WOHNEN IN DER SACKGASSE? - HOLZWEGE, IRRWEGE, AUSWEGE ARGUMENTE ZU MARKTWIRTSCHAFT UND POLITIK - STIFTUNG MARKTWIRTSCHAFT
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Wohnen 2 inderder Das Mandat Sackgasse? Preisstabilität Holzwege, Irrwege, Auswege Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 147 | November 2019 Barbara Bültmann-Hinz
Wohnen – HolzwegE, IrrwegE, AuswegE Barbara Bültmann-Hinz Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 147 Inhaltsverzeichnis Vorwort 03 1 Einleitung 04 2 Der Preis von Wohnraum 05 2.1 Preisentwicklung 05 2.2 Weitere Parameter 09 3 Eigentumsquote im Vergleich 11 4 Faktoren der Preisentwicklung 12 4.1 Fehlendes Angebot und Baulandmangel 12 4.2 Baukosten und regulatorische Aspekte 13 4.3 Zinsentwicklung 13 4.4 Erwerbsnebenkosten 14 4.5 Laufende Nebenkosten – Grundsteuer 16 4.6 „Zweckentfremdeter Wohnraum“ – kurzfristige Vermietung über Plattformen 17 5 Aktuelle Politikmaßnahmen 18 5.1 Mietpreisbremse 18 5.2 Förderung Mietwohnungsneubau 20 5.3 Wohngeld 21 5.4 Baukindergeld 21 6 Geplante Maßnahmen – weitere Eingriffe in das Eigentum 22 6.1 Eigentumsgarantie des Grundgesetzes 22 6.2 Enteignung 23 6.3 Baugebot 24 6.4 Mietendeckel 25 7 Lösungsansätze 27 7.1 Investitionen fördern 27 7.2 Bereitstellung von Flächen 27 7.3 Verkürzte Verfahren 28 7.4 Deregulieren 28 7.5 Attraktivität des Umlands stärken 28 7.6 Immobilienerwerb fördern 29 7.7 Unbequeme Fragen 29 7.8 Fazit 29 Literaturverzeichnis 30 Executive Summary 32 © 2019 Stiftung Marktwirtschaft (Hrsg.) Charlottenstraße 60 10117 Berlin Telefon: +49 (0)30 206057-0 Telefax: +49 (0)30 206057-57 www.stiftung-marktwirtschaft.de ISSN: 1612 – 7072 Die Publikation ist auch über den QR-Code Titelbild: © Armin Staudt – stock.adobe.com kostenlos abrufbar.
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Vorwort Vorwort Die Debatte um die „neue Wohnungsfrage“ nimmt immer Im Interesse einer sachgeleiteten Politik wäre es ange- mehr Fahrt auf. Einiges scheint nicht in Ordnung zu sein – wer bracht, überbordenden Aktionismus zu unterlassen und erst hat nicht von starken Preissteigerungen, Schlangen Woh- einmal eine vernünftige Bestandsaufnahme vorzunehmen: nungssuchender und vermeintlichen Spekulanten gehört und Wer weiß bzw. wissen will, wo tatsächlich Handlungsbedarf gelesen? Die Betroffenheit ist groß. Die Neigung der Medi- ist und welchen Beitrag die Politik oder der Staat hierzu leis- en, spektakuläre Einzelfälle zu schlagzeilentauglichen Trends ten kann, gerät kaum auf einen der Holzwege, auf die man- zu verdichten, auch. Kein Wunder, dass Politiker die Empö- che öffentliche Wahrnehmung abgeglitten ist. Er schlägt dann rungswellen gekonnt abreiten und sich weniger mit der Frage auch keine Irrwege ein und verrennt sich nicht in Sackgassen. nach eigenen Versäumnissen aufhalten, als den Eindruck des Seit 1964 die Wohnraumbewirtschaftung durch den Staat „Kümmerns“ zu erwecken – mit allerlei Vorschlägen von Bau- aufgehoben wurde, hat sich in Deutschland im Hinblick auf geboten bis zu Mietendeckeln und Sozialisierungen. Wohnqualität in einem insgesamt angemessenen und sehr Weniger Energie wird hingegen in eine dringend nötige kontinuierlichen Rahmen mehr Gutes getan als vorher unter Analyse der tatsächlichen Lage auf dem Wohnungsmarkt ge- öffentlicher Verwaltung. Man wohnt heute weit überwiegend steckt. Der Aufwand differenzierter Betrachtungen, um ge- sehr gut in Deutschland. Und privat kann es besser als der zielt gegen Ursachen von Wohnungsknappheit und konkrete Staat – wenn letzterer nicht immer neue Hürden aufbaut und Härten bei den Wohnkosten vorzugehen, wird gescheut. Eine Fehlanreize setzt. ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema Wohnen wür- Der Ausweg aus der wohl mehr gefühlten als tatsächlich de den Blick womöglich ja auch auf manche fehlende Weit- in der Breite anzutreffenden Wohnungsmisere liegt in einer sicht des Staates richten. In vielen Städten wurde z.B. nicht ehrlichen Beschäftigung mit der Realität sowie der Stärkung nur versäumt, ausreichend Bauland zu erschließen, es fehlt all dessen, was dem Bau und Erhalt von Häusern und Woh- sogar teilweise ein Überblick darüber, welche Flächen über- nungen dient: Rechts- und Planungssicherheit, Schutz des haupt zur Verfügung stünden. An anderer Stelle wurden – aus Eigentums und Vertragsfreiheit, Anreize zu Privatinitiative und falsch verstandener Rücksichtnahme auf Veränderungsver- Eigenverantwortung. Mietpreisbremsen und andere Eingriffe weigerungsbürger heraus – mögliche Verdichtungen, Ver- in die Preisfindung, mehr Bürokratie und Auflagen haben besserungen oder Großprojekte, die dringend benötigten noch keine einzige Wohnung neu entstehen lassen. Und wie Wohnraum schaffen würden, gar nicht erst ernsthaft ange- „volkseigener Wohnraum“ aussieht, konnte man in der DDR gangen – oder Chancen durch hohe Auflagen und Bürokratie und lange genug auch in deren Folge in den ostdeutschen verspielt. Ländern beobachten. Völlig losgelöst von den Forderungen nach „bezahlbarem Wohnraum“ – was eigentlich heißt „bezahlbar“ und gibt es ein Wir danken der informedia-Stiftung für die Förderung dieser Menschenrecht auf günstiges Wohnen in Berlin-Mitte? – wur- Publikation. de die Debatte um die Grundsteuerreform geführt. Dabei gibt es durchaus einen Zusammenhang, denn die Grundsteuer erhöht die Wohnkosten – und wird, egal, was die Politik an Verrenkungen unternimmt, am Ende bei den Wohnenden lan- den. Der vorgesehene wertbasierte Ansatz führt zwangsläufig zu einer Erhöhung der Wohnkosten in den teuren Lagen. Die Grundsteuer fingiert so eine objektbezogene Leistungsfähig- keit, die dem Steuerrecht fremd ist. Wer teuer mieten muss, ist nicht zwangsläufig auch tatsächlich leistungsfähig genug, Prof. Dr. Michael Eilfort Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen um mit Miete und Grundsteuer doppelt zur Kasse gebeten Vorstand Vorstand zu werden. der Stiftung Marktwirtschaft der Stiftung Marktwirtschaft 3
Einleitung Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege 1 Einleitung Das Sprichwort „Ein eigener Herd ist Goldes wert“ war noch in der Breite oder ist der Anstieg ein lokales oder regionales nie so zutreffend wie heute. Eigenheim- und Wohnungsbesit- Problem? Und worauf sind höhere Wohnkosten zurückzufüh- zer profitieren vom Immobilienboom, während Mieter schein- ren? Ist es tatsächlich spekulativer Leerstand oder beruht der bar auf der Verliererseite stehen. So oder so: Das Bedürfnis Anstieg auf mangelnder Bautätigkeit oder dem Zuzug in die nach einem Dach über dem Kopf trifft den Kernbereich der Ballungsgebiete? Ist das Problem nicht vielmehr eine geringe menschlichen Existenz. Die eigene Wohnung gibt Schutz, bie- Wohneigentumsquote wenn beklagt wird, dass nur wenige tet ein Zuhause und einen Rückzugsort und ist Grundlage für Bürger von dem Immobilienboom profitieren? die Gewährleistung der Privatsphäre. Nicht umsonst ist der Der derzeitige Aktionismus in Sachen Wohnen ist groß. Schutz der Wohnung ein hohes Gut. Das Grundgesetz stellt die Mietpreisbremse, Mietendeckel, Enteignungen, die Förderung Unverletzlichkeit der Wohnung unter besonderen Schutz, von Mietwohnungsneubau und viele weitere Initiativen oder um die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu sichern. Wohn- Gesetzesvorhaben sollen den Eindruck erwecken, es wer- eigentum verbindet diesen geschützten Raum mit der Mög- de tatkräftig gehandelt. Doch sind diese Mittel tauglich, um lichkeit von Vermögensaufbau und einer Absicherung im Alter. eventuellen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken? Und wie Verfolgt man die aktuelle Diskussion, kann man den Ein- steht es 70 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes druck gewinnen, dass Wohnraum unbezahlbar geworden mit dem Eigentumsrecht als eine der Grundlagen unserer heu- sei. Doch ist dieser Anschein gerechtfertigt? Wird Wohnen tigen Wirtschaftsordnung? tatsächlich insgesamt teurer oder entspricht der Anstieg der Diesen und anderen Fragen geht die Stiftung Marktwirt- allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung? Steigen die Preise schaft in dieser Publikation nach. Abbildung 1: Entwicklung der Hauspreise, Mietpreise und des Verbraucherpreisindex in Deutschland Quelle: Statista 2019. 120 Hauspreisindex 2015 = 100 115 Mietpreisindex 2010 = 100 Verbraucherpreisindex 2015 = 100 110 105 100 95 90 85 80 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 4
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Der Preis von Wohnraum 2 Der Preis von Wohnraum Die öffentliche Debatte um die Preisentwicklung am Woh- ckelte sich in den Jahren 1995 bis 2016 für Wohnungsmieten nungsmarkt wird hitzig geführt und spiegelt die Bedeutung einschließlich des Mietwerts von Eigentümerwohnungen im des Gutes Wohnen für die Menschen wider. Doch entspricht Verhältnis zum Verbraucherpreisindex für die Lebenshaltung die verbreitete krisenhafte Wahrnehmung der Faktenlage? weitestgehend parallel. Gaben die Hauspreise Anfang des Die (Preis-)Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt ist einen Jahrtausends eher leicht nach, so sind sie inzwischen deut- genaueren Blick wert. lich angestiegen. Unterscheidet man bei der Mietpreisentwicklung zwi- schen den durchschnittlichen Netto-Kaltmieten im gesamten 2.1 Preisentwicklung Bundesgebiet, in den sieben A-Städten1 und in den 127 größten deutschen Städten, zeigt sich, dass die Preissteige- rungen in den großen Städten im Vergleich zu denen der Ge- Die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt erscheint zu- samtnettokaltmieten (Bestand und Neuvermietung) seit 2010 nächst moderat (vgl. Abbildung 1). Der Mietpreisindex entwi- deutlich stärker ausfallen (vgl. Abbildung 2). Abbildung 2: 150 2010 = 100 Mietpreisentwicklung für Wohnraum in Deutschland 140 Quelle: Deutsche Bundesbank/ 130 Immobilienweisen. 120 110 100 90 80 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Neuvermietungen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart Neuvermietungen in den 127 größten Städten Deutschlands Nettokaltmieten gesamt Setzt man die Wohnkosten (d.h. Miete und Wohneigen- Wohnkosten (vgl. Abbildung 3). Diese kumulierte Betrach- tum) ins Verhältnis zum Nettoeinkommen, so zeigt sich in den tungsweise täuscht jedoch über die Heterogenität der Preis- letzten zehn Jahren im Trend sogar ein sinkender Anteil der entwicklung hinweg. 1 Unter den A-Städten versteht man im Immobilienmarkt die wichtigsten Märkte mit nationaler und zum Teil internationaler Bedeutung. In Deutschland sind dies: Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart. 5
Der Preis von Wohnraum Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Abbildung 3: 40% Anteil der Wohnkosten (Miete und Eigentum) 35% 33,4% 32,6% am verfügbaren 31,8% 30,9% Haushaltseinkommen 30% 28,3% 27,9% 28,2% 27,5% 27,3% 27,3% 27,4% 26,3% in Deutschland 25% Quelle: Eurostat 2018. 20% 15% 10% 5% 0% 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Angesichts sinkender Zinsen gehen tendenziell auch die Eine Studie des IW-Köln2 kommt zu dem Ergebnis, dass Wohnkosten für Eigentumswohnungen zurück, während sich in Deutschland in den letzten Jahren nicht nur die Mieten bei einer isolierten Betrachtung der Mietkosten im Verhältnis und Preise für Wohneigentum stark gestiegen sind, sondern zum Nettoeinkommen ein anderes Bild ergibt (Abbildung 4). auch die Löhne. Untersucht wurde für sämtliche 401 Kreise in Deutschland, wie erschwinglich Wohnen ist, d.h. wie viel Wohnraum sich ein Arbeitnehmer (abhängig von seiner Quali- Abbildung 4: fikation und seiner Branche) durchschnittlich leisten kann. Es Mietbelastungsquote in Deutschland wird deutlich, dass sich die Erschwinglichkeit von Miet- Quelle: Statistisches Bundesamt 2016. wohnungen zwischen 2013 und 2017 in rund zwei Dritteln der Kreise erhöht hat. Sogar in A-Städten wie Hamburg oder Frankfurt am Main hat die Erschwinglichkeit etwas zu- 30% genommen. In Berlin oder München, wie auch in einer nicht 27,2% unerheblichen Anzahl von Kreisen, ist die Erschwinglichkeit 25% 23,5% von Wohnraum jedoch zurückgegangen, d.h. die Preise von 22,7% 22,8% 22,5% Mietwohnungen sind stärker gestiegen als die Löhne. 20% Abgenommen hat die Erschwinglichkeit laut dieser Studie zwischen 2013 und 2017 hingegen bei Wohnungs- 15% käufen. Hier ist die finanzierbare Wohnfläche in 63 Prozent der Kreise zurückgegangen. Im Vergleich zwischen Miete und 10% Eigentumserwerb kommen die Forscher dennoch zu dem Er- gebnis, dass sich Wohnungskäufer aufgrund der niedrigen 5% Zinsen im Durchschnitt mehr Quadratmeter Wohnraum leis ten können, wenn die Miete dem Ausgabenniveau für Zins 0% und Tilgung entspricht. Im Schnitt lohnt sich der Eigentums- 1998 2002 2006 2010 2014 erwerb also immer noch.3 2 Vgl. Sagner/Voigtländer (2018). 3 Vgl. dazu auch Voigtländer/Seipelt (2018). 6
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Der Preis von Wohnraum Abbildung 5: 6% Entwicklung des effektiven Jahreszinses für Wohnungsbaukredite 5% an Privathaushalte mit anfänglicher Zinsbindung 4% Quelle: Deutsche Bundesbank. 3% 2% Effektiver Jahreszins 1% 0% 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 Eine Unwucht zeigt sich im Vergleich der Entwicklung So betrug der Preiszuwachs in Berlin im 3. Quartal 2018 im der Neumieten mit der Entwicklung der Bestandsmieten. Vergleich zum 3. Quartal 2017 9,2 Prozent. In München war Während die Bestandsmieten sich verhalten entwickeln, wer- der Anstieg mit 6,8 Prozent etwas schwächer, allerdings auf den Neumieten teurer (vgl. Abbildung 2). Dies betrifft insbe- die mit deutlichem Abstand höchsten Mietpreise (16,54 Euro/ sondere die Neuvertragsmieten in den A-Städten (Tabelle 1). qm). Diese Angaben beruhen in der Regel auf den Angebots- mieten in den verfügbaren Internetportalen. Diese Werte un- terliegen allerdings einer gewissen Selektion. Denn günstiger Tabelle 1: Wohnraum wird häufig nicht über diese Portale, sondern di- Anstieg der Neuvertragsmieten 2018 rekt angeboten, mit der Folge, dass günstiger Wohnraum in im Vergleich zum Vorjahr den Portalen unterrepräsentiert wird. Der tatsächliche Wert der Angebotsmieten dürfte folglich etwas niedriger sein. Quelle: Wandzik et al. 2019. Im internationalen Vergleich war die Preisentwicklung in Deutschland lange Zeit verhalten. Der Immobilienboom der Zuwachs Durchschnittliche Miete 1990er Jahre ging an Deutschland weitgehend vorbei.4 Erst Berlin 9,2% 10,04 Euro/qm in den 2010er Jahren ist der Immobilienboom in Deutschland angekommen, mit stärkeren Preissteigerungen bei Wohn- Stuttgart 7,8% 13,16 Euro/qm immobilien als in anderen Ländern. Auch die Mieten sind in München 6,8% 16,54 Euro/qm Deutschland im internationalen Vergleich eher bescheiden. Hamburg 5,7% 10,90 Euro/qm Im Vergleich der durchschnittlichen Mieten pro Quadratmeter Frankfurt a. M. 5,7% 12,58 Euro/qm liegt selbst die teuerste deutsche Stadt München fast noch Düsseldorf 4,9% 10,42 Euro/qm im unteren Drittel (Abbildung 6).5 Insofern stellt der preisliche Köln 4,7% 10,23 Euro/qm Anstieg der vergangenen zehn Jahre in Deutschland im inter- nationalen Vergleich einen relativ moderaten Aufholprozess Deutschland 3,9% 7,06 Euro/qm dar. 4 Vgl. Baldenius/Kohl/Schularick (2019). 5 Vgl. Deloitte (2019). 7
Der Preis von Wohnraum Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Abbildung 6: Paris (Zentrum) FR 27,8 Durchschnittliche Oslo NO 25,3 monatliche Miete 2018 Trondheim NO 21,3 in Euro/qm London UK 20,1 im europäischen Vergleich Bergen NO 19,7 Barcelona ES 19,6 Quelle: Deloitte Property Index Copenhagen DK 19,0 2019. Amsterdam NL 18,7 Ile de France FR 18,5 Madrid ES 18,1 Aarhus DK 16,8 Manchester UK 14,8 Warsaw PL 14,6 Rome IT 13,4 Prague CZ 13,4 The Hague NL 13,1 Lyon FR 12,6 Rotterdam NL 12,4 Odense DK 12,3 Milan IT 12,3 Marseille FR 11,6 Birmingham UK 11,2 Brussels BE 11,1 Antwerp BE 10,9 Lisbon PT 10,8 Krakow PL 10,8 Wroclaw PL 10,8 Budapest HU 10,5 Munich DE 10,5 Vienna AT 9,8 Brno CZ 9,6 Ghent BE 9,5 Hamburg DE 8,6 Frankfurt DE 8,4 Alicante ES 8,4 Łódz PL 8,4 Linz AT 8,3 Graz AT 8,3 Porto PT 7,5 Berlin DE 7,3 Turin IT 6,9 Ostrava CZ 6,6 Gyor HU 6,5 Debrecen HU 6,4 0 5 10 15 20 25 30 8
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Der Preis von Wohnraum wohnungen, d.h. leerstehende Wohnungen, die unmittelbar 2.2 Weitere Parameter vermietbar sind oder die nach Beseitigung von Mängeln in den nächsten sechs Monaten dem Markt wieder zugeführt werden können. Die gesamte Leerstandsquote ist höher. Die Interessant ist die Entwicklung bei den Wohnungsleerstän- oft als Begründung für Eingriffe in den Wohnungsmarkt heran- den. Die Entwicklung der Leerstandsquote auf dem deut- gezogene Vermutung einer Zunahme spekulativen Leerstands schen Immobilienmarkt zeigt eine deutliche Abnahme der zulasten der Wohnungssuchenden lässt sich hieraus nicht ab- leerstehenden Wohnungen. Abbildung 7 gibt einen Überblick leiten. Vielmehr scheint der sinkende Leerstand auf eine bes- über den Leerstand bei sogenannten marktaktiven Geschoss- sere Auslastung des vorhandenen Wohnraums hinzuweisen. Abbildung 7: 4,25% Entwicklung der 4,1% Leerstandsquote 4% bei marktaktiven 3,9% 3,9% Geschosswohnungen 3,8% 3,9% 3,7% 3,7% 3,7% Quelle: Statista 2019. 3,75% 3,6% 3,6% 3,5% 3,4% 3,3% 3,25% 3,1% 3% 3% 3% 2,9% 2,9% 2,75% 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 Angesichts der Veränderung der Bevölkerungs- Aus den dargelegten Daten lassen sich folgende Er- struktur hin zu mehr Single- und Zweipersonenhaushalten kenntnisse ableiten: ist es nicht verwunderlich, dass die durchschnittliche Haus- haltsgröße in Deutschland stetig sinkt, während die Wohnflä- • Die Wohnungsmieten sind absolut gesehen in den letz- che pro Kopf in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen ten Jahren tatsächlich gestiegen. Allerdings ist – bei einer hat (vgl. Abbildung 8) mit Folgen für den Wohnungsmarkt. aggregierten Betrachtungsweise – der durchschnittliche Die Gesamtbevölkerung ist zudem gewachsen. Wohnten Preisanstieg moderat. in Deutschland (Ost- und Westdeutschland) in den 50er Jah- ren des vorangegangenen Jahrhunderts noch 70 Millionen • Es gibt jedoch signifikante regionale wie strukturelle Un- Menschen, so waren es 1990 mehr als 80 Millionen. Inzwi- terschiede. Die Neuvertragsmieten weisen im Vergleich zu schen hat die Bevölkerung einen neuen Höchststand von den Bestandsmieten hohe Preissteigerungen auf. Die stei- knapp über 83 Millionen Einwohnern6 im Jahr 2018 er- genden Mieten und fehlenden Wohnungen betreffen damit reicht. Das Statistische Bundesamt rechnet – je nach ange- vor allem die Wohnungssuchenden. nommener Geburtenhäufigkeit, Lebenserwartung und Net- tozuwanderung – mit einem weiteren Bevölkerungszuwachs • Besonders betroffen von den Preissteigerungen sind die bis mindestens 2024 und mit einem Bevölkerungsrückgang 127 größten Städte und dort insbesondere die 7 A-Städte. spätestens ab 2040.7 Die Mieten der A-Städte (auf hohem Niveau) sind weiter 6 Vgl. Statistisches Bundesamt (2019b). 7 Vgl. Statistisches Bundesamt (2019a). 9
Der Preis von Wohnraum Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Abbildung 8: Entwicklung von Wohnfläche und Haushaltsgröße in Deutschland Quellen: Statistisches Bundesamt 2018, Statistisches Bundesamt 2019, eigene Berechnungen 2,35 Haushaltsgröße in Personen Wohnfläche in qm 50 2,3 45 2,25 40 2,2 35 2,15 30 2,1 25 Wohnfläche pro Kopf 2,05 20 Durchschnittliche Haushaltsgröße 2 15 1,95 10 1989 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 angestiegen. Den höchsten Zuwachs hatte im Vergleich gleich zum Einkommen, ist in zwei Dritteln der deutschen 3. Quartal 2017 zu 3. Quartal 2018 Berlin in Höhe von Landkreise gesunken. 9,2 Prozent für Neuvermietungen. Die absolut höchs- ten Mieten werden in München gezahlt, durchschnittlich • Wohnen wird ganz besonders für Neumieter teurer, d.h. vor 16,54 Euro/qm für das Referenzobjekt.8 allem diejenigen, die aufgrund beruflicher oder familiärer Veränderungen auf Wohnungssuche gehen, sind betroffen. • Im Verhältnis zum Einkommen sind die relativen Wohnkos Die Bestandsmieten entwickeln sich deutlich moderater. ten (d.h. Miete und Wohneigentum) in den letzten Jahren in der Gesamtbetrachtung im Durchschnitt eher gesunken, • Die Leerstandsquoten sind deutlich gesunken. wobei dies vor allem auf die sinkenden Kosten bei Wohnei- gentum zurückzuführen sein dürfte. Bezogen auf die Mie- • Die Wohnfläche pro Kopf ist gestiegen, parallel dazu ten sind die relativen Kosten tendenziell gestiegen. nimmt die Haushaltsgröße ab. Das bedeutet, dass selbst bei gleichbleibender Bevölkerungszahl mehr Wohnfläche • Eine detaillierte Betrachtung zeigt, dass die Erschwing- benötigt wird. Bei einer derzeit wachsenden Bevölkerung lichkeit von gemieteten Wohnungen, d.h. die Miete im verstärkt sich dieser Effekt. Verhältnis zum Lohn, in zwei Drittel der Kreise gestiegen ist. Allerdings hat die Erschwinglichkeit in einem Drittel der Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass insbe- Landkreise abgenommen. sondere Neumieter und Wohnungssuchende (in Bal- lungsgebieten) von den steigenden Preisen betroffen sind. • Umgekehrt stellt sich das Verhältnis beim Wohneigentum Für diese Gruppen muss Entlastung geschaffen werden, dar. Die Kaufpreise für Wohneigentum sind in den letzten während Bestandsmieter durch bestehende Regelungen Jahren signifikant gestiegen. Auch die Erschwinglichkeit zum Kündigungsschutz und zu Mieterhöhungen bereits weit- von Wohneigentum, d.h. die Kaufpreisentwicklung im Ver- gehend geschützt sind. 8 Vgl. Wandzik/Wunsch/Müller (2019), S. 253f., Referenzobjekt ist eine 3-Zimmerwohnung, 80 qm, mittlere Ausstattung, mittlere Wohnlage, Baualter 30 Jahre. 10
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Eigentumsquote im Vergleich 3 Eigentumsquote im Vergleich Im internationalen Vergleich ist der Anteil der Bevölkerung, Anteil an Wohneigentümern zu einer Abnahme der Vermö- die im Eigentum wohnt, in Deutschland auffallend gering. Ein gensungleichheit führt, konzentriert sich in Deutschland Vergleich der Wohnungseigentumsquoten mit verschiedenen das Immobilienvermögen stark auf wenige Bevölkerungs- europäischen und außereuropäischen Ländern zeigt, dass gruppen,9 und nur diese profitieren von den steigenden Im- Deutschland hier eine Schlussposition einnimmt (vgl. Abbil- mobilienpreisen. Preisanstiege bei den Mieten wirken sich dung 9). Nur in der Schweiz ist die Mietquote höher. in Deutschland in besonderem Maße aus, da sie weite Teile Dies bedeutet, dass ein großer Teil der Bevölkerung we- der Bevölkerung betreffen. Dies ist insbesondere in Berlin der der von den seit längerer Zeit sinkenden Zinsen und damit Fall, wo der Anteil der Wohnungseigentümer lediglich rund 16 einer sinkenden monatlichen Belastung durch etwaige Finan- Prozent beträgt.10 zierungskosten profitiert, noch von den Wert- und damit Ver- Dass Wohneigentum in Deutschland im Vergleich zu mögenssteigerungen für Wohnimmobilien in vielen Städten. anderen Ländern eine geringere Bedeutung hat, bringt Während der Immobilienboom in Ländern mit einem höheren Auswirkungen auf den potentiellen Vermögensaufbau, Al- Abbildung 9: Mieter- und Eigentümerquote im internationalen Vergleich 2014 oder letztes verfügbares Jahr (in Prozent) Quelle: OECD. 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 an d h xe rea Fin urg nd ita en str n te n De a ch hl a d iko Ita a n Sp hile Zy en Po ern l Kr ien Lit en Bu uen Sl rien Un kei Le rn nd ow n E ien Gr hec d he en M nd rw A I n ne d hw rk er n Sc nde eiz ga ut nad alt Ös alie lie eic Au nie Sl ole e ed ede Fr Irlan n Dä slan an No US Sc ma ga i i i iec hi ti eg nla ttla Ts stla nla hw a oß Belg rre ex an än en rtu Lu Ko p b C M oa lga a la ow kr n P m m sc K Ru br c Ni Gr andere Eigentümer belastet Eigentümer unbelastet Mieter 9 Vgl. SVR (2018), S. 368. 10 Vgl. Statista (2019). 11
Faktoren der Preisentwicklung Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege tersvorsorge, die Vermögensentwicklung und die Vermö- rend das einkommensschwächste Fünftel teils dramatische gensverteilung mit sich. Dies ist von besonderer Relevanz, Steigerungen an Ausgaben für Wohnen zu verzeichnen da Sparvermögen angesichts des langanhaltend niedrigen hat, sinken beim einkommensstärksten Fünftel die relativen Zinsniveaus kaum Wertsteigerung zu verzeichnen haben, Wohnkosten.11 Hinzu kommt, dass jüngere Alterskohorten während andere Vermögenswerte, nicht zuletzt Immobilien, höhere Ausgaben für Wohnen zu tragen und weniger Geld für in vielen Gegenden stark an Wert zugelegt haben. Untersu- Sparen und Vermögensbildung für Immobilienerwerb sowie chungen belegen, dass die Preisentwicklung bei Wohnkosten das Alter zur Verfügung haben.12 Dies kann gravierende Fol- auch Auswirkungen auf die Einkommensverteilung hat. Wäh- gewirkungen auf die Vermögensungleichheit im Alter haben. 4 Faktoren der Preisentwicklung Entgegen einer verbreiteten Auffassung spricht die Tatsache, 4.1 Fehlendes Angebot und Baulandmangel dass bei wachsender Nachfrage und geringem Angebot die Preise steigen, nicht für ein Marktversagen, sondern im Ge- genteil für ein Funktionieren des Marktes, der den Preis Die Gründe für die Preisentwicklung sind vielschichtig. Eine als Knappheitssignal versteht. Das Problem steigender wesentliche Ursache für die steigenden Preise von Wohnim- Preise wird sich in den nächsten Jahren eher verschärfen, mobilien und Mieten ist eine starke Nachfrage nach Wohn- da in den Städten deutlich weniger gebaut wird, als der Be- raum bei begrenztem Angebot.13 Dabei löst insbesonde- darf dies vorgibt. In den A-Städten hat die Bautätigkeit zuletzt re der Zuzug in die Großstädte und das nicht ausreichende zwar deutlich zugenommen. Dennoch hält die Bautätigkeit Wohnangebot Knappheit und damit steigende Preise aus. mit der Nachfrage nicht Schritt (vgl. Abbildung 10). Abbildung 10: 35.000 Wohnungsbedarf und -angebot in den A-Städten 30.000 jährlicher Bedarf 2017 Baugenehmigungen (Wohnungen in Wohn- und 25.000 Baufertigstellungen Nichtwohngebäuden, inkl. Maßnahmen an bestehen- 20.000 den Gebäuden) 15.000 Quellen: Bayerisches Landesamt für Statistik, Bundesamt, Statistik und Wahlen, Landeshauptstadt 10.000 Düsseldorf, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Statistisches Bundesamt, Voigt- 5.000 länder et al. (2017), Wandzik et al. (2019). 0 Berlin Hamburg Düsseldorf Köln Stuttgart Frankfurt a. M. München 11 Vgl. Dustmann/Fitzenberger/Zimmermann (2018). 12 Vgl. Dustmann/Fitzenberger/Zimmermann (2018). 13 Vgl. Feld (2019), S. 57. 12
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Faktoren der Preisentwicklung Die Anzahl der Baugenehmigungen ist ein wichtiger eine Wohnbauoffensive gestartet, um mehr Wohnraum zu Indikator für zukünftige Bautätigkeit.14 In Deutschland ist schaffen. Es mangelt jedoch an der Umsetzung. Wohnungen die Zahl der Baugenehmigungen in den letzten Jahren stark können nur dann gebaut werden, wenn Bauland zur Verfü- angestiegen, zuletzt aber wieder leicht gesunken (347.300 gung steht, Bauherren bereit sind, Wohnraum zu schaffen, Wohnungen zum Bau genehmigt in 2018, ca. 28.000 weni- die Behörden zügig die Genehmigungen erteilen und im Bau- ger als 2016).15 Die Anzahl der Baugenehmigungen zu Zeiten gewerbe genügend Kapazitäten vorhanden sind, um Woh- des Baubooms Anfang der 1990er Jahre war allerdings nungen zu bauen. fast doppelt so hoch.16 In den großen Städten zeigt sich ein heterogenes Bild. Während die Zahl der Baugenehmigungen 4.2 Baukosten und regulatorische Aspekte in München, Hamburg und Frankfurt gestiegen ist, sind die Genehmigungszahlen in Düsseldorf, Köln, Stuttgart und Ber- lin zurückgegangen. Parallel zu den Grundstückspreisen steigen die Baukosten für Rechtliche Unsicherheiten, wie die Diskussion um Neubauten seit 2008 in Deutschland konstant an (vgl. Abbil- Enteignungen, drastische Mietpreisbegrenzungen und ähn- dung 11). liches, sind kontraproduktiv, da sie Investitionen in Neu- Die Kosten werden vom nationalen und internationa- bau abschrecken und auch Investitionen in den Bestand len Bauboom getrieben. Bemerkbar machen sich zusätzlich begrenzen können. starke Preisanstiege bei den Baumaterialien. Doch auch die Ein weiterer Faktor ist das mangelnde Angebot an Vorgaben des Gesetzgebers machen Bauen in Deutschland verfügbarem Bauland gerade in den Ballungsgebieten. In teuer. So wurden in den letzten Jahren die Vorschriften zu den Innenstädten sind unbebaute Flächen in der Regel rar. Brandschutz, Barrierefreiheit, Schallschutz, Dämmung etc. Eine mögliche Bebauung konkurriert mit anderen Nutzungs- verschärft. Dazu kommen die Vorgaben zur Energieeffizienz möglichkeiten. Eine Verdichtung der Bebauung ist bei der u. Ä., die zwar zu Einsparungen bei den laufenden Kosten Bevölkerung in der Regel extrem unpopulär. Entscheidungen führen, aber höhere Baukosten zur Folge haben. Es besteht wie der Volksentscheid gegen die (Rand-)Bebauung des ein deutlicher Zielkonflikt zwischen der Bereitstellung von Tempelhofer Feldes in Berlin, Widerstand gegen die Bebau- günstigem Wohnraum und Energieeffizienz.17 Aber auch ung von Schrebergärten u. Ä. sind die Folge. Die Klage über vermeintlich einfache Vorgaben wie die Stellplatzregelung mangelnden Wohnraum in der Bevölkerung führt beim Einzel- führen zu erheblichen Kosten – und gehen dabei noch am nen noch lange nicht zu einer Akzeptanz von Eingriffen in lieb tatsächlichen Bedarf vorbei. In den Innenstädten lassen sich gewonnene Besitzstände, sei es die eigene Laube, sei es der Stellplätze oftmals nur als teure Tiefgaragenstellplätze reali- unverbaute Blick oder auch nur ausreichend freie Parkplätze. sieren. Der Bauherr muss diese bereitstellen, obwohl gerade Die Bereitstellung von (bezahlbarem) Bauland ist nicht zuletzt Stadtbewohner nicht erst in Zeiten von Carsharing oft auf ein deshalb eine Herausforderung. eigenes Auto verzichten. Es ginge auch anders. So sind die Im Umland gäbe es häufig noch freie Flächen. Die Be- Baukosten z.B. in den Niederlanden durch größere Standar- reitschaft der Eigentümer – in der Regel Landwirte – zum disierung günstiger. Verkauf, fehlt jedoch häufig. Bei kontinuierlichem Preisanstieg ist der Anreiz zu verkaufen gering, da der Verkauf zu einem 4.3 Zinsentwicklung späteren Zeitpunkt einen größeren Gewinn erwarten lässt. Zumal der Veräußerungsgewinn im Regelfall steuerpflichtig wäre und der Veräußerungserlös bei einer klassischen Anlage Die Zinsentwicklung beeinflusst den Markt für Wohnimmobili- beim derzeitigen Zinsniveau nur wenig Ertrag erwarten ließe. en zusätzlich. Ein konstant niedriges Zinsniveau verringert Bei einer steigenden Bevölkerungszahl, einem erhöhten die Finanzierungskosten einer Eigentumswohnung und macht Wohnflächenbedarf pro Kopf und sinkenden Haushaltsgrö- diese im Vergleich zu Mietwohnungen attraktiver. Gleichzeitig ßen potenziert sich die Problematik fehlender Wohnungen steigt die Nachfrage nach Immobilien als Kapitalanlage als zusätzlich. Die Politik hat zwar die Problematik erkannt und Alternative zu Zinspapieren, die wenig Ertrag bringen. 14 Vgl. Wandzik/Wunsch/Müller (2019), S. 258. 15 Vgl. Wandzik/Wunsch/Müller (2019), S. 247 und Statistisches Bundesamt (2019c). 16 Vgl. Statistisches Bundesamt (2018). 17 Vgl. SVR (2018). 13
Faktoren der Preisentwicklung Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Abbildung 11: 1.800 Kosten in Euro/qm Entwicklung der Bau- kosten für Neubauten in 1.600 Deutschland Quelle: Statistisches Bundesamt 2018. 1.400 1.200 1.000 insgesamt Mietwohnungen 800 Eigentumswohnungen 600 1979 1984 1989 1994 1999 2004 2009 2014 2019 ländern liegt der Satz für die Grunderwerbsteuer mittlerweile 4.4 Erwerbsnebenkosten bei 6 bzw. 6,5 Prozent. Steuerschuldner sind grundsätzlich der Käufer und der Verkäufer, üblicherweise trägt jedoch der Erwerber die Steuerlast (vgl. Tabelle 2). Ein zusätzlicher Kostenfaktor beim Wohnungskauf sind die Die Maklerprovision fällt nicht bei jeder Immobilien- Erwerbsnebenkosten, die sich im Wesentlichen aus Grund- transaktion an, allerdings sind Makler häufig in einen Kauf- erwerbsteuer, Maklercourtage, den Kosten für das Grund- prozess involviert. Die Höhe der Provision ist gesetzlich nicht buchamt und die Notarkosten zusammensetzen. Die Notar- ausdrücklich geregelt, sondern ist prinzipiell frei verhandelbar. kosten betragen einheitlich in Deutschland ca. 1 Prozent der Üblich sind Provisionen zwischen 5,95 Prozent und 7,14 Pro- Kaufsumme und die Grundbuchkosten ca. 0,5 Prozent der zent (inklusive Mehrwertsteuer). Der Käufer trägt üblicherwei- Kaufsumme. Große Unterschiede gibt es allerdings bei der se mindestens die Hälfte, wenn nicht die gesamte Provision. Grunderwerbsteuer und den Maklergebühren. Das sogenannte Bestellerprinzip19, welches für Mietverträge Die Grunderwerbsteuer wurde in den letzten Jahren gesetzlich geregelt ist, gilt derzeit nicht bei Immobilienerwer- drastisch erhöht. Nachdem der Steuersatz von ursprüng- ben. So summieren sich die Nebenkosten z.B. in Berlin mit lich 2 Prozent18 zur teilweisen Gegenfinanzierung des Weg- einem Grunderwerbsteuersatz von 6 Prozent, einer üblichen falls der Vermögensteuer auf 3,5 Prozent angehoben wurde, Maklerprovision von 7,14 Prozent sowie den Notar- und dürfen seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 die Länder Grundbuchkosten schnell auf rund 15 Prozent, die vom Käu- den Steuersatz bei der Grunderwerbsteuer bestimmen (de- fer zusätzlich zum Kaufpreis zu entrichten sind. ren Erträge ihnen nach Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG zustehen). Es wurde diskutiert, die Maklerkosten bei Eigentumser- Seitdem sind die Steuersätze in allen Bundesländern, bis auf werb ebenfalls dem Bestellerprinzip zu unterwerfen,20 um Sachsen und Bayern, stark angestiegen. In vielen Bundes- so die Nebenerwerbskosten für den Käufer zu senken. Es ist 18 Nach einer umfassenden Grunderwerbsteuerreform wurde die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer zum 01.01.1983 erheblich ausgeweitet und ein Großteil der Steuerbefreiungen gestrichen, die dazu geführt hatten, dass ca. 80% der Steuerfälle von der Grunderwerbsteuer befreit waren. Im Gegenzug wurde der Satz drastisch auf 2% gesenkt. 19 Unter dem Bestellerprinzip versteht man im Allgemeinen die gesetzliche Überwälzung der Maklerprovision im Mietvertragsrecht auf den Auftraggeber, in der Regel den Vermieter. 20 Vgl. Die Zeit vom 25.02.2019 „Justizministerin will Maklergebühr bei Immobilienkauf neu regeln“. 14
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Faktoren der Preisentwicklung Tabelle 2: Bundesland Steuersatz alt Erhöhung ab Steuersatz neu Überblick über die Baden-Württemberg 3,5% 05.11.2011 5,0% Grunderwerbsteuersätze in Deutschland Bayern 3,5% keine Änderung Quelle: Eigene Darstellung. Berlin 4,5% 01.01.2014 6,0% Brandenburg 5,0% 01.07.2015 6,5% Bremen 4,5% 01.01.2014 5,0% Hamburg 3,5% 01.01.2009 4,5% Hessen 5,0% 01.08.2014 6,0% Mecklenburg-Vorpommern 3,5% 01.07.2019 6,0% Niedersachsen 4,5% 01.01.2014 5,0% Nordrhein-Westfalen 5,0% 01.01.2015 6,5% Rheinland-Pfalz 3,5% 01.03.2012 5,0% Saarland 5,5% 01.01.2015 6,5% Sachsen 3,5% keine Änderung Sachsen-Anhalt 3,5% 01.03.2012 5,0% Schleswig-Holstein 5,0% 01.01.2014 6,5% Thüringen 5,0% 01.01.2017 6,5% allerdings naheliegend, dass der Verkäufer – der den Makler nigreich oder Schweden) deutlich geringer, da der Verkäufer in der Regel beauftragt – die Maklergebühr auf den Kauf- in der Regel deutlich besser über die Höhe der Maklergebühr preis aufschlägt, die Kaufpreise noch weiter verteuert werden verhandeln könne als der Käufer. Zudem sei eine vollständige und sich hierdurch auch die Bemessungsgrundlage für die Überwälzung der Courtage über den Verkaufspreis an den Grunderwerbsteuer und die übrigen Erwerbsnebenkosten Käufer wenig wahrscheinlich, da der Makler eben nicht nur die erhöht. Preismaximierung im Blick habe, sondern auch den schnellen Andererseits könnte sich die Minderung der Makler- Verkauf. Dem Käufer stünde es zusätzlich offen, auf alterna- kosten und damit der Erwerbsnebenkosten für viele tive Angebote auszuweichen. Demnach wäre die Einführung Ersterwerber positiv auswirken, da die Erwerbsnebenkos des Bestellerprinzips für Immobilienkäufe durchaus geeignet, ten regelmäßig über Eigenkapital finanziert werden müssen die Nebenerwerbskosten zu reduzieren. Zwischenzeitlich hat und sich so der beizubringende Eigenkapitalanteil beim sich der Koalitionsausschuss von CDU/CSU und SPD am Immobilienerwerb reduzieren würde. Eine Studie des IW 18. August 2019 auf neue Rahmenbedingungen beim Immo- Köln21 kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass das Be- bilienkauf geeinigt. In Zukunft sollen sich Käufer und Verkäufer stellerprinzip bei der Immobilienvermittlung nicht zwangsläu- die Courtage hälftig teilen. Der Gesetzentwurf für eine bun- fig zu höheren Kaufpreisen führt. Im internationalen Vergleich deseinheitliche Regelung soll 2019 vorgelegt werden.22 sei die Maklerprovision in den Ländern, in denen die Zahllast Die Maklerprovision ist jedoch nur für einen Teil der ho- beim Verkäufer läge (z.B. die Niederlande, das Vereinigte Kö- hen Erwerbsnebenkosten verantwortlich. Zudem steht zu 21 Vgl. Voigtländer (2019). 22 Vgl. CDU (2019). 15
Faktoren der Preisentwicklung Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege befürchten, dass Reduktionen bei der Maklerprovision von weiter steigenden Grunderwerbsteuersätzen aufgefressen 4.5 Laufende Nebenkosten – Grundsteuer werden. Im Rahmen der Föderalismuskommission hatten die Verhandlungsparteien ausweislich eher die Befürchtung, es werde bei den Steuersätzen zu einem race-to-the-bottom Nicht außer Acht gelassen werden dürfen die laufenden Ne- kommen, so dass die Wirkweise des Länderfinanzausgleichs benkosten, die Mieter und Eigentümer zusätzlich belasten. dies zu verhindern trachtete. Der gegenteilige – tatsächlich Hierzu gehören nicht nur steigende Energie- und Wasserkos- eingetretene – Fall eines race-to-the-top wurde nicht bedacht ten oder kommunale Müllgebühren, sondern auch die kon- oder zumindest wurde diesem kein Riegel vorgeschoben. So tinuierlich ansteigende Grundsteuer. Der durchschnittliche wünschenswert Steuerautonomie und -wettbewerb zwi- Hebesatz für die Grundsteuer B25 ist in den letzten Jahren schen den Bundesländern auch sind,23 so scheinen die Lan- sprunghaft angestiegen. Lag der durchschnittliche Hebesatz desgesetzgeber – angesichts ihrer beschränkten finanziellen 2005 noch bei 316 Prozent, so wurde er bis 2018 auf 378 Gestaltungsmöglichkeiten – die negativen Folgen der Steu- Prozent angehoben. Dabei gibt es zwischen den Gemein- ersatzerhöhungen auszublenden oder zumindest billigend in den große Unterschiede. In Hessen beispielsweise liegt Kauf zu nehmen. Es stellt sich die Frage, ob man im Rah- der Grundsteuerhebesatz in Lautertal bei rekordverdächtigen men der Föderalismuskommission nicht besser einen Steu- 1050 Prozent und in Nauheim immerhin noch bei 960 Pro- ersatzkorridor eingeführt hätte. Dies nachträglich auf dem zent, in Eschborn bei Frankfurt jedoch nur bei 140 Prozent Weg der Selbstverpflichtung der Länder zu erreichen, scheint – dank großer Gewerbesteuerzahler. kaum denkbar. Dennoch sollte die Politik – bei allen Schwie- Für die vom Bundestag am 18. Oktober 2019 be- rigkeiten – eine Begrenzung der Grunderwerbsteuersätze schlossene Grundsteuerreform war zunächst die Ziel- anstreben. Anderenfalls steigt der Bedarf nach weiteren Aus- vorgabe einer aufkommensneutralen Reform ausgegeben, nahmen von der Grunderwerbsteuer, die das ursprüngliche die den Gemeinden das Steueraufkommen sichert, ohne für Konzept der breiten Bemessungsgrundlage bei niedrigem die Bürger Mehrbelastungen zu bedeuten. Diese Vorgabe ist Steuersatz konterkarieren.24 nur eingeschränkt zu erreichen, da die Ungleichheit im be- Abbildung 12: 375 378 Entwicklung der durch- 371 schnittlichen Hebesätze 365 358 der Grundsteuer B 351 in Prozent 345 Quelle: E&Y 2018. 339 328 323 324 318 320 316 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 23 Vgl. Lang/Eilfort (2013) und Eilfort/König (2017). 24 Bis zum 31.12.1982 galt ein Grunderwerbsteuersatz von 7% für den „Regelfall“. In einer Umkehrung von Regel und Ausnahme waren allerdings ca. 80% der Transaktionen von der Grunderwerbsteuer befreit. Nach der Reform wurde die Grundsteuer auf 2% abgesenkt, dafür wurden die Ausnahmen drastisch gestrichen. Ab 1997 wurde der Steuersatz auf 3,5% erhöht, um Aufkommensausfälle bei der verfassungswidrigen Vermögensteuer zu kompensieren. Seit September 2006 dürfen die Länder den Grunderwerbsteuersatz selbst festlegen. 25 Während für land- und forstwirtschaftliche Grundstücke die Grundsteuer A gilt, kommt für alle anderen Grundstücke die Grundsteuer B zur Anwendung. 16
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Faktoren der Preisentwicklung stehenden System zwangsläufig eine Verschiebung von Grundstücke unbebaut bleiben. Diese müssen nicht in der Belastungen bei einer gleichheitsgerechten Ausgestaltung Sphäre des Eigentümers begründet liegen, sondern können beinhaltet. Ein neues System wird in jedem Fall zu Aufkom- z.B. auch auf Finanzierungsschwierigkeiten, lange Verfahren, mensverlagerungen führen. Das nun beschlossene Modell fehlende Bauträger etc. zurückzuführen sein. In diesen Fällen orientiert sich in einem vereinfachten Verfahren am Verkehrs- eine „Strafsteuer“ zu verhängen, führt im Zweifelsfall zu lang- wert, mit der Folge, dass sich Wohnen dort, wo es ohnehin wierigen Verfahren und gerichtlichen Auseinandersetzungen schon teuer ist – nämlich in den Ballungsgebieten und den in zahlreichen Einzelfällen. Darüber hinaus fehlt es in vielen guten Lagen – zusätzlich verteuert. Gemeinden an zuverlässigen Daten über den Bestand an Eine Länder-Öffnungsklausel räumt den Ländern die baureifen, aber unbebauten Grundstücken. Befugnis zu abweichenden Regelungen ein und ermöglicht In Gebieten mit angespannter Mietpreislage (äquiva- die Wahl eines eigenen Bewertungsmodells. Nachdem zu- lent zur Mietpreisbremse) wäre die Möglichkeit der Anpas- nächst Länder mit abweichenden Regelungen durch zusätz- sung bei den Hebesätzen oder der Grundsteuermesszahl liche Bürokratie in Form einer Schattenrechnung für den Län- hingegen wünschenswert. Es erscheint fragwürdig, Miet- derfinanzausgleich belastet zu werden drohten, wurde dies preise zu begrenzen, wenn gleichzeitig die Mietnebenkosten, am Ende verhindert. Alternativmodelle sind damit umsetzbar. die der Gemeinde zu Gute kommen, kräftig erhöht werden. Vorzugswürdig wäre das Äquivalenz- oder Flächen- modell. Das Flächenmodell bewertet Gebäude nach der 4.6 „Zweckentfremdeter Wohnraum“ – Grundstücksfläche, der Fläche des aufstehenden Gebäudes kurzfristige Vermietung über Plattformen und ggf. der Nutzungsart. Der ermittelte Wert eines Gebäudes gleicher Größe, Nutzungsart und mit ähnlichem Grundstück wäre einheitlich gegeben. Das Flächenmodell hat den Vorteil, Eine neuere Entwicklung, die häufig als Mitverursacher für einfach und transparent sinnvolle und nachvollzieh- mangelnden Wohnraum erkannt wird, ist das sogenannte bare Belastungsergebnisse zu erzielen. Der Bürger kann „zweckentfremdete“ Wohnen, d.h. Wohnungen, die möbliert, seine Grundsteuerbelastung prüfen, die Differenzierung zwi- kurzfristig über Plattformen wie Airbnb vermietet werden. schen unterschiedlichen Gemeinden über die Hebesätze und Hiergegen gehen Städte wie München oder Berlin massiv damit kommunale Entscheidungen werden transparenter. Die vor. So ist in Berlin bereits 2014 ein Gesetz in Kraft getre- Demokratie wird gestärkt. Zudem hat das Äquivalenzmodell ten, das die Zweckentfremdung von Wohnraum verbietet. den Vorteil, dass Wohnen in teuren Lagen nicht automatisch Eine Zweckentfremdung liegt z.B. vor, wenn Wohnraum dau- teurer wird. Heimliche Steuererhöhungen, die dem Ver- erhaft als Ferienwohnung vermietet wird, Wohnraum für ge- kehrswert angenäherten Modellen wegen der laufenden werbliche oder berufliche sonstige Zwecke verwendet wird Anpassung an steigende Verkehrswerte (z.B. über steigende oder länger als drei Monate leer steht. Die vorübergehende Bodenrichtwerte) immanent sind, werden vermieden. Vermietung der eigenen Hauptwohnung während eigener Kritisch zu hinterfragen sind die Pläne, die Einführung Abwesenheit ist hingegen genehmigungsfähig, wie auch die einer Grundsteuer C zu ermöglichen. Damit soll den Ge- vorübergehende Vermietung einer eigenen Nebenwohnung meinden ermöglicht werden, einen erhöhten, einheitlichen für nicht mehr als 90 Tage im Jahr. Hebesatz auf baureife Grundstücke einzuführen (Grundsteuer Es ist jedoch fraglich, ob ein derart massiver Eingriff an- C).26 Dies soll Anreize setzen, Grundstücke zügig (mit Wohn- gesichts der doch eher überschaubaren Menge an über raum) zu bebauen, mit dem Ziel, ein „spekulatives Horten“ diese Plattformen vermieteten Wohnungen gerechtfertigt von Grundstücken zu vermeiden.27 Der Vollzug einer derar- ist. So lag der Anteil der über Airbnb als „gesamte Woh- tigen Grundsteuer C erscheint allerdings höchst problema- nungen“ vermieteten Wohnungen gemessen am Wohnungs- tisch, da es durchaus valide Gründe geben kann, warum bestand in Berlin 2017 bei unter 1%.28 26 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur „Änderung des Grundsteuergesetzes zur Mobilisierung von baureifen Grundstücken für die Bebau- ung“, BT-Drs. 19/11086 vom 25.06.2019. 27 Vgl. SVR (2018), S. 360. 28 Vgl. BMWi (2018), S. 53. 17
Aktuelle Politikmaßnahmen Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege 5 Aktuelle Politikmaßnahmen Die Politik geht das Problem steigender Mieten derzeit vor- zu einer Ausweitung des Wohnungsangebots, also zusätz- rangig von zwei Seiten an. Einerseits soll durch Eingriffe in lichem Wohnraum, sondern ist eine regulatorische Maßnah- den Mietmarkt der Mietpreis niedrig gehalten werden. An- me, die in die Mietpreisfindung (und damit das Eigentums- dererseits gibt es Fördermaßnahmen wie das Baukinder- recht) eingreift. Die Mietpreisbremse konnte den Preisanstieg geld oder die Förderung von Mietwohnungsneubau, welche zwar etwas dämmen, empirische Studien belegen allerdings, Anreize für Bautätigkeiten oder den Erwerb eines Eigenheims dass diese Wirkung lediglich den regulierten Wohnraum setzen sollen. betrifft. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge- samtwirtschaftlichen Entwicklung spricht diesbezüglich von einer „Insider-Outsider“-Konstellation, die nur zum Vorteil 5.1 Mietpreisbremse mancher gereicht und die Lage der „Outsider“ verschlechtern dürfte.33 Im nicht regulierten Bereich kann es zu Steigerungen Die mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz29 eingeführte und kommen. Zur Beseitigung des Wohnraummangels trägt die zum 1. Juni 2015 in Kraft getretene sogenannte Mietpreis- Mietpreisbremse kaum bei. Im Gegenteil kann sich die Miet- bremse soll die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn beschrän- preisbremse negativ auf die Investitionstätigkeit auswir- ken, sofern die Wohnung in einem durch Rechtsverordnung ken34 und dazu führen, dass das Angebot an frei verfügbaren bestimmten Gebiet mit einem angespannten Wohnungs- Wohnungen tendenziell zurückgeht, z.B. auch dadurch, dass markt30 liegt. In diesem Fall darf die Miete zu Beginn des Mietwohnungen in andere Nutzungsarten wie möbliertes Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete höchstens Wohnen oder in Eigentumswohnungen umgewandelt oder um 10 Prozent übersteigen. Das Gesetz ermächtigt die je- als Zweitwohnungen nur noch kurzfristig über Online-Platt- weilige Landesregierung dazu, Gebiete mit angespannten formen vermietet werden.35 Wohnungsmärkten für die Dauer von höchstens fünf Jahren Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hält die zu bestimmen. Dies erfolgte z.B. für das gesamte Stadtgebiet mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz geschaffenen Vor- von Berlin und Hamburg, aber auch in anderen Städten.31 schriften zur „Mietpreisbremse“ für verfassungskonform.36 Ausgenommen sind Neubauten und zunächst auch Moder- Nach Auffassung des Gerichts verstoßen diese nicht gegen nisierungen, um Investitionen in mehr – und moderneren – die Garantie des Eigentums, die Vertragsfreiheit oder den all- Wohnraum nicht zu beeinträchtigen. gemeinen Gleichheitssatz. Dies hat die 3. Kammer des Ers Die Mietpreisbremse führt als „begrenzte Symptom- ten Senats entschieden und eine Verfassungsbeschwerde therapie für Personen, denen es gelingt, eine Wohnung gegen diese Bestimmungen einstimmig nicht zur Entschei- zu erlangen“32 im Gegensatz zu anderen Maßnahmen nicht dung angenommen.37 29 Gesetz zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung (Miet- rechtsnovellierungsgesetz – MietNovG) vom 21.04.2015, BGBl. I, 2015, 610f. 30 Ein angespannter Wohnungsmarkt im Sinne des § 556d BGB liegt insbesondere dann vor, wenn die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durch- schnitt, die durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte den bundesweiten Durchschnitt deutlich übersteigt, die Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit erforderlicher Wohnraum geschaffen wird oder geringer Leerstand bei großer Nachfrage besteht. 31 In Bayern galt die Mietpreisbremse zunächst nicht, da die von der Landesregierung erlassene Rechtsverordnung einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhielt. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Angespanntheit der Wohnraumsituation in den einzelnen Gemeinden nur unzureichend dargelegt wurde. Am 06.08.2019 trat nun die neue Mieterschutzverordnung in Kraft. 32 Vgl. SVR (2018), S. 333. 33 Vgl. SVR (2018), Deschermeier/Haas/Hude/Voigtländer (2016) oder Kholodilin/Mense/Michelsen (2018). 34 Neubauten unterliegen zwar nicht der Mietpreisbremse, allerdings kann sich die Mietpreisbremse dennoch negativ auf Investitionsentscheidungen auswirken, wenn Investoren insgesamt ein unsicheres regulatorisches Umfeld und zukünftige einschränkende und ggf. rückwirkend geltende Eingriffe befürchten. Vgl. auch SVR (2018), S. 352. 35 Vgl. SVR (2018), S. 352. 36 Vgl. BVerfG (2019). 37 Das BVerfG muss über die Annahme einer Verfassungsbeschwerde entscheiden. Die vorliegende Beschwerde wurde nicht angenommen, da die Kammer der Auffassung war, die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg, da kein Verfassungsrecht verletzt sei. 18
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege Aktuelle Politikmaßnahmen Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Mietpreisbremse Box 1 vom 18. Juli 2019 (BVerfG (2019)): • Die Regelungen zur Mietpreisbremse stellen einen Eingriff in das geschützte Eigentum zur Vermietung bereiter Woh- nungseigentümer dar. • Dieser Eingriff ist jedoch eine verfassungsrechtlich zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung. • Der Eingriff ist verhältnismäßig. Nach Auffassung der Kammer liegt es im öffentlichen Interesse, der Verdrängung wirt- schaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus beliebten Stadtvierteln entgegenzuwirken. • Die Regulierung der Miethöhe ist geeignet, dieses Ziel zu erreichen, da durch die Begrenzung von Preisspitzen zu- mindest die Voraussetzung geschaffen wird, einkommensschwächeren Mietern einen Marktzugang zu gewähren. • Es ist zudem nicht auszuschließen, dass die Mietpreisbremse einkommensschwächeren Wohnungssuchenden bei einem Wohnungswechsel das Anmieten einer Wohnung in ihrer angestammten Umgebung ermöglicht. • Die Miethöhenregulierung ist auch erforderlich, um das verfolgte Ziel zu erreichen. Zwar kämen auch andere – staatli- che – Maßnahmen zur Linderung oder Behebung der Wohnungsnot in Betracht, etwa die Förderung des Wohnungs- baus oder die erweiterte Gewährung von Wohngeld. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber diese gegenüber der Mietpreisbremse milderen und auch kurzfristig vergleichbar wirksamen Mittel für seine Erwägungen hätte heranziehen müssen. • Die Regelung ist zumutbar, denn der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum, der nicht überschritten wird. Die Regelung stellt einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den schutzwürdigen Interessen der Eigentümer und der Belange des Gemeinwohls dar. Der Beschluss des BVerfG ist aus mehrerlei Hinsicht schärfung der Mietpreisbremse oder der geplante Mieten- aufschlussreich. Zum einen scheint das Gericht seiner deckel in Berlin, gemessen werden. Rechtsauffassung sicher, da es anderenfalls die Verfassungs- So ist zum 1. Januar 2019 das „Gesetz zur Ergänzung beschwerde zur Entscheidung angenommen und nicht wegen der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn mangelnder Erfolgsaussichten die Annahme der Entschei- und zur Anpassung der Regelungen über die Modernisierung dung abgelehnt hätte. Allerdings zeigen sich auch gravierende der Mietsache (Mietrechtsanpassungsgesetz – MietAnpG)“ Schwächen in der Beurteilung durch das Gericht. So er- mit folgenden Verschärfungen in Kraft getreten:38 scheint die Formulierung hinsichtlich der fehlenden Erwägung möglicher milderer Mittel wie eine Erhöhung des Wohngelds • Vermieter müssen bereits bei Vertragsschluss angeben, ob oder die Förderung des Wohnungsbaus durch den Gesetz- sie sich auf eine Ausnahmeregelung zur Mietpreisbegren- geber als äußerst dürftig. Gleichermaßen schwach wirkt die zung berufen wollen und offenlegen, ob sie sich wegen Argumentation hinsichtlich der Eignung der Mietpreisbremse, Modernisierung oder höherer Vormiete berechtigt sehen, einkommensschwächeren Wohnungssuchenden tatsächlich eine höhere Miete zu verlangen. die Anmietung einer Wohnung in ihrer angestammten Umge- bung zu ermöglichen („wäre zumindest die Voraussetzung ge- • Als Vormiete ist dabei die Miete maßgeblich, die der Vor- schaffen“, „ist nicht auszuschließen, dass die Anmietung einer mieter ein Jahr vor Ende seines Mietvertrags gezahlt hat, Wohnung ermöglicht würde“). nicht die letzte Miete. Zum anderen steckt der Beschluss den verfassungs- rechtlichen Rahmen ab, an dem die weiteren geplanten • Der Mieter muss die Forderung nach Mietsenkung nicht oder bereits realisierten Eingriffe ins Eigentum, wie die Ver- mehr begründen. 38 Gesetz zur Ergänzung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn und zur Anpassung der Regelungen über die Modernisierung der Mietsache (Mietrechtsanpassungsgesetz – MietAnpG), BGBl. I 2018, 2648. 19
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