WOHNEN IN DER SACKGASSE? - HOLZWEGE, IRRWEGE, AUSWEGE ARGUMENTE ZU MARKTWIRTSCHAFT UND POLITIK - STIFTUNG MARKTWIRTSCHAFT

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WOHNEN IN DER SACKGASSE? - HOLZWEGE, IRRWEGE, AUSWEGE ARGUMENTE ZU MARKTWIRTSCHAFT UND POLITIK - STIFTUNG MARKTWIRTSCHAFT
Wohnen
 2         inderder
   Das Mandat           Sackgasse?
                 Preisstabilität

Holzwege, Irrwege, Auswege

Argumente
zu Marktwirtschaft
und Politik

Nr. 147 | November 2019

Barbara Bültmann-Hinz
Wohnen – HolzwegE, IrrwegE, AuswegE
Barbara Bültmann-Hinz
Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 147

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 03

1   Einleitung 04
2   Der Preis von Wohnraum 05
         2.1 Preisentwicklung 05
         2.2 Weitere Parameter 09
3   Eigentumsquote im Vergleich 11
4   Faktoren der Preisentwicklung 12
         4.1 Fehlendes Angebot und Baulandmangel 12
         4.2 Baukosten und regulatorische Aspekte 13
         4.3 Zinsentwicklung 13
         4.4 Erwerbsnebenkosten 14
         4.5 Laufende Nebenkosten – Grundsteuer 16
         4.6 „Zweckentfremdeter Wohnraum“ – kurzfristige Vermietung über Plattformen 17
5   Aktuelle Politikmaßnahmen 18
         5.1 Mietpreisbremse 18
         5.2 Förderung Mietwohnungsneubau 20
         5.3 Wohngeld 21
         5.4 Baukindergeld 21
6   Geplante Maßnahmen – weitere Eingriffe in das Eigentum 22
         6.1 Eigentumsgarantie des Grundgesetzes 22
         6.2 Enteignung 23
         6.3 Baugebot 24
         6.4 Mietendeckel 25
7   Lösungsansätze 27
         7.1 Investitionen fördern 27
         7.2 Bereitstellung von Flächen 27
         7.3 Verkürzte Verfahren 28
         7.4 Deregulieren 28
         7.5 Attraktivität des Umlands stärken 28
         7.6 Immobilienerwerb fördern 29
         7.7 Unbequeme Fragen 29
         7.8 Fazit 29

Literaturverzeichnis 30

Executive Summary 32

© 2019

Stiftung Marktwirtschaft (Hrsg.)
Charlottenstraße 60
10117 Berlin
Telefon: +49 (0)30 206057-0
Telefax: +49 (0)30 206057-57
www.stiftung-marktwirtschaft.de

ISSN: 1612 – 7072                                                         Die Publikation ist auch über den QR-Code
Titelbild: © Armin Staudt – stock.adobe.com                               kostenlos abrufbar.
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege                                                                              Vorwort

Vorwort

Die Debatte um die „neue Wohnungsfrage“ nimmt immer                        Im Interesse einer sachgeleiteten Politik wäre es ange-
mehr Fahrt auf. Einiges scheint nicht in Ordnung zu sein – wer       bracht, überbordenden Aktionismus zu unterlassen und erst
hat nicht von starken Preissteigerungen, Schlangen Woh-              einmal eine vernünftige Bestandsaufnahme vorzunehmen:
nungssuchender und vermeintlichen Spekulanten gehört und             Wer weiß bzw. wissen will, wo tatsächlich Handlungsbedarf
gelesen? Die Betroffenheit ist groß. Die Neigung der Medi-           ist und welchen Beitrag die Politik oder der Staat hierzu leis-
en, spektakuläre Einzelfälle zu schlagzeilentauglichen Trends        ten kann, gerät kaum auf einen der Holzwege, auf die man-
zu verdichten, auch. Kein Wunder, dass Politiker die Empö-           che öffentliche Wahrnehmung abgeglitten ist. Er schlägt dann
rungswellen gekonnt abreiten und sich weniger mit der Frage          auch keine Irrwege ein und verrennt sich nicht in Sackgassen.
nach eigenen Versäumnissen aufhalten, als den Eindruck des           Seit 1964 die Wohnraumbewirtschaftung durch den Staat
„Kümmerns“ zu erwecken – mit allerlei Vorschlägen von Bau-           aufgehoben wurde, hat sich in Deutschland im Hinblick auf
geboten bis zu Mietendeckeln und Sozialisierungen.                   Wohnqualität in einem insgesamt angemessenen und sehr
      Weniger Energie wird hingegen in eine dringend nötige          kontinuierlichen Rahmen mehr Gutes getan als vorher unter
Analyse der tatsächlichen Lage auf dem Wohnungsmarkt ge-             öffentlicher Verwaltung. Man wohnt heute weit überwiegend
steckt. Der Aufwand differenzierter Betrachtungen, um ge-            sehr gut in Deutschland. Und privat kann es besser als der
zielt gegen Ursachen von Wohnungsknappheit und konkrete              Staat – wenn letzterer nicht immer neue Hürden aufbaut und
Härten bei den Wohnkosten vorzugehen, wird gescheut. Eine            Fehlanreize setzt.
ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema Wohnen wür-                      Der Ausweg aus der wohl mehr gefühlten als tatsächlich
de den Blick womöglich ja auch auf manche fehlende Weit-             in der Breite anzutreffenden Wohnungsmisere liegt in einer
sicht des Staates richten. In vielen Städten wurde z.B. nicht        ehrlichen Beschäftigung mit der Realität sowie der Stärkung
nur versäumt, ausreichend Bauland zu erschließen, es fehlt           all dessen, was dem Bau und Erhalt von Häusern und Woh-
sogar teilweise ein Überblick darüber, welche Flächen über-          nungen dient: Rechts- und Planungssicherheit, Schutz des
haupt zur Verfügung stünden. An anderer Stelle wurden – aus          Eigentums und Vertragsfreiheit, Anreize zu Privatinitiative und
falsch verstandener Rücksichtnahme auf Veränderungsver-              Eigenverantwortung. Mietpreisbremsen und andere Eingriffe
weigerungsbürger heraus – mögliche Verdichtungen, Ver-               in die Preisfindung, mehr Bürokratie und Auflagen haben
besserungen oder Großprojekte, die dringend benötigten               noch keine einzige Wohnung neu entstehen lassen. Und wie
Wohnraum schaffen würden, gar nicht erst ernsthaft ange-             „volkseigener Wohnraum“ aussieht, konnte man in der DDR
gangen – oder Chancen durch hohe Auflagen und Bürokratie             und lange genug auch in deren Folge in den ostdeutschen
verspielt.                                                           Ländern beobachten.
      Völlig losgelöst von den Forderungen nach „bezahlbarem
Wohnraum“ – was eigentlich heißt „bezahlbar“ und gibt es ein         Wir danken der informedia-Stiftung für die Förderung dieser
Menschenrecht auf günstiges Wohnen in Berlin-Mitte? – wur-           Publikation.
de die Debatte um die Grundsteuerreform geführt. Dabei gibt
es durchaus einen Zusammenhang, denn die Grundsteuer
erhöht die Wohnkosten – und wird, egal, was die Politik an
Verrenkungen unternimmt, am Ende bei den Wohnenden lan-
den. Der vorgesehene wertbasierte Ansatz führt zwangsläufig
zu einer Erhöhung der Wohnkosten in den teuren Lagen. Die
Grundsteuer fingiert so eine objektbezogene Leistungsfähig-
keit, die dem Steuerrecht fremd ist. Wer teuer mieten muss,
ist nicht zwangsläufig auch tatsächlich leistungsfähig genug,        Prof. Dr. Michael Eilfort         Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen
um mit Miete und Grundsteuer doppelt zur Kasse gebeten               Vorstand                          Vorstand
zu werden.                                                           der Stiftung Marktwirtschaft      der Stiftung Marktwirtschaft

                                                                 3
Einleitung                                                                            Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege

1            Einleitung

Das Sprichwort „Ein eigener Herd ist Goldes wert“ war noch                  in der Breite oder ist der Anstieg ein lokales oder regionales
nie so zutreffend wie heute. Eigenheim- und Wohnungsbesit-                  Problem? Und worauf sind höhere Wohnkosten zurückzufüh-
zer profitieren vom Immobilienboom, während Mieter schein-                  ren? Ist es tatsächlich spekulativer Leerstand oder beruht der
bar auf der Verliererseite stehen. So oder so: Das Bedürfnis                Anstieg auf mangelnder Bautätigkeit oder dem Zuzug in die
nach einem Dach über dem Kopf trifft den Kernbereich der                    Ballungsgebiete? Ist das Problem nicht vielmehr eine geringe
menschlichen Existenz. Die eigene Wohnung gibt Schutz, bie-                 Wohneigentumsquote wenn beklagt wird, dass nur wenige
tet ein Zuhause und einen Rückzugsort und ist Grundlage für                 Bürger von dem Immobilienboom profitieren?
die Gewährleistung der Privatsphäre. Nicht umsonst ist der                       Der derzeitige Aktionismus in Sachen Wohnen ist groß.
Schutz der Wohnung ein hohes Gut. Das Grundgesetz stellt die                Mietpreisbremse, Mietendeckel, Enteignungen, die Förderung
Unverletzlichkeit der Wohnung unter besonderen Schutz,                      von Mietwohnungsneubau und viele weitere Initiativen oder
um die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu sichern. Wohn-                Gesetzesvorhaben sollen den Eindruck erwecken, es wer-
eigentum verbindet diesen geschützten Raum mit der Mög-                     de tatkräftig gehandelt. Doch sind diese Mittel tauglich, um
lichkeit von Vermögensaufbau und einer Absicherung im Alter.                eventuellen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken? Und wie
      Verfolgt man die aktuelle Diskussion, kann man den Ein-               steht es 70 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes
druck gewinnen, dass Wohnraum unbezahlbar geworden                          mit dem Eigentumsrecht als eine der Grundlagen unserer heu-
sei. Doch ist dieser Anschein gerechtfertigt? Wird Wohnen                   tigen Wirtschaftsordnung?
tatsächlich insgesamt teurer oder entspricht der Anstieg der                     Diesen und anderen Fragen geht die Stiftung Marktwirt-
allgemeinen Lohn- und Preisentwicklung? Steigen die Preise                  schaft in dieser Publikation nach.

    Abbildung 1:
    Entwicklung der Hauspreise, Mietpreise und des Verbraucherpreisindex in Deutschland
    Quelle: Statista 2019.

    120

                              Hauspreisindex 2015 = 100
    115
                              Mietpreisindex 2010 = 100
                              Verbraucherpreisindex 2015 = 100
    110

    105

    100

      95

      90

      85

      80
             2000            2002          2004           2006   2008          2010         2012        2014        2016        2018

                                                                        4
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege                                                                                 Der Preis von Wohnraum

2          Der Preis von Wohnraum

Die öffentliche Debatte um die Preisentwicklung am Woh-                            ckelte sich in den Jahren 1995 bis 2016 für Wohnungsmieten
nungsmarkt wird hitzig geführt und spiegelt die Bedeutung                          einschließlich des Mietwerts von Eigentümerwohnungen im
des Gutes Wohnen für die Menschen wider. Doch entspricht                           Verhältnis zum Verbraucherpreisindex für die Lebenshaltung
die verbreitete krisenhafte Wahrnehmung der Faktenlage?                            weitestgehend parallel. Gaben die Hauspreise Anfang des
Die (Preis-)Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt ist einen                            Jahrtausends eher leicht nach, so sind sie inzwischen deut-
genaueren Blick wert.                                                              lich angestiegen.
                                                                                         Unterscheidet man bei der Mietpreisentwicklung zwi-
                                                                                   schen den durchschnittlichen Netto-Kaltmieten im gesamten
2.1        Preisentwicklung                                                        Bundesgebiet, in den sieben A-Städten1 und in den 127
                                                                                   größten deutschen Städten, zeigt sich, dass die Preissteige-
                                                                                   rungen in den großen Städten im Vergleich zu denen der Ge-
Die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt erscheint zu-                           samtnettokaltmieten (Bestand und Neuvermietung) seit 2010
nächst moderat (vgl. Abbildung 1). Der Mietpreisindex entwi-                       deutlich stärker ausfallen (vgl. Abbildung 2).

                                                                                                                              Abbildung 2:
    150   2010 = 100                                                                                                          Mietpreisentwicklung für
                                                                                                                              Wohnraum in Deutschland
    140
                                                                                                                              Quelle: Deutsche Bundesbank/
    130                                                                                                                       Immobilienweisen.

    120

    110

    100

     90

     80
          2004    2005    2006   2007    2008   2009    2010    2011   2012    2013   2014    2015    2016   2017

               Neuvermietungen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart
               Neuvermietungen in den 127 größten Städten Deutschlands
               Nettokaltmieten gesamt

      Setzt man die Wohnkosten (d.h. Miete und Wohneigen-                          Wohnkosten (vgl. Abbildung 3). Diese kumulierte Betrach-
tum) ins Verhältnis zum Nettoeinkommen, so zeigt sich in den                       tungsweise täuscht jedoch über die Heterogenität der Preis-
letzten zehn Jahren im Trend sogar ein sinkender Anteil der                        entwicklung hinweg.

1     Unter den A-Städten versteht man im Immobilienmarkt die wichtigsten Märkte mit nationaler und zum Teil internationaler Bedeutung. In Deutschland sind dies:
      Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart.

                                                                               5
Der Preis von Wohnraum                                                                        Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege

                                                                                                                      Abbildung 3:
   40%                                                                                                                Anteil der Wohnkosten
                                                                                                                      (Miete und Eigentum)
   35%      33,4% 32,6%                                                                                               am verfügbaren
                              31,8%
                                       30,9%                                                                          Haushaltseinkommen
   30%                                                    28,3% 27,9% 28,2%
                                                  27,5%                     27,3% 27,3% 27,4%
                                                                                                         26,3%
                                                                                                                      in Deutschland
   25%                                                                                                                Quelle: Eurostat 2018.

   20%

   15%

   10%

    5%

    0%
             2006     2007     2008     2009      2010    2011   2012    2013       2014   2015   2016   2017

     Angesichts sinkender Zinsen gehen tendenziell auch die                               Eine Studie des IW-Köln2 kommt zu dem Ergebnis, dass
Wohnkosten für Eigentumswohnungen zurück, während sich                              in Deutschland in den letzten Jahren nicht nur die Mieten
bei einer isolierten Betrachtung der Mietkosten im Verhältnis                       und Preise für Wohneigentum stark gestiegen sind, sondern
zum Nettoeinkommen ein anderes Bild ergibt (Abbildung 4).                           auch die Löhne. Untersucht wurde für sämtliche 401 Kreise
                                                                                    in Deutschland, wie erschwinglich Wohnen ist, d.h. wie viel
                                                                                    Wohnraum sich ein Arbeitnehmer (abhängig von seiner Quali-
  Abbildung 4:                                                                      fikation und seiner Branche) durchschnittlich leisten kann. Es
  Mietbelastungsquote in Deutschland                                                wird deutlich, dass sich die Erschwinglichkeit von Miet-
  Quelle: Statistisches Bundesamt 2016.                                             wohnungen zwischen 2013 und 2017 in rund zwei Dritteln
                                                                                    der Kreise erhöht hat. Sogar in A-Städten wie Hamburg
                                                                                    oder Frankfurt am Main hat die Erschwinglichkeit etwas zu-
   30%                                                                              genommen. In Berlin oder München, wie auch in einer nicht
                                                                 27,2%
                                                                                    unerheblichen Anzahl von Kreisen, ist die Erschwinglichkeit
   25%       23,5%                                                                  von Wohnraum jedoch zurückgegangen, d.h. die Preise von
                           22,7%       22,8%         22,5%
                                                                                    Mietwohnungen sind stärker gestiegen als die Löhne.
   20%                                                                                    Abgenommen hat die Erschwinglichkeit laut dieser
                                                                                    Studie zwischen 2013 und 2017 hingegen bei Wohnungs-
   15%                                                                              käufen. Hier ist die finanzierbare Wohnfläche in 63 Prozent
                                                                                    der Kreise zurückgegangen. Im Vergleich zwischen Miete und
   10%                                                                              Eigentumserwerb kommen die Forscher dennoch zu dem Er-
                                                                                    gebnis, dass sich Wohnungskäufer aufgrund der niedrigen
    5%                                                                              Zinsen im Durchschnitt mehr Quadratmeter Wohnraum leis­
                                                                                    ten können, wenn die Miete dem Ausgabenniveau für Zins
    0%
                                                                                    und Tilgung entspricht. Im Schnitt lohnt sich der Eigentums-
              1998         2002         2006         2010        2014               erwerb also immer noch.3

2     Vgl. Sagner/Voigtländer (2018).
3    Vgl. dazu auch Voigtländer/Seipelt (2018).

                                                                                6
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege                                                                       Der Preis von Wohnraum

                                                                                                                     Abbildung 5:
   6%                                                                                                                Entwicklung des
                                                                                                                     effektiven Jahreszinses
                                                                                                                     für Wohnungsbaukredite
   5%
                                                                                                                     an Privathaushalte mit
                                                                                                                     anfänglicher Zinsbindung
   4%                                                                                                                Quelle: Deutsche Bundesbank.

   3%

   2%

                           Effektiver Jahreszins

   1%

   0%
          2003         2005         2007           2009     2011      2013         2015       2017       2019

    Eine Unwucht zeigt sich im Vergleich der Entwicklung                         So betrug der Preiszuwachs in Berlin im 3. Quartal 2018 im
der Neumieten mit der Entwicklung der Bestandsmieten.                            Vergleich zum 3. Quartal 2017 9,2 Prozent. In München war
Während die Bestandsmieten sich verhalten entwickeln, wer-                       der Anstieg mit 6,8 Prozent etwas schwächer, allerdings auf
den Neumieten teurer (vgl. Abbildung 2). Dies betrifft insbe-                    die mit deutlichem Abstand höchsten Mietpreise (16,54 Euro/
sondere die Neuvertragsmieten in den A-Städten (Tabelle 1).                      qm). Diese Angaben beruhen in der Regel auf den Angebots-
                                                                                 mieten in den verfügbaren Internetportalen. Diese Werte un-
                                                                                 terliegen allerdings einer gewissen Selektion. Denn günstiger
  Tabelle 1:                                                                     Wohnraum wird häufig nicht über diese Portale, sondern di-
  Anstieg der Neuvertragsmieten 2018                                             rekt angeboten, mit der Folge, dass günstiger Wohnraum in
  im Vergleich zum Vorjahr                                                       den Portalen unterrepräsentiert wird. Der tatsächliche Wert
                                                                                 der Angebotsmieten dürfte folglich etwas niedriger sein.
  Quelle: Wandzik et al. 2019.
                                                                                       Im internationalen Vergleich war die Preisentwicklung in
                                                                                 Deutschland lange Zeit verhalten. Der Immobilienboom der
                                 Zuwachs       Durchschnittliche Miete           1990er Jahre ging an Deutschland weitgehend vorbei.4 Erst
   Berlin                         9,2%                10,04 Euro/qm              in den 2010er Jahren ist der Immobilienboom in Deutschland
                                                                                 angekommen, mit stärkeren Preissteigerungen bei Wohn-
   Stuttgart                      7,8%                13,16 Euro/qm
                                                                                 immobilien als in anderen Ländern. Auch die Mieten sind in
   München                        6,8%                16,54 Euro/qm
                                                                                 Deutschland im internationalen Vergleich eher bescheiden.
   Hamburg                        5,7%                10,90 Euro/qm              Im Vergleich der durchschnittlichen Mieten pro Quadratmeter
   Frankfurt a. M.                5,7%                12,58 Euro/qm              liegt selbst die teuerste deutsche Stadt München fast noch
   Düsseldorf                     4,9%                10,42 Euro/qm              im unteren Drittel (Abbildung 6).5 Insofern stellt der preisliche
   Köln                           4,7%                10,23 Euro/qm              Anstieg der vergangenen zehn Jahre in Deutschland im inter-
                                                                                 nationalen Vergleich einen relativ moderaten Aufholprozess
   Deutschland                    3,9%                7,06 Euro/qm
                                                                                 dar.

4     Vgl. Baldenius/Kohl/Schularick (2019).
5     Vgl. Deloitte (2019).

                                                                             7
Der Preis von Wohnraum                                                               Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege

                                                                                                             Abbildung 6:
 Paris (Zentrum)    FR                                                                               27,8    Durchschnittliche
            Oslo    NO                                                                        25,3           monatliche Miete 2018
     Trondheim      NO                                                            21,3                       in Euro/qm
         London     UK                                                        20,1
                                                                                                             im europäischen Vergleich
         Bergen     NO                                                       19,7
      Barcelona     ES                                                       19,6                            Quelle: Deloitte Property Index
  Copenhagen        DK                                                    19,0                               2019.
    Amsterdam       NL                                                   18,7
  Ile de France     FR                                                   18,5
          Madrid    ES                                                  18,1
          Aarhus    DK                                              16,8
    Manchester      UK                                       14,8
        Warsaw      PL                                     14,6
           Rome     IT                                  13,4
         Prague     CZ                                  13,4
     The Hague      NL                                 13,1
            Lyon    FR                                12,6
     Rotterdam      NL                               12,4
        Odense      DK                               12,3
            Milan   IT                               12,3
        Marseille   FR                            11,6
    Birmingham      UK                           11,2
        Brussels    BE                           11,1
        Antwerp     BE                          10,9
          Lisbon    PT                          10,8
         Krakow     PL                          10,8
        Wroclaw     PL                          10,8
      Budapest      HU                         10,5
        Munich      DE                         10,5
          Vienna    AT                       9,8
            Brno    CZ                      9,6
           Ghent    BE                      9,5
      Hamburg       DE                  8,6
      Frankfurt     DE                  8,4
        Alicante    ES                  8,4
            Łódz    PL                  8,4
             Linz   AT                 8,3
            Graz    AT                 8,3
           Porto    PT               7,5
           Berlin   DE              7,3
            Turin   IT            6,9
         Ostrava    CZ           6,6
            Gyor    HU           6,5
      Debrecen      HU           6,4
                         0   5          10              15               20              25            30

                                                                     8
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege                                                                            Der Preis von Wohnraum

                                                                                     wohnungen, d.h. leerstehende Wohnungen, die unmittelbar
2.2          Weitere Parameter                                                       vermietbar sind oder die nach Beseitigung von Mängeln in
                                                                                     den nächsten sechs Monaten dem Markt wieder zugeführt
                                                                                     werden können. Die gesamte Leerstandsquote ist höher. Die
Interessant ist die Entwicklung bei den Wohnungsleerstän-                            oft als Begründung für Eingriffe in den Wohnungsmarkt heran-
den. Die Entwicklung der Leerstandsquote auf dem deut-                               gezogene Vermutung einer Zunahme spekulativen Leerstands
schen Immobilienmarkt zeigt eine deutliche Abnahme der                               zulasten der Wohnungssuchenden lässt sich hieraus nicht ab-
leerstehenden Wohnungen. Abbildung 7 gibt einen Überblick                            leiten. Vielmehr scheint der sinkende Leerstand auf eine bes-
über den Leerstand bei sogenannten marktaktiven Geschoss-                            sere Auslastung des vorhandenen Wohnraums hinzuweisen.

                                                                                                                          Abbildung 7:
   4,25%                                                                                                                  Entwicklung der
                                            4,1%
                                                                                                                          Leerstandsquote
       4%                                                                                                                 bei marktaktiven
                              3,9%                 3,9%
                                                                                                                          Geschosswohnungen
                       3,8%
                                     3,9%
             3,7%                                         3,7% 3,7%                                                       Quelle: Statista 2019.
   3,75%
        3,6%                                                          3,6%

      3,5%                                                                   3,4%
                                                                                    3,3%
   3,25%
                                                                                           3,1%
                                                                                                  3%    3%
       3%                                                                                                     2,9% 2,9%

   2,75%
        2001           2003          2005          2007       2009           2011          2013        2015       2017

     Angesichts der Veränderung der Bevölkerungs-                                        Aus den dargelegten Daten lassen sich folgende Er-
struktur hin zu mehr Single- und Zweipersonenhaushalten                              kenntnisse ableiten:
ist es nicht verwunderlich, dass die durchschnittliche Haus-
haltsgröße in Deutschland stetig sinkt, während die Wohnflä-                         • Die Wohnungsmieten sind absolut gesehen in den letz-
che pro Kopf in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen                              ten Jahren tatsächlich gestiegen. Allerdings ist – bei einer
hat (vgl. Abbildung 8) mit Folgen für den Wohnungsmarkt.                               aggregierten Betrachtungsweise – der durchschnittliche
     Die Gesamtbevölkerung ist zudem gewachsen. Wohnten                                Preisanstieg moderat.
in Deutschland (Ost- und Westdeutschland) in den 50er Jah-
ren des vorangegangenen Jahrhunderts noch 70 Millionen                               • Es gibt jedoch signifikante regionale wie strukturelle Un-
Menschen, so waren es 1990 mehr als 80 Millionen. Inzwi-                               terschiede. Die Neuvertragsmieten weisen im Vergleich zu
schen hat die Bevölkerung einen neuen Höchststand von                                  den Bestandsmieten hohe Preissteigerungen auf. Die stei-
knapp über 83 Millionen Einwohnern6 im Jahr 2018 er-                                   genden Mieten und fehlenden Wohnungen betreffen damit
reicht. Das Statistische Bundesamt rechnet – je nach ange-                             vor allem die Wohnungssuchenden.
nommener Geburtenhäufigkeit, Lebenserwartung und Net-
tozuwanderung – mit einem weiteren Bevölkerungszuwachs                               • Besonders betroffen von den Preissteigerungen sind die
bis mindestens 2024 und mit einem Bevölkerungsrückgang                                 127 größten Städte und dort insbesondere die 7 A-Städte.
spätestens ab 2040.7                                                                   Die Mieten der A-Städte (auf hohem Niveau) sind weiter

6    Vgl. Statistisches Bundesamt (2019b).
7     Vgl. Statistisches Bundesamt (2019a).

                                                                                9
Der Preis von Wohnraum                                                                        Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege

  Abbildung 8:
  Entwicklung von Wohnfläche und Haushaltsgröße in Deutschland
  Quellen: Statistisches Bundesamt 2018, Statistisches Bundesamt 2019, eigene Berechnungen

  2,35    Haushaltsgröße in Personen                                                                                                 Wohnfläche in qm     50

   2,3                                                                                                                                                    45

  2,25                                                                                                                                                    40

   2,2                                                                                                                                                    35

  2,15                                                                                                                                                    30

   2,1                                                                                                                                                    25
                      Wohnfläche pro Kopf
  2,05                                                                                                                                                    20
                      Durchschnittliche Haushaltsgröße
     2                                                                                                                                                    15

  1,95                                                                                                                                                    10
           1989     1989     1991      1993     1995     1997      1999     2001      2003     2005     2007      2009     2011     2013      2015

   angestiegen. Den höchsten Zuwachs hatte im Vergleich                              gleich zum Einkommen, ist in zwei Dritteln der deutschen
   3. Quartal 2017 zu 3. Quartal 2018 Berlin in Höhe von                             Landkreise gesunken.
   9,2 Prozent für Neuvermietungen. Die absolut höchs-
   ten Mieten werden in München gezahlt, durchschnittlich                          • Wohnen wird ganz besonders für Neumieter teurer, d.h. vor
   16,54 Euro/qm für das Referenzobjekt.8                                            allem diejenigen, die aufgrund beruflicher oder familiärer
                                                                                     Veränderungen auf Wohnungssuche gehen, sind betroffen.
• Im Verhältnis zum Einkommen sind die relativen Wohnkos­                            Die Bestandsmieten entwickeln sich deutlich moderater.
  ten (d.h. Miete und Wohneigentum) in den letzten Jahren
  in der Gesamtbetrachtung im Durchschnitt eher gesunken,                          • Die Leerstandsquoten sind deutlich gesunken.
  wobei dies vor allem auf die sinkenden Kosten bei Wohnei-
  gentum zurückzuführen sein dürfte. Bezogen auf die Mie-                          • Die Wohnfläche pro Kopf ist gestiegen, parallel dazu
  ten sind die relativen Kosten tendenziell gestiegen.                               nimmt die Haushaltsgröße ab. Das bedeutet, dass selbst
                                                                                     bei gleichbleibender Bevölkerungszahl mehr Wohnfläche
• Eine detaillierte Betrachtung zeigt, dass die Erschwing-                           benötigt wird. Bei einer derzeit wachsenden Bevölkerung
  lichkeit von gemieteten Wohnungen, d.h. die Miete im                               verstärkt sich dieser Effekt.
  Verhältnis zum Lohn, in zwei Drittel der Kreise gestiegen
  ist. Allerdings hat die Erschwinglichkeit in einem Drittel der                       Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass insbe-
  Landkreise abgenommen.                                                           sondere Neumieter und Wohnungssuchende (in Bal-
                                                                                   lungsgebieten) von den steigenden Preisen betroffen sind.
• Umgekehrt stellt sich das Verhältnis beim Wohneigentum                           Für diese Gruppen muss Entlastung geschaffen werden,
  dar. Die Kaufpreise für Wohneigentum sind in den letzten                         während Bestandsmieter durch bestehende Regelungen
  Jahren signifikant gestiegen. Auch die Erschwinglichkeit                         zum Kündigungsschutz und zu Mieterhöhungen bereits weit-
  von Wohn­eigentum, d.h. die Kaufpreisentwicklung im Ver-                         gehend geschützt sind.

8    Vgl. Wandzik/Wunsch/Müller (2019), S. 253f., Referenzobjekt ist eine 3-Zimmerwohnung, 80 qm, mittlere Ausstattung, mittlere Wohnlage, Baualter 30 Jahre.

                                                                             10
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege                                                         Eigentumsquote im Vergleich

3           Eigentumsquote im Vergleich

Im internationalen Vergleich ist der Anteil der Bevölkerung,           Anteil an Wohneigentümern zu einer Abnahme der Vermö-
die im Eigentum wohnt, in Deutschland auffallend gering. Ein           gensungleichheit führt, konzentriert sich in Deutschland
Vergleich der Wohnungseigentumsquoten mit verschiedenen                das Immobilienvermögen stark auf wenige Bevölkerungs-
europäischen und außereuropäischen Ländern zeigt, dass                 gruppen,9 und nur diese profitieren von den steigenden Im-
Deutschland hier eine Schlussposition einnimmt (vgl. Abbil-            mobilienpreisen. Preisanstiege bei den Mieten wirken sich
dung 9). Nur in der Schweiz ist die Mietquote höher.                   in Deutschland in besonderem Maße aus, da sie weite Teile
     Dies bedeutet, dass ein großer Teil der Bevölkerung we-           der Bevölkerung betreffen. Dies ist insbesondere in Berlin der
der von den seit längerer Zeit sinkenden Zinsen und damit              Fall, wo der Anteil der Wohnungseigentümer lediglich rund 16
einer sinkenden monatlichen Belastung durch etwaige Finan-             Prozent beträgt.10
zierungskosten profitiert, noch von den Wert- und damit Ver-                 Dass Wohneigentum in Deutschland im Vergleich zu
mögenssteigerungen für Wohnimmobilien in vielen Städten.               anderen Ländern eine geringere Bedeutung hat, bringt
Während der Immobilienboom in Ländern mit einem höheren                Auswirkungen auf den potentiellen Vermögensaufbau, Al-

    Abbildung 9:
    Mieter- und Eigentümerquote im internationalen Vergleich 2014 oder letztes verfügbares Jahr (in Prozent)
    Quelle: OECD.

    100

      90

      80

      70

      60

      50

      40

      30

      20

      10

       0
               an d
                            h
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                                    andere      Eigentümer belastet       Eigentümer unbelastet    Mieter

9    Vgl. SVR (2018), S. 368.
10 Vgl. Statista (2019).

                                                                  11
Faktoren der Preisentwicklung                                                   Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege

tersvorsorge, die Vermögensentwicklung und die Vermö-               rend das einkommensschwächste Fünftel teils dramatische
gensverteilung mit sich. Dies ist von besonderer Relevanz,          Steigerungen an Ausgaben für Wohnen zu verzeichnen
da Sparvermögen angesichts des langanhaltend niedrigen              hat, sinken beim einkommensstärksten Fünftel die relativen
Zinsniveaus kaum Wertsteigerung zu verzeichnen haben,               Wohnkosten.11 Hinzu kommt, dass jüngere Alterskohorten
während andere Vermögenswerte, nicht zuletzt Immobilien,            höhere Ausgaben für Wohnen zu tragen und weniger Geld für
in vielen Gegenden stark an Wert zugelegt haben. Untersu-           Sparen und Vermögensbildung für Immobilienerwerb sowie
chungen belegen, dass die Preisentwicklung bei Wohnkosten           das Alter zur Verfügung haben.12 Dies kann gravierende Fol-
auch Auswirkungen auf die Einkommensverteilung hat. Wäh-            gewirkungen auf die Vermögensungleichheit im Alter haben.

4            Faktoren der Preisentwicklung

                                                                    Entgegen einer verbreiteten Auffassung spricht die Tatsache,
4.1          Fehlendes Angebot und Baulandmangel                    dass bei wachsender Nachfrage und geringem Angebot die
                                                                    Preise steigen, nicht für ein Marktversagen, sondern im Ge-
                                                                    genteil für ein Funktionieren des Marktes, der den Preis
Die Gründe für die Preisentwicklung sind vielschichtig. Eine        als Knappheitssignal versteht. Das Problem steigender
wesentliche Ursache für die steigenden Preise von Wohnim-           Preise wird sich in den nächsten Jahren eher verschärfen,
mobilien und Mieten ist eine starke Nachfrage nach Wohn-            da in den Städten deutlich weniger gebaut wird, als der Be-
raum bei begrenztem Angebot.13 Dabei löst insbesonde-               darf dies vorgibt. In den A-Städten hat die Bautätigkeit zuletzt
re der Zuzug in die Großstädte und das nicht ausreichende           zwar deutlich zugenommen. Dennoch hält die Bautätigkeit
Wohnangebot Knappheit und damit steigende Preise aus.               mit der Nachfrage nicht Schritt (vgl. Abbildung 10).

                                                                                                        Abbildung 10:
    35.000                                                                                              Wohnungsbedarf und
                                                                                                        -angebot in den A-Städten
    30.000                                                                   jährlicher Bedarf          2017
                                                                             Baugenehmigungen
                                                                                                        (Wohnungen in Wohn- und
    25.000                                                                   Baufertigstellungen
                                                                                                        Nichtwohngebäuden, inkl.
                                                                                                        Maßnahmen an bestehen-
    20.000
                                                                                                        den Gebäuden)

    15.000                                                                                              Quellen: Bayerisches Landesamt
                                                                                                        für Statistik, Bundesamt, Statistik
                                                                                                        und Wahlen, Landeshauptstadt
    10.000                                                                                              Düsseldorf, Statistisches Amt für
                                                                                                        Hamburg und Schleswig-Holstein,
                                                                                                        Statistisches Bundesamt, Voigt-
     5.000                                                                                              länder et al. (2017), Wandzik et
                                                                                                        al. (2019).
        0
               Berlin     Hamburg      Düsseldorf   Köln   Stuttgart   Frankfurt a. M.   München

11 Vgl. Dustmann/Fitzenberger/Zimmermann (2018).
12 Vgl. Dustmann/Fitzenberger/Zimmermann (2018).
13 Vgl. Feld (2019), S. 57.

                                                               12
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege                                                               Faktoren der Preisentwicklung

      Die Anzahl der Baugenehmigungen ist ein wichtiger                         eine Wohnbauoffensive gestartet, um mehr Wohnraum zu
Indikator für zukünftige Bautätigkeit.14 In Deutschland ist                     schaffen. Es mangelt jedoch an der Umsetzung. Wohnungen
die Zahl der Baugenehmigungen in den letzten Jahren stark                       können nur dann gebaut werden, wenn Bauland zur Verfü-
angestiegen, zuletzt aber wieder leicht gesunken (347.300                       gung steht, Bauherren bereit sind, Wohnraum zu schaffen,
Wohnungen zum Bau genehmigt in 2018, ca. 28.000 weni-                           die Behörden zügig die Genehmigungen erteilen und im Bau-
ger als 2016).15 Die Anzahl der Baugenehmigungen zu Zeiten                      gewerbe genügend Kapazitäten vorhanden sind, um Woh-
des Baubooms Anfang der 1990er Jahre war allerdings                             nungen zu bauen.
fast doppelt so hoch.16 In den großen Städten zeigt sich ein
hetero­genes Bild. Während die Zahl der Baugenehmigungen
                                                                                4.2      Baukosten und regulatorische Aspekte
in München, Hamburg und Frankfurt gestiegen ist, sind die
Genehmigungszahlen in Düsseldorf, Köln, Stuttgart und Ber-
lin zurückgegangen.                                                             Parallel zu den Grundstückspreisen steigen die Baukosten für
      Rechtliche Unsicherheiten, wie die Diskussion um                          Neubauten seit 2008 in Deutschland konstant an (vgl. Abbil-
Enteignungen, drastische Mietpreisbegrenzungen und ähn-                         dung 11).
liches, sind kontraproduktiv, da sie Investitionen in Neu-                           Die Kosten werden vom nationalen und internationa-
bau abschrecken und auch Investitionen in den Bestand                           len Bauboom getrieben. Bemerkbar machen sich zusätzlich
begrenzen können.                                                               starke Preisanstiege bei den Baumaterialien. Doch auch die
      Ein weiterer Faktor ist das mangelnde Angebot an                          Vorgaben des Gesetzgebers machen Bauen in Deutschland
verfügbarem Bauland gerade in den Ballungsgebieten. In                          teuer. So wurden in den letzten Jahren die Vorschriften zu
den Innenstädten sind unbebaute Flächen in der Regel rar.                       Brandschutz, Barrierefreiheit, Schallschutz, Dämmung etc.
Eine mögliche Bebauung konkurriert mit anderen Nutzungs-                        verschärft. Dazu kommen die Vorgaben zur Energieeffizienz
möglichkeiten. Eine Verdichtung der Bebauung ist bei der                        u. Ä., die zwar zu Einsparungen bei den laufenden Kosten
Bevölkerung in der Regel extrem unpopulär. Entscheidungen                       führen, aber höhere Baukosten zur Folge haben. Es besteht
wie der Volksentscheid gegen die (Rand-)Bebauung des                            ein deutlicher Zielkonflikt zwischen der Bereitstellung von
Tempelhofer Feldes in Berlin, Widerstand gegen die Bebau-                       günstigem Wohnraum und Energieeffizienz.17 Aber auch
ung von Schrebergärten u. Ä. sind die Folge. Die Klage über                     vermeintlich einfache Vorgaben wie die Stellplatzregelung
mangelnden Wohnraum in der Bevölkerung führt beim Einzel-                       führen zu erheblichen Kosten – und gehen dabei noch am
nen noch lange nicht zu einer Akzeptanz von Eingriffen in lieb                  tatsächlichen Bedarf vorbei. In den Innenstädten lassen sich
gewonnene Besitzstände, sei es die eigene Laube, sei es der                     Stellplätze oftmals nur als teure Tiefgaragenstellplätze reali-
unverbaute Blick oder auch nur ausreichend freie Parkplätze.                    sieren. Der Bauherr muss diese bereitstellen, obwohl gerade
Die Bereitstellung von (bezahlbarem) Bauland ist nicht zuletzt                  Stadtbewohner nicht erst in Zeiten von Carsharing oft auf ein
deshalb eine Herausforderung.                                                   eigenes Auto verzichten. Es ginge auch anders. So sind die
      Im Umland gäbe es häufig noch freie Flächen. Die Be-                      Baukosten z.B. in den Niederlanden durch größere Standar-
reitschaft der Eigentümer – in der Regel Landwirte – zum                        disierung günstiger.
Verkauf, fehlt jedoch häufig. Bei kontinuierlichem Preisanstieg
ist der Anreiz zu verkaufen gering, da der Verkauf zu einem
                                                                                4.3      Zinsentwicklung
späteren Zeitpunkt einen größeren Gewinn erwarten lässt.
Zumal der Veräußerungsgewinn im Regelfall steuerpflichtig
wäre und der Veräußerungserlös bei einer klassischen Anlage                     Die Zinsentwicklung beeinflusst den Markt für Wohnimmobili-
beim derzeitigen Zinsniveau nur wenig Ertrag erwarten ließe.                    en zusätzlich. Ein konstant niedriges Zinsniveau verringert
      Bei einer steigenden Bevölkerungszahl, einem erhöhten                     die Finanzierungskosten einer Eigentumswohnung und macht
Wohnflächenbedarf pro Kopf und sinkenden Haushaltsgrö-                          diese im Vergleich zu Mietwohnungen attraktiver. Gleichzeitig
ßen potenziert sich die Problematik fehlender Wohnungen                         steigt die Nachfrage nach Immobilien als Kapitalanlage als
zusätzlich. Die Politik hat zwar die Problematik erkannt und                    Alternative zu Zinspapieren, die wenig Ertrag bringen.

14   Vgl. Wandzik/Wunsch/Müller (2019), S. 258.
15   Vgl. Wandzik/Wunsch/Müller (2019), S. 247 und Statistisches Bundesamt (2019c).
16   Vgl. Statistisches Bundesamt (2018).
17   Vgl. SVR (2018).

                                                                           13
Faktoren der Preisentwicklung                                                                Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege

                                                                                                                          Abbildung 11:
   1.800    Kosten in Euro/qm                                                                                             Entwicklung der Bau-
                                                                                                                          kosten für Neubauten in
   1.600                                                                                                                  Deutschland
                                                                                                                          Quelle: Statistisches Bundesamt
                                                                                                                          2018.
   1.400

   1.200

   1.000                                                                         insgesamt
                                                                                 Mietwohnungen
      800                                                                        Eigentumswohnungen

      600
         1979        1984        1989         1994        1999         2004        2009         2014        2019

                                                                                ländern liegt der Satz für die Grunderwerbsteuer mittlerweile
4.4         Erwerbsnebenkosten                                                  bei 6 bzw. 6,5 Prozent. Steuerschuldner sind grundsätzlich
                                                                                der Käufer und der Verkäufer, üblicherweise trägt jedoch der
                                                                                Erwerber die Steuerlast (vgl. Tabelle 2).
Ein zusätzlicher Kostenfaktor beim Wohnungskauf sind die                             Die Maklerprovision fällt nicht bei jeder Immobilien-
Erwerbsnebenkosten, die sich im Wesentlichen aus Grund-                         transaktion an, allerdings sind Makler häufig in einen Kauf-
erwerbsteuer, Maklercourtage, den Kosten für das Grund-                         prozess involviert. Die Höhe der Provision ist gesetzlich nicht
buchamt und die Notarkosten zusammensetzen. Die Notar-                          ausdrücklich geregelt, sondern ist prinzipiell frei verhandelbar.
kosten betragen einheitlich in Deutschland ca. 1 Prozent der                    Üblich sind Provisionen zwischen 5,95 Prozent und 7,14 Pro-
Kaufsumme und die Grundbuchkosten ca. 0,5 Prozent der                           zent (inklusive Mehrwertsteuer). Der Käufer trägt üblicherwei-
Kaufsumme. Große Unterschiede gibt es allerdings bei der                        se mindestens die Hälfte, wenn nicht die gesamte Provision.
Grunderwerbsteuer und den Maklergebühren.                                       Das sogenannte Bestellerprinzip19, welches für Mietverträge
      Die Grunderwerbsteuer wurde in den letzten Jahren                         gesetzlich geregelt ist, gilt derzeit nicht bei Immobilienerwer-
drastisch erhöht. Nachdem der Steuersatz von ursprüng-                          ben. So summieren sich die Nebenkosten z.B. in Berlin mit
lich 2 Prozent18 zur teilweisen Gegenfinanzierung des Weg-                      einem Grunderwerbsteuersatz von 6 Prozent, einer üblichen
falls der Vermögensteuer auf 3,5 Prozent angehoben wurde,                       Maklerprovision von 7,14 Prozent sowie den Notar- und
dürfen seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 die Länder                      Grundbuchkosten schnell auf rund 15 Prozent, die vom Käu-
den Steuersatz bei der Grunderwerbsteuer bestimmen (de-                         fer zusätzlich zum Kaufpreis zu entrichten sind.
ren Erträge ihnen nach Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG zustehen).                           Es wurde diskutiert, die Maklerkosten bei Eigentumser-
Seitdem sind die Steuersätze in allen Bundesländern, bis auf                    werb ebenfalls dem Bestellerprinzip zu unterwerfen,20 um
Sachsen und Bayern, stark angestiegen. In vielen Bundes-                        so die Nebenerwerbskosten für den Käufer zu senken. Es ist

18 Nach einer umfassenden Grunderwerbsteuerreform wurde die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer zum 01.01.1983 erheblich ausgeweitet und ein
   Großteil der Steuerbefreiungen gestrichen, die dazu geführt hatten, dass ca. 80% der Steuerfälle von der Grunderwerbsteuer befreit waren. Im Gegenzug
   wurde der Satz drastisch auf 2% gesenkt.
19 Unter dem Bestellerprinzip versteht man im Allgemeinen die gesetzliche Überwälzung der Maklerprovision im Mietvertragsrecht auf den Auftraggeber, in der
   Regel den Vermieter.
20 Vgl. Die Zeit vom 25.02.2019 „Justizministerin will Maklergebühr bei Immobilienkauf neu regeln“.

                                                                           14
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege                                                      Faktoren der Preisentwicklung

                                                                                                         Tabelle 2:
             Bundesland            Steuersatz alt       Erhöhung ab              Steuersatz neu
                                                                                                         Überblick über die
   Baden-Württemberg                   3,5%              05.11.2011                   5,0%               Grunderwerbsteuersätze
                                                                                                         in Deutschland
   Bayern                              3,5%                                      keine Änderung
                                                                                                         Quelle: Eigene Darstellung.
   Berlin                              4,5%              01.01.2014                   6,0%
   Brandenburg                         5,0%              01.07.2015                   6,5%
   Bremen                              4,5%              01.01.2014                   5,0%
   Hamburg                             3,5%              01.01.2009                   4,5%
   Hessen                              5,0%              01.08.2014                   6,0%
   Mecklenburg-Vorpommern              3,5%              01.07.2019                   6,0%
   Niedersachsen                       4,5%              01.01.2014                   5,0%
   Nordrhein-Westfalen                 5,0%              01.01.2015                   6,5%
   Rheinland-Pfalz                     3,5%              01.03.2012                   5,0%
   Saarland                            5,5%              01.01.2015                   6,5%
   Sachsen                             3,5%                                      keine Änderung
   Sachsen-Anhalt                      3,5%              01.03.2012                   5,0%
   Schleswig-Holstein                  5,0%              01.01.2014                   6,5%
   Thüringen                           5,0%              01.01.2017                   6,5%

allerdings naheliegend, dass der Verkäufer – der den Makler           nigreich oder Schweden) deutlich geringer, da der Verkäufer
in der Regel beauftragt – die Maklergebühr auf den Kauf-              in der Regel deutlich besser über die Höhe der Maklergebühr
preis aufschlägt, die Kaufpreise noch weiter verteuert werden         verhandeln könne als der Käufer. Zudem sei eine vollständige
und sich hierdurch auch die Bemessungsgrundlage für die               Überwälzung der Courtage über den Verkaufspreis an den
Grunderwerbsteuer und die übrigen Erwerbsnebenkosten                  Käufer wenig wahrscheinlich, da der Makler eben nicht nur die
erhöht.                                                               Preismaximierung im Blick habe, sondern auch den schnellen
      Andererseits könnte sich die Minderung der Makler-              Verkauf. Dem Käufer stünde es zusätzlich offen, auf alterna-
kosten und damit der Erwerbsnebenkosten für viele                     tive Angebote auszuweichen. Demnach wäre die Einführung
Ersterwerber positiv auswirken, da die Erwerbsnebenkos­               des Bestellerprinzips für Immobilienkäufe durchaus geeignet,
ten regelmäßig über Eigenkapital finanziert werden müssen             die Nebenerwerbskosten zu reduzieren. Zwischenzeitlich hat
und sich so der beizubringende Eigenkapitalanteil beim                sich der Koalitionsausschuss von CDU/CSU und SPD am
Immobilienerwerb reduzieren würde. Eine Studie des IW                 18. August 2019 auf neue Rahmenbedingungen beim Immo-
Köln21 kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass das Be-             bilienkauf geeinigt. In Zukunft sollen sich Käufer und Verkäufer
stellerprinzip bei der Immobilienvermittlung nicht zwangsläu-         die Courtage hälftig teilen. Der Gesetzentwurf für eine bun-
fig zu höheren Kaufpreisen führt. Im internationalen Vergleich        deseinheitliche Regelung soll 2019 vorgelegt werden.22
sei die Maklerprovision in den Ländern, in denen die Zahllast               Die Maklerprovision ist jedoch nur für einen Teil der ho-
beim Verkäufer läge (z.B. die Niederlande, das Vereinigte Kö-         hen Erwerbsnebenkosten verantwortlich. Zudem steht zu

21 Vgl. Voigtländer (2019).
22 Vgl. CDU (2019).

                                                                 15
Faktoren der Preisentwicklung                                                           Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege

befürchten, dass Reduktionen bei der Maklerprovision von
weiter steigenden Grunderwerbsteuersätzen aufgefressen                        4.5       Laufende Nebenkosten – Grundsteuer
werden. Im Rahmen der Föderalismuskommission hatten die
Verhandlungsparteien ausweislich eher die Befürchtung, es
werde bei den Steuersätzen zu einem race-to-the-bottom                        Nicht außer Acht gelassen werden dürfen die laufenden Ne-
kommen, so dass die Wirkweise des Länderfinanzausgleichs                      benkosten, die Mieter und Eigentümer zusätzlich belasten.
dies zu verhindern trachtete. Der gegenteilige – tatsächlich                  Hierzu gehören nicht nur steigende Energie- und Wasserkos-
eingetretene – Fall eines race-to-the-top wurde nicht bedacht                 ten oder kommunale Müllgebühren, sondern auch die kon-
oder zumindest wurde diesem kein Riegel vorgeschoben. So                      tinuierlich ansteigende Grundsteuer. Der durchschnittliche
wünschenswert Steuerautonomie und -wettbewerb zwi-                            Hebesatz für die Grundsteuer B25 ist in den letzten Jahren
schen den Bundesländern auch sind,23 so scheinen die Lan-                     sprunghaft angestiegen. Lag der durchschnittliche Hebesatz
desgesetzgeber – angesichts ihrer beschränkten finanziellen                   2005 noch bei 316 Prozent, so wurde er bis 2018 auf 378
Gestaltungsmöglichkeiten – die negativen Folgen der Steu-                     Prozent angehoben. Dabei gibt es zwischen den Gemein-
ersatzerhöhungen auszublenden oder zumindest billigend in                     den große Unterschiede. In Hessen beispielsweise liegt
Kauf zu nehmen. Es stellt sich die Frage, ob man im Rah-                      der Grundsteuerhebesatz in Lautertal bei rekordverdächtigen
men der Föderalismuskommission nicht besser einen Steu-                       1050 Prozent und in Nauheim immerhin noch bei 960 Pro-
ersatzkorridor eingeführt hätte. Dies nachträglich auf dem                    zent, in Eschborn bei Frankfurt jedoch nur bei 140 Prozent
Weg der Selbstverpflichtung der Länder zu erreichen, scheint                  – dank großer Gewerbesteuerzahler.
kaum denkbar. Dennoch sollte die Politik – bei allen Schwie-                        Für die vom Bundestag am 18. Oktober 2019 be-
rigkeiten – eine Begrenzung der Grunderwerbsteuersätze                        schlossene Grundsteuerreform war zunächst die Ziel-
anstreben. Anderenfalls steigt der Bedarf nach weiteren Aus-                  vorgabe einer aufkommensneutralen Reform ausgegeben,
nahmen von der Grunderwerbsteuer, die das ursprüngliche                       die den Gemeinden das Steueraufkommen sichert, ohne für
Konzept der breiten Bemessungsgrundlage bei niedrigem                         die Bürger Mehrbelastungen zu bedeuten. Diese Vorgabe ist
Steuersatz konterkarieren.24                                                  nur eingeschränkt zu erreichen, da die Ungleichheit im be-

                                                                                                                     Abbildung 12:
                                                                                             375
                                                                                                     378             Entwicklung der durch-
                                                                                      371                            schnittlichen Hebesätze
                                                                               365
                                                                       358
                                                                                                                     der Grundsteuer B
                                                                351                                                  in Prozent
                                                         345
                                                                                                                     Quelle: E&Y 2018.
                                                 339

                                          328
                           323    324
            318     320
     316

    2005   2006    2007   2008    2009   2010    2011   2012    2013   2014    2015   2016    2017   2018

23 Vgl. Lang/Eilfort (2013) und Eilfort/König (2017).
24 Bis zum 31.12.1982 galt ein Grunderwerbsteuersatz von 7% für den „Regelfall“. In einer Umkehrung von Regel und Ausnahme waren allerdings ca. 80%
   der Transaktionen von der Grunderwerbsteuer befreit. Nach der Reform wurde die Grundsteuer auf 2% abgesenkt, dafür wurden die Ausnahmen drastisch
   gestrichen. Ab 1997 wurde der Steuersatz auf 3,5% erhöht, um Aufkommensausfälle bei der verfassungswidrigen Vermögensteuer zu kompensieren. Seit
   September 2006 dürfen die Länder den Grunderwerbsteuersatz selbst festlegen.
25 Während für land- und forstwirtschaftliche Grundstücke die Grundsteuer A gilt, kommt für alle anderen Grundstücke die Grundsteuer B zur Anwendung.

                                                                        16
Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege                                                                     Faktoren der Preisentwicklung

stehenden System zwangsläufig eine Verschiebung von                             Grundstücke unbebaut bleiben. Diese müssen nicht in der
Belastungen bei einer gleichheitsgerechten Ausgestaltung                        Sphäre des Eigentümers begründet liegen, sondern können
beinhaltet. Ein neues System wird in jedem Fall zu Aufkom-                      z.B. auch auf Finanzierungsschwierigkeiten, lange Verfahren,
mensverlagerungen führen. Das nun beschlossene Modell                           fehlende Bauträger etc. zurückzuführen sein. In diesen Fällen
orientiert sich in einem vereinfachten Verfahren am Verkehrs-                   eine „Strafsteuer“ zu verhängen, führt im Zweifelsfall zu lang-
wert, mit der Folge, dass sich Wohnen dort, wo es ohnehin                       wierigen Verfahren und gerichtlichen Auseinandersetzungen
schon teuer ist – nämlich in den Ballungsgebieten und den                       in zahlreichen Einzelfällen. Darüber hinaus fehlt es in vielen
guten Lagen – zusätzlich verteuert.                                             Gemeinden an zuverlässigen Daten über den Bestand an
      Eine Länder-Öffnungsklausel räumt den Ländern die                         baureifen, aber unbebauten Grundstücken.
Befugnis zu abweichenden Regelungen ein und ermöglicht                               In Gebieten mit angespannter Mietpreislage (äquiva-
die Wahl eines eigenen Bewertungsmodells. Nachdem zu-                           lent zur Mietpreisbremse) wäre die Möglichkeit der Anpas-
nächst Länder mit abweichenden Regelungen durch zusätz-                         sung bei den Hebesätzen oder der Grundsteuermesszahl
liche Bürokratie in Form einer Schattenrechnung für den Län-                    hingegen wünschenswert. Es erscheint fragwürdig, Miet-
derfinanzausgleich belastet zu werden drohten, wurde dies                       preise zu begrenzen, wenn gleichzeitig die Mietnebenkosten,
am Ende verhindert. Alternativmodelle sind damit umsetzbar.                     die der Gemeinde zu Gute kommen, kräftig erhöht werden.
      Vorzugswürdig wäre das Äquivalenz- oder Flächen-
modell. Das Flächenmodell bewertet Gebäude nach der
                                                                                4.6        „Zweckentfremdeter Wohnraum“ –
Grundstücksfläche, der Fläche des aufstehenden Gebäudes
                                                                                           kurzfristige Vermietung über Plattformen
und ggf. der Nutzungsart. Der ermittelte Wert eines Gebäudes
gleicher Größe, Nutzungsart und mit ähnlichem Grundstück
wäre einheitlich gegeben. Das Flächenmodell hat den Vorteil,                    Eine neuere Entwicklung, die häufig als Mitverursacher für
einfach und transparent sinnvolle und nachvollzieh-                             mangelnden Wohnraum erkannt wird, ist das sogenannte
bare Belastungsergebnisse zu erzielen. Der Bürger kann                          „zweckentfremdete“ Wohnen, d.h. Wohnungen, die möbliert,
seine Grundsteuerbelastung prüfen, die Differenzierung zwi-                     kurzfristig über Plattformen wie Airbnb vermietet werden.
schen unterschiedlichen Gemeinden über die Hebesätze und                        Hiergegen gehen Städte wie München oder Berlin massiv
damit kommunale Entscheidungen werden transparenter. Die                        vor. So ist in Berlin bereits 2014 ein Gesetz in Kraft getre-
Demokratie wird gestärkt. Zudem hat das Äquivalenzmodell                        ten, das die Zweckentfremdung von Wohnraum verbietet.
den Vorteil, dass Wohnen in teuren Lagen nicht automatisch                      Eine Zweckentfremdung liegt z.B. vor, wenn Wohnraum dau-
teurer wird. Heimliche Steuererhöhungen, die dem Ver-                           erhaft als Ferienwohnung vermietet wird, Wohnraum für ge-
kehrswert angenäherten Modellen wegen der laufenden                             werbliche oder berufliche sonstige Zwecke verwendet wird
Anpassung an steigende Verkehrswerte (z.B. über steigende                       oder länger als drei Monate leer steht. Die vorübergehende
Bodenrichtwerte) immanent sind, werden vermieden.                               Vermietung der eigenen Hauptwohnung während eigener
      Kritisch zu hinterfragen sind die Pläne, die Einführung                   Abwesenheit ist hingegen genehmigungsfähig, wie auch die
einer Grundsteuer C zu ermöglichen. Damit soll den Ge-                          vorübergehende Vermietung einer eigenen Nebenwohnung
meinden ermöglicht werden, einen erhöhten, einheitlichen                        für nicht mehr als 90 Tage im Jahr.
Hebesatz auf baureife Grundstücke einzuführen (Grundsteuer                            Es ist jedoch fraglich, ob ein derart massiver Eingriff an-
C).26 Dies soll Anreize setzen, Grundstücke zügig (mit Wohn-                    gesichts der doch eher überschaubaren Menge an über
raum) zu bebauen, mit dem Ziel, ein „spekulatives Horten“                       diese­ Plattformen vermieteten Wohnungen gerechtfertigt
von Grundstücken zu vermeiden.27 Der Vollzug einer derar-                       ist. So lag der Anteil der über Airbnb als „gesamte Woh-
tigen Grundsteuer C erscheint allerdings höchst problema-                       nungen“ vermieteten Wohnungen gemessen am Wohnungs-
tisch, da es durchaus valide Gründe geben kann, warum                           bestand in Berlin 2017 bei unter 1%.28

26 Vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur „Änderung des Grundsteuergesetzes zur Mobilisierung von baureifen Grundstücken für die Bebau-
   ung“, BT-Drs. 19/11086 vom 25.06.2019.
27 Vgl. SVR (2018), S. 360.
28 Vgl. BMWi (2018), S. 53.

                                                                           17
Aktuelle Politikmaßnahmen                                                                      Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege

5          Aktuelle Politikmaßnahmen

Die Politik geht das Problem steigender Mieten derzeit vor-                        zu einer Ausweitung des Wohnungsangebots, also zusätz-
rangig von zwei Seiten an. Einerseits soll durch Eingriffe in                      lichem Wohnraum, sondern ist eine regulatorische Maßnah-
den Mietmarkt der Mietpreis niedrig gehalten werden. An-                           me, die in die Mietpreisfindung (und damit das Eigentums-
dererseits gibt es Fördermaßnahmen wie das Baukinder-                              recht) eingreift. Die Mietpreisbremse konnte den Preisanstieg
geld oder die Förderung von Mietwohnungsneubau, welche                             zwar etwas dämmen, empirische Studien belegen allerdings,
Anreize für Bautätigkeiten oder den Erwerb eines Eigenheims                        dass diese Wirkung lediglich den regulierten Wohnraum
setzen sollen.                                                                     betrifft. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge-
                                                                                   samtwirtschaftlichen Entwicklung spricht diesbezüglich von
                                                                                   einer „Insider-Outsider“-Konstellation, die nur zum Vorteil
5.1        Mietpreisbremse
                                                                                   mancher gereicht und die Lage der „Outsider“ verschlechtern
                                                                                   dürfte.33 Im nicht regulierten Bereich kann es zu Steigerungen
Die mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz29 eingeführte und                        kommen. Zur Beseitigung des Wohnraummangels trägt die
zum 1. Juni 2015 in Kraft getretene sogenannte Mietpreis-                          Mietpreisbremse kaum bei. Im Gegenteil kann sich die Miet-
bremse soll die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn beschrän-                        preisbremse negativ auf die Investitionstätigkeit auswir-
ken, sofern die Wohnung in einem durch Rechtsverordnung                            ken34 und dazu führen, dass das Angebot an frei verfügbaren
bestimmten Gebiet mit einem angespannten Wohnungs-                                 Wohnungen tendenziell zurückgeht, z.B. auch dadurch, dass
markt30 liegt. In diesem Fall darf die Miete zu Beginn des                         Mietwohnungen in andere Nutzungsarten wie möbliertes
Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete höchstens                        Wohnen oder in Eigentumswohnungen umgewandelt oder
um 10 Prozent übersteigen. Das Gesetz ermächtigt die je-                           als Zweitwohnungen nur noch kurzfristig über Online-Platt-
weilige Landesregierung dazu, Gebiete mit angespannten                             formen vermietet werden.35
Wohnungsmärkten für die Dauer von höchstens fünf Jahren                                  Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hält die
zu bestimmen. Dies erfolgte z.B. für das gesamte Stadtgebiet                       mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz geschaffenen Vor-
von Berlin und Hamburg, aber auch in anderen Städten.31                            schriften zur „Mietpreisbremse“ für verfassungskonform.36
Ausgenommen sind Neubauten und zunächst auch Moder-                                Nach Auffassung des Gerichts verstoßen diese nicht gegen
nisierungen, um Investitionen in mehr – und moderneren –                           die Garantie des Eigentums, die Vertragsfreiheit oder den all-
Wohnraum nicht zu beeinträchtigen.                                                 gemeinen Gleichheitssatz. Dies hat die 3. Kammer des Ers­
     Die Mietpreisbremse führt als „begrenzte Symptom-                             ten Senats entschieden und eine Verfassungsbeschwerde
therapie für Personen, denen es gelingt, eine Wohnung                              gegen diese Bestimmungen einstimmig nicht zur Entschei-
zu erlangen“32 im Gegensatz zu anderen Maßnahmen nicht                             dung angenommen.37

29 Gesetz zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung (Miet-
   rechtsnovellierungsgesetz – MietNovG) vom 21.04.2015, BGBl. I, 2015, 610f.
30 Ein angespannter Wohnungsmarkt im Sinne des § 556d BGB liegt insbesondere dann vor, wenn die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durch-
   schnitt, die durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte den bundesweiten Durchschnitt deutlich übersteigt, die Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch
   Neubautätigkeit insoweit erforderlicher Wohnraum geschaffen wird oder geringer Leerstand bei großer Nachfrage besteht.
31 In Bayern galt die Mietpreisbremse zunächst nicht, da die von der Landesregierung erlassene Rechtsverordnung einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhielt.
   Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Angespanntheit der Wohnraumsituation in den einzelnen Gemeinden nur unzureichend dargelegt wurde. Am
   06.08.2019 trat nun die neue Mieterschutzverordnung in Kraft.
32 Vgl. SVR (2018), S. 333.
33 Vgl. SVR (2018), Deschermeier/Haas/Hude/Voigtländer (2016) oder Kholodilin/Mense/Michelsen (2018).
34 Neubauten unterliegen zwar nicht der Mietpreisbremse, allerdings kann sich die Mietpreisbremse dennoch negativ auf Investitionsentscheidungen auswirken,
   wenn Investoren insgesamt ein unsicheres regulatorisches Umfeld und zukünftige einschränkende und ggf. rückwirkend geltende Eingriffe befürchten. Vgl.
   auch SVR (2018), S. 352.
35 Vgl. SVR (2018), S. 352.
36 Vgl. BVerfG (2019).
37 Das BVerfG muss über die Annahme einer Verfassungsbeschwerde entscheiden. Die vorliegende Beschwerde wurde nicht angenommen, da die Kammer der
   Auffassung war, die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg, da kein Verfassungsrecht verletzt sei.

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Wohnen in der Sackgasse? Holzwege, Irrwege, Auswege                                                                       Aktuelle Politikmaßnahmen

    Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Mietpreisbremse 			                                                                    Box 1
    vom 18. Juli 2019 (BVerfG (2019)):

    • Die Regelungen zur Mietpreisbremse stellen einen Eingriff in das geschützte Eigentum zur Vermietung bereiter Woh-
      nungseigentümer dar.
    • Dieser Eingriff ist jedoch eine verfassungsrechtlich zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung.
    • Der Eingriff ist verhältnismäßig. Nach Auffassung der Kammer liegt es im öffentlichen Interesse, der Verdrängung wirt-
      schaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus beliebten Stadtvierteln entgegenzuwirken.
    • Die Regulierung der Miethöhe ist geeignet, dieses Ziel zu erreichen, da durch die Begrenzung von Preisspitzen zu-
      mindest die Voraussetzung geschaffen wird, einkommensschwächeren Mietern einen Marktzugang zu gewähren.
    • Es ist zudem nicht auszuschließen, dass die Mietpreisbremse einkommensschwächeren Wohnungssuchenden bei
      einem Wohnungswechsel das Anmieten einer Wohnung in ihrer angestammten Umgebung ermöglicht.
    • Die Miethöhenregulierung ist auch erforderlich, um das verfolgte Ziel zu erreichen. Zwar kämen auch andere – staatli-
      che – Maßnahmen zur Linderung oder Behebung der Wohnungsnot in Betracht, etwa die Förderung des Wohnungs-
      baus oder die erweiterte Gewährung von Wohngeld. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber diese
      gegenüber der Mietpreisbremse milderen und auch kurzfristig vergleichbar wirksamen Mittel für seine Erwägungen
      hätte heranziehen müssen.
    • Die Regelung ist zumutbar, denn der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum, der nicht überschritten
      wird. Die Regelung stellt einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den schutzwürdigen
      Interessen der Eigentümer und der Belange des Gemeinwohls dar.

     Der Beschluss des BVerfG ist aus mehrerlei Hinsicht                       schärfung der Mietpreisbremse oder der geplante Mieten-
aufschlussreich. Zum einen scheint das Gericht seiner                          deckel in Berlin, gemessen werden.
Rechtsauffassung sicher, da es anderenfalls die Verfassungs-                        So ist zum 1. Januar 2019 das „Gesetz zur Ergänzung
beschwerde zur Entscheidung angenommen und nicht wegen                         der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn
mangelnder Erfolgsaussichten die Annahme der Entschei-                         und zur Anpassung der Regelungen über die Modernisierung
dung abgelehnt hätte. Allerdings zeigen sich auch gravierende                  der Mietsache (Mietrechtsanpassungsgesetz – MietAnpG)“
Schwächen in der Beurteilung durch das Gericht. So er-                         mit folgenden Verschärfungen in Kraft getreten:38
scheint die Formulierung hinsichtlich der fehlenden Erwägung
möglicher milderer Mittel wie eine Erhöhung des Wohngelds                      • Vermieter müssen bereits bei Vertragsschluss angeben, ob
oder die Förderung des Wohnungsbaus durch den Gesetz-                            sie sich auf eine Ausnahmeregelung zur Mietpreisbegren-
geber als äußerst dürftig. Gleichermaßen schwach wirkt die                       zung berufen wollen und offenlegen, ob sie sich wegen
Argumentation hinsichtlich der Eignung der Mietpreisbremse,                      Modernisierung oder höherer Vormiete berechtigt sehen,
einkommensschwächeren Wohnungssuchenden tatsächlich                              eine höhere Miete zu verlangen.
die Anmietung einer Wohnung in ihrer angestammten Umge-
bung zu ermöglichen („wäre zumindest die Voraussetzung ge-                     • Als Vormiete ist dabei die Miete maßgeblich, die der Vor-
schaffen“, „ist nicht auszuschließen, dass die Anmietung einer                   mieter ein Jahr vor Ende seines Mietvertrags gezahlt hat,
Wohnung ermöglicht würde“).                                                      nicht die letzte Miete.
     Zum anderen steckt der Beschluss den verfassungs-
rechtlichen Rahmen ab, an dem die weiteren geplanten                           • Der Mieter muss die Forderung nach Mietsenkung nicht
oder bereits realisierten Eingriffe ins Eigentum, wie die Ver-                   mehr begründen.

38 Gesetz zur Ergänzung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn und zur Anpassung der Regelungen über die Modernisierung der Mietsache
   (Mietrechtsanpassungsgesetz – MietAnpG), BGBl. I 2018, 2648.

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