Prof. Dr. Tobias Chilla, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg - bmi.bund.de

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Innerstaatliche Vernetzung von
Grenzregionen
Prof. Dr. Tobias Chilla, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Inhaltsverzeichnis

 1. Hintergrund der Untersuchung                                             7
    1.1. Projektziel                                                         7
    1.2. Methodisches Vorgehen                                               7
    1.3. Begriff der Grenzregionen                                           8
    1.4. Governance und Vernetzung von Grenzregionen                         10
    1.5. Die Rolle der nationalen Ebene in den Border Studies                11
 2. Überblick                                                                13
 3. Länderprofile                                                            15
    3.1. Dänemark                                                            15
    3.2. Polen                                                               16
    3.3. Tschechien                                                          17
    3.4. Österreich                                                          18
    3.5. Schweiz                                                             20
    3.6. Frankreich                                                          22
    3.7. Luxemburg                                                           24
    3.8. Belgien                                                             27
    3.9. Niederlande                                                         28
    3.10. Ungarn                                                             30
    3.11. Italien                                                            31
    3.12. Schweden                                                           33
 4. Reflexionen im Hinblick auf die deutsche Situation                       36
    4.1. Hintergrund: die europäische Ebene                                  36
    4.2. Ausgangssituation in Deutschland                                    37
    4.3. Bedeutung der Erfahrungen aus den anderen Ländern für Deutschland   40
    4.4. Ausblick                                                            44
Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die INTERREG-Programmräume zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit                 9
Abbildung 2: Der Untersuchungsfokus: innerstaatliche Governance in Grenzräumen                   11
Abbildung 3: Ergebnisse im Überblick - vereinfachte Positionierung der untersuchten Staaten      13
Abbildung 4: Dänemark und ausgewählte grenzüberschreitende Kooperationsformen                    15
Abbildung 5: Ausgewählte Kooperationsformen entlang der polnischen Grenzen                       16
Abbildung 6: Grenzräume Tschechiens und ausgewählte Kooperationsformate                          18
Abbildung 7: Grenzräume Österreichs und ausgewählte Kooperationsformate                          19
Abbildung 8: Ausgewählte Kooperationsformen der Schweizer Grenzräume                             21
Abbildung 9: Grenzregionen Frankreichs und ausgewählte Kooperationsformate                       23
Abbildung 10: Ausgewählte Kooperationsformen an den Grenzen Luxemburgs                           25
Abbildung 11: Grenzräume Belgiens und ausgewählte Kooperationsformen                             27
Abbildung 12: Grenzregionen der Niederlande und ausgewählte Kooperationsformate                  29
Abbildung 13: Ungarische Grenzregionen und die aktiven EVTZ                                      30
Abbildung 14: Italienische Grenzregionen und ausgewählte Kooperationsformen                      32
Abbildung 15: Grenzregionen im Sinne der sog. Grenz-Komitees in Schweden                         34
Abbildung 16: Die Relevanz der betrachteten Formate für Deutschland im vereinfachten Überblick   41
Abkürzungsverzeichnis

   AdR          Ausschuss der Regionen
   AGEG         Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen
   BBSR         Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
   BMI          Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat
   CESCI        Central European Service for Cross-border Initiatives
   EFRE         Europäischer Fonds für regionale Entwicklung
   EMK          Konferenz der Europaminister
   EU           Europäische Union
   EUSAIR       EU-Strategie für die Region Adriatisch-Ionisches Meer
   EUSALP       EU-Strategie für die Alpine Region
   EVTZ         Europäischer Verbund für territoriale Zusammenarbeit
   GIS-GR       Geografisches Informationssystem der Großregion
   INTERREG A   Programm der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rahmen der eu-
                ropäischen Territorialen Zusammenarbeit
   IKM          Initiativkreis Europäische Metropolregionen in Deutschland
   IMeG         Initiativkreis der Metropolitanen Grenzregionen
   IPA          Instrument for Pre-accession Assistance
   MKRO         Ministerkonferenz für Raumordnung
   MORO         Modellvorhaben der Raumordnung
   MOT          Mission Opérationelle Transfrontalière
   ÖROK         Österreichische Raumordnungskonferenz
// Hintergrund der Untersuchung

                                                                  zu4. Dennoch stellt sich die Frage, ob hier noch unge-
1. Hintergrund der                                                nutzte Potenziale der Abstimmung, der Synergien und
 Untersuchung                                                     in Lernprozessen bestehen. Bei der Beantwortung
                                                                  dieser Frage liegt es nahe, zunächst einen Blick auf
                                                                  das Funktionieren in anderen Staaten zu werfen. Dies
1.1. Projektziel
                                                                  unternimmt die vorliegende Studie und zielt auf die
Die Grenzräume mit Beteiligung Deutschlands haben
                                                                  Analyse der innerstaatlichen Vernetzung der Grenz-
auf der Bundesebene in jüngerer Zeit zunehmend
                                                                  regionen in allen neun Nachbarstaaten Deutschlands
größere Aufmerksamkeit bekommen. Davon zeugt
                                                                  und in drei weiteren europäischer Staaten, nament-
die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“
                                                                  lich Ungarn, Italien und Schweden.
mit ihren Bezügen zu Grenzräumen1 und die beiden
MORO2-Projekte zur Raumbeobachtung in Grenzräu-
men (s. Kap. 4). Das Bemühen um den territorialen
                                                                  1.2. Methodisches Vorgehen
Zusammenhalt, der gerade auch in der aktuellen
                                                                  Die vorliegende Projektskizze geht von dem Ver-
EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands eine große
                                                                  ständnis aus, dass die Vernetzung von Grenzregio-
Rolle spielt, ist hiermit eng verbunden. Die Entwick-
                                                                  nen sowohl durch formalisierte, institutionalisierte
lung von Grenzräumen ist ein wichtiger Baustein für
                                                                  Vernetzungsformen sowie durch informelle Kommu-
die Entwicklung und Sicherung gleichwertiger Le-
                                                                  nikationswege und Austauschformate getragen wird.
bensverhältnisse.
                                                                  Im Bereich der institutionalisierten Vernetzungsfor-
   In Deutschland sind die meisten Fragen der
                                                                  mate spielen Fragen des Staatsaufbaus und der Ver-
grenzüberschreitenden (Raum-) Entwicklung auf
                                                                  waltungskultur eine erhebliche Rolle. Von beson-
der Länderebene angesiedelt, wo sie den jeweiligen
                                                                  derem Interesse sind der Formalisierungsgrad, die
Kontexten entsprechend bearbeitet werden. Die-
                                                                  beteiligten Akteure, die Ressourcenausstattung und
se regionalen Kontexte sind sehr spezifisch, zumal
                                                                  der Entstehungshintergrund.
Deutschland mit neun Nachbarstaaten recht unter-
                                                                     Die Studie behandelt eine recht spezialisierte
schiedliche Grenzräume hat. Dies gilt in sozio-ökono-
                                                                  Thematik, zu der wenig publiziertes Wissen vorliegt.
mischer, sprachlicher, historischer und naturräumli-
                                                                  Insofern ist zwar die Informationsgewinnung zu-
cher Hinsicht3. In der Entwicklung der Grenzräume
                                                                  nächst auf dem Wege der Desktoprecherche erfolgt,
kommt der nationalen Ebene eine begleitende Rolle
                                                                  die fachwissenschaftliche Publikationen und ‚graue
                                                                  Literatur‘ im Sinne von Studien, Gutachten usw. mit
1 ausf. s. www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat-integration/          eingeschränktem Publikationsgrad ausgewertet hat.
gleichwertige-lebensverhaeltnisse/gleichwertige-
lebensverhaeltnisse-node.html                                     Von zentraler Bedeutung aber waren die Informa-
2 Mit dem Aktionsprogramm „Modellvorhaben der Raumord-
nung“ (MORO) unterstützt das Bundesministerium des Innern,
                                                                  tionen, die von Experten und Expertinnen vor Ort
für Bau und Heimat (BMI) die praktische Erprobung und Umset-
zung innovativer, raumordnerischer Handlungsansätze und Inst-     4 s.a. Bundesministerium des Innern / EURO-Institut Kehl-
rumente in Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis,       Strasbourg (2014): Grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit
d.h. mit Akteuren in den Regionen vor Ort. Mit der Durchführung   deutscher Beteiligung. Ein Erfahrungsaustausch. Dokumentation
der MORO beauftragt ist das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und   der Veranstaltungen 2012 und 2013 in der Vertretung des
Raumforschung (BBSR).                                             Landes Baden-Württemberg, Berlin Redaktion J. Beck. www.
3 s. BMVI 2018, www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/                         euroinstitut.org/fileadmin/user_upload/07_Dokumentation/
veroeffentlichungen/ministerien/moro-praxis/2017/moro-            Publikationen/Download/Grenzuberschreitende_Zsarbeit_dt_
praxis-11-17.html                                                 Beteiligung.pdf

                                                                                                                             7
// Hintergrund der Untersuchung

in den jeweiligen Ländern gegeben wurden – meist                 1.3. Begriff der Grenzregionen
auf telefonischem Wege, gelegentlich auch auf dem
                                                                 Der Begriff der Grenzregion erscheint in der Alltags-
Wege der Videokonferenz und ergänzend auf dem
                                                                 sprache zunächst sehr eindeutig; aber sowohl in der
Email-Wege. Im September und Oktober 2020 sind
                                                                 politischen Praxis als auch im wissenschaftlichen
ca. 40 Interviews geführt worden, die alle Länder ab-
                                                                 Diskurs6 verbergen sich hierunter sehr unterschied-
decken. Diesen Ansprechpartnern gilt ein herzlicher
                                                                 liche Verständnisse.
Dank für die Unterstützung.
                                                                    Dies gilt zunächst in räumlicher Hinsicht, indem
                                                                 Grenzräume eher klein- oder großräumig abgegrenzt
Die Aufbereitung und Zusammenführung der In-
                                                                 werden. Von hoher Relevanz ist dabei die Abgrenzung
formationsquellen erfolgt im Wesentlichen in zwei
                                                                 der      grenzüberschreitenden         EU-Kooperationspro-
Schritten:
                                                                 gramme (im Folgenden als INTERREG A bezeichnet)7.
    a) Länderprofile: In Form von kompakten Länder-
                                                                    Abb. 1 zeigt die Förderkulissen für die Förder-
profilen werden die wesentlichen Erkenntnisse zu-
                                                                 periode 2014-20 (die Modifikationen für die anste-
sammengeführt, die einen Eindruck über das jeweili-
                                                                 hende Förderperiode sind noch nicht beschlossen8).
ge innerstaatliche Funktionieren vermitteln (Kap. 3).
                                                                 Offensichtlich ist auf den ersten Blick, dass hier sehr
Diese enthalten jeweils eine Überblicksskizze über
                                                                 unterschiedliche Raumzuschnitte zugrunde liegen.
die relevanten Kooperationsformen5. Einen synop-
                                                                 Während in Skandinavien oder in Osteuropa nahe-
tischen Überblick der Gesamtsituation bietet vorab
                                                                 zu ganze Staaten als Grenzregion erscheinen, ist in
Kap. 2.
                                                                 Deutschland das Verständnis deutlich enger, indem
    b) Potenzialanalyse der Instrumente: Im An-
                                                                 der Fokus auf den Landkreisen entlang der Grenzen
schluss an die Analysen der jeweiligen Staaten er-
                                                                 liegt.
folgt eine Reflexion, inwieweit die identifizierten
                                                                    Zwar ist diese Form der Institutionalisierung von
Vernetzungs- und Koordinierungsweisen als Ins-
                                                                 Grenzräumen durchaus wichtig, aber bei Weitem nicht
piration oder Potenzial für den deutschen Kontext
                                                                 die einzige und nicht immer die relevanteste Sicht-
gewertet werden können. Diese Reflexion ist nicht
                                                                 weise. Deutlich großräumigere Zuschnitte – wie die
als Handlungsempfehlung oder gar als ministerielle
                                                                 sog. Großregion um Luxemburg und deutlich kleinere
Wertung anzusehen. Vielmehr handelt es sich um ei-
                                                                 Zuschnitte – wie bei einigen ungarischen Kooperati-
nen wissenschaftlichen Interpretationsschritt.
                                                                 onsformaten – überlagern sich vielfältig9. Vor diesem
    Die vorliegende Studie ist als eine explorative Un-
tersuchung zu sehen, die einen Überblick verschafft,             6 Für viele: Paasi, A. (2012): Border studies reanimated: going
                                                                 beyond the territorial/relational divide. Environment and Plan-
aber im Detail keinen Anspruch auf Vollständigkeit               ning A 44 (10), 2303-2309; Zumbusch, K., R. Scherer (2019):
                                                                 Cross-border cooperation in political science. In: Beck, J. (Hg.):
erhebt.                                                          Transdisciplinary discourses on cross-border cooperation in
                                                                 Europe. Peter Lang Frankfurt, S. 29-57
                                                                 7 Madeiros, E. (2018): European Territorial Cooperation. Theo-
                                                                 retical and Empirical Approaches to the Process and Impacts of
                                                                 Cross-Border and Transnational Cooperation in Europe. Sprin-
5 Grundlagen der kartographischen Darstellungen sind neben       ger.
den Expertenauskünften die AGEG-Mitgliedskarte www.aebr.         8 https://ec.europa.eu/regional_policy/de/policy/cooperation/
eu, die MOT-Grenzraumprofile www.espaces-transfrontaliers.       european-territorial/cross-border/#4
org/en/bdd-borders sowie Wassenberg, B., B. Reitel, J. Peyrony   9 Knippschild, R. (2018): Kooperation, grenzüberschreitende.
(2015): Die territoriale Zusammenarbeit in Europa. Eine          Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.):
historische Perspektive ec.europa.eu/regional_policy/sources/    Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung. Hannover, S.
information/pdf/brochures/interreg_25years_de.pdf                1203-1210

8
// Hintergrund der Untersuchung

  0    500 Km

                                                                            0         250 Km

                                                                            0    500 Km

                                                                                  0            450 Km
                                                                                                        REGIOgis

Abb. 1: Die INTERREG-Programmräume zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (Quelle: EU KOM8)

                                                                                                                   9
// Hintergrund der Untersuchung

Hintergrund werden für die Länderprofile kartogra-                 1.4. Governance und Vernetzung
phische Skizzen eingefügt, die die aktuelle Situation              von Grenzregionen
charakterisieren. Auch aus Gründen der Übersicht-
                                                                   Trotz aller Dynamik des europäischen Integrations-
lichkeit werden die INTERREG-A-Programmperime-
                                                                   prozesses bleiben Fragen der Entwicklung von Grenz-
ter nicht dargestellt; ebenso bleiben die historisch
                                                                   räumen weitgehend ein Gegenstand der national-
bedeutsamen Städtepartnerschaften außen vor. Im
                                                                   staatlich verankerten politischen Mandate, wobei der
Fokus dieser Studie stehen vielmehr Kooperations-
                                                                   regionalen und kommunalen Ebene in den jeweiligen
formate, die einen eigenen Institutionalisierungspro-
                                                                   Mehrebenensystemen entsprechende Kompetenzen
zess vor Ort voraussetzen. Besonders prominent sind
                                                                   zukommen13. Dies führt dazu, dass an nationalstaat-
hierbei die Euregios (oder Euroregionen), die sich
                                                                   lichen Grenzen oft sehr unterschiedliche Politik- und
seit den 1970er Jahren europaweit als sehr wichtige
                                                                   Verwaltungssysteme miteinander kooperieren. Dies
Kooperationsform etabliert haben, wobei sich deren
                                                                   geht mit unterschiedlichen Herausforderungen ein-
Rechtsform stark unterscheidet10. Im zurückliegen-
                                                                   her, wofür letztlich kaum ‚Standardlösungen‘ vor-
den Jahrzehnt ist zudem die Form des Europäischen
                                                                   liegen. Vielmehr müssen je nach Institutionen- und
Verbundes für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ)
                                                                   Akteurs-Setting geeignet Formate gesucht werden.
zunehmend häufig installiert worden11. Diese EVTZ
                                                                   Auch deshalb kommt in den Border Studies (also der
beruhen auf EU-Verordnungen von 2006 bzw. 2013
                                                                   Forschung zu Grenzräumen) dem Konzept der Gover-
und ermöglichen eine eigene Rechtsform in Grenz-
                                                                   nance große Bedeutung zu: Governance wird hierbei
räumen, also eine vergleichsweise starke Form der
                                                                   als Steuerungsform des Politikgeschehens neben der
Institutionalisierung12. Darüber hinaus besteht eine
                                                                   Hierarchie gesehen, die vor allem Netzwerke in den
Vielzahl von regional spezifischen Formaten jenseits
                                                                   Fokus stellt. Dieser Netzwerk-Begriff meint zum ei-
von Euregios, EVTZ usw., die mit einbezogen werden
                                                                   nen ein offenes Akteurs-Setting, das neben den ‚ei-
können. Großräumigere, transnationale Kooperati-
                                                                   gentlich zuständigen‘ eine Reihe weiterer Instituti-
onsformen werden zwar angesprochen, stehen aber
                                                                   onen und Vertreter einbeziehen kann. Dies umfasst
nicht im Fokus dieser Studie.
                                                                   andere sektorale Politikbereiche, aber auch Vertreter
                                                                   aus verschiedenen Stakeholder-Bereichen14.
                                                                      Die Vielfalt der Strukturen und die limitierte Steu-
                                                                   erungskapazität ‚über die Grenze hinweg‘ bedeutet,
                                                                   dass Akteure aus sehr unterschiedlichen Kontexten
                                                                   im Fokus der vorliegenden Studie sind, die vor viel-
10 Guillermo Ramírez, M. (2018): Institutionalisation of
cross-border cooperation: The role of the Association of Euro-     fältigen Herausforderungen stehen. Insofern ist von
pean Border Regions. In: Havlícek, T., M. Jerábek, J. Dokoupil
(eds.): Borders in Central Europe after the Schengen Agreement.    vornherein kein einfaches Rezept zu erwarten, son-
Springer, Cham, S. 93-101
                                                                   dern eher einige Komplexität. Die Studie stellt sich
11 Evrard E., Engl A. (2018) Taking Stock of the European
Grouping of Territorial Cooperation (EGTC): From Policy            letztlich einer klassischen Herausforderung der Bor-
Formulation to Policy Implementation. In: Medeiros E. (eds.)
European Territorial Cooperation. The Urban Book Series.
Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-74887-           13 Plangger, M. (2019): Exploring the role of territorial actors in
0_11                                                               cross-border regions. Territory, Politics, Governance 7 (2): 156-
12 Beck, J. (2017): Cross-Border Cooperation and the Challenge     176. https://doi.org/10.1080/21622671.2017.1336938
of Transnational Institution-Building – the Example of the Euro-   14 Nienaber, B., C. Wille (2020, eds.): Theme Issue: Cross-border
pean Grouping of Territorial Cooperation (EGTC). RECERC Revue      cooperation in Europe: Networks, Governance, Territorialisation.
électronique du Consortium d’Études Catalanes.                     28 (1), www.tandfonline.com/toc/ceps20/28/1?nav=tocList

10
// Hintergrund der Untersuchung

                                                           grenzüberschreitende
           innerstaatliche Governance                          Governance
           in Grenzräumen

            Europäische Union

            Nationalstaat

            Region
            (z.B. Bundesland)

            Sub-Region (z.B.
            Regierungsbezirke)

            Kommunale Ebene
            (Landkreise, Gemeinden)

                                                                 Staatsgrenze

Abb. 2: Der Untersuchungsfokus: innerstaatliche Governance in Grenzräumen

der Studies, nämlich: „Finding the right level […]: How                 liche Governance von Grenzraumfragen in den Blick
to find the right degree of institutionalization and                    nimmt, wird eine veränderte Perspektive eingenom-
the appropriate legal form for different cross-border                   men, die in der bisherigen Debatte, jedenfalls explizit,
tasks by developing a good balance between open                         allenfalls eine geringe Rolle spielt.
network and classical organizational approaches
whenever structuring the cross-border working con-
text; how to avoid both institutional sclerosis and in-                 1.5. Die Rolle der nationalen Ebe-
formal/individual arbitrariness?“          15
                                                                        ne in den Border Studies
   Dabei hat in der Forschung der vergangenen Jahre
                                                                        Doch auch wenn die Fragestellung der vorliegenden
eine intensive Debatte um grenzüberschreitende Go-
                                                                        Studie in dieser Form bislang kaum thematisiert wor-
vernance stattgefunden, wobei der Fokus klar auf der
                                                                        den ist, finden sich in den Border Studies vielfältige
grenzüberschreitenden Perspektive gelegen hat (Abb.
                                                                        Aussagen zur Rolle der nationalen Ebene. Diese las-
2). Indem die vorliegende Studie aber die innerstaat-
                                                                        sen sich vereinfachend in drei Strängen zusammen-
15 Beck, J. (2019): Cross-border cooperation in Europe as an            fassen.
object in transdisciplinary research, in: Beck, J. (Ed.): Transdisci-
plinary discourses on cross-border cooperation in Europe. Peter
Lang Frankfurt, S.18

                                                                                                                               11
// Hintergrund der Untersuchung

a) Der Fokus auf ‚nationale Peripherien‘                   dass bei aller Berechtigung der Diskussion um Meh-
Schon seit den frühen Arbeiten werden „Grenzen zu-         rebenen-Governance der Nationalstaat nicht zwangs-
meist als Barrieren und Grenzräume überwiegend             läufig in die Defensive gerät, sondern auch in der Po-
aus nationalstaatlicher Perspektive als benachteilig-      litik der Grenzräume eigene Interessen vertreten und
te und periphere Gebiete betrachtet, in denen durch        umsetzen kann18.
die Trennwirkung der Grenze wirtschaftliche Nach-             Die Etablierung von Kooperationsformaten in
teile überwiegen“ . Der Nationalstaat hat diese am
                     16
                                                           den Grenzräumen von Nationalstaaten kann in ver-
‚Rande‘ gelegenen Räume zu unterstützen – sowohl           schiedenen Zeiten mit sehr konkreten Interessen
im Sinne der Regionalentwicklung als auch im Sinne         in Verbindung gebracht werden: So war nach dem
einer Festigung des nationalstaatlichen Gestaltungs-       2. Weltkrieg – insbesondere an der Westgrenze
raums. Zwar hat sich der Blick vom Trennenden auf          Deutschlands – die Frage von Friedenssicherung und
das Verbindende und die Verflechtungen erweitert.          Versöhnung von wesentlicher Bedeutung. Nach der
Aber gerade in der politischen Praxis haben die Be-        Öffnung des ‚Eisernen Vorhangs‘ spielte die Stabilisie-
mühungen um Kohäsion und Gleichwertigkeit der Le-          rung des neuen geopolitischen Settings – v.a. an den
bensverhältnisse nicht an Relevanz eingebüßt.              (neuen) Ostgrenzen Deutschlands – eine wichtige
                                                           Rolle. Aus Sicht der osteuropäischen Länder standen
b) Die Perspektive der ‚Mehrebenen-Governance‘             Kohäsionsprozesse und die Etablierung in der euro-
Mit der deutlichen Stärkung der europäischen Regio-        päischen Politikgestaltung auf der Agenda. In jünge-
nalpolitik seit den 1990er Jahren kam die Debatte um       rer Zeit haben die Krisen um die Migrationsströme
die Mehrebenen-Governance auf. Grenzräume wer-             von 2015 und der Pandemie seit 2020 gezeigt, dass
den nun weniger als ‚Ränder‘ der Nationalstaaten ge-       sich Fragen der nationalen Sicherheit gerade auch an
sehen, sondern als eigene Räume, die sich entlang der      europäischen Binnengrenzen manifestieren.
Grenze kristallisieren und auf sozio-kulturellen oder         Dabei ist die sekundäre Außenpolitik nicht auf die
ökonomischen Gemeinsamkeiten aufbauen können:              nationale Ebene beschränkt; auch die regionale Ebe-
„The boundary creates its own distinctive region, ma-      ne kann die Grenzraumpolitik vor allem im Hinblick
king an element of division also the vehicle for regio-    auf Minderheiten-Fragen und Bestrebungen um eine
nal definition“ . In dieser Debatte wird die nationale
                17
                                                           stärkere autonome Stellung nutzen.
Ebene gelegentlich in der Defensive gesehen, indem
sich sowohl auf der europäischen, transnationalen          Die aufgezeigten Debatten bieten für die vorliegende
Ebene als auch auf der regionalen Ebene neue Gestal-       Studie punktuelle Referenzpunkte. Die innerstaatli-
tungsmöglichkeiten ergeben, an denen die nationale         che Vernetzung von Grenzregionen ist potenziell eine
Ebene nur bedingt partizipieren kann.                      relevante Facette dieser Debatten, ohne dass aller-
                                                           dings vorgegeben wäre, wie eine zielführende Ver-
c) Die Perspektive der ‚sekundären Außenpolitik‘           netzung auszusehen hat.
Die Debatte um die ‚sekundäre Außenpolitik‘ betont,
                                                           18 Klatt, M., B. Wassenberg (2017) Secondary foreign policy: Can
                                                           local and regional cross-border cooperation function as a tool for
16 Scherhag, D. (2008): Europäische Grenzraumforschung.    peace-building and reconciliation? Regional & Federal Studies,
ARL E-Paper 2. https://shop.arl-net.de/europaische-        27 (3): 205-218, DOI: 10.1080/13597566.2017.1350652
grenzraumforschung.html, S. 2                                Stokłosa, K.; G. Besier (2014): European Border Regions in
17 Minghi, J., D. Rumley (1991): The Geography of Border   Comparison: Overcoming Nationalistic Aspects or Re-Nationaliz-
Landscapes. Routledge, S. 15                               ation? Routledge.

12
// Überblick

                                                                       Die Graphik enthält zunächst drei Arten von Informa-
                                                                       tion:
                                                                       • Die Größe der Quadrate nimmt Bezug auf die Ein-
2. Überblick                                                           wohnerzahlen der Länder, die hier in drei Klassen
                                                                       zusammengefasst ist. Mit zunehmender Größe der
Bevor die Informationen nach Ländern differenziert                     Länder geht tendenziell eine höhere räumliche Ent-
und detaillierter erläutert werden, stellt Abb. 3 die                  fernung zwischen den Grenzraumakteuren auch in-
Erkenntnisse in stark verdichteter und graphischer                     nerhalb eines Landes einher und eine höhere Anzahl
Art dar. Die starke Vereinfachung einer solchen Dar-                   an Gebietskörperschaften, Akteuren usw. Dies ist für
stellung ist naturgemäß angreifbar, zumal eine sys-                    Fragen der Vernetzung und Koordinierung potenziell
tematische Quantifizierung der Erkenntnisse nicht                      von Bedeutung.
möglich ist. Dennoch gibt es solide Argumente, die                     • Die x-Achse zeigt die Intensität der innerstaatli-
eine ungefähre Positionierung der jeweiligen Länder                    chen Vernetzung. Diese kann im Einzelfall sehr un-
in dieser Graphik plausibel machen können, und die                     terschiedliche Gestalt annehmen und beinhaltet z.B.
in den nachfolgenden Kapiteln dargelegt werden.                        die Häufigkeit von Treffen und Anzahl von Gremien,

Vernetzungs-
Ebene
                                                SE
         zentral
                                                                                                  HU     FR
                                                                  LU
                                      CZ
                                                          NL

                                                     AT
                                                                               PL

                                                DE                                  CH
                             DK
                                           IT
       förderal /
       dezentral
                             BE

                    gering                                                                               hoch
                                                                                                       Vernetzungs-
                                                                                                       Intensität
                     < 1 Mio. Einw.             1-30 Mio. Einw.                 > 30 Mio. Einw.

Abb. 3: Die innerstaatliche Vernetzung von Grenzregionen im Überblick - vereinfachte Positionierung der unter-
suchten Staaten

                                                                                                                               13
// Überblick

die strategische Orientierung, die Ressourcenausstat-      Die Ergebnisse zeigen also, dass es a) eine große Viel-
tung usw.                                                  falt an Ausgestaltungen der innernationalen Vernet-
• Die y-Achse illustriert die Ebene, auf der die Vernet-   zungen gibt und dass dabei b) keine einfachen Mus-
zung primär verankert ist und unterscheidet hierbei        ter oder Erklärungsansätze vorliegen. Es kommt in
die eher zentrale bzw. dezentrale Verankerung. Hier        hohem Maße auf die jeweiligen Ausgestaltungen vor
wird näherungsweise erfasst, in welchem Verhältnis         Ort an, die insofern Ausdruck der europäischen Viel-
die eher national-koordinierenden zu den eher regio-       falt sind.
nalen, bottom-up-Vernetzungen stehen.
     Die Graphik impliziert auf den ersten Blick folgen-   Die nachfolgenden Länderprofile erläutern und kon-
de Aspekte:                                                kretisieren dies.
• Es deutet sich ein gewisser Zusammenhang zwi-
schen der Intensität der Vernetzungen und der Veran-
kerung auf der zentralen Ebene an: Je stärker die na-
tionale Koordinierung, desto höher die Intensität der
Vernetzung. Dies ist aber nicht zwangsläufig der Fall.
Beispielsweise ist in der Schweiz und eingeschränkt
auch in Österreich die Vernetzung intensiver als in et-
lichen nicht-föderalen Staaten. Wie später zu sehen
sein wird, liegt dies primär an einer formalen Ver-
zahnung der Institutionen des Mehrebenensystems.
Einschränkend muss bedacht werden, dass die infor-
mellen Vernetzungen im Rahmen dieser Studie nur
punktuell erfasst werden konnten.
• Ein Zusammenhang zwischen der Größe des Landes
und der Vernetzungsintensität ist nicht erkennbar.
Auch wenn es grundsätzlich plausibel erscheint, dass
die größeren Entfernungen zwischen den Beteiligten
und deren insgesamt größere Zahl typischerweise zu
spezifischen Vernetzungsformen führen, so ist dies
nach dieser Darstellung nicht zu erkennen: Andere
Erklärungsfaktoren spielen offenbar eine stärkere
Rolle.
• Ost-West-Unterschiede sind kaum erkennbar. Auch
wenn in den drei betrachteten Staaten Polen, Tsche-
chien und Ungarn Elemente zentraler Organisations-
formen zu finden sind, sind die Unterschiede so groß,
dass eine Kategorisierung nach Ost und West nicht
zulässig erscheint.

14
// Länderprofile

                                                                    DÄNEMARK

                                                                           NOR

3. Länderprofile
                                                                                                       Göteborg

                                                                                                Öresund/     SWE
                                                                                               Greater Copenhagen
3.1. Dänemark                                                                                  Region
                                                                                                   Kopenhagen
                                                                                                                Malmö
Ausgangssituation
Dänemark hat eine 68 km lange Landgrenze zu
                                                                    Sønderjylland -                       Fehmarnbelt
Deutschland und eine große räumliche Nähe über
                                                                      Schleswig
die Seegrenze hinweg zu Schweden (Brücken-Tun-                                                                                    PL
                                                                                             Hamburg
nel-Verbindung im Öresund und eine ca. 5 km lange                                   100 km        DEU                   Entwurf: T. Chilla 2020
                                                                                                                        Kartographie: S. Adler
Fährverbindung Helsingør / Helsingborg). Die Entfer-
nung zu Norwegen über die Seegrenze ist erheblich                   Abb. 4: Dänemark und ausgewählte grenzüberschrei-
                                                                    tende Kooperationsformen
größer (ca. 100 km) und wird hier nicht betrachtet.
   Grundsätzlich gilt, dass in diesem Raum eine gro-
ße kulturelle (und auch sprachliche) Nähe auch über                 Vernetzungsformen
Grenzen hinweg besteht. Zugleich besteht über die                   Die drei maßgeblichen Kooperationsformate zeich-
Minderheiten-Thematik im Raum Süddänemark /                         nen sich durch sehr unterschiedliche Konstellationen
Schleswig eine nicht unkomplizierte Ausgangssitua-                  und Ausgestaltungen aus:
tion .
    19
                                                                    • Die Euregio Sønderjylland-Schleswig ist erst 1997
   Auch aufgrund des naturräumlichen Kontextes                      gegründet worden und ist damit eine recht junge Ko-
spielen Infrastruktur-Fragen in diesem Raum eine                    operationsform; zugleich besteht hiermit die einzige
erhebliche Rolle: Während die Öresund-Querung als                   Euregio mit dänischer Beteiligung.
Erfolgsgeschichte der grenzüberschreitenden An-                     • Die Region Fehmarnbelt beruht auf einer recht lo-
bindung gilt, so ist die Umsetzung des Fehmarnbelts                 ckeren Organisation. Zwar existiert ein gemeinsames
durch rechtliche Klärungen vor allem auf deutscher                  INTERREG-Sekretariat in Eutin, aber keine weiteren
Seite ein recht langatmiger Prozess, der jüngst aber                Kooperationsstrukturen.
einen wichtigen Schritt gemacht hat .       20
                                                                    • Die Grenzregion Öresund ist von einiger Dynamik
                                                                    geprägt: Für etliche Jahre war die Kooperation in die-
19 Graw-Teebken, A. (2020): 1920-2020 Das deutsch-dänische
Grenzgebiet - von der Grenzziehung bis zur Zusammenarbeit.          sem Raum recht stark institutionalisiert und sichtbar
Ein historischer Rückblick. www.region.de/region/de/ueber_
uns/publikationen/Publikationen_Zusammenarbeit.php
                                                                    in Form des Öresund-Komitees. Dies ist in jüngerer
  Klatt, M. (2017): The Danish-German Border Region: Caught         Zeit zum Greater Copenhagen Committee restruktu-
between Systemic Differences and Re-bordering. Eurasia Border
Review 8(1): 15-30. http://src-h.slav.hokudai.ac.jp/publictn/       riert worden.
index4.html                                                           In Dänemark besteht keine formale Struktur zur
20 Aktuell: www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/
Fehmarnbelttunnel-darf-nach-Leipziger-Urteil-gebaut-                Vernetzung der drei Grenzregionen. Aufgrund der
werden,fehmarnbelt436.html; zum Hintergrund Guasco, C. N.
(2015): Cross-border cooperation in the Fehmarn Belt Region: A
                                                                    ‚übersichtlichen‘ Situation bestehen aber eine Reihe
political integration perspective. Roskilde Universitet. https://   von informellen Kontakten und persönlichen Netz-
rucforsk.ruc.dk/ws/files/56392881/Ph.d._afhandling_clement_
guasco_3.0.pdf                                                      werken. Dabei ist es charakteristisch für informel-

                                                                                                                                                  15
// Länderprofile

le Vernetzungsformen, dass die           POLEN                                                          LVA
                                                                               Euroregion Baltic
Qualität maßgeblich vom jeweili-                      SWE
                                                                                                                 Euroregion Šešup˙
gen persönlichen Engagement ab-
                                         Kopenhagen
                                                                                                                                  Vilnus
hängt und personelle Fluktuation          Malmö
                                                                                Euroregion
                                                                                Lyna-Lawa                                 LTU
die Aktivitäten erschweren kann.                                                                      RUS                                               Minsk
                                                                                Danzig                                                            BLR
     Parallel erfolgen auf dem Wege
                                                                                                                                             Euroregion
der Vorbereitung und Durchfüh-                                                                                                               Nemunas
                                                                        Euroregion
rung der INTERREG-Programme                                 Stettin     Pomerania                      Euroregion Puszcza
                                                                                                            Białowieska
eine Reihe von de-facto-Vernet-
                                          DEU                         Euroregion PRO                  Warschau
zungen, die in Dänemark über das                                      EUROPA VIADRINA
                                            Berlin
Wirtschaftsministerium durchge-                                       Euroregion
                                                                      Spree-Neisse-Bober                  Euroregion
                                                                                                               Bug
führt werden.
                                          Euroregion                                 Euroregion
     Zwar ist Dänemark Mitglied           Neisse-                                   Prad˜d -Pradziad
                                          Nisa-Nysa                                            Euroregion Silesia                          Lwiw
im Nordischen Rat, wo Grenzfra-                                                                                                                     UKR
                                                       Euroregion                                           Krakau
                                                                                                                              Carpathian
                                                        Glacensis
gen eine zentrale Rolle spielen                         Prag
                                                                                                                              Euroregion
                                                                Euroregion T˜šínské
(ausführlicher beim Länderpro-                        CZE    Slezsko - °l˛sk Cieszy˝ski                              Euroregion
                                                                                               Euroregion
fil Schweden, Kap. 3.12). Da aber                                                              Beskidy -     SVK      Tatry
                                                                                               Beskydy
                                           DEU                        AUT
nur die Öresund-Region mit der                          100 km               Wien        Bratislava                    HUN                  Entwurf: T. Chilla 2020
                                                                                                                                            Kartographie: S. Adler
Grenze zwischen Dänemark und
Schweden vom Vertragsgebiet              Abb. 5: Ausgewählte Kooperationsformen entlang der polnischen Grenzen
des Nordischen Rats erfasst ist,
spielt dies für innerstaatliche Netzwerke keine Rol-                        gewählten Marshalls politisch gesteuert, wobei jeder
le .
  21
                                                                            Woiwodschaft von der Zentralregierung in Warschau
                                                                            ein Woiwode zugeteilt ist, der vom Premierminister
3.2. Polen                                                                  ernannt ist und – den sog. Präfekten in anderen euro-
                                                                            päischen Staaten nicht unähnlich – eine recht promi-
Ausgangssituation                                                           nente Funktion einnimmt22. Der EU-Beitritt 2004 und
Polen hat mit sieben sehr unterschiedlichen Ländern                         der Schengen-Beitritt 2007 führten zu einer Intensi-
eine Landgrenze und mit Schweden über die Ostsee                            vierung der Verflechtungen in den Grenzräumen.
hinweg einen weiteren nahen Nachbarn (s. Abb. 5).                           Heute gibt es 16 Euroregionen, welche sich entlang
     Im Gefolge der Öffnung Richtung Westen wurde in                        aller polnischen Außengrenzen erstrecken. Es existie-
den 1990er Jahren eine Selbstverwaltungsreform in                           ren bilaterale Euroregionen, aber auch großräumige
Polen durchgeführt, als deren Ergebnis insgesamt 16                         Kooperationen mit bis zu fünf unterschiedlichen na-
Regionen (Woiwodschaften) als politische Mittelebe-                         tionalen Beteiligungen im Falle der Euroregion Baltic.
ne zwischen Nationalstaat und kommunaler Ebene
etabliert wurden. Die Woiwodschaften werden durch
die Regionalparlamente und des aus ihren Reihen
                                                                            22 Opiłowska, E. (2019): Regionalisation in Poland: background,
21 https://nordregio.org/maps/nordic-cross-border-co-                       features and public perception. A first appraisal, Belgeo https://
operation-committees-2018                                                   journals.openedition.org/belgeo/34254

16
// Länderprofile

Vernetzungsformen                                        jedoch nicht bekannt25.
Einerseits sind im traditionell zentral geprägten Na-       Als weitere Vernetzungsformen lassen sich die
tionalstaat Polen Fragen der grenzüberschreitenden       INTERREG-Programmräume sowie informelle Ab-
Zusammenarbeit eng mit der nationalen Außenpo-           stimmungen auf Projektebene oder in Programmie-
litik verbunden. Dies ist angesichts der geopoliti-      rungsprozessen nennen. Hier ist zu betonen, dass die
schen Implikationen, die sich aus den Beziehungen        Marshalls der Woiwodschaften auch Mitglieder in
insbesondere auch zu den östlichen Nachbarn er-          den Ausschüssen der Programmräume sind und so
geben, naheliegend. Aber auch bei der Erarbeitung        eine Vernetzung über den eigenen Grenzraum hin-
des gemeinsamen „Zukunftskonzept 2030 für den            weg – aber meist nur entlang der Grenze zu dem je-
deutsch-polnischen Verflechtungsraum“23 war die          weiligen Nachbarstaat – stattfindet.
nationale Ebene von tragender Bedeutung.
   Die aktive Rolle der nationalen Ebene in grenz-       3.3. Tschechien
überschreitenden Fragen darf aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass auf regionaler Ebene eine star-     Ausgangssituation
ke Vernetzung mit ‚bottom-up‘-Dynamik besteht: Auf       Die Überblickskarte zeigt die recht hohe Zahl an Ko-
der operativen Ebene sind die Euroregionen und Woi-      operationsstrukturen in Tschechien, die vor allem im
wodschaften die zentrale Anlaufstelle, bei denen eine    Euregio-Format bestehen (Abb. 6). Diese Euregios
hohe Anzahl an praktischen Problemen aufläuft. Um        bzw. Euroregionen sind zumeist in Form von bi- oder
hier auch gegenüber den zentralen Stellen eine starke    multilateralen Vereinen verfasst, wobei diese Vereine
Stimme zu haben und um voneinander zu profitieren,       jeweils Mitglied beim Pendant auf der anderen Seite
ist in den vergangenen Jahren die innerstaatliche Ver-   der Grenze sein können. Es handelt sich hierbei also
netzung erheblich verstärkt worden.                      um eine vergleichsweise wenig institutionalisierte
   Seit 1995 besteht auf dieser Ebene das sog. Fo-       Form der Grenzregion.
rum der Euroregionen, das ursprünglich vor allem            In der räumlichen Charakteristik sind Tschechiens
auf einem jährlich stattfindenden, eher informellen      Grenzräume größtenteils sehr ländlich und auch von
Treffen beruhte, in dessen Rahmen Grenzraumpro-          Mittelgebirgen als naturräumlichen Barrieren ge-
blematiken diskutiert und Abstimmungsprozesse            prägt. Ausnahmen sind hier die Korridore Brünn-Wi-
angestoßen wurden24. Aus diesem informellen Aus-         en und Ostrava-Katowice.
tausch heraus ist 2012 eine Föderation mit eigener          Die grenzüberschreitenden Verflechtungen mit
Rechtspersönlichkeit gegründet worden. Die Intenti-      Deutschland sind – gemessen an der Zahl der Grenz-
on war hierbei bestimmte Anliegen zu bündeln und         pendler – vor allem entlang der bayerisch-böhmi-
geschlossen gegenüber der Nationalregierung aufzu-       schen Grenze recht hoch. Dort haben sich die Ver-
treten. Neben der formalen Vernetzung spielen auch       flechtungsachsen Marktredwitz-Cheb (Eger) und
informelle Kontakte in Polen eine starke Rolle. Eine     Cham-Klatovy (Klattau) entwickelt. Mit der Autobahn
parlamentarische Vernetzung in verstetigter Form ist
                                                         25 Weiterführend Opiłowska, E. , Kurcz, Z. & J. Roose
                                                         (Hrsg.) (2017): Advances in European Borderlands Studies,
                                                         Baden-Baden. Opiłowska, E. (2017): Reconciliation through
                                                         Europeanization: Secondary foreign policy in the German–Polish
23 www.kooperation-ohne-grenzen.de                       borderlands. Regional & Federal Studies, 27:3, 283-304, https://
24 s. http://federacjaeuroregionow.eu/powstanie          doi.org/10.1080/13597566.2017.1343719

                                                                                                                      17
// Länderprofile

Nürnberg-Prag (A6) ist zumindest eine                 TSCHECHIEN             Berlin

hochrangige, durchgängige Verbindung ge-                                      Euroregion Neisse-              PL
                                                            DEU                   Nisa-Nysa
schaffen26.                                                          Euroregion
                                                                     Elbe/Labe            Euroregion Euroregion
                                                          Euroregion                       Glacensis Prad˜d - Pradziad
                                                          Erzgebirge                                         Euroregion Silesia
Vernetzungsformen                                         Krušnoho˙í
                                                                                                                                     Krakau
Eine Assoziation der Euroregionen der                                                 Prag
Tschechischen Republik wurde 2002 ge-                     Euregio                           Euroregion T˜šínské
                                                                                         Slezsko - °l˛sk Cieszy˝ski         Euroregion
                                                          Egrensis                                                          Beskidy -
gründet und sollte die Euregios im tsche-                                                                                   Beskydy
chisch-deutschen und tschechisch-öster-                                                                                  Euroregión Bílé-
                                                          DEU                                                            Biele Karpaty
reichischen Grenzraum verbinden. Über
                                                                                                                  SVK
                                                                                                       Wien      Bratislava
                                                                  München
einige Jahre hinweg gab es regelmäßige                                                        Euregio         Euregio Weinviertel –
                                                                                             Silva Nortica        Südmähren –      HUN
Treffen von Vertretern der Euregios zu                           Euregio Bayer. Wald –                           Westslowakei
                                                                    Böhmer Wald –             AUT                       Entwurf: T. Chilla 2020
verschiedenen Themen und zur Koordinie-                   100 km      Unterer Inn                                       Kartographie: S. Adler
rung der grenzüberschreitenden Zusam-
                                                      Abb. 6: Grenzräume Tschechiens und ausgewählte Kooperations-
menarbeit. Seit etwa 2010 ist diese Platt-
                                                      formate
form allerdings nicht mehr aktiv. Insofern
gibt es heute keine formale Vernetzung                                • Mit dem zuständigen Ministerium für Regionalent-
oder horizontale Koordinierung von Euregios auf der                   wicklung in Prag werden alle wichtigen Fragen für
gesamttschechischen Ebene.                                            die Ausgestaltung und Umsetzung des Programmes
                                                                      entwickelt. Diese Abstimmungen erfolgen anlassbe-
In der Praxis dominieren daher zwei Vernetzungs-                      zogen und folgen keinem festen Rhythmus.
formen, die vor allem einen technischen Hintergrund
haben27:                                                              3.4. Österreich
• Innerhalb der Programmräume und den damit ver-
bundenen Vergabeausschüssen und gemeinsamen                           Ausgangssituation
Sekretariaten treffen die Vertreter der beteiligten Eu-               Der Staatsaufbau Österreichs ist stark föderal ge-
regios und Grenzräume zusammen und stimmen sich                       prägt, wobei die neun Bundesländer durchweg – mit
ab.                                                                   der Ausnahme des Bundeslandes Wien – an Staats-
                                                                      grenzen stoßen28. Fast das gesamte Staatsgebiet liegt
26 Chilla, T. ; L. Fráně, F. Sielker, J. Weber (2018):
Grenzüberschreitende Regionalentwicklung an der                       innerhalb der INTERREG-A-Förderkulisse. Österreich
bayerisch-tschechischen Grenze – die Suche nach den
‚richtigen‘ Kooperationsformen, in: Chilla, T. & F. Sielker           hat mit immerhin acht direkten Nachbarstaaten (Abb.
(Hg.): Grenzüberschreitende Raumentwicklung Bayerns.                  7) eine recht komplexe Ausgangssituation, zumal sich
Dynamik in der Kooperation – Potenziale der Verflechtung.
Hannover. https://shop.arl-net.de/grenzueberschreitende-              die Institutionalisierungen der grenzüberschreiten-
raumentwicklung-bayerns.html
27 Jeřábek, M., T. Havlíček, J. Dokoupil (2018): Euroregions
                                                                      den Kooperation je nach Nachbarstaat unterscheiden.
as a Platform for Cross-Border Cooperation. In: Havlíček              Während der Grenzraum zu Deutschland durch recht
T., Jeřábek M., Dokoupil J. (eds) Borders in Central Europe
After the Schengen Agreement. Springer, Cham. https://doi.            klein zugeschnittene Euregios adressiert wird, ist die
org/10.1007/978-3-319-63016-8_5
   Pászto, V., K. Macků, J. Burian, J. Pánek , P. Tuček (2019):       28 Heintel, M.; R. Musil; N. Weixlbaumer (2017, Hg.): Grenzen:
Capturing cross-border continuity: The case of the Czech-Polish       Theoretische, konzeptionelle und praxisbezogene Fragestellun-
borderland. Moravian Geographical Reports 27 (2): 122-138.            gen zu Grenzen und deren Überschreitungen. [darin mehrere
https://doi.org/10.2478/mgr-2019-0010                                 Beiträge zur österreichischen Situation]

18
// Länderprofile

                                                                           Europaregion
Institutionalisierung Richtung Un-             ÖSTERREICH
                                                Frankfurt
                                                                           Donau-Moldau              Euregio      Euregio
garn jenseits der EU-Programm-Be-                Euregio Bayer. Wald-                      Prag   Silva Nortica   Weinviertel-
teiligten derzeit gering ausgeprägt,            Böhmerwald - Unterer Inn                CZE                       Südmähren-
                                                    EUREGIO EuRegio Salzburg -                                    Westslowakei
auch weil die Einschätzungen zum                   via salina Berchtesgadener
                                               Int.            Land - Traunstein                                          SVK
EVTZ-Format zwischen beiden Län-               Bodensee-                  DEU
                                               konferenz     Euregio                                       Wien        Bratislava
dern variiert.                                                ZWK
                                                  Euregio
                                                  Bodensee        München
                                                                                        Inn-Salzach-
Österreich ist zugleich Teil einer ho-                                                  Euregio
                                                                                                              Euregio HUN
hen institutionellen Kooperations-                                            Euregio             Graz       Steiermark-
                                                                              Inntal                         Slowenien
dichte im Alpenraum, die bereits seit           CHE
den 1970er Jahren auf verschiedenen             Europaregion       ITA                                   ARGE Karnten-
                                               Tirol - Südtirol/                                          Slowenien
Ebenen entstanden ist. Nicht abge-             Trentino (EVTZ)                  EVTZ Euregio      SVN
                                                                               Senza Confini                  Entwurf: T. Chilla 2020
bildet, aber erwähnenswert, sind                   100 km                  Venedig
                                                                                                              Kartographie: S. Adler
die großräumiger zugeschnittenen
                                               Abb. 7: Grenzräume Österreichs und ausgewählte Kooperationsformate
Formate der Arge Alp, der Arbeitsge-
meinschaft der Alpenländer oder der
                                                                   ÖROK-Geschäftsstelle eingerichtet. Mitwirkende in
Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria29.
                                                                   dieser Arbeitsgruppe sind insbesondere die Vertreter
                                                                   der verschiedenen Programmräume. In regelmäßi-
Vernetzungsformen
                                                                   gen Treffen stehen hier insbesondere die Themen des
Eine gewisse Form der Koordinierung und Vernet-
                                                                   INTERREG-A-Programmes auf der Agenda (Program-
zung von Grenzregionen innerhalb des stark födera-
                                                                   minhalte, Evaluierung, Schnittstellen mit anderen
len österreichischen Systems erfolgt auf Ebene der
                                                                   Programmen)30. Im engeren Sinne ist diese Institution
Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK).
                                                                   die einzige Vernetzungs- und Abstimmungsform in-
Diese Konferenz existiert seit den 1970er Jahren
                                                                   nerhalb Österreichs. Dabei darf diese Arbeitsgruppe
und versammelt politische Vertreter des Bundes, der
                                                                   im Hinblick auf den innerstaatlichen Austausch nicht
Länder und der kommunalen Ebene. Sie übernimmt
                                                                   überschätzt werden, da der Fokus stark auf der Pro-
sowohl politische Funktionen (und erinnert darin an
                                                                   grammumsetzung liegt und eher verwaltungstech-
die deutsche Ministerkonferenz für Raumordnung,
                                                                   nische Fragen im Blick hat. Die Umsetzung der Ko-
MKRO) als auch inhaltliche Funktionen (und erinnert
                                                                   operationen ist eine Länderkompetenz, die von den
z.B. mit ihren zahlreichen Publikationen an das deut-
                                                                   Bundesländern durchaus unterschiedlich ausgefüllt
sche BBSR). Zentrales Dokument ist das Österreichi-
                                                                   wird31. Diese Arbeitsgruppe ist im Zusammenhang zu
sche Raumentwicklungskonzept, das alle 10 Jahre
neu erarbeitet wird und das Parallelen zu den bun-                 30 www.oerok.gv.at/region/eu-fonds-2014-2020/efre/ziel-etz-
                                                                   grenzueberschreitend
desdeutschen Leitbildern aufweist.                                 31 Pucher, J., H. Tödtling-Schönhofer, M. Gruber, A. Resch, J.
   Die ÖROK hat seit 2011 die ständige Arbeits-                    Weiss (2017): ETZ in Österreich - eine Bestandsaufnahme.
                                                                   Grenzüberschreitende Kooperationen – Evaluierung und
gruppe Cross-border cooperation (AG CBC) in der                    Perspektiven 2020+. I.A. des Bundeskanzleramtes, Abteilung
                                                                   Koordination Raumordnung und Regionalpolitik. Wien. Online:
29 ESPON (2018): Alps2050 Atlas. Annex to the Final Report of      http://metis-vienna.eu/wp-content/uploads/2017/05/
Alps 2050 – Common Spatial Perspectives for the Alpine Area.       Metis_ETZ_Bestandsaufnahme_2017_05_04.pdf; Bauer-
Towards a Common Vision. Online: www.espon.eu/alps2050,            Wolf, S. (2005): Europaregionen – Herausforderungen, Ziele,
dort insbes. Kap. 11 zur Governance                                Kooperationsformen. ÖROK-Schriftenreihe 169, Wien.

                                                                                                                                    19
// Länderprofile

sehen mit dem parallel existierenden sog. Nationalen              3.5. Schweiz
Komitee, das als ÖROK-Ausschuss österreichische In-
teressen in den transnationalen und interregionalen               Ausgangssituation
Programmen vertritt.                                              Die Schweiz ist im Rahmen dieser Untersuchung zu-
     Unterhalb dieser Programmebene sind im opera-                mindest aufgrund von drei Argumenten ein besonde-
tiven Geschehen die lokal verankerten Kooperations-               res Beispiel:
formen wie Euregios von praktisch großer Bedeu-                   • Die absoluten und relativen Statistiken der Ein-
tung, die in Österreich in aller Regel auf Ebene der              pendler über die nationalen Grenzen hinweg sind
Regionalmanagements verortet sind und in denen                    sehr hoch, insbesondere in den Räumen Genf, Basel,
auch die Aktivitäten des LEADER-Programms maß-                    aber auch im Tessin und im Raum Zürich. Die Ver-
geblich verortet sind . Diese Regionalmanagements
                         32
                                                                  flechtungsgebiete umfassen insofern sowohl metro-
sind in den Bundesländern unterschiedlich aufge-                  politane Gebiete sowie auch ländlichere Räume.
stellt und können auf Bundesland- und Bezirksebe-                 • Die Schweiz ist neben Luxemburg das Land, dessen
ne angesiedelt sein. Insoweit bundesweite Treffen                 Arbeitsmarkt besonders stark durch Einpendler über
der Regionalmanagements stattfinden, können auch                  die Grenze geprägt ist33.
Vernetzung und Austausch von Grenzraumakteuren                    • Obwohl die Schweiz kein Mitglied der EU ist, nimmt
über alle Ebenen hinweg erfolgen. In einigen Fällen –             sie teil an wesentlichen EU-Formaten der grenzüber-
z.B. in Oberösterreich – ist das Regionalmanagement               schreitenden Entwicklung – insbesondere an den Re-
(hier als INTERREG-Verwaltungsbehörde) zugleich                   gularien des Schengenraums und der INTERREG-Pro-
auf Ebene der ÖROK mit eingebunden. In anderen                    gramme34.
Fällen sind die Regionalmanagements institutionell                • Im Schweizer Bundesstaat haben die 26 Kantone
weiter unterhalb angesiedelt und nicht in der AG CBC              eine nicht unerhebliche innere Autonomie, wobei die
beteiligt. Eine explizite Vernetzung dieser Grenzrau-             Kantone im Vergleich zu anderen föderalen Staaten
makteure erfolgt auf dieser Ebene insofern nicht.                 recht klein sind, indem sie außer im Fall von Zürich
     Zumindest erwähnt werden sollte noch die Ver-                und Bern weit weniger als eine Mio. Einwohner ha-
netzung auf regionaler Ebene: Insofern mehrere                    ben35.
Kooperationsformate innerhalb eines Programm-
raums verortet sind – was beispielsweise im öster-                Vernetzungsformen
reichisch-deutschen Raum der Fall ist – so erfolgen               Die Vernetzung der an Grenzfragen beteiligten Akteu-
Treffen und Koordinierungen innerhalb der Pro-                    re innerhalb der Schweiz geschieht in formaler Hin-
grammräume und zugehörigen Vergabeausschüsse.
                                                                  33 Chilla, T. & A. Heugel (2019): Cross-border Commuting
Ein Beispiel dafür sind die quartalsweise stattfinden-            Dynamics: Patterns and Driving Forces in the Alpine macro-
den Treffen der Euregio-Geschäftsführer im Raum                   region. Journal of Borderlands Studies. https://doi.org/10.1080
                                                                  /08865655.2019.1700822
Bayern-Österreich.                                                34 Leimgruber W. (2018): Boundaries and Transborder
                                                                  Relations: The Case of Switzerland. In: Havlíček T., Jeřábek M.,
                                                                  Dokoupil J. (Hg.): Borders in Central Europe after the Schengen
                                                                  Agreement. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-
32 Gruber, M., A. Kanonier, S. Pohn-Weidinger, A. Schindelegger   319-63016-8_7
(2018): Raumordnung in Österreich und Bezüge zur                  35 Pfisterer, T. (2014): Die Kantone mit dem Bund in der
Raumentwicklung und Regionalpolitik. ÖROK Schriftenreihe Nr.      EU-Zusammenarbeit. Publikation Schriften zur Grenzüberschrei-
202, www.oerok.gv.at/fileadmin/user_upload/publikationen/         tenden Zusammenarbeit (DIKE-Verlag), Bd. 9. Zürich/St. Gallen
Schriftenreihe/202/OEROK-SR_202_DE.pdf                            2014

20
// Länderprofile

SCHWEIZ                                                                                  Im Bereich der Raumentwick-
 Paris                                             Stuttgart         DEU                 lung ist die sog. Neue Regio-
              Oberrheinkonferenz            Int.                                         nalpolitik (NRP) die Ausgangs-
                                         Bodensee-      Hochrhein- München
                                         Konferenz                                       basis, die seit 2008 umgesetzt
                     Trinationaler                      kommission
     FRA          Eurodistric Basel                                                      wird36: Diese zielt explizit auf die
                                                           Euregio
                                                           Bodensee                      Grenzregionen, in Ergänzung zu
           Arc Jurassien                                                    AUT          den ebenfalls adressierten Berg-
                                 Bern    Regio                                           gebieten und dem ländlichen
   Conseil du Léman /                    Sempione
    Comité regional                                                                      Raum.     Der     Umsetzungspro-
    franco-genevois
                                                                                         zess der NRP basiert auch auf
           Espace Mont-Blanc                          Regio Insubrica
                                                                               Venedig   den regelmäßigen Treffen der
                                        Conseil Valais-
                                        Vallee d’Aoste ITA                               einschlägigen       Fachkonferenz,
         100 km                                            Entwurf: T. Chilla 2020       namentlich der Konferenz der
                                                           Kartographie: S. Adler
                                                                                         kantonalen NRP- und Inter-
Abb. 8: Ausgewählte Kooperationsformen der Schweizer Grenzräume
                                                                                         reg-Fachstellen. Die Treffen um-
                                                                                         fassen die Jahresversammlung,
sicht auf zwei Wegen – zum einen auf dem Wege der               den repräsentativen Ausschuss sowie thematische
(‚kleinen‘) Außenpolitik und zum zweiten im Bereich             Workshops und bringen Vertreter des Bundes und
der Raumentwicklung.                                            der kantonalen NRP- und Interreg-Fachstellen sowie
   Ausgangspunkt für ersteren Weg ist Artikel 56 der            staatliche Trägerschaften zusammen, die mit dem
Schweizer Verfassung, der die sog. ‚kleine Außenpoli-           Bund eine NRP-Programmvereinbarung unterzeich-
tik‘ der Schweiz begründet. Dies beinhaltet das Recht           net haben.
der Kantone, Abkommen auch grenzüberschreiten-                      Auf beiden Wegen stehen Vertreter von Bund und
der Art weitgehend eigenständig abzuschließen; ge-              Kantonen in kontinuierlichem Austausch. Diese Form
genüber der Bundesebene gilt hier lediglich eine In-            der föderalen Vernetzung ist – jedenfalls im Vergleich
formationspflicht. Dies erstreckt sich beispielsweise           mit anderen europäischen Staaten – recht formal und
auf das Recht einen EVTZ abzuschließen. Jeder Kanon             intensiv.
verfügt über zumindest eine/n Außenbeziehungs-Be-
auftragte/n, bei dem/der dieses Thema zusammen-                 Darüber hinaus lassen sich zwei Vernetzungsformen
läuft. Zwei Mal im Jahr trifft sich das sog. Netzwerk           innerhalb der Schweiz nennen, die in der Praxis eine
der kantonalen Außenbeziehungs- und Europa-De-                  ebenfalls wichtige Rolle spielen.
legierten, wobei auch die Bundesebene zwei Vertre-                  Auf politischer Ebene kommt der Konferenz der
ter schickt. Diese Treffen erfolgen auf weitgehend              Kantonsregierungen eine gewisse Bedeutung zu:
informeller Ebene; sie sind also eher eine Form der             Aufgrund der Tatsache, dass 14 der 26 Schweizer
Vernetzung als eine Form der Koordinierung. Wichtig             Kantone Grenzkantone sind, kommen hier Themen
ist, dass bei diesen Zusammenkünften auch die Ge-               der Grenzräume regelmäßig zu Sprache. Explizite Ar-
schäftsführer oder weiteren Vertreter der grenzüber-
                                                                36 Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)(2017): Die Neue
schreitenden Kooperation selbst als Gäste geladen               Regionalpolitik des Bundes – Regionen fördern. Schweiz stärken.
                                                                Online: http://regiosuisse.ch/sites/default/files/2017-09/seco-
werden können.                                                  nrp-de.pdf

                                                                                                                            21
// Länderprofile

beitsgruppen zu Grenzfragen bestehen derzeit aber        Schweiz (Abb. 9)38. Frankreich stellt insgesamt den
nicht. Die politische Ebene der Kantonsregierungen       größten Teil der Grenzpendler Europas39.
ist zudem in sechs regionale Kantonkonferenzen ge-          Zweitens hat Frankreich einen traditionell stark
gliedert37, die ebenfalls Grenzfragen thematisieren      zentral geprägten Staatsaufbau, der zugleich seit
(können). Ein bemerkenswertes Beispiel regionaler        längerer Zeit durch eine Reihe von Maßnahmen der
Koordinierung findet sich in der Nord-West-Schweiz:      Dezentralisierung reformiert wird. Unterschiedliche
hier erbringt die Interkantonale Koordinationsstel-      Ansätze der ‚territorialen Reform‘ und der Modifizie-
le bei der Regio Basiliensis (IKRB) im Auftrag der       rungen im Koordinierungsablauf prägen das politi-
Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau, So-       sche Geschehen40. Dies betrifft auch Grenzräume in
lothurn und Jura Leistungen zugunsten der Kantone        hohem Maße. Ein Beispiel ist die Zusammenlegung
als gemeinsame Außenstelle für die grenzüberschrei-      mehrerer Regionen zum neuen Gebiet Grand Est,
tende Zusammenarbeit am Oberrhein. Die Regio Ba-         das die vorherigen Regionen Lothringen, Elsass und
siliensis, formal ein privater Verein, unterstützt die   Champagne-Ardenne umfasst, die durchweg starke
Förderprogramme im Hinblick auf die Oberrheinkon-        grenzüberschreitende Bezüge haben, allerdings in
ferenz, den Trinationalen Eurodistrict Basel, Infobest   gänzlich anderen funktionalen Zuordnungen. Auch
Palmrain sowie die angesprochene Neue Regionalpo-        die französische Metropolenpolitik hat durch die ver-
litik (NRP) des Bundes und Interreg.                     schiedenen Reformierungen Implikationen für die
     Wie in anderen Ländern auch bestehen darüber        Grenzräume41. Die Bedeutung der Grenzräume für
hinaus rein informelle Vernetzungsformen. Verwie-        die nationale Ebene zeigt sich auch im Abschluss des
sen sei hier beispielsweise auf die regelmäßigen Ab-     Aachener Vertrags von 2019, unterzeichnet von fran-
sprachen der Kantone Basel, Genf und Tessin zu Fra-      zösischem Präsidenten und deutscher Kanzlerin, wo
gen der grenzüberschreitenden Entwicklung.               auch die Belange der Grenzregionen explizit adres-
                                                         siert werden42.

3.6. Frankreich
                                                         38 Pigeron-Piroth, I.; R. Belkacem (2020): Socioeconomic
Ausgangssituation                                        profiles of cross-border commuters at the French borders:
                                                         common features and territorial specificities. Borders in
Die Ausgangssituation in Frankreich ist zunächst
                                                         Perspective. https://doi.org/10.25353/ubtr-xxxx-d64d-
durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet. Erstens        92a8; ESPON METROBORDER (2010): Metroboder –
                                                         metropolitan polycentric cross-border regions. www.espon.eu/
hat Frankreich entlang seiner recht weitläufigen         metroborder
Landgrenzen eine Reihe starker Verflechtungsräume,       39 aktuelle Statistiken von Eurostat unter https://ec.europa.eu/
                                                         eurostat/cache/digpub/eumove/bloc-2c.html?lang=en
die zumeist einen (aus französischer Perspektive) ne-    40 Perrin, T. (2012): « Régions et coopération interrégionale:
gativen Pendlersaldo aufweisen. Dies gilt zum einen      dynamiques institutionnelles, de la France à l’Europe »,
                                                         Territoire en mouvement Revue de géographie et aménagement
für metropolitane Grenzräume um Lille, Luxemburg,        16, http://journals.openedition.org/tem/1877; DOI: https://doi.
Basel, Genf und Monaco, aber auch für eine Reihe         org/10.4000/tem.1877
                                                         41 Beyer, A. (2017): Die Metropolisierung und ihre histo-
von ländlichen Grenzräumen, etwa im Jurabogen zur        risch-politische Interpretation in den gegenwärtigen
                                                         Gebietsreformen Frankreichs. Europa Regional, 23.2015(4), 30-
                                                         43. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-53588-8
                                                         42 www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/
37 https://kdk.ch/de/kooperation/regionale-              deutschland-und-frankreich-schliessen-vertrag-von-
regierungskonferenzen                                    aachen-1566838

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