Premiere: Elektra Wieder am Spielplan: Lady Macbeth von Mzensk Angela Gheorghiu gibt ihr Debüt als Charlotte in Werther - PROLOG MÄRZ 2015 | N 187

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Premiere: Elektra Wieder am Spielplan: Lady Macbeth von Mzensk Angela Gheorghiu gibt ihr Debüt als Charlotte in Werther - PROLOG MÄRZ 2015 | N 187
P R O L O G M Ä R Z 2 0 1 5 | N° 187

                 KS Nina Stemme singt die Titelpartie in Elektra

                                      Premiere: Elektra
        Wieder am Spielplan: Lady Macbeth von Mzensk               GENERALSPONSOREN

Angela Gheorghiu gibt ihr Debüt als Charlotte in Werther
Premiere: Elektra Wieder am Spielplan: Lady Macbeth von Mzensk Angela Gheorghiu gibt ihr Debüt als Charlotte in Werther - PROLOG MÄRZ 2015 | N 187
bis 21.9.2015

                             Der Meister
                         Tön’ und Weisen...
                         Heinz Zednik –
                         50 Jahre Staatsoper

Bild: © Axel Zeininger                     Palais Lobkowitz, Lobkowitzplatz 2, 1010 Wien, www.theatermuseum.at
Premiere: Elektra Wieder am Spielplan: Lady Macbeth von Mzensk Angela Gheorghiu gibt ihr Debüt als Charlotte in Werther - PROLOG MÄRZ 2015 | N 187
Inhalt                                                         Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher,
                                                               liebes Publikum!

Februar im Blickpunkt
                                                          2    Die größte Gefahr für die Lebendigkeit des Theaters
                                                               lauert in der verführerischen Bereitschaft, sich in
Paradiesischer Gesang
Nina Stemme debütiert als Elektra                         4    bereits bekannte Sicht- und Hörweisen wohlig
                                                               einzuigeln und auf jede weitere Auseinandersetzung
Der Vater aller Takte
Mikko Franck dirigiert die Elektra-Premiere               6    zu verzichten. Eine Neuinszenierung eines Klassikers
                                                               wird folglich schnell als Hausfriedensbruch empfun-
Der Kraft der Musik gehorchend
Uwe Eric Laufenberg, der Regisseur der Elektra            8    den, als unnötige Aufgabe von etwas ohnehin Funk-
                                                               tionierendem, etwas Bewährtem. Gar nicht so
Eine lyrische Chrysothemis
Anne Schwanewilms im Gespräch                             10   wenige würden gerne das gerade bestehende
                                                               Repertoire an (teilweise nur mehr in Rudimenten
In Alarmbereitschaft
Norbert Ernst singt den Aegisth in der Elektra-Premiere   12   vorhandenen) szenischen Lösungen einfrieren und
                                                               dauerhaft konservieren. Dass das heute Bewährte
Fahrzeug sein, und Fahrer!
Anna Larssons Klytämnestra-Debüt                          13   einst womöglich ebenfalls nur sehr widerwillig
                                                               empfangen wurde, vergisst man oft und gern, eben-
Mörderische Leidenschaften
Lady Macbeth von Mzensk ist wieder am Spielplan           14   so, dass eines der Wesenszüge großer Meisterwerke
Das Wiener Staatsballett                                       gerade in deren Vielschichtigkeit liegt. Eine Viel-
Halbsolist Andrey Teterin                                 17   schichtigkeit, die für den Rezipienten ein breites
                                                               Deutungsspektrum offen lässt, das immer wieder
Drehmoment
                                                          18   zur Beschäftigung einlädt und somit erst dadurch
                                                               die Unsterblichkeit des Meisterwerkes sichert –
Dmitri Hvorostovsky
                                                          20   respektive unter Beweis stellt. Das gilt naturgemäß
                                                               auch für die großen Schöpfungen des Musikt­heaters:
Debüts im März
                                                          21   Zuschauer wie Interpreten können stets aufs Neue
Eine gänzlich neue Charlotte                                   in die Opern und Musikdramen eintauchen, sich
Angela Gheorghiu singt in Werther                         22   berühren lassen und versuchen, zum inneren Kern
Das Staatsopernorchester                                       derselben vorzudringen. In diesem Sinne: Freuen
Klarinettist Johann Hindler                               24   Sie sich mit uns auf die Premiere am Ende dieses
Unsere Ensemblemitglieder                                      Monats, die die Wiener Elektra-Aufführungs­
Paolo Rumetz                                              26   geschichte um ein weiteres Kapitel erweitern wird.

Daten und Fakten
                                                          28   Ihr
                                                               Dominique Meyer
Spielplan
                                                          30
Kartenverkauf
                                                          32
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MÄRZ im Blickpunkt

                                                                            EINFÜHRUNGS-
NEUE STIMMEN                             MATINEEN                           MATINEE

März 2015                                1., 14., 29. März 2015             22. März 2015
Einer der wichtigsten Wettbe-            Die Ensemblemitglieder Marga-      Am 22. März um 11.00 Uhr findet
werbe für junge Sängerinnen und          rita Gritskova und Gabriel         in der Wiener Staatsoper die
Sänger ist der Neue Stimmen-             Bermúdez sind die nächsten         Einführungsmatinee zur bevor-
Bewerb der Bertelsmann Stif-             beiden Sänger, die sich im Rah-    stehenden Premiere von Elektra
tung. Alleine das Ensemble der           men des Zyklus’ Das Ensemble       statt. Mitwirkende der Neupro-
Wiener Staatsoper betreffend             stellt sich vor dem Matineen-      duktion, wie etwa der Regisseur
gehören zu den Preisträgern der          Publikum der Wiener Staatsoper     Uwe Eric Laufenberg, werden
letzten Jahre Elena Maximova,            präsentieren. Die beiden jungen    über die Produktion, das Werk,
Olga Bezsmertna, Xiahou                  Künstler werden am 1. März         die Probenarbeit und ihre per-
Jinxu, Jongmin Park, Rachel              um 11.00 Uhr im Mahler-Saal        sönlichen Gedanken zu dieser
Frenkel und Pavel Kolgatin.              von Thomas Lausmann, dem           Oper erzählen. Burgschauspiele-
Die hochkarätige Jury umfasst            Studienleiter des Hauses, am       rin Sylvie Rohrer wird darüber
Fachleute aus unterschiedlichen          Klavier begleitet.                 hinaus aus dem Originalstück
Genres, denen der Nachwuchs              Am 29. März, ebenfalls um 11.00    von Hofmannsthal lesen. Außer-
der Oper besonders am Herzen             Uhr, findet bereits das nächste    dem werden die Wiener Auffüh-
liegt. Unter dem Vorsitz von             Konzert dieser Reihe im Mahler-    rungs- und Interpretationsge-
Staatsoperndirektor Dominique            Saal statt: es treten Olga Bezs-   schichte näher beleuchtet.
Meyer urteilen heuer Gustav              mertna und David Pershall,
Kuhn, Brian Dickie, Francisco            begleitet von Gábor Bartinai
Araíza, Siegfried Jerusalem,             auf.
Jürgen Kesting, Bernd Loebe,             Genau zwischen diesen beiden
Christoph Meyer, Nicholas                Terminen, am 14. März, geben
Payne, Anja Silja und Evamaria           Mitglieder der Wiener Philhar-
Wieser. Informationen und                moniker eine Kammermusik-
online-Bewerbungsmöglichkeit             Matinee im Mahler-Saal: Rainer
unter www.neue-stimmen.de.               Honeck, Wilfried Hedenborg,
                                         Tobias Lea, Sebastian Führ-
                                         linger, Tamás Varga, Bern-
                                         hard Hedenborg und das
                                         Staatsopern-Ensemblemitglied
                                         Margarita Gritskova bringen
                                         Werke von Strauss, Wagner (We-
                                         sendonck-Lieder), Zemlinsky
                                         und Schönberg (Verklärte
                                         Nacht) zu Gehör.

2   N° 187   www.wiener-staatso per.at
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BLICKPUNKT

WIENER STAATSOPER                    WIENER
LIVE AT HOME                         STAATSBALLETT

März 2015                            März 2015

Gleich fünf Opern werden im          Ballett Hommage (am 23. und
März aus der Wiener Staatsoper       26. März) und Schwanensee
via Internet in die Welt hinaus      (am 2., 20., 30. und 31. März) prä-
übertragen: La Juive (7.), I puri-   gen den Spielplan dieses Monats,
tani (10.), Werther (13.), La tra-   wobei der in Odessa geborene
viata (21.) und Aida (28.). Die      Denys Nedak an der Seite von
Aufführungen können über die         Nina Poláková als Odette/Odile
Webseite staatsoperlive.com          (Rollendebüt) am 20. März sein
ausgewählt, gebucht und sowohl       Hausdebüt als Prinz Siegfried ge-
über die Samsung Smart TV App        ben wird. Ein weiteres Mal wird
als auch an einem Computer,          diese Besetzung am 30. März zu
Laptop bzw. Tablet empfangen         sehen sein. Anstelle der erkrank-
werden. Dabei bieten sich dem        ten Svetlana Zakharova wird
Zuschauer zwei Möglichkeiten:        Marianela Nuñez (Royal Ballet)
entweder eine Bühnentotale           am 2. März in der Rolle der Odette/
oder ein geschnittener Opern-        Odile ihr Hausdebüt an der Seite
film in Nahaufnahme. Die Vor-        von Vladimir Shishov geben.
stellungen werden in bester Bild-
und Tonqualität übertragen, Un-
tertitel, Pausenfilme und andere
Angebote runden die Übertra-
gung ab.

                                                                           www.wiener-staatsoper.at   N° 187   3
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PARADIESISCHER GESANG

   D      as Paradies wünscht sie sich, wie sie einmal
          erzählte, mit Musik, aber auch mit Momenten
   der Stille. Vielleicht ein wenig im Gegensatz zum
                                                            nisch‘ nicht gibt. Dass ein solches Schubladenden-
                                                            ken eine Krankheit der neueren Operngeschichte
                                                            ist, weiß man: für etliche der ganz Großen der Ver-
   Wiener, zum internationalen Opernpublikum, das           gangenheit gab es ein solches Einzwängen in vor-
   sich das Opernparadies eher mit mehr, und immer          bestimmte Fächer nicht. Und doch lassen sich viele
   noch mehr Nina Stemme-Musik bzw. -Gesang vor-            einfangen und werden so zum sogenannten Spezia-
   stellt. Das lässt sich jedenfalls aus den Reaktionen     listen, mit allen daraus folgenden Beschränkungen
   schließen, die nach einem Stemme-Abend obligat           des Repertoires. Stemme wiederum ist auf ihre Art
   scheinen: Jubel und Euphorie, dazu passende und          auch eine Spezialistin, nur eben eine des großen
   ebenso jubelnde und euphorische Rezensionen der          Repertoires. Ein Blick in ihre Biografie zeigt das: Sie
   internationalen Presse. Und dies allgemein abrun-        sang all die Mimìs, Tatjanas, Butterflys, Manon
   dend, ist sie Trägerin zahlreicher Auszeichnungen        Lescauts, Marguerites, Nyssias, Rosalindes, Euridi-
   und Ehrungen, nicht nur in Form von Titeln wie           ces, Agathes, die ein Sängerleben mit sich bringt,
   Österreichische Kammersängerin oder Schwedische          und war, um zur Wiener Staatsoper zu kommen,
   Königliche Hofsängerin, sondern auch des Laurence        weiters auch Senta, Elisabeth (Tannhäuser), Mar-
   Olivier Awards …                                         schallin, Minnie, Leonora (Forza del destino),
   Wobei es egal ist, ob es sich bei diesen Abenden um      Brünnhilde, Isolde, Sieglinde, Ariadne, Leonore und
   das deutsche Fach mit all den großen Wagner- und         Tosca. Dass ihr manche Partie, wie in letzter Zeit die
   Strauss-Partien handelt oder um das italienische.        Brünnhilden und die Isolde besonders am Herzen
   Damit wäre einer der Stemme’schen künstlerischen         liegen, ändert nichts daran, dass sie mit gleicher
   Kernaspekte angesprochen. Und zwar, dass es für          Liebe und Herzensnähe eine Minnie in Puccinis La
   eine technisch und musikalisch ausreichend versier-      fanciulla del West gestaltet hat und sich auch der
   te und kluge Sängerin oder einen Sänger diese            Turandot zuwandte, die derzeit einen Schwerpunkt
   strenge Einteilung in ‚hier deutsch‘ und ‚dort italie-   ihres Repertoires bildet. Das Herz Nina Stemmes ist

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PREMIERE

also, wie man sieht und hört, groß. Dass dort viel        machen. „Wir haben Zugang zu so vielen guten Auf-
Platz für die großen Frauengestalten der Opernbüh-        nahmen, warum sollte ich darauf verzichten? Für
ne ist, hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie sich   mich wäre das, wie das Rad neu zu erfinden. Ich bin
mit rechter Konsequenz und soweit möglich, vielen         durch sie inspiriert, aber kann sie niemals imitie-
Aspekten des medialen Drumherums entzieht. Sie            ren“, erzählte sie im Interview mit dem Magazin
sei nicht interessiert daran, ein Medien-Produkt zu       opera.pl. Vielmehr sei es so, dass sie sich einige
sein, meinte sie im Dezember des letzten Jahres in        Aufnahmen anhört und diese dann im Laufe ihrer
einem Interview im britischen The Telegraph. Eben-        Arbeit an der Rolle wieder vergisst. Und sobald die
so verweigert sie Crossover. „Ich opfere meine            eigene Interpretation fertig entwickelt ist, könne sie
künstlerische Freiheit niemandem und nichts“,             auch keine Aufnahmen dieser Partie mehr hören,
meint sie zu diesem Thema abschließend. Journali-         präzisiert Stemme. Ihr großes Arbeitspensum be-
sten aller Herren Länder und vieler Magazine und          wältigt sie mit größter Intensität und Konzentration
Zeitungen können ein Lied davon singen: Nicht             auf das Wesentliche, oder, wie sie es in einem Ge-
immer ist die Sängerin „verfügbar“, mitunter bittet       spräch mit der New York Times formuliert: „Mein
sie um Verständnis, dass die Zeit eines medialen          Weg ist es, mich langsam zu beeilen.“
Schweigens gekommen wäre und sie sich nun doch
lieber auf ihre nächsten wichtigen Auftritte und Rol-     Derzeit kümmert sie sich natürlich um die Elektra;
len vorbereiten möchte. So führt sie auch keine           aber auch die Kundry in Parsifal, die letzte der gro-
Check-Liste der Bühnen, um laufend überall aufzu-         ßen Wagner-Figuren, die Nina Stemme noch nicht
treten. An der New Yorker Metropolitan Opera war          gestaltet hat, wird sicherlich folgen. Doch lässt sich
sie eine Zeit lang weniger präsent; diese Tatsache        die Sopranistin noch Zeit, denn, und das ist auch
kommentierte sie in einem Interview mit dem pol-          ein wesentlicher Aspekt ihres Lebens, es gibt ja ein
nischen online-Opernmagazin opera.pl: „Nun, sie           Privatleben mit ihrer Familie, das nicht zu kurz kom-
müssen mir eben die richtigen Projekte anbieten.“         men soll, kommen darf. Zuletzt noch ein Detail:
Glückliches Wien! Ist sie hier doch ein ständiger         Diesen August wird Nina Stemme als Turandot beim
Gast; und ein solches, richtiges Wiener Projekt ist       schwedischen Dalhalla Festival auftreten; als Regis-
nun die Elektra, die Nina Stemme mit der Premiere         seur liest man den Namen Bengt Gomér, und man
im Haus am Ring in ihr Repertoire nimmt. Wie bei          kennt ihn nicht nur als Regisseur, sondern auch als
ihren anderen wichtigen Partien geht auch hier eine       Ehemann der Sängerin. Eine Art künstlerische Fa-
große Vorbereitung – sowohl auf musikalischer als         milienzusammenführung, und mit Sicherheit ein
auch auf inhaltlicher Ebene – der Premiere voran.         Projekt, das Opernfreunde aller Welt zu diesem Fe-
Noch einmal Stemme im Telegraph über ihre Elek-           stival locken wird …
tra-Beschäftigungen: „Schwierig zu verinnerlichen,                                                  Oliver Láng
es gibt so viele Wege, wie sie gezeigt werden kann.
Ich muss meinen Weg finden.“ Und so berichtet die
Zeitung, war Stemme etwa zwischen den Tristan               Nina Stemmes Staatsopern-Partien
und Isolde-Proben am Royal Opera House Covent               Ariadne auf Naxos (Primadonna/Ariadne): 3mal
Garden im Londoner Old Vic Theater, um dort die             Der fliegende Holländer (Senta): 25mal
britische Schauspielerin Kristin Scott Thomas in            Der Rosenkavalier (Feldmarschallin): 3mal
Sophokles’ Drama als Elektra zu erleben. Auch Hin-          Die Walküre (Brünnhilde): 2mal
tergrundinformationen, die über ihre Partie hinaus-         Die Walküre (Sieglinde): 12 mal
gehen, sind für sie stets wesentlich und wichtig, ja        Fidelio/Konzertantes Gastspiel am Teatro alla
selbstverständlich: und so erfolgt die Annäherung           Scala (Leonore): 1mal
an einen Charakter und eine Opernfigur in weiten            Götterdämmerung (Brünnhilde): 3mal
Kreisen, auch über Literatur, um die Handlung und           La fanciulla del West (Minnie): 8mal
den Kern eines Bühnenwesens verständlich und                Forza del destino (Leonora de Vargas): 15mal
vermittelbar zu machen. Im Gegensatz zu vielen              Siegfried (Brünnhilde): 14mal
ihrer Kollegen scheut sich die Sopranistin auch             Tosca (Floria Tosca): 4mal
                                                                                                                   Elektra
nicht davor, in historische Aufnahmen hineinzuhö-           Tristan und Isolde (Isolde): 4mal
                                                                                                                   29. März,
ren, um sich dann und wann ein Bild einer Partie zu                                                                1., 4., 7., 11., 16. April

                                                                         www.wiener-staatsoper.at    N° 187   5
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DER VATER ALLER TAKTE
                                                        Fehler in einer Instrumentalstimme aus dem
                                                        vollen Orchesterklang herausgehört hätten. Ist das
                                                        eine besondere Begabung?
                                                          Mikko Franck: Nein, einfacher: Es ist mein Beruf.
                                                          Der Beruf des Dirigenten beinhaltet, dass er gut
                                                          zuhört und, falls falsche Noten vorkommen, die-
                                                          se auch ausbessert. Egal, ob es sich um histo-
                                                          risch überlieferte Druckfehler, Lesefehler oder
                                                          Fehler während des Spielens handelt. Man hört
                                                          zu – und bessert aus.

                                                        Fangen wir am Anfang einer Produktion an.
                                                        Gibt es für Sie einen üblichen Ansatzpunkt? Also
                                                        etwa die Atmosphäre eines Stückes oder die
                                                        Architektur?
                                                          Mikko Franck: Der Ansatzpunkt ist die Partitur.
                                                          Da finde ich alles, was ich wissen muss, alle In-
                                                          formationen, die uns der Komponist geben
                                                          wollte. Diese lese ich immer und immer wieder,
                                                          beschäftige mich mit den einzelnen Gestaltungs-
                                                          elementen – meistens übrigens im Flugzeug,
                                                          weil ich dort viel Zeit habe und nicht gestört
                                                          werde. Das mache ich bis zu dem Punkt, an dem
                                                          die Partitur zu mir zu sprechen beginnt. Und
                                                          umso mehr wir miteinander sprechen, desto kla-
                                                          rer wird das Gesamtbild des Werkes für mich. Ein
                                                          Zugang, der sich immer wieder wiederholt ist,
                                                          dass ich zunächst die erste und die letzte Seite
                                                          studiere: alles andere, was dazwischen passiert,
                                                          hat Zeit. Aber wie es beginnt und wo es hinführt,

   D     er finnische Dirigent Mikko Franck präsen-
         tierte sich 2014 bei der Lohengrin-Premiere
   als Klangmagier, der einen süffigen und be­
                                                          das sind zwei ganz wichtige Koordinaten. Das ist
                                                          nebenbei der Grund, warum ich in meiner Frei-
                                                          zeit nicht viele Romane lese, denn ich habe mir
   rückenden Ton zu erwecken versteht. Sein außer-        diese Erste-letzte-Seiten-Technik auch hier ange-
   ordentliches Gehör, sein analytisches Hören und        wöhnt, was dem literarischen Spannungsbogen
   die präzise Dirigiertechnik machen ihn zusätzlich      nicht besonders gut tut. (lacht)
   zum Wunschdirigenten vieler Musiker und Sänger.
   Nun leitet er mit Elektra seine dritte Premiere im   Im Falle von Richard Strauss gibt es eine reich­
   Haus am Ring.                                        haltige, auf Aufnahmen rezipierbare Klang-
                                                        Tradition, die in die Lebenszeit des Komponisten
   Sie feierten eben mit der Ballett-Premiere Josephs   zurückreicht.
   Legende und Verklungene Feste einen großen Er-         Mikko Franck: Der Interpret muss die Ge­
   folg. Seit den Proben zu diesen Werken kursieren       schichte eines Werkes genau kennen. Das ist
   hier im Haus erste Franck-Legenden. Etwa, dass         ganz klar – und es ist ungemein spannend. Ge-
   Sie einen seit 100 Jahren unkorrigierten Halbton-      rade in einem solchen Haus wie der Wiener

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PREMIERE

  Staatsoper, an der es sogar Strauss-Urauffüh-          nehme die Musik, die ein Komponist niederge-
  rungen gegeben hat. Und gerade darum ist es ja         schrieben hat und frage mich: Was bedeutet sie
  auch so toll, an einem solchen Haus zu arbeiten.       für mich? Ich versuche, das Bestmögliche, was
  Beeinflusst dieses Wissen aber meine Art zu            ich vermag, aus dieser Partitur herauszuholen.
  dirigieren? Nein. Weil ich heute, im Jahr 2015         Genauso finde ich es weder notwendig noch
  lebe. Meine Arbeit besteht nicht darin, ein histo-     sinnvoll darüber zu sprechen, was eine Musik für
  risches Portrait zu machen und einen Versuch zu        mich im Innersten bedeutet; selbst dann, wenn
  unternehmen, die Musik so zu spielen, wie sie          ein Stück oder eine Stelle etwas sehr Klares und
  vor 100 Jahren erklang. Was hätte das für einen        Konkretes für mich bedeuten. Warum? Weil es
  Sinn? Die Gesellschaft ist eine andere, unsere         für den Zuhörer absolut unerheblich ist. Jeder
  Wahrnehmung eine andere, das Publikum ein              und jede einzelne im Zuschauerraum hat dassel-
  anderes, der gesamte Background ist ein ande-          be Recht, eine individuelle Erfahrung zu ma-
  rer. Ich mache Musik in der heutigen Zeit für die      chen, die auf ihrem oder seinem Leben basiert.
  heutige Zeit! Wie gesagt: Die Kenntnis der Ge-         Und alle Erfahrungen und Bedeutungsfindungen
  schichte ich wichtig, aber eine Wiedererweckung        sind gleich wichtig!
  des Historischen ist weder möglich noch sinn-
  voll. Die Staatsoper ist ein lebendiger Ort an dem   Gibt es für Sie den ultimativen Elektra-Aspekt? Der
  lebendige Kunst erzeugt wird. Alles andere wäre      sich von allen anderen Strauss-Werken unter-
  ein Museum.                                          scheidet?
                                                         Mikko Franck: Darüber habe ich noch nicht so
Das bedeutet aber auch, dass es keine für immer          nachgedacht … Ich sehe nämlich jedes Werk in-
gültige Interpretation geben kann?                       dividuell für sich alleine. Also wenn ich an Elek-
  Mikko Franck: Ich denke, es gibt an sich keine         tra arbeite, dann geht es um Elektra, nicht um
  musikalische Aussage, die immer gültig ist. Wir        Salome. Abgesehen handelt es sich um eine phy-
  Menschen von heute müssen uns als Menschen             sische Frage: Die Partituren dieser Opern sind
  von heute treu bleiben. Wenn wir das, was vor          so schwer, dass man ohnehin immer nur eine
  100 Jahren, am Beginn des 20. Jahrhunderts ent-        mit sich herumtragen kann. (lacht)
  standen ist, genau so wiedergeben wollen, wie
  es zur Zeit der Entstehung war, dann müssten         Und schließlich: Gibt es für Sie persönlich einen
  wir in einer isolierten Kammer leben und keine       Moment in der Oper, den Sie am meisten schät-
  Einflüsse aus dem Hier und Jetzt erhalten. Denn      zen?
  alles, was passiert, beeinflusst uns Künstler. Und     Mikko Franck: Hm. Lassen Sie mich nachden-
  soll es auch!                                          ken. Doch, es gibt eine Passage, die für mich
                                                         ganz besonders ist. Sie beginnt mit dem ersten
Strauss notierte beschreibend in seinem Skizzen-         Takt und endet mit dem letzten (lacht). Es kann
heft in Bezug auf Elektra immer wieder Be­               gefährlich sein, eine einzige besondere Stelle zu
wegungselemente, zum Beispiel: „Wie ein Tier“. Ist       lieben: Was macht man, wenn sich diese Stelle
dieses Bewegungshafte in die Musik eingegangen?          in der Mitte der Oper befindet und man nach ihr
  Mikko Franck: Das ist schwierig zu sagen. Ich          noch eine Stunde dirigieren muss? Nein, ich
  denke, dass es auch eine Frage der Interpretati-       halte es lieber so, wie Eltern mit mehreren Kin-
  on ist. Wenn ich Musik mache, dann möchte ich          dern: Da stellt sich die Frage ja auch nicht,
  ganz allgemein nicht zuviel darüber nachdenken,        welches man am meisten liebt. Ich also liebe alle
  was sie im Innersten für den Komponisten be-           Takte – gleichermaßen!                               Elektra
  deutet hat – weil das etwas ist, was heute nicht                                                            29. März,
  mehr wirklich nachvollzogen werden kann. Ich                             Das Gespräch führte Oliver Láng    1., 4., 7., 11., 16. April

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DER KRAFT
                                                             DER MUSIK
                                                          GEHORCHEND

                             N     ach mehr als einem Vierteljahrhundert wird
                                   die inzwischen in die Jahre gekommene, nur
                             mehr fragmentarisch vorhandene Staatsopern-In-
                                                                                      er sich bewusst war, in den dramatischen Stoffen,
                                                                                      wie wir wissen, immer wieder neue Bühnen-
                                                                                      formen gesucht – etwa Konversationsstücke, ba-
                             szenierung der Elektra von einer Neuproduktion           rocke Mysterienspiele, Trauerspiele oder eben
                             abgelöst. Mit Uwe Eric Laufenberg konnte jemand          griechische Adaptionen, wie Elektra. In Max Rein-
                             für die Regie gewonnen werden, der in den letzten        hardt ist Hofmannsthal wiederum auf jemandem
                             Jahren nicht zuletzt als Strauss-Interpret internatio-   gestoßen, dessen geradezu unbegrenzte theatra-
                             nal Marksteine setzte. Seine bejubelte Brüsseler         lische Fantasie all diesen Bühnenformen eine je
                             Ariadne auf Naxos-Inszenierung beispielsweise            eigene wirkungsvolle Gestalt geben konnte. Und
                             wurde mittlerweile in sieben verschiedenen Städten       dieser Reinhardt-Stil respektive die Atmosphärik,
                             mit großem Erfolg nachgespielt. Mit der Elektra          die Reinhardt den Stücken verlieh, haben schlus-
                             debütiert er nun an der Wiener Staatsoper und            sendlich auf Hofmannsthal zurückgewirkt und
                             gab knapp vor Probenbeginn das nachfolgende              diesen in seinen dramatischen Evokationen be-
                             Interview.                                               einflusst. Dies gilt insofern auch schon für die
                                                                                      Elektra, als nachweislich erst das Zusammentref-
                             Sehr geehrter Herr Laufenberg, Hofmannsthal              fen mit Reinhardt Hofmannsthal zur endgültigen
                             wollte für seine Elektra ein suggestives Bühnenbild,     Ausarbeitung des Stückes bewog. Das heißt mit
                             aber auf keinen Fall eine antikisierende Szenerie        anderen Worten gerade in Hinblick auf die
                             mit griechischen Tempeln, dazu passenden Säulen          Hofmannsthal’schen Regie- beziehungsweise Sze-
                             und Portiken. Inwieweit sind solche Anweisungen          nenanweisungen, dass diese zunächst über Max
                             für einen Regisseur bindend? Schon der berühmte          Reinhardt gedacht und verstanden werden müs-
                             Alfred Roller hat bei der Erstaufführung der Elektra     sen. Für jeden anderen Regisseur, Bühnenbildner
                             an der Wiener Staatsoper mit seinem Bühnenbild           oder Kostümbildner – insbesondere heute, mehr
                  Elektra    klar gegen diese Vorgaben verstoßen.                     als ein Jahrhundert nach der Uraufführung so-
                29. März,      Uwe Eric Laufenberg: Hugo von Hofmannsthal             wohl des Stückes als auch der Strauss-Oper –,
1., 4., 7., 11., 16. April     hat für seine großen lyrischen Qualitäten, deren       stellt sich natürlich die Frage, ob ein sklavisches

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PREMIERE

  Befolgen der szenischen Anweisungen überhaupt           deutig sind und die aber dennoch oder gerade
  den inneren Kern des Stückes trifft. Es versteht        deshalb interpretiert gehören, weil ansonsten
  sich aber von selbst, dass der Ort, an dem Elektra      Leerstellen entstehen. Da muss der Regisseur
  haust und zu dem sich Klytämnestra hinabzwingt,         gestalten, muss der Kraft der Musik gehorchen,
  düster und bedrückend sein muss. So wollen              sich trauen.
  auch wir ihn beschreiben.
                                                        Richard Strauss verdoppelt immer wieder im Or-
Sie sagen „wir“: In welchem Maße entsteht das           chester Dinge, die auf der Bühne passieren oder
szenische Ambiente bei Ihren Arbeiten in Rück-          besungen werden: Muss man dann, quasi vice ver-
sprache zwischen Ihnen und dem Bühnenbildner?           sa, die Dinge, die im Orchester angedeutet werden,
  Uwe Eric Laufenberg: Mit Rolf Glittenberg arbei-      genauso auch auf der Bühne optisch verdoppeln?
  te ich hier in Wien zum ersten Mal zusammen und         Uwe Eric Laufenberg: Heutzutage existieren so
  es war ein schönes Kennenlernen, gerade weil            viele unterschiedliche Formen und Möglichkeiten
  sich eine künstlerische Zwiesprache ergab. Ich          ein Werk oder Details von einem Werk darzustel-
  hatte drei Möglichkeiten eines Ortes für die In-        len. Wenn ein Klang, ein Geräusch, ein akustisches
  szenierung skizziert und aus diesen kreierte er         Bild aus dem Gesamten unüberhörbar herausragt
  eine tolle Lösung, die auch unsere Idee eines           und etwas von sich aus erzählt, muss man es nicht
  Stillstandes, der dann in Bewegung gesetzt wird,        unbedingt verdoppeln. Aber wenn die Situation
  wirksam abbildet.                                       danach ist, dass man den Verästelungen der Musik
                                                          nachgehen kann, spricht natürlich nichts dage-
Findet das Freud’sche Element, die Atmosphäre des         gen, diese auch optisch nachzuzeichnen. Schließ-
Fin de Siècle, Eingang in die Inszenierung?               lich ist es nicht verboten, Musik zu visualisieren
  Uwe Eric Laufenberg: Diese Atmosphäre, das              – im Prinzip möchte ich ja, wenn ich in der Oper
  Ahnen einer Zeitenwende auf der einen Seite und         sitze, die Musik die ich höre auch sehen.
  die Erkenntnisse der Psychoanalyse sowie die
  gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dersel-      In der Salome bringt der Tanz der Titelfigur eine
  ben auf der anderen Seite, waren uns sehr wich-       wesentliche dramaturgische Zuspitzung, hier in
  tig, da sie die Annäherung von Hofmannsthal und       der Elektra kommt es abermals zu einem Tanz …
  Strauss an den antiken Elektra-Stoff sehr stark         Uwe Eric Laufenberg: Der Unterschied zwischen
  beeinflusst haben. Das Stück und ebenso die             dem Salome-Tanz und jenem der Elektra liegt auf
  Oper sind ja tatsächlich in wesentlichen Punkten        der Hand: Ersterer ist ein Verführungstanz aber
  ganz anders geartet als die ursprünglichen Ver­         auch ein Entäußerungstanz der Salome vor He-
  sionen von Euripides und Sophokles.                     rodias und für Jochanaan. Dieses Dreiecksverhält-
                                                          nis wird bewusst sehr psychologisch präsentiert.
Gibt es typische Strauss-Herausforderungen? Din-          Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen Tanz
ge, die einem Regisseur in Strauss-Opern immer            mit sieben Schleiern, so wird er schließlich auch
wieder begegnen?                                          genannt. Der Elektra-Tanz hingegen ist die letzte
  Uwe Eric Laufenberg: Strauss hatte, wie alle            Entäußerung von jemandem, der eine nicht zu
  großen Opernkomponisten, ein großes theatra-            verhindernde enorme Hassexplosion zur Realität         Uwe Eric Laufenberg
  lisches Gespür für Situationen. Darin unterschei-       geführt hat und vor dem totalen Zusammenbruch          stammt aus Köln und
  det er sich nicht von einem Mozart, einem Wag-          die letzte symbolische Steigerungsstufe erklimmt.      konnte sich bald als
  ner, einem Verdi, einem Puccini. Nur erzählt bei        Es handelt sich somit um den Schlusspunkt einer        Schauspieler und Regisseur
                                                                                                                 einen Namen machen.
  Strauss die Musik im Orchestergraben manchmal           durch den Herrschermord herbeigeführten
                                                                                                                 Seit den 90er-Jahren ist er
  einen eigenen Film. In der Frau ohne Schatten           Blutorgie. Elektra lädt alle zu diesem Tanz ein und
                                                                                                                 international an wichtigen
  beispielsweise, in den großen Zwischenspielen           es stellt sich die Frage, ob man in ihm eher ein
                                                                                                                 Bühnen als Opern- und
  in der Barak-Färberin-Szene im 1. Akt, aber auch        Befreiungsritual sehen möchte, mit dem die alte        Schauspielregisseur gefragt.
  beim Auftritt der Klytämnestra in der Elektra: In       Zeit begraben wird, oder den Auftakt zu neuen          Seit Beginn der Spielzeit
  diesen Passagen geht Strauss über das Libretto          Aggressionen, zum nächsten wilden Krieg. Ich           2014/2015 ist er Intendant
  hinaus und schildert Dinge die textlich nicht fest-     plädiere für ersteres.                                 des Hessischen Staats­
  gelegt sind, macht Welten auf, die durchaus mehr-                                               Andreas Láng   theaters Wiesbaden.

                                                                       www.wiener-staatsoper.at     N° 187   9
EINE LYRISCHE                                S    pricht man mit Opernkennern, Opernliebha-
                                                   bern und Stimmconnaisseurs von Richard
                                              Strauss, fällt sehr rasch der Name Anne Schwane-

CHRYSOTHEMIS                                  wilms: Ob als Marschallin, Arabella, Kaiserin, Ariad-
                                              ne, Danae, Chrysothemis oder mit Strauss-Liedern
                                              ganz allgemein – weltweit wurde sie vom Publikum
                                              ins Herz geschlossen, weltweit wird sie umjubelt,
                                              weltweit durchforscht man die Spielpläne nach ih-
                                              ren Auftritten. An der Wiener Staatsoper hat sie
                                              neben Gutrune, der Tannhäuser-Elisabeth, der
                                              Wozzeck-Marie bislang als Marschallin, Arabella und
                                              Chrysothemis begeistert. Mit letzterer Partie kehrt
                                              sie in der Elektra-Neuproduktion im März und April
                                              zurück ans Haus am Ring.

                                              Sehr geehrte Frau Schwanewilms, wenn man be-
                                              stimmte Rollen immer wieder singt, werden dann
                                              die Klavierauszüge von Vorstellung zu Vorstellung
                                              immer bunter durch diverse Notizen?
                                                 Anne Schwanewilms: Meine Klavierauszüge
                                                 sind im Prinzip fast blank, nur meine Rolle ist mit
                                                 Leuchtstift hervorgehoben, denn ich habe die
                                                 wesentlichen Erfahrungen ohnehin im Kopf und
                                                 möchte darüber hinaus jedes Mal neu gestalten
                                                 und mich nicht von Vornherein durch irgendwel-
                                                 che Eintragungen in ein Korsett zwängen. Je mehr
                                                 man nämlich an Bemerkungen in die Noten ein-
                                                 trägt, desto weniger Spielraum lässt man sich sel-
                                                 ber, desto enger zieht man von Mal zu Mal den
                                                 Fokus, desto starrer wird das Ganze. Wissen Sie,
                                                 ich gehe auch gerne als Zuhörerin in Konzerte
                                                 und Vorstellungen, lese viel – einfach um neue
                                                 Aspekte kennenzulernen, anderen Ideen gegen-
                                                 über offen zu bleiben.

                                              Und wenn man auf eine geniale interpretatorische
                                              Lösung draufkommt – was wenn man diese ver-
                                              gisst?
                                                Anne Schwanewilms: Ich verspreche Ihnen:
                                                Wenn sie wirklich so genial ist, vergisst man sie
                                                nicht. So ein Interpretationsansatz wird dann zum
                                                eigenen Repertoire. Zumindest erinnert man sich
                                                später, dass da etwas war und setzt sich dann auf
                                                den Hosenboden und sucht so lange, bis man
                                                fündig wird.

                                              Hofmannsthal spricht im Zusammenhang mit der
                                              Elektra von der Farbe schwarz. Was sagen Sie als
                                              Synästhetikerin dazu?

     10   N° 187   www.wiener-staatsoper.at
PREMIERE

  Anne Schwanewilms: Dass in Elektra das Dun-             ein schönes, warmes Dunkelblau. Wenn dann
  kle vorherrscht, das weiß man auch wenn man             womöglich eine Septime oder gar eine vermin-
  kein Synästhetiker ist. Gleich die ersten paar          derte None dazukommt, wird es deutlich dü-
  Töne und Dissonanzen vermitteln sogar demje-            sterer. Interessanterweise spielt bei komplexen
  nigen, der die Oper ohne Vorwissen anhört: Das          Harmonien die Lebens- und Hörerfahrung eine
  ist keine Komödie, da geht es eindeutig in Rich-        große Rolle: Beim Tristan-Akkord oder bei dieser
  tung Massaker. Elektra war übrigens eine meiner         polyharmonischen Struktur in der Elektra sehe
  ersten Opern die ich als Zuschauer erlebt habe.         ich heute andere Farben, als vor, sagen wir, zehn
  Ich bin als junge, freche Schülerin hineingegan-        Jahren. Aber ganz allgemein: So schön es ist, wäh-
  gen, so nach dem Motto: „Schauen wir einmal,            rend des Singens in all den Farben zu baden,
  was die so bieten“. Nach der Vorstellung war ich        versuche ich mich diesbezüglich zurückzuhalten,
  so geschockt, dass mit mir nichts anzufangen            weil es technisch nicht unbedingt optimal ist.
  war. Das Stück hat mich einfach weggespült.
  Mich wundert ja nach wie vor, wie Strauss und         Das heißt: kein Chrysothemis-Bad?
  Hofmannsthal so etwas Schwarzes schreiben              Anne Schwanewilms: Bei dieser Rolle mit den
  konnten, ohne Derartiges je persönlich erlebt          ständigen Höhenunterschieden – von unten nach
  zu haben.                                              oben, von oben nach unten – da kann man oh-
                                                         nehin nicht baden. Strauss hat hier sehr schön
Aber Chrysothemis ist ja eine durchaus hoffnungs-        das Nicht-wahr-haben-Wollen der Chrysothemis
volle Gestalt?                                           in Musik umgesetzt, das ist wie ein psychisches
  Anne Schwanewilms: Wenn ein weißer Schmet-             Auf-der-heißen-Herdplatte sitzen, da gibt es kei-
  terling in einer verkohlten Landschaft herum-          nerlei Entspannung, also auch kein Bad.
  schwirrt, kleben mit der Zeit auch auf seinen Flü-
  geln die Kohlepartikel. Aber es stimmt, sie ist die   Sie singen sehr viel Strauss, aber ihr Repertoire geht
  Einzige in dieser furchtbaren Umgebung, die           weit darüber hinaus …
  menschliche, irdische Wünsche äußert, nur schei-        Anne Schwanewilms: Ich habe vor kurzem mit
  nen sie in ihrer Situation unerreichbar und unre-       André Tubeuf, dem französischen Kritiker, gespro-
  alistisch. Diese Wünsche sind somit eher Träume         chen, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, und er
  in die sie sich hineinflüchtet, um mit dem psychi-      hat mir erklärt, dass es in Frankreich ein eigenes,
  schen Druck, der durch Elektra und Klytämnestra         hierzulande unbekanntes Fach gäbe, das genau
  erzeugt wird und auf ihrer Seele lastet, fertig zu      mein Rollenspektrum abdeckt: den „blonde-sop-
  werden, als konkret umsetzbare Ziele. Und späte-        rano“. Wenn Sie möchten, so etwas wie ein ju-
  stens ihre Orest-Rufe am Ende der Oper bezeu-           gendlich dramatischer Sopran mit besonderen
  gen, dass auch sie einen schweren Schaden da-           lyrischen Qualitäten, ideal für Arabella, Danae,
  vonträgt – denn warum schreit sie in jener Situa-       Ariadne, Elsa etc. Und wenn ein Franzose hört,
  tion nach ihrem Bruder, das ist doch eher unge-         dass ein „blonde-soprano“ eine Leonore singen
  wöhnlich? Nichtsdestotrotz suche ich in der             wird, weiß er: die wird viele lyrische Farben auf-
  Chrysothemis-Rolle nach Lichtpunkten, nach              weisen, aber im dramatischen Bereich gewisse
  Lichtsternen, an denen ich mich entlangtaste.           Grenzen haben. Die Chrysothemis eines „blonde-
                                                          soprano“ ist zarter, lyrischer, melancholischer, die
Friedrich Gulda hat einmal gemeint, dass man,             Chrysothemis einer Elektra-Anwärterin wird we-
vor allem bei Mozart, jeden einzelnen Ton mit so          niger ausdrucksvoll sein, aber an manchen Passa-
einer Inbrunst spielen müsste, als ginge es ums           gen lauter. Es ist Geschmackssache, was einem
Leben. Sie sehen Töne als Farben: Malen Sie, wenn         eher zusagt. Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich
Sie singen, quasi von Ton zu Ton bis das Gemälde          von Natur aus diese „blonde-soprano“ Stimme in
fertig ist?                                               mir trage und sie vor allem auch gefunden habe.
  Anne Schwanewilms: Nein, es geht weniger um             Offenbar hatte Strauss meine Stimme im Kopf, als
  einzelne Töne, als um Harmonien, Harmoniever-           er jene wichtigen Frauen-Rollen schrieb, die zu        Elektra
  bindungen und Grundstimmungen. E-Dur in                 meinem Repertoire gehören …                            29. März,
  Kombination mit H-Dur ist für mich zum Beispiel                                               Andreas Láng     1., 4., 7., 11., 16. April

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IN AL ARMBEREITSCHAFT
                             Norbert Ernst singt den Aegisth in der Elektra-Premiere

                             B     erühmte Zitate aus der Musiktheaterwelt, die
                                   Opernfreunde gerne situationspassend drapie-
                             ren: „Sind halt aso, die jungen Leut‘ “ oder natürlich:
                                                                                       zu lassen – dazu ist die Partie zu kurz. Es fängt wirklich
                                                                                       mit Vollgas an!“ Spannend empfindet er die Partie
                                                                                       auch, weil er sich nicht ganz schlüssig ist, „was Strauss
                             „Glücklich ist, wer vergisst“. Seltener: „Zwangvolle      eigentlich mit dieser Figur vorhatte. Wie ich aus der
                             Plage! Müh ohne Zweck!“. So gut wie nie hingegen:         Mythologie sehe, sollte er zwar ein verschlagener
                             „Rührt sich keiner von diesen Schuften, kann das          Mensch sein, aber gleichzeitig muss er ja auch einen
                             Volk keine Zucht annehmen?“ Letzteres stammt aus          Verführertyp abgeben: denn irgendwas muss Klytäm-
                             Elektra, ist der Auftrittssatz von Aegisth – und wird     nestra ja an ihm gefunden haben. Aber vielleicht woll-
                             wohl nur von einem gelegentlich im häuslichen             te Strauss ihn auch karikieren und die Abgehobenheit
                             Gebrauch angewandt – von Norbert Ernst, dem               dieses Herrschers herausstreichen.“ Fragen, die sich
                             Aegisth der Elektra-Premiere, und zwar im Falle           im Laufe der Probenarbeit stellen werden. Wie er zu
                             absolut nicht folgen wollenden Nachwuchses.               solchen Proben für eine Neuproduktion antritt? Im
                             Der Tenor, seit 2010 im Ensemble der Wiener Staats-       Kopf mit einem eigenen Konzept? „Nein“, wehrt Ernst
                             oper, hat die Partie bereits dreimal hier im Haus am      ab. „Im Falle einer Neuinszenierung gehe ich lieber
                             Ring gesungen, und kennt so die Tücken der Rolle.         blank hin, da es ja nicht viel bringt, ein komplettes
                             Zunächst: die Ermordungsszene. Hier ist das Orche-        Rollenbild zu entwickeln, das womöglich den Vorstel-
                             ster „so abartig laut, wie an wenigen anderen Passa-      lungen des Regisseurs komplett widerspricht. Wobei
                             gen“, erklärt er. „Ich habe noch in keiner Stelle einer   natürlich eigene Grundideen notwendig und wichtig
                             anderen Partie erlebt, dass so viele Blechbläser          sind – manche Regisseure wollen ja etwas ‚angeboten‘
                             gleichzeitig ein Forte oder Fortissimo zu spielen         bekommen.“
                             haben. Dazu kommt, dass besonders viele Trompe-           Ernst, der sich besonders im deutschen Fach, aber
                             ten im Einsatz sind, die ja einen ähnlichen Singfor-      auch im russischen und tschechischen Repertoire,
                             manten haben wie die Tenorstimme… Ich glaube              weniger im italienischen heimisch fühlt, arbeitet im
                             fast, dass es jene Stelle im gesamte Strauss’schen        Gespräch präzise heraus, wo er die großen Differen-
                             Repertoire ist, in der die meisten Trompeten gleich-      zen im Wagner- und Strauss-Gesang sieht. „Der
                             zeitig spielen.“                                          grundlegende Unterschied liegt in der Tessitura.
                                                                                       Strauss schreibt in der Regel mindestens einen Ganz-
                             Zu dieser rein akustischen Herausforderung kommt          ton höher: Wenn man sich Daphne oder Die Liebe
                             auch noch, dass der Aegisth erst am Ende der Oper         der Danae anschaut, dann sieht man, dass Strauss
                             an der Reihe ist. „Es wäre für mich ein seltsames Ge-     oft c-Tenöre fordert. Wagner, mit Ausnahme des Erik,
                             fühl, zwar pünktlich zum Auftritt ins Haus zu erschei-    der von der Tessitura her sehr „straussig“ ist, geht
                             nen, aber zu wissen, dass die Vorstellung bereits seit    für gewöhnlich nur bis zum a. Das kann man noch
                             längerem begonnen hat. Das Publikum, die Sänger,          mit dem Brust­register schaffen, und darum können
                             alle Mitarbeiter hinter den Kulissen haben schon eine     viele ehemalige hohe Baritone auch die Wagner-Te-
                             gemeinsame Vorstellungsgeschichte und ich käme            norpartien singen. Abgesehen davon hat Wagner
                             gewissermaßen nachträglich, frisch und ausgeruht          sängerfreundlicher instrumentiert, wie man zum
                             dazu. In so einem Fall emotional ein Teil dieses schon    Beispiel am Ring sieht. Immer, wenn wichtige Passa-
                             laufenden Betriebs zu werden, ist praktisch unmög-        gen kommen, in denen der Sänger gut zu hören sein
                             lich, also bin ich von Anfang an in meiner Garderobe      soll, nimmt er das Orchester zurück. Vielleicht auch,
                             und warte dort auf meinen Auftritt.“ Abgesehen davon      weil er auf die Texte Rücksicht genommen hat, die
                  Elektra    muss die Stimme des Aegisth-Darstellers vom ersten        verständlich sein sollen. Es waren ja seine Texte.
                29. März,    Moment an „in Alarmbereitschaft sein“, so Ernst.          Strauss ist es hingegen stets eher um die melodische
1., 4., 7., 11., 16. April   „Denn man hat keine Zeit die Stimme warm werden           Linie gegangen.“                                         L.

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PREMIERE

                                                          FAHRZEUG SEIN,
                                                          UND FAHRER!
                                                          Anna Larssons Klytämnestra-Debüt
                                                            Part hat. Man hört im Orchester alle Charaktere:
                                                            Chrysothemis, Elektra, Klytämnestra und muss
                                                            eigentlich gar nicht auf die Bühne achten, im
                                                            Orchestergraben findet schon alles statt.

                                                          Stellen sich im Zuge dieses Lernens Erkenntnisse

S   trauss hat aus Hofmannsthals Original große
    Textteile der Klytämnestra gestrichen. Wieviel
dramaturgisches Kalkül steckte dahinter?
                                                          oder Aha-Erlebnisse in Bezug auf die Oper ein?
                                                            Anna Larsson: Ich bin draufgekommen, dass,
                                                            wenn ich exakt das mache, was Strauss in den
  Anna Larsson: Ich denke es ging ihm um eine               Noten notiert hat, musikalisch Dinge zum Vor-
  komprimierte und deutliche Form eines Bildes              schein kommen, die man beim raschen Drüber-
  dieser drei Frauen und um eine direkte, fast bru-         hören verpasst. Klytämnestra ist dann weniger
  tale Art der Publikumskonfrontation. Er wollte            dunkel, dafür aber menschlicher. Ist man dieser
  einfach vermeiden, dass Klytämnestra den Raum             Menschlichkeit erst einmal auf der Spur, dann
  betritt und langatmig über ihre Motivation zu be-         versteht man Klytämnestra besser … Ich finde es
  richten anfängt. Es sollte klar und direkt sein. Eine     spannend, wie Hofmannsthal aus dem griechi-
  dramaturgisch sehr gute Entscheidung!                     schen Mythos ein Freud’sches Drama destilliert
                                                            hat. Die Taten der Klytämnestra bedrohen sie aus
Bei Ihrer Klytämnestra handelt es sich um ein Rol-          dem Unterbewusstsein, sie wird mit dem Ganzen
lendebüt. Hatten Sie die Rolle länger im Visier?            nicht fertig – und geht zu Elektra. Jener Person,
  Anna Larsson: Direktor Meyer hat mir diese Par-           die in dieser Situation als Ansprechpartnerin wohl
  tie angeboten, und ich war zunächst einmal über-          am wenigsten geeignet ist. Ich finde das vom Psy-
  rascht: Ich sah mich selbst nicht als Klytämnestra.       chologischen her spannend!
  Dann allerdings las ich, dass Strauss die Figur als
  attraktive, etwa 50-jährige Frau beschrieben hat        Wieweit geht Ihnen diese Spannung unter die Haut?
  und nicht als alte Hexe. Und so dachte ich mir:         Wieweit sind Sie die Klytämnestra?
  Also, wenn Strauss das sagt, dann kann ich die            Anna Larsson: Wir werden sehen, ob ich Klytäm-
  Rolle ruhig singen, gewissermaßen in der Traditi-         nestra bin oder Larsson, die Klytämnestra spielt.
  on einer Waltraud Meier, einer schönen, ge­sunden         Natürlich muss das Publikum das Gefühl haben,
  Mezzostimme. Es ist eben nicht die alte Gräfin aus        dass wir Sänger mit der Rolle eins geworden sind.
  Pique Dame!                                               Aber ein Teil von uns muss dennoch immer dis-
                                                            tanziert bleiben. Es ist, als ob man in einem Auto
Kann man eine Strauss-Partie überhaupt aus dem              sitzen und das Fahrzeug lenken würde: das Publi-
Klavierauszug, wie in der Oper üblich, lernen?              kum sieht das Auto, nicht den Fahrer. Was wir
  Anna Larsson: Das ist natürlich ein Faktum, dass          allerdings nicht machen dürfen ist: Außerhalb
  ein Klavierauszug eine extreme Reduktion dar-             stehen und uns selbst beobachten. Man soll schon
  stellt und diese bei Strauss, dessen Stärke und           ruhig die Rolle zu sein versuchen und sie ins Un-
  Besonderheit ja gerade die Farben im Orchester            terbewusstsein lassen. Ich hoffe jedenfalls, dass
  sind, beim Lernen einer Partie eine Herausforde-          ich für die Klytämnestra mutig genug sein werde.     Elektra
  rung darstellt. Es ist ja so, dass die Sänger zwar                                                             29. März,
  wichtig sind, aber das Orchester den wesentlichen                          Das Gespräch führte Andreas Láng    1., 4., 7., 11., 16. April

                                                                       www.wiener-staatsoper.at   N° 187   13
MÖRDERISCHE
        LEIDENSCHAFTEN
        Lady Macbeth von Mzensk ist wieder am Spielplan

                               E    s ist, und das mag zunächst einmal verwundern,
                                    ein Werk der Liebe. Lady Macbeth von Mzensk,
                               von Dmitri Schostakowitsch, erzählt zwar von Gräu-
                                                                                     Schostakowitsch allerdings ging es weniger um das
                                                                                     Gräuel der Lady Macbeth. Die literarische Vorlage
                                                                                     – eine Novelle von Nikolai Leskow – veränderte er
                               eltaten und Mord, von Tod und Unterdrückung,          dahingehend, dass die weibliche Hauptfigur in ih-
                               Rache und Bestrafung, ist aber im Kern dennoch        ren Taten gemildert dargestellt wurde. Ihre Morde
                               eine Oper, in der der Komponist – auch – von Liebe    wurden dezimiert und zum Teil zur Beihilfe umge-
                               sprechen wollte. Von einer bedingungslosen, über-     wandelt, die Herzlosigkeit der Lady Macbeth in den
                               bordenden, keine Grenzen kennenden Liebe, die         Hintergrund gerückt. Schließlich sollte es ja, siehe
                               weder gesellschaftliche, noch vernünftige, noch       oben, ein Werk der Liebe werden … Nun aber wirk-
                               menschliche Regeln akzeptiert.                        lich der Liebe? Um Schostakowitschs Zugang richtig
                               Der Titel aber weist zunächst einmal auf die blu-     verstehen zu können, muss man die kulturellen wie
                               tige Ausrichtung des Sujets hin. Lady Macbeth,        gesellschaftlichen Bewegungen und Umgebungsva-
                               nach Shakespeare, ist ein Prototyp der Machtgier,     riablen der Entstehungszeit der Oper ins Auge fas-
                               des Blutrausches, aber auch des Wahnsinns.            sen. Man befand sich in der ersten postrevolutionä-
                               Gewinnen-Wollen um jeden Preis, wenn nötig,           ren Zeit, in der die anfänglich angenommene künst-
                               auch morden! Eine derartige Heranziehung einer        lerische Freiheit in Russland stark zurückgeschnit-
                               Shakespeare’schen Figur war im Übrigen nichts         ten wurde. Noch aber wehte in manchen Köpfen
                               Ungewöhnliches in der kulturellen Produktion          der Wind eines auch zwischenmenschlichen Frei-
                               Russlands zu dieser Zeit, man rief gerne die Ham-     heitsgedankens, der sich den traditionellen partner-
                               lets und König Lears herbei, um ihnen dann ein        schaftlichen Bindungen entgegensetzte. Zuvor, in
                               bürgerliches, russisches Idiom zu verpassen,          der Zarenzeit, hatte der sogenannte Domostroi, ein
                               gleichzeitig aber beim Zuschauer oder Leser As-       Kodex, das gesellschaftliche, aber auch innerfamili-
                               soziationen zu wecken. Steht einmal Hamlet, oder      äre Leben geregelt, und das auf eine sehr patriar-
Lady Macbeth von Mzensk        eben Lady Macbeth, im Titel, so weiß der Rezipient    chalische Art und Weise. Dem Hausherren stand
      8., 11., 14., 17. März   auch gleich, wohin die thematische Reise geht.        innerhalb seines Lebensbereiches neben einer Rei-

                               14   N° 187   www.wiener-staatsoper.at
OPER

he von Pflichten auch ein umfassendes Bestrafungs-     zweifellos der bedeutendste Komponist pornogra-
recht, bis hin zur Züchtigung, zu. Dem wurde ab        fischer Musik in der Geschichte der Oper.“
1917 der neue Gedanke einer Emanzipation der           Im selben Jahr überarbeitete der Komponist sein
Frauen entgegengehalten, auch die Tendenzen ei-        Werk zum ersten Mal und entschärfte, noch ohne
ner sexuellen Befreiung, wie etwa im sogenannten       Druck von außen, die eine oder andere für ihn of-
Instruktor der Roten Jugend zu lesen war: „Freiheit    fenbar zu direkte Passage. Hatte Katerina zuvor
der Liebe und alles, war drum und dran hängt! Küsst    noch von sich paarenden Tieren gesungen, flatterte
euch und liebt euch!“ – Es ging also um eine Be-       in der zweiten Fassung nur noch ein prüdes glück-
freiung der Liebe aus einem vorgegebenen, erzwun-      liches Taubenpaar. Doch die große Krise sollte erst
genen Korsett, um die Verwirklichung einer Eigen-      folgen. Inmitten des Erfolgsschwunges betrat eines
verantwortlichkeit und vor allem: um eine Selbst-      Abends Stalin die Oper, lachte zwischendurch höh-
bestimmung. Die erneute antiliberale Gegenbe­          nisch, verließ noch während der Vorstellung das
wegung ließ freilich nicht lange auf sich warten.      Theater. Am nächsten Tag erschien ein ungezeich-
Schostakowitsch hatte all diese gesellschaftlichen     neter Artikel im Staatsblatt Prawda, der dem Dik-
Umwälzungen mitbekommen und sich ausführlich           tator zugeschrieben wird. „Chaos statt Musik“ nann-
mit ihnen auseinandergesetzt; und so sah er seine      te sich der Beitrag, und in dem Text wurde mit der
Katerina, die Lady Macbeth, durchaus auch als lie-     Oper brutal abgerechnet. „Alles ist grob, primitiv
bendes Wesen im Sinne dieser Revolution, das nur       und vulgär“, hieß es darin, „Die Musik schnattert,
aufgrund der gesellschaftlichen Umstände eine zer-
störerische Kraft entfaltet. Also: Die Oper handelt,
so Schostakowitsch, von Liebe, aber eben nicht nur       KS Angela Denoke als Katerina
von Liebe, sondern davon „wie Liebe sein könnte,
wenn nicht ringsherum Schlechtigkeit herrschte.
An diesen Schlechtigkeiten geht die Liebe zugrun-
de. An den Gesetzen, am Besitzdenken, an der Geld-
gier, an der Polizeimaschinerie. Wären die Verhält-
nisse anders, wäre auch die Liebe eine andere …“
Ein wichtiges Detail am Rande: Schostakowitsch
widmete die Oper als Liebesgabe seiner Braut Nina.
Arbeitsbeginn war im Jahr 1930, nach der Nase
(1927-1928) war Lady Macbeth von Mzensk die
zweite Oper des erst 24jährigen Komponisten. Ge-
dacht war ursprünglich an eine Trilogie junger rus-
sischer Frauen, doch kam Schostakowitsch über den
ersten Teil nicht hinaus. 1933, nach der Fertigstel-
lung des Werkes, wurden gleich zwei Premieren
parallel vorbereitet, in Leningrad (wo auch die Ur-
aufführung am 22. Jänner 1934 stattfand) und in
Moskau. Der anfängliche Erfolg war ein großer, man
sprach vom „Sieg des sowjetischen Musiktheaters“,
vom grandiosen Schritt in Richtung des sozialisti-
schen Realismus.“
Die Aufführungszahlen kletterten in Russland
schnell in die Höhe, auch das Ausland interessierte
sich bald für das Werk. 1935 kam es zur ersten Auf-
führung in den USA, wobei die Reaktion nach der
Premiere gemischt war: Neben Zustimmung gab es
auch Kritik an der Düsterheit des Werkes und an
der von manchen empfundenen „Unmoral“. So
meinte ein Rezensent etwa: „Schostakowitsch ist

                                                                    www.wiener-staatsoper.at   N° 187   15
saust, keucht, erstickt – mit dem Ziel – möglichst
                                                        „Ich finde, Lady Macbeth von Mzensk ist in
natürlich die Liebesszene auszudrücken“. Abgese-
                                                        gewisser Weise eine Antioper, denn alles, was
hen davon sei die Oper Ausdruck „linksradikaler
Zügellosigkeit“ und sei dem „Formalismus“ verhaf-       sonst immer schön und überhöht dargestellt
tet. Für Schostakowitsch bedeutete eine solche Ver-     wird, ist hier ganz drastisch und nackt. Es
urteilung mehr als nur eine schlechte Kritik von        lohnt sich, die der Oper zugrundeliegende
höchster Stelle, es bedeutete eine Existenzvernich-     Erzählung von Nikolai Leskow zu lesen:
tung, bis hin zur Bedrohung des physischen Lebens.      sie ist eine neutrale Berichterstattung, fast
Von da an musste Schostakowitsch um sein nacktes        reportagehaft, ohne moralische Wertungen.
Leben fürchten, und man kennt aus seinen Lebens-        Und Schostakowitsch hat genau das in
berichten seine Panik vor jedem vor seinem Haus         seine Musik gelegt, ja diese Aspekte sogar
haltenden schwarzen Wagen, den er als Geheim-           noch verstärkt. … Ich glaube nicht, dass
dienstwagen zu identifizieren meinte. In diesem         Schostakowitsch wirklich charakterlich werten
Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass          wollte. Er wollte auch keinen denunzieren,
die Kulturausübung in Russland noch niemals un-         sondern zeigte Menschen, wie sie sind: etwa
freier und unterdrückter gewesen war als zu dieser      den Schwiegervater, der nur Kinder und Enkel
Zeit, längst hatte der kommunistische Apparat die       haben will und schon geahnt hat, dass Katerina
Weisung ausgegeben, dass jede Kunst der direkten        nicht die richtige Ehefrau für seinen Sohn ist. …
Verherrlichung der sowjetischen Daseinsform die-        Im letzten Akt gibt es einen russischen Tonfall,
nen sollte. Eine nach unbedingter Freiheit streben-     der sicherlich an eine Tradition anschließt;
de Frau wie die Katerina der Oper war nicht positiv,    neu war das Ungeschminkte. Wobei man auch
arbeitsam und systemerhaltend genug. Was also           hier Parallelen zu Wozzeck und den Werken
passierte? Das Werk verschwand schnell von den          von Janáček finden kann.“
                                                                                          Ingo Metzmacher
Spielplänen in der Sowjetunion und durfte erst vie-
le Jahre später, in einer abermals überarbeiteten
                                                        „Diese Oper handelt davon, dass unser
und geglätteten Form (als Katerina Ismailowa)
                                                        Anspruch und unsere Konstruktion eine
wieder gespielt werden. Als solche wurde das Werk
                                                        Divergenz und keine Kongruenz haben. Der
auch 1965 erstmals an der Wiener Staatsoper gege-
                                                        Zuschauer muss Fragen an sich selbst stellen,
ben – Dmitri Schostakowitsch war bei den Proben
                                                        Fragen über die eigene Verführbarkeit. Wenn
zu dieser Erstaufführung anwesend! Doch erst die
                                                        ein Mann daran denkt, wer die Frau sein soll,
aktuelle Produktion – Premiere 2009 – brachte dem
                                                        mit der er den Rest seines Lebens verbringen
Wiener Staatsopernpublikum die Oper in ihrer ei-
                                                        will, dann stellt er sich eine intelligente, selbst­
gentlichen, ursprünglichen Fassung, wie Schostako-
                                                        bestimmte Person vor, die mit ihm auf gleicher
witsch sie eigentlich erdacht und geschrieben hatte.
                                                        Augenhöhe ist, die ihren eigenen Weg kennt.
                                                        Und was passiert morgens um acht? Er sieht
Und eben diese Produktion aus dem Jahr 2009 –
                                                        an der Busstation ein hübsches Dummerchen
Inszenierung: Matthias Hartmann – kommt nun im
                                                        auf einer Litfaßsäule, das Werbung für eine
Haus am Ring wieder zur Aufführung. Wie schon bei
                                                        Modemarke macht. – Und sofort dreht sich
der Premiere singt KS Angela Denoke die Rolle der
                                                        instinkthaft sein Kopf zu dieser Frau hin,
unglücklichen, drangsalierten und mordenden Ka-
                                                        ungewollt. Was ist das also an ihm, was ihn
terina, KS Kurt Rydl gibt den wenig sympathischen
                                                        nicht an seine Ansprüche bindet, sondern an
Schwiegervater Boris, Marian Talaba den Ehemann
                                                        seine genetische Determination? Genau diese
Sinowi, Misha Dydik den Sergej. Dirigent dieser
                                                        Schizophrenie zwischen unserem Anspruch
Aufführungsserie ist wieder Ingo Metzmacher, der
                                                        und unserer Anlage bildet Schostakowitsch in
mit der Premiere dieser Produktion sein Hausdebüt
                                                        scharf geschnittenen Bildern ab.“
an der Wiener Staatsoper gegeben und seither die
                                                                                       Matthias Hartmann
Premiere von Aufstieg und Fall der Stadt Maha-
gonny sowie Parsifal geleitet hat und der Dirigent      Ausschnitte aus Interviews mit Ingo Metzmacher und
der heurigen Opernball-Eröffnung war.                   Matthias Hartmann anlässlich der Premiere 2009
                                          Oliver Láng

16    N° 187   www.wiener-staatsoper.at
OPER

    DAS WIENER STAATSBALLETT
    Halbsolist Andrey Teterin

„   Es ist nicht besonders interessant und erfüllend
    für mich, auf die Bühne zu gehen und einfach
    eine „technische“ Variation zu zeigen. Viel mehr
    fasziniert es mich eine Geschichte zu erzählen.“
    Andrey Teterins Augen beginnen zu leuchten,
    sobald er an die darstellerischen Aspekte des
    Balletts denkt. „Da wir beim Ballett in der Regel ja
    nicht sprechen, ist die Körpersprache unser einziges
    und zentrales Ausdrucksmittel. Jede Armbewegung,
    jeder Gesichtsausdruck, jeder Blick ist wichtig. Man
    muss dadurch die Rolle zum Leben erwecken und
    das Publikum muss verstehen, was jede Bewegung
    bedeutet. Ich finde es faszinierend, dass eine
    Armbewegung so viel beinhalten und ausdrücken
    kann, Liebe oder Traurigkeit zeigt und bedeutet.
    Und diesen unmittelbaren und tiefen Ausdruck
    der Bewegung zu erreichen fällt manchmal viel
    schwerer, als einen Sprung oder eine Drehung
    perfekt zu machen.“

    Geboren wurde Andrey Teterin in Uztinov (Russ­
    land). Seine Ausbildung absolvierte er an der
    Rudolf-Nurejew-Ballettakademie in Ufa und an der
    Heinz-Bosl-Stiftung/ Ballett-Akademie in München,
    wo Alexandre Prokofiev zu seinen wichtigsten
    Lehrern zählte. 2005 wurde er Mitglied des
    Balletts der Wiener Staatsoper und Volksoper,
    2010 avancierte er zum Halbsolisten des Wiener
    Staatsballetts.

    „All meine wichtigen Rollen in Wien, wie bei­spiels­
    weise Herzog Albrecht in Elena Tschernischovas
                                                                                                                       SERIE
    Giselle, Espada in Rudolf Nurejews Don Quixote
    bzw. Lenski in dessen Onegin habe ich zusammen
    mit Jean Christophe Lesage einstudiert, welcher
    mir hier zu einer besonders wichtigen Stütze
    geworden ist. Besonders wichtig finde ich es auch,
    beim Tanzen Spaß an seiner Aufgabe zu haben“, fügt
    er hinzu. „Wenn man Spaß an einer Rolle hat, sie
    einem von Herzen Freude macht, dann merkt das
    Publikum das auch sofort.“
                                                            Andrey Teterin in Vaslaw
                                      Oliver Peter Graber

                                                                       www.wiener-staatsoper.at   N° 187   17
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