Professorinnen an der ETH Zürich - Chancengleichheit von Frau und Mann
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Professorinnen an der ETH Zürich Chancengleichheit von Frau und Mann
Ladies, welcome to ETH! Frauen sind an der ETH willkommen – als Studentinnen, als Dok- torandinnen, als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und als Professorinnen. Sie sind zwar (noch) in der Minderheit, doch Frauen sind im Kommen: 1992 waren 20% aller Studierenden Frauen, 2003 sind es fast 30%. Dagegen gibt es nur gerade 7% Professorinnen, und das wollen wir ändern! Chancengleichheit ist laut Leistungsauftrag für die Jahre 2004 bis 2007 ein strate- gisches Ziel. Auch das «Bundesprogramm Chancengleichheit», dem sich die ETH Zürich angeschlossen hat, will die Anzahl der Professorinnen an Schweizer Universitäten bis 2006 auf 14% erhöhen. Frauen haben an der ETH Chancen. Die in dieser Mappe vorge- stellten Professorinnen beweisen es. Die Portraits stellen nicht nur interessante Persönlichkeiten vor, sie zeigen auch, wie unter- schiedlich die Wege zur Professur sein können. Warum die Frauen diese Laufbahn gewählt haben und wie sie es geschafft haben, verraten sie in dieser Mappe. Wir hoffen, dass wir mit dieser Publikation junge Wissenschaft- lerinnen für eine akademische Laufbahn begeistern können, und freuen uns, die Mappe jährlich mit weiteren Portraits zu ergän- zen. Liebe Studentinnen, liebe Doktorandinnen Wenn ihr konkrete Fragen zu eurer beruflichen Zukunft mit einer Professorin besprechen möchtet, wendet euch direkt an sie! Bei jedem Portrait sind unter «Kontakt» Telefonnummer und E-Mail- Adresse aufgeführt. Zusätzliche Informationen zu den Professorinnen findet ihr auch unter: www.cc.ethz.ch/whoiswho/default.htm Im Frühling 2004 startet die Stelle für Chancengleichheit ein Online-Mentoring-Programm. Es bietet Gelegenheit, mit Assis- tentinnen, Doktorandinnen und Studentinnen über E-Mail Kontakt aufzunehmen. Für weitere Informationen rund um das Thema Laufbahn und Karriere verweisen wir euch auf: www.equal.ethz.ch/beratung Wir wünschen euch viel Erfolg für eure akademische Karriere. Brigitte Manz-Brunner und Carla Zingg Gleichstellungsbeauftragte der ETH Zürich Eidgenössische Technische Hochschule Zürich ETH Zentrum, HG F 37.3 CH-8092 Zürich Tel. +41 1 632 60 26 Fax +41 1 632 12 37 equal@pa.ethz.ch www.equal.ethz.ch
Professorinnen an der ETH Zürich (Stand Juli 2003) Marlis Buchmann ordentliche Professorin für Soziologie, D-GESS Nina Buchmann ordentliche Professorin für Graslandwissenschaften, D-AGRL Marcella Carollo ausserordentliche Professorin für Astrophysik, D-PHYS Silvia Dorn-Mühlebach ordentliche Professorin für Entomologie, D-AGRL Eva-Maria Feichtner Assistenzprofessorin am Departement Mathematik, D-MATH Christine Giger Assistenzprofessorin für Geoinformationssysteme, D-BAUG Monica Gotta SNF-Förderungsprofessur für Biochemie, D-BIOL Gudela Grote ord. Prof. für Arbeits- und Organisationspsychologie, D-BEPR Özlem Imamoglu Assistenzprofessorin am Departement Mathematik, D-MATH Ingrid Ursula Keller ordentliche Professorin für Experimentalphysik, D-PHYS Ulrike Kutay Assistenzprofessorin für Biochemie, D-BIOL Susanne Kytzia Assistenzprof. für Stoffhaushalt/Entsorgungstechnik, D-BAUG Isabelle Mansuy Assistenzprofessorin für Zelluläre Neurobiologie, D-BIOL Judith A. McKenzie ordentliche Professorin für Geologie; D-ERDW Moira Norrie ordentliche Professorin für Informatik; D-INFK Brita E.A. Nucinkis Assistenzprofessorin für Mathematik, D-MATH Annette Oxenius Assistenzprofessorin für Immunologie; D-BIOL Felicitas Pauss ord. Professorin für Experimentelle Teilchenphysik, D-PHYS Renate Schubert ordentliche Professorin für Nationalökonomie, D-GESS Sarah Marcella Springman ordentliche Professorin für Geotechnik, D-BAUG Linda Thöny-Meyer Assistenzprofessorin für Mikrobiologie, D-BIOL Sabine Werner ordentliche Professorin für Zellbiologie, D-BIOL Heidi Wunderli-Allenspach ordentliche Professorin für Biopharmazie; D-CHAB Diese Publikation wird jährlich aktualisiert. Die Portraits der neu gewählten SNF-Förderungsprofessorinnen Eilika Weber-Ban, Biochemie und Molekulare Biophysik, D-BIOL und Saskia Goes, Tektonophysik, D-ERDW erscheinen bei der nächsten Aktualisierung.
> Geht ins Ausland, sammelt möglichst breit internationale Erfahrungen! Im Moment leidet sie noch etwas unter Jetlag. Vor zwei Tagen erst ist die Soziologieprofessorin Marlis Buchmann in Zürich eingetrof- Marlis Buch m a n n fen, um an der Gründungsfeier des «Jacobs Center for Productive Youth Development» zu sprechen. In zwei Tagen wird sie die Schweiz Marlis Buchmann wurde in Walenstadt (Schweiz) geboren. wieder verlassen: Als erste Schweizer Wissenschaftlerin wurde sie Sie ist Mutter zweier Kinder im Alter von fünf und sieben für ein Jahr ans «Center for Advanced Studies in the Behavioral Jahren. Ihr Fachgebiet ist Soziologie. Sciences» an der Stanford University eingeladen. Bereits als Mittelschülerin verbrachte Buchmann ein Austausch- Laufbahn jahr in den USA. Dieser Aufenthalt hat zur Wahl ihres Studienfachs 1970 Matura Typus B, Kantonsschule St. Gallen (CH) beigetragen: «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich das Zusam- 1977 Lizenziat, Universität Zürich menleben zum Teil nach anderen Regeln gestaltet. Das hat sicher 1982 Promotion in Soziologie, Universität Zürich mein Interesse geweckt.» Allerdings, so relativiert sie lachend: Oft 1985–1986 Postdoc, Ecole des Hautes Etudes en Sciences sehe man im Nachhinein die Beweggründe für einen Entscheid Sociales in Paris (Frankreich), Stanford University anders, «man legt sich die Biographie zurecht, damit sie konsistent in Stanford (California, USA) und University of ist, das nennen wir in der Soziologie ‹retrospektive Reinterpre- California in Berkeley (California, USA) tation›». 1988 Habilitation, Universität Zürich Heute ist Buchmann Professorin – sowohl an der ETH wie auch 1989–1990 Visiting Professor, Stanford University in an der Universität Zürich. Als sie 1994 neben ihrer ETH-Professur Stanford (California, USA) noch eine Uni-Professur antrat, gab es auch einige nicht ganz freund- seit 1990 Verschiedene Gastprofessuren an amerikani- liche Reaktionen: «Man hat mir gesagt, danach gehörst du weder schen Universitäten (u.a. Fellow am Center for hierhin noch dorthin, wirst dich weder hier noch dort integrieren.» Advanced Study in the Behavioral Sciences in Heute sind diese Befürchtungen in den Hintergrund getreten, denn, Stanford) so Buchmann, «seit einigen Jahren wird der Zusammenarbeit zwi- Antritt der Professur an der ETH Zürich schen Uni und ETH ein grösseres Gewicht beigemessen – gemein- 1990 ordentliche Professur sam sind wir ein starker Hochschulplatz.» Sie sind Professorin an zwei Hochschulen – haben Sie auch zwei Kontakt unterschiedliche Forschungsgebiete? Prof. Marlis Buchmann Ich habe tatsächlich zwei fachliche Schwerpunkte. Einerseits Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften interessieren mich Fragen der sozialen Mobilität in westlichen Scheuchzerstrasse 68/70 Industriegesellschaften. Zum Beispiel: Wie sind Bildungsvoraus- ETH Zentrum SEW E 24 setzungen mit beruflichen Chancen verknüpft, mit sozialen Positio- CH-8092 Zürich nen, Auf- oder Abstiegen? Wie wandeln sich Bildungs- und Arbeits- Telefon 01 632 55 57 qualifikationen? Eine wichtige Grösse, die den Wandel beeinflusst, buchmann@soz.gess.ethz.ch ist die Technologie. Deshalb ist dieses Forschungsgebiet stärker mit
der ETH verknüpft. Mein zweiter Schwerpunkt ist Kultursoziologie; ich analysiere den längerfristigen Wandel von Leitideen und kultu- rellen Vorstellungen in den westlichen Industrieländern. Bei beiden Schwerpunkten gilt, dass die Frage des Wandels von grundlegen- dem Interesse ist. Schliesslich (lacht) ist Wandel ja eigentlich das einzig Beständige in unserer modernen Gesellschaft. Haben Sie sich als Studentin jemals vorgestellt: Ich werde später Doppelprofessorin? (Lacht) Nein, natürlich nicht. Die Idee einer Professur ist erst nach Abschluss des Studiums aufgetaucht, als ich am Soziologischen Institut in Zürich arbeitete und merkte, wie gut mir Forschung gefällt. Ich wollte gerne im Hochschulbereich bleiben, also habe ich die notwendigen Qualifikationsschritte gemacht. Es war eher sequentiell: Gut, ich habe jetzt meine Diss fertig, ich habe meine Forschung, also gehe ich ins Ausland. Dann folgte als nächster Schritt die Habilitation – und irgendwann lief alles relativ schnell. Was waren, im Rückblick betrachtet, entscheidende Momente? Ein wichtiger Schritt in meiner Karriere war sicher der Entscheid, ins Ausland zu gehen. Ich habe mir sehr renommierte Hochschulen ausgesucht, zuerst die Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales in Paris, danach habe ich an der Stanford University und der Uni- versity of California in Berkeley an meiner Habil gearbeitet. Kaum hatte ich sie abgeschlossen, wurde ich für ein Jahr als Gastpro- fessorin nach Stanford eingeladen. Ich empfehle übrigens allen Studentinnen und Doktorandinnen, die sich eine akademische Karriere überlegen: Geht ins Ausland, sammelt möglichst breit internationale Erfahrungen! Nicht nur, weil Ihr so bessere Karriereaussichten habt. Es ist auch wichtig, sich in einem anderen Kontext zu bewegen. Die Schweiz ist nicht sehr gross – es tut gut, über den Tellerrand zu schauen. Hatten Sie nie Lust, eine Professur ausserhalb der Schweiz anzu- nehmen? Eine Weile lang war ich schon sehr in Versuchung, in Amerika zu bleiben. Ich glaube, als meine Habilitation auf Englisch erschien, hätte ich mich durchaus mit Chancen bewerben können. Ich habe mich aber für die Schweiz entschieden. Denn obwohl ich oft und gerne in Amerika bin, bin ich nicht sicher, ob ich für immer dort leben möchte. Dazu kommt: Mein Mann ist Arzt, für ihn wäre es schwierig gewesen, seine Arbeit in die USA zu verlegen. Gemeinsam mit ihrem Mann hat Marlis Buchmann zwei Söhne, fünf und sieben Jahre alt. Und sie betreut sie auch gemeinsam mit ihrem Mann: «Es ist wirklich ein ‹sharing›, beide tragen ihren Teil dazu bei.» Die Kinder wurden zudem schon früh auch ausser Haus, in der ETH-Kinderkrippe, betreut. Im Moment allerdings lebt die ganze Familie in den USA, die Kinder besuchen die normalen Schulen und haben flink Englisch gelernt. Ob in den USA oder in der Schweiz: neben Beruf und Familie bleibt Buchmann nicht allzu viel Freizeit. Kino- und Theaterbesuche sind seit der Geburt der Kinder seltener geworden. «Wenn ich mich beruflich schon so stark engagiere, möchte ich möglichst viel von der verbleibenden Zeit mit meinen Kindern verbringen», findet sie, und fügt hinzu: «Je älter sie werden, desto weniger wird ihnen daran liegen, dass wir abends möglichst zuhause sind. Sie fragen schon heute manchmal: Wann geht ihr wieder aus, damit unser Babysitter kommt?» April 2003
> Ich bin Wissen- schaftlerin, ich bin Frau, ich bin Mutter, und es geht mir gut! Lea kam sozusagen mitten in den Berufungsverhandlungen zur Welt: Nach einigen Vorgesprächen reiste ihre Mutter, Nina Buch- Nina Buchm a n n mann, im achten Monat schwanger, von Jena nach Zürich, um den ETH-Präsidenten zu einem «Kennenlern-Gespräch» zu treffen. Zwei Nina Buchmann wurde in Heidelberg (Deutschland) gebo- Monate später kam Buchmann wieder nach Zürich, zu den abschlies- ren. Sie ist Mutter einer Tochter im Alter von acht Monaten. senden Verhandlungen – mit dabei ihre vier Wochen alte Tochter Ihr Fachgebiet ist Terrestrische Ökologie, insbesondere Lea. «Als wir den Termin bestimmten», erzählt Buchmann, «habe ich Graslandwissenschaften. gesagt: Ich kann immer nur zwei Stunden am Stück besprechen, dann muss ich stillen. Sonst verhungert meine Kleine.» Laufbahn Nina Buchmann, wie bringen Sie Kind und Beruf unter einen Hut? 1984 Abitur in Sandhausen (Deutschland) Die Kleine hat einen Papa, und der betreut sie. Wir möchten sie 1989 Diplom in Geoökologie, Universität Bayreuth erst in die Krippe schicken, wenn sie etwa anderthalb Jahre alt ist. (Deutschland) Mein Mann ist selbständiger Orts- und Regionalplaner. Als fest- 1993 Promotion, Universität Bayreuth stand, dass wir nach Zürich gehen und ein Kind haben werden, hat 1993–1996 Postdoc, University of Utah in Salt Lake City er gesagt: Okay, ich schalte ein Babyjahr ein. (Utah, USA) Wie waren die Reaktionen in Ihrer Umgebung? 1996–1999 Habilitandin, Universität Bayreuth Sehr positiv. Alle finden es ganz toll: Wie, das macht ihr? Super! 1999–2003 Gruppenleiterin und anschliessend Professorin, Es wird ja viel über alternative Rollen-Modelle gesprochen: Ich glau- Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena be, wir sind eins. Mir ist das wichtig. In meinem Fachbereich gibt es (Deutschland) sehr wenige Frauen, und ich selbst habe dort nie eine Professorin erlebt, die Kinder hatte. Ich will den jungen Frauen zeigen, dass es Antritt der Professur an der ETH Zürich geht. 2003 ordentliche Professur Sind Sie ein Vorbild für Ihre Studentinnen und Doktorandinnen? Ich hoffe es. An meinem früheren Institut in Jena hat mich eine Kontakt Doktorandin darauf angesprochen. Ich habe bis etwa zehn Tage vor Prof. Nina Buchmann dem Geburtstermin gearbeitet, denn es ging mir gut. Die Doktoran- Institut für Pflanzenwissenschaften din sagte, sie finde es ganz toll, dass ich mich nicht zurückziehe, so Universitätsstrasse 2 nach dem Motto: «Ich bin jetzt schwanger und kann nicht mehr ETH Zentrum LFW C 56 denken». Für mich war das fast etwas überraschend: Ich bin Wissen- CH-8092 Zürich schaftlerin, ich bin Frau, ich werde Mutter, und es geht mir gut! Telefon 01 632 39 59 Dass sie die richtige Wissenschaft gewählt hatte, wurde nina.buchmann@ipw.agrl.ethz.ch Buchmann bereits nach einem halben Jahr ihres Geoökologie- Studiums klar: «Das erste Semester war schrecklich, nur Mathe, Statistik, Physik. Dann, im Sommer, folgten die ersten ökologischen
Fächer und interessante Exkursionen – und ich wusste: Ich bleib dabei!» Denn die Arbeit im Freien ist ein Teil ihres Berufs, den Buchmann liebt. «Manchmal, wenn so ein paar Ökologinnen und Ökologen zusammensitzen, witzeln wir jeweils: Als Kind hat man uns verboten, draussen im Regen zu spielen und dreckig zu werden. Jetzt können wir es endlich machen und werden nicht dafür sankti- oniert», erzählt sie lachend. Die Arbeit im Freiland – und ihre Englischkenntnisse – führten auch dazu, dass sie bereits als Doktorandin gut vernetzt war: «Häufig kamen Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus dem Ausland an meine Uni, die unsere Freilandstandorte sehen wollten», erzählt sie. Die übrigen Doktorierenden hätten lieber keine Führungen übernommen, da man Englisch habe sprechen müssen: «Ich machte es gerne, schliesslich hatte ich Englisch und Französisch gelernt. Dolmetscherin war mal ein sehr früher Berufs- wunsch gewesen.» Gemeinsam sei man zu den Standorten gefah- ren, habe dann in einem Gasthof eine fränkische «Bradwurschd» gegessen, über Forschung, Gott und die Welt gesprochen – «so habe ich Leute kennengelernt, deren Namen man sonst nur von Papers her kannte». Bereits in dieser Zeit war ihr Berufsziel klar: Professorin. Im letz- ten Jahr ihrer Doktorarbeit sprach sie ihren Doktorvater darauf an: «Ich sagte ihm: Ich möchte habilitieren, vorher will ich aber ins eng- lischsprachige Ausland. Wie soll ich vorgehen? Er fand, normalerwei- se spreche er nicht über eine Habilitation, bevor die Doktorarbeit fertig sei. Aber wenn ich mir das schon in den Kopf gesetzt hätte ...» Drei Jahre verbrachte Buchmann als Postdoc in Salt Lake City. Nach Deutschland zurückgekehrt habilitierte sie innerhalb von zwei Jahren und arbeitete beim Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, zuletzt als Assistenzprofessorin. Dann kam die Einladung, nach Zürich zu kommen. Sie sind erst seit kurzem in Zürich, was sind Ihre Ziele? Ich möchte in den nächsten Jahren eine grosse, aktive, interna- tionale Gruppe aufbauen. Und auch wirklich mit Betonung auf inter- national! In Jena waren in meiner Arbeitsgruppe und am Institut Leute aus den verschiedensten Ländern. Da kommen zusätzlich zu den verschiedenen fachlichen Expertisen auch durch die kulturelle und sprachliche Vielfalt viele neue Ideen raus. Wie sieht Ihre Arbeit aus? Ich bearbeite mit meiner Gruppe zwei grosse Themen. Zum einen sind das Stoffkreisläufe in terrestrischen Ökosystemen, zum zweiten untersuchen wir die Beziehung zwischen pflanzlicher Viel- falt und diesen Stoffkreisläufen. In Zukunft wird die Frage der Bewirtschaftung eine noch zentralere Rolle einnehmen. Ein grosser Teil unserer Arbeit findet im Freien statt, Standorte suchen, Proben nehmen. Als Professorin bin ich allerdings kaum mehr im Gelände aktiv, (lacht) aber ab und zu muss das schon auch sein, wieder mal so richtig im Dreck zu wühlen. Ausserdem sind meine übrigen Auf- gaben spannend und vielfältig: Man braucht nicht nur das wissen- schaftliche Wissen, sondern auch Organisationstalent, Kommuni- kationsfähigkeit, man betreut, man lehrt, und man kommt auch ein bisschen in der Welt herum. Reiste Nina Buchmann früher zu internationalen Kongressen und Veranstaltungen, kam ihr Mann manchmal für ein paar gemein- same Ferientage nach. Heute ist bei solchen Reisen auch Tochter Lea mit dabei: «Kürzlich», erzählt Buchmann, «waren mein Mann und unsere Kleine bei einem EU-Treffen in Lissabon mit dabei. Es ist doch gut, wenn die Männer auf solchen Veranstaltungen sehen, dass es in ihrem Fach auch Frauen mit Kindern gibt. Und überhaupt wäre es für mich anders gar nicht machbar: Ich möchte meine Kleine nicht Mai 2003 eine Woche lang missen.»
> Vergiss nie, dass du die Möglichkeit hast, das Leben zu führen, das du willst. Marcella Carollo, Sie sind Astrophysikerin, Ihr Thema ist das Univer- sum – da stellen sich sicher auch viele philosophische Fragen? Marcella Ca ro l l o Um ganz ehrlich zu sein: Nein. Man kann über dieselben Dinge aus ganz unterschiedlichen Perspektiven sprechen. Theologen und Marcella Carollo wurde in Palermo (Italien) geboren. Ihr Philosophen haben einen anderen Blickwinkel als wir Astrophysiker- Fachgebiet ist Astrophysik, insbesondere Formation und innen und Astrophysiker. Unsere Mittel sind diejenigen der Wissen- Evolution von Galaxien. schaft, wir fragen nach den physikalischen Prozessen, die das Univer- sum entstehen und zu dem werden liessen, was es heute ist. Wir Laufbahn sind also mehr am Ursprung des Universums interessiert als an 1982 Maturità in Palermo (Italien) dessen Ende. Natürlich gibt es eine Theorie über das Ende des Uni- 1987 Diplom in Physik, Università degli Studi di versums, und manchmal machen wir Scherze darüber, denn die Palermo Konsequenzen stimmen nicht besonders optimistisch. 1993 Promotion in Astrophysik, Ludwig-Maximilians- Was genau ist Ihr Fachgebiet? Universität in München (Deutschland) Mein Hauptinteresse ist es, Ursprung und Evolution von Galaxien 1994–1995 EC Fellowship, Leiden Observatory, University im Universum zu erklären. Unsere Galaxie, die Milchstrasse, ist nur Leiden (Niederlande) eine von ungefähr 100 Milliarden ähnlicher Galaxien, jede mit 1996–1998 Hubble Fellowship, Johns Hopkins University in Dutzenden oder Hunderten Milliarden von Sternen. Das Universum Baltimore (Maryland, USA) ist bevölkert von Galaxien unterschiedlichster Art. Diese Diversität 1999–2002 Assistant Professor, Columbia University in zu verstehen und ebenfalls zu verstehen, wie es dazu kam und New York (New York, USA) wie die Galaxien entstanden, das ist eine der grossen Fragen der Astrophysik. Antritt der Professur an der ETH Zürich Wie arbeiten Sie konkret? 2002 ausserordentliche Professur Meine Arbeit ist beobachtend. Wir können ja nicht mit Galaxien Labor-Experimente durchführen und schauen, wie sie reagieren. Kontakt Wir können höchstens auf dem Computer Simulationen vorneh- Prof. Marcella Carollo men. Grundlage der Astrophysik sind Daten, die von Teleskopen Institut für Astronomie stammen, unter anderem vom Hubble-Weltraum-Teleskop. Diese Schafmattstrasse 16 Daten – beispielsweise solche, die etwas über den Metallgehalt ETH Hönggerberg HPF D 9 einzelner Objekte oder über ihre Bewegungen aussagen – analysie- CH-8093 Zürich ren wir im Kontext unserer Theorien und finden so heraus, welche Telefon 01 633 37 25 Theorie zutrifft. Dann sind wir einen kleinen Schritt weiter. Es ist, als marcella.carollo@phys.ethz.ch ob man die Stückchen eines grossen, komplexen Puzzles zusam- mensetzt.
Ursprünglich hat Carollo Physik studiert. Weshalb? Ein «neugie- riges» Kind sei sie gewesen, erzählt sie, habe wissen wollen, wie und weshalb Dinge funktionieren. Interessen, die ihrer Umgebung eher befremdend vorkamen: «Ich bin in Sizilien aufgewachsen, und zu dieser Zeit war es ganz klar: Frauen studieren philosophische Fächer, Männer Naturwissenschaften. Es war wie ein Käfig, der die Frauen einengt.» Ein Stück weit habe sie wohl beweisen wollen, dass dieses Muster nicht stimmt, sagt sie, doch vor allem habe sie das Bedürfnis nach Wissen gehabt, denn «wer die Welt nicht versteht, wird fata- listisch.» Als sie sich für ein Physikstudium in Palermo entschied, konn- te ihre Familie das nicht verstehen. Nicht aus Bösartigkeit, betont Carollo, sondern weil sie fanden: Weshalb studierst du nicht wenigstens etwas Praktisches, etwa Ingenieurwissenschaften? Während des Studiums fiel sie als eine der «sehr, sehr, sehr» weni- gen Frauen in Physik auf – und wurde dann sehr gelobt, als sie den besten Abschluss machte. Dennoch blieb sie nicht an der Hochschule. Die Zeit, in der sie am Institut für Physik an ihrer Diplomarbeit gearbeitet hatte, hatte ihr solche Ideen ausgetrieben: «Es war ein feudales, aggressives, frauenfeindliches Klima, es gab Übergriffe. Ich war 22jährig. Und obwohl ich mein Fach, die Biophysik, liebte, musste ich mich fragen: Bin ich bereit, diesen Preis zu zahlen?» Also nahm sie eine Stelle in einer Forschungsanstalt an, die Software für einen Satelliten entwickelte, war unterfordert – und wurde dann nach München versetzt: «Vorher begann meine Welt mit Palermo und endete mit Palermo. Plötzlich wurde sie grösser. Ich lernte Astrophysikerinnen und Astrophysiker kennen, sie erzähl- ten mir von ihrer Forschung. Und ich verliebte mich total in die Astrophysik.» Carollo verliess ihren Job, schrieb sich als Studentin für Astrophysik ein, arbeitete «schrecklich» hart, lernte Deutsch und doktorierte schliesslich in München. Ihr Fazit: «Vergiss nie, dass du die Möglichkeit hast, das Leben zu führen, das du willst. Wenn du daran glaubst, wirst du auch Hilfe erhalten.» 2002 kam sie als Professorin an die ETH, gemeinsam mit ihrem Mann. Er ist ebenfalls Professor für Astrophysik, was laut Carollo gute und schlechte Seiten hat: «Wir beschäftigen uns mit densel- ben Problemen, das macht es schwieriger, zuhause abzuschalten. Andererseits: Es macht Spass.» In der gemeinsamen Freizeit hört sie gerne Musik – doch viel Freizeit bleibt nicht. Ihre früheren Hobbies, Fallschirmspringen und Malen, übt sie momentan nicht aus. Was hat sich verändert, seit Sie ausserordentliche Professorin sind? Der Arbeitsaufwand ist grösser geworden. Ich habe viel mehr administrative Arbeit. Und ich brauche Zeit für die Lehre, weil ich diese Verantwortung sehr ernst nehme. Die Hochschule ist nicht nur da, um Bücher herauszubringen und Forschung zu betreiben. Sie spielt eine wichtige Rolle in der Gesellschaft, weil sie junge Leute ausbildet. Dabei geht es um mehr als um Fachwissen. Es geht darum, neue Generationen dazu anzuregen, das fortzusetzen, was die Menschheit schon immer tat: versuchen, sich selbst und die Welt zu verstehen. Wenn Sie die Studierenden von heute mit sich als Studentin vergleichen – was hat sich verändert? Nichts. Wenn wir zwanzig sind, sind wir alle voll von Träumen, Idealen und wundervollen Projekten für die Zukunft. Deshalb ist für mich der Kontakt zu jungen Leuten so schön. Schade nur, dass manche dieser Träume enttäuscht werden. April 2003
> Mir stellte sich die schwierige Frage: Karriere oder Familie? Ich habe beides gewählt. Ihre Begeisterung ist offensichtlich, wenn Silvia Dorn die Geschichte mit dem Apfelwickler-Falter und dem Apfelbaum erzählt: Das Silvia Dorn- M ü h l e b a c h Apfelwickler-Weibchen, so Dorn, legt Eier auf einen Apfel, daraus entwickelt sich eine Larve, die an der Frucht frisst. Darauf, so hat Silvia Dorn-Mühlebach wurde in Brugg (Schweiz) geboren. Dorns Forschungsteam herausgefunden, reagieren die befallenen Sie ist Mutter von zwei Söhnen im Alter von 24 und 26 Äpfel mit einer Veränderung ihres Duftes. Weshalb? «Wir hatten Jahren. Ihr Fachgebiet ist Angewandte Entomologie. eine klare Hypothese», sagt Dorn: «Doch genau das Gegenteil war wahr.» Im Experiment zeigte sich nämlich, dass durch den Duft Laufbahn weitere legebereite Apfelwickler-Weibchen angezogen werden; 1967 Matura Typus B, Kantonsschule Baden eine «Verteidigungsstrategie» des Apfelbaums, der die Schädlinge (Schweiz) zu einem bereits befallenen Ast lockt und so die restlichen Äste vor 1971 Diplom in Naturwissenschaften und Diplom einem Befall schützt. Und, noch besser: Werden neue Apfelwickler- für das Höhere Lehramt, ETH Zürich Eier in einen bereits befallenen Apfel abgelegt, frisst die dort leben- 1974 Promotion in Phytomedizin, Institut für de Larve neu entstehende Larven auf. «Ist das nicht eine unglaub- Botanik, ETH Zürich lich raffinierte Abwehr des Apfelbaums?», fragt Dorn strahlend. 1975–1976 Postdoc, Columbia University in New York Seit 1992 ist sie Professorin für angewandte Entomologie, Spe- (New York, USA) zialistin für Insekten-Pflanzen-Interaktionen – und nach wie vor von 1974–1991 Forschungs- und Führungstätigkeit bei der der Vielfalt der Natur und ihren Möglichkeiten fasziniert: «Wir unter- Dr. R. MAAG AG (Agrarindustrie) in Dielsdorf suchen das komplexe und spannende Netzwerk von Beziehungen (Schweiz) zwischen Pflanzen und Insekten. Gerade jetzt sind wir einigen wich- tigen, bisher noch nicht bekannten Mechanismen auf der Spur. Antritt der Professur an der ETH Zürich Gleichzeitig trägt unsere Forschung dazu bei, dass unsere Nahrungs- 1992 ordentliche Professur mittel nachhaltiger erzeugt werden können.» Forschung, die zu nachhaltiger Produktion führt, ist Silvia Dorn Kontakt wichtig. Nach Abschluss ihres Studiums an der ETH, nachdem sie Prof. Silvia Dorn-Mühlebach mit 26 Jahren doktoriert hatte, machte sie sich denn auch an ein Institut für Pflanzenwissenschaften besonderes Projekt: «Ich habe massgeblich zur Entwicklung eines Clausiusstrasse 25 / NW ganz neuartigen, umweltfreundlichen und nicht-toxischen Pflanzen- CH-8092 Zürich schutzmittels mit naturnaher Wirkungsweise beigetragen.» Aller- Telefon 01 632 39 21 dings forschte sie nicht an der Hochschule. Damals, so Dorn, gab es silvia.dorn@ipw.agrl.ethz.ch noch keine Professorinnen an der ETH, «die Chance für Frauen, hier etwas wirklich Ernsthaftes zu machen, war verschwindend klein». So arbeitete sie 18 Jahre lang in einer Firma, «in der man sich nicht daran gestossen hat, dass ich eine Frau bin». Im Gegenteil: Sie stieg
zur Leiterin der Forschungsabteilung Entomologie der Dr. R. Maag AG auf, war verantwortlich für die Entwicklung des neuen Insekten- wuchsregulators bis zur Markteinführung in 18 Ländern: «Das Pro- dukt wurde weltweit lanciert – ein schwieriger und herausfordern- der Prozess, aber auch ausserordentlich spannend.» Als Chefin von zehn Personen wurde Dorn zum ersten Mal Mutter, bei ihrem zweiten Sohn war sie bereits Leiterin der For- schungsabteilung und damit Vorgesetzte von 40 Personen: «Damals stellte sich mir dieselbe schwierige Grundfrage wie heute vielen jungen Akademikerinnen: Karriere oder Familie? Ich habe beides gewählt», blickt sie zurück: «Mein Mann und ich waren immer berufstätig und haben einfach alle Möglichkeiten ausgeschöpft, unsere Freizeit mit den Kindern zu verbringen. Tagsüber hat eine Kleinkinderzieherin sie betreut.» Betreuung ist heute im Hause Dorn kein Thema mehr: Der älte- re Sohn hat eben sein ETH-Studium abgeschlossen und seine Doktorarbeit begonnen, der jüngere bereitet sich mittlerweile auf sein Lizenziat vor. Und ihre Mutter arbeitet nach einem langen Ausflug in die Privatwirtschaft ebenfalls wieder an der Hochschule. Nach der Emeritierung ihres Vorgängers war für Dorn die Zeit reif. Getreu ihrer Devise «Ich halte mich offen für verschiedene Möglich- keiten und stelle mich den Herausforderungen» bewarb sie sich und wurde 1991 gewählt – als erst vierte ordentliche Professorin seit Bestehen der ETH. Die Arbeit als Professorin ist für Dorn eine «runde» Sache: «Es ist eine Einheit, alles gehört zusammen: Forschung, Lehre, Admini- stration. Alles muss zusammenstimmen, damit ein Projekt erfolg- reich sein kann.» Die Lehre, die rund die Hälfte ihrer Zeit in Anspruch nimmt, ist für Dorn wichtig. So könne das neue Wissen, das in der Forschung generiert werde, gleich an die nächste Generation wei- tergegeben werden, «eine wunderbare Kombination». Bloss: Die Summe aller Aufgaben ergibt lange Arbeitstage. «Das gehört zu einer Führungsposition», stellt Dorn trocken fest, und: «Natürlich muss man dafür auf andere Dinge verzichten. Ich bin momentan noch Vorsteherin des Departements, also habe ich einige internati- onale und nationale Ämter ablehnen müssen. Vielleicht werde ich später mehr Zeit dafür haben.» Ein bisschen Zeit findet sie schon heute für ihre grosse Passion, das Reisen. Meist reist die Familie Dorn gemeinsam, weltweit, zu immer neuen Destinationen. «Ich habe noch lange nicht alles gese- hen, was ich sehen möchte», sagt sie. Kreuzt auf diesen Reisen ein Insekt ihren Weg, «schau ich es schon an und bitte diejenigen in der Familie, die einen Apparat dabeihaben, es für meine Vorlesung zu fotografieren», aber eigens auf die Suche nach Insekten macht sie sich nicht. Zum Ausgleich schon eher auf die Suche nach Pflanzen: In Thailand ist sie mit ihrem Mann und einem Führer hoch hinauf geklettert, um die grösste Blume der Welt, die nur in einem kleinen Gebiet vorkommt, in voller Blüte zu sehen. Ihre Liebe zu Pflanzen zeigt sich auch in Dorns Büro. Hier steht ein riesiger Ficus benjaminii, der bereits die Deckenplatte berührt. «Vielleicht muss ich die Platten entfernen», überlegt Dorn, «Ab- schneiden möchte ich ihn nämlich auf keinen Fall.» Januar 2003
> Ich wollte endlich mal Erfolge sehen, wollte heraus aus dieser Enge. «Zu Ende der Schulzeit wollte ich unbedingt Musik studieren», erzählt Eva-Maria Feichtner. Damals hat sie intensiv Klavier gespielt, Eva-Maria Fe i c ht n e r jeden Tag vier bis sechs Stunden lang geübt. Mathematik hingegen hat sie wenig angesprochen: «Ich fand Mathe langweilig, unkreativ. Eva-Maria Feichtner wurde in Berlin (Deutschland) gebo- Es war ein Fach, das mir ganz leicht fiel und deswegen auch keine ren. Ihr Fachgebiet ist Mathematik. Herausforderung war.» Doch als sie siebzehn war, bot das Mathe- matische Institut der Freien Universität Berlin ein zweiwöchiges Laufbahn Schülerseminar an, Feichtner nahm teil, hörte Vorlesungen, löste 1990 Abitur in Berlin (Deutschland) Aufgaben – und wusste: «Jetzt wird Mathematik studiert.» 1994 Diplom in Mathematik, Freie Universität Berlin Seit 1999 ist sie ETH-Assistenzprofessorin für Mathematik; ihr 1997 Promotion in Mathematik, Technische Fachgebiet ist Diskrete Geometrie: «Ein Gebiet, das sich erst in Universität Berlin jüngster Zeit etabliert hat. Es ist der Versuch, zwischen den klassi- 1998 Postdoc, Massachusetts Institute of Technology schen Gebieten der reinen Mathematik und der noch recht jungen in Cambridge (Massachusetts, USA) diskreten Mathematik eine Brücke zu spannen», erklärt sie. Ein 1999 Postdoc, Institute for Advanced Study in Brückenschlag «zwischen zwei Extremen» also, spannend seien Princeton (New Jersey, USA) dabei vor allem Fragen wie: «Wo sind bereits in der klassischen Mathematik diskrete Strukturen da, und wo helfen diskrete Struk- Antritt der Professur an der ETH Zürich turen, die klassische Mathematik besser zu verstehen?» 1999 Assistenzprofessur Fragen, über die nicht bloss im einsamen Kämmerchen nach- gedacht wird. «Die Arbeit ist sehr auf Zusammenarbeit und Kom- Kontakt munikation gestützt, das ist für mich das Allerschönste an diesem Prof. Eva-Maria Feichtner Beruf», sagt Feichtner. Gerade bei der diskreten Geometrie gehe es Departement Mathematik darum, MathematikerInnen aus beiden Disziplinen, die sich sonst Rämistrasse 101 kaum treffen würden, zusammenzubringen: «Diese Kompetenzen ETH Zentrum HG G 32.2 miteinander zu verbinden und zu schauen, was wir gemeinsam CH-8092 Zürich erreichen, das ist die eigentliche Herausforderung.» Telefon 01 632 06 39 Das Vorurteil, Mathematikerinnen und Mathematiker arbeite- eva-maria.feichtner@math.ethz.ch ten im einsamen Kämmerchen trifft laut Feichtner überhaupt nicht zu. Was eher zutreffen könne, meint sie mit einem Lachen, sei das Vorurteil «zerstreute Professorin»: «Wenn es gelingt, sich in irgend- was so richtig einzudenken, dann, denk ich, sind wir vielleicht in Gefahr, das normale Leben ein bisschen zu vergessen. Manchmal mach ich dann schon Dinge, über die man schmunzeln könnte.»
Momente, in denen sie intensiv und tief an ihren mathemati- schen Problemen arbeitet, empfindet Feichtner als «euphorisch». Doch gerade während des Semesters fällt es ihr nicht einfach, Zeit für ihre Forschungsarbeit zu finden. «Es gelingt mir immerhin immer besser», sagt sie: «In den ersten beiden Jahren haben mich die neuen Lehraufgaben sehr vereinnahmt, jetzt, in meinem vierten Jahr, bleibt viel mehr Platz ausserhalb der Lehre.» Diesen Platz teilt sich die Forschung etwa mit der Betreuung von Arbeiten, aber auch mit Aufgaben, die eher ausserhalb der ETH stattfinden, wie die Organisation von Konferenzen oder Gutachten für Fachzeitschriften – alles Dinge, die für Feichtner zu einer Assistenzprofessur dazuge- hören: «Wenn man sich nach einer festen Stelle umschaut, muss man sich positionieren.» «Goldene Zeiten» sind für sie die Semesterferien. Dann fallen die Lehraufgaben weg, und dann reist Feichtner zu ihrem Partner – natürlich mit ihrer Arbeit im Gepäck: «Als Mathematikerin brauche ich keine grosse Infrastuktur.» Feichtners Partner ist ebenfalls Mathematiker, arbeitet im Moment in Seattle als Gastprofessor und wird bald nach Stockholm ziehen, wo er eine feste Stelle antreten wird. «Wir versuchen schon seit fast zehn Jahren, unsere Lebens- und Arbeitswege einigermassen parallel laufen zu lassen. Das ist nicht einfach», erzählt sie, und dass in dieser Situation das Thema Kinder für sie «erstmal» verschoben sei. Dabei, fügt sie hinzu, wären gerade in der Mathematik Beruf und Familie gut vereinbar: «Wir arbeiten mit Papier und Bleistift. Also kann Arbeit überall passieren, nicht nur im Büro.» Im Moment jedoch sind die Zukunftsfragen, mit denen sich Feichtner beschäftigt, vor allem beruflicher Art. In zwei Jahren läuft ihre Assistenzprofessur aus, ihr Ziel ist dann eine feste Stelle, viel- leicht, irgendwann einmal, an der ETH: «Das wäre mein Traum. Die Arbeitsbedingungen hier sind ideal, die Atmosphäre ist wunder- schön, die Offenheit für Neues gross.» Den Berufswunsch «Professorin» hätte sie als Studentin eher nicht geäussert. Denn damals hatte Eva-Maria Feichtner grosse Sprachprobleme. «Ich habe so stark gestottert, dass es unrealistisch gewesen wäre, daran zu denken, irgendwann mal Vorlesungen zu halten. Das war einfach jenseits alles Erreichbaren», erinnert sie sich. Gleichzeitig hätten sie die Sprachprobleme «unheimlich voran- getrieben, ich wollte endlich mal Erfolge sehen, wollte heraus aus dieser Enge». Die Promotion war ein wichtiger Schritt – und in die- ser Zeit wurde ihr Stottern immer schwächer. Bis es schliesslich ganz verschwand. Vorträge wurden möglich, auch an Konferenzen. An solchen Veranstaltungen, so hat Feichtner festgestellt, kann es übrigens durchaus Vorteile haben, eine Frau zu sein: «Du hast eine Einladung zu einer Konferenz, bist die einzige Frau, die an die- sem Nachmittag spricht. Das fällt einfach auf.» So gewinne die Red- nerin einen «Aufmerksamkeitsvorschuss», den sie ausnützen könne – wenn sie die fachliche Leistung bringt. Ansonsten hat Feichtner in ihrer beruflichen Karriere nie erlebt, dass das Geschlecht eine Rolle gespielt hat: «Egal, ob Frau oder Mann: Es gibt in der Mathematik ‹richtig› oder ‹falsch›. Und das ist überprüfbar.» Januar 2003
> Wenn ich in der Informatik Frauen getroffen habe, haben sie mich in meiner Arbeit bestärkt. Christine Giger, wann und wie beginnt bei Ihnen ein durchschnitt- licher Arbeitstag? Christine Gi ge r Normalerweise fahr ich gegen sechs Uhr früh weg und reite spätestens um sieben los. Mein Hobby ist nämlich Dressurreiten, Christine Giger wurde in Bad Nauheim (Deutschland) und ich bin seit 28 Jahren sozusagen täglich auf dem Pferd. Zur geboren. Ihr Fachgebiet ist Geoinformatik. Dissertation habe ich mir dann mein eigenes Pferd geschenkt, das habe ich heute noch. Früher habe ich Wettkämpfe geritten, heute Laufbahn würde das jedoch zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Aber wir – mein 1982 Abitur in Dreieich (Deutschland) Mann hat dasselbe Hobby – betreiben es nach wie vor als Sport, 1987 Diplom in Mathematik mit Schwerpunkt intensiv. Informatik, Technische Universität Darmstadt Nach dem Reiten kommt der ETH-Alltag: Wie viel Zeit haben Sie als (Deutschland) Assistenzprofessorin für Ihre eigene Forschung? 1992 Promotion in Informatik, Technische Universität Als Assistenzprofessorin bin ich natürlich verantwortlich für Darmstadt meine Gruppe, für die Administration, die Finanzierung, die Betreu- 1992–1998 Leiterin der Forschungsabteilung Graphische ung der Doktorierenden. Das sind sicher mehr administrative Ver- Informationssysteme, Fraunhofer-Institut für pflichtungen als in meiner Zeit als Assistentin, doch immer noch Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt weit weniger als bei einer ordentlichen Professur. Kommt dazu, dass 1997–2000 Geschäftsführerin des Informations- und ich momentan nur wenige Vorlesungen gebe, keine Grundvorle- Kooperationsforum für Geodaten (InGeoForum) sungen. So bleibt mir relativ viel Zeit für meine inhaltliche Arbeit. in Darmstadt und Zürich Sie arbeiten mit Geoinformationssystemen – was tun Sie genau? 1999–2000 Direktorin des Institute for Domain Modeling Ich beschäftige mich mit digitalen Geodaten, also mit allem, in Luzern (Schweiz) was mit raumbezogenen Daten und ihrem Management zu tun hat. Das können beispielsweise Einsatz-Planungssysteme für Rettungs- Antritt der Professur an der ETH Zürich dienste sein, aber auch Analysewerkzeuge für Umweltdaten im 2000 Assistenzprofessur Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung. Vereinfachend könnte man von digitalen Landkarten sprechen, aber es ist weit mehr; die Kontakt Verfahren zur Verarbeitung der Daten sind zum grossen Teil sehr Prof. Christine Giger komplex. Wir entwickeln neue Verfahren, neue Software, die es Institut für Geodäsie und Photogrammetrie erlaubt, mit diesen Daten zu neuen Erkenntnissen und Problem- ETH Hönggerberg HIL D 45.2 lösungen zu gelangen. Dabei kommunizieren wir eng mit den künf- CH-8093 Zürich tigen Anwendern aus den Umwelt-, Infrastruktur- oder Planungs- Telefon 01 633 30 51 bereichen. Ich sag immer: Wenn wir ohne Bezug zu Anwendungen christine.giger@geod.baug.ethz.ch arbeiten wollten, wär das, wie wenn ein Mediziner ohne Menschen arbeiten wollte. (lacht)
Diese Zusammenarbeit fasziniert Giger besonders an ihrer Arbeit: Die Problemstellungen stammen von anderen Wissenschaft- lerinnen und Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fachrich- tungen. «Sie kommen mit ihrem Know-how zu uns, und wir versu- chen es so mit unserem Ingenieurwissen, unserer Technologie zu verbinden, dass etwas Sinnvolles entsteht», erklärt sie: «Das ist genau der Punkt, weshalb ich das mache. Ich komm ja eigentlich aus der Mathematik und der Informatik, wo solche Kontakte eher selten beziehungsweise weniger ausgeprägt sind.» Mathematik, aber auch Naturwissenschaften hat sie schon als Schülerin gemocht; bei der Studienwahl schwankte sie zwischen Biologie, Chemie und Physik, entschied sich dann doch für Mathe- matik und das Nebenfach Informatik. Damals kamen die ersten programmierbaren Taschenrechner auf den Markt, das Fach Infor- matik entwickelte sich schnell, nahm ihr Interesse gefangen: «Im Hauptstudium hab ich im Prinzip halbe-halbe studiert: halb Mathematik und halb Informatik. Und es hat mir Spass gemacht.» Weniger Spass machten andere Erfahrungen. «Es gab Kommilitonen, die zu mir sagten: ‹Glaubst du wirklich, du, als Frau, schaffst es?›», erzählt Giger, und dass sie sich damals «ers- tens eine dicke Haut und zweitens eine gewisse selbstbewusste Art des Auftretens» angewöhnt habe. Doch neben versuchter Entmutigung hat sie Unterstützung erlebt: «In der Informatik sind wir Frauen sehr schwach vertreten, wenn ich jedoch Frauen getroffen habe, sind sie oft auf mich zugekommen und haben mich in meiner Arbeit bestärkt. Das versuche ich jetzt weiterzu- geben.» Unterstützt wurde sie auch von ihrem Doktorvater, der ihr zuerst eine «perfekte» Assistentinnenstelle anbot, dann die Stelle als Abteilungsleiterin am Fraunhofer-Institut in Darmstadt. «Ich hatte die Aufgabe, eine neue Forschungsabteilung in einem neuen Fachgebiet aufzubauen», erzählt sie, «Es war Auftragsforschung, aber ich hatte im Prinzip alle Freiheiten.» Weshalb kamen Sie vom Fraunhofer-Institut nach Zürich? Ich bin Schweizerin, bin aber in Deutschland aufgewachsen. Ich habe mir immer wieder überlegt, in die Schweiz zu gehen. Damals habe ich mich mit meinem Mann besprochen, er ist ebenfalls Informatiker und hatte eben ein gutes Angebot in Zürich gesehen. Das war also die Gelegenheit! Ich fand eine Stelle als Direktorin der Stiftung «Institute for Domain Modeling» in Luzern, ein Jahr später bewarb ich mich an der ETH. Ihre Assistenzprofessur dauert noch drei Jahre – sind Sie auf Stellensuche? Ich suche natürlich jetzt schon, denn die Besetzung von Profes- suren dauert in der Regel ein bis zwei Jahre. Ich würde gern in der Schweiz bleiben, aber ich kann mir auch eine Professur irgendwo in Europa, Nord- oder Südamerika vorstellen. Hauptsache, das Umfeld stimmt und gefällt uns. Können Sie sich vorstellen, dass Sie später Kinder haben werden? Ja, klar. Ich kenne sehr, sehr viele Frauen, die in guten Positionen arbeiten und Kinder haben. Man muss sich einfach bewusst sein: Man kann nicht alles haben, Kinder, Beruf und dann noch Hobbies, die jeden Tag mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Ich habe sehr zeitintensive Hobbies – solange ich noch keine Kinder habe, geht das zeitlich auf. Zu den zwei Pferden, die täglich bewegt werden müssen, kom- men in Gigers Haushalt zwei Collie-Hunde, die ebenfalls Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchen. «Sonst hat natürlich nicht mehr viel Platz», sagt sie, und lacht: «In den Ausgang gehen wir selten. Abends sind wir einfach zu müd.» März 2003
> Ich liebe eigentlich alles in der Biologie, aber der Prozess der Zellteilung fasziniert mich besonders. Monica Gotta, Sie sind Assistenzprofessorin am Institut für Biochemie – worum geht es bei Ihrer Arbeit? Monica Got t a Meine grosse Frage ist: Wie entstehen aus einer Zelle eine Menge unterschiedlicher Zellen? Menschliches und tierisches Leben Monica Gotta wurde in Turin (Italien) geboren. Sie ist startet mit einem Ei, das mit einem Spermium befruchtet wird. Und Mutter von zwei Töchtern im Alter von einem und dann ist es wie Magie – wir haben ein Wesen mit vielen, ganz unter- drei Jahren. Ihre Fachgebiete sind Entwicklungs- und schiedlichen Zellen, und alle stammen aus einer einzigen Zelle. Zellbiologie. Wie forschen Sie konkret? Als Modell verwende ich Caenorhabditis elegans, einen kleinen, Laufbahn millimeterlangen Wurm, der transparent ist. Wir können also unter 1986 Maturità classica in Aosta (Italien) dem Lichtmikroskop sehen, wie sich die Zellen der Embryos dieses 1990 Master of Science in Biology, Università degli Wurms teilen. Teilt sich eine Zelle, entstehen daraus zwei unter- Studi in Turin (Italien) schiedliche Zellen, und mich interessiert, weshalb das so ist, wie es 1994 Master of Science in Biotechnology, Università entsteht. degli Studi in Turin Was fasziniert Sie besonders? 1997 PhD, Swiss Institute for Experimental Cancer Ich liebe es, mit lebenden Organismen zu arbeiten. Du hast eine Research (ISREC) in Lausanne (Schweiz) Idee, wie es funktionieren könnte, dann läufst du aufgeregt zum 1998–2002 Postdoc, Cambridge University in Cambridge Mikroskop, um diese Idee zu testen. Ich liebe eigentlich alles in der (England) Biologie, aber der Prozess der Zellteilung fasziniert mich besonders. Ich habe zwei Kinder; als ich schwanger war, hatte ich immer das Antritt der Professur an der ETH Zürich Gefühl: Es ist verblüffend, dass aus einer einzigen Zelle ein Kind 2002 SNF Förderungsprofessur wird. Dass es Biologie sein musste, wusste Gotta bereits in der Primar- Kontakt schule. Eine Biologielehrerin, die «schwierige Dinge einfach und ver- Prof. Monica Gotta ständlich» erklären konnte, weckte in ihr die Liebe zum Fach: «Mit Institut für Biochemie elf Jahren entschied ich, dass ich Biologie studieren wollte.» Den Schafmattstrasse 18 Entscheid untermauerte ein Buch der italienischen Neurobiologin ETH Hönggerberg HPM G 16.2 Rita Levi-Montalcini, die 1986 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet CH-8093 Zürich wurde: «Sie beschrieb ihre Forschung, und ich wusste, dass ich For- Telefon 01 633 65 75 schung betreiben wollte.» monica.gotta@bc.biol.ethz.ch Während des Studiums wurde Gotta klar, dass sich die aktuelle biologische Forschung stark von derjenigen zu Levi-Montalcinis Zeiten unterschied. Die Faszination aber blieb. Nach Studienab- schluss arbeitete sie in verschiedenen Labors, «einige davon waren
sehr gut, und ich sah dort, was es bedeutet, in einer guten Umge- bung Forschung zu betreiben». Allerdings sah sie gleichzeitig, dass eine wissenschaftliche Karriere in Italien schwierig sein würde, unter anderem, «weil Professuren nach politischen Kriterien besetzt werden». So entschied sie sich, im Ausland zu doktorieren – nicht zuletzt aus Interesse an anderen Ländern: «Viele Italiener wollen Italien nie verlassen, ich aber mag es, anderswo hinzugehen. Ich mag die Italiener, ich bin ja selbst Italienerin, aber ich ziehe es vor, in einer internationalen Umgebung zu arbeiten.» Ihre Doktorandinnen-Stelle fand sie schliesslich in Lausanne. Sie habe unbedingt in diesem Labor arbeiten wollen, erzählt Gotta, und habe telefonisch bei der Laborleiterin, Susan Gasser, insistiert: «Später hat sie mir erzählt, sie habe mich genau deswegen ausge- wählt und sich gedacht: Wenn sie diese Stelle so sehr will, wird sie ihre Sache gut machen.» Gasser habe sie in der Folge unterstützt und sie auch in der Idee bestärkt, dass Karriere und Familie gleich- zeitig möglich seien. Sie haben zwei kleine Töchter, drei- und einjährig. Ist der Stress durch die Doppelbelastung nicht sehr gross? Ich glaube, man lässt sich eher stressen, wenn man keine Familie hat. Denn dann kann die Arbeit plötzlich zur einzigen und wichtigsten Sache im Leben werden. Natürlich arbeite ich viel, habe Stress, doch dann gehe ich nach Hause, sehe meine Kinder, sie lachen, sie weinen, sie spielen – und ich bin bei ihnen und nicht mehr bei der Arbeit. So entsteht eine gute Balance. Wo sind ihre Töchter, wenn Sie arbeiten? Sie sind beide in der ETH-Krippe. Die restliche Betreuungsarbeit teile ich mir mit meinem Mann. Wir teilen wirklich 50 zu 50 Prozent. Wenn ich länger arbeiten muss, schaut er für die Kinder, wenn er länger arbeiten muss, schaue ich. Wir haben Glück: Er ist ebenfalls Biologe und arbeitet im Labor neben mir. So können wir uns wäh- rend der Arbeit absprechen, das macht alles leichter. Gotta und ihr Mann haben bereits die Postdoc-Zeit gemeinsam in Cambridge verbracht, auch dort quasi Tür an Tür. Kennengelernt haben sie sich in Lausanne; er ist Schweizer. Unter anderem deshalb hofft sie, nach Ablauf ihrer auf sechs Jahre befristeten Assistenz- professur weiter in der Schweiz forschen zu können – sowohl ihre Familie in Italien wie diejenige ihres Mannes in Basel sind von hier gut erreichbar. Doch vorläufig geht es nicht um eine neue Stelle: Monica Gotta hat ihre Professur erst vor einem halben Jahr angetreten. Ent- sprechend hat sie die letzten Monate vor allem mit Organisieren und Einrichten ihres Labors und ihrer Gruppe verbracht. «Das ist der Nachteil, wenn man Professorin oder Gruppenleiterin wird: Man hat viel weniger Zeit für die Forschung», bedauert sie. Immerhin emp- findet sie die Instruktion und Begleitung ihrer Gruppe im Labor als «fast wie selber Forschung betreiben». Und immerhin: Rund zehn Prozent ihrer Zeit bleibt ihr für ihre eigene Forschung. Haben Sie sich auch schon überlegt, eine andere Arbeit zu suchen? Oh ja! (lacht) Aber nie sehr ernsthaft, nur wenn ich frustriert war. Das einzige, was mir an meinem Gebiet nicht so gefällt, ist die kompetitive Haltung. Ohne diesen Wettbewerb, diesen Publikations- druck, glaube ich, gäbe es bessere, risikoreichere und interessantere Experimente. März 2003
> Meine Eltern waren schon ganz besorgt und befürchteten, aus mir werde nie etwas. Gudela Grote, was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit? Ich schaue andern gerne bei der Arbeit zu (lacht). Nein, im Ernst, Gudela Grot e die Vielfalt dessen, was Menschen arbeiten und die unterschiedli- chen Bedingungen, unter denen sie das tun – das ist grundsätzlich Gudela Grote wurde in Wiesbaden (Deutschland) geboren. spannend. Arbeit ist für die meisten von uns etwas sehr Zentrales, Sie ist Mutter zweier Kinder im Alter von einem und vier und viele Probleme haben ihren Ursprung in der Arbeitswelt. Wir Jahren. Ihre Fachgebiete sind Arbeits- und Organisations- versuchen dazu beizutragen, dass Probleme möglichst gar nicht psychologie. entstehen. Wie definieren Sie Arbeits- und Organisationspsychologie? Laufbahn Wir kümmern uns um Grundlagen und Methoden, wie Arbeit 1979 Abitur in Wiesbaden (Deutschland) menschengerecht gestaltet werden könnte. Das Spektrum ist weit: 1984 Diplom in Psychologie, Technische Universität Wie verändert sich Arbeit durch Technik? Wie können wir mit den Berlin (Deutschland) Mittel der Arbeitspsychologie risikoreiche Systeme sicherer ma- 1987 PhD, Georgia Institute of Technology in Atlanta chen? Wie wirkt sich die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen (Georgia, USA) auf Menschen aus? Wie sind die Beziehungen in der Arbeitswelt zu 1988–1992 Postdoc, Institut für Arbeitspsychologie, ETH gestalten? Zürich Diese Fragen stellt sich Gudela Grote nicht nur in der Theorie, 1996 Habilitation, Institut für Arbeitspsychologie, sondern auch in der Praxis: Fast alle Projekte des Instituts für ETH Zürich Arbeitspsychologie werden in Zusammenarbeit mit Unternehmen durchgeführt, vor Ort. Die Unternehmen erhalten als Gegenleistung Antritt der Professur an der ETH Zürich die Resultate dieser praktischen Forschung. 1992 Assistenzprofessur Den ersten Einsatz dieser Art absolvierte Grote noch als Psycho- 1997 ausserordentliche Professur logie-Studentin; er zeigte ihr ein Konfliktpotential, das sie bis heute 2000 ordentliche Professur (75%) oft bei ihrer Arbeit erlebt: Unternehmer mögen es nicht immer, wenn ihnen strukturelle Veränderungen vorgeschlagen werden. Als Kontakt Praktikantin sollte Grote in einer Firma ein Verkaufstraining durch- Prof. Gudela Grote führen, die Verkäufer aber wünschten sich kein Training, sondern Institut für Arbeitspsychologie mehr Kompetenzen. Für die Unternehmensleitung hingegen war Nelkenstrasse 11 klar: mehr Kompetenzen für die Angestellten gibt es nicht, obwohl ETH Zentrum NEL E 14 Grote in ihrem Bericht zum Schluss kam, das Problem bei der CH-8092 Zürich Kompetenz-Verteilung anzugehen. «Nein, das ist nichts für mich», Telefon 01 632 70 86 hat sich Grote nach dieser ersten Erfahrung gesagt – und kam spä- grote@ifap.bepr.ethz.ch ter wieder auf diesen Entscheid zurück.
Das Studienfach Psychologie hatte sie nach längerem Hin und Her gewählt: «Meine Eltern waren schon ganz besorgt und befürch- teten, aus mir werde nie etwas». Ausschlaggebend für ihre Wahl war schliesslich die «Breite» des Fachs, die verschiedenen Möglich- keiten der Ausrichtung und damit auch die Möglichkeit, sich nicht gleich von Anfang an starr festzulegen. Die Idee, «da anzusetzen, wo Probleme beginnen, eben zum Beispiel in der Arbeitswelt», führte sie dann in Richtung sozialwissenschaftliche Psychologie. Haben Sie bereits während des Studiums eine akademische Karriere geplant? Ehrlich gesagt, habe ich nicht sehr weit vorausgeplant. Ich woll- te vor allem eines: in die USA. Nach Studienabschluss bewarb ich mich um ein Stipendium und kam so nach Atlanta. Ich fand es span- nend, in die USA zu gehen, dann, habe ich mir gesagt, sehen wir weiter. Als das Angebot zur Promotion kam, habe ich mir gesagt: Wenn das alles so gut zusammenpasst, dann ja. Und damit war der Entscheid für die Hochschule gefallen? Eigentlich ist eine Promotion ja noch nicht eine definitive Ent- scheidung für eine akademische Karriere. Erst danach geht es um die Frage: akademische Laufbahn oder nicht? Mir wurde in den USA klar, dass ich gerne an der Hochschule bleiben will, deshalb bewarb ich mich an verschiedenen Hochschulen in Europa – kreuz und quer. So kam ich nach Zürich. Und setzte mir das Ziel, die Optionen für eine akademische Karriere zu nutzen. Die Zeiträume meiner Pla- nung wurden mit der Zeit schon etwas länger (lacht). Zwischen 1988, dem Stellenantritt in Zürich, und 1997, der Berufung zur zunächst ausserordentlichen Professorin, liegen Jahre, gefüllt mit Arbeit und mit Projekten. Vor allem die Habilitation war eine schwierige Aufgabe: Wie sollte Grote die Vielfalt von Projekten, die sie verfolgt hatte, zu einem Werk «mit wissenschaftlichem roten Faden» zusammenfassen? Schliesslich wurde dieses «Habilitations- ungetüm», wie sie es nennt, fertig, genau rechtzeitig. Der Instituts- leiter emeritierte, zur Nachfolgerin wurde Gudela Grote gewählt – aber nicht allein. Denn sie teilt sich die Stelle mit einem Kollegen. Beide arbeiten inzwischen zu 75 Prozent fest angestellt; die restli- chen 25 Prozent finanzieren sie je aus Projekten und organisieren sich selbständig. «Also arbeite ich nicht etwa 75 Prozent, sondern die üblichen hundert und x Prozent», sagt Grote. Grosser Vorteil der 75-Prozent-Regelung: Montags arbeitet Grote zuhause und betreut ihre beiden Söhne, ein- und vierjährig. Karriere und Familie – wie geht das gleichzeitig? Einen Tag pro Woche bin ich zuhause, einen Tag mein Mann. Die restlichen drei Tage sind unsere Kinder bei einer Tagesmutter. Wir haben sie via Zeitungsinserat gefunden, kurz bevor unser erstes Kind zur Welt kam. Nun betreut sie auch das zweite. Das klappt bis heute wunderbar, wir hatten ein riesiges Glück. Finden Sie neben Beruf und Familie noch freie Zeit, etwa für ein Hobby? Nicht sehr viel. Früher habe ich viel getanzt, orientalischen Tanz, und, gemeinsam mit meinem Mann, Standardtänze, Salsa, bunt gemischt. Den orientalischen Tanz habe ich aufgegeben. Einmal, maximal zweimal pro Monat gehe ich aber nach wie vor mit mei- nem Mann Tanzen. Tanzen bekommt mir sehr, sehr gut: Es ist etwas völlig anderes als meine Arbeit, aber ich bin ebenso konzentriert – ganz weg und gleichzeitig völlig drin. Dezember 2002
Sie können auch lesen