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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Friday, June 4, 2021
PRESS REVIEW Friday, June 4, 2021 Der Tagesspiegel, PBS Konzert Termine im Pierre Boulez Saal Die Welt, DB Ob mit Barenboim, allein oder stetig wachsendem Clan: Ihre Klavierkunst ist eine einzigartige Mischung aus Emotion, Ekstase, Exzentrik. Jetzt wird Martha Argerich 80 Der Tagesspiegel Jugendorchester kommen wieder ins Konzerthaus Berliner Zeitung Der ‚Zigeuner’baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will Rbb24 „Wagner: Der Ring des Nibelungen“ im BE: Reichlich Theaternebel in Walhalla Berliner Morgenpost Berliner Philharmoniker: Archiv mit neuem Klang im Netz Berliner Morgenpost Das Jüdische Museum zeigt die erste große Werkschau von Yael Bartana Frankfurter Allgemeine Zeitung Die Könige der Bronzezeit: Eine Ausstellung in Halle sammelt neue Erkenntnisse zur Welt der Himmelsscheibe von Nebra Berliner Morgenpost Der Barock kehrt in die Nikolaikirche zurück Der Tagesspiegel Die Berlinale- Lotterie The Guardian „Africa has so much talent – we can’t even grasp it”: Angélique Kidjo on pop, politics and power
4.6.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21 Freitag, 04.06.2021, Tagesspiegel / Kultur TERMINE About Blank Friedrichshain, Markgrafendamm 24c: TreuhandTechno Berlin, Theaterinstallation, 19 Uhr, Premiere Berliner Ensemble Mitte, Bertolt- Brecht-Pl. 1, Tel. 28 40 81 55: Zwangsvorstel- lungen, Hof-Theater, 17 Uhr wagner - der ring des nibelungen, 19 Uhr Deutsche Oper Charlottenburg, Bismarckstr. 34-37, Tel. 343 84 343: 1. Jazz-Fes- tival mit der BigBand der Deutschen Oper Berlin, Parkdeck, 20 Uhr Deutsches Theater Mitte, Schumannstr. 13a, Tel. 28 44 12 25: Tartuffe oder Das Schwein der Weisen, Vorplatz, 20 Uhr Globe Berlin Charlottenburg, Sömmeringstr. 15, Tel. 84 10 89 09: Die Komödie der Irrtümer, 19.30 Uhr Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater Charlottenburg, Bis- marckstr. 110, Tel. 88 59 11 88: Perspektive Kultur: Teatro Delusio, Familie Flöz, 20 Uhr Konzerthaus Berlin Mitte, Gendarmenmarkt, Tel. 203 09 21 01: Konzerthausor- chester Berlin, Ltg. Iván Fischer, Anna Prohaska (Sopran), Werke von Haydn und Mahler, Großer Saal, 19 Uhr Schaubühne Wilmersdorf, Kurfürstendamm 153, Tel. 89 00 23: Das Leben des Vernon Subutex 1, 19.30 Uhr, Premiere Schlosspark Theater Steglitz, Schloßstr. 48, Tel. 78 95 66 71 00: Winterrose, Ko- mödie, 20 Uhr, Voraufführung Shakespeare Company Berlin Schöneberg, Prellerweg 47-49, Tel. 20 60 56 36: Othello, Tragödie mit Musik, 20 Uhr Theater Thikwa Kreuzberg, Fidicinstr. 40, Tel. 61 20 26 20: Vom Umtausch aus- geschlossen, Performance, 20 Uhr ufaFabrik Tempelhof, Viktoriastr. 10-18, Tel. 75 50 30: Geil, Erika Ratcliffe, Frei- luftbühne, 20 Uhr https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21 1/2
4.6.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21 Vaganten Bühne Charlottenburg, Kantstr. 12a, Tel. 313 12 07: Kassandra // Achill , Sommerbühne, 20.30 Uhr, Premiere Wabe Prenzlauer Berg, Danziger Str. 101, Tel. 9 02 95 38 50: Quartalsseufzer, Lina Lärche, Musikkabarett, 20 Uhr Heute startet um 14 Uhr der Vorverkauf für den Pierre Boulez Saal. Auf dem Juni-Programm: Uri Caine, die Kinan Azmeh Cityband und András Schiff. Ti- cket-Hotline: 4799 7411, www.boulezsaal.de https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21 2/2
FEUILLETON Georg Lukács Seine Dialektik immunisiert gegen Identitätswahn Seite 22 DIE WELT FREITAG, 4. JUNI 2021 SEITE 21 AFP/ANTONIN THUILLIER So soll es wieder sein: der volle Saal Lumière im Festivalpalast Szene aus Wes Andersons Cannes-Film „The French Dispatch“ PICTURE ALLIANCE / ZUMAPRESS.COM/SEARCHLIGHT PICTURES E Der Smoking s wird wie immer sein. Oben erste Julihälfte – „einmalig“, sagt Gainsbourg bis zu Hong Sang-Soo und Festivals schon meiden, ist der Ort, wo auf den Stufen mit dem ro- Frémaux, „nächstes Jahr wieder im Kornel Mundruczo. Den ausgefallenen Talente groß werden und unerprobte ten Teppich werden Thierry Mai“ –, aber das ist kein Grund, von Wettbewerb von 2020 kann man, Film Erzählformen sich erproben können, Frémaux und Pierre Lescu- dem einmal als richtig Erkannten abzu- für Film, nachsehen. jenseits der engen Formate der großen bleibt re stehen, die Chefs von weichen. Die Smokingpflicht auf dem Unter den 24 Filmen des Wettbe- Studios und der Streamer. In Cannes Cannes. Sie werden Matt Damon und roten Teppich wird selbstverständlich werbs befinden sich drei Amerikaner, kann man die Zukunft des Kinos sehen, Jodie Foster begrüßen, die sich durch nicht aufgehoben, obwohl die Durch- Wes Andersons „The French Dispatch“, nicht bei Netflix. Der Thai Apichatpong das Blitzlichtgewitter hinaufkämpfen. schnittstemperatur im Juli an der Côte Sean Bakers „Red Rocket“ und Sean Weerasethakul, 2010 Gewinner der Gol- vorgeschrieben Léa Seydoux und Spike Lee und Tilda d'Azur bei 27 Grad liegt, sieben Grad Penns „Flag Day“. Allesamt Indepen- denen Palme, ging mit der Britin Tilda Swinton werden da sein und Marion höher als im Mai. dents, die großen Studios sind abwe- Swinton für seinen „Memoria“ nach Ko- Cotillard, Adam Driver, Sean Penn, Ti- Natürlich wird es nicht so simpel send, Blockbuster Fehlanzeige. Nur drei lumbien, drei Kulturen, die aufeinan- mothée Chalamet, Elisabeth Moss, sein. Die Festivalbesucher müssen sich Amerikaner, kein Mainstream, das ist derprallen, vielleicht einer der Höhe- Frances McDormand, Owen Wilson, alle 48 Stunden einem PCR-Test unter- doch nicht repräsentativ für die Film- punkte dieses Wettbewerbs. Willkommen zurück im Kino: Das Festival von Bill Murray, Christoph Waltz, Benicio ziehen, wenn sie nicht doppelgeimpft szene, könnte man sagen. Die Online-Portale haben vielen del Toro, Saoirse Ronan, Tim Roth, Mia oder genesen sind. In den Kinos muss Doch, es ist repräsentativ für die durch die schweren Pandemie-Monate Cannes gibt sein Programm für Juli bekannt Wasikowska, Sophie Marceau, Charlot- die ganze Zeit Maske getragen werden. Weltfilmszene. Im Wettbewerb finden geholfen und dabei eigennützig den te Rampling, Hanna Schygulla… Wer von den Stars wirklich kommt, sich Filme aus Frankreich, Russland Eindruck erweckt, es werde auch in Zu- und es klingt phantastisch. Netflix ist nicht hängt von den Reisebestimmungen ab. (der unbezähmbare Kirill Serebrenni- kunft nur noch das Streamen geben. VON HANNS-GEORG RODEK dabei und wird auch nicht gebraucht Und von ihrer Wagnislust. Cannes – kow), Australien, Finnland, dem Iran, Cannes hingegen betrachtet sich aus- momentan bei einer Inzidenz von 50 – Japan, Schweden, Marokko, Israel, Un- drücklich als Teil des Kampfes des Ki- Alle werden sich in den Saal Lumiere wird noch voller als sonst werden. Die garn, Thailand. Deutschland glänzt ein- nos ums Überleben, für seine Rückkehr mit seinen 2300 Sitzen begeben, kein französischen Sommerferien, in denen mal mehr durch Abwesenheit; nur in die selbstverständliche Alltagswelt Sessel wird unbesetzt bleiben, und dann alles an die Küste drängt, beginnen am „Große Freiheit“, ein Paragraph-175- von uns allen. wird das Licht ausgehen und der legen- 6. Juli. Das Festival beginnt am 6. Juli. Drama aus der Nachkriegszeit mit Das scheint in Frankreich nicht däre Vorspann wird anlaufen, jener mit Die wichtigste Regel, von der Cannes Franz Rogowski, hat es in Un Certain schwierig zu sein. Als am 26. Mai die der Treppe, die vom Meer hoch zu den keinen Millimeter abgewichen ist, lau- tet, Jane Campions „Power of the Dog“ (Drei Stockwerke) und Paul Verhoe- Regard geschafft. Deutschland ist, diese Kinos wieder öffneten, strömten bin- Sternen führt, zur perlenden Musik von tet: Ein Film muss ins Kino kommen, und Paolo Sorrentinos „The Hand of vens „Benedetta“ – waren schon für vo- bittere Beobachtung gehört dazu, indi- nen einer Woche sofort wieder zwei Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“. Es um am Wettbewerb teilnehmen zu dür- God“ (beide Netflix) sowie Joel Coens riges Jahr vorgesehen und haben volle rekt mit zwei früheren Berlinale-Ge- Millionen Menschen in die Säle – bei wird sein, als habe es die vergangenen 14 fen. Streamer wie Netflix und Amazon Solodebüt „The Tragedy of Macbeth“ 14 Monate ausgeharrt, um in Cannes an winnern vertreten, dem Israeli Nadav einer auf 35 Prozent der Sitze be- Monate nie gegeben. würden gern vom Glanz von Cannes (von Apple). den Start gehen zu können. Das Festi- Lapid und der Ungarin Ildikó Enyedi, schränkten Kapazität. In den USA – wo Natürlich wird es nicht ganz so sein. profitieren und ihre Filme danach in Drei Filme, mehr nicht. Für das 74. val hat extra eine neue Reihe einge- die mit ihrem frischen Ruhm und ihren bei weitem nicht alle Kinos geöffnet Doch das Festival von Cannes ist eines ihrer Streaming-Blase behalten. „Wir Festival (2020 ist ausgefallen und wird führt, „Cannes Premiere“, um der Fülle neuen Filmen von Cannes aufge- sind – haben neue Filme schon wieder der Tradition, des Sich-nicht-vom-Kurs- führen einen positiven Dialog“, sagt nicht mitgezählt) wurden 2300 Langfil- gerecht werden zu können, und selbst schnappt wurden; es ist wie mit den die Besucherzahlen vergleichbarer Fil- abbringen-Lassens durch eine vorüber- Thierry Frémaux zum Thema Netflix. me eingereicht, sonst sind es rund dort wimmelt es von großen Regiena- großen Talenten, die irgendwann von me vor der Pandemie. In Deutschland, gehende Erscheinung wie diese Pande- „Aber momentan akzeptiert die Firma 1800. Einige Filme – wie Wes Ander- men, von Oliver Stone (mit einer Fort- Borussia zu den Bayern wechseln. seit langem ein Land von Pantoffelki- mie. Es ist seuchenbedingt zwei Monate die Cannes-Regeln nicht.“ Das hat das sons heiß erwarteter „The French Dis- setzung zu „JFK“) und Mathieu Amal- Cannes, darin besteht seine Zu- nomuffeln, könnte der Weg ein steile- nach hinten verschoben worden, in die Festival vermutlich drei Filme gekos- patch“, Nanni Morettis „Tre Piani“ ric über Andrea Arnold und Charlotte kunftschance, wenn die Blockbuster rer sein. Oh, là-là, Marthita S Ob mit Barenboim, allein oder stetig wachsendem Clan: Ihre Klavierkunst ist eine einzigartige Mischung aus Emotion, Ekstase, Exzentrik. Jetzt wird Martha Argerich 80 ie spielt viel besser Klavier als was wäre gewesen, wenn sie, jenes so lö- Tschaikowsky, ihren virtuos-dunklen mütszustandes: Passivität und lauernde jüdischen Wurzeln. Als Vierjährige saß ich.“ Das sagt einer, der es wissen wenmähnige wie leise Temperament- Gaspard de la nuit, ihren romantisch- Angriffslust, Spielfreunde oder Desinte- sie bereits am Flügel und gab ihr erstes muss, denn er kennt Martha Ar- bündel, in der Epoche der Impressionis- wehmütigen Rachmaninow, ihren kra- resse. Und wenn sie dann noch ihren Konzert, mit acht spielte sie mit Orches- gerich so lange wie kein anderer: Daniel ten, Surrealisten, Existenzialisten gelebt chend-spitzen Prokofiew, ihren vital-iro- längst grau gewordenen, nach wie vor terkonzerten auf. 1955 brachte sie Diplo- Barenboim, nur ein Jahr jünger als die hätte? Sie wäre eine funkelnde Muse von nischen Schostakowitsch. Diese mitun- mädchenhaft offen getragenen Haarvor- matin-Mutter Juanita nach Wien. Jugendfreundin, mit der er in den Vierzi- Saint-Germain-des-Près geworden, die ter chaotisch umwegige Karriere währt hang niederlässt, dann möchte sie nicht Dort becircte sie den niemals sonst gerjahren in Buenos Aires (und unter Pariser Klassikdiva neben den Diseusen, bis heute auf einem kaum glaublichen gestört werden; auch nicht auf dem Po- Schüler annehmenden Friedrich Gulda dem Klavier lauschend) aufgewachsen die furiose Tastentigerin zwischen den technischen, wie interpretatorischen Ni- dium. ebenso wie Nikita Magaloff in Genf, spä- ist. Seit etwa zehn Jahren spielen diese Chansonetten. Sie hätte mit ihrem bis veau. Argerich mag sicher mal einen Das Chaos hat überall, wo sie mit ih- ter auch Stefan Askenase und Arturo Be- beiden argentinischen Meteoren des heute sorgfältig bewahrten, bohémehaf- mauen Abend haben, aber selbst der ist rem stetig wachsenden Clan hinkommt, nedetti Michelangeli. Sie brachte die REDFERNS Klassiksternenhimmels wieder zusam- ten Laissez-faire, das nur ihren jahrzehn- interessanter und spannender als das, einen Namen: Marthita. Ein Wirbel- Tasten zum Glühen seit ihrem Debüt men – nachdem sie, der Extrovertierte telange Agenten (der mitunter auch vor was die meisten Pianisten aktuell von sturm samt dreier Töchter von drei Män- 1957 beim Genfer und dem damals neuen und die Scheue, lange strikt parallel dem Konzert die Röcke aufbügeln muss) sich geben. Tastentigerin: Martha Argerich, 2018 nern und sechs Enkel, Ersatz-Kindern, Busoni-Wettbewerb in Bozen; erst recht strahlten. nicht zur Weißglut bringt, wunderbar in Das Argerich-Sein. Sie hat es sich – Klavierschülern, Freunden, Fans und aber 1965 als Siegerin des Warschauer diese lange verwehte Welt gepasst – und trotz Krebserkrankungen, persönlichen sich ein weites, vielgestaltiges Werkver- Freaks. Um anzuspringen braucht die Chopin-Wettbewerb. VON MANUEL BRUG vor allem: Wir hätten heute sicher deli- und auch beruflichen Turbulenzen – auf zeichnis jenseits des Gängigen erarbei- notorische langschläfrige Nachteule Ar- Argerich musste seither viel Porzellan ziöse Klavierstücke von Debussy, Ravel, diesem Level bewahrt, weil sie anders tet. Und durfte dem auf weltweit um sie gerich diverse Espressi. Aber im Zen- zerschlagen, um zur besten Form aufzu- Der Vorteil, neben dem vollendet har- Satie, Poulenc, Auric, Milhaud, Kosma, ist, weil sie sich nicht auf einen vorgege- arrangierten Festivals frönen, in Buenos trum wirkt: große, kristalline, eigenwilli- laufen. Doch im bisweilen hohl tönenden monischem Gemeinsamklang: Sie, die die alle für sie, die generöse, graziöse, benen Berufspfad einlassen wollte, weil Aires, im japanischen Beppu, in Lugano, ge wie komponistenaufmerksame Kla- Geschirrladen der Klassik ist sie die viel- Launische, sagt kaum noch ab, und er, aber auch gierige Assoluta, komponiert sie Mensch, Frau, Mutter sein wollte. seit drei Jahren (und auch jetzt wieder) vierkunst als einzigartige Mischung aus geliebte Elefantin der poetischen Zärt- der notorisch Vielbeschäftigte, muss worden wären. Und weil sie schon vor Jahrzehnten die in der Hamburger Laeiszhalle. Emotion, Ekstase, Exzentrik. lichkeit. Hoffentlich lange noch. Gidon üben. Wie schön das tönt, ist aktuell auf Was natürlich kaum heißt, dass wir Entscheidung gefällt hatte, außer einem „Oh, là-là“. Wenn eine in Brüssel le- Geboren am 5. Juni 1941 in Buenos Ai- Kremer, Mischa Maisky, Anne-Sophie einer Deutsche-Grammophon-CD mit nicht unendlich dankbar sind für ihren überschaubaren, selten erweiterten Re- bende Argentinierin solches sagt, lacht, res als Kind einer zerrissenen, nur lose Mutter, die Capucon-Brüder, Cecilia Bar- Debussys Klavierfantasie zu hören. melodiös-singenden Mozart, ihren spiel- pertoire von Klavierkonzerten nicht haucht, schreit, bellt, dann hat das eine von der bisweilen desinteressierten, aber toli, die Crème der Klassik, wird ab 19. Stichwort Debussy. Natürlich sind wir freudig-ausgewogenen Beethoven, ihren mehr solistisch aufzutreten. Sondern besondere Note. Schließlich ist dieses überehrgeizigen Mutter zusammenge- Juni sie, die morgen 80 Jahre alt wird, in sehr froh, La bella Martha als unsere hintersinnig-bohrenden Schumann (den mit Partnern, Freunden, als Gruppe, wo „Oh, là-là“ der Martha Argerich ein haltenen Patchwork-Familie mit argenti- Hamburg ehren. So wie bella Martha es Zeitgenossin genießen zu dürfen. Aber vor allem!), ihren grandios-regalen man teilt und fördert. So aber hat sie ziemlich genauer Indikator ihres Ge- nischen, kroatischen, katalanischen und am liebsten hat: spielend und singend. FEUILLETON-REDAKTION: TELEFON: 030 – 2591 71950 | FAX: 030 – 2591 71958 | E-MAIL: FEUILLETON@WELT.DE | INTERNET: WELT.DE/KULTUR © WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung
4.6.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21 Freitag, 04.06.2021, Tagesspiegel / Kultur Jugendorchester kommen wieder ins Konzerthaus 2020 konnte „Young Euro Classic“ nur als Kammermusik-Festival stattfinden, in diesem Sommer darf die Veranstaltungsreihe wieder ein echtes internationales Jugendorchestertreffen sein. Bis zu 60 Musiker:innen können auf der Bühne des Konzerthauses am Gendarmenmarkt gemeinsam musizieren, in 19 Veran- staltungen vom 30. Juli bis zum 15. August. Aus Griechenland und Portugal, Spa- nien, Rumänien, Schweden, Russland, der Schweiz, Österreich und den Nieder- landen werden nationale Nachwuchsorchester erwartet, zudem sind das Schles- wig Holstein Festival-Orchester und das Bundesjugendballett wieder dabei. „Classic meets Jazz“ wird jetzt von Clara Haberkamp geleitet. Aus Sachsen reist das Moritzburg Festival Orchester an, einen deutlich längeren Weg haben die Mitglieder des Orquestra del Lyceum de la Habana. Das kubanische Ensemble wird mit der Philharmoniker-Hornistin Sarah Willis, auftreten. Das Festivalor- chester formiert sich diesmal aus dem Orchestre Français des Jeunes und dem Bundesjugendorchester. Zur Eröffnung am 30.7. spielt es unter Leitung der Diri- gentin Marzena Diakun ( Infos unter www.young-euro-classic.de). F. H. https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21 1/1
4.6.2021 Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will Komische Oper Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will Der Regisseur Tobias Kratzer inszeniert an der Komischen Oper Berlin die Operette mit dem Z-Wort. Er findet es wichtig, ein so problematisches Stück zu zeigen. Susanne Lenz und Peter Uehling, 4.6.2021 - 06:33 Uhr Artikel anhören Gregor Baron Tobias Kratzer ist Regisseur der Operette. Berlin - Am 6. Juni hat an der Komischen Oper „Der ‚Zigeuner‘baron“ Premiere, eine Operette von Johann Strauss aus dem Jahr 1885. Der Regisseur Tobias Kratzer findet es wichtig, sich mit dem Stück und seinem problematischen Titel zu beschäftigen. https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/musik/der-zigeunerbaron-wie-regisseur-tobias-kratzer-den-shitstorm-vermeiden-will-li.162834
4.6.2021 Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will Herr Kratzer, haben Sie die Befürchtung, Sie könnten bald im Zentrum eines Shitstorms stehen? Nein. Das wird ja vom Haus gut begleitet. Die Titelumbenennung … Sie setzen das Z-Wort in Anführungszeichen. Für mich hat das eine ähnliche Funktion wie ein Genderstern. Es ist ein ö entliches Signal dafür, dass sich da jemand Gedanken gemacht hat, dass die Begri ichkeit dieses Operettentitels nicht unreflektiert reproduziert wird. Shitstormvermeidung ist jetzt nicht die primäre Aufgabe, aber ho entlich auch ein angenehmer Nebene ekt dieser Anführungszeichen. Hätte im Titel der Operette das N-Wort gestanden, hätten Sie es nicht dort gelassen, oder? Da gibt es im politischen Sprachbewusstsein schon nochmal eine Abstufung. Die will ich jetzt gar nicht werten. Begri e haben ja ihre eigene Geschichte. In ein paar Jahren ginge das Wort vielleicht nicht mehr durch, nicht mal mit Anführungszeichen. Und im allgemeinen Sprachgebrauch sollte es auch mit Recht nicht mehr verwendet werden. Aber hier ist es der Titel eines Kunstwerks, und für den Moment scheint es mir entscheidender, die historische Distanz zu markieren, als sie zu negieren. Und die Kunst hat ja auch Möglichkeiten, das auf ihre Weise zu reflektieren. Was bedeutet denn das Wort „Zigeuner“ ursprünglich? Das ist etymologisch tatsächlich umstritten. In jedem Fall aber ist der Begri durch die Verwendung während des Nationalsozialismus unmöglich geworden. Und es ist kein Begri , der jemals als Selbstbezeichnung der Roma und Sinti übernommen worden wäre, sondern eine reine Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft. Manche ursprünglich pejorativen Begri e sind ja im Lauf der Zeit ins rein Deskriptive oder sogar ins Positive gewandt geworden. „Schwul“ ist das bekannteste Beispiel. Bei dem Wort „Zigeuner“ ist das nicht eingetreten. https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/musik/der-zigeunerbaron-wie-regisseur-tobias-kratzer-den-shitstorm-vermeiden-will-li.162834
4.6.2021 Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will Ich denke, man muss unterscheiden, ob vier weiße TV- UnterhalterInnen das Wort in einer Talkshow völlig unreflektiert benutzen, so als seien sie gerade aus 30 Jahren Tiefschlaf aufgewacht. Da haben die Aktivisten völlig recht. Das finde ich genauso wenig adäquat. Im Kunstfeld ist es auch nicht per se akzeptabler, aber hier hat es eine eigene Historizität. Diese muss aber sicher hinterfragt werden. Die Komische Oper Berlin lädt Romani Rose, den Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, gemeinsam mit Ihnen zu einer Podiumsdiskussion ein. Wir waren im Vorfeld in Kontakt, und der Vorschlag mit den Anführungszeichen kam auch aus dem Umfeld des Zentralrats der Sinti und Roma. Es gab da keine Forderung nach einer weitergehenden Umbenennung. Es war uns aber wichtig, vorher darüber zu sprechen, was akzeptabel oder verletzend sein könnte. Gregor Baron Zur Person Tobias Kratzer, geboren 1980 in Landshut, ist als freier Regisseur tätig. Zu seinen Regiearbeiten im deutschsprachigen Raum zählen Richard Strauss’ „Der Rosenkavalier“ und Richard Wagners „Tannhäuser“ am Theater Bremen sowie dessen „Meistersinger von Nürnberg“ und Giacomo Meyerbeers „Le prophète“ am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Seine Inszenierung von Richard Wagners Ist Zigeuner nicht auch ein Begriff für eine imaginäre Volksgruppe, die mit Projektionen einhergeht, die nicht unbedingt abwertend sind? https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/musik/der-zigeunerbaron-wie-regisseur-tobias-kratzer-den-shitstorm-vermeiden-will-li.162834
4.6.2021 Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will Auf jeden Fall. Und das ist der große Unterschied zum N-Wort. Der Begriff „Zigeuner“ hat auch eine lange Geschichte von positivem Rassismus, wie man heute sagen würde. Er beinhaltet eben auch eine freudvolle Bejahung des ganz Anderen, des Exotischen. Da geht es nicht nur um Diebstahl und Pferderaub, wie es in manchen Text-Passagen des „Zigeunerbaron“ aufgerufen wird. Letztendlich entzieht sich die Operette aber einer eindeutigen Wertung. Eine der beiden Hauptfiguren, die sogenannte „Zigeunerin“ Sa , wird extrem positiv gesehen, gleichzeitig gibt es in vielen Dialogpassagen negative oder klischeebehaftete Zuschreibungen wie die von den stehlenden „Zigeuner“jungen oder den magischen Ritualen, die Sa s Mutter praktiziert. Die habe ich weitgehend gestrichen oder anders kontextualisiert. Aber die Operette macht da – auch musikalisch – ihren ganz eigenen Raum auf. Sie hinterfragt permanent ihre eigenen Klischees. Und gerade dieser dialektische Umgang macht das Stück interessant. Das „Zigeunerlied“, aus dem Sie gerade zitiert haben: „Wo man Zigeuner hört, wo Zigeuner sind, Mann – gib Acht auf dein Pferd, Frau – gib Acht auf dein Kind“, ist das drin in Ihrer Inszenierung? Ja, und dieses Lied finde ich hochinteressant, denn es führt in sich schon einen Diskurs. Das würde man in einer Strauss- Operette nicht erwarten. In der ersten Strophe werden negative Klischees aufgerufen, und in der zweiten Strophe das positive Gegenbild. Zwei konträre Sichtweisen auf ein und dieselbe Volksgruppe. Es ist ja alles andere als ein Schmählied, sondern eine sehr hellsichtige Analyse von Vorurteilen. Auch positive Diskriminierung ist Diskriminierung. Für mich ist entscheidend, es auf die Figur zurückzubeziehen, die das singt. Wir lösen das, indem Sa hier einen Anspielpartner hat, dem sie mit diesem Lied seine eigenen Vorurteile ironisch vorhält. Und plötzlich bekommt das eine ganz andere Bedeutung. Das ist sicher nicht der allein selig machende Weg, aber vielleicht eine unter vielen Möglichkeiten, wie man die Nummer als Regisseur auch kritisch reflektieren kann. Es gibt zwei andere „Zigeunerbaron“-Inszenierungen in diesem Jahr, die jeweils anders damit umgehen. Magdeburg setzt die Operette in einen doppelten Rahmen, indem es die Geschichte in einem Varieté inszeniert, Wiesbaden hat das Wort „Zigeuner“ komplett aus dem Libretto getilgt. Als die Operette vor ein paar Jahre in Wien aufgeführt wurde, hat die österreichische Schriftstellerin Marlene Steeruwitz gesagt: „Die Operette ist ein Archiv des Sexismus, Rassismus und Antisemitismus, und ich bin dafür, dass sie einmal für 20
4.6.2021 Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will Dieser Debattenbeitrag ist in seiner Extremheit durchaus berechtigt, aber auch sehr pauschal. Ich finde es wichtig, ein so problematisches Stück zu zeigen. Gerade daran kann man ja auch den Stand der Debatte ablesen. Und man kann am ästhetischen Objekt erproben, wo unsere Gesellschaft steht. Auch fragen, was es uns heute noch zu sagen hat. Wenn ich es 20 Jahre in der Schublade lasse, ist es zwar weg, aber damit ist auch keinem geholfen. Dann kommen die Vorurteile vielleicht auf einem anderem Wege durch, auf dem man sie nicht mehr ästhetisch reflektieren kann. Was kann uns diese Operette denn heute noch sagen? In ihrer Zeit hat sich die k.u.k.-Gesellschaft Österreich- Ungarns damit auf der Operettenbühne über ihre multiethnische Verfasstheit verständigt. Das wollte ich szenisch auch ausbuchstabieren, nur sind Kollektive wegen Corona derzeit nicht so flexibel einsetzbar. Ich erzähle die Handlung nun aus der Warte des konservativsten Charakters, Graf Homonay, der das Modell des alten weißen Mannes verkörpert, über den die Zeit hinweggegangen ist. Er begreift nicht, warum er auf einmal nicht mehr „Zigeuner“ sagen darf, auch nicht, wie ein junger Großgrundbesitzer sich in eine Frau mit ganz anderem Background verlieben kann und nicht in eine Industriellentochter. Im Lauf der Handlung bricht sein Weltbild zusammen. Der „Zigeuner“baron, Komische Oper Berlin, Premiere am 6. Juni, wieder am 13., 26. und 28. Juni https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/musik/der-zigeunerbaron-wie-regisseur-tobias-kratzer-den-shitstorm-vermeiden-will-li.162834
4.6.2021 Frühkritik | "Wagner - Der Ring des Nibelungen" im BE: Reichlich Theaternebel in Walhalla | rbb24 Frühkritik | "Wagner - Der Ring des Nibelungen" im BE Reichlich Theaternebel in Walhalla 04.06.21 | 08:56 Uhr Kurz vor den Theaterferien dürfen die Häuser doch noch spielen. Das Berliner Ensemble hat kurzfristig eine Inszenierung von Regisseur Ersan Mondtag ins Programm gehoben: "Der Ring des Nibelungen", neu erzählt von dem Dramatiker Thomas Köck. Von Cora Knoblauch "Es hat sich ausgestreamt!" ruft Brünnhilde ins Publikum. Das schnöde auf den Bildschirmstarren ist vorbei, jetzt gehts wieder auf der Bühne zur Sache. Die kurze Indoor-Spielzeit kurz vor den Sommerferien beginnt das Berliner Ensemble dann auch nicht mit einem lockeren Warm-up, sondern schickt Regisseur Ersan Mondtag und Wagners Ring des Nibelungen auf die Bühne. Mondtag sagte mal in einem Interview, dass er selbst eigentlich nicht gerne Stunde um Stunde auf dem Theaterstuhl ausharre, aber den Ring des Nibelungen, den könne man eben nicht in ein, zwei Stunden erzählen. Und so galoppieren Schauspieler und Publikum fast fünf Stunden durch die Kapitel Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung. Im Vergleich mit dem Wagnerischen Original natürlich lachhaft kurz. Abarbeiten am Mythen-Geschwafel Sich des klassischen Opernstoffs angenommen hat der österreichische Dramatiker Thomas Köck. Er ist wie Regisseur Ersan Mondtag Mitte 30 und hat die Nibelungen-Story in die Psychiatrie verlegt. Autor Köck sagt, so ist es im Programmheft zu lesen, dass er Wagner gecancelt habe. Es sei die Sprache gewesen, die ihn am meisten interessiert habe. Und daraus habe er dann gemacht, was er wollte. Sein Ring ist kein Kniefall vor Wagner, im Gegenteil. Köck arbeitet sich an diesem ganzen Mythen-Geschwafel im Wagner ab. Siegfried, Sieglinde, Siegmund - sie alle sind Patienten einer Psychiatrie, jeder der Helden trägt sein Päckchen an Gewalterfahrungen, Misshandlungen und Wahnvorstellungen. Siegfried ist ein schwer traumatisierter Junge, geplagt von Albträumen. Göttervater Wotan ist der Oberarzt, die Walküren die unterbezahlten Pflegerinnen der Anstalt. Gefangen in einem "loop of history" Opern wie Wagners Ring reproduzieren permanent den Mythos des weißen, sehr männlichen Superhelden, sagt Köck. Junge Männer aus der Generation von Mondtag und Köck scheinen auf diese Helden keinen Bock mehr zu haben. Deutschland sei gefangen in einem "loop of history" heißt es in dem Stück und diese ewigen Heldengeschichten bieten da keinen Ausweg. Ein altes preußisches Stadtschloss wieder aufzubauen sei auch nur die Weitererzählung alter Mythen, ruft Brünnhilde. Über Mythen und Helden wird viel geschimpft an diesem Abend, über das Stadtschloss auch. Der fünfstündige Abend schwankt zwischen gaga und todkomisch, Grund dafür ist auch das wie immer monumentale Bühnenbild Ersan Montags. Das Publikum schaut in die Psychiatrie-Zelle von Siegfried, eine kleinbürgerliche Küche. Tisch, Stühle, Kühlschrank etc. sind so überdimensioniert, wie sie aus Perspektive eines Vierjährigen Kindes sind. Wenn also Siegfried auf den Küchenstuhl krabbelt, sitzt er dort wie ein Kleinkind und kann kaum über die Tischplatte schauen. Das ist ulkig, aber auch albtraumhaft. Siegfried, Sieglinde und Siegmund toben über die Bühne wie Kleinwüchsige. Im Kühlschrank verschwinden sie dann und wann, durch ihn hindurch gelangt man zu einem geheimen Ort, vielleicht nach Walhalla, wir erfahren es nicht. Die Kondition hat etwas gelitten Überhaupt ist es sehr nebelig in dieser Anstalt, Siegfried entzündet ein amtliches Feuer in seiner Zelle und es qualmt heftig in der Anstaltsküche. Auch wenn dem fünf Stunden Text nicht immer leicht zu folgen ist: Das Ensemble mit seinem Spiel trägt den sitzmüden Zuschauer mit Leichtigkeit durch den Abend. Besetzt wurde unter anderem mit zwei Allzweckwaffen des BE: Stefanie Reinsperger und Nico Holonics. Reinsperger als wort- und überhaupt gewaltige Brünnhilde und Holonics als Dragqueenartiger Hagen. Die Kondition beim Publikum hat in den vergangenen Monaten vielleicht ein bisschen gelitten und es ist eben doch etwas anderes ob man auf dem bequemen Sofa streamt oder fünf Stunden im Parkett des BE sitzt. Da heißt es: schnell wieder in Form kommen, die nächste Ersan Mondtag Premiere steht bereits kommende Woche im Maxim Gorki Theater an. Sendung: Inforadio, 04.06.2021, 06:50 Uhr https://www.rbb24.de/kultur/beitrag/2021/06/kritik-wagner-ring-des-nibelungen-berliner-ensemble.html 1/2
4.6.2021 Berliner Morgenpost KULTUR SEITE 9 | FREITAG 4. JUNI 2021 Klassik Berliner Philharmoniker: Archiv mit neuem Klang im Netz Die Berliner Philharmoniker stellen ihr digitales Archiv in höchs- ter Audioqualität ins Netz. Über die Digital Concert Hall des Or- chesters können ab sofort Aufführungen etwa mit ihren Chefdiri- genten Herbert von Karajan, Claudio Abbado, Simon Rattle und Kirill Petrenko mit dem technischen Standard Hi-Res Audio in Studioqualität abgerufen werden, teilte das Orchester jetzt mit. dpa Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/946/articles/1363857/9/8 1/1
4.6.2021 Berliner Morgenpost KULTUR SEITE 9 | FREITAG 4. JUNI 2021 Eine androgyne Heilsgestalt in Berlin Das Jüdische Museum zeigt die erste große Werkschau von Yael Bartana. Im Auf- tragswerk „Malka Germania“ geht es um die deutsche Geschichte Die Videoarbeit „Malka Germania“ in der Ausstellung „Yael Bartana – Redemption Now“ im Jüdi- schen Museum. Reto Klar FUNKE Foto Services Von Volker Blech Am Anfang war ein Traum, den Yael Bartana gerne erzählt. Dem- nach lief sie durch Prenzlauer Berg, und Beschriftungen etwa der Straßennamen waren auf Hebräisch. Es ist klar, dass sich bei einer Künstlerin ein solcher Traum irgendwann in einer Arbeit wieder- finden musste. „Yael Bartana – Redemption Now“ (Erlösung jetzt) heißt die neue Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin , die bis zum 10. Oktober gezeigt wird. Darin sind mehr als 50 Arbeiten der israelischen Künstlerin, darunter Videoarbeiten, Fotografien und Lichtskulpturen, vereint. Es ist die erste umfassende Werkschau von Yael Bartana, Jahrgang 1970, die in Berlin und Amsterdam lebt. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/946/articles/1363857/9/3 1/4
4.6.2021 Berliner Morgenpost Museumschefin Hetty Berg preist die Künstlerin als Amateur-An- thropologin, also als Menschenforscherin, die im Sinne des Muse- ums eine jüdische Sicht auf die Welt liefert. Wer die Ausstellung durchläuft – und für längere Videoarbeiten reichlich Zeit einplanen sollte –, wird vor allem die kluge politische Kunst entdecken, die provoziert, irritiert und verbindliche Antworten verweigert. In der Ausstellung wird die Frage gestellt, ob eine Heilsgestalt Erlösung bringen kann. Seit Hitler ist das Thema für die Mehrheit der Deutschen kaum noch relevant oder wird verdrängt. Gläubige Christen haben Jesus. Im Judentum hingegen spielt das Warten auf den Messias, der die Welt in eine bessere verändert, eine zentrale Rolle. Zum Selbstver- ständnis von Künstlern und Intellektuellen gehört es, diese Glau- bens- und Denkmodelle zu dekonstruieren. Albert Speers „Germania“ taucht im Wannsee auf Das Auftragswerk „Malka Germania“ steht im Mittelpunkt der Ausstellung. In einem dunklen Raum läuft auf drei großen Lein- wänden die 40-minütige Videoarbeit ab. Gezeigt wird die Ankunft einer androgynen Heilsgestalt in der deutschen Hauptstadt. „Malka Germania“ bedeutet im Hebräischen und Aramäischen „Königin Germania“. Germania ist dabei die Anspielung auf Albert Speers größenwahnsinniges Welthauptstadt-Projekt. Das Modell kommt irgendwann aus dem Wannsee hervor. Im Film fährt ein Trupp Sol- daten im Boot, im Hintergrund ist die Wannsee-Villa zu sehen, wo die Nazis den Holocaust beschlossen hatten. Zwischendurch er- scheinen ein orientalisches Kamel oder zwei Polizei-Schäfer- hunde. Die Erlösergestalt reitet standesgemäß auf einem Esel an der Siegessäule vorbei. Zwischendurch tanzen anmutig Mädchen durch den Wald oder trainieren beinhart junge Männer. Viel Blond glaubt man in den Bildern zu sehen. Gezeigt werden auch ent- spannt Badende am Wannsee. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/946/articles/1363857/9/3 2/4
4.6.2021 Berliner Morgenpost Die Videoproduktion folgt auf den drei Leinwänden eher der Lo- gik des Traums, wie Sigmund Freud sie beschrieben hat. Die Bil- der überlagern einander überdeterminiert, sie folgen nicht dem ein- dimensionalen Prinzip von Ursache und Konsequenz, sondern ge- horchen den Gesetzen von Verdichtung und Verschiebung. Als Künstlerin ist Bartana längst zur Freud-Schülerin geworden. Es macht für den Betrachter also wenig Sinn, nach einer greifbaren Geschichte an verbindlichen Orten zu suchen. Es ist vielmehr ein Rausch von Erinnerungen, Beobachtungen und Traumata. Die Fi- gur der Malka bleibt letztlich ungreifbar. Und wer Künstler kennt, weiß, wie hoch die Identifikation mit den Hauptfiguren ihrer Werke sein kann. Kuratorin Shelley Harten wird beiläufig im Ge- spräch erzählen, dass für viele Israelis der Aufenthalt in Berlin, ein angstfreies jüdisches Leben in der Stadt, etwas von einer Katharsis habe. Eine Abstellkammer gehört zum Kunstwerk. Eine Sekunde lang ist man als Besucher irritiert, ob sie wirklich zur Ausstellung gehört und man hineingehen kann. Darin stehen Malka-Skulpturen und auch kleine Ausführungen, wie man sie im Museumsshop kaufen würde. Eine Skulptur scheint zerschlagen worden zu sein. Yael Bartana dreht die Traumebene weiter: Der Abstellraum ist quasi die Historisierung in der Zukunft. Es zeigt den Umgang von Ge- sellschaften mit ihren Heilsbringern und Denkmälern. In der Schau befindet sich ein großer Studienraum. Inmitten der Bilderflut ist er ebenso langweilig wie wichtig. Aber man möchte das talmudische Prinzip vor Augen führen. Es ist das Prinzip, das humorvoll damit beschrieben wird, dass zwei Juden drei Meinun- gen haben. Im Talmud wird versucht, biblische Texte zu erklären, zu verstehen, neu zu deuten. Meinungen stehen über die Jahrhun- derte hinweg gleichberechtigt nebeneinander. Diese Mehrdeutig- keit, die man heute zeitgeistig gerne Diversity nennt, gehört zu Bartanas Kunstverständnis. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/946/articles/1363857/9/3 3/4
4.6.2021 Berliner Morgenpost Otto Dix’ „Kriegskrüppel“ marschieren in der Animation Als erste Arbeit der Werkschau ist „Entartete Kunst Lebt“ von 2010 zu sehen. Yael Bartana animiert darin Gestalten aus Otto Dix Gemälde „Kriegskrüppel“ von 1920 zu einem krächzend gewalti- gen Aufmarsch. „Für mich ist das eine Arbeit, die sehr gut mit ,Malka Germania’ funktioniert“, sagt Shelly Harten, „weil es eine Dimension der deutschen Geschichte auffächert.“ Dix’ Arbeit wurde als „entartet“ verboten, das Originalgemälde zerstört. Kurator Gregor H. Lersch verweist auf ein anderes Hauptwerk am Ende der Ausstellung. Die zwischen 2006 und 2011 entstandene Videotrilogie „And Europe Will Be Stunned“ erzählt die fiktive Geschichte, wonach drei Millionen Juden und Jüdinnen nach Po- len zurückgekehrt sind. „Es dreht sich alles irgendwie um das Epi- zentrum Deutschland herum“, sagt Lersch. Aber erst jetzt hat die Künstlerin mit „Malka Germania“ einen Blick auf Berlin gewor- den. Hinzuzufügen bleibt, dass es keine stille Ausstellung, sondern auch eine akustische Herausforderung ist. Jüdisches Museum, Lindenstr. 9-14, Kreuzberg. Tel. 25 99 33 00. Bis 10. Oktober. Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/946/articles/1363857/9/3 4/4
4.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467063/9 F.A.Z. - Feuilleton Freitag, 04.06.2021 Lokal war damals schon global Die Könige der Bronzezeit: Eine Ausstellung in Halle sammelt neue Erkenntnisse zur Welt der Himmelsscheibe von Nebra. An Anschauung mangelt es der Archäologie nicht. Im Gegenteil, sie quillt geradezu über davon, denn wo immer sie ihren Blick hinwendet, kommen Dinge zum Vorschein: Vasen, Becher, Kultbilder, Gold- ketten, Waffen, Grundmauern, Gräber. Das Problem der Archäologie, das sich in den Museen, ihren Schaufenstern, verdichtet, ist ein anderes. Ihren Funden, die oft aus schriftlosen, lang versunkenen Kulturen stammen, mangelt es an Anschaulichkeit. Die menschliche Geschichte, die sie aufbewahren, bleibt in ihnen verschlossen. Sie sprechen nicht zum Betrachter. Man muss sie zum Reden bringen, indem man eine Geschichte erzählt, die sie erhellt. Das ist dann nur noch zur Hälfte Wissenschaft. Die andere Hälfte ist Spekulation. Die Ausstellung „Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte“ im halleschen Landesmu- seum für Vorgeschichte erzählt eine Geschichte aus der mitteleuropäischen Bronzezeit, die ans Sagen- hafte grenzt. Im achtzehnten Jahrhundert vor Christus macht sich ein Fürstensohn aus dem Gebiet zwischen Saale, Elbe und Harz auf den Weg ins Zweistromland. Er überquert die Alpen, besteigt in Süditalien ein Schiff, das ihn über Mykene nach Kreta bringt, reist von dort nach Byblos an der Küste des heutigen Libanon und erreicht endlich das Babylon des Großkönigs Hammurabi. Dort erwirbt er das astronomische Wissen, das er oder einer seiner Bediensteten später auf der Himmelsscheibe von Nebra festhalten wird. Erstaunlicherweise gelingt es der Ausstellung in Halle, diese Saga vom bronzezeitlichen Kulturaus- tausch plausibel zu machen – nicht direkt glaubhaft, aber doch denkbar und möglich. Dazu setzen die Kuratoren unter der Leitung des Museumschefs und sachsen-anhaltischen Landesarchäologen Harald Meller alle Mittel musealer Suggestion ein. Wer die Haupthalle des neoromanischen Großbaus von Wilhelm Kreis betritt, kommt in einen Stelenkreis, der den Kultstätten jener Epoche nachempfunden ist, aus der die Objekte in den Vitrinen stammen. An der Nord- und Südseite des überdachten Innen- hofs, der von einem aus Dutzenden Videomonitoren projizierten Sternenhimmel gekrönt wird, strahlen auf hinterleuchteten Stellwänden die Megalithen von Stonehenge und die Holzpfosten der Kreisgraben- anlage von Pömmelte. Pömmelte bildet den ersten der „neuen Horizonte“, welche die Ausstellung öffnen will, denn die seit 2005 erschlossene Anlage nahe der Mündung der Saale in die Elbe dokumentiert den Übergang von der Glockenbecher- zur Aunjetitzer Kultur, der die Himmelsscheibe von Nebra entstammt. Die Glockenbe- cherleute waren wie ihre Nachbarn, die Schnurkeramiker, aus Vorderasien eingewandert, die Aunjetit- zer Kultur dagegen entstand aus der Verschmelzung beider Gruppen. In Pömmelte, das um 2000 vor Christus rituell abgebaut wurde, während die Siedlung rings um den Kultort weiterwuchs, zelebrierte die neue Zeit ihren Sieg über die alte. Im Zentrum der Inszenierung steht allerdings die Himmelsscheibe. Ihre Faszination ist seit ihrer Entdeckung vor gut zwei Jahrzehnten noch gewachsen. Als Memogramm, das ein uraltes Berechnungs- prinzip zum Ausgleich von Mond- und Sonnenjahren verbildlicht, ist sie ebenso bedeutend wie als Kunstwerk aus Gold und Bronze. Die Goldapplikate wurden inzwischen aufgrund ihres Zinngehalts den Vorkommen im englischen Cornwall zugeordnet. Da die Scheibe zwei Jahrhunderte lang mehrfach verändert wurde, spricht das für ein festes Handelsnetz zwischen Nebra und Westeuropa. Das astrono- mische Wissen dagegen, das auf der Scheibe in ihrer ersten Fassung fixiert war, konnte nur aus einer Schriftkultur stammen. Ein starkes Indiz für seine babylonische Herkunft ist, dass es binnen weniger Generationen verloren ging. In ihrer letzten Verwendung war die Himmelsscheibe eine Art Feldzeichen, ein bloßes magisches Symbol. Als es auf einem Hügel bei Nebra in der Erde versenkt wurde, stand die https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467063/9 1/2
4.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467063/9 Aunjetitzer Kultur vor dem Erlöschen. Auf ähnliche Weise haben in der Spätantike die letzten Heiden- priester ihre Kultstatuen begraben. Die nach einem Fundort bei Prag benannte Kultur von Aunjetitz ist das eigentliche Thema der Ausstel- lung. Ob ein mitteldeutscher Prinz im achtzehnten vorchristlichen Jahrhundert tatsächlich zum Euphrat reiste, wird wohl nie zu klären sein, aber es steht fest, dass die Aunjetitzer im Europa der frühen Bronzezeit eine Schlüsselposition einnahmen. Hier, an der mittleren Elbe, trafen die durch Europa verlaufenden Handelswege für Bernstein, Gold, Zinn und Kupfer zusammen, gleichzeitig war die Gegend salzreich und fruchtbar. Die These Mellers und seiner Kuratoren lautet nun, dass der Reichtum, der aus dieser Konstellation entstand, zu einer stärkeren Schichtung der Gesellschaft führte. Die Schnurkeramiker und ihre stein- zeitlichen Ahnen wurden von Priesterhäuptlingen regiert, wie man auf Stelen aus dem dritten vorchrist- lichen Jahrtausend sehen kann, die Aunjetitzer dagegen von Fürsten und Königen. Ein Hauptindiz für diese hierarchische Gliederung ist der Bornhöck, ein Grabhügel südlich von Halle, der im neunzehnten Jahrhundert zur Kohlegewinnung abgetragen wurde, dessen erhaltene Reste aber von Mellers Kollegen in den vergangenen Jahren neu erforscht werden konnten. Der Herrscher, der hier um 1700 vor Chris- tus bestattet wurde, muss über ungewöhnliche Ressourcen verfügt haben, denn sein Grab gehörte mit fünfundsechzig Metern Durchmesser und fünfzehn Metern Höhe zu den größten der Bronzezeit. Im nahen Umkreis gefundene Horte mit Beilen und Stabdolchen deuten darauf hin, dass er auch über eine eigene, nach Rängen sortierte Kriegertruppe verfügte. Zwei weitere Fürstengräber in Helmsdorf und Leubingen bestätigen zugleich die Ausnahmestellung des Bornhöck-Herrschers und die Macht des neuen Adels. Ihre Ausstattung ist zugleich üppiger und einheitlicher als die früherer Kulturen. Besondere Beigaben wie ein Steinkeil, der schon damals Tausen- de Jahre alt war, betonen den Ewigkeitsanspruch der Oberschicht. Dafür werden die religiösen Kult- stätten in der Aunjetitzer Machtsphäre deutlich kleiner. Offenbar legte man beim Zwiegespräch mit den Göttern Wert auf Exklusivität. Dass eine solche soziale Ausdifferenzierung in der Bronzezeit kein Einzelfall war, zeigen die Funde von El Argar in Südspanien. Dort blühte eine Kultur von stadtähnlichen Herrschersitzen, deren Führungs- schichten untereinander heirateten. In Halle ist ein Silberdiadem zu sehen, das noch am Schädel der Edeldame klebt, die es zu Lebzeiten getragen hat. Um die Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtau- sends ging El Argar im Feuer unter. Die Aunjetitzer Kultur dagegen könnte einfach verdämmert sein. Ihre Gene sind bis heute in der Bevölkerung Mitteleuropas nachweisbar. Im Schlussteil öffnet die Ausstellung die Schatztruhe der Archäologie. Mykene, Kreta, Amarna, Assiut, Wiltshire, Jütland, Tirol und die Schweiz, sie alle bringen, aus europäischen Museen entliehen, ihre Kostbarkeiten nach Sachsen-Anhalt. Aber der wichtigste Fund auf dem großen Gabentisch sind zwei kleine Bernsteinperlen aus Assur. Um 1800 vor Christus wurden sie dort zusammen mit zahllosen klei- nen Muscheln und anderem Perlenschmuck in den Fundamenten der Zikkurat des assyrischen Großkö- nigs Šamši-Adad I. versenkt. Die beiden bräunlichen Ringe aus Bernstein stellen bis auf Weiteres den einzigen greifbaren Beweis dafür dar, dass Handelsgüter aus dem Ostsee-Raum bis ins Zweistromland gelangten – und mit ihnen, wer weiß, vielleicht auch ein Reisender aus der heutigen Gegend von Halle. Damit haben sie für die Ausstellung einen höheren Wert als jedes frühgeschichtliche Gold-, Silber- und Bronzeschmuckstück, das in den Vitrinen des Landesmuseums schimmert. Denn was sind schon alle Reichtümer der Welt gegen eine gute Geschichte?Andreas Kilb Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte. Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle, bis 9. Januar 2022. Der reich bebilderte Katalog kostet im Museum 19,80 Euro. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467063/9 2/2
4.6.2021 Berliner Morgenpost KULTUR SEITE 9 | FREITAG 4. JUNI 2021 Der Barock kehrt in die Nikolaikirche zurück Paul Spies (l.), Vorstand und Direktor des Stadtmuseums Berlin, und Albrecht Henkys, Kurator der Nikolaikirche, vor der Kapelle Schindler. Maurizio Gambarini ffs Noch sind die Türme des ältesten intakten Kirchengebäudes in Berlins historischer Mitte eingerüstet und werden saniert. Doch im Inneren sind nun neue Einblicke in die Baugeschichte der Nikolai- kirche möglich: Von Freitag an können die zwei restaurierten und rekonstruierten Grabkapellen besichtigt werden. Der Berliner Hof- bildhauer und Schlüter-Schüler Johann Georg Glume (1679-1765) fertigte sie für die Familien Kraut und Schindler an, die dem poli- tischen und wirtschaftlichen Umfeld des brandenburgisch-preußi- schen Hofes entstammten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/946/articles/1363857/9/7 1/2
4.6.2021 Berliner Morgenpost Die leerstehende Schindler-Kapelle bot seit dem Wiederaufbau der Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg einen traurigen Anblick. Nun ist sie mit den skulpturalen Fragmenten bestückt worden und ver- mittelt einen anschaulichen Eindruck barocker Raumkunst, hier noch gesteigert durch natürlich einfallendes Licht. Im Zentrum der auferstandene Jesus Christus, zu seinen Seiten zwei Engel, leider ohne Köpfe. Vielleicht ließen sie sich an einem bis dato noch un- bekannten öffentlichen oder privaten Ort wieder auffinden, hofft man im Museum Nikolaikirche, das zum Stadtmuseum gehört. In der Kapelle Kraut im Eingangsbereich wird dagegen das Fehlen der zerstörten, unwiederbringlich verlorenen Decken- und Wand- malereien nun durch das Projekt „Kunstraum Kraut“ ausgeglichen, bei dem zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler sich im Wechsel einen modernen Reim auf die Ikonographie der Auferste- hung machen. Den Anfang machen Hans Scheib und Robert Weber mit ihrer fast comichaften, farbenfrohen Version des barocken Ursprungsbildes. Felix Müller Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz, Mitte. Informationen unter stadtmuseum.de Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/946/articles/1363857/9/7 2/2
4.6.2021 https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21 Freitag, 04.06.2021, Tagesspiegel / Kultur Die Berlinale- Lotterie Hurra, es gibt Berlinale-Tickets – und auf der Stelle geht nichts mehr. Wer sich gleich nach der Freischaltung am Donnerstag um 10 Uhr um Online-Karten für das „Summer Special“ vom 9. bis 20. Juni bemüht, über die Weiterschaltung von der Berlinale-Webseite zu den 16 Freiluftkinos oder direkt über deren Portale, ist schnell frustriert. „Leider ist ein Fehler bei der Verarbeitung Ihrer Anfrage aufgetreten“, ist da zu lesen. Oder: „Wegen des enor- men Andrangs kommt es derzeit zu Serverproblemen. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, zusätzliche Kapazitäten bereitzustellen“. Oder schlicht: „Internal Server Error“. Enormer Andrang: Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die Menschen nach Kultur hungern, dann können die Open-Air- Server ihn liefern. Der Festivalbesuch erfordert mit Testnachweis und Einhaltung all der Corona-Regeln beim Pilotprojekt ja einen gewissen Aufwand – den die Fans offenbar nicht scheuen. Schnell verbreitet sich die Nachricht, dass zumindest über die Yorck-Kino-App nun doch Tickets fürs Sommerkino am Kulturforum erhältlich sind. Offenbar konnte mancher Dienstleister die Serverkapazität schnell erhöhen. Noch ruckelt es ein wenig, aber im Laufe des Tages funktioniert der Kartenerwerb etwa für die Hasenheide oder Friedrichs- hagen immer besser, und schon kurz nach 11 Uhr läuft es rund bei den Freiluftkinos Fried- richhain, Kreuzberg und Rehberge. Jetzt heißt es fix sein. Als erster Film ist dort Henrika Kulls „Glück“ ausverkauft. Ausgerechnet „Glück“, ein schönes Omen. Auch wenn „ausverkauft“ eigentlich bad luck bedeutet, wie beim Goldbären-Film „Bad Luck Banging or Loony Porn“. Die rumänische Satire über die Bigotterie der Corona-Gesellschaft war von der Jury bei der Branchen-Ber- linale im März zum Sieger gekürt worden, und im Sommerkino Schloss Charlottenburg ist sie gegen 13 Uhr ausverkauft, ebenso bei der zentralen Festival-Location auf der Museums- insel. „Zurzeit nicht verfügbar“: Vereinzelte Tickets wird es dort vielleicht in den nächsten Tagen doch noch geben, heißt es aus dem Berlinale-Büro. Dass die Berlinale den Ticketverkauf in diesem besonderen, zweigeteilten Jahr mit Publi- kums-Sommerevent nicht zentral organisiert, liegt übrigens daran, dass die Erlöse nicht dem Festival zugute kommen, sondern den Kinobesitzern. Oft betreiben sie außerdem In- door-Kinos oder einen Verleih, sind also erheblich von den Lockdowns betroffen. Die Ge- duld beim Durchklicken zum begehrten Open-Air- Platz dient also einem guten Zweck. Aber keine Sorge, noch finden sich zahlreiche der rund 60 000 Karten im Angebot. Ein Berlinale-Ticket zu ergattern, ist am Ende doch ein Klacks im Vergleich zum Windhund- rennen nach einem Impftermin auf Doctolib. https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21 1/1
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