Premiere: Elektra Wieder am Spielplan: Lady Macbeth von Mzensk Angela Gheorghiu gibt ihr Debüt als Charlotte in Werther - PROLOG MÄRZ 2015 | N 187
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P R O L O G M Ä R Z 2 0 1 5 | N° 187 KS Nina Stemme singt die Titelpartie in Elektra Premiere: Elektra Wieder am Spielplan: Lady Macbeth von Mzensk GENERALSPONSOREN Angela Gheorghiu gibt ihr Debüt als Charlotte in Werther
bis 21.9.2015 Der Meister Tön’ und Weisen... Heinz Zednik – 50 Jahre Staatsoper Bild: © Axel Zeininger Palais Lobkowitz, Lobkowitzplatz 2, 1010 Wien, www.theatermuseum.at
Inhalt Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher, liebes Publikum! Februar im Blickpunkt 2 Die größte Gefahr für die Lebendigkeit des Theaters lauert in der verführerischen Bereitschaft, sich in Paradiesischer Gesang Nina Stemme debütiert als Elektra 4 bereits bekannte Sicht- und Hörweisen wohlig einzuigeln und auf jede weitere Auseinandersetzung Der Vater aller Takte Mikko Franck dirigiert die Elektra-Premiere 6 zu verzichten. Eine Neuinszenierung eines Klassikers wird folglich schnell als Hausfriedensbruch empfun- Der Kraft der Musik gehorchend Uwe Eric Laufenberg, der Regisseur der Elektra 8 den, als unnötige Aufgabe von etwas ohnehin Funk- tionierendem, etwas Bewährtem. Gar nicht so Eine lyrische Chrysothemis Anne Schwanewilms im Gespräch 10 wenige würden gerne das gerade bestehende Repertoire an (teilweise nur mehr in Rudimenten In Alarmbereitschaft Norbert Ernst singt den Aegisth in der Elektra-Premiere 12 vorhandenen) szenischen Lösungen einfrieren und dauerhaft konservieren. Dass das heute Bewährte Fahrzeug sein, und Fahrer! Anna Larssons Klytämnestra-Debüt 13 einst womöglich ebenfalls nur sehr widerwillig empfangen wurde, vergisst man oft und gern, eben- Mörderische Leidenschaften Lady Macbeth von Mzensk ist wieder am Spielplan 14 so, dass eines der Wesenszüge großer Meisterwerke Das Wiener Staatsballett gerade in deren Vielschichtigkeit liegt. Eine Viel- Halbsolist Andrey Teterin 17 schichtigkeit, die für den Rezipienten ein breites Deutungsspektrum offen lässt, das immer wieder Drehmoment 18 zur Beschäftigung einlädt und somit erst dadurch die Unsterblichkeit des Meisterwerkes sichert – Dmitri Hvorostovsky 20 respektive unter Beweis stellt. Das gilt naturgemäß auch für die großen Schöpfungen des Musiktheaters: Debüts im März 21 Zuschauer wie Interpreten können stets aufs Neue Eine gänzlich neue Charlotte in die Opern und Musikdramen eintauchen, sich Angela Gheorghiu singt in Werther 22 berühren lassen und versuchen, zum inneren Kern Das Staatsopernorchester derselben vorzudringen. In diesem Sinne: Freuen Klarinettist Johann Hindler 24 Sie sich mit uns auf die Premiere am Ende dieses Unsere Ensemblemitglieder Monats, die die Wiener Elektra-Aufführungs Paolo Rumetz 26 geschichte um ein weiteres Kapitel erweitern wird. Daten und Fakten 28 Ihr Dominique Meyer Spielplan 30 Kartenverkauf 32
MÄRZ im Blickpunkt EINFÜHRUNGS- NEUE STIMMEN MATINEEN MATINEE März 2015 1., 14., 29. März 2015 22. März 2015 Einer der wichtigsten Wettbe- Die Ensemblemitglieder Marga- Am 22. März um 11.00 Uhr findet werbe für junge Sängerinnen und rita Gritskova und Gabriel in der Wiener Staatsoper die Sänger ist der Neue Stimmen- Bermúdez sind die nächsten Einführungsmatinee zur bevor- Bewerb der Bertelsmann Stif- beiden Sänger, die sich im Rah- stehenden Premiere von Elektra tung. Alleine das Ensemble der men des Zyklus’ Das Ensemble statt. Mitwirkende der Neupro- Wiener Staatsoper betreffend stellt sich vor dem Matineen- duktion, wie etwa der Regisseur gehören zu den Preisträgern der Publikum der Wiener Staatsoper Uwe Eric Laufenberg, werden letzten Jahre Elena Maximova, präsentieren. Die beiden jungen über die Produktion, das Werk, Olga Bezsmertna, Xiahou Künstler werden am 1. März die Probenarbeit und ihre per- Jinxu, Jongmin Park, Rachel um 11.00 Uhr im Mahler-Saal sönlichen Gedanken zu dieser Frenkel und Pavel Kolgatin. von Thomas Lausmann, dem Oper erzählen. Burgschauspiele- Die hochkarätige Jury umfasst Studienleiter des Hauses, am rin Sylvie Rohrer wird darüber Fachleute aus unterschiedlichen Klavier begleitet. hinaus aus dem Originalstück Genres, denen der Nachwuchs Am 29. März, ebenfalls um 11.00 von Hofmannsthal lesen. Außer- der Oper besonders am Herzen Uhr, findet bereits das nächste dem werden die Wiener Auffüh- liegt. Unter dem Vorsitz von Konzert dieser Reihe im Mahler- rungs- und Interpretationsge- Staatsoperndirektor Dominique Saal statt: es treten Olga Bezs- schichte näher beleuchtet. Meyer urteilen heuer Gustav mertna und David Pershall, Kuhn, Brian Dickie, Francisco begleitet von Gábor Bartinai Araíza, Siegfried Jerusalem, auf. Jürgen Kesting, Bernd Loebe, Genau zwischen diesen beiden Christoph Meyer, Nicholas Terminen, am 14. März, geben Payne, Anja Silja und Evamaria Mitglieder der Wiener Philhar- Wieser. Informationen und moniker eine Kammermusik- online-Bewerbungsmöglichkeit Matinee im Mahler-Saal: Rainer unter www.neue-stimmen.de. Honeck, Wilfried Hedenborg, Tobias Lea, Sebastian Führ- linger, Tamás Varga, Bern- hard Hedenborg und das Staatsopern-Ensemblemitglied Margarita Gritskova bringen Werke von Strauss, Wagner (We- sendonck-Lieder), Zemlinsky und Schönberg (Verklärte Nacht) zu Gehör. 2 N° 187 www.wiener-staatso per.at
BLICKPUNKT WIENER STAATSOPER WIENER LIVE AT HOME STAATSBALLETT März 2015 März 2015 Gleich fünf Opern werden im Ballett Hommage (am 23. und März aus der Wiener Staatsoper 26. März) und Schwanensee via Internet in die Welt hinaus (am 2., 20., 30. und 31. März) prä- übertragen: La Juive (7.), I puri- gen den Spielplan dieses Monats, tani (10.), Werther (13.), La tra- wobei der in Odessa geborene viata (21.) und Aida (28.). Die Denys Nedak an der Seite von Aufführungen können über die Nina Poláková als Odette/Odile Webseite staatsoperlive.com (Rollendebüt) am 20. März sein ausgewählt, gebucht und sowohl Hausdebüt als Prinz Siegfried ge- über die Samsung Smart TV App ben wird. Ein weiteres Mal wird als auch an einem Computer, diese Besetzung am 30. März zu Laptop bzw. Tablet empfangen sehen sein. Anstelle der erkrank- werden. Dabei bieten sich dem ten Svetlana Zakharova wird Zuschauer zwei Möglichkeiten: Marianela Nuñez (Royal Ballet) entweder eine Bühnentotale am 2. März in der Rolle der Odette/ oder ein geschnittener Opern- Odile ihr Hausdebüt an der Seite film in Nahaufnahme. Die Vor- von Vladimir Shishov geben. stellungen werden in bester Bild- und Tonqualität übertragen, Un- tertitel, Pausenfilme und andere Angebote runden die Übertra- gung ab. www.wiener-staatsoper.at N° 187 3
PARADIESISCHER GESANG D as Paradies wünscht sie sich, wie sie einmal erzählte, mit Musik, aber auch mit Momenten der Stille. Vielleicht ein wenig im Gegensatz zum nisch‘ nicht gibt. Dass ein solches Schubladenden- ken eine Krankheit der neueren Operngeschichte ist, weiß man: für etliche der ganz Großen der Ver- Wiener, zum internationalen Opernpublikum, das gangenheit gab es ein solches Einzwängen in vor- sich das Opernparadies eher mit mehr, und immer bestimmte Fächer nicht. Und doch lassen sich viele noch mehr Nina Stemme-Musik bzw. -Gesang vor- einfangen und werden so zum sogenannten Spezia- stellt. Das lässt sich jedenfalls aus den Reaktionen listen, mit allen daraus folgenden Beschränkungen schließen, die nach einem Stemme-Abend obligat des Repertoires. Stemme wiederum ist auf ihre Art scheinen: Jubel und Euphorie, dazu passende und auch eine Spezialistin, nur eben eine des großen ebenso jubelnde und euphorische Rezensionen der Repertoires. Ein Blick in ihre Biografie zeigt das: Sie internationalen Presse. Und dies allgemein abrun- sang all die Mimìs, Tatjanas, Butterflys, Manon dend, ist sie Trägerin zahlreicher Auszeichnungen Lescauts, Marguerites, Nyssias, Rosalindes, Euridi- und Ehrungen, nicht nur in Form von Titeln wie ces, Agathes, die ein Sängerleben mit sich bringt, Österreichische Kammersängerin oder Schwedische und war, um zur Wiener Staatsoper zu kommen, Königliche Hofsängerin, sondern auch des Laurence weiters auch Senta, Elisabeth (Tannhäuser), Mar- Olivier Awards … schallin, Minnie, Leonora (Forza del destino), Wobei es egal ist, ob es sich bei diesen Abenden um Brünnhilde, Isolde, Sieglinde, Ariadne, Leonore und das deutsche Fach mit all den großen Wagner- und Tosca. Dass ihr manche Partie, wie in letzter Zeit die Strauss-Partien handelt oder um das italienische. Brünnhilden und die Isolde besonders am Herzen Damit wäre einer der Stemme’schen künstlerischen liegen, ändert nichts daran, dass sie mit gleicher Kernaspekte angesprochen. Und zwar, dass es für Liebe und Herzensnähe eine Minnie in Puccinis La eine technisch und musikalisch ausreichend versier- fanciulla del West gestaltet hat und sich auch der te und kluge Sängerin oder einen Sänger diese Turandot zuwandte, die derzeit einen Schwerpunkt strenge Einteilung in ‚hier deutsch‘ und ‚dort italie- ihres Repertoires bildet. Das Herz Nina Stemmes ist 4 N° 187 www.wiener-staatso per.at
PREMIERE also, wie man sieht und hört, groß. Dass dort viel machen. „Wir haben Zugang zu so vielen guten Auf- Platz für die großen Frauengestalten der Opernbüh- nahmen, warum sollte ich darauf verzichten? Für ne ist, hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie sich mich wäre das, wie das Rad neu zu erfinden. Ich bin mit rechter Konsequenz und soweit möglich, vielen durch sie inspiriert, aber kann sie niemals imitie- Aspekten des medialen Drumherums entzieht. Sie ren“, erzählte sie im Interview mit dem Magazin sei nicht interessiert daran, ein Medien-Produkt zu opera.pl. Vielmehr sei es so, dass sie sich einige sein, meinte sie im Dezember des letzten Jahres in Aufnahmen anhört und diese dann im Laufe ihrer einem Interview im britischen The Telegraph. Eben- Arbeit an der Rolle wieder vergisst. Und sobald die so verweigert sie Crossover. „Ich opfere meine eigene Interpretation fertig entwickelt ist, könne sie künstlerische Freiheit niemandem und nichts“, auch keine Aufnahmen dieser Partie mehr hören, meint sie zu diesem Thema abschließend. Journali- präzisiert Stemme. Ihr großes Arbeitspensum be- sten aller Herren Länder und vieler Magazine und wältigt sie mit größter Intensität und Konzentration Zeitungen können ein Lied davon singen: Nicht auf das Wesentliche, oder, wie sie es in einem Ge- immer ist die Sängerin „verfügbar“, mitunter bittet spräch mit der New York Times formuliert: „Mein sie um Verständnis, dass die Zeit eines medialen Weg ist es, mich langsam zu beeilen.“ Schweigens gekommen wäre und sie sich nun doch lieber auf ihre nächsten wichtigen Auftritte und Rol- Derzeit kümmert sie sich natürlich um die Elektra; len vorbereiten möchte. So führt sie auch keine aber auch die Kundry in Parsifal, die letzte der gro- Check-Liste der Bühnen, um laufend überall aufzu- ßen Wagner-Figuren, die Nina Stemme noch nicht treten. An der New Yorker Metropolitan Opera war gestaltet hat, wird sicherlich folgen. Doch lässt sich sie eine Zeit lang weniger präsent; diese Tatsache die Sopranistin noch Zeit, denn, und das ist auch kommentierte sie in einem Interview mit dem pol- ein wesentlicher Aspekt ihres Lebens, es gibt ja ein nischen online-Opernmagazin opera.pl: „Nun, sie Privatleben mit ihrer Familie, das nicht zu kurz kom- müssen mir eben die richtigen Projekte anbieten.“ men soll, kommen darf. Zuletzt noch ein Detail: Glückliches Wien! Ist sie hier doch ein ständiger Diesen August wird Nina Stemme als Turandot beim Gast; und ein solches, richtiges Wiener Projekt ist schwedischen Dalhalla Festival auftreten; als Regis- nun die Elektra, die Nina Stemme mit der Premiere seur liest man den Namen Bengt Gomér, und man im Haus am Ring in ihr Repertoire nimmt. Wie bei kennt ihn nicht nur als Regisseur, sondern auch als ihren anderen wichtigen Partien geht auch hier eine Ehemann der Sängerin. Eine Art künstlerische Fa- große Vorbereitung – sowohl auf musikalischer als milienzusammenführung, und mit Sicherheit ein auch auf inhaltlicher Ebene – der Premiere voran. Projekt, das Opernfreunde aller Welt zu diesem Fe- Noch einmal Stemme im Telegraph über ihre Elek- stival locken wird … tra-Beschäftigungen: „Schwierig zu verinnerlichen, Oliver Láng es gibt so viele Wege, wie sie gezeigt werden kann. Ich muss meinen Weg finden.“ Und so berichtet die Zeitung, war Stemme etwa zwischen den Tristan Nina Stemmes Staatsopern-Partien und Isolde-Proben am Royal Opera House Covent Ariadne auf Naxos (Primadonna/Ariadne): 3mal Garden im Londoner Old Vic Theater, um dort die Der fliegende Holländer (Senta): 25mal britische Schauspielerin Kristin Scott Thomas in Der Rosenkavalier (Feldmarschallin): 3mal Sophokles’ Drama als Elektra zu erleben. Auch Hin- Die Walküre (Brünnhilde): 2mal tergrundinformationen, die über ihre Partie hinaus- Die Walküre (Sieglinde): 12 mal gehen, sind für sie stets wesentlich und wichtig, ja Fidelio/Konzertantes Gastspiel am Teatro alla selbstverständlich: und so erfolgt die Annäherung Scala (Leonore): 1mal an einen Charakter und eine Opernfigur in weiten Götterdämmerung (Brünnhilde): 3mal Kreisen, auch über Literatur, um die Handlung und La fanciulla del West (Minnie): 8mal den Kern eines Bühnenwesens verständlich und Forza del destino (Leonora de Vargas): 15mal vermittelbar zu machen. Im Gegensatz zu vielen Siegfried (Brünnhilde): 14mal ihrer Kollegen scheut sich die Sopranistin auch Tosca (Floria Tosca): 4mal Elektra nicht davor, in historische Aufnahmen hineinzuhö- Tristan und Isolde (Isolde): 4mal 29. März, ren, um sich dann und wann ein Bild einer Partie zu 1., 4., 7., 11., 16. April www.wiener-staatsoper.at N° 187 5
DER VATER ALLER TAKTE Fehler in einer Instrumentalstimme aus dem vollen Orchesterklang herausgehört hätten. Ist das eine besondere Begabung? Mikko Franck: Nein, einfacher: Es ist mein Beruf. Der Beruf des Dirigenten beinhaltet, dass er gut zuhört und, falls falsche Noten vorkommen, die- se auch ausbessert. Egal, ob es sich um histo- risch überlieferte Druckfehler, Lesefehler oder Fehler während des Spielens handelt. Man hört zu – und bessert aus. Fangen wir am Anfang einer Produktion an. Gibt es für Sie einen üblichen Ansatzpunkt? Also etwa die Atmosphäre eines Stückes oder die Architektur? Mikko Franck: Der Ansatzpunkt ist die Partitur. Da finde ich alles, was ich wissen muss, alle In- formationen, die uns der Komponist geben wollte. Diese lese ich immer und immer wieder, beschäftige mich mit den einzelnen Gestaltungs- elementen – meistens übrigens im Flugzeug, weil ich dort viel Zeit habe und nicht gestört werde. Das mache ich bis zu dem Punkt, an dem die Partitur zu mir zu sprechen beginnt. Und umso mehr wir miteinander sprechen, desto kla- rer wird das Gesamtbild des Werkes für mich. Ein Zugang, der sich immer wieder wiederholt ist, dass ich zunächst die erste und die letzte Seite studiere: alles andere, was dazwischen passiert, hat Zeit. Aber wie es beginnt und wo es hinführt, D er finnische Dirigent Mikko Franck präsen- tierte sich 2014 bei der Lohengrin-Premiere als Klangmagier, der einen süffigen und be das sind zwei ganz wichtige Koordinaten. Das ist nebenbei der Grund, warum ich in meiner Frei- zeit nicht viele Romane lese, denn ich habe mir rückenden Ton zu erwecken versteht. Sein außer- diese Erste-letzte-Seiten-Technik auch hier ange- ordentliches Gehör, sein analytisches Hören und wöhnt, was dem literarischen Spannungsbogen die präzise Dirigiertechnik machen ihn zusätzlich nicht besonders gut tut. (lacht) zum Wunschdirigenten vieler Musiker und Sänger. Nun leitet er mit Elektra seine dritte Premiere im Im Falle von Richard Strauss gibt es eine reich Haus am Ring. haltige, auf Aufnahmen rezipierbare Klang- Tradition, die in die Lebenszeit des Komponisten Sie feierten eben mit der Ballett-Premiere Josephs zurückreicht. Legende und Verklungene Feste einen großen Er- Mikko Franck: Der Interpret muss die Ge folg. Seit den Proben zu diesen Werken kursieren schichte eines Werkes genau kennen. Das ist hier im Haus erste Franck-Legenden. Etwa, dass ganz klar – und es ist ungemein spannend. Ge- Sie einen seit 100 Jahren unkorrigierten Halbton- rade in einem solchen Haus wie der Wiener 6 N° 187 www.wiener-staatso per.at
PREMIERE Staatsoper, an der es sogar Strauss-Urauffüh- nehme die Musik, die ein Komponist niederge- rungen gegeben hat. Und gerade darum ist es ja schrieben hat und frage mich: Was bedeutet sie auch so toll, an einem solchen Haus zu arbeiten. für mich? Ich versuche, das Bestmögliche, was Beeinflusst dieses Wissen aber meine Art zu ich vermag, aus dieser Partitur herauszuholen. dirigieren? Nein. Weil ich heute, im Jahr 2015 Genauso finde ich es weder notwendig noch lebe. Meine Arbeit besteht nicht darin, ein histo- sinnvoll darüber zu sprechen, was eine Musik für risches Portrait zu machen und einen Versuch zu mich im Innersten bedeutet; selbst dann, wenn unternehmen, die Musik so zu spielen, wie sie ein Stück oder eine Stelle etwas sehr Klares und vor 100 Jahren erklang. Was hätte das für einen Konkretes für mich bedeuten. Warum? Weil es Sinn? Die Gesellschaft ist eine andere, unsere für den Zuhörer absolut unerheblich ist. Jeder Wahrnehmung eine andere, das Publikum ein und jede einzelne im Zuschauerraum hat dassel- anderes, der gesamte Background ist ein ande- be Recht, eine individuelle Erfahrung zu ma- rer. Ich mache Musik in der heutigen Zeit für die chen, die auf ihrem oder seinem Leben basiert. heutige Zeit! Wie gesagt: Die Kenntnis der Ge- Und alle Erfahrungen und Bedeutungsfindungen schichte ich wichtig, aber eine Wiedererweckung sind gleich wichtig! des Historischen ist weder möglich noch sinn- voll. Die Staatsoper ist ein lebendiger Ort an dem Gibt es für Sie den ultimativen Elektra-Aspekt? Der lebendige Kunst erzeugt wird. Alles andere wäre sich von allen anderen Strauss-Werken unter- ein Museum. scheidet? Mikko Franck: Darüber habe ich noch nicht so Das bedeutet aber auch, dass es keine für immer nachgedacht … Ich sehe nämlich jedes Werk in- gültige Interpretation geben kann? dividuell für sich alleine. Also wenn ich an Elek- Mikko Franck: Ich denke, es gibt an sich keine tra arbeite, dann geht es um Elektra, nicht um musikalische Aussage, die immer gültig ist. Wir Salome. Abgesehen handelt es sich um eine phy- Menschen von heute müssen uns als Menschen sische Frage: Die Partituren dieser Opern sind von heute treu bleiben. Wenn wir das, was vor so schwer, dass man ohnehin immer nur eine 100 Jahren, am Beginn des 20. Jahrhunderts ent- mit sich herumtragen kann. (lacht) standen ist, genau so wiedergeben wollen, wie es zur Zeit der Entstehung war, dann müssten Und schließlich: Gibt es für Sie persönlich einen wir in einer isolierten Kammer leben und keine Moment in der Oper, den Sie am meisten schät- Einflüsse aus dem Hier und Jetzt erhalten. Denn zen? alles, was passiert, beeinflusst uns Künstler. Und Mikko Franck: Hm. Lassen Sie mich nachden- soll es auch! ken. Doch, es gibt eine Passage, die für mich ganz besonders ist. Sie beginnt mit dem ersten Strauss notierte beschreibend in seinem Skizzen- Takt und endet mit dem letzten (lacht). Es kann heft in Bezug auf Elektra immer wieder Be gefährlich sein, eine einzige besondere Stelle zu wegungselemente, zum Beispiel: „Wie ein Tier“. Ist lieben: Was macht man, wenn sich diese Stelle dieses Bewegungshafte in die Musik eingegangen? in der Mitte der Oper befindet und man nach ihr Mikko Franck: Das ist schwierig zu sagen. Ich noch eine Stunde dirigieren muss? Nein, ich denke, dass es auch eine Frage der Interpretati- halte es lieber so, wie Eltern mit mehreren Kin- on ist. Wenn ich Musik mache, dann möchte ich dern: Da stellt sich die Frage ja auch nicht, ganz allgemein nicht zuviel darüber nachdenken, welches man am meisten liebt. Ich also liebe alle was sie im Innersten für den Komponisten be- Takte – gleichermaßen! Elektra deutet hat – weil das etwas ist, was heute nicht 29. März, mehr wirklich nachvollzogen werden kann. Ich Das Gespräch führte Oliver Láng 1., 4., 7., 11., 16. April www.wiener-staatsoper.at N° 187 7
DER KRAFT DER MUSIK GEHORCHEND N ach mehr als einem Vierteljahrhundert wird die inzwischen in die Jahre gekommene, nur mehr fragmentarisch vorhandene Staatsopern-In- er sich bewusst war, in den dramatischen Stoffen, wie wir wissen, immer wieder neue Bühnen- formen gesucht – etwa Konversationsstücke, ba- szenierung der Elektra von einer Neuproduktion rocke Mysterienspiele, Trauerspiele oder eben abgelöst. Mit Uwe Eric Laufenberg konnte jemand griechische Adaptionen, wie Elektra. In Max Rein- für die Regie gewonnen werden, der in den letzten hardt ist Hofmannsthal wiederum auf jemandem Jahren nicht zuletzt als Strauss-Interpret internatio- gestoßen, dessen geradezu unbegrenzte theatra- nal Marksteine setzte. Seine bejubelte Brüsseler lische Fantasie all diesen Bühnenformen eine je Ariadne auf Naxos-Inszenierung beispielsweise eigene wirkungsvolle Gestalt geben konnte. Und wurde mittlerweile in sieben verschiedenen Städten dieser Reinhardt-Stil respektive die Atmosphärik, mit großem Erfolg nachgespielt. Mit der Elektra die Reinhardt den Stücken verlieh, haben schlus- debütiert er nun an der Wiener Staatsoper und sendlich auf Hofmannsthal zurückgewirkt und gab knapp vor Probenbeginn das nachfolgende diesen in seinen dramatischen Evokationen be- Interview. einflusst. Dies gilt insofern auch schon für die Elektra, als nachweislich erst das Zusammentref- Sehr geehrter Herr Laufenberg, Hofmannsthal fen mit Reinhardt Hofmannsthal zur endgültigen wollte für seine Elektra ein suggestives Bühnenbild, Ausarbeitung des Stückes bewog. Das heißt mit aber auf keinen Fall eine antikisierende Szenerie anderen Worten gerade in Hinblick auf die mit griechischen Tempeln, dazu passenden Säulen Hofmannsthal’schen Regie- beziehungsweise Sze- und Portiken. Inwieweit sind solche Anweisungen nenanweisungen, dass diese zunächst über Max für einen Regisseur bindend? Schon der berühmte Reinhardt gedacht und verstanden werden müs- Alfred Roller hat bei der Erstaufführung der Elektra sen. Für jeden anderen Regisseur, Bühnenbildner an der Wiener Staatsoper mit seinem Bühnenbild oder Kostümbildner – insbesondere heute, mehr Elektra klar gegen diese Vorgaben verstoßen. als ein Jahrhundert nach der Uraufführung so- 29. März, Uwe Eric Laufenberg: Hugo von Hofmannsthal wohl des Stückes als auch der Strauss-Oper –, 1., 4., 7., 11., 16. April hat für seine großen lyrischen Qualitäten, deren stellt sich natürlich die Frage, ob ein sklavisches 8 N° 187 www.wiener-staatso per.at
PREMIERE Befolgen der szenischen Anweisungen überhaupt deutig sind und die aber dennoch oder gerade den inneren Kern des Stückes trifft. Es versteht deshalb interpretiert gehören, weil ansonsten sich aber von selbst, dass der Ort, an dem Elektra Leerstellen entstehen. Da muss der Regisseur haust und zu dem sich Klytämnestra hinabzwingt, gestalten, muss der Kraft der Musik gehorchen, düster und bedrückend sein muss. So wollen sich trauen. auch wir ihn beschreiben. Richard Strauss verdoppelt immer wieder im Or- Sie sagen „wir“: In welchem Maße entsteht das chester Dinge, die auf der Bühne passieren oder szenische Ambiente bei Ihren Arbeiten in Rück- besungen werden: Muss man dann, quasi vice ver- sprache zwischen Ihnen und dem Bühnenbildner? sa, die Dinge, die im Orchester angedeutet werden, Uwe Eric Laufenberg: Mit Rolf Glittenberg arbei- genauso auch auf der Bühne optisch verdoppeln? te ich hier in Wien zum ersten Mal zusammen und Uwe Eric Laufenberg: Heutzutage existieren so es war ein schönes Kennenlernen, gerade weil viele unterschiedliche Formen und Möglichkeiten sich eine künstlerische Zwiesprache ergab. Ich ein Werk oder Details von einem Werk darzustel- hatte drei Möglichkeiten eines Ortes für die In- len. Wenn ein Klang, ein Geräusch, ein akustisches szenierung skizziert und aus diesen kreierte er Bild aus dem Gesamten unüberhörbar herausragt eine tolle Lösung, die auch unsere Idee eines und etwas von sich aus erzählt, muss man es nicht Stillstandes, der dann in Bewegung gesetzt wird, unbedingt verdoppeln. Aber wenn die Situation wirksam abbildet. danach ist, dass man den Verästelungen der Musik nachgehen kann, spricht natürlich nichts dage- Findet das Freud’sche Element, die Atmosphäre des gen, diese auch optisch nachzuzeichnen. Schließ- Fin de Siècle, Eingang in die Inszenierung? lich ist es nicht verboten, Musik zu visualisieren Uwe Eric Laufenberg: Diese Atmosphäre, das – im Prinzip möchte ich ja, wenn ich in der Oper Ahnen einer Zeitenwende auf der einen Seite und sitze, die Musik die ich höre auch sehen. die Erkenntnisse der Psychoanalyse sowie die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dersel- In der Salome bringt der Tanz der Titelfigur eine ben auf der anderen Seite, waren uns sehr wich- wesentliche dramaturgische Zuspitzung, hier in tig, da sie die Annäherung von Hofmannsthal und der Elektra kommt es abermals zu einem Tanz … Strauss an den antiken Elektra-Stoff sehr stark Uwe Eric Laufenberg: Der Unterschied zwischen beeinflusst haben. Das Stück und ebenso die dem Salome-Tanz und jenem der Elektra liegt auf Oper sind ja tatsächlich in wesentlichen Punkten der Hand: Ersterer ist ein Verführungstanz aber ganz anders geartet als die ursprünglichen Ver auch ein Entäußerungstanz der Salome vor He- sionen von Euripides und Sophokles. rodias und für Jochanaan. Dieses Dreiecksverhält- nis wird bewusst sehr psychologisch präsentiert. Gibt es typische Strauss-Herausforderungen? Din- Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen Tanz ge, die einem Regisseur in Strauss-Opern immer mit sieben Schleiern, so wird er schließlich auch wieder begegnen? genannt. Der Elektra-Tanz hingegen ist die letzte Uwe Eric Laufenberg: Strauss hatte, wie alle Entäußerung von jemandem, der eine nicht zu großen Opernkomponisten, ein großes theatra- verhindernde enorme Hassexplosion zur Realität Uwe Eric Laufenberg lisches Gespür für Situationen. Darin unterschei- geführt hat und vor dem totalen Zusammenbruch stammt aus Köln und det er sich nicht von einem Mozart, einem Wag- die letzte symbolische Steigerungsstufe erklimmt. konnte sich bald als ner, einem Verdi, einem Puccini. Nur erzählt bei Es handelt sich somit um den Schlusspunkt einer Schauspieler und Regisseur einen Namen machen. Strauss die Musik im Orchestergraben manchmal durch den Herrschermord herbeigeführten Seit den 90er-Jahren ist er einen eigenen Film. In der Frau ohne Schatten Blutorgie. Elektra lädt alle zu diesem Tanz ein und international an wichtigen beispielsweise, in den großen Zwischenspielen es stellt sich die Frage, ob man in ihm eher ein Bühnen als Opern- und in der Barak-Färberin-Szene im 1. Akt, aber auch Befreiungsritual sehen möchte, mit dem die alte Schauspielregisseur gefragt. beim Auftritt der Klytämnestra in der Elektra: In Zeit begraben wird, oder den Auftakt zu neuen Seit Beginn der Spielzeit diesen Passagen geht Strauss über das Libretto Aggressionen, zum nächsten wilden Krieg. Ich 2014/2015 ist er Intendant hinaus und schildert Dinge die textlich nicht fest- plädiere für ersteres. des Hessischen Staats gelegt sind, macht Welten auf, die durchaus mehr- Andreas Láng theaters Wiesbaden. www.wiener-staatsoper.at N° 187 9
EINE LYRISCHE S pricht man mit Opernkennern, Opernliebha- bern und Stimmconnaisseurs von Richard Strauss, fällt sehr rasch der Name Anne Schwane- CHRYSOTHEMIS wilms: Ob als Marschallin, Arabella, Kaiserin, Ariad- ne, Danae, Chrysothemis oder mit Strauss-Liedern ganz allgemein – weltweit wurde sie vom Publikum ins Herz geschlossen, weltweit wird sie umjubelt, weltweit durchforscht man die Spielpläne nach ih- ren Auftritten. An der Wiener Staatsoper hat sie neben Gutrune, der Tannhäuser-Elisabeth, der Wozzeck-Marie bislang als Marschallin, Arabella und Chrysothemis begeistert. Mit letzterer Partie kehrt sie in der Elektra-Neuproduktion im März und April zurück ans Haus am Ring. Sehr geehrte Frau Schwanewilms, wenn man be- stimmte Rollen immer wieder singt, werden dann die Klavierauszüge von Vorstellung zu Vorstellung immer bunter durch diverse Notizen? Anne Schwanewilms: Meine Klavierauszüge sind im Prinzip fast blank, nur meine Rolle ist mit Leuchtstift hervorgehoben, denn ich habe die wesentlichen Erfahrungen ohnehin im Kopf und möchte darüber hinaus jedes Mal neu gestalten und mich nicht von Vornherein durch irgendwel- che Eintragungen in ein Korsett zwängen. Je mehr man nämlich an Bemerkungen in die Noten ein- trägt, desto weniger Spielraum lässt man sich sel- ber, desto enger zieht man von Mal zu Mal den Fokus, desto starrer wird das Ganze. Wissen Sie, ich gehe auch gerne als Zuhörerin in Konzerte und Vorstellungen, lese viel – einfach um neue Aspekte kennenzulernen, anderen Ideen gegen- über offen zu bleiben. Und wenn man auf eine geniale interpretatorische Lösung draufkommt – was wenn man diese ver- gisst? Anne Schwanewilms: Ich verspreche Ihnen: Wenn sie wirklich so genial ist, vergisst man sie nicht. So ein Interpretationsansatz wird dann zum eigenen Repertoire. Zumindest erinnert man sich später, dass da etwas war und setzt sich dann auf den Hosenboden und sucht so lange, bis man fündig wird. Hofmannsthal spricht im Zusammenhang mit der Elektra von der Farbe schwarz. Was sagen Sie als Synästhetikerin dazu? 10 N° 187 www.wiener-staatsoper.at
PREMIERE Anne Schwanewilms: Dass in Elektra das Dun- ein schönes, warmes Dunkelblau. Wenn dann kle vorherrscht, das weiß man auch wenn man womöglich eine Septime oder gar eine vermin- kein Synästhetiker ist. Gleich die ersten paar derte None dazukommt, wird es deutlich dü- Töne und Dissonanzen vermitteln sogar demje- sterer. Interessanterweise spielt bei komplexen nigen, der die Oper ohne Vorwissen anhört: Das Harmonien die Lebens- und Hörerfahrung eine ist keine Komödie, da geht es eindeutig in Rich- große Rolle: Beim Tristan-Akkord oder bei dieser tung Massaker. Elektra war übrigens eine meiner polyharmonischen Struktur in der Elektra sehe ersten Opern die ich als Zuschauer erlebt habe. ich heute andere Farben, als vor, sagen wir, zehn Ich bin als junge, freche Schülerin hineingegan- Jahren. Aber ganz allgemein: So schön es ist, wäh- gen, so nach dem Motto: „Schauen wir einmal, rend des Singens in all den Farben zu baden, was die so bieten“. Nach der Vorstellung war ich versuche ich mich diesbezüglich zurückzuhalten, so geschockt, dass mit mir nichts anzufangen weil es technisch nicht unbedingt optimal ist. war. Das Stück hat mich einfach weggespült. Mich wundert ja nach wie vor, wie Strauss und Das heißt: kein Chrysothemis-Bad? Hofmannsthal so etwas Schwarzes schreiben Anne Schwanewilms: Bei dieser Rolle mit den konnten, ohne Derartiges je persönlich erlebt ständigen Höhenunterschieden – von unten nach zu haben. oben, von oben nach unten – da kann man oh- nehin nicht baden. Strauss hat hier sehr schön Aber Chrysothemis ist ja eine durchaus hoffnungs- das Nicht-wahr-haben-Wollen der Chrysothemis volle Gestalt? in Musik umgesetzt, das ist wie ein psychisches Anne Schwanewilms: Wenn ein weißer Schmet- Auf-der-heißen-Herdplatte sitzen, da gibt es kei- terling in einer verkohlten Landschaft herum- nerlei Entspannung, also auch kein Bad. schwirrt, kleben mit der Zeit auch auf seinen Flü- geln die Kohlepartikel. Aber es stimmt, sie ist die Sie singen sehr viel Strauss, aber ihr Repertoire geht Einzige in dieser furchtbaren Umgebung, die weit darüber hinaus … menschliche, irdische Wünsche äußert, nur schei- Anne Schwanewilms: Ich habe vor kurzem mit nen sie in ihrer Situation unerreichbar und unre- André Tubeuf, dem französischen Kritiker, gespro- alistisch. Diese Wünsche sind somit eher Träume chen, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, und er in die sie sich hineinflüchtet, um mit dem psychi- hat mir erklärt, dass es in Frankreich ein eigenes, schen Druck, der durch Elektra und Klytämnestra hierzulande unbekanntes Fach gäbe, das genau erzeugt wird und auf ihrer Seele lastet, fertig zu mein Rollenspektrum abdeckt: den „blonde-sop- werden, als konkret umsetzbare Ziele. Und späte- rano“. Wenn Sie möchten, so etwas wie ein ju- stens ihre Orest-Rufe am Ende der Oper bezeu- gendlich dramatischer Sopran mit besonderen gen, dass auch sie einen schweren Schaden da- lyrischen Qualitäten, ideal für Arabella, Danae, vonträgt – denn warum schreit sie in jener Situa- Ariadne, Elsa etc. Und wenn ein Franzose hört, tion nach ihrem Bruder, das ist doch eher unge- dass ein „blonde-soprano“ eine Leonore singen wöhnlich? Nichtsdestotrotz suche ich in der wird, weiß er: die wird viele lyrische Farben auf- Chrysothemis-Rolle nach Lichtpunkten, nach weisen, aber im dramatischen Bereich gewisse Lichtsternen, an denen ich mich entlangtaste. Grenzen haben. Die Chrysothemis eines „blonde- soprano“ ist zarter, lyrischer, melancholischer, die Friedrich Gulda hat einmal gemeint, dass man, Chrysothemis einer Elektra-Anwärterin wird we- vor allem bei Mozart, jeden einzelnen Ton mit so niger ausdrucksvoll sein, aber an manchen Passa- einer Inbrunst spielen müsste, als ginge es ums gen lauter. Es ist Geschmackssache, was einem Leben. Sie sehen Töne als Farben: Malen Sie, wenn eher zusagt. Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich Sie singen, quasi von Ton zu Ton bis das Gemälde von Natur aus diese „blonde-soprano“ Stimme in fertig ist? mir trage und sie vor allem auch gefunden habe. Anne Schwanewilms: Nein, es geht weniger um Offenbar hatte Strauss meine Stimme im Kopf, als einzelne Töne, als um Harmonien, Harmoniever- er jene wichtigen Frauen-Rollen schrieb, die zu Elektra bindungen und Grundstimmungen. E-Dur in meinem Repertoire gehören … 29. März, Kombination mit H-Dur ist für mich zum Beispiel Andreas Láng 1., 4., 7., 11., 16. April www.wiener-staatsoper.at N° 187 11
IN AL ARMBEREITSCHAFT Norbert Ernst singt den Aegisth in der Elektra-Premiere B erühmte Zitate aus der Musiktheaterwelt, die Opernfreunde gerne situationspassend drapie- ren: „Sind halt aso, die jungen Leut‘ “ oder natürlich: zu lassen – dazu ist die Partie zu kurz. Es fängt wirklich mit Vollgas an!“ Spannend empfindet er die Partie auch, weil er sich nicht ganz schlüssig ist, „was Strauss „Glücklich ist, wer vergisst“. Seltener: „Zwangvolle eigentlich mit dieser Figur vorhatte. Wie ich aus der Plage! Müh ohne Zweck!“. So gut wie nie hingegen: Mythologie sehe, sollte er zwar ein verschlagener „Rührt sich keiner von diesen Schuften, kann das Mensch sein, aber gleichzeitig muss er ja auch einen Volk keine Zucht annehmen?“ Letzteres stammt aus Verführertyp abgeben: denn irgendwas muss Klytäm- Elektra, ist der Auftrittssatz von Aegisth – und wird nestra ja an ihm gefunden haben. Aber vielleicht woll- wohl nur von einem gelegentlich im häuslichen te Strauss ihn auch karikieren und die Abgehobenheit Gebrauch angewandt – von Norbert Ernst, dem dieses Herrschers herausstreichen.“ Fragen, die sich Aegisth der Elektra-Premiere, und zwar im Falle im Laufe der Probenarbeit stellen werden. Wie er zu absolut nicht folgen wollenden Nachwuchses. solchen Proben für eine Neuproduktion antritt? Im Der Tenor, seit 2010 im Ensemble der Wiener Staats- Kopf mit einem eigenen Konzept? „Nein“, wehrt Ernst oper, hat die Partie bereits dreimal hier im Haus am ab. „Im Falle einer Neuinszenierung gehe ich lieber Ring gesungen, und kennt so die Tücken der Rolle. blank hin, da es ja nicht viel bringt, ein komplettes Zunächst: die Ermordungsszene. Hier ist das Orche- Rollenbild zu entwickeln, das womöglich den Vorstel- ster „so abartig laut, wie an wenigen anderen Passa- lungen des Regisseurs komplett widerspricht. Wobei gen“, erklärt er. „Ich habe noch in keiner Stelle einer natürlich eigene Grundideen notwendig und wichtig anderen Partie erlebt, dass so viele Blechbläser sind – manche Regisseure wollen ja etwas ‚angeboten‘ gleichzeitig ein Forte oder Fortissimo zu spielen bekommen.“ haben. Dazu kommt, dass besonders viele Trompe- Ernst, der sich besonders im deutschen Fach, aber ten im Einsatz sind, die ja einen ähnlichen Singfor- auch im russischen und tschechischen Repertoire, manten haben wie die Tenorstimme… Ich glaube weniger im italienischen heimisch fühlt, arbeitet im fast, dass es jene Stelle im gesamte Strauss’schen Gespräch präzise heraus, wo er die großen Differen- Repertoire ist, in der die meisten Trompeten gleich- zen im Wagner- und Strauss-Gesang sieht. „Der zeitig spielen.“ grundlegende Unterschied liegt in der Tessitura. Strauss schreibt in der Regel mindestens einen Ganz- Zu dieser rein akustischen Herausforderung kommt ton höher: Wenn man sich Daphne oder Die Liebe auch noch, dass der Aegisth erst am Ende der Oper der Danae anschaut, dann sieht man, dass Strauss an der Reihe ist. „Es wäre für mich ein seltsames Ge- oft c-Tenöre fordert. Wagner, mit Ausnahme des Erik, fühl, zwar pünktlich zum Auftritt ins Haus zu erschei- der von der Tessitura her sehr „straussig“ ist, geht nen, aber zu wissen, dass die Vorstellung bereits seit für gewöhnlich nur bis zum a. Das kann man noch längerem begonnen hat. Das Publikum, die Sänger, mit dem Brustregister schaffen, und darum können alle Mitarbeiter hinter den Kulissen haben schon eine viele ehemalige hohe Baritone auch die Wagner-Te- gemeinsame Vorstellungsgeschichte und ich käme norpartien singen. Abgesehen davon hat Wagner gewissermaßen nachträglich, frisch und ausgeruht sängerfreundlicher instrumentiert, wie man zum dazu. In so einem Fall emotional ein Teil dieses schon Beispiel am Ring sieht. Immer, wenn wichtige Passa- laufenden Betriebs zu werden, ist praktisch unmög- gen kommen, in denen der Sänger gut zu hören sein lich, also bin ich von Anfang an in meiner Garderobe soll, nimmt er das Orchester zurück. Vielleicht auch, und warte dort auf meinen Auftritt.“ Abgesehen davon weil er auf die Texte Rücksicht genommen hat, die Elektra muss die Stimme des Aegisth-Darstellers vom ersten verständlich sein sollen. Es waren ja seine Texte. 29. März, Moment an „in Alarmbereitschaft sein“, so Ernst. Strauss ist es hingegen stets eher um die melodische 1., 4., 7., 11., 16. April „Denn man hat keine Zeit die Stimme warm werden Linie gegangen.“ L. 12 N° 187 www.wiener-staatsoper.at
PREMIERE FAHRZEUG SEIN, UND FAHRER! Anna Larssons Klytämnestra-Debüt Part hat. Man hört im Orchester alle Charaktere: Chrysothemis, Elektra, Klytämnestra und muss eigentlich gar nicht auf die Bühne achten, im Orchestergraben findet schon alles statt. Stellen sich im Zuge dieses Lernens Erkenntnisse S trauss hat aus Hofmannsthals Original große Textteile der Klytämnestra gestrichen. Wieviel dramaturgisches Kalkül steckte dahinter? oder Aha-Erlebnisse in Bezug auf die Oper ein? Anna Larsson: Ich bin draufgekommen, dass, wenn ich exakt das mache, was Strauss in den Anna Larsson: Ich denke es ging ihm um eine Noten notiert hat, musikalisch Dinge zum Vor- komprimierte und deutliche Form eines Bildes schein kommen, die man beim raschen Drüber- dieser drei Frauen und um eine direkte, fast bru- hören verpasst. Klytämnestra ist dann weniger tale Art der Publikumskonfrontation. Er wollte dunkel, dafür aber menschlicher. Ist man dieser einfach vermeiden, dass Klytämnestra den Raum Menschlichkeit erst einmal auf der Spur, dann betritt und langatmig über ihre Motivation zu be- versteht man Klytämnestra besser … Ich finde es richten anfängt. Es sollte klar und direkt sein. Eine spannend, wie Hofmannsthal aus dem griechi- dramaturgisch sehr gute Entscheidung! schen Mythos ein Freud’sches Drama destilliert hat. Die Taten der Klytämnestra bedrohen sie aus Bei Ihrer Klytämnestra handelt es sich um ein Rol- dem Unterbewusstsein, sie wird mit dem Ganzen lendebüt. Hatten Sie die Rolle länger im Visier? nicht fertig – und geht zu Elektra. Jener Person, Anna Larsson: Direktor Meyer hat mir diese Par- die in dieser Situation als Ansprechpartnerin wohl tie angeboten, und ich war zunächst einmal über- am wenigsten geeignet ist. Ich finde das vom Psy- rascht: Ich sah mich selbst nicht als Klytämnestra. chologischen her spannend! Dann allerdings las ich, dass Strauss die Figur als attraktive, etwa 50-jährige Frau beschrieben hat Wieweit geht Ihnen diese Spannung unter die Haut? und nicht als alte Hexe. Und so dachte ich mir: Wieweit sind Sie die Klytämnestra? Also, wenn Strauss das sagt, dann kann ich die Anna Larsson: Wir werden sehen, ob ich Klytäm- Rolle ruhig singen, gewissermaßen in der Traditi- nestra bin oder Larsson, die Klytämnestra spielt. on einer Waltraud Meier, einer schönen, gesunden Natürlich muss das Publikum das Gefühl haben, Mezzostimme. Es ist eben nicht die alte Gräfin aus dass wir Sänger mit der Rolle eins geworden sind. Pique Dame! Aber ein Teil von uns muss dennoch immer dis- tanziert bleiben. Es ist, als ob man in einem Auto Kann man eine Strauss-Partie überhaupt aus dem sitzen und das Fahrzeug lenken würde: das Publi- Klavierauszug, wie in der Oper üblich, lernen? kum sieht das Auto, nicht den Fahrer. Was wir Anna Larsson: Das ist natürlich ein Faktum, dass allerdings nicht machen dürfen ist: Außerhalb ein Klavierauszug eine extreme Reduktion dar- stehen und uns selbst beobachten. Man soll schon stellt und diese bei Strauss, dessen Stärke und ruhig die Rolle zu sein versuchen und sie ins Un- Besonderheit ja gerade die Farben im Orchester terbewusstsein lassen. Ich hoffe jedenfalls, dass sind, beim Lernen einer Partie eine Herausforde- ich für die Klytämnestra mutig genug sein werde. Elektra rung darstellt. Es ist ja so, dass die Sänger zwar 29. März, wichtig sind, aber das Orchester den wesentlichen Das Gespräch führte Andreas Láng 1., 4., 7., 11., 16. April www.wiener-staatsoper.at N° 187 13
MÖRDERISCHE LEIDENSCHAFTEN Lady Macbeth von Mzensk ist wieder am Spielplan E s ist, und das mag zunächst einmal verwundern, ein Werk der Liebe. Lady Macbeth von Mzensk, von Dmitri Schostakowitsch, erzählt zwar von Gräu- Schostakowitsch allerdings ging es weniger um das Gräuel der Lady Macbeth. Die literarische Vorlage – eine Novelle von Nikolai Leskow – veränderte er eltaten und Mord, von Tod und Unterdrückung, dahingehend, dass die weibliche Hauptfigur in ih- Rache und Bestrafung, ist aber im Kern dennoch ren Taten gemildert dargestellt wurde. Ihre Morde eine Oper, in der der Komponist – auch – von Liebe wurden dezimiert und zum Teil zur Beihilfe umge- sprechen wollte. Von einer bedingungslosen, über- wandelt, die Herzlosigkeit der Lady Macbeth in den bordenden, keine Grenzen kennenden Liebe, die Hintergrund gerückt. Schließlich sollte es ja, siehe weder gesellschaftliche, noch vernünftige, noch oben, ein Werk der Liebe werden … Nun aber wirk- menschliche Regeln akzeptiert. lich der Liebe? Um Schostakowitschs Zugang richtig Der Titel aber weist zunächst einmal auf die blu- verstehen zu können, muss man die kulturellen wie tige Ausrichtung des Sujets hin. Lady Macbeth, gesellschaftlichen Bewegungen und Umgebungsva- nach Shakespeare, ist ein Prototyp der Machtgier, riablen der Entstehungszeit der Oper ins Auge fas- des Blutrausches, aber auch des Wahnsinns. sen. Man befand sich in der ersten postrevolutionä- Gewinnen-Wollen um jeden Preis, wenn nötig, ren Zeit, in der die anfänglich angenommene künst- auch morden! Eine derartige Heranziehung einer lerische Freiheit in Russland stark zurückgeschnit- Shakespeare’schen Figur war im Übrigen nichts ten wurde. Noch aber wehte in manchen Köpfen Ungewöhnliches in der kulturellen Produktion der Wind eines auch zwischenmenschlichen Frei- Russlands zu dieser Zeit, man rief gerne die Ham- heitsgedankens, der sich den traditionellen partner- lets und König Lears herbei, um ihnen dann ein schaftlichen Bindungen entgegensetzte. Zuvor, in bürgerliches, russisches Idiom zu verpassen, der Zarenzeit, hatte der sogenannte Domostroi, ein gleichzeitig aber beim Zuschauer oder Leser As- Kodex, das gesellschaftliche, aber auch innerfamili- soziationen zu wecken. Steht einmal Hamlet, oder äre Leben geregelt, und das auf eine sehr patriar- Lady Macbeth von Mzensk eben Lady Macbeth, im Titel, so weiß der Rezipient chalische Art und Weise. Dem Hausherren stand 8., 11., 14., 17. März auch gleich, wohin die thematische Reise geht. innerhalb seines Lebensbereiches neben einer Rei- 14 N° 187 www.wiener-staatsoper.at
OPER he von Pflichten auch ein umfassendes Bestrafungs- zweifellos der bedeutendste Komponist pornogra- recht, bis hin zur Züchtigung, zu. Dem wurde ab fischer Musik in der Geschichte der Oper.“ 1917 der neue Gedanke einer Emanzipation der Im selben Jahr überarbeitete der Komponist sein Frauen entgegengehalten, auch die Tendenzen ei- Werk zum ersten Mal und entschärfte, noch ohne ner sexuellen Befreiung, wie etwa im sogenannten Druck von außen, die eine oder andere für ihn of- Instruktor der Roten Jugend zu lesen war: „Freiheit fenbar zu direkte Passage. Hatte Katerina zuvor der Liebe und alles, war drum und dran hängt! Küsst noch von sich paarenden Tieren gesungen, flatterte euch und liebt euch!“ – Es ging also um eine Be- in der zweiten Fassung nur noch ein prüdes glück- freiung der Liebe aus einem vorgegebenen, erzwun- liches Taubenpaar. Doch die große Krise sollte erst genen Korsett, um die Verwirklichung einer Eigen- folgen. Inmitten des Erfolgsschwunges betrat eines verantwortlichkeit und vor allem: um eine Selbst- Abends Stalin die Oper, lachte zwischendurch höh- bestimmung. Die erneute antiliberale Gegenbe nisch, verließ noch während der Vorstellung das wegung ließ freilich nicht lange auf sich warten. Theater. Am nächsten Tag erschien ein ungezeich- Schostakowitsch hatte all diese gesellschaftlichen neter Artikel im Staatsblatt Prawda, der dem Dik- Umwälzungen mitbekommen und sich ausführlich tator zugeschrieben wird. „Chaos statt Musik“ nann- mit ihnen auseinandergesetzt; und so sah er seine te sich der Beitrag, und in dem Text wurde mit der Katerina, die Lady Macbeth, durchaus auch als lie- Oper brutal abgerechnet. „Alles ist grob, primitiv bendes Wesen im Sinne dieser Revolution, das nur und vulgär“, hieß es darin, „Die Musik schnattert, aufgrund der gesellschaftlichen Umstände eine zer- störerische Kraft entfaltet. Also: Die Oper handelt, so Schostakowitsch, von Liebe, aber eben nicht nur KS Angela Denoke als Katerina von Liebe, sondern davon „wie Liebe sein könnte, wenn nicht ringsherum Schlechtigkeit herrschte. An diesen Schlechtigkeiten geht die Liebe zugrun- de. An den Gesetzen, am Besitzdenken, an der Geld- gier, an der Polizeimaschinerie. Wären die Verhält- nisse anders, wäre auch die Liebe eine andere …“ Ein wichtiges Detail am Rande: Schostakowitsch widmete die Oper als Liebesgabe seiner Braut Nina. Arbeitsbeginn war im Jahr 1930, nach der Nase (1927-1928) war Lady Macbeth von Mzensk die zweite Oper des erst 24jährigen Komponisten. Ge- dacht war ursprünglich an eine Trilogie junger rus- sischer Frauen, doch kam Schostakowitsch über den ersten Teil nicht hinaus. 1933, nach der Fertigstel- lung des Werkes, wurden gleich zwei Premieren parallel vorbereitet, in Leningrad (wo auch die Ur- aufführung am 22. Jänner 1934 stattfand) und in Moskau. Der anfängliche Erfolg war ein großer, man sprach vom „Sieg des sowjetischen Musiktheaters“, vom grandiosen Schritt in Richtung des sozialisti- schen Realismus.“ Die Aufführungszahlen kletterten in Russland schnell in die Höhe, auch das Ausland interessierte sich bald für das Werk. 1935 kam es zur ersten Auf- führung in den USA, wobei die Reaktion nach der Premiere gemischt war: Neben Zustimmung gab es auch Kritik an der Düsterheit des Werkes und an der von manchen empfundenen „Unmoral“. So meinte ein Rezensent etwa: „Schostakowitsch ist www.wiener-staatsoper.at N° 187 15
saust, keucht, erstickt – mit dem Ziel – möglichst „Ich finde, Lady Macbeth von Mzensk ist in natürlich die Liebesszene auszudrücken“. Abgese- gewisser Weise eine Antioper, denn alles, was hen davon sei die Oper Ausdruck „linksradikaler Zügellosigkeit“ und sei dem „Formalismus“ verhaf- sonst immer schön und überhöht dargestellt tet. Für Schostakowitsch bedeutete eine solche Ver- wird, ist hier ganz drastisch und nackt. Es urteilung mehr als nur eine schlechte Kritik von lohnt sich, die der Oper zugrundeliegende höchster Stelle, es bedeutete eine Existenzvernich- Erzählung von Nikolai Leskow zu lesen: tung, bis hin zur Bedrohung des physischen Lebens. sie ist eine neutrale Berichterstattung, fast Von da an musste Schostakowitsch um sein nacktes reportagehaft, ohne moralische Wertungen. Leben fürchten, und man kennt aus seinen Lebens- Und Schostakowitsch hat genau das in berichten seine Panik vor jedem vor seinem Haus seine Musik gelegt, ja diese Aspekte sogar haltenden schwarzen Wagen, den er als Geheim- noch verstärkt. … Ich glaube nicht, dass dienstwagen zu identifizieren meinte. In diesem Schostakowitsch wirklich charakterlich werten Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass wollte. Er wollte auch keinen denunzieren, die Kulturausübung in Russland noch niemals un- sondern zeigte Menschen, wie sie sind: etwa freier und unterdrückter gewesen war als zu dieser den Schwiegervater, der nur Kinder und Enkel Zeit, längst hatte der kommunistische Apparat die haben will und schon geahnt hat, dass Katerina Weisung ausgegeben, dass jede Kunst der direkten nicht die richtige Ehefrau für seinen Sohn ist. … Verherrlichung der sowjetischen Daseinsform die- Im letzten Akt gibt es einen russischen Tonfall, nen sollte. Eine nach unbedingter Freiheit streben- der sicherlich an eine Tradition anschließt; de Frau wie die Katerina der Oper war nicht positiv, neu war das Ungeschminkte. Wobei man auch arbeitsam und systemerhaltend genug. Was also hier Parallelen zu Wozzeck und den Werken passierte? Das Werk verschwand schnell von den von Janáček finden kann.“ Ingo Metzmacher Spielplänen in der Sowjetunion und durfte erst vie- le Jahre später, in einer abermals überarbeiteten „Diese Oper handelt davon, dass unser und geglätteten Form (als Katerina Ismailowa) Anspruch und unsere Konstruktion eine wieder gespielt werden. Als solche wurde das Werk Divergenz und keine Kongruenz haben. Der auch 1965 erstmals an der Wiener Staatsoper gege- Zuschauer muss Fragen an sich selbst stellen, ben – Dmitri Schostakowitsch war bei den Proben Fragen über die eigene Verführbarkeit. Wenn zu dieser Erstaufführung anwesend! Doch erst die ein Mann daran denkt, wer die Frau sein soll, aktuelle Produktion – Premiere 2009 – brachte dem mit der er den Rest seines Lebens verbringen Wiener Staatsopernpublikum die Oper in ihrer ei- will, dann stellt er sich eine intelligente, selbst gentlichen, ursprünglichen Fassung, wie Schostako- bestimmte Person vor, die mit ihm auf gleicher witsch sie eigentlich erdacht und geschrieben hatte. Augenhöhe ist, die ihren eigenen Weg kennt. Und was passiert morgens um acht? Er sieht Und eben diese Produktion aus dem Jahr 2009 – an der Busstation ein hübsches Dummerchen Inszenierung: Matthias Hartmann – kommt nun im auf einer Litfaßsäule, das Werbung für eine Haus am Ring wieder zur Aufführung. Wie schon bei Modemarke macht. – Und sofort dreht sich der Premiere singt KS Angela Denoke die Rolle der instinkthaft sein Kopf zu dieser Frau hin, unglücklichen, drangsalierten und mordenden Ka- ungewollt. Was ist das also an ihm, was ihn terina, KS Kurt Rydl gibt den wenig sympathischen nicht an seine Ansprüche bindet, sondern an Schwiegervater Boris, Marian Talaba den Ehemann seine genetische Determination? Genau diese Sinowi, Misha Dydik den Sergej. Dirigent dieser Schizophrenie zwischen unserem Anspruch Aufführungsserie ist wieder Ingo Metzmacher, der und unserer Anlage bildet Schostakowitsch in mit der Premiere dieser Produktion sein Hausdebüt scharf geschnittenen Bildern ab.“ an der Wiener Staatsoper gegeben und seither die Matthias Hartmann Premiere von Aufstieg und Fall der Stadt Maha- gonny sowie Parsifal geleitet hat und der Dirigent Ausschnitte aus Interviews mit Ingo Metzmacher und der heurigen Opernball-Eröffnung war. Matthias Hartmann anlässlich der Premiere 2009 Oliver Láng 16 N° 187 www.wiener-staatsoper.at
OPER DAS WIENER STAATSBALLETT Halbsolist Andrey Teterin „ Es ist nicht besonders interessant und erfüllend für mich, auf die Bühne zu gehen und einfach eine „technische“ Variation zu zeigen. Viel mehr fasziniert es mich eine Geschichte zu erzählen.“ Andrey Teterins Augen beginnen zu leuchten, sobald er an die darstellerischen Aspekte des Balletts denkt. „Da wir beim Ballett in der Regel ja nicht sprechen, ist die Körpersprache unser einziges und zentrales Ausdrucksmittel. Jede Armbewegung, jeder Gesichtsausdruck, jeder Blick ist wichtig. Man muss dadurch die Rolle zum Leben erwecken und das Publikum muss verstehen, was jede Bewegung bedeutet. Ich finde es faszinierend, dass eine Armbewegung so viel beinhalten und ausdrücken kann, Liebe oder Traurigkeit zeigt und bedeutet. Und diesen unmittelbaren und tiefen Ausdruck der Bewegung zu erreichen fällt manchmal viel schwerer, als einen Sprung oder eine Drehung perfekt zu machen.“ Geboren wurde Andrey Teterin in Uztinov (Russ land). Seine Ausbildung absolvierte er an der Rudolf-Nurejew-Ballettakademie in Ufa und an der Heinz-Bosl-Stiftung/ Ballett-Akademie in München, wo Alexandre Prokofiev zu seinen wichtigsten Lehrern zählte. 2005 wurde er Mitglied des Balletts der Wiener Staatsoper und Volksoper, 2010 avancierte er zum Halbsolisten des Wiener Staatsballetts. „All meine wichtigen Rollen in Wien, wie beispiels weise Herzog Albrecht in Elena Tschernischovas SERIE Giselle, Espada in Rudolf Nurejews Don Quixote bzw. Lenski in dessen Onegin habe ich zusammen mit Jean Christophe Lesage einstudiert, welcher mir hier zu einer besonders wichtigen Stütze geworden ist. Besonders wichtig finde ich es auch, beim Tanzen Spaß an seiner Aufgabe zu haben“, fügt er hinzu. „Wenn man Spaß an einer Rolle hat, sie einem von Herzen Freude macht, dann merkt das Publikum das auch sofort.“ Andrey Teterin in Vaslaw Oliver Peter Graber www.wiener-staatsoper.at N° 187 17
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