkend oder steht unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicher-
heit grenzender Wahrscheinlichkeit bevor (vgl. § 3 Nr. 3 b SOG LSA); sie ist etwa
erforderlich für die Inanspruchnahme eines Nichtstörers gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1
HSOG, für eine Wohnungsverweisung gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 HSOG, für eine
Wohnungsdurchsuchung ohne Einwilligung des Inhabers gemäß § 38 Abs. 2 Nr. 2
HSOG oder für eine Sicherstellung gemäß § 40 Nr. 1 HSOG.

b) Eine erhebliche Gefahr liegt vor, wenn bedeutsame Rechtsgüter, wie etwa Leib,
Leben und Freiheit, bedroht sind oder Schäden größeren Ausmaßes zu befürchten
sind; sie ist ebenfalls für die Heranziehung eines Nichtstörers gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1
HSOG erforderlich und für Amtshandlungen der Polizeien anderer Bundesländer in
Hessen gemäß § 102 Abs. 1 Nr. 3 HSOG.

c) Eine dringende Gefahr ist anzunehmen, wenn eine erhebliche Gefahr mit großer
Wahrscheinlichkeit in aller nächster Zukunft eintreten wird; sie ist für eine Wohn-
raumüberwachung gemäß Art. 13 Abs. 4 GG und zur Betretung von Wohnungen
gemäß § 38 Abs. 6 HSOG erforderlich.

d) Bei Gefahr im Verzug könnte ein Schaden durch ein Eingreifen der an sich
zuständigen Behörde oder bei vorheriger Einschaltung eines Richters nicht
rechtzeitig verhindert werden, so dass eine Zuständigkeitsverschiebung bzw. eine
Verfahrensvereinfachung erlaubt ist; etwa bei Wohnungsdurchsuchungen gemäß
Art. 13 Abs. 2 und Abs. 4 Satz 2 GG, bei Datenerhebungen durch Observation
gemäß § 15 Abs. 3 HSOG, bei einer zwangsweisen Vorführung gemäß § 30 Abs. 4
Satz 1 HSOG, bei körperlichen Untersuchungen gemäß § 36 Abs. 5 Satz 2 HSOG
und bei Wohnungsdurchsuchungen gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 HSOG.

e) Eine gemeine Gefahr besteht für eine Vielzahl von Personen und/oder Sachen,
wie etwa bei Seuchen, Naturkatastrophen oder Terroranschlägen und kann ebenfalls
eine Wohnraumüberwachung gemäß Art. 13 Abs. 4 GG rechtfertigen.

f) Bei einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ist u. a. ein Auskunftsverweiger-
ungsrecht gemäß § 12 Abs. 2 Satz 3 HSOG ausgeschlossen, können Daten in oder
aus Wohnungen gemäß § 15 Abs. 4 HSOG ohne Kenntnis der betroffenen Person
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erhoben, kann eine Vorladung gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 HSOG zwangsweise durch-
gesetzt werden, kann eine Wohnungsverweisung gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 HSOG
erfolgen, eine Person gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 1 HSOG in Gewahrsam genommen,
eine körperliche Untersuchung gemäß § 36 Abs. 5 Satz 1 HSOG durchgeführt, eine
Wohnung gemäß § 38 Abs. 2 Nr. 2 HSOG durchsucht und eine Schusswaffe
gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 gegen Personen gebraucht werden.

4. besondere Gefahrenlagen

a) Eine Anscheinsgefahr ist von der sog. Putativ- bzw. Scheingefahr abzu-
grenzen. In beiden Fällen lag bei einer nachträglich objektiven Betrachtung im
Zeitpunkt des gefahrabwehrenden Handelns tatsächlich keine Gefahr vor.
Bei der Anscheinsgefahr war aufgrund der ex-ante-Sicht eines gewissenhaften,
besonnenen und sachkundigen Amtswalters bei verständiger und fehlerfreien Würdi-
gung der seinerzeit objektiv vorliegenden Anhaltspunkte zutreffend die Wahrschein-
lichkeit eines Schadenseintritts anzunehmen, so dass unter Berücksichtigung der
Funktion des Gefahrenabwehrrechts die Eingriffsmaßnahme gerechtfertigt war, weil
die Behörde nicht auf bloße Aufklärungsmaßnahmen beschränkt ist.
Beispiele: Öffnen eines abgestellten Pkw mit einem Draht durch den Eigentümer
wegen eines vergessenen Schlüssels, Dynamit-Attrappe im Auto zur Abschreckung
von Dieben, Hilfeschreie durchs geöffnete Fenster aus dem TV, Zeitschaltuhr in einer
Wohnung während des Urlaubs).
Eine bloße Scheingefahr ist demgegenüber anzunehmen, wenn für die Annahme
einer Gefahrensituation im Zeitpunkt des Eingreifens bei pflichtgemäßer Einschätz-
ung keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorlagen; dann ist die
Gefahrenabwehrmaßnahme nicht gerechtfertigt.

b) Beim Gefahrenverdacht sind die tatsächlichen Anhaltspunkte, die den
Verdacht einer Gefahr begründen könnten, der Behörde bekannt, sie ist sich aber
bewusst, dass die ihr bekannten Erkenntnisse unvollständig sind und für die Annah-
me einer Gefahr nicht ausreichen. In einem solchen Fall ist fraglich, ob sog.
Gefahrerforschungseingriffe als Gefahrabwehr- oder Amtsermittlungsmaßnahmen
gemäß § 24 HVwVfG anzusehen und zulässig sind. Derartige Situationen treten
häufig in Bezug auf Umweltgefahren auf, etwa bei einem Verdacht auf Bodenver-
unreinigungen und Grundwassergefährdungen durch Altlasten. Reine Aufklärungs-
maßnahmen, die Rechte Dritter nicht beeinträchtigen, sind dann durch die Aufgaben-
18

zuweisung und den Untersuchungsgrundsatz gedeckt; auch gewisse Beeinträchti-
gungen im Rahmen von Gefahrenerforschungseingriffen sind hinzunehmen.
Beispiel: Betreten fremder Grundstücke zur Bodenentnahme.
Fraglich ist jedoch, ob ein potentiell Verantwortlicher, wie etwa ein Grundstücks-
eigentümer, über die bloße Duldung hinaus auch zur eigenen Durchführung derar-
tiger Aufklärungsmaßnahmen (und damit zur Kostentragung) verpflichtet werden
kann. Teilweise wird insoweit eine ex-post-Betrachtung vertreten: Bewahrheitet sich
der Verdacht, können sie als Vorbereitungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr unter
die Generalklausel subsumiert werden; andernfalls stellen sie bloße, von der
Behörde auf eigene Kosten durchzuführende Untersuchungsmaßnahmen dar.
Auf jeden Fall ist hier nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der
Verhältnismäßigkeit zu entscheiden.
Ein derartiger Fall ist spezialgesetzlich etwa in § 9 Abs. 2 Satz 1 des Bundes-
Bodenschutzgesetzes dahin geregelt, dass Verursacher, dessen Gesamtrechts-
nachfolger, frühere oder gegenwärtige Grundstückseigentümer und Besitzer eines
Grundstücks zu den notwendigen Untersuchungen zur Gefährdungsabschätzung
verpflichtet werden können, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte der hinrei-
chende Verdacht einer schädlichen Bodenveränderung oder einer Altlast besteht.

c) In Reaktion auf neuartige Bedrohungen der inneren Sicherheit durch inter-
nationalen Terrorismus und organisierte Kriminalität werden polizeiliche Aufgaben
zunehmend in das Vorfeld konkreter Gefahrensituationen verlagert, wie etwa zur
vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten gemäß § 1 Abs. 4 HSOG. Für derartige
vorbeugende Gefahrenabwehrmaßnahmen, die im Wesentlichen der Informations-
gewinnung dienen, sind etwa Befugnisnormen zur Beobachtung öffentlich zugäng-
licher Orte gemäß § 14 Abs. 3 und 4 HSOG und zur Identitätsfeststellung gemäß
§ 18 Abs. 2 Nr. 6 HSOG geschaffen worden. So ist auch das Erfordernis einer
gegenwärtigen Gefahr für eine Rasterfahndung gemäß § 26 HSOG im Jahre 2002
gestrichen worden. Die Einführung derartiger verdachtsunabhängiger Polizeimaß-
nahmen wird teilweise auch kritisch gesehen.

d) Auch im Fall einer latenten Gefahr liegt derzeit noch keine einen Eingriff
rechtfertigende Gefahr vor, sie kann sich jedoch durch Hinzutreten weiterer
Umstände aktualisieren.    Beispiel: Schweinemästerei bei heranrückender
Wohnbebauung). Derartige Nutzungskonflikte werden in der Regel über
bau- bzw. immissionsschutzrechtliche Vorschriften gelöst.
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V. Ermessen und Verhältnismäßigkeit

1. Opportunitätsprinzip

Bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsnormen sind die
Gefahrabwehrbehörden auf der Rechtsfolgenseite zu Eingriffsmaßnahmen
ermächtigt, nicht aber verpflichtet, wie grundsätzlich die Strafverfolgungsbehörden
nach dem Legalitätsprinzip der §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 (Staatsanwaltschaft) und
163 Abs. 1 (Polizei)StPO. Im präventiven Gefahrabwehrrecht gilt nicht das Lega-
litäts-, sondern das Opportunitätsprinzip. Danach ist den Gefahrenabwehrbe-
hörden auf der Rechtsfolgenseite der Generalklausel wie auch der Standardbefug-
nisse nach deren Wortlaut „können“ und nach § 5 HSOG für die Frage des
Einschreitens ein „pflichtgemäßes Ermessen“ eingeräumt. Die abweichenden
Formulierungen der Aufgabenzuweisungen, wonach sie etwa gemäß § 1 Abs. 1
HSOG die Aufgabe der Abwehr von Gefahren zu erfüllen „haben“, stehen dem nicht
entgegen, weil diese nur die Aufgaben zuweisen, aber keine Aussage darüber
treffen, „ob“ und „wie“ sie wahrzunehmen sind. Die Ermessenseinräumung in § 5
HSOG und den einschlägigen Befugnisnormen setzt die Aufgabenzuweisung voraus
und begründet die Befugnis zur Aufgabenerledigung.

Das Ermessen ist nicht frei, sondern gemäß § 5 Abs. 1 HSOG und § 40 HVwVfG
pflichtgemäß entsprechend dem Zweck der Ermächtigung und unter Einhaltung der
gesetzlichen Grenzen des Ermessens auszuüben. Daraus ergeben sich für die
Ermessensausübung drei Vorgaben, nämlich das Ermessen überhaupt auszuüben,
gemäß §§ 24 und 26 HVwVfG die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung
zutreffend zu ermitteln und zugrundezulegen und die inneren und äußeren Ermes-
sensgrenzen zu beachten. Diese Ermessensgrenzen ergeben sich aus dem Zweck
der Ermächtigungsgrundlage (Gefahrenabwehr), dem Übermaßverbot und dem
Gleichbehandlungsgrundsatz; (nur) in diesem Rahmen können die Gefahrenabwehr-
behörden (und ihre Fachaufsichtsbehörden) Opportunitätsüberlegungen anstellen
und nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entscheiden.
Die behördliche Ermessensausübung unterliegt im Sinne der Gewaltenteilung nur
einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung gemäß § 114 VwGO auf das
Vorliegen von Ermessensfehlern;
insoweit sind drei mögliche Ermessensfehler anerkannt:
Ein Ermessensmangel, -nichtgebrauch, -ausfall- oder eine Ermessensunter-
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schreitung liegt vor, wenn die Behörde ihrer gesetzlichen Pflicht zur Ermessens-
betätigung bewusst oder unbewusst nicht nachkommt, also etwa verkennt, dass ihr
Ermessen eingeräumt ist.
Ein Ermessensfehlgebrauch ist anzunehmen, wenn die Behörde das Ermessen
nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausübt und oder von falschen oder
unzureichenden Tatsachengrundlagen ausgeht.
Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn sie die einfachgesetzlich
gegebenen Grenzen überschreitet oder die Freiheitsgrundrechte, das Übermaß-
verbot oder den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.

b) Den Gefahrabwehrbehörden steht ein doppeltes Handlungsermessen zu, nämlich
zum einen über das „Ob“ eines Einschreitens ein Entschließungsermessen und
zum anderen über das „Wie“ eines Einschreitens ein Auswahlermessen hinsichtlich
der Mittel der Gefahrenabwehr, deren Art und Weise sowie Umfang einerseits und
hinsichtlich der Auswahl zwischen mehreren Verantwortlichen andererseits.

c) Da die Gefahrabwehrbehörden bei ihrer Ermessensausübung das Ziel der Gefah-
renabwehr und das Gewicht des bedrohten Rechtsgutes pflichtgemäß abwägen
müssen, kann nach den konkreten Umständen des Einzelfalls ihr Ermessens-
spielraum auch derartig reduziert sein, dass nur noch die Entscheidung zum Ein-
schreiten oder gar zu einem bestimmten Einschreiten rechtmäßig ist, wobei eine
derartige sog. Ermessensreduzierung auf Null vornehmlich beim Entschließungs-
und weniger beim Auswahlermessen in Betracht kommt.
Einer derartigen objektiv-rechtlichen Pflicht zum behördlichen Einschreiten steht aber
nicht schon automatisch ein entsprechender subjektiver Anspruch des gefährdeten
Bürgers auf Tätigwerden der Gefahrabwehrbehörden gegenüber. Das setzt viel-
mehr nach der sog. Schutznormtheorie voraus, dass die den Eingriff rechtferti-
gende Ermächtigungsgrundlage nicht nur öffentliche Interessen schützt, sondern
auch Individualinteressen zu dienen bestimmt ist. Da nach den obigen Ausführungen
das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit in der Generalklausel auch das Schutz-
element der privaten Rechte und individuellen Rechtsgüter umfasst und der
Einzelne unter der Herrschaft des Grundgesetzes kein Objekt staatlichen Handelns,
sondern Träger subjektiver Rechte gegenüber dem Staat ist, kann sich ein derartiger
Anspruch auf Eingreifen der Gefahrenabwehrbehörden auch aus der Generalklausel
ergeben, wenn im konkreten Fall individuelle Rechte oder Rechtsgüter erheblich
bedroht sind; liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, kann dem
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individuell Betroffenen in einem derartigen Fall jedenfalls ein subjektiv-öffentlicher
Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung zustehen.          Beispiel: Anspruch auf
Zuweisung einer Unterkunft bei unfreiwilliger Obdachlosigkeit.

2. Übermaßverbot

Bei Gefahrabwehrmaßnahmen mit Eingriffscharakter ist das sich aus dem Rechts-
staatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und den Grundrechten ergebende
Übermaßverbot (auch Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) zu beachten, das in
§ 4 HSOG seinen Niederschlag gefunden hat.
Neben dem mit der Maßnahme zu verfolgenden legitimen Zweck besteht es aus
drei Elementen.
a) Die Maßnahme muss zur Verfolgung des Gefahrabwehrzwecks geeignet sein. Sie
muss also aus einer ex ante-Sicht zwecktauglich sein, wobei eine Gefahrbeseiti-
gung zumindest gefördert werden muss. Die von dem Betroffenen geforderte
Handlung darf weiterhin nicht tatsächlich oder rechtlich unmöglich sein. Eine
rechtliche Unmöglichkeit kann sich etwa daraus ergeben, dass an der gefahr-
verursachenden Sache andere Private mitberechtigt sind, wie etwa Miteigentümer,
Mieter und Vermieter, also ein privatrechtliches Hindernis der behördlichen
Handlung entgegensteht. Wenn eine Einwilligung erforderlich und möglich ist, führt
dies nicht zur Unmöglichkeit. Wenn das Einverständnis versagt wird, kann die
Gefahrenabwehrbehörde mit einer sog. Duldungsverfügung reagieren. Selbst wenn
diese nicht erlassen wird, nimmt die h. M. keine rechtliche Unmöglichkeit der Gefah-
renabwehrmaßnahme als solche an, sondern lediglich ein Vollstreckungshin-
dernis, das aber ebenfalls durch eine Duldungsverfügung ausgeräumt werden kann.

b) Eine Gefahrenabwehrmaßnahme ist nur dann erforderlich im Sinne des sog.
Interventionsminimums, wenn sie - wie in § 4 Abs. 1 HSOG ausdrücklich geregelt -
von mehreren möglichen und gleich geeigneten Mitteln dasjenige ist, das den
Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigstens beeinträchtigt. Aber
auch die Regelungen in Absatz 3 des § 4 HSOG und in § 9 Abs. 2 HSOG (Inan-
spruchnahme nicht verantwortlicher Personen) ist dem Erforderlichkeitsgrundsatz
zuzuordnen, wonach eine Maßnahme nur solange zulässig und aufrecht zu erhalten
ist, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann, bzw.
solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weise möglich ist.
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