PRESS REVIEW Friday, June 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of

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PRESS REVIEW Friday, June 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
PRESS REVIEW

         Daniel Barenboim Stiftung
Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

           Friday, June 4, 2021
PRESS REVIEW Friday, June 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
PRESS REVIEW                                                              Friday, June 4, 2021

Der Tagesspiegel, PBS
Konzert Termine im Pierre Boulez Saal

Die Welt, DB
Ob mit Barenboim, allein oder stetig wachsendem Clan: Ihre Klavierkunst ist eine einzigartige
Mischung aus Emotion, Ekstase, Exzentrik. Jetzt wird Martha Argerich 80

Der Tagesspiegel
Jugendorchester kommen wieder ins Konzerthaus

Berliner Zeitung
Der ‚Zigeuner’baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will

Rbb24
„Wagner: Der Ring des Nibelungen“ im BE: Reichlich Theaternebel in Walhalla

Berliner Morgenpost
Berliner Philharmoniker: Archiv mit neuem Klang im Netz

Berliner Morgenpost
Das Jüdische Museum zeigt die erste große Werkschau von Yael Bartana

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die Könige der Bronzezeit: Eine Ausstellung in Halle sammelt neue Erkenntnisse zur Welt der
Himmelsscheibe von Nebra

Berliner Morgenpost
Der Barock kehrt in die Nikolaikirche zurück

Der Tagesspiegel
Die Berlinale- Lotterie

The Guardian
„Africa has so much talent – we can’t even grasp it”: Angélique Kidjo on pop, politics and power
PRESS REVIEW Friday, June 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
4.6.2021                                       https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21

       Freitag, 04.06.2021, Tagesspiegel / Kultur

       TERMINE

       About Blank Friedrichshain, Markgrafendamm 24c: TreuhandTechno Berlin,
       Theaterinstallation, 19 Uhr, Premiere

       Berliner Ensemble Mitte, Bertolt- Brecht-Pl. 1, Tel. 28 40 81 55: Zwangsvorstel-
       lungen, Hof-Theater, 17 Uhr

       wagner - der ring des nibelungen, 19 Uhr

       Deutsche Oper Charlottenburg, Bismarckstr. 34-37, Tel. 343 84 343: 1. Jazz-Fes-
       tival mit der BigBand der Deutschen Oper Berlin, Parkdeck, 20 Uhr

       Deutsches Theater Mitte, Schumannstr. 13a, Tel. 28 44 12 25: Tartuffe oder Das
       Schwein der Weisen, Vorplatz, 20 Uhr

       Globe Berlin Charlottenburg, Sömmeringstr. 15, Tel. 84 10 89 09: Die Komödie
       der Irrtümer, 19.30 Uhr

       Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater Charlottenburg, Bis-
       marckstr. 110, Tel. 88 59 11 88: Perspektive Kultur: Teatro Delusio, Familie Flöz,
       20 Uhr

       Konzerthaus Berlin Mitte, Gendarmenmarkt, Tel. 203 09 21 01: Konzerthausor-
       chester Berlin, Ltg. Iván Fischer, Anna Prohaska (Sopran), Werke von Haydn und
       Mahler, Großer Saal, 19 Uhr

       Schaubühne Wilmersdorf, Kurfürstendamm 153, Tel. 89 00 23: Das Leben des
       Vernon Subutex 1, 19.30 Uhr, Premiere

       Schlosspark Theater Steglitz, Schloßstr. 48, Tel. 78 95 66 71 00: Winterrose, Ko-
       mödie, 20 Uhr, Voraufführung

       Shakespeare Company Berlin Schöneberg, Prellerweg 47-49, Tel. 20 60 56 36:
       Othello, Tragödie mit Musik, 20 Uhr

       Theater Thikwa Kreuzberg, Fidicinstr. 40, Tel. 61 20 26 20: Vom Umtausch aus-
       geschlossen, Performance, 20 Uhr

       ufaFabrik Tempelhof, Viktoriastr. 10-18, Tel. 75 50 30: Geil, Erika Ratcliffe, Frei-
       luftbühne, 20 Uhr
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4.6.2021                                       https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21

       Vaganten Bühne Charlottenburg, Kantstr. 12a, Tel. 313 12 07: Kassandra // Achill
       , Sommerbühne, 20.30 Uhr, Premiere

       Wabe Prenzlauer Berg, Danziger Str. 101, Tel. 9 02 95 38 50: Quartalsseufzer,
       Lina Lärche, Musikkabarett, 20 Uhr

       Heute startet um 14 Uhr der Vorverkauf für den Pierre Boulez Saal. Auf dem
       Juni-Programm: Uri Caine, die Kinan Azmeh Cityband und András Schiff. Ti-
       cket-Hotline: 4799 7411, www.boulezsaal.de

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FEUILLETON
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Seine Dialektik immunisiert
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    gegen Identitätswahn Seite 22
DIE WELT        FREITAG, 4. JUNI 2021             SEITE 21

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              AFP/ANTONIN THUILLIER
      So soll es wieder sein: der volle Saal Lumière im Festivalpalast                                                                                                                                                                                                                               Szene aus Wes Andersons Cannes-Film „The French Dispatch“

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              PICTURE ALLIANCE / ZUMAPRESS.COM/SEARCHLIGHT PICTURES
E                                                                                                Der Smoking
            s wird wie immer sein. Oben       erste Julihälfte – „einmalig“, sagt                                                                                                                                                                                                              Gainsbourg bis zu Hong Sang-Soo und           Festivals schon meiden, ist der Ort, wo
            auf den Stufen mit dem ro-        Frémaux, „nächstes Jahr wieder im                                                                                                                                                                                                                Kornel Mundruczo. Den ausgefallenen           Talente groß werden und unerprobte
            ten Teppich werden Thierry        Mai“ –, aber das ist kein Grund, von                                                                                                                                                                                                             Wettbewerb von 2020 kann man, Film            Erzählformen sich erproben können,
            Frémaux und Pierre Lescu-         dem einmal als richtig Erkannten abzu-                                                                                                                                                                                                           für Film, nachsehen.                          jenseits der engen Formate der großen

                                                                                                    bleibt
            re stehen, die Chefs von          weichen. Die Smokingpflicht auf dem                                                                                                                                                                                                                 Unter den 24 Filmen des Wettbe-            Studios und der Streamer. In Cannes
Cannes. Sie werden Matt Damon und             roten Teppich wird selbstverständlich                                                                                                                                                                                                            werbs befinden sich drei Amerikaner,          kann man die Zukunft des Kinos sehen,
Jodie Foster begrüßen, die sich durch         nicht aufgehoben, obwohl die Durch-                                                                                                                                                                                                              Wes Andersons „The French Dispatch“,          nicht bei Netflix. Der Thai Apichatpong
das Blitzlichtgewitter hinaufkämpfen.         schnittstemperatur im Juli an der Côte                                                                                                                                                                                                           Sean Bakers „Red Rocket“ und Sean             Weerasethakul, 2010 Gewinner der Gol-

                                                                                                vorgeschrieben
Léa Seydoux und Spike Lee und Tilda           d'Azur bei 27 Grad liegt, sieben Grad                                                                                                                                                                                                            Penns „Flag Day“. Allesamt Indepen-           denen Palme, ging mit der Britin Tilda
Swinton werden da sein und Marion             höher als im Mai.                                                                                                                                                                                                                                dents, die großen Studios sind abwe-          Swinton für seinen „Memoria“ nach Ko-
Cotillard, Adam Driver, Sean Penn, Ti-           Natürlich wird es nicht so simpel                                                                                                                                                                                                             send, Blockbuster Fehlanzeige. Nur drei       lumbien, drei Kulturen, die aufeinan-
mothée Chalamet, Elisabeth Moss,              sein. Die Festivalbesucher müssen sich                                                                                                                                                                                                           Amerikaner, kein Mainstream, das ist          derprallen, vielleicht einer der Höhe-
Frances McDormand, Owen Wilson,               alle 48 Stunden einem PCR-Test unter-                                                                                                                                                                                                            doch nicht repräsentativ für die Film-        punkte dieses Wettbewerbs.

                                                                                               Willkommen zurück im Kino: Das Festival von
Bill Murray, Christoph Waltz, Benicio         ziehen, wenn sie nicht doppelgeimpft                                                                                                                                                                                                             szene, könnte man sagen.                         Die Online-Portale haben vielen
del Toro, Saoirse Ronan, Tim Roth, Mia        oder genesen sind. In den Kinos muss                                                                                                                                                                                                                Doch, es ist repräsentativ für die         durch die schweren Pandemie-Monate

                                                                                               Cannes gibt sein Programm für Juli bekannt
Wasikowska, Sophie Marceau, Charlot-          die ganze Zeit Maske getragen werden.                                                                                                                                                                                                            Weltfilmszene. Im Wettbewerb finden           geholfen und dabei eigennützig den
te Rampling, Hanna Schygulla…                 Wer von den Stars wirklich kommt,                                                                                                                                                                                                                sich Filme aus Frankreich, Russland           Eindruck erweckt, es werde auch in Zu-

                                                                                                und es klingt phantastisch. Netflix ist nicht
                                              hängt von den Reisebestimmungen ab.                                                                                                                                                                                                              (der unbezähmbare Kirill Serebrenni-          kunft nur noch das Streamen geben.
         VON HANNS-GEORG RODEK

                                                                                                   dabei und wird auch nicht gebraucht
                                              Und von ihrer Wagnislust. Cannes –                                                                                                                                                                                                               kow), Australien, Finnland, dem Iran,         Cannes hingegen betrachtet sich aus-
                                              momentan bei einer Inzidenz von 50 –                                                                                                                                                                                                             Japan, Schweden, Marokko, Israel, Un-         drücklich als Teil des Kampfes des Ki-
  Alle werden sich in den Saal Lumiere        wird noch voller als sonst werden. Die                                                                                                                                                                                                           garn, Thailand. Deutschland glänzt ein-       nos ums Überleben, für seine Rückkehr
mit seinen 2300 Sitzen begeben, kein          französischen Sommerferien, in denen                                                                                                                                                                                                             mal mehr durch Abwesenheit; nur               in die selbstverständliche Alltagswelt
Sessel wird unbesetzt bleiben, und dann       alles an die Küste drängt, beginnen am                                                                                                                                                                                                           „Große Freiheit“, ein Paragraph-175-          von uns allen.
wird das Licht ausgehen und der legen-        6. Juli. Das Festival beginnt am 6. Juli.                                                                                                                                                                                                        Drama aus der Nachkriegszeit mit                 Das scheint in Frankreich nicht
däre Vorspann wird anlaufen, jener mit           Die wichtigste Regel, von der Cannes                                                                                                                                                                                                          Franz Rogowski, hat es in Un Certain          schwierig zu sein. Als am 26. Mai die
der Treppe, die vom Meer hoch zu den          keinen Millimeter abgewichen ist, lau-       tet, Jane Campions „Power of the Dog“                                                                      (Drei Stockwerke) und Paul Verhoe-                                                       Regard geschafft. Deutschland ist, diese      Kinos wieder öffneten, strömten bin-
Sternen führt, zur perlenden Musik von        tet: Ein Film muss ins Kino kommen,          und Paolo Sorrentinos „The Hand of                                                                         vens „Benedetta“ – waren schon für vo-                                                   bittere Beobachtung gehört dazu, indi-        nen einer Woche sofort wieder zwei
Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“. Es         um am Wettbewerb teilnehmen zu dür-          God“ (beide Netflix) sowie Joel Coens                                                                      riges Jahr vorgesehen und haben volle                                                    rekt mit zwei früheren Berlinale-Ge-          Millionen Menschen in die Säle – bei
wird sein, als habe es die vergangenen 14     fen. Streamer wie Netflix und Amazon         Solodebüt „The Tragedy of Macbeth“                                                                         14 Monate ausgeharrt, um in Cannes an                                                    winnern vertreten, dem Israeli Nadav          einer auf 35 Prozent der Sitze be-
Monate nie gegeben.                           würden gern vom Glanz von Cannes             (von Apple).                                                                                               den Start gehen zu können. Das Festi-                                                    Lapid und der Ungarin Ildikó Enyedi,          schränkten Kapazität. In den USA – wo
  Natürlich wird es nicht ganz so sein.       profitieren und ihre Filme danach in           Drei Filme, mehr nicht. Für das 74.                                                                      val hat extra eine neue Reihe einge-                                                     die mit ihrem frischen Ruhm und ihren         bei weitem nicht alle Kinos geöffnet
Doch das Festival von Cannes ist eines        ihrer Streaming-Blase behalten. „Wir         Festival (2020 ist ausgefallen und wird                                                                    führt, „Cannes Premiere“, um der Fülle                                                   neuen Filmen von Cannes aufge-                sind – haben neue Filme schon wieder
der Tradition, des Sich-nicht-vom-Kurs-       führen einen positiven Dialog“, sagt         nicht mitgezählt) wurden 2300 Langfil-                                                                     gerecht werden zu können, und selbst                                                     schnappt wurden; es ist wie mit den           die Besucherzahlen vergleichbarer Fil-
abbringen-Lassens durch eine vorüber-         Thierry Frémaux zum Thema Netflix.           me eingereicht, sonst sind es rund                                                                         dort wimmelt es von großen Regiena-                                                      großen Talenten, die irgendwann von           me vor der Pandemie. In Deutschland,
gehende Erscheinung wie diese Pande-          „Aber momentan akzeptiert die Firma          1800. Einige Filme – wie Wes Ander-                                                                        men, von Oliver Stone (mit einer Fort-                                                   Borussia zu den Bayern wechseln.              seit langem ein Land von Pantoffelki-
mie. Es ist seuchenbedingt zwei Monate        die Cannes-Regeln nicht.“ Das hat das        sons heiß erwarteter „The French Dis-                                                                      setzung zu „JFK“) und Mathieu Amal-                                                         Cannes, darin besteht seine Zu-            nomuffeln, könnte der Weg ein steile-
nach hinten verschoben worden, in die         Festival vermutlich drei Filme gekos-        patch“, Nanni Morettis „Tre Piani“                                                                         ric über Andrea Arnold und Charlotte                                                     kunftschance, wenn die Blockbuster            rer sein.

Oh, là-là, Marthita

S
Ob mit Barenboim, allein oder stetig wachsendem Clan: Ihre Klavierkunst ist eine einzigartige Mischung aus Emotion, Ekstase, Exzentrik. Jetzt wird Martha Argerich 80
        ie spielt viel besser Klavier als     was wäre gewesen, wenn sie, jenes so lö-     Tschaikowsky, ihren virtuos-dunklen                                                                                                                                                                 mütszustandes: Passivität und lauernde        jüdischen Wurzeln. Als Vierjährige saß
        ich.“ Das sagt einer, der es wissen   wenmähnige wie leise Temperament-            Gaspard de la nuit, ihren romantisch-                                                                                                                                                               Angriffslust, Spielfreunde oder Desinte-      sie bereits am Flügel und gab ihr erstes
        muss, denn er kennt Martha Ar-        bündel, in der Epoche der Impressionis-      wehmütigen Rachmaninow, ihren kra-                                                                                                                                                                  resse. Und wenn sie dann noch ihren           Konzert, mit acht spielte sie mit Orches-
gerich so lange wie kein anderer: Daniel      ten, Surrealisten, Existenzialisten gelebt   chend-spitzen Prokofiew, ihren vital-iro-                                                                                                                                                           längst grau gewordenen, nach wie vor          terkonzerten auf. 1955 brachte sie Diplo-
Barenboim, nur ein Jahr jünger als die        hätte? Sie wäre eine funkelnde Muse von      nischen Schostakowitsch. Diese mitun-                                                                                                                                                               mädchenhaft offen getragenen Haarvor-         matin-Mutter Juanita nach Wien.
Jugendfreundin, mit der er in den Vierzi-     Saint-Germain-des-Près geworden, die         ter chaotisch umwegige Karriere währt                                                                                                                                                               hang niederlässt, dann möchte sie nicht          Dort becircte sie den niemals sonst
gerjahren in Buenos Aires (und unter          Pariser Klassikdiva neben den Diseusen,      bis heute auf einem kaum glaublichen                                                                                                                                                                gestört werden; auch nicht auf dem Po-        Schüler annehmenden Friedrich Gulda
dem Klavier lauschend) aufgewachsen           die furiose Tastentigerin zwischen den       technischen, wie interpretatorischen Ni-                                                                                                                                                            dium.                                         ebenso wie Nikita Magaloff in Genf, spä-
ist. Seit etwa zehn Jahren spielen diese      Chansonetten. Sie hätte mit ihrem bis        veau. Argerich mag sicher mal einen                                                                                                                                                                    Das Chaos hat überall, wo sie mit ih-      ter auch Stefan Askenase und Arturo Be-
beiden argentinischen Meteoren des            heute sorgfältig bewahrten, bohémehaf-       mauen Abend haben, aber selbst der ist                                                                                                                                                              rem stetig wachsenden Clan hinkommt,          nedetti Michelangeli. Sie brachte die
                                                                                                                                                                                                                                                                                    REDFERNS

Klassiksternenhimmels wieder zusam-           ten Laissez-faire, das nur ihren jahrzehn-   interessanter und spannender als das,                                                                                                                                                               einen Namen: Marthita. Ein Wirbel-            Tasten zum Glühen seit ihrem Debüt
men – nachdem sie, der Extrovertierte         telange Agenten (der mitunter auch vor       was die meisten Pianisten aktuell von                                                                                                                                                               sturm samt dreier Töchter von drei Män-       1957 beim Genfer und dem damals neuen
und die Scheue, lange strikt parallel         dem Konzert die Röcke aufbügeln muss)        sich geben.                                                                                                 Tastentigerin: Martha Argerich, 2018                                                    nern und sechs Enkel, Ersatz-Kindern,         Busoni-Wettbewerb in Bozen; erst recht
strahlten.                                    nicht zur Weißglut bringt, wunderbar in         Das Argerich-Sein. Sie hat es sich –                                                                                                                                                             Klavierschülern, Freunden, Fans und           aber 1965 als Siegerin des Warschauer
                                              diese lange verwehte Welt gepasst – und      trotz Krebserkrankungen, persönlichen                                                                       sich ein weites, vielgestaltiges Werkver-                                               Freaks. Um anzuspringen braucht die           Chopin-Wettbewerb.
            VON MANUEL BRUG                   vor allem: Wir hätten heute sicher deli-     und auch beruflichen Turbulenzen – auf                                                                      zeichnis jenseits des Gängigen erarbei-                                                 notorische langschläfrige Nachteule Ar-          Argerich musste seither viel Porzellan
                                              ziöse Klavierstücke von Debussy, Ravel,      diesem Level bewahrt, weil sie anders                                                                       tet. Und durfte dem auf weltweit um sie                                                 gerich diverse Espressi. Aber im Zen-         zerschlagen, um zur besten Form aufzu-
   Der Vorteil, neben dem vollendet har-      Satie, Poulenc, Auric, Milhaud, Kosma,       ist, weil sie sich nicht auf einen vorgege-                                                                 arrangierten Festivals frönen, in Buenos                                                trum wirkt: große, kristalline, eigenwilli-   laufen. Doch im bisweilen hohl tönenden
monischem Gemeinsamklang: Sie, die            die alle für sie, die generöse, graziöse,    benen Berufspfad einlassen wollte, weil                                                                     Aires, im japanischen Beppu, in Lugano,                                                 ge wie komponistenaufmerksame Kla-            Geschirrladen der Klassik ist sie die viel-
Launische, sagt kaum noch ab, und er,         aber auch gierige Assoluta, komponiert       sie Mensch, Frau, Mutter sein wollte.                                                                       seit drei Jahren (und auch jetzt wieder)                                                vierkunst als einzigartige Mischung aus       geliebte Elefantin der poetischen Zärt-
der notorisch Vielbeschäftigte, muss          worden wären.                                Und weil sie schon vor Jahrzehnten die                                                                      in der Hamburger Laeiszhalle.                                                           Emotion, Ekstase, Exzentrik.                  lichkeit. Hoffentlich lange noch. Gidon
üben. Wie schön das tönt, ist aktuell auf        Was natürlich kaum heißt, dass wir        Entscheidung gefällt hatte, außer einem                                                                        „Oh, là-là“. Wenn eine in Brüssel le-                                                   Geboren am 5. Juni 1941 in Buenos Ai-      Kremer, Mischa Maisky, Anne-Sophie
einer Deutsche-Grammophon-CD mit              nicht unendlich dankbar sind für ihren       überschaubaren, selten erweiterten Re-                                                                      bende Argentinierin solches sagt, lacht,                                                res als Kind einer zerrissenen, nur lose      Mutter, die Capucon-Brüder, Cecilia Bar-
Debussys Klavierfantasie zu hören.            melodiös-singenden Mozart, ihren spiel-      pertoire von Klavierkonzerten nicht                                                                         haucht, schreit, bellt, dann hat das eine                                               von der bisweilen desinteressierten, aber     toli, die Crème der Klassik, wird ab 19.
Stichwort Debussy. Natürlich sind wir         freudig-ausgewogenen Beethoven, ihren        mehr solistisch aufzutreten. Sondern                                                                        besondere Note. Schließlich ist dieses                                                  überehrgeizigen Mutter zusammenge-            Juni sie, die morgen 80 Jahre alt wird, in
sehr froh, La bella Martha als unsere         hintersinnig-bohrenden Schumann (den         mit Partnern, Freunden, als Gruppe, wo                                                                      „Oh, là-là“ der Martha Argerich ein                                                     haltenen Patchwork-Familie mit argenti-       Hamburg ehren. So wie bella Martha es
Zeitgenossin genießen zu dürfen. Aber         vor allem!), ihren grandios-regalen          man teilt und fördert. So aber hat sie                                                                      ziemlich genauer Indikator ihres Ge-                                                    nischen, kroatischen, katalanischen und       am liebsten hat: spielend und singend.

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4.6.2021                                       https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21

       Freitag, 04.06.2021, Tagesspiegel / Kultur

       Jugendorchester kommen wieder ins
       Konzerthaus
       2020 konnte „Young Euro Classic“ nur als Kammermusik-Festival stattfinden, in
       diesem Sommer darf die Veranstaltungsreihe wieder ein echtes internationales
       Jugendorchestertreffen sein. Bis zu 60 Musiker:innen können auf der Bühne
       des Konzerthauses am Gendarmenmarkt gemeinsam musizieren, in 19 Veran-
       staltungen vom 30. Juli bis zum 15. August. Aus Griechenland und Portugal, Spa-
       nien, Rumänien, Schweden, Russland, der Schweiz, Österreich und den Nieder-
       landen werden nationale Nachwuchsorchester erwartet, zudem sind das Schles-
       wig Holstein Festival-Orchester und das Bundesjugendballett wieder dabei.
       „Classic meets Jazz“ wird jetzt von Clara Haberkamp geleitet. Aus Sachsen reist
       das Moritzburg Festival Orchester an, einen deutlich längeren Weg haben die
       Mitglieder des Orquestra del Lyceum de la Habana. Das kubanische Ensemble
       wird mit der Philharmoniker-Hornistin Sarah Willis, auftreten. Das Festivalor-
       chester formiert sich diesmal aus dem Orchestre Français des Jeunes und dem
       Bundesjugendorchester. Zur Eröffnung am 30.7. spielt es unter Leitung der Diri-
       gentin Marzena Diakun ( Infos unter www.young-euro-classic.de). F. H.

https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21                                                  1/1
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4.6.2021   Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will

                                   Komische Oper

                                   Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer
                                   den Shitstorm vermeiden will

                                   Der Regisseur Tobias Kratzer inszeniert an der Komischen
                                   Oper Berlin die Operette mit dem Z-Wort. Er findet es wichtig,
                                   ein so problematisches Stück zu zeigen.

                                   Susanne Lenz und Peter Uehling, 4.6.2021 - 06:33 Uhr

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                                                                                                        Gregor Baron

                                   Tobias Kratzer ist Regisseur der Operette.

                                  Berlin - Am 6. Juni hat an der Komischen Oper „Der
                                  ‚Zigeuner‘baron“ Premiere, eine Operette von Johann Strauss
                                  aus dem Jahr 1885. Der Regisseur Tobias Kratzer findet es
                                  wichtig, sich mit dem Stück und seinem problematischen Titel
                                  zu beschäftigen.

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/musik/der-zigeunerbaron-wie-regisseur-tobias-kratzer-den-shitstorm-vermeiden-will-li.162834
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4.6.2021                                    Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will

                                   Herr Kratzer, haben Sie die Befürchtung, Sie könnten bald im
                                   Zentrum eines Shitstorms stehen?

                                   Nein. Das wird ja vom Haus gut begleitet. Die
                                   Titelumbenennung …

                                   Sie setzen das Z-Wort in Anführungszeichen.

                                   Für mich hat das eine ähnliche Funktion wie ein Genderstern.
                                   Es ist ein ö entliches Signal dafür, dass sich da jemand
                                   Gedanken gemacht hat, dass die Begri                ichkeit dieses
                                   Operettentitels nicht unreflektiert reproduziert wird.
                                   Shitstormvermeidung ist jetzt nicht die primäre Aufgabe,
                                   aber ho entlich auch ein angenehmer Nebene ekt dieser
                                   Anführungszeichen.

                                   Hätte im Titel der Operette das N-Wort gestanden, hätten Sie
                                   es nicht dort gelassen, oder?

                                   Da gibt es im politischen Sprachbewusstsein schon nochmal
                                   eine Abstufung. Die will ich jetzt gar nicht werten. Begri e
                                   haben ja ihre eigene Geschichte. In ein paar Jahren ginge das
                                   Wort vielleicht nicht mehr durch, nicht mal mit
                                   Anführungszeichen. Und im allgemeinen Sprachgebrauch
                                   sollte es auch mit Recht nicht mehr verwendet werden. Aber
                                   hier ist es der Titel eines Kunstwerks, und für den Moment
                                   scheint es mir entscheidender, die historische Distanz zu
                                   markieren, als sie zu negieren. Und die Kunst hat ja auch
                                   Möglichkeiten, das auf ihre Weise zu reflektieren.

                                   Was bedeutet denn das Wort „Zigeuner“ ursprünglich?

                                   Das ist etymologisch tatsächlich umstritten. In jedem Fall
                                   aber ist der Begri      durch die Verwendung während des
                                   Nationalsozialismus unmöglich geworden. Und es ist kein
                                   Begri , der jemals als Selbstbezeichnung der Roma und Sinti
                                   übernommen worden wäre, sondern eine reine
                                   Fremdbezeichnung der Mehrheitsgesellschaft. Manche
                                   ursprünglich pejorativen Begri e sind ja im Lauf der Zeit ins
                                   rein Deskriptive oder sogar ins Positive gewandt geworden.
                                   „Schwul“ ist das bekannteste Beispiel. Bei dem Wort
                                   „Zigeuner“ ist das nicht eingetreten.

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/musik/der-zigeunerbaron-wie-regisseur-tobias-kratzer-den-shitstorm-vermeiden-will-li.162834
PRESS REVIEW Friday, June 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
4.6.2021                                    Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will

                                   Ich denke, man muss unterscheiden, ob vier weiße TV-
                                   UnterhalterInnen das Wort in einer Talkshow völlig
                                   unreflektiert benutzen, so als seien sie gerade aus 30 Jahren
                                   Tiefschlaf aufgewacht. Da haben die Aktivisten völlig recht.
                                   Das finde ich genauso wenig adäquat. Im Kunstfeld ist es auch
                                   nicht per se akzeptabler, aber hier hat es eine eigene
                                   Historizität. Diese muss aber sicher hinterfragt werden.

                                   Die Komische Oper Berlin lädt Romani Rose, den
                                   Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma,
                                   gemeinsam mit Ihnen zu einer Podiumsdiskussion ein.

                                   Wir waren im Vorfeld in Kontakt, und der Vorschlag mit den
                                   Anführungszeichen kam auch aus dem Umfeld des Zentralrats
                                   der Sinti und Roma. Es gab da keine Forderung nach einer
                                   weitergehenden Umbenennung. Es war uns aber wichtig,
                                   vorher darüber zu sprechen, was akzeptabel oder verletzend
                                   sein könnte.

                                          Gregor Baron

                                          Zur Person
                                          Tobias Kratzer, geboren 1980 in Landshut, ist als
                                          freier Regisseur tätig. Zu seinen Regiearbeiten
                                          im deutschsprachigen Raum zählen Richard
                                          Strauss’ „Der Rosenkavalier“ und Richard
                                          Wagners „Tannhäuser“ am Theater Bremen
                                          sowie dessen „Meistersinger von Nürnberg“ und
                                          Giacomo Meyerbeers „Le prophète“ am
                                          Badischen Staatstheater Karlsruhe.
                                          Seine Inszenierung von Richard Wagners

                                 Ist Zigeuner nicht auch ein Begriff für eine imaginäre
                                 Volksgruppe, die mit Projektionen einhergeht, die nicht
                                 unbedingt abwertend sind?

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PRESS REVIEW Friday, June 4, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal - Index of
4.6.2021           Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will

           Auf jeden Fall. Und das ist der große Unterschied zum N-Wort.
           Der Begriff „Zigeuner“ hat auch eine lange Geschichte von
           positivem Rassismus, wie man heute sagen würde. Er
           beinhaltet eben auch eine freudvolle Bejahung des ganz
           Anderen, des Exotischen. Da geht es nicht nur um Diebstahl
           und Pferderaub, wie es in manchen Text-Passagen des
           „Zigeunerbaron“ aufgerufen wird. Letztendlich entzieht sich
           die Operette aber einer eindeutigen Wertung. Eine der beiden
           Hauptfiguren, die sogenannte „Zigeunerin“ Sa                  , wird
           extrem positiv gesehen, gleichzeitig gibt es in vielen
           Dialogpassagen negative oder klischeebehaftete
           Zuschreibungen wie die von den stehlenden
           „Zigeuner“jungen oder den magischen Ritualen, die Sa                    s
           Mutter praktiziert. Die habe ich weitgehend gestrichen oder
           anders kontextualisiert. Aber die Operette macht da – auch
           musikalisch – ihren ganz eigenen Raum auf. Sie hinterfragt
           permanent ihre eigenen Klischees. Und gerade dieser
           dialektische Umgang macht das Stück interessant.

           Das „Zigeunerlied“, aus dem Sie gerade zitiert haben: „Wo
           man Zigeuner hört, wo Zigeuner sind, Mann – gib Acht auf
           dein Pferd, Frau – gib Acht auf dein Kind“, ist das drin in
           Ihrer Inszenierung?

           Ja, und dieses Lied finde ich hochinteressant, denn es führt in
           sich schon einen Diskurs. Das würde man in einer Strauss-
           Operette nicht erwarten. In der ersten Strophe werden
           negative Klischees aufgerufen, und in der zweiten Strophe das
           positive Gegenbild. Zwei konträre Sichtweisen auf ein und
           dieselbe Volksgruppe. Es ist ja alles andere als ein Schmählied,
           sondern eine sehr hellsichtige Analyse von Vorurteilen.

           Auch positive Diskriminierung ist Diskriminierung.

           Für mich ist entscheidend, es auf die Figur zurückzubeziehen,
           die das singt. Wir lösen das, indem Sa            hier einen
           Anspielpartner hat, dem sie mit diesem Lied seine eigenen
           Vorurteile ironisch vorhält. Und plötzlich bekommt das eine
           ganz andere Bedeutung. Das ist sicher nicht der allein selig
           machende Weg, aber vielleicht eine unter vielen
           Möglichkeiten, wie man die Nummer als Regisseur auch
           kritisch reflektieren kann. Es gibt zwei andere
           „Zigeunerbaron“-Inszenierungen in diesem Jahr, die jeweils
           anders damit umgehen. Magdeburg setzt die Operette in einen
           doppelten Rahmen, indem es die Geschichte in einem Varieté
           inszeniert, Wiesbaden hat das Wort „Zigeuner“ komplett aus dem
           Libretto getilgt.

           Als die Operette vor ein paar Jahre in Wien aufgeführt wurde,
           hat die österreichische Schriftstellerin Marlene Steeruwitz
           gesagt: „Die Operette ist ein Archiv des Sexismus, Rassismus
           und Antisemitismus, und ich bin dafür, dass sie einmal für 20
4.6.2021                                    Der ‚Zigeuner‘baron: Wie Regisseur Tobias Kratzer den Shitstorm vermeiden will

                                   Dieser Debattenbeitrag ist in seiner Extremheit durchaus
                                   berechtigt, aber auch sehr pauschal. Ich finde es wichtig, ein
                                   so problematisches Stück zu zeigen. Gerade daran kann man
                                   ja auch den Stand der Debatte ablesen. Und man kann am
                                   ästhetischen Objekt erproben, wo unsere Gesellschaft steht.
                                   Auch fragen, was es uns heute noch zu sagen hat. Wenn ich es
                                   20 Jahre in der Schublade lasse, ist es zwar weg, aber damit ist
                                   auch keinem geholfen. Dann kommen die Vorurteile vielleicht
                                   auf einem anderem Wege durch, auf dem man sie nicht mehr
                                   ästhetisch reflektieren kann.

                                   Was kann uns diese Operette denn heute noch sagen?

                                   In ihrer Zeit hat sich die k.u.k.-Gesellschaft Österreich-
                                   Ungarns damit auf der Operettenbühne über ihre
                                   multiethnische Verfasstheit verständigt. Das wollte ich
                                   szenisch auch ausbuchstabieren, nur sind Kollektive wegen
                                   Corona derzeit nicht so flexibel einsetzbar. Ich erzähle die
                                   Handlung nun aus der Warte des konservativsten Charakters,
                                   Graf Homonay, der das Modell des alten weißen Mannes
                                   verkörpert, über den die Zeit hinweggegangen ist. Er begreift
                                   nicht, warum er auf einmal nicht mehr „Zigeuner“ sagen
                                   darf, auch nicht, wie ein junger Großgrundbesitzer sich in
                                   eine Frau mit ganz anderem Background verlieben kann und
                                   nicht in eine Industriellentochter. Im Lauf der Handlung
                                   bricht sein Weltbild zusammen.

                                   Der „Zigeuner“baron, Komische Oper Berlin, Premiere am 6.
                                   Juni, wieder am 13., 26. und 28. Juni

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4.6.2021                                     Frühkritik | "Wagner - Der Ring des Nibelungen" im BE: Reichlich Theaternebel in Walhalla | rbb24
Frühkritik | "Wagner - Der Ring des Nibelungen" im BE

Reichlich Theaternebel in Walhalla
04.06.21 | 08:56 Uhr

Kurz vor den Theaterferien dürfen die Häuser doch noch spielen. Das Berliner Ensemble hat kurzfristig eine
Inszenierung von Regisseur Ersan Mondtag ins Programm gehoben: "Der Ring des Nibelungen", neu erzählt
von dem Dramatiker Thomas Köck. Von Cora Knoblauch

"Es hat sich ausgestreamt!" ruft Brünnhilde ins Publikum. Das schnöde auf den Bildschirmstarren ist vorbei, jetzt
gehts wieder auf der Bühne zur Sache. Die kurze Indoor-Spielzeit kurz vor den Sommerferien beginnt das
Berliner Ensemble dann auch nicht mit einem lockeren Warm-up, sondern schickt Regisseur Ersan Mondtag und
Wagners Ring des Nibelungen auf die Bühne.

Mondtag sagte mal in einem Interview, dass er selbst eigentlich nicht gerne Stunde um Stunde auf dem
Theaterstuhl ausharre, aber den Ring des Nibelungen, den könne man eben nicht in ein, zwei Stunden erzählen.
Und so galoppieren Schauspieler und Publikum fast fünf Stunden durch die Kapitel Rheingold, Walküre, Siegfried
und Götterdämmerung. Im Vergleich mit dem Wagnerischen Original natürlich lachhaft kurz.

Abarbeiten am Mythen-Geschwafel

Sich des klassischen Opernstoffs angenommen hat der
österreichische Dramatiker Thomas Köck. Er ist wie Regisseur Ersan
Mondtag Mitte 30 und hat die Nibelungen-Story in die Psychiatrie
verlegt. Autor Köck sagt, so ist es im Programmheft zu lesen, dass er
Wagner gecancelt habe. Es sei die Sprache gewesen, die ihn am meisten interessiert habe. Und daraus habe er
dann gemacht, was er wollte. Sein Ring ist kein Kniefall vor Wagner, im Gegenteil. Köck arbeitet sich an diesem
ganzen Mythen-Geschwafel im Wagner ab.

Siegfried, Sieglinde, Siegmund - sie alle sind Patienten einer Psychiatrie, jeder der Helden trägt sein Päckchen an
Gewalterfahrungen, Misshandlungen und Wahnvorstellungen. Siegfried ist ein schwer traumatisierter Junge,
geplagt von Albträumen. Göttervater Wotan ist der Oberarzt, die Walküren die unterbezahlten Pflegerinnen der
Anstalt.

Gefangen in einem "loop of history"

Opern wie Wagners Ring reproduzieren permanent den Mythos des weißen, sehr männlichen Superhelden, sagt
Köck. Junge Männer aus der Generation von Mondtag und Köck scheinen auf diese Helden keinen Bock mehr zu
haben. Deutschland sei gefangen in einem "loop of history" heißt es in dem Stück und diese ewigen
Heldengeschichten bieten da keinen Ausweg. Ein altes preußisches Stadtschloss wieder aufzubauen sei auch nur
die Weitererzählung alter Mythen, ruft Brünnhilde. Über Mythen und Helden wird viel geschimpft an diesem
Abend, über das Stadtschloss auch.

Der fünfstündige Abend schwankt zwischen gaga und todkomisch, Grund dafür ist auch das wie immer
monumentale Bühnenbild Ersan Montags. Das Publikum schaut in die Psychiatrie-Zelle von Siegfried, eine
kleinbürgerliche Küche. Tisch, Stühle, Kühlschrank etc. sind so überdimensioniert, wie sie aus Perspektive eines
Vierjährigen Kindes sind. Wenn also Siegfried auf den Küchenstuhl krabbelt, sitzt er dort wie ein Kleinkind und
kann kaum über die Tischplatte schauen. Das ist ulkig, aber auch albtraumhaft. Siegfried, Sieglinde und
Siegmund toben über die Bühne wie Kleinwüchsige. Im Kühlschrank verschwinden sie dann und wann, durch ihn
hindurch gelangt man zu einem geheimen Ort, vielleicht nach Walhalla, wir erfahren es nicht.

Die Kondition hat etwas gelitten

Überhaupt ist es sehr nebelig in dieser Anstalt, Siegfried entzündet ein amtliches Feuer in seiner Zelle und es
qualmt heftig in der Anstaltsküche. Auch wenn dem fünf Stunden Text nicht immer leicht zu folgen ist: Das
Ensemble mit seinem Spiel trägt den sitzmüden Zuschauer mit Leichtigkeit durch den Abend. Besetzt wurde
unter anderem mit zwei Allzweckwaffen des BE: Stefanie Reinsperger und Nico Holonics.

Reinsperger als wort- und überhaupt gewaltige Brünnhilde und Holonics als Dragqueenartiger Hagen. Die
Kondition beim Publikum hat in den vergangenen Monaten vielleicht ein bisschen gelitten und es ist eben doch
etwas anderes ob man auf dem bequemen Sofa streamt oder fünf Stunden im Parkett des BE sitzt. Da heißt es:
schnell wieder in Form kommen, die nächste Ersan Mondtag Premiere steht bereits kommende Woche im Maxim
Gorki Theater an.

Sendung: Inforadio, 04.06.2021, 06:50 Uhr

https://www.rbb24.de/kultur/beitrag/2021/06/kritik-wagner-ring-des-nibelungen-berliner-ensemble.html                                             1/2
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            KULTUR                                                                                   SEITE 9 | FREITAG 4. JUNI 2021

            Klassik
            Berliner Philharmoniker: Archiv mit neuem
            Klang im Netz
            Die Berliner Philharmoniker stellen ihr digitales Archiv in höchs-
            ter Audioqualität ins Netz. Über die Digital Concert Hall des Or-
            chesters können ab sofort Aufführungen etwa mit ihren Chefdiri-
            genten Herbert von Karajan, Claudio Abbado, Simon Rattle und
            Kirill Petrenko mit dem technischen Standard Hi-Res Audio in
            Studioqualität abgerufen werden, teilte das Orchester jetzt mit. dpa

            Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten.

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            Eine androgyne Heilsgestalt in Berlin
            Das Jüdische Museum zeigt die erste große Werkschau von Yael Bartana. Im Auf-
            tragswerk „Malka Germania“ geht es um die deutsche Geschichte

            Die Videoarbeit „Malka Germania“ in der Ausstellung „Yael Bartana – Redemption Now“ im Jüdi-
            schen Museum. Reto Klar FUNKE Foto Services

            Von Volker Blech

            Am Anfang war ein Traum, den Yael Bartana gerne erzählt. Dem-
            nach lief sie durch Prenzlauer Berg, und Beschriftungen etwa der
            Straßennamen waren auf Hebräisch. Es ist klar, dass sich bei einer
            Künstlerin ein solcher Traum irgendwann in einer Arbeit wieder-
            finden musste. „Yael Bartana – Redemption Now“ (Erlösung jetzt)
            heißt die neue Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin , die bis
            zum 10. Oktober gezeigt wird. Darin sind mehr als 50 Arbeiten der
            israelischen Künstlerin, darunter Videoarbeiten, Fotografien und
            Lichtskulpturen, vereint. Es ist die erste umfassende Werkschau
            von Yael Bartana, Jahrgang 1970, die in Berlin und Amsterdam
            lebt.

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            Museumschefin Hetty Berg preist die Künstlerin als Amateur-An-
            thropologin, also als Menschenforscherin, die im Sinne des Muse-
            ums eine jüdische Sicht auf die Welt liefert. Wer die Ausstellung
            durchläuft – und für längere Videoarbeiten reichlich Zeit einplanen
            sollte –, wird vor allem die kluge politische Kunst entdecken, die
            provoziert, irritiert und verbindliche Antworten verweigert. In der
            Ausstellung wird die Frage gestellt, ob eine Heilsgestalt Erlösung
            bringen kann.
            Seit Hitler ist das Thema für die Mehrheit der Deutschen kaum
            noch relevant oder wird verdrängt. Gläubige Christen haben Jesus.
            Im Judentum hingegen spielt das Warten auf den Messias, der die
            Welt in eine bessere verändert, eine zentrale Rolle. Zum Selbstver-
            ständnis von Künstlern und Intellektuellen ­gehört es, diese Glau-
            bens- und Denk­modelle zu dekonstruieren.
            Albert Speers „Germania“ taucht im Wannsee auf
            Das Auftragswerk „Malka Germania“ steht im Mittelpunkt der
            Ausstellung. In einem dunklen Raum läuft auf drei großen Lein-
            wänden die 40-minütige Videoarbeit ab. Gezeigt wird die Ankunft
            einer androgynen Heilsgestalt in der deutschen Hauptstadt. „Malka
            Germania“ bedeutet im Hebräischen und Aramäischen „Königin
            Germania“. Germania ist dabei die Anspielung auf Albert Speers
            größenwahnsinniges Welthauptstadt-Projekt. Das Modell kommt
            irgendwann aus dem Wannsee hervor. Im Film fährt ein Trupp Sol-
            daten im Boot, im Hintergrund ist die Wannsee-Villa zu sehen, wo
            die Nazis den Holocaust beschlossen hatten. Zwischendurch er-
            scheinen ein orientalisches Kamel oder zwei Polizei-Schäfer-
            hunde. Die Erlösergestalt reitet standesgemäß auf einem Esel an
            der Siegessäule vorbei. Zwischendurch tanzen anmutig Mädchen
            durch den Wald oder trainieren beinhart junge Männer. Viel Blond
            glaubt man in den Bildern zu ­sehen. Gezeigt werden auch ent-
            spannt Badende am Wannsee.

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            Die Videoproduktion folgt auf den drei Leinwänden eher der Lo-
            gik des Traums, wie Sigmund Freud sie ­beschrieben hat. Die Bil-
            der überlagern einander überdeterminiert, sie folgen nicht dem ein-
            dimensionalen Prinzip von Ursache und Konsequenz, sondern ge-
            horchen den Gesetzen von Verdichtung und Verschiebung.
            Als Künstlerin ist Bartana längst zur Freud-Schülerin geworden.
            Es macht für den Betrachter also wenig Sinn, nach einer greifbaren
            Geschichte an verbindlichen Orten zu suchen. Es ist vielmehr ein
            Rausch von Erinnerungen, Beobachtungen und Traumata. Die Fi-
            gur der Malka bleibt letztlich ungreifbar. Und wer Künstler kennt,
            weiß, wie hoch die Identifikation mit den Hauptfiguren ihrer
            Werke sein kann. Kuratorin Shelley Harten wird beiläufig im Ge-
            spräch erzählen, dass für viele Israelis der Aufenthalt in Berlin, ein
            angstfreies jüdisches Leben in der Stadt, etwas von einer Katharsis
            habe.
            Eine Abstellkammer gehört zum Kunstwerk. Eine Sekunde lang ist
            man als Besucher irritiert, ob sie wirklich zur Ausstellung gehört
            und man hineingehen kann. Darin stehen Malka-Skulpturen und
            auch kleine Ausführungen, wie man sie im Museumsshop kaufen
            würde. Eine Skulptur scheint zerschlagen worden zu sein. Yael
            Bartana dreht die Traumebene weiter: Der Abstellraum ist quasi
            die Historisierung in der Zukunft. Es zeigt den Umgang von Ge-
            sellschaften mit ihren Heilsbringern und Denk­mälern.
            In der Schau befindet sich ein großer Studienraum. Inmitten der
            Bilderflut ist er ebenso langweilig wie wichtig. Aber man möchte
            das talmudische Prinzip vor Augen führen. Es ist das Prinzip, das
            humorvoll damit beschrieben wird, dass zwei Juden drei Meinun-
            gen haben. Im Talmud wird versucht, biblische Texte zu erklären,
            zu verstehen, neu zu deuten. Meinungen stehen über die Jahrhun-
            derte hinweg gleichberechtigt nebeneinander. Diese Mehrdeutig-
            keit, die man heute zeitgeistig gerne Diversity nennt, gehört zu
            Bartanas Kunstverständnis.
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            Otto Dix’ „Kriegskrüppel“ marschieren in der Animation
            Als erste Arbeit der Werkschau ist „Entartete Kunst Lebt“ von
            2010 zu sehen. Yael Bartana animiert darin Gestalten aus Otto Dix
            Gemälde „Kriegskrüppel“ von 1920 zu einem krächzend gewalti-
            gen Aufmarsch. „Für mich ist das eine Arbeit, die sehr gut mit
            ,Malka Germania’ funktioniert“, sagt Shelly Harten, „weil es eine
            Dimension der deutschen Geschichte auffächert.“ Dix’ Arbeit
            wurde als „entartet“ verboten, das Originalgemälde zerstört.
            Kurator Gregor H. Lersch verweist auf ein anderes Hauptwerk am
            Ende der Ausstellung. Die zwischen 2006 und 2011 entstandene
            Videotrilogie „And Europe Will Be Stunned“ erzählt die fiktive
            Geschichte, wonach drei Millionen Juden und Jüdinnen nach Po-
            len zurückgekehrt sind. „Es dreht sich alles irgendwie um das Epi-
            zentrum Deutschland herum“, sagt Lersch. Aber erst jetzt hat die
            Künstlerin mit „Malka Germania“ einen Blick auf Berlin gewor-
            den. Hinzuzufügen bleibt, dass es keine stille Ausstellung, sondern
            auch eine akustische Herausforderung ist.
            Jüdisches Museum, Lindenstr. 9-14, Kreuzberg. Tel. 25 99 33 00.
            Bis 10. Oktober.

            Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten.

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        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                        Freitag, 04.06.2021

                                         Lokal war damals schon global
        Die Könige der Bronzezeit: Eine Ausstellung in Halle sammelt neue Erkenntnisse zur
        Welt der Himmelsscheibe von Nebra.

        An Anschau­ung mangelt es der Archäo­lo­gie nicht. Im Gegen­teil, sie quillt gera­de­zu über davon, denn
        wo immer sie ihren Blick hinwen­det, kommen Dinge zum Vorschein: Vasen, Becher, Kult­bil­der, Gold­-
        ket­ten, Waffen, Grund­mau­ern, Gräber. Das Problem der Archäo­lo­gie, das sich in den Museen, ihren
        Schau­fens­tern, verdich­tet, ist ein ande­res. Ihren Funden, die oft aus schrift­lo­sen, lang versun­ke­nen
        Kultu­ren stam­men, mangelt es an Anschau­lich­keit. Die mensch­li­che Geschich­te, die sie aufbe­wah­ren,
        bleibt in ihnen verschlos­sen. Sie spre­chen nicht zum Betrach­ter. Man muss sie zum Reden brin­gen,
        indem man eine Geschich­te erzählt, die sie erhellt. Das ist dann nur noch zur Hälfte Wissen­schaft. Die
        andere Hälfte ist Speku­la­ti­on.

        Die Ausstel­lung „Die Welt der Himmels­schei­be von Nebra – Neue Hori­zon­te“ im halle­schen Landes­mu­-
        se­um für Vorge­schich­te erzählt eine Geschich­te aus der mittel­eu­ro­päi­schen Bron­ze­zeit, die ans Sagen­-
        haf­te grenzt. Im acht­zehn­ten Jahr­hun­dert vor Chris­tus macht sich ein Fürs­ten­sohn aus dem Gebiet
        zwischen Saale, Elbe und Harz auf den Weg ins Zwei­strom­land. Er über­quert die Alpen, besteigt in
        Südita­li­en ein Schiff, das ihn über Mykene nach Kreta bringt, reist von dort nach Byblos an der Küste
        des heuti­gen Liba­non und erreicht endlich das Baby­lon des Groß­kö­nigs Hammu­ra­bi. Dort erwirbt er
        das astro­no­mi­sche Wissen, das er oder einer seiner Bediens­te­ten später auf der Himmels­schei­be von
        Nebra fest­hal­ten wird.

        Erstaun­li­cher­wei­se gelingt es der Ausstel­lung in Halle, diese Saga vom bron­ze­zeit­li­chen Kultur­aus­-
        tausch plau­si­bel zu machen – nicht direkt glaub­haft, aber doch denk­bar und möglich. Dazu setzen die
        Kura­to­ren unter der Leitung des Muse­ums­chefs und sach­sen-anhal­ti­schen Landes­ar­chäo­lo­gen Harald
        Meller alle Mittel musea­ler Sugges­ti­on ein. Wer die Haupt­hal­le des neoro­ma­ni­schen Groß­baus von
        Wilhelm Kreis betritt, kommt in einen Stelen­kreis, der den Kult­stät­ten jener Epoche nach­emp­fun­den
        ist, aus der die Objek­te in den Vitri­nen stam­men. An der Nord- und Südsei­te des über­dach­ten Innen­-
        hofs, der von einem aus Dutzen­den Video­mo­ni­to­ren proji­zier­ten Ster­nen­him­mel gekrönt wird, strah­len
        auf hinter­leuch­te­ten Stell­wän­den die Mega­li­then von Stone­henge und die Holz­pfos­ten der Kreis­gra­ben­-
        an­la­ge von Pömmel­te.

        Pömmel­te bildet den ersten der „neuen Hori­zon­te“, welche die Ausstel­lung öffnen will, denn die seit
        2005 erschlos­se­ne Anlage nahe der Mündung der Saale in die Elbe doku­men­tiert den Über­gang von der
        Glocken­be­cher- zur Aunje­tit­zer Kultur, der die Himmels­schei­be von Nebra entstammt. Die Glocken­be­-
        cher­leu­te waren wie ihre Nach­barn, die Schnur­ke­ra­mi­ker, aus Vorder­asi­en einge­wan­dert, die Aunje­tit­-
        zer Kultur dage­gen entstand aus der Verschmel­zung beider Grup­pen. In Pömmel­te, das um 2000 vor
        Chris­tus ritu­ell abge­baut wurde, während die Sied­lung rings um den Kult­ort weiter­wuchs, zele­brier­te
        die neue Zeit ihren Sieg über die alte.

        Im Zentrum der Insze­nie­rung steht aller­dings die Himmels­schei­be. Ihre Faszi­na­ti­on ist seit ihrer
        Entde­ckung vor gut zwei Jahr­zehn­ten noch gewach­sen. Als Memo­gramm, das ein uraltes Berech­nungs­-
        prin­zip zum Ausgleich von Mond- und Sonnen­jah­ren verbild­licht, ist sie ebenso bedeu­tend wie als
        Kunst­werk aus Gold und Bronze. Die Gold­ap­pli­ka­te wurden inzwi­schen aufgrund ihres Zinn­ge­halts den
        Vorkom­men im engli­schen Corn­wall zuge­ord­net. Da die Schei­be zwei Jahr­hun­der­te lang mehr­fach
        verän­dert wurde, spricht das für ein festes Handels­netz zwischen Nebra und West­eu­ro­pa. Das astro­no­-
        mi­sche Wissen dage­gen, das auf der Schei­be in ihrer ersten Fassung fixiert war, konnte nur aus einer
        Schrift­kul­tur stam­men. Ein star­kes Indiz für seine baby­lo­ni­sche Herkunft ist, dass es binnen weni­ger
        Gene­ra­tio­nen verlo­ren ging. In ihrer letz­ten Verwen­dung war die Himmels­schei­be eine Art Feld­zei­chen,
        ein bloßes magi­sches Symbol. Als es auf einem Hügel bei Nebra in der Erde versenkt wurde, stand die

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        Aunje­tit­zer Kultur vor dem Erlö­schen. Auf ähnli­che Weise haben in der Spät­an­ti­ke die letz­ten Heiden­-
        pries­ter ihre Kultsta­tu­en begra­ben.

        Die nach einem Fund­ort bei Prag benann­te Kultur von Aunje­titz ist das eigent­li­che Thema der Ausstel­-
        lung. Ob ein mittel­deut­scher Prinz im acht­zehn­ten vorchrist­li­chen Jahr­hun­dert tatsäch­lich zum
        Euphrat reiste, wird wohl nie zu klären sein, aber es steht fest, dass die Aunje­tit­zer im Europa der
        frühen Bron­ze­zeit eine Schlüs­sel­po­si­ti­on einnah­men. Hier, an der mitt­le­ren Elbe, trafen die durch
        Europa verlau­fen­den Handels­we­ge für Bern­stein, Gold, Zinn und Kupfer zusam­men, gleich­zei­tig war
        die Gegend salz­reich und frucht­bar.

        Die These Mellers und seiner Kura­to­ren lautet nun, dass der Reich­tum, der aus dieser Konstel­la­ti­on
        entstand, zu einer stär­ke­ren Schich­tung der Gesell­schaft führte. Die Schnur­ke­ra­mi­ker und ihre stein­-
        zeit­li­chen Ahnen wurden von Pries­ter­häupt­lin­gen regiert, wie man auf Stelen aus dem drit­ten vorchrist­-
        li­chen Jahr­tau­send sehen kann, die Aunje­tit­zer dage­gen von Fürs­ten und Köni­gen. Ein Haupt­in­diz für
        diese hier­ar­chi­sche Glie­de­rung ist der Born­höck, ein Grab­hü­gel südlich von Halle, der im neun­zehn­ten
        Jahr­hun­dert zur Kohle­ge­win­nung abge­tra­gen wurde, dessen erhal­te­ne Reste aber von Mellers Kolle­gen
        in den vergan­ge­nen Jahren neu erforscht werden konn­ten. Der Herr­scher, der hier um 1700 vor Chris­-
        tus bestat­tet wurde, muss über unge­wöhn­li­che Ressour­cen verfügt haben, denn sein Grab gehör­te mit
        fünf­und­sech­zig Metern Durch­mes­ser und fünf­zehn Metern Höhe zu den größ­ten der Bron­ze­zeit. Im
        nahen Umkreis gefun­de­ne Horte mit Beilen und Stab­dol­chen deuten darauf hin, dass er auch über eine
        eigene, nach Rängen sortier­te Krie­ger­trup­pe verfüg­te.

        Zwei weite­re Fürs­ten­grä­ber in Helms­dorf und Leubin­gen bestä­ti­gen zugleich die Ausnah­me­stel­lung des
        Born­höck-Herr­schers und die Macht des neuen Adels. Ihre Ausstat­tung ist zugleich üppi­ger und
        einheit­li­cher als die frühe­rer Kultu­ren. Beson­de­re Beiga­ben wie ein Stein­keil, der schon damals Tausen­-
        de Jahre alt war, beto­nen den Ewig­keits­an­spruch der Ober­schicht. Dafür werden die reli­giö­sen Kult­-
        stät­ten in der Aunje­tit­zer Macht­sphä­re deut­lich klei­ner. Offen­bar legte man beim Zwie­ge­spräch mit den
        Göttern Wert auf Exklu­si­vi­tät.

        Dass eine solche sozia­le Ausdif­fe­ren­zie­rung in der Bron­ze­zeit kein Einzel­fall war, zeigen die Funde von
        El Argar in Südspa­ni­en. Dort blühte eine Kultur von stadt­ähn­li­chen Herr­scher­sit­zen, deren Führungs­-
        schich­ten unter­ein­an­der heira­te­ten. In Halle ist ein Silber­dia­dem zu sehen, das noch am Schä­del der
        Edel­da­me klebt, die es zu Lebzei­ten getra­gen hat. Um die Mitte des zwei­ten vorchrist­li­chen Jahr­tau­-
        sends ging El Argar im Feuer unter. Die Aunje­tit­zer Kultur dage­gen könnte einfach verdäm­mert sein.
        Ihre Gene sind bis heute in der Bevöl­ke­rung Mittel­eu­ro­pas nach­weis­bar.

        Im Schluss­teil öffnet die Ausstel­lung die Schatz­tru­he der Archäo­lo­gie. Mykene, Kreta, Amarna, Assiut,
        Wilt­shire, Jütland, Tirol und die Schweiz, sie alle brin­gen, aus euro­päi­schen Museen entlie­hen, ihre
        Kost­bar­kei­ten nach Sach­sen-Anhalt. Aber der wich­tigs­te Fund auf dem großen Gaben­tisch sind zwei
        kleine Bern­stein­per­len aus Assur. Um 1800 vor Chris­tus wurden sie dort zusam­men mit zahl­lo­sen klei­-
        nen Muscheln und ande­rem Perlen­schmuck in den Funda­men­ten der Zikku­rat des assy­ri­schen Groß­kö­-
        nigs Šamši-Adad I. versenkt. Die beiden bräun­li­chen Ringe aus Bern­stein stel­len bis auf Weite­res den
        einzi­gen greif­ba­ren Beweis dafür dar, dass Handels­gü­ter aus dem Ostsee-Raum bis ins Zwei­strom­land
        gelang­ten – und mit ihnen, wer weiß, viel­leicht auch ein Reisen­der aus der heuti­gen Gegend von Halle.

        Damit haben sie für die Ausstel­lung einen höhe­ren Wert als jedes früh­ge­schicht­li­che Gold-, Silber- und
        Bron­ze­schmuck­stück, das in den Vitri­nen des Landes­mu­se­ums schim­mert. Denn was sind schon alle
        Reich­tü­mer der Welt gegen eine gute Geschich­te?Andre­as Kilb

        Die Welt der Himmels­schei­be von Nebra – Neue Hori­zon­te. Landes­mu­se­um für Vorge­schich­te, Halle,
        bis 9. Januar 2022. Der reich bebil­der­te Kata­log kostet im Museum 19,80 Euro.

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            KULTUR                                                                                   SEITE 9 | FREITAG 4. JUNI 2021

            Der Barock kehrt in die Nikolaikirche zurück

            Paul Spies (l.), Vorstand und Direktor des Stadtmuseums Berlin, und Albrecht Henkys, Kurator
            der Nikolaikirche, vor der Kapelle Schindler. Maurizio Gambarini ffs

            Noch sind die Türme des ältesten intakten Kirchengebäudes in
            Berlins historischer Mitte eingerüstet und werden saniert. Doch im
            Inneren sind nun neue Einblicke in die Baugeschichte der Nikolai-
            kirche möglich: Von Freitag an können die zwei restaurierten und
            rekonstruierten Grabkapellen besichtigt werden. Der Berliner Hof-
            bildhauer und Schlüter-Schüler Johann Georg Glume (1679-1765)
            fertigte sie für die Familien Kraut und Schindler an, die dem poli-
            tischen und wirtschaftlichen Umfeld des brandenburgisch-preußi-
            schen Hofes entstammten.

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            Die leerstehende Schindler-Kapelle bot seit dem Wiederaufbau der
            Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg einen traurigen Anblick. Nun
            ist sie mit den skulpturalen Fragmenten bestückt worden und ver-
            mittelt einen anschaulichen Eindruck barocker Raumkunst, hier
            noch gesteigert durch natürlich einfallendes Licht. Im Zentrum der
            auferstandene Jesus Christus, zu seinen Seiten zwei Engel, leider
            ohne Köpfe. Vielleicht ließen sie sich an einem bis dato noch un-
            bekannten öffentlichen oder privaten Ort wieder auffinden, hofft
            man im Museum Nikolaikirche, das zum Stadtmuseum gehört. In
            der Kapelle Kraut im Eingangsbereich wird dagegen das Fehlen
            der zerstörten, unwiederbringlich verlorenen Decken- und Wand-
            malereien nun durch das Projekt „Kunstraum Kraut“ ausgeglichen,
            bei dem zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler sich im
            Wechsel einen modernen Reim auf die Ikonographie der Auferste-
            hung machen.
            Den Anfang machen Hans Scheib und Robert Weber mit ihrer fast
            comichaften, farbenfrohen Version des barocken Ursprungsbildes.
            Felix Müller
            Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz, Mitte. Informationen unter
            stadtmuseum.de

            Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten.

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       Freitag, 04.06.2021, Tagesspiegel / Kultur

       Die Berlinale- Lotterie
       Hurra, es gibt Berlinale-Tickets – und auf der Stelle geht nichts mehr. Wer sich gleich nach
       der Freischaltung am Donnerstag um 10 Uhr um Online-Karten für das „Summer Special“
       vom 9. bis 20. Juni bemüht, über die Weiterschaltung von der Berlinale-Webseite zu den
       16 Freiluftkinos oder direkt über deren Portale, ist schnell frustriert. „Leider ist ein Fehler
       bei der Verarbeitung Ihrer Anfrage aufgetreten“, ist da zu lesen. Oder: „Wegen des enor-
       men Andrangs kommt es derzeit zu Serverproblemen. Wir arbeiten mit Hochdruck
       daran, zusätzliche Kapazitäten bereitzustellen“. Oder schlicht: „Internal Server Error“.

       Enormer Andrang: Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die Menschen nach Kultur
       hungern, dann können die Open-Air- Server ihn liefern. Der Festivalbesuch erfordert mit
       Testnachweis und Einhaltung all der Corona-Regeln beim Pilotprojekt ja einen gewissen
       Aufwand – den die Fans offenbar nicht scheuen.

       Schnell verbreitet sich die Nachricht, dass zumindest über die Yorck-Kino-App nun doch
       Tickets fürs Sommerkino am Kulturforum erhältlich sind. Offenbar konnte mancher
       Dienstleister die Serverkapazität schnell erhöhen. Noch ruckelt es ein wenig, aber im
       Laufe des Tages funktioniert der Kartenerwerb etwa für die Hasenheide oder Friedrichs-
       hagen immer besser, und schon kurz nach 11 Uhr läuft es rund bei den Freiluftkinos Fried-
       richhain, Kreuzberg und Rehberge. Jetzt heißt es fix sein. Als erster Film ist dort Henrika
       Kulls „Glück“ ausverkauft.

       Ausgerechnet „Glück“, ein schönes Omen. Auch wenn „ausverkauft“ eigentlich bad luck
       bedeutet, wie beim Goldbären-Film „Bad Luck Banging or Loony Porn“. Die rumänische
       Satire über die Bigotterie der Corona-Gesellschaft war von der Jury bei der Branchen-Ber-
       linale im März zum Sieger gekürt worden, und im Sommerkino Schloss Charlottenburg ist
       sie gegen 13 Uhr ausverkauft, ebenso bei der zentralen Festival-Location auf der Museums-
       insel. „Zurzeit nicht verfügbar“: Vereinzelte Tickets wird es dort vielleicht in den nächsten
       Tagen doch noch geben, heißt es aus dem Berlinale-Büro.

       Dass die Berlinale den Ticketverkauf in diesem besonderen, zweigeteilten Jahr mit Publi-
       kums-Sommerevent nicht zentral organisiert, liegt übrigens daran, dass die Erlöse nicht
       dem Festival zugute kommen, sondern den Kinobesitzern. Oft betreiben sie außerdem In-
       door-Kinos oder einen Verleih, sind also erheblich von den Lockdowns betroffen. Die Ge-
       duld beim Durchklicken zum begehrten Open-Air- Platz dient also einem guten Zweck.

       Aber keine Sorge, noch finden sich zahlreiche der rund 60 000 Karten im Angebot. Ein
       Berlinale-Ticket zu ergattern, ist am Ende doch ein Klacks im Vergleich zum Windhund-
       rennen nach einem Impftermin auf Doctolib.

https://epaper.tagesspiegel.de//webreader-v3/index.html#/476541/20-21                                                  1/1
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