Professorinnen an der ETH Zürich - Chancengleichheit von Frau und Mann

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Professorinnen an der
                     ETH Zürich

Chancengleichheit von Frau und Mann
Ladies, welcome to ETH!
Frauen sind an der ETH willkommen – als Studentinnen, als Dok-
torandinnen, als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und als
Professorinnen. Sie sind zwar (noch) in der Minderheit, doch
Frauen sind im Kommen: 1992 waren 20% aller Studierenden
Frauen, 2003 sind es fast 30%. Dagegen gibt es nur gerade 7%
Professorinnen, und das wollen wir ändern! Chancengleichheit
ist laut Leistungsauftrag für die Jahre 2004 bis 2007 ein strate-
gisches Ziel. Auch das «Bundesprogramm Chancengleichheit»,
dem sich die ETH Zürich angeschlossen hat, will die Anzahl der
Professorinnen an Schweizer Universitäten bis 2006 auf 14%
erhöhen.

Frauen haben an der ETH Chancen. Die in dieser Mappe vorge-
stellten Professorinnen beweisen es. Die Portraits stellen nicht
nur interessante Persönlichkeiten vor, sie zeigen auch, wie unter-
schiedlich die Wege zur Professur sein können. Warum die
Frauen diese Laufbahn gewählt haben und wie sie es geschafft
haben, verraten sie in dieser Mappe.

Wir hoffen, dass wir mit dieser Publikation junge Wissenschaft-
lerinnen für eine akademische Laufbahn begeistern können, und
freuen uns, die Mappe jährlich mit weiteren Portraits zu ergän-
zen.

Liebe Studentinnen, liebe Doktorandinnen
Wenn ihr konkrete Fragen zu eurer beruflichen Zukunft mit einer
Professorin besprechen möchtet, wendet euch direkt an sie! Bei
jedem Portrait sind unter «Kontakt» Telefonnummer und E-Mail-
Adresse aufgeführt.

Zusätzliche Informationen zu den Professorinnen findet ihr auch
unter: www.cc.ethz.ch/whoiswho/default.htm

Im Frühling 2004 startet die Stelle für Chancengleichheit ein
Online-Mentoring-Programm. Es bietet Gelegenheit, mit Assis-
tentinnen, Doktorandinnen und Studentinnen über E-Mail
Kontakt aufzunehmen.
Für weitere Informationen rund um das Thema Laufbahn und
Karriere verweisen wir euch auf: www.equal.ethz.ch/beratung

Wir wünschen euch viel Erfolg für eure akademische Karriere.

Brigitte Manz-Brunner und Carla Zingg
Gleichstellungsbeauftragte der ETH Zürich

Eidgenössische Technische Hochschule Zürich
ETH Zentrum, HG F 37.3
CH-8092 Zürich
Tel. +41 1 632 60 26
Fax +41 1 632 12 37
equal@pa.ethz.ch
www.equal.ethz.ch
Professorinnen an der
ETH Zürich
(Stand Juli 2003)

                                     Marlis Buchmann               ordentliche Professorin für Soziologie, D-GESS
                                     Nina Buchmann                 ordentliche Professorin für Graslandwissenschaften, D-AGRL
                                     Marcella Carollo              ausserordentliche Professorin für Astrophysik, D-PHYS
                                     Silvia Dorn-Mühlebach         ordentliche Professorin für Entomologie, D-AGRL
                                     Eva-Maria Feichtner           Assistenzprofessorin am Departement Mathematik, D-MATH
                                     Christine Giger               Assistenzprofessorin für Geoinformationssysteme, D-BAUG
                                     Monica Gotta                  SNF-Förderungsprofessur für Biochemie, D-BIOL
                                     Gudela Grote                  ord. Prof. für Arbeits- und Organisationspsychologie, D-BEPR
                                     Özlem Imamoglu                Assistenzprofessorin am Departement Mathematik, D-MATH
                                     Ingrid Ursula Keller          ordentliche Professorin für Experimentalphysik, D-PHYS
                                     Ulrike Kutay                  Assistenzprofessorin für Biochemie, D-BIOL
                                     Susanne Kytzia                Assistenzprof. für Stoffhaushalt/Entsorgungstechnik, D-BAUG
                                     Isabelle Mansuy               Assistenzprofessorin für Zelluläre Neurobiologie, D-BIOL
                                     Judith A. McKenzie            ordentliche Professorin für Geologie; D-ERDW
                                     Moira Norrie                  ordentliche Professorin für Informatik; D-INFK
                                     Brita E.A. Nucinkis           Assistenzprofessorin für Mathematik, D-MATH
                                     Annette Oxenius               Assistenzprofessorin für Immunologie; D-BIOL
                                     Felicitas Pauss               ord. Professorin für Experimentelle Teilchenphysik, D-PHYS
                                     Renate Schubert               ordentliche Professorin für Nationalökonomie, D-GESS
                                     Sarah Marcella Springman      ordentliche Professorin für Geotechnik, D-BAUG
                                     Linda Thöny-Meyer             Assistenzprofessorin für Mikrobiologie, D-BIOL
                                     Sabine Werner                 ordentliche Professorin für Zellbiologie, D-BIOL
                                     Heidi Wunderli-Allenspach     ordentliche Professorin für Biopharmazie; D-CHAB

Diese Publikation wird jährlich aktualisiert.

Die Portraits der neu gewählten SNF-Förderungsprofessorinnen
Eilika Weber-Ban, Biochemie und Molekulare Biophysik, D-BIOL und
Saskia Goes, Tektonophysik, D-ERDW erscheinen bei der nächsten
Aktualisierung.
> Geht ins Ausland,
                                                                                                  sammelt möglichst
                                                                                                  breit internationale
                                                                                                                Erfahrungen!

                                                                       Im Moment leidet sie noch etwas unter Jetlag. Vor zwei Tagen erst
                                                                       ist die Soziologieprofessorin Marlis Buchmann in Zürich eingetrof-

Marlis Buch m a n n
                                                                       fen, um an der Gründungsfeier des «Jacobs Center for Productive
                                                                       Youth Development» zu sprechen. In zwei Tagen wird sie die Schweiz
     Marlis Buchmann wurde in Walenstadt (Schweiz) geboren.            wieder verlassen: Als erste Schweizer Wissenschaftlerin wurde sie
     Sie ist Mutter zweier Kinder im Alter von fünf und sieben         für ein Jahr ans «Center for Advanced Studies in the Behavioral
     Jahren. Ihr Fachgebiet ist Soziologie.                            Sciences» an der Stanford University eingeladen.
                                                                           Bereits als Mittelschülerin verbrachte Buchmann ein Austausch-
     Laufbahn                                                          jahr in den USA. Dieser Aufenthalt hat zur Wahl ihres Studienfachs
     1970        Matura Typus B, Kantonsschule St. Gallen (CH)         beigetragen: «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich das Zusam-
     1977        Lizenziat, Universität Zürich                         menleben zum Teil nach anderen Regeln gestaltet. Das hat sicher
     1982        Promotion in Soziologie, Universität Zürich           mein Interesse geweckt.» Allerdings, so relativiert sie lachend: Oft
     1985–1986 Postdoc, Ecole des Hautes Etudes en Sciences            sehe man im Nachhinein die Beweggründe für einen Entscheid
                 Sociales in Paris (Frankreich), Stanford University   anders, «man legt sich die Biographie zurecht, damit sie konsistent
                 in Stanford (California, USA) und University of       ist, das nennen wir in der Soziologie ‹retrospektive Reinterpre-
                 California in Berkeley (California, USA)              tation›».
     1988        Habilitation, Universität Zürich                          Heute ist Buchmann Professorin – sowohl an der ETH wie auch
     1989–1990 Visiting Professor, Stanford University in              an der Universität Zürich. Als sie 1994 neben ihrer ETH-Professur
                 Stanford (California, USA)                            noch eine Uni-Professur antrat, gab es auch einige nicht ganz freund-
     seit 1990   Verschiedene Gastprofessuren an amerikani-            liche Reaktionen: «Man hat mir gesagt, danach gehörst du weder
                 schen Universitäten (u.a. Fellow am Center for        hierhin noch dorthin, wirst dich weder hier noch dort integrieren.»
                 Advanced Study in the Behavioral Sciences in          Heute sind diese Befürchtungen in den Hintergrund getreten, denn,
                 Stanford)                                             so Buchmann, «seit einigen Jahren wird der Zusammenarbeit zwi-
     Antritt der Professur an der ETH Zürich                           schen Uni und ETH ein grösseres Gewicht beigemessen – gemein-
     1990        ordentliche Professur                                 sam sind wir ein starker Hochschulplatz.»
                                                                       Sie sind Professorin an zwei Hochschulen – haben Sie auch zwei
     Kontakt                                                           unterschiedliche Forschungsgebiete?
     Prof. Marlis Buchmann                                                 Ich habe tatsächlich zwei fachliche Schwerpunkte. Einerseits
     Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften            interessieren mich Fragen der sozialen Mobilität in westlichen
     Scheuchzerstrasse 68/70                                           Industriegesellschaften. Zum Beispiel: Wie sind Bildungsvoraus-
     ETH Zentrum SEW E 24                                              setzungen mit beruflichen Chancen verknüpft, mit sozialen Positio-
     CH-8092 Zürich                                                    nen, Auf- oder Abstiegen? Wie wandeln sich Bildungs- und Arbeits-
     Telefon 01 632 55 57                                              qualifikationen? Eine wichtige Grösse, die den Wandel beeinflusst,
     buchmann@soz.gess.ethz.ch                                         ist die Technologie. Deshalb ist dieses Forschungsgebiet stärker mit
der ETH verknüpft. Mein zweiter Schwerpunkt ist Kultursoziologie;
             ich analysiere den längerfristigen Wandel von Leitideen und kultu-
             rellen Vorstellungen in den westlichen Industrieländern. Bei beiden
             Schwerpunkten gilt, dass die Frage des Wandels von grundlegen-
             dem Interesse ist. Schliesslich (lacht) ist Wandel ja eigentlich das
             einzig Beständige in unserer modernen Gesellschaft.
             Haben Sie sich als Studentin jemals vorgestellt: Ich werde später
             Doppelprofessorin?
                 (Lacht) Nein, natürlich nicht. Die Idee einer Professur ist erst
             nach Abschluss des Studiums aufgetaucht, als ich am Soziologischen
             Institut in Zürich arbeitete und merkte, wie gut mir Forschung
             gefällt. Ich wollte gerne im Hochschulbereich bleiben, also habe ich
             die notwendigen Qualifikationsschritte gemacht. Es war eher
             sequentiell: Gut, ich habe jetzt meine Diss fertig, ich habe meine
             Forschung, also gehe ich ins Ausland. Dann folgte als nächster
             Schritt die Habilitation – und irgendwann lief alles relativ schnell.
             Was waren, im Rückblick betrachtet, entscheidende Momente?
                 Ein wichtiger Schritt in meiner Karriere war sicher der Entscheid,
             ins Ausland zu gehen. Ich habe mir sehr renommierte Hochschulen
             ausgesucht, zuerst die Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales
             in Paris, danach habe ich an der Stanford University und der Uni-
             versity of California in Berkeley an meiner Habil gearbeitet. Kaum
             hatte ich sie abgeschlossen, wurde ich für ein Jahr als Gastpro-
             fessorin nach Stanford eingeladen.
                 Ich empfehle übrigens allen Studentinnen und Doktorandinnen,
             die sich eine akademische Karriere überlegen: Geht ins Ausland,
             sammelt möglichst breit internationale Erfahrungen! Nicht nur,
             weil Ihr so bessere Karriereaussichten habt. Es ist auch wichtig, sich
             in einem anderen Kontext zu bewegen. Die Schweiz ist nicht sehr
             gross – es tut gut, über den Tellerrand zu schauen.
             Hatten Sie nie Lust, eine Professur ausserhalb der Schweiz anzu-
             nehmen?
                 Eine Weile lang war ich schon sehr in Versuchung, in Amerika zu
             bleiben. Ich glaube, als meine Habilitation auf Englisch erschien,
             hätte ich mich durchaus mit Chancen bewerben können. Ich habe
             mich aber für die Schweiz entschieden. Denn obwohl ich oft und
             gerne in Amerika bin, bin ich nicht sicher, ob ich für immer dort
             leben möchte. Dazu kommt: Mein Mann ist Arzt, für ihn wäre es
             schwierig gewesen, seine Arbeit in die USA zu verlegen.
                 Gemeinsam mit ihrem Mann hat Marlis Buchmann zwei Söhne,
             fünf und sieben Jahre alt. Und sie betreut sie auch gemeinsam mit
             ihrem Mann: «Es ist wirklich ein ‹sharing›, beide tragen ihren Teil
             dazu bei.» Die Kinder wurden zudem schon früh auch ausser Haus,
             in der ETH-Kinderkrippe, betreut. Im Moment allerdings lebt die
             ganze Familie in den USA, die Kinder besuchen die normalen
             Schulen und haben flink Englisch gelernt.
                 Ob in den USA oder in der Schweiz: neben Beruf und Familie
             bleibt Buchmann nicht allzu viel Freizeit. Kino- und Theaterbesuche
             sind seit der Geburt der Kinder seltener geworden. «Wenn ich mich
             beruflich schon so stark engagiere, möchte ich möglichst viel von
             der verbleibenden Zeit mit meinen Kindern verbringen», findet sie,
             und fügt hinzu: «Je älter sie werden, desto weniger wird ihnen
             daran liegen, dass wir abends möglichst zuhause sind. Sie fragen
             schon heute manchmal: Wann geht ihr wieder aus, damit unser
             Babysitter kommt?»

April 2003
> Ich bin Wissen-
schaftlerin, ich bin Frau,
ich bin Mutter, und es
geht mir gut!

                                                                     Lea kam sozusagen mitten in den Berufungsverhandlungen zur
                                                                     Welt: Nach einigen Vorgesprächen reiste ihre Mutter, Nina Buch-

Nina Buchm a n n
                                                                     mann, im achten Monat schwanger, von Jena nach Zürich, um den
                                                                     ETH-Präsidenten zu einem «Kennenlern-Gespräch» zu treffen. Zwei
      Nina Buchmann wurde in Heidelberg (Deutschland) gebo-          Monate später kam Buchmann wieder nach Zürich, zu den abschlies-
      ren. Sie ist Mutter einer Tochter im Alter von acht Monaten.   senden Verhandlungen – mit dabei ihre vier Wochen alte Tochter
      Ihr Fachgebiet ist Terrestrische Ökologie, insbesondere        Lea. «Als wir den Termin bestimmten», erzählt Buchmann, «habe ich
      Graslandwissenschaften.                                        gesagt: Ich kann immer nur zwei Stunden am Stück besprechen,
                                                                     dann muss ich stillen. Sonst verhungert meine Kleine.»
      Laufbahn                                                       Nina Buchmann, wie bringen Sie Kind und Beruf unter einen Hut?
      1984        Abitur in Sandhausen (Deutschland)                    Die Kleine hat einen Papa, und der betreut sie. Wir möchten sie
      1989        Diplom in Geoökologie, Universität Bayreuth        erst in die Krippe schicken, wenn sie etwa anderthalb Jahre alt ist.
                  (Deutschland)                                      Mein Mann ist selbständiger Orts- und Regionalplaner. Als fest-
      1993        Promotion, Universität Bayreuth                    stand, dass wir nach Zürich gehen und ein Kind haben werden, hat
      1993–1996 Postdoc, University of Utah in Salt Lake City        er gesagt: Okay, ich schalte ein Babyjahr ein.
                  (Utah, USA)                                        Wie waren die Reaktionen in Ihrer Umgebung?
      1996–1999 Habilitandin, Universität Bayreuth                      Sehr positiv. Alle finden es ganz toll: Wie, das macht ihr? Super!
      1999–2003 Gruppenleiterin und anschliessend Professorin,       Es wird ja viel über alternative Rollen-Modelle gesprochen: Ich glau-
                  Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena       be, wir sind eins. Mir ist das wichtig. In meinem Fachbereich gibt es
                  (Deutschland)                                      sehr wenige Frauen, und ich selbst habe dort nie eine Professorin
                                                                     erlebt, die Kinder hatte. Ich will den jungen Frauen zeigen, dass es
      Antritt der Professur an der ETH Zürich                        geht.
      2003        ordentliche Professur                              Sind Sie ein Vorbild für Ihre Studentinnen und Doktorandinnen?
                                                                        Ich hoffe es. An meinem früheren Institut in Jena hat mich eine
      Kontakt                                                        Doktorandin darauf angesprochen. Ich habe bis etwa zehn Tage vor
      Prof. Nina Buchmann                                            dem Geburtstermin gearbeitet, denn es ging mir gut. Die Doktoran-
      Institut für Pflanzenwissenschaften                            din sagte, sie finde es ganz toll, dass ich mich nicht zurückziehe, so
      Universitätsstrasse 2                                          nach dem Motto: «Ich bin jetzt schwanger und kann nicht mehr
      ETH Zentrum LFW C 56                                           denken». Für mich war das fast etwas überraschend: Ich bin Wissen-
      CH-8092 Zürich                                                 schaftlerin, ich bin Frau, ich werde Mutter, und es geht mir gut!
      Telefon 01 632 39 59                                              Dass sie die richtige Wissenschaft gewählt hatte, wurde
      nina.buchmann@ipw.agrl.ethz.ch                                 Buchmann bereits nach einem halben Jahr ihres Geoökologie-
                                                                     Studiums klar: «Das erste Semester war schrecklich, nur Mathe,
                                                                     Statistik, Physik. Dann, im Sommer, folgten die ersten ökologischen
Fächer und interessante Exkursionen – und ich wusste: Ich bleib
           dabei!» Denn die Arbeit im Freien ist ein Teil ihres Berufs, den
           Buchmann liebt. «Manchmal, wenn so ein paar Ökologinnen und
           Ökologen zusammensitzen, witzeln wir jeweils: Als Kind hat man
           uns verboten, draussen im Regen zu spielen und dreckig zu werden.
           Jetzt können wir es endlich machen und werden nicht dafür sankti-
           oniert», erzählt sie lachend.
               Die Arbeit im Freiland – und ihre Englischkenntnisse – führten
           auch dazu, dass sie bereits als Doktorandin gut vernetzt war:
           «Häufig kamen Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus
           dem Ausland an meine Uni, die unsere Freilandstandorte sehen
           wollten», erzählt sie. Die übrigen Doktorierenden hätten lieber
           keine Führungen übernommen, da man Englisch habe sprechen
           müssen: «Ich machte es gerne, schliesslich hatte ich Englisch und
           Französisch gelernt. Dolmetscherin war mal ein sehr früher Berufs-
           wunsch gewesen.» Gemeinsam sei man zu den Standorten gefah-
           ren, habe dann in einem Gasthof eine fränkische «Bradwurschd»
           gegessen, über Forschung, Gott und die Welt gesprochen – «so habe
           ich Leute kennengelernt, deren Namen man sonst nur von Papers
           her kannte».
               Bereits in dieser Zeit war ihr Berufsziel klar: Professorin. Im letz-
           ten Jahr ihrer Doktorarbeit sprach sie ihren Doktorvater darauf an:
           «Ich sagte ihm: Ich möchte habilitieren, vorher will ich aber ins eng-
           lischsprachige Ausland. Wie soll ich vorgehen? Er fand, normalerwei-
           se spreche er nicht über eine Habilitation, bevor die Doktorarbeit
           fertig sei. Aber wenn ich mir das schon in den Kopf gesetzt hätte ...»
               Drei Jahre verbrachte Buchmann als Postdoc in Salt Lake City.
           Nach Deutschland zurückgekehrt habilitierte sie innerhalb von zwei
           Jahren und arbeitete beim Max-Planck-Institut für Biogeochemie in
           Jena, zuletzt als Assistenzprofessorin. Dann kam die Einladung, nach
           Zürich zu kommen.
           Sie sind erst seit kurzem in Zürich, was sind Ihre Ziele?
               Ich möchte in den nächsten Jahren eine grosse, aktive, interna-
           tionale Gruppe aufbauen. Und auch wirklich mit Betonung auf inter-
           national! In Jena waren in meiner Arbeitsgruppe und am Institut
           Leute aus den verschiedensten Ländern. Da kommen zusätzlich zu
           den verschiedenen fachlichen Expertisen auch durch die kulturelle
           und sprachliche Vielfalt viele neue Ideen raus.
           Wie sieht Ihre Arbeit aus?
               Ich bearbeite mit meiner Gruppe zwei grosse Themen. Zum
           einen sind das Stoffkreisläufe in terrestrischen Ökosystemen, zum
           zweiten untersuchen wir die Beziehung zwischen pflanzlicher Viel-
           falt und diesen Stoffkreisläufen. In Zukunft wird die Frage der
           Bewirtschaftung eine noch zentralere Rolle einnehmen. Ein grosser
           Teil unserer Arbeit findet im Freien statt, Standorte suchen, Proben
           nehmen. Als Professorin bin ich allerdings kaum mehr im Gelände
           aktiv, (lacht) aber ab und zu muss das schon auch sein, wieder mal
           so richtig im Dreck zu wühlen. Ausserdem sind meine übrigen Auf-
           gaben spannend und vielfältig: Man braucht nicht nur das wissen-
           schaftliche Wissen, sondern auch Organisationstalent, Kommuni-
           kationsfähigkeit, man betreut, man lehrt, und man kommt auch ein
           bisschen in der Welt herum.
               Reiste Nina Buchmann früher zu internationalen Kongressen
           und Veranstaltungen, kam ihr Mann manchmal für ein paar gemein-
           same Ferientage nach. Heute ist bei solchen Reisen auch Tochter Lea
           mit dabei: «Kürzlich», erzählt Buchmann, «waren mein Mann und
           unsere Kleine bei einem EU-Treffen in Lissabon mit dabei. Es ist doch
           gut, wenn die Männer auf solchen Veranstaltungen sehen, dass es
           in ihrem Fach auch Frauen mit Kindern gibt. Und überhaupt wäre es
           für mich anders gar nicht machbar: Ich möchte meine Kleine nicht
Mai 2003   eine Woche lang missen.»
> Vergiss nie, dass
                                                                                                 du die Möglichkeit
                                                                                                         hast, das Leben
                                                                                                           zu führen, das
                                                                                                                       du willst.

                                                                  Marcella Carollo, Sie sind Astrophysikerin, Ihr Thema ist das Univer-
                                                                  sum – da stellen sich sicher auch viele philosophische Fragen?

Marcella Ca ro l l o
                                                                      Um ganz ehrlich zu sein: Nein. Man kann über dieselben Dinge
                                                                  aus ganz unterschiedlichen Perspektiven sprechen. Theologen und
      Marcella Carollo wurde in Palermo (Italien) geboren. Ihr    Philosophen haben einen anderen Blickwinkel als wir Astrophysiker-
      Fachgebiet ist Astrophysik, insbesondere Formation und      innen und Astrophysiker. Unsere Mittel sind diejenigen der Wissen-
      Evolution von Galaxien.                                     schaft, wir fragen nach den physikalischen Prozessen, die das Univer-
                                                                  sum entstehen und zu dem werden liessen, was es heute ist. Wir
      Laufbahn                                                    sind also mehr am Ursprung des Universums interessiert als an
      1982        Maturità in Palermo (Italien)                   dessen Ende. Natürlich gibt es eine Theorie über das Ende des Uni-
      1987        Diplom in Physik, Università degli Studi di     versums, und manchmal machen wir Scherze darüber, denn die
                  Palermo                                         Konsequenzen stimmen nicht besonders optimistisch.
      1993        Promotion in Astrophysik, Ludwig-Maximilians-   Was genau ist Ihr Fachgebiet?
                  Universität in München (Deutschland)                Mein Hauptinteresse ist es, Ursprung und Evolution von Galaxien
      1994–1995 EC Fellowship, Leiden Observatory, University     im Universum zu erklären. Unsere Galaxie, die Milchstrasse, ist nur
                  Leiden (Niederlande)                            eine von ungefähr 100 Milliarden ähnlicher Galaxien, jede mit
      1996–1998 Hubble Fellowship, Johns Hopkins University in    Dutzenden oder Hunderten Milliarden von Sternen. Das Universum
                  Baltimore (Maryland, USA)                       ist bevölkert von Galaxien unterschiedlichster Art. Diese Diversität
      1999–2002 Assistant Professor, Columbia University in       zu verstehen und ebenfalls zu verstehen, wie es dazu kam und
                  New York (New York, USA)                        wie die Galaxien entstanden, das ist eine der grossen Fragen der
                                                                  Astrophysik.
      Antritt der Professur an der ETH Zürich                     Wie arbeiten Sie konkret?
      2002        ausserordentliche Professur                         Meine Arbeit ist beobachtend. Wir können ja nicht mit Galaxien
                                                                  Labor-Experimente durchführen und schauen, wie sie reagieren.
      Kontakt                                                     Wir können höchstens auf dem Computer Simulationen vorneh-
      Prof. Marcella Carollo                                      men. Grundlage der Astrophysik sind Daten, die von Teleskopen
      Institut für Astronomie                                     stammen, unter anderem vom Hubble-Weltraum-Teleskop. Diese
      Schafmattstrasse 16                                         Daten – beispielsweise solche, die etwas über den Metallgehalt
      ETH Hönggerberg HPF D 9                                     einzelner Objekte oder über ihre Bewegungen aussagen – analysie-
      CH-8093 Zürich                                              ren wir im Kontext unserer Theorien und finden so heraus, welche
      Telefon 01 633 37 25                                        Theorie zutrifft. Dann sind wir einen kleinen Schritt weiter. Es ist, als
      marcella.carollo@phys.ethz.ch                               ob man die Stückchen eines grossen, komplexen Puzzles zusam-
                                                                  mensetzt.
Ursprünglich hat Carollo Physik studiert. Weshalb? Ein «neugie-
             riges» Kind sei sie gewesen, erzählt sie, habe wissen wollen, wie und
             weshalb Dinge funktionieren. Interessen, die ihrer Umgebung eher
             befremdend vorkamen: «Ich bin in Sizilien aufgewachsen, und zu
             dieser Zeit war es ganz klar: Frauen studieren philosophische Fächer,
             Männer Naturwissenschaften. Es war wie ein Käfig, der die Frauen
             einengt.» Ein Stück weit habe sie wohl beweisen wollen, dass dieses
             Muster nicht stimmt, sagt sie, doch vor allem habe sie das Bedürfnis
             nach Wissen gehabt, denn «wer die Welt nicht versteht, wird fata-
             listisch.»
                 Als sie sich für ein Physikstudium in Palermo entschied, konn-
             te ihre Familie das nicht verstehen. Nicht aus Bösartigkeit, betont
             Carollo, sondern weil sie fanden: Weshalb studierst du nicht
             wenigstens etwas Praktisches, etwa Ingenieurwissenschaften?
             Während des Studiums fiel sie als eine der «sehr, sehr, sehr» weni-
             gen Frauen in Physik auf – und wurde dann sehr gelobt, als sie den
             besten Abschluss machte.
                 Dennoch blieb sie nicht an der Hochschule. Die Zeit, in der sie
             am Institut für Physik an ihrer Diplomarbeit gearbeitet hatte, hatte
             ihr solche Ideen ausgetrieben: «Es war ein feudales, aggressives,
             frauenfeindliches Klima, es gab Übergriffe. Ich war 22jährig. Und
             obwohl ich mein Fach, die Biophysik, liebte, musste ich mich fragen:
             Bin ich bereit, diesen Preis zu zahlen?»
                 Also nahm sie eine Stelle in einer Forschungsanstalt an, die
             Software für einen Satelliten entwickelte, war unterfordert – und
             wurde dann nach München versetzt: «Vorher begann meine Welt
             mit Palermo und endete mit Palermo. Plötzlich wurde sie grösser.
             Ich lernte Astrophysikerinnen und Astrophysiker kennen, sie erzähl-
             ten mir von ihrer Forschung. Und ich verliebte mich total in die
             Astrophysik.» Carollo verliess ihren Job, schrieb sich als Studentin
             für Astrophysik ein, arbeitete «schrecklich» hart, lernte Deutsch und
             doktorierte schliesslich in München. Ihr Fazit: «Vergiss nie, dass du
             die Möglichkeit hast, das Leben zu führen, das du willst. Wenn du
             daran glaubst, wirst du auch Hilfe erhalten.»
                 2002 kam sie als Professorin an die ETH, gemeinsam mit ihrem
             Mann. Er ist ebenfalls Professor für Astrophysik, was laut Carollo
             gute und schlechte Seiten hat: «Wir beschäftigen uns mit densel-
             ben Problemen, das macht es schwieriger, zuhause abzuschalten.
             Andererseits: Es macht Spass.» In der gemeinsamen Freizeit hört sie
             gerne Musik – doch viel Freizeit bleibt nicht. Ihre früheren Hobbies,
             Fallschirmspringen und Malen, übt sie momentan nicht aus.
             Was hat sich verändert, seit Sie ausserordentliche Professorin sind?
                 Der Arbeitsaufwand ist grösser geworden. Ich habe viel mehr
             administrative Arbeit. Und ich brauche Zeit für die Lehre, weil ich
             diese Verantwortung sehr ernst nehme. Die Hochschule ist nicht
             nur da, um Bücher herauszubringen und Forschung zu betreiben.
             Sie spielt eine wichtige Rolle in der Gesellschaft, weil sie junge Leute
             ausbildet. Dabei geht es um mehr als um Fachwissen. Es geht
             darum, neue Generationen dazu anzuregen, das fortzusetzen, was
             die Menschheit schon immer tat: versuchen, sich selbst und die
             Welt zu verstehen.
             Wenn Sie die Studierenden von heute mit sich als Studentin
             vergleichen – was hat sich verändert?
                 Nichts. Wenn wir zwanzig sind, sind wir alle voll von Träumen,
             Idealen und wundervollen Projekten für die Zukunft. Deshalb ist
             für mich der Kontakt zu jungen Leuten so schön. Schade nur, dass
             manche dieser Träume enttäuscht werden.

April 2003
> Mir stellte sich
                                                                                          die schwierige Frage:
                                                                                Karriere oder Familie? Ich
                                                                                         habe beides gewählt.

                                                                 Ihre Begeisterung ist offensichtlich, wenn Silvia Dorn die Geschichte
                                                                 mit dem Apfelwickler-Falter und dem Apfelbaum erzählt: Das

Silvia Dorn- M ü h l e b a c h
                                                                 Apfelwickler-Weibchen, so Dorn, legt Eier auf einen Apfel, daraus
                                                                 entwickelt sich eine Larve, die an der Frucht frisst. Darauf, so hat
      Silvia Dorn-Mühlebach wurde in Brugg (Schweiz) geboren.    Dorns Forschungsteam herausgefunden, reagieren die befallenen
      Sie ist Mutter von zwei Söhnen im Alter von 24 und 26      Äpfel mit einer Veränderung ihres Duftes. Weshalb? «Wir hatten
      Jahren. Ihr Fachgebiet ist Angewandte Entomologie.         eine klare Hypothese», sagt Dorn: «Doch genau das Gegenteil war
                                                                 wahr.» Im Experiment zeigte sich nämlich, dass durch den Duft
      Laufbahn                                                   weitere legebereite Apfelwickler-Weibchen angezogen werden;
      1967        Matura Typus B, Kantonsschule Baden            eine «Verteidigungsstrategie» des Apfelbaums, der die Schädlinge
                  (Schweiz)                                      zu einem bereits befallenen Ast lockt und so die restlichen Äste vor
      1971        Diplom in Naturwissenschaften und Diplom       einem Befall schützt. Und, noch besser: Werden neue Apfelwickler-
                  für das Höhere Lehramt, ETH Zürich             Eier in einen bereits befallenen Apfel abgelegt, frisst die dort leben-
      1974        Promotion in Phytomedizin, Institut für        de Larve neu entstehende Larven auf. «Ist das nicht eine unglaub-
                  Botanik, ETH Zürich                            lich raffinierte Abwehr des Apfelbaums?», fragt Dorn strahlend.
      1975–1976 Postdoc, Columbia University in New York             Seit 1992 ist sie Professorin für angewandte Entomologie, Spe-
                  (New York, USA)                                zialistin für Insekten-Pflanzen-Interaktionen – und nach wie vor von
      1974–1991   Forschungs- und Führungstätigkeit bei der      der Vielfalt der Natur und ihren Möglichkeiten fasziniert: «Wir unter-
                  Dr. R. MAAG AG (Agrarindustrie) in Dielsdorf   suchen das komplexe und spannende Netzwerk von Beziehungen
                  (Schweiz)                                      zwischen Pflanzen und Insekten. Gerade jetzt sind wir einigen wich-
                                                                 tigen, bisher noch nicht bekannten Mechanismen auf der Spur.
      Antritt der Professur an der ETH Zürich                    Gleichzeitig trägt unsere Forschung dazu bei, dass unsere Nahrungs-
      1992        ordentliche Professur                          mittel nachhaltiger erzeugt werden können.»
                                                                     Forschung, die zu nachhaltiger Produktion führt, ist Silvia Dorn
      Kontakt                                                    wichtig. Nach Abschluss ihres Studiums an der ETH, nachdem sie
      Prof. Silvia Dorn-Mühlebach                                mit 26 Jahren doktoriert hatte, machte sie sich denn auch an ein
      Institut für Pflanzenwissenschaften                        besonderes Projekt: «Ich habe massgeblich zur Entwicklung eines
      Clausiusstrasse 25 / NW                                    ganz neuartigen, umweltfreundlichen und nicht-toxischen Pflanzen-
      CH-8092 Zürich                                             schutzmittels mit naturnaher Wirkungsweise beigetragen.» Aller-
      Telefon 01 632 39 21                                       dings forschte sie nicht an der Hochschule. Damals, so Dorn, gab es
      silvia.dorn@ipw.agrl.ethz.ch                               noch keine Professorinnen an der ETH, «die Chance für Frauen, hier
                                                                 etwas wirklich Ernsthaftes zu machen, war verschwindend klein».
                                                                 So arbeitete sie 18 Jahre lang in einer Firma, «in der man sich nicht
                                                                 daran gestossen hat, dass ich eine Frau bin». Im Gegenteil: Sie stieg
zur Leiterin der Forschungsabteilung Entomologie der Dr. R. Maag
              AG auf, war verantwortlich für die Entwicklung des neuen Insekten-
              wuchsregulators bis zur Markteinführung in 18 Ländern: «Das Pro-
              dukt wurde weltweit lanciert – ein schwieriger und herausfordern-
              der Prozess, aber auch ausserordentlich spannend.»
                  Als Chefin von zehn Personen wurde Dorn zum ersten Mal
              Mutter, bei ihrem zweiten Sohn war sie bereits Leiterin der For-
              schungsabteilung und damit Vorgesetzte von 40 Personen: «Damals
              stellte sich mir dieselbe schwierige Grundfrage wie heute vielen
              jungen Akademikerinnen: Karriere oder Familie? Ich habe beides
              gewählt», blickt sie zurück: «Mein Mann und ich waren immer
              berufstätig und haben einfach alle Möglichkeiten ausgeschöpft,
              unsere Freizeit mit den Kindern zu verbringen. Tagsüber hat eine
              Kleinkinderzieherin sie betreut.»
                  Betreuung ist heute im Hause Dorn kein Thema mehr: Der älte-
              re Sohn hat eben sein ETH-Studium abgeschlossen und seine
              Doktorarbeit begonnen, der jüngere bereitet sich mittlerweile auf
              sein Lizenziat vor. Und ihre Mutter arbeitet nach einem langen
              Ausflug in die Privatwirtschaft ebenfalls wieder an der Hochschule.
              Nach der Emeritierung ihres Vorgängers war für Dorn die Zeit reif.
              Getreu ihrer Devise «Ich halte mich offen für verschiedene Möglich-
              keiten und stelle mich den Herausforderungen» bewarb sie sich
              und wurde 1991 gewählt – als erst vierte ordentliche Professorin seit
              Bestehen der ETH.
                  Die Arbeit als Professorin ist für Dorn eine «runde» Sache: «Es
              ist eine Einheit, alles gehört zusammen: Forschung, Lehre, Admini-
              stration. Alles muss zusammenstimmen, damit ein Projekt erfolg-
              reich sein kann.» Die Lehre, die rund die Hälfte ihrer Zeit in Anspruch
              nimmt, ist für Dorn wichtig. So könne das neue Wissen, das in der
              Forschung generiert werde, gleich an die nächste Generation wei-
              tergegeben werden, «eine wunderbare Kombination». Bloss: Die
              Summe aller Aufgaben ergibt lange Arbeitstage. «Das gehört zu
              einer Führungsposition», stellt Dorn trocken fest, und: «Natürlich
              muss man dafür auf andere Dinge verzichten. Ich bin momentan
              noch Vorsteherin des Departements, also habe ich einige internati-
              onale und nationale Ämter ablehnen müssen. Vielleicht werde ich
              später mehr Zeit dafür haben.»
                  Ein bisschen Zeit findet sie schon heute für ihre grosse Passion,
              das Reisen. Meist reist die Familie Dorn gemeinsam, weltweit, zu
              immer neuen Destinationen. «Ich habe noch lange nicht alles gese-
              hen, was ich sehen möchte», sagt sie. Kreuzt auf diesen Reisen ein
              Insekt ihren Weg, «schau ich es schon an und bitte diejenigen in der
              Familie, die einen Apparat dabeihaben, es für meine Vorlesung zu
              fotografieren», aber eigens auf die Suche nach Insekten macht sie
              sich nicht. Zum Ausgleich schon eher auf die Suche nach Pflanzen:
              In Thailand ist sie mit ihrem Mann und einem Führer hoch hinauf
              geklettert, um die grösste Blume der Welt, die nur in einem kleinen
              Gebiet vorkommt, in voller Blüte zu sehen.
                  Ihre Liebe zu Pflanzen zeigt sich auch in Dorns Büro. Hier steht
              ein riesiger Ficus benjaminii, der bereits die Deckenplatte berührt.
              «Vielleicht muss ich die Platten entfernen», überlegt Dorn, «Ab-
              schneiden möchte ich ihn nämlich auf keinen Fall.»

Januar 2003
> Ich wollte endlich
                                                                                                 mal Erfolge sehen,
                                                                                                  wollte heraus aus
                                                                                                                dieser Enge.

                                                                   «Zu Ende der Schulzeit wollte ich unbedingt Musik studieren»,
                                                                   erzählt Eva-Maria Feichtner. Damals hat sie intensiv Klavier gespielt,

Eva-Maria Fe i c ht n e r
                                                                   jeden Tag vier bis sechs Stunden lang geübt. Mathematik hingegen
                                                                   hat sie wenig angesprochen: «Ich fand Mathe langweilig, unkreativ.
      Eva-Maria Feichtner wurde in Berlin (Deutschland) gebo-      Es war ein Fach, das mir ganz leicht fiel und deswegen auch keine
      ren. Ihr Fachgebiet ist Mathematik.                          Herausforderung war.» Doch als sie siebzehn war, bot das Mathe-
                                                                   matische Institut der Freien Universität Berlin ein zweiwöchiges
      Laufbahn                                                     Schülerseminar an, Feichtner nahm teil, hörte Vorlesungen, löste
      1990        Abitur in Berlin (Deutschland)                   Aufgaben – und wusste: «Jetzt wird Mathematik studiert.»
      1994        Diplom in Mathematik, Freie Universität Berlin      Seit 1999 ist sie ETH-Assistenzprofessorin für Mathematik; ihr
      1997        Promotion in Mathematik, Technische              Fachgebiet ist Diskrete Geometrie: «Ein Gebiet, das sich erst in
                  Universität Berlin                               jüngster Zeit etabliert hat. Es ist der Versuch, zwischen den klassi-
      1998        Postdoc, Massachusetts Institute of Technology   schen Gebieten der reinen Mathematik und der noch recht jungen
                  in Cambridge (Massachusetts, USA)                diskreten Mathematik eine Brücke zu spannen», erklärt sie. Ein
      1999        Postdoc, Institute for Advanced Study in         Brückenschlag «zwischen zwei Extremen» also, spannend seien
                  Princeton (New Jersey, USA)                      dabei vor allem Fragen wie: «Wo sind bereits in der klassischen
                                                                   Mathematik diskrete Strukturen da, und wo helfen diskrete Struk-
      Antritt der Professur an der ETH Zürich                      turen, die klassische Mathematik besser zu verstehen?»
      1999        Assistenzprofessur                                  Fragen, über die nicht bloss im einsamen Kämmerchen nach-
                                                                   gedacht wird. «Die Arbeit ist sehr auf Zusammenarbeit und Kom-
      Kontakt                                                      munikation gestützt, das ist für mich das Allerschönste an diesem
      Prof. Eva-Maria Feichtner                                    Beruf», sagt Feichtner. Gerade bei der diskreten Geometrie gehe es
      Departement Mathematik                                       darum, MathematikerInnen aus beiden Disziplinen, die sich sonst
      Rämistrasse 101                                              kaum treffen würden, zusammenzubringen: «Diese Kompetenzen
      ETH Zentrum HG G 32.2                                        miteinander zu verbinden und zu schauen, was wir gemeinsam
      CH-8092 Zürich                                               erreichen, das ist die eigentliche Herausforderung.»
      Telefon 01 632 06 39                                            Das Vorurteil, Mathematikerinnen und Mathematiker arbeite-
      eva-maria.feichtner@math.ethz.ch                             ten im einsamen Kämmerchen trifft laut Feichtner überhaupt nicht
                                                                   zu. Was eher zutreffen könne, meint sie mit einem Lachen, sei das
                                                                   Vorurteil «zerstreute Professorin»: «Wenn es gelingt, sich in irgend-
                                                                   was so richtig einzudenken, dann, denk ich, sind wir vielleicht in
                                                                   Gefahr, das normale Leben ein bisschen zu vergessen. Manchmal
                                                                   mach ich dann schon Dinge, über die man schmunzeln könnte.»
Momente, in denen sie intensiv und tief an ihren mathemati-
              schen Problemen arbeitet, empfindet Feichtner als «euphorisch».
              Doch gerade während des Semesters fällt es ihr nicht einfach, Zeit
              für ihre Forschungsarbeit zu finden. «Es gelingt mir immerhin
              immer besser», sagt sie: «In den ersten beiden Jahren haben mich
              die neuen Lehraufgaben sehr vereinnahmt, jetzt, in meinem vierten
              Jahr, bleibt viel mehr Platz ausserhalb der Lehre.» Diesen Platz teilt
              sich die Forschung etwa mit der Betreuung von Arbeiten, aber auch
              mit Aufgaben, die eher ausserhalb der ETH stattfinden, wie die
              Organisation von Konferenzen oder Gutachten für Fachzeitschriften
              – alles Dinge, die für Feichtner zu einer Assistenzprofessur dazuge-
              hören: «Wenn man sich nach einer festen Stelle umschaut, muss
              man sich positionieren.»
                  «Goldene Zeiten» sind für sie die Semesterferien. Dann fallen
              die Lehraufgaben weg, und dann reist Feichtner zu ihrem Partner –
              natürlich mit ihrer Arbeit im Gepäck: «Als Mathematikerin brauche
              ich keine grosse Infrastuktur.» Feichtners Partner ist ebenfalls
              Mathematiker, arbeitet im Moment in Seattle als Gastprofessor und
              wird bald nach Stockholm ziehen, wo er eine feste Stelle antreten
              wird. «Wir versuchen schon seit fast zehn Jahren, unsere Lebens-
              und Arbeitswege einigermassen parallel laufen zu lassen. Das ist
              nicht einfach», erzählt sie, und dass in dieser Situation das Thema
              Kinder für sie «erstmal» verschoben sei. Dabei, fügt sie hinzu, wären
              gerade in der Mathematik Beruf und Familie gut vereinbar: «Wir
              arbeiten mit Papier und Bleistift. Also kann Arbeit überall passieren,
              nicht nur im Büro.»
                  Im Moment jedoch sind die Zukunftsfragen, mit denen sich
              Feichtner beschäftigt, vor allem beruflicher Art. In zwei Jahren läuft
              ihre Assistenzprofessur aus, ihr Ziel ist dann eine feste Stelle, viel-
              leicht, irgendwann einmal, an der ETH: «Das wäre mein Traum. Die
              Arbeitsbedingungen hier sind ideal, die Atmosphäre ist wunder-
              schön, die Offenheit für Neues gross.»
                  Den Berufswunsch «Professorin» hätte sie als Studentin eher
              nicht geäussert. Denn damals hatte Eva-Maria Feichtner grosse
              Sprachprobleme. «Ich habe so stark gestottert, dass es unrealistisch
              gewesen wäre, daran zu denken, irgendwann mal Vorlesungen zu
              halten. Das war einfach jenseits alles Erreichbaren», erinnert sie
              sich. Gleichzeitig hätten sie die Sprachprobleme «unheimlich voran-
              getrieben, ich wollte endlich mal Erfolge sehen, wollte heraus aus
              dieser Enge». Die Promotion war ein wichtiger Schritt – und in die-
              ser Zeit wurde ihr Stottern immer schwächer. Bis es schliesslich
              ganz verschwand. Vorträge wurden möglich, auch an Konferenzen.
                  An solchen Veranstaltungen, so hat Feichtner festgestellt, kann
              es übrigens durchaus Vorteile haben, eine Frau zu sein: «Du hast
              eine Einladung zu einer Konferenz, bist die einzige Frau, die an die-
              sem Nachmittag spricht. Das fällt einfach auf.» So gewinne die Red-
              nerin einen «Aufmerksamkeitsvorschuss», den sie ausnützen könne
              – wenn sie die fachliche Leistung bringt. Ansonsten hat Feichtner in
              ihrer beruflichen Karriere nie erlebt, dass das Geschlecht eine Rolle
              gespielt hat: «Egal, ob Frau oder Mann: Es gibt in der Mathematik
              ‹richtig› oder ‹falsch›. Und das ist überprüfbar.»

Januar 2003
> Wenn ich in der
Informatik Frauen
getroffen habe, haben
sie mich in meiner
Arbeit bestärkt.

                                                                    Christine Giger, wann und wie beginnt bei Ihnen ein durchschnitt-
                                                                    licher Arbeitstag?

Christine Gi ge r
                                                                        Normalerweise fahr ich gegen sechs Uhr früh weg und reite
                                                                    spätestens um sieben los. Mein Hobby ist nämlich Dressurreiten,
      Christine Giger wurde in Bad Nauheim (Deutschland)            und ich bin seit 28 Jahren sozusagen täglich auf dem Pferd. Zur
      geboren. Ihr Fachgebiet ist Geoinformatik.                    Dissertation habe ich mir dann mein eigenes Pferd geschenkt, das
                                                                    habe ich heute noch. Früher habe ich Wettkämpfe geritten, heute
      Laufbahn                                                      würde das jedoch zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Aber wir – mein
      1982        Abitur in Dreieich (Deutschland)                  Mann hat dasselbe Hobby – betreiben es nach wie vor als Sport,
      1987        Diplom in Mathematik mit Schwerpunkt              intensiv.
                  Informatik, Technische Universität Darmstadt      Nach dem Reiten kommt der ETH-Alltag: Wie viel Zeit haben Sie als
                  (Deutschland)                                     Assistenzprofessorin für Ihre eigene Forschung?
      1992        Promotion in Informatik, Technische Universität       Als Assistenzprofessorin bin ich natürlich verantwortlich für
                  Darmstadt                                         meine Gruppe, für die Administration, die Finanzierung, die Betreu-
      1992–1998 Leiterin der Forschungsabteilung Graphische         ung der Doktorierenden. Das sind sicher mehr administrative Ver-
                  Informationssysteme, Fraunhofer-Institut für      pflichtungen als in meiner Zeit als Assistentin, doch immer noch
                  Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt         weit weniger als bei einer ordentlichen Professur. Kommt dazu, dass
      1997–2000 Geschäftsführerin des Informations- und             ich momentan nur wenige Vorlesungen gebe, keine Grundvorle-
                  Kooperationsforum für Geodaten (InGeoForum)       sungen. So bleibt mir relativ viel Zeit für meine inhaltliche Arbeit.
                  in Darmstadt und Zürich                           Sie arbeiten mit Geoinformationssystemen – was tun Sie genau?
      1999–2000 Direktorin des Institute for Domain Modeling            Ich beschäftige mich mit digitalen Geodaten, also mit allem,
                  in Luzern (Schweiz)                               was mit raumbezogenen Daten und ihrem Management zu tun hat.
                                                                    Das können beispielsweise Einsatz-Planungssysteme für Rettungs-
      Antritt der Professur an der ETH Zürich                       dienste sein, aber auch Analysewerkzeuge für Umweltdaten im
      2000        Assistenzprofessur                                Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung. Vereinfachend könnte
                                                                    man von digitalen Landkarten sprechen, aber es ist weit mehr; die
      Kontakt                                                       Verfahren zur Verarbeitung der Daten sind zum grossen Teil sehr
      Prof. Christine Giger                                         komplex. Wir entwickeln neue Verfahren, neue Software, die es
      Institut für Geodäsie und Photogrammetrie                     erlaubt, mit diesen Daten zu neuen Erkenntnissen und Problem-
      ETH Hönggerberg HIL D 45.2                                    lösungen zu gelangen. Dabei kommunizieren wir eng mit den künf-
      CH-8093 Zürich                                                tigen Anwendern aus den Umwelt-, Infrastruktur- oder Planungs-
      Telefon 01 633 30 51                                          bereichen. Ich sag immer: Wenn wir ohne Bezug zu Anwendungen
      christine.giger@geod.baug.ethz.ch                             arbeiten wollten, wär das, wie wenn ein Mediziner ohne Menschen
                                                                    arbeiten wollte. (lacht)
Diese Zusammenarbeit fasziniert Giger besonders an ihrer
            Arbeit: Die Problemstellungen stammen von anderen Wissenschaft-
            lerinnen und Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fachrich-
            tungen. «Sie kommen mit ihrem Know-how zu uns, und wir versu-
            chen es so mit unserem Ingenieurwissen, unserer Technologie zu
            verbinden, dass etwas Sinnvolles entsteht», erklärt sie: «Das ist
            genau der Punkt, weshalb ich das mache. Ich komm ja eigentlich
            aus der Mathematik und der Informatik, wo solche Kontakte eher
            selten beziehungsweise weniger ausgeprägt sind.»
                Mathematik, aber auch Naturwissenschaften hat sie schon als
            Schülerin gemocht; bei der Studienwahl schwankte sie zwischen
            Biologie, Chemie und Physik, entschied sich dann doch für Mathe-
            matik und das Nebenfach Informatik. Damals kamen die ersten
            programmierbaren Taschenrechner auf den Markt, das Fach Infor-
            matik entwickelte sich schnell, nahm ihr Interesse gefangen: «Im
            Hauptstudium hab ich im Prinzip halbe-halbe studiert: halb
            Mathematik und halb Informatik. Und es hat mir Spass gemacht.»
                Weniger Spass machten andere Erfahrungen. «Es gab
            Kommilitonen, die zu mir sagten: ‹Glaubst du wirklich, du, als
            Frau, schaffst es?›», erzählt Giger, und dass sie sich damals «ers-
            tens eine dicke Haut und zweitens eine gewisse selbstbewusste
            Art des Auftretens» angewöhnt habe. Doch neben versuchter
            Entmutigung hat sie Unterstützung erlebt: «In der Informatik
            sind wir Frauen sehr schwach vertreten, wenn ich jedoch Frauen
            getroffen habe, sind sie oft auf mich zugekommen und haben
            mich in meiner Arbeit bestärkt. Das versuche ich jetzt weiterzu-
            geben.» Unterstützt wurde sie auch von ihrem Doktorvater, der ihr
            zuerst eine «perfekte» Assistentinnenstelle anbot, dann die Stelle
            als Abteilungsleiterin am Fraunhofer-Institut in Darmstadt. «Ich
            hatte die Aufgabe, eine neue Forschungsabteilung in einem neuen
            Fachgebiet aufzubauen», erzählt sie, «Es war Auftragsforschung,
            aber ich hatte im Prinzip alle Freiheiten.»
            Weshalb kamen Sie vom Fraunhofer-Institut nach Zürich?
                Ich bin Schweizerin, bin aber in Deutschland aufgewachsen. Ich
            habe mir immer wieder überlegt, in die Schweiz zu gehen. Damals
            habe ich mich mit meinem Mann besprochen, er ist ebenfalls
            Informatiker und hatte eben ein gutes Angebot in Zürich gesehen.
            Das war also die Gelegenheit! Ich fand eine Stelle als Direktorin der
            Stiftung «Institute for Domain Modeling» in Luzern, ein Jahr später
            bewarb ich mich an der ETH.
            Ihre Assistenzprofessur dauert noch drei Jahre – sind Sie auf
            Stellensuche?
                Ich suche natürlich jetzt schon, denn die Besetzung von Profes-
            suren dauert in der Regel ein bis zwei Jahre. Ich würde gern in der
            Schweiz bleiben, aber ich kann mir auch eine Professur irgendwo in
            Europa, Nord- oder Südamerika vorstellen. Hauptsache, das Umfeld
            stimmt und gefällt uns.
            Können Sie sich vorstellen, dass Sie später Kinder haben werden?
                Ja, klar. Ich kenne sehr, sehr viele Frauen, die in guten Positionen
            arbeiten und Kinder haben. Man muss sich einfach bewusst sein:
            Man kann nicht alles haben, Kinder, Beruf und dann noch Hobbies,
            die jeden Tag mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Ich habe sehr
            zeitintensive Hobbies – solange ich noch keine Kinder habe, geht
            das zeitlich auf.
                Zu den zwei Pferden, die täglich bewegt werden müssen, kom-
            men in Gigers Haushalt zwei Collie-Hunde, die ebenfalls Zeit und
            Aufmerksamkeit beanspruchen. «Sonst hat natürlich nicht mehr
            viel Platz», sagt sie, und lacht: «In den Ausgang gehen wir selten.
            Abends sind wir einfach zu müd.»

März 2003
> Ich liebe eigentlich
alles in der Biologie,
aber der Prozess der
Zellteilung fasziniert mich
besonders.

                                                                       Monica Gotta, Sie sind Assistenzprofessorin am Institut für
                                                                       Biochemie – worum geht es bei Ihrer Arbeit?

Monica Got t a
                                                                          Meine grosse Frage ist: Wie entstehen aus einer Zelle eine
                                                                       Menge unterschiedlicher Zellen? Menschliches und tierisches Leben
      Monica Gotta wurde in Turin (Italien) geboren. Sie ist           startet mit einem Ei, das mit einem Spermium befruchtet wird. Und
      Mutter von zwei Töchtern im Alter von einem und                  dann ist es wie Magie – wir haben ein Wesen mit vielen, ganz unter-
      drei Jahren. Ihre Fachgebiete sind Entwicklungs- und             schiedlichen Zellen, und alle stammen aus einer einzigen Zelle.
      Zellbiologie.                                                    Wie forschen Sie konkret?
                                                                          Als Modell verwende ich Caenorhabditis elegans, einen kleinen,
      Laufbahn                                                         millimeterlangen Wurm, der transparent ist. Wir können also unter
      1986            Maturità classica in Aosta (Italien)             dem Lichtmikroskop sehen, wie sich die Zellen der Embryos dieses
      1990            Master of Science in Biology, Università degli   Wurms teilen. Teilt sich eine Zelle, entstehen daraus zwei unter-
                      Studi in Turin (Italien)                         schiedliche Zellen, und mich interessiert, weshalb das so ist, wie es
      1994            Master of Science in Biotechnology, Università   entsteht.
                      degli Studi in Turin                             Was fasziniert Sie besonders?
      1997            PhD, Swiss Institute for Experimental Cancer        Ich liebe es, mit lebenden Organismen zu arbeiten. Du hast eine
                      Research (ISREC) in Lausanne (Schweiz)           Idee, wie es funktionieren könnte, dann läufst du aufgeregt zum
      1998–2002 Postdoc, Cambridge University in Cambridge             Mikroskop, um diese Idee zu testen. Ich liebe eigentlich alles in der
                      (England)                                        Biologie, aber der Prozess der Zellteilung fasziniert mich besonders.
                                                                       Ich habe zwei Kinder; als ich schwanger war, hatte ich immer das
      Antritt der Professur an der ETH Zürich                          Gefühl: Es ist verblüffend, dass aus einer einzigen Zelle ein Kind
      2002            SNF Förderungsprofessur                          wird.
                                                                          Dass es Biologie sein musste, wusste Gotta bereits in der Primar-
      Kontakt                                                          schule. Eine Biologielehrerin, die «schwierige Dinge einfach und ver-
      Prof. Monica Gotta                                               ständlich» erklären konnte, weckte in ihr die Liebe zum Fach: «Mit
      Institut für Biochemie                                           elf Jahren entschied ich, dass ich Biologie studieren wollte.» Den
      Schafmattstrasse 18                                              Entscheid untermauerte ein Buch der italienischen Neurobiologin
      ETH Hönggerberg HPM G 16.2                                       Rita Levi-Montalcini, die 1986 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet
      CH-8093 Zürich                                                   wurde: «Sie beschrieb ihre Forschung, und ich wusste, dass ich For-
      Telefon 01 633 65 75                                             schung betreiben wollte.»
      monica.gotta@bc.biol.ethz.ch                                        Während des Studiums wurde Gotta klar, dass sich die aktuelle
                                                                       biologische Forschung stark von derjenigen zu Levi-Montalcinis
                                                                       Zeiten unterschied. Die Faszination aber blieb. Nach Studienab-
                                                                       schluss arbeitete sie in verschiedenen Labors, «einige davon waren
sehr gut, und ich sah dort, was es bedeutet, in einer guten Umge-
            bung Forschung zu betreiben». Allerdings sah sie gleichzeitig, dass
            eine wissenschaftliche Karriere in Italien schwierig sein würde,
            unter anderem, «weil Professuren nach politischen Kriterien besetzt
            werden». So entschied sie sich, im Ausland zu doktorieren – nicht
            zuletzt aus Interesse an anderen Ländern: «Viele Italiener wollen
            Italien nie verlassen, ich aber mag es, anderswo hinzugehen. Ich
            mag die Italiener, ich bin ja selbst Italienerin, aber ich ziehe es vor, in
            einer internationalen Umgebung zu arbeiten.»
                Ihre Doktorandinnen-Stelle fand sie schliesslich in Lausanne. Sie
            habe unbedingt in diesem Labor arbeiten wollen, erzählt Gotta, und
            habe telefonisch bei der Laborleiterin, Susan Gasser, insistiert:
            «Später hat sie mir erzählt, sie habe mich genau deswegen ausge-
            wählt und sich gedacht: Wenn sie diese Stelle so sehr will, wird sie
            ihre Sache gut machen.» Gasser habe sie in der Folge unterstützt
            und sie auch in der Idee bestärkt, dass Karriere und Familie gleich-
            zeitig möglich seien.
            Sie haben zwei kleine Töchter, drei- und einjährig. Ist der Stress durch
            die Doppelbelastung nicht sehr gross?
                Ich glaube, man lässt sich eher stressen, wenn man keine
            Familie hat. Denn dann kann die Arbeit plötzlich zur einzigen und
            wichtigsten Sache im Leben werden. Natürlich arbeite ich viel, habe
            Stress, doch dann gehe ich nach Hause, sehe meine Kinder, sie
            lachen, sie weinen, sie spielen – und ich bin bei ihnen und nicht
            mehr bei der Arbeit. So entsteht eine gute Balance.
            Wo sind ihre Töchter, wenn Sie arbeiten?
                Sie sind beide in der ETH-Krippe. Die restliche Betreuungsarbeit
            teile ich mir mit meinem Mann. Wir teilen wirklich 50 zu 50 Prozent.
            Wenn ich länger arbeiten muss, schaut er für die Kinder, wenn er
            länger arbeiten muss, schaue ich. Wir haben Glück: Er ist ebenfalls
            Biologe und arbeitet im Labor neben mir. So können wir uns wäh-
            rend der Arbeit absprechen, das macht alles leichter.
                Gotta und ihr Mann haben bereits die Postdoc-Zeit gemeinsam
            in Cambridge verbracht, auch dort quasi Tür an Tür. Kennengelernt
            haben sie sich in Lausanne; er ist Schweizer. Unter anderem deshalb
            hofft sie, nach Ablauf ihrer auf sechs Jahre befristeten Assistenz-
            professur weiter in der Schweiz forschen zu können – sowohl ihre
            Familie in Italien wie diejenige ihres Mannes in Basel sind von hier
            gut erreichbar.
                Doch vorläufig geht es nicht um eine neue Stelle: Monica Gotta
            hat ihre Professur erst vor einem halben Jahr angetreten. Ent-
            sprechend hat sie die letzten Monate vor allem mit Organisieren
            und Einrichten ihres Labors und ihrer Gruppe verbracht. «Das ist der
            Nachteil, wenn man Professorin oder Gruppenleiterin wird: Man hat
            viel weniger Zeit für die Forschung», bedauert sie. Immerhin emp-
            findet sie die Instruktion und Begleitung ihrer Gruppe im Labor als
            «fast wie selber Forschung betreiben». Und immerhin: Rund zehn
            Prozent ihrer Zeit bleibt ihr für ihre eigene Forschung.
            Haben Sie sich auch schon überlegt, eine andere Arbeit zu suchen?
                Oh ja! (lacht) Aber nie sehr ernsthaft, nur wenn ich frustriert
            war. Das einzige, was mir an meinem Gebiet nicht so gefällt, ist die
            kompetitive Haltung. Ohne diesen Wettbewerb, diesen Publikations-
            druck, glaube ich, gäbe es bessere, risikoreichere und interessantere
            Experimente.

März 2003
> Meine Eltern waren
schon ganz besorgt und
befürchteten, aus mir
werde nie etwas.

                                                                   Gudela Grote, was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit?
                                                                       Ich schaue andern gerne bei der Arbeit zu (lacht). Nein, im Ernst,

Gudela Grot e
                                                                   die Vielfalt dessen, was Menschen arbeiten und die unterschiedli-
                                                                   chen Bedingungen, unter denen sie das tun – das ist grundsätzlich
     Gudela Grote wurde in Wiesbaden (Deutschland) geboren.        spannend. Arbeit ist für die meisten von uns etwas sehr Zentrales,
     Sie ist Mutter zweier Kinder im Alter von einem und vier      und viele Probleme haben ihren Ursprung in der Arbeitswelt. Wir
     Jahren. Ihre Fachgebiete sind Arbeits- und Organisations-     versuchen dazu beizutragen, dass Probleme möglichst gar nicht
     psychologie.                                                  entstehen.
                                                                   Wie definieren Sie Arbeits- und Organisationspsychologie?
     Laufbahn                                                          Wir kümmern uns um Grundlagen und Methoden, wie Arbeit
     1979        Abitur in Wiesbaden (Deutschland)                 menschengerecht gestaltet werden könnte. Das Spektrum ist weit:
     1984        Diplom in Psychologie, Technische Universität     Wie verändert sich Arbeit durch Technik? Wie können wir mit den
                 Berlin (Deutschland)                              Mittel der Arbeitspsychologie risikoreiche Systeme sicherer ma-
     1987        PhD, Georgia Institute of Technology in Atlanta   chen? Wie wirkt sich die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen
                 (Georgia, USA)                                    auf Menschen aus? Wie sind die Beziehungen in der Arbeitswelt zu
     1988–1992 Postdoc, Institut für Arbeitspsychologie, ETH       gestalten?
                 Zürich                                                Diese Fragen stellt sich Gudela Grote nicht nur in der Theorie,
     1996        Habilitation, Institut für Arbeitspsychologie,    sondern auch in der Praxis: Fast alle Projekte des Instituts für
                 ETH Zürich                                        Arbeitspsychologie werden in Zusammenarbeit mit Unternehmen
                                                                   durchgeführt, vor Ort. Die Unternehmen erhalten als Gegenleistung
     Antritt der Professur an der ETH Zürich                       die Resultate dieser praktischen Forschung.
     1992        Assistenzprofessur                                    Den ersten Einsatz dieser Art absolvierte Grote noch als Psycho-
     1997        ausserordentliche Professur                       logie-Studentin; er zeigte ihr ein Konfliktpotential, das sie bis heute
     2000        ordentliche Professur (75%)                       oft bei ihrer Arbeit erlebt: Unternehmer mögen es nicht immer,
                                                                   wenn ihnen strukturelle Veränderungen vorgeschlagen werden. Als
     Kontakt                                                       Praktikantin sollte Grote in einer Firma ein Verkaufstraining durch-
     Prof. Gudela Grote                                            führen, die Verkäufer aber wünschten sich kein Training, sondern
     Institut für Arbeitspsychologie                               mehr Kompetenzen. Für die Unternehmensleitung hingegen war
     Nelkenstrasse 11                                              klar: mehr Kompetenzen für die Angestellten gibt es nicht, obwohl
     ETH Zentrum NEL E 14                                          Grote in ihrem Bericht zum Schluss kam, das Problem bei der
     CH-8092 Zürich                                                Kompetenz-Verteilung anzugehen. «Nein, das ist nichts für mich»,
     Telefon 01 632 70 86                                          hat sich Grote nach dieser ersten Erfahrung gesagt – und kam spä-
     grote@ifap.bepr.ethz.ch                                       ter wieder auf diesen Entscheid zurück.
Das Studienfach Psychologie hatte sie nach längerem Hin und
                Her gewählt: «Meine Eltern waren schon ganz besorgt und befürch-
                teten, aus mir werde nie etwas». Ausschlaggebend für ihre Wahl
                war schliesslich die «Breite» des Fachs, die verschiedenen Möglich-
                keiten der Ausrichtung und damit auch die Möglichkeit, sich nicht
                gleich von Anfang an starr festzulegen. Die Idee, «da anzusetzen, wo
                Probleme beginnen, eben zum Beispiel in der Arbeitswelt», führte
                sie dann in Richtung sozialwissenschaftliche Psychologie.
                Haben Sie bereits während des Studiums eine akademische Karriere
                geplant?
                   Ehrlich gesagt, habe ich nicht sehr weit vorausgeplant. Ich woll-
                te vor allem eines: in die USA. Nach Studienabschluss bewarb ich
                mich um ein Stipendium und kam so nach Atlanta. Ich fand es span-
                nend, in die USA zu gehen, dann, habe ich mir gesagt, sehen wir
                weiter. Als das Angebot zur Promotion kam, habe ich mir gesagt:
                Wenn das alles so gut zusammenpasst, dann ja.
                Und damit war der Entscheid für die Hochschule gefallen?
                   Eigentlich ist eine Promotion ja noch nicht eine definitive Ent-
                scheidung für eine akademische Karriere. Erst danach geht es um
                die Frage: akademische Laufbahn oder nicht? Mir wurde in den USA
                klar, dass ich gerne an der Hochschule bleiben will, deshalb bewarb
                ich mich an verschiedenen Hochschulen in Europa – kreuz und quer.
                So kam ich nach Zürich. Und setzte mir das Ziel, die Optionen für
                eine akademische Karriere zu nutzen. Die Zeiträume meiner Pla-
                nung wurden mit der Zeit schon etwas länger (lacht).
                   Zwischen 1988, dem Stellenantritt in Zürich, und 1997, der
                Berufung zur zunächst ausserordentlichen Professorin, liegen Jahre,
                gefüllt mit Arbeit und mit Projekten. Vor allem die Habilitation war
                eine schwierige Aufgabe: Wie sollte Grote die Vielfalt von Projekten,
                die sie verfolgt hatte, zu einem Werk «mit wissenschaftlichem roten
                Faden» zusammenfassen? Schliesslich wurde dieses «Habilitations-
                ungetüm», wie sie es nennt, fertig, genau rechtzeitig. Der Instituts-
                leiter emeritierte, zur Nachfolgerin wurde Gudela Grote gewählt –
                aber nicht allein. Denn sie teilt sich die Stelle mit einem Kollegen.
                Beide arbeiten inzwischen zu 75 Prozent fest angestellt; die restli-
                chen 25 Prozent finanzieren sie je aus Projekten und organisieren
                sich selbständig. «Also arbeite ich nicht etwa 75 Prozent, sondern
                die üblichen hundert und x Prozent», sagt Grote. Grosser Vorteil der
                75-Prozent-Regelung: Montags arbeitet Grote zuhause und betreut
                ihre beiden Söhne, ein- und vierjährig.
                Karriere und Familie – wie geht das gleichzeitig?
                    Einen Tag pro Woche bin ich zuhause, einen Tag mein Mann. Die
                restlichen drei Tage sind unsere Kinder bei einer Tagesmutter. Wir
                haben sie via Zeitungsinserat gefunden, kurz bevor unser erstes
                Kind zur Welt kam. Nun betreut sie auch das zweite. Das klappt bis
                heute wunderbar, wir hatten ein riesiges Glück.
                Finden Sie neben Beruf und Familie noch freie Zeit, etwa für ein
                Hobby?
                   Nicht sehr viel. Früher habe ich viel getanzt, orientalischen Tanz,
                und, gemeinsam mit meinem Mann, Standardtänze, Salsa, bunt
                gemischt. Den orientalischen Tanz habe ich aufgegeben. Einmal,
                maximal zweimal pro Monat gehe ich aber nach wie vor mit mei-
                nem Mann Tanzen. Tanzen bekommt mir sehr, sehr gut: Es ist etwas
                völlig anderes als meine Arbeit, aber ich bin ebenso konzentriert –
                ganz weg und gleichzeitig völlig drin.

Dezember 2002
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