I4 dokumentar filmwoche hamburg-23.april20I7 - dokumentarfilmwoche hamburg

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I4 dokumentar filmwoche hamburg-23.april20I7 - dokumentarfilmwoche hamburg
I4
dokumentar
filmwoche
hamburg
19. – 23. april 20I7
dokfilmwoche.com
METROPOLIS LICHTMESS B-MOVIE GÄNGEVIERTEL
dokumentarfilmwoche
Impressum                                 Team                                      hamburg
dokumentarfilmwoche hamburg e. V.         Filmauswahl und Festivalteam:
c/o KurzFilmAgentur Hamburg               Thorkil Asmussen, Sebastian Bartosch,     Die dokumentarfilmwoche
Friedensallee 7, 22765 Hamburg            Annika Börm, Tim Gallwitz, Rasmus
info@dokfilmwoche.com                     Gerlach, Felix Grimm, Lili Hartwig, Sam   hamburg ist das einzige Festival
www.dokfilmwoche.com                      Heinrichs, Sebastian Hofer, Carsten       der Region, das sich ganz auf
                                          Knoop, Julia Küllmer, Stefanie Ott,
                                                                                    den Dokumentarfilm spezialisiert
V.i.S.d.P.: Felix Grimm                   Lina Paulsen, Bernd Schoch, Claudia
Redaktion: Ulrich Seiter, Lili Hartwig,   Wondratschke                              hat. In den drei Kinos B-Movie,
Annika Börm (Bildredaktion)               Organisation: Annika Börm,
Grafik: Felix Grimm                       Felix Grimm, Lili Hartwig
                                                                                    Lichtmeß und Metropolis sowie im
                                                                                                                          Inhalt
Druck: Drucktechnik Altona                Gästebetreuung: Annika Börm               Festivalzentrum im Gängeviertel
                                          Programmkoordination: Lili Hartwig        werden Filme präsentiert, die         Impressum........................................ 2
Texte: Alejandro Bachmann, Sebastian      Presse: Sebastian Hofer                                                         Abfahrt............................................. 4
Bartosch, Annika Börm, Tim Gallwitz,      Kopienlogistik: Sam Heinrichs             sonst nicht den Weg in die Stadt
Rasmus Gerlach, Felix Grimm, Lili         Website: Claudia Wondratschke             finden würden. Die dokumentar-        Eröffnung .......................................... 5
Hartwig, Sam Heinrichs, Sebastian
                                                                                    filmwoche hamburg zeigt sowohl        Filmprogramm................................. 6
Hofer, Volko Kamensky, Julia Küllmer,     Fotonachweise S. 28-37: Stiftung Deut-
Lina Paulsen, Bernd Schoch, Ulrich        sche Kinemathek – Museum für Film         kleine, abseitige und experimen-      Abschlussfilm ................................. 25
Seiter, Mark Stöhr                        und Fernsehen, Arsenal – Institut für     telle Dokumentarfilme, die ohne       Programmübersicht........................ 26
                                          Film und Videokunst e.V.
                                          Fotonachweis S. 40: Sammlung Öster-       Senderbeteiligung und Fördermit-      Retrospektive Peter Nestler ........... 28
                                          reichisches Filmmuseum/Courtesy of        tel entstanden sind, als auch die
                                          The Conner Family Trust                                                         Spezial ............................................ 38
                                          Fotonachweise S. 42-43: Sammlung          Höhepunkte der internationalen
                                                                                                                          Positionen ....................................... 40
                                          Österreichisches Filmmuseum               Festivalszene. Ein wichtiger Fokus
                                                                                                                          Kurze .............................................. 48
                                                                                    liegt auf regionalen Produktionen,
                                                                                    denn die dokumentarfilmwoche          Festivalzentrum .............................. 49
Gefördert von:                                                                                                            Filmindex ....................................... 50
                                                                                    hamburg ist seit 2004 als lokaler
                                                                                    Treffpunkt für Dokumentarfilm-        Infos ................................................ 51
                                                                                    interessierte ebenso einzigartig
                                                                                    wie als Plattform für die ansässige   Weitere Informationen unter
                                                                                    Filmkultur.                           www.dokfilmwoche.com
ABFAHRT                                                                                                                 ERÖFFNUNGSFILM

Vorsicht an der Bahnsteigkante! Die Dokomotive dampft los. Die
                                                                        Aus westlichen Richtungen
                                                                        Juliane Henrich (R/K), D 2016, 61 min, dt. OF
14. dokumentarfilmwoche hamburg präsentiert an fünf Tagen bis-
her nicht Gesehenes und Perlen der Filmgeschichte. Auf der Reise        Vorbei an Häuserfassaden, Autobahnausfahrten und             METROPOLIS
öffnen wir neue Blickwinkel auf den Dokumentarfilm und schaffen         Minigolfanlagen gleitet die Kamera durch Deutsch-            MI 19.04.
Raum für Diskussionen und Diskurse. Wir wünschen nicht nur eine         land, genauer gesagt durch Westdeutschland. Denn             20 UHR
gute Projektion, sondern hoffen auch auf Widerstände, Spannungen        die Überlegung, dass „Westen“ mehr als eine Him-             GAST: JULIANE
und Perspektivwechsel, denn nicht zuletzt scheint die Frage nach ei-    melsrichtung ist, dient Juliane Henrich als Aus-             HENRICH
ner Vermittlung der Wirklichkeit durch die Medien relevanter denn je.   gangspunkt für ihre essayistische Reise durch eine
                                                                        persönliche wie gesellschaftliche Vergangenheit.             VORFILM:
Wir beziehen Positionen, fördern den Austausch und freuen uns,          Es sind die Spuren, die hinterlassen wurden und sich         »WARUM IST
zu fast allen Filmen in unserem internationalen Filmprogramm            in die Gegenwart eingeschrieben haben, denen Hein-           KRIEG« VON
die Macher*innen begrüßen zu dürfen. Produktionen aus und über          richs Interesse gilt. Denn die austauschbare Archi-          PETER NESTLER
unsere Stadt haben wieder einen festen Platz in unserem Programm –      tektur ist ebenso abstoßend wie heimelig. Jägerzäu-          18 min, SIEHE S. 35
Dokland Hamburg.                                                        ne und Einfamilienhäuser – Traum und Trauma der
                                                                        BRD. Beobachtungen über Stadtentwicklung, Sied-              HAMBURG-
Die diesjährige Retrospektive widmen wir Peter Nestler, einem der       lungspolitik und Kindheitserinnerungen erzählen von          PREMIERE
bedeutendsten wie umstrittensten deutschen Dokumentarfilmer,            einem heute scheinbar weit entfernten Land. So wird
der diesen Sommer seinen 80. Geburtstag feiert. Seit Jahrzehnten        der Westen im Film zu einem verlorenen Sehnsuchts-           ALS INSTALLATION
dokumentiert Nestler mit respektvollem Abstand und politischem          ort, in dem „alle noch an das gleiche Fernsehpro-            S. 49
und künstlerischem Anspruch Arbeitsleben und Alltagsbedingun-           gramm angeschlossen waren“ und der Kapitalismus
gen der Menschen.                                                       zwar nicht besser, aber doch fassbarer wirkte. Eine
                                                                        Suche nach einer gefühlten Sicherheit, die heute für
Über Abfahrtszeiten informieren wir am Schalter im Festival-            immer vergangen scheint.
zentrum, gleich neben unserem Versackbahnhof dokfilmclub.               Feierliche Eröffnung der 14. dokumentarfilmwoche hamburg
4                                                                                                                                                    5
FILMPROGRAMM

    Streifzüge ins Unbekannte                                  66 Kinos
                                                               Philipp Hartmann (R/K), D 2016, 98 min, dt. OF
    Egal, ob Handkamera oder Stativ, ob geplante Abläufe       Mit seinem Essayfilm »Die Zeit vergeht wie ein brül-     METROPOLIS
    oder zufällige Ereignisse: Das dokumentarische Bild        lender Löwe« (Eröffnungsfilm der dokfilmwoche            SA 22.04.
    ist nie neutral. Es ist gelenkt von einem Interesse, dem   2013) begab sich Philipp Hartmann von Hamburg            21 UHR
    Wunsch, zu erkennen und zu verstehen. In einer Zeit, in    aus auf eine einjährige Tour durch Deutschland.          GAST: PHILIPP
    der die Angst vor dem und den Fremden zur globalen         Mit im Gepäck eine eigens angeschaffte kompakte          HARTMANN
    Krise erklärt wird, erlauben es die Filme im diesjäh-      Kamera, mit der er die Liebhaber-Lichtspielstätten
    rigen Programm, mit ihnen zu erkunden und zu ent-          des Landes erkundete. Ob im Alpirsbacher Kloster-        DEUTSCHLAND-
    decken. Sei es auf einer Reise durch die Musikszene der    kino, im Münchner Werkstatt-Kino oder im Meldorfer       PREMIERE
    Subsahara, kurdische Kriegsgebiete oder die deutsche       Verzehrkino – überall begegnete Hartmann char-
    Kinolandschaft. Wir besuchen Treffen der AfD in den        mant-individualistischen Überzeugungstäter*innen,
    Stadthallen der Provinz und den Zufluchtshafen junger      die das Kulturgut Kino am Leben erhalten. Sichtbar       DOKLAN
                                                                                                                               D
    Roma in der Wiener Nacht. Mal liegt das Unbekannte         werden auch die Umbrüche der Branche. In den Vor-        HAMBUR
                                                                                                                               G
    nahe wie in der eigenen Familiengeschichte, mal so         führräumen verstauben die 35mm-Projektoren, doch
    fern wie im Alltag enteigneter Bauern in Kambodscha.       die allseits vollzogene Digitalisierung hat die in sie
    Im Spannungsfeld von Distanz und Eingriff finden die       gesetzten Hoffnungen vielerorts nicht erfüllt. Und so
    Filme ihre eigenen ästhetischen und erzählerischen         ist für viele Betreiber*innen ihr Kino eine „Labour of
    Umgangsweisen, den Prozess der Annäherung im               Love“ hart an der Rentabilitätsgrenze. Eine filmische
    Kinosaal erfahrbar zu machen.                              Reise durch die deutsche Kinolandschaft abseits der
    Dokland Hamburg, die dokumentarischen Produk-              Multiplexe, ebenso sympathisch handgemacht und
    tionen aus und über die Hansestadt, zeigen wir mit         improvisiert wie der Betrieb vieler der besuchten
    Unterstützung der Hamburgischen Kulturstiftung.            Lichtspielstätten.

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FILMPROGRAMM

                a story of Sahel Sounds                                   Alter Knacker
                Florian Kläger/Tobias Adam/Markus Milcke (R/K)            Dorothea Ratzel, Markus Fiedler (R/K)
                D/NIG/USA 2016, 82 min, engl./franz./tamashek OmU         D 2017, 48 min, dt. OF

                 Am südlichen Rand der Sahara zirkulieren die Klän-       Harry hat jeden Tresor geknackt. Tausend Stück           LICHTMESS
                 ge einer so vielseitigen wie produktiven Musikszene:     waren es in seiner kriminellen Karriere, vielleicht      SA 22.04.
                 Bei Hochzeiten und auf Dorfplätzen mischen sich          sogar mehr. Den ersten Bruch machte er mit 18,           18 UHR
METROPOLIS       traditionelle Rhythmen der Tuareg mit elektrisch ver-    in Lübeck war das, der Safe voll mit Schmuck und         GÄSTE:
FR 21.04.        stärktem Blues, Fragmente aus Techno und Hip-Hop         Devisen. Später brach er den Tresor einer Wäscherei in   DOROTHEA
21 UHR           werden auf Keyboards zu treibenden Sphären ver-          Itzehoe auf. Darin befanden sich 40.000 Mark in bar,     RATZEL, MARKUS
GÄSTE: FLORIAN arbeitet. Mit seinem Projekt „Sahel Sounds“, einer         es war Harrys größter Coup. Über die Jahrzehnte hat      FIEDLER
KLÄGER, MARKUS Kombination aus Blog, Plattenlabel und unkonven-           er seine Techniken optimiert und wurde zu einem
MILCKE           tioneller Feldforschung, macht Christopher Kirkley       Erfinder des Einbruchs. Lange arbeitete er auf einem     WELTPREMIERE
                 dieses Schaffen einem internationalen Publikum zu-       Schrottplatz und brach nach der Schicht zu seinen
HAMBURG-         gänglich. Das Stuttgarter neopan kollektiv hat Kirkley   Raubzügen auf. Heute ist der König der Tresore nur       DOUBLE-
PREMIERE         bei seiner Arbeit begleitet. Wir folgen ihm auf eine     noch ein alter Knacker. Krank und einsam lebt er in      FEATURE MIT
                 Recherchereise von Portland über Nigers Hauptstadt       einer kleinen Wohnung auf St. Pauli. Die vielen Jahre    »DAS ENDE VOM
im Anschluss:    Niamey bis nach Agadez, bei der Suche nach Tonauf-       im Knast, der häufige Verrat durch Vertraute haben       LIED«, S. 14
neopan kollektiv nahmen, die auf Handy-Speicherkarten getauscht           an ihm gezehrt. Seine Zunge ist schwer geworden,          DOK LAN D
DJ-SET IM        werden oder in Radioarchiven lagern. Und als der         doch seine Finger sind noch flink. Bevor er abtritt,
                                                                                                                                    HAMBURG
DOKFILMCLUB      nigrische Stargitarrist Mdou Moctar zu einer Euro-       will es Harry noch einmal wissen – und macht sich
                 patournee aufbricht, wird schließlich auch deutlich,     auf zu einem letzten Bruch.
                 welche Grenzen einer anderen, faireren und wirklich
                 globalen Kultur noch gesetzt bleiben.

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FILMPROGRAMM
                                              FILMPROGRAMM

               Austerlitz                                               Brüder der Nacht
               Sergei Loznitsa (R/K), Jesse Mazuch (K)                  Patric Chiha (R), Klemens Hufnagl (K)
               D 2016, 94 min, dt./span./engl. OmU                      AUT 2016, 88 min, dt./bulgar./romani OmU

               Menschen in Freizeitkleidung strömen durch ein           »Brüder der Nacht« von Patric Chiha führt uns in das       B-MOVIE
               schweres Stahltor. Kurz halten sie inne, um dem ans      nächtliche Wien. Eine scheinbar aus der Zeit gefalle-      SA 22.04.
               Ohr gehaltenen Audioguide zuzuhören oder für ein         ne Stricherbar, in der junge bulgarische Roma ihre         22.30 UHR
               Foto zu posieren. „Arbeit macht frei“ steht am Tor.      Dienste anbieten, bildet den Ausgangspunkt und das         GAST: EBBA
               Sergei Loznitsa hat seine Kamera den Sommer über         topografische Zentrum. Die prekäre Situation der Ju-       SINZINGER
               in KZ-Gedenkstätten aufgestellt. Unbewegte, lange        gendlichen im Wahlheimatland bricht sich im künst-         (Produzentin)
               und in schwarz-weiß gefilmte Einstellungen zeigen,       lich farbigen Licht der hochstilisierten Bilder, die be-
               wie die Besucher*innen den Lagerbauten begegnen,         wusst an das Kino Fassbinders, Genets oder Angers          HAMBURG-
METROPOLIS
               die als Rest vergangener Verbrechen und Schicksale       »Scorpio Rising« anknüpfen. Chihas Anliegen war es,        PREMIERE
SO 23.04.
               geblieben sind. Wird Erinnerung durch banale Gesten      einen Film mit diesen am Rande stehenden Menschen
18.30 UHR
               und Routinen des Tourismus verhindert? Gibt es stille    zu machen – und nicht über sie. Und so schafft dieser
GAST: SERGEI
               Momente aufrichtiger Erschütterung? Was bewahrt          energetische Film Bühnenräume, auf denen sie sich
LOZNITSA
               und bedeutet ein Selfie, aufgenommen an einem            und ihre Lebensumstände inszenieren können, denn:
               Sommertag in Dachau oder Sachsenhausen? „Selbst          „Auch das Spiel mit der Wirklichkeit erzählt über eine
HAMBURG-
               jetzt, wo ich mich mühe, mich zu erinnern“, klagt der    Wahrheit oder Wirklichkeit“, so Chiha. „Es ist keine
PREMIERE
               Erzähler in W.G. Sebalds Roman „Austerlitz“, „löst       moralisierende, besserwisserische Stricherballade,
               sich das Dunkel nicht auf, sondern verdichtet sich bei   sondern eine zärtliche, empathische Hymne an die
               dem Gedanken, wie wenig wir festhalten können, was       furchtbare Poesie des (Über-)Lebens und an die Soli-
               alles und wieviel ständig in Vergessenheit gerät, mit    darität unter Geächteten und Außenseitern“, schreibt
               jedem ausgelöschten Leben.“                              Andrey Arnold in „Die Presse“.

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FILMPROGRAMM

               Cahier Africain                                           Casi Paraíso
               Heidi Specogna (R), Johann Feindt (K)                     Pablo Narezo (R/K), MEX/D 2016, 56 min, span. OmU
               D/CH 2016, 119 min, franz. OmU

               Ausgangspunkt dieser Langzeitstudie ist ein abgegrif-     Es beginnt mit einem verloren gegangenen Rucksack       LICHTMESS
               fenes Schulheft, das der Filmemacherin 2008 bei einer     voll mit altem Filmmaterial, der schließlich auf mys-   DO 20.04.
               Recherchereise in die Hände fällt. Es ist gefüllt mit     teriöse Weise wieder auftaucht. Die 8mm-Rollen im       21 UHR
               Fotografien und Zeugenaussagen von 300 Frauen, die        Rucksack dokumentieren den Alltag und die Reisen        GAST: PABLO
               2002 beim Überfall kongolesischer Truppen auf die Zen-    der mexikanischen Familie des Regisseurs über drei      NAREZO
               tralafrikanische Republik Opfer von Gewaltverbrechen      Generationen. Im Laufe des Drehs kommt durch die
               wurden. Heidi Specogna begleitet von nun an die allein-   Geburt seiner Tochter eine fünfte Generation hin-       HAMBURG-
               erziehende Amzine und das Mädchen Arlette auf Ihrem       zu. Dies dient als Anlass, weitere Nachforschungen      PREMIERE
               Weg zurück in eine fragile Normalität. Doch plötzlich     in der Vergangenheit anzustellen und sich mit dem
                                                                                                                                  DOK LAN D
               beginnt ein neuer Strudel aus Tod und Gewalt: Musli-      aktuellen Geschehen in seinem Heimatland ausein-
               mische und christliche Rebellen ziehen mordend und        anderzusetzen. »Casi Paraíso« ist ein Essayfilm, in      HAMBURG
METROPOLIS
               plündernd durchs Land, Menschen suchen Schutz am          dem sich 8mm-Material, Tonbandaufnahmen, Fotos,
DO 20.04.
               lokalen Flughafen, fast hilflos patrouillieren franzö-    Briefe und eigene Aufnahmen mit großer Leichtig-        VORFILM: »DER
21 UHR
               sische Schutztruppen in den Straßen, während die          keit zusammenfügen. Assoziativ gleitet er zwischen      EINZELKÄMPFER«
GAST: JOHANN
               Menschen Matratzen und anderes Hab und Gut auf            den Zeiten und Orten hin und her und kreiert neue       S. 48
FEINDT
               völlig überladenen Lastwagen festzurren. Mit großer       Zusammenhänge. So wird gleichzeitig ein persön-
               Nähe folgt die Kamera den Protagonist*innen durch         liches wie universelles Bild von der Familie des
HAMBURG-
               die Kriegswirren und dokumentiert den unglaub-            Filmemachers und vom Leben mit der ständig prä-
PREMIERE
               lichen Überlebenswillen dieser Menschen in einer          senten Gewalt in Mexiko gezeichnet.
               ausweglos erscheinenden Situation.

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FILMPROGRAMM

                Das Ende vom Lied                                          Deportation Class
                Julia Küllmer (R/K), D 2016, 45 min, dt. OF                Carsten Rau/Hauke Wendler (R), Boris Mahlau (K)
                                                                           D 2016, 85 min, dt.-albanische OmU

                Als Julia Küllmer beginnt, ihren Großvater zu filmen,      Eine Sammelabschiebung in Mecklenburg-Vorpom-          METROPOLIS
                ist er Ende 80 und lebt allein in einem Einfamilienhaus.   mern, minutiös vorbereitet und mit erheblichem         SA 22.04.
 DO KL AN D     Mit Training, Treppenlift und ein wenig Hilfe kann er      Aufwand durchgeführt. In der Nacht aufgeschreckt,      18.30 UHR

 HAMBURG        sein selbstbestimmtes Leben aufrechterhalten. Er           werden verängstigte Menschen von Polizeibeamten        GÄSTE:
                musiziert auf der Heimorgel, pflegt die Beete und          zum Charterflieger gebracht, Innenminister Caffier     CARSTEN RAU,
                tritt gegen seinen Schachautomaten an. Sein reso-          begleitet das Zuführkommando. Man setze geltendes      HAUKE WENDLER
LICHTMESS       luter Charme lässt ihn unerschütterlich erscheinen.        Recht um, so lautet das Mantra der Mitarbeiter*innen   & TEAM
SA 22.04.       Aber Ludwig Dreyer ist auch Realist. Seinen Platz im       des Rückführungsmanagements. Die Beschwörung
18 UHR          Altenheim hat er schon vor Jahren reserviert. Als nach     des Rechtsstaates ist zum Gutteil Selbstschutz für     HAMBURG-
GAST: JULIA     einem Krankenhausaufenthalt die Kräfte schwinden,          jene, die die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu       PREMIERE
KÜLLMER         steht die Frage dann unweigerlich im Raum: Pflege-         verantworten und zu vollstrecken haben. Denn unser
                heim oder nicht?                                           Rechtsstaat ist für die Rückzuführenden hier nun zu
EUROPA-         Ohne zu Jammern fügt sich der langsam Vergreisen-          Ende, und hinter der nüchternen Behördenbegrifflich-    DOK LAN D
PREMIERE        de in sein Schicksal: „Es wird ja nicht besser.“ Julia     keit stehen enttäuschte Hoffnungen und menschliche      HAMBURG
                Küllmer hat die letzten fünf Jahre des Lebens ihres        Dramen. Über 20.000 Menschen wurden 2016 aus
DOUBLE-         Großvaters dokumentiert. Mit genauer Beobachtung           Deutschland abgeschoben, Tendenz steigend durch
FEATURE MIT     und Szenenauswahl zeichnet sie ein zwischen Leich-         das System der vermeintlich sicheren Herkunftslän-
»ALTER          tigkeit und Schwere changierendes Porträt eines            der. Was erwartet die Abgeschobenen in der Heimat?
KNACKER«, S.9   Menschen, der um seine Unabhängigkeit kämpft und           Das Filmteam besucht sie in Albanien, spricht mit
                niemandem zur Last fallen will.                            Anwälten, Mitschülern und Lehrern in Deutschland.

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FILMPROGRAMM

                Der Einzug – Meuthen`s Party                             Die Geister, die mich riefen
                Marc Eberhardt (R/K), D 2017, 92 min, dt. OmeU           Diana Näcke (R/K), Kathrin Krottenthaler (K)
                                                                         D 2017, 100 min, dt./türk. OmU

               „Ich seh ja aus wie ein Grüner“, beruhigt sich Jörg       Berlin-Neukölln an einem Sommertag: Engin ist auf        B-MOVIE
               Meuthen vorm Gang ins Veranstaltungslokal. Die            dem Weg ins Krankenhaus. Er braucht ein Attest, um       SA 22.04.
               Gegendemonstrant*innen werden in ihm, gleichsam           nicht zur türkischen Armee zu müssen. Denn Engin         18 UHR
               Schaf in Jack Wolfskin, schon nicht den AfD-Spitzen-      hat eine Mission. Zum ersten Mal seit fast 25 Jah-       GAST: DIANA
               kandidaten erkennen. Geschmeidig manövriert Wirt-         ren will er zurück in seine Heimatstadt Edirne, um       NÄCKE
               schaftsprofessor Meuthen durch den Landtagswahl-          seine Mutter bei einem Konflikt mit Verwandten zu
               kampf in Baden-Württemberg Anfang 2016; vermintes         unterstützen. Doch es tun sich immer wieder neue         HAMBURG-
               Gelände, immer wieder lassen sich Parteifreund*innen      Hindernisse auf – nicht zuletzt durch Engin selbst ge-   PREMIERE
LICHTMESS
               zu Äußerungen hinreißen, für die er wortreiche Aus-       schaffen. So verwandelt sich die Reise in die Türkei
FR 21.04.
               flüchte finden muss. Der Mann vermeidet jeden             zu dem dichten Porträt einer fast unüberbrückbaren
18.00 UHR
               schrillen Ton und weiß, wann das Mikro eingeschaltet      Zerrissenheit. Die nostalgisch verklärte Erinnerung
GÄSTE: MARC
               ist. Eine Wandlung. „Wir sind ja soo wichtig“, kichert    an eine Kindheit bei den Großeltern passt nicht mit
EBERHARDT,
               Meuthen über seine plötzliche Popularität und scheint     den Kriegserfahrungen seiner Cousins zusammen.
THERESA BAZCA,
               überrascht von der Ergebenheit seiner Mannen. „Ich        Engins schnelles Leben in Berlin ist nicht mit den
PABLO BEN
               bremse die Leute eher“, versichert er, grenzt sich ab     konservativen Lebensmodellen seiner Familie kom-
YAKOV
               von Pegida und Rassismus, doch zusehends berauscht        patibel. Aber es ist das Unverarbeitete und Ungesag-
               er sich an seiner neuen Wichtigkeit. Um schließlich auf   te, das wie ein Geist über allem schwebt und zu En-
WELTPREMIERE
               dem Bundesparteitag erfolgstrunken zu johlen: „Weg        gins Antrieb wird. Ob er es selbst weiß, bleibt offen.
               vom links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland.“         Und wie die Regisseurin nehmen wir den Beifahrersitz
               Es ist doch ein Wolf in Funktionsjacke.                   ein und folgen ihm auf seinen Wegen.

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FILMPROGRAMM

                 ER SIE ICH                                                Mme Saïdi
                 Carlotta Kittel (R), Andac Karabeyoglu (K)                Bijan Anquetil/Paul Costes (R/K)
                 D 2017, 87 min, dt. OF                                    F 2016, 59 min, farsi OmeU

               Schon bevor die Filmemacherin zur Welt kam, haben           „Ich bin die Mutter eines Märtyrers, ich bin eine        B-MOVIE
               ihre Eltern den Kontakt zueinander abgebrochen. Car-        Schauspielerin. Zögern Sie nicht, mich zu kontaktie-     SA 22.04.
               lotta Kittel stellt ihrer Mutter und ihrem Vater getrennt   ren…“ Die Franzosen Bijan Anquetil und Paul Costes       20.30 UHR
               vor der Kamera Fragen zur gemeinsamen Vergangen-            drehen gerade einen Dokumentarfilm über den schi-        GAST: BIJAN
               heit. Danach zeigt sie die Aufnahmen dem jeweils an-        itischen Märtyrerkult, als sie auf der Straße im Süden   ANQUETIL, PAUL
               deren. Die Eltern reagieren auf das Gesagte, kommen-        Teherans von Madame Saïdi angesprochen werden.           COSTES
               tieren die Version der anderen Seite und stellen ihre       Sieben Jahre später reisen die beiden zurück nach
               eigene gegenüber. Die beiden Sichtweisen weichen            Iran, um der resoluten über 70-jährigen Dame einen       DEUTSCHLAND-
               voneinander ab, teilweise widersprechen sie sich und        Film zu widmen. Und der verwebt auf geschickte und       PREMIERE
METROPOLIS     immer wieder tun sich schwerwiegende Gedächtnis-            amüsante Weise die beiden Rollen, die Mme Saïdi
SO 23.04.      lücken auf – oder sind es eher „Gedächtnislügen“?           zugewiesen werden: Protagonistin eines Dokumen-
16 UHR         Durch die genauso einfache wie stringente Form des          tarfilms mit TV-Schauspielerfahrung und Märtyrer-
GAST: CARLOTTA Films entwickelt sich eine Dynamik zwischen den             mutter in der schiitischen Gesellschaft Irans. Darüber
KITTEL & TEAM  Eltern, die den Eindruck eines Austausches erzeugt.         hinaus gibt der Film einen sehenswerten Einblick in
               „Uns in einen Dialog setzen – ich wüsste nicht, wie das     ihre Alltagswelt im Teheraner Wohnviertel Ali Abad.
HAMBURG-       gehen soll“, sagt die Mutter gegen Ende des Films. Da-      Später im Film unterhält sich Mme Saïdi mit einem
PREMIERE       rauf erwidert die Regisseurin: „Nicht in echt, im Film.“    Taxifahrer: „Sie machen einen Dokumentarfilm, aber
               Und vor dem inneren Auge des Betrachtenden ent-             was heißt das schon wirklich, Dokumentarfilm?“
               spinnt sich aus dem Dialog der Erinnerungen ein ganz
               eigener Film über ein Elternpaar, das „nie eines war“.

18                                                                                                                                                19
FILMPROGRAMM

              Mirr                                                      Moghen paris – und sie ziehen mit
              Mehdi Sahebi (R/K)                                        Katharina Copony (R/K), Stefan Neuberger (K)
              CH 2016, 90 min, bunong/khmer OmeU                        AUT 2016, 61 min, dt. OF

              Seit vielen Jahren werden Kleinbäuer*innen in Kam-        Es beginnt in einem Wald aus Korkeichen. Die Bäu-        B-MOVIE
              bodscha durch Großgrundbesitzer, unterstützt vom          me wirken wie verwunschen und aus der Zeit gefal-        FR 21.04.
              Militär, gewalttätig enteignet. Dieses Schicksal ereilt   len und verleihen dem Filmbild eine Textur. Doch sie     22.30 UHR
              auch Sahebis Protagonist Binchey und seine Familie.       tragen die Wunden des menschlichen Eingriffs, der        GAST:
              Sie sind Mitglieder der ethnischen Minderheit der         ihre Stämme bloßlegt. An den Häuserwänden eines          KATHARINA
              Bunong, ein schriftloses Volk, das unter Diskrimi-        kleinen Dorfes deuten einzelne Handabdrücke das          COPONY
              nierung leidet. Der Existenzgrundlage beraubt, be-        Kommende an. Und dann ziehen sie ein. Mit schwarz
METROPOLIS    gibt sich Binchey mit seinem Motorrad auf die Suche       bemalten Gesichtern, Fellen und Perücken erobern         DEUTSCHLAND-
DO 20.04.     nach einem freien Feld. Sahebi Mehdi inszeniert dies      sie den Ort. Sie wirken archaisch, wären nicht die       PREMIERE
18.30 UHR     mit den Dorfbewohner*innen zusammen als epische           Artefakte unserer Zeit, die in das Geschehen einge-
GAST: MEHDI   Heldenreise und erzählt so die Geschichte eines           bunden sind. Angeknüpfte Schweineohren lassen das
SAHEBI        Landraubs und seiner Folgen. Das Ergebnis ist ein         Küchensieb zur Kopfbedeckung werden, eine kaputte
              vielschich-tiger Film, der versucht, die innere Sicht     Herdplatte wird am Band durch die Gassen gezogen.        VORFILM:
HAMBURG-      der Vertriebenen und deren Nöte zu beleuchten und         Es wird zerstört, denn darum geht es. Es ist das Ende    »a continental
PREMIERE      gleichzeitig Fragen nach Formen der Widerständig-         des Winters, genauer der Aschermittwochskarneval,        feast for the eyes
              keit, der Ausdrucksmöglichkeiten und Repräsen-            der den Anlass für das Treiben bietet. Hier feiert die   and the ears«
              tation in den Mittelpunkt stellt.                         sardische Bevölkerung ein Ritual, dessen Zeichen für     S. 48
                                                                        Außenstehende fremd wirken und doch einen rausch-
                                                                        haften Sog auf der Kinoleinwand entwickeln.

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FILMPROGRAMM

                Paradies! Paradies!                                      Surire
                Kurdwin Ayub (R/K), AUT 2016, 78 min, kurd./dt. OmeU     Bettina Perut/Ivan Osnovikoff (R/K)
                                                                         CHL/D 2015, 80 min, span./aymara OmU

                Die Sonne scheint auf den frisch gemähten Rasen,         Der Salzsee Surire, 4300 Meter hoch in den Anden         METROPOLIS
                von einem Spielplatz hallen Kinderstimmen herüber.       zwischen Chile und Bolivien gelegen. Hierher reicht      SO 23.04.
                Hinter einer Mauer reihen sich Neubauvillen bis zum      das Funksignal nur an guten Tagen. Es ist so brü-        13.30 UHR
                Horizont. Das hier muss das Paradies sein.               chig wie die Hornhaut unter den Füßen der wenigen        GAST: DIRK
                Kurdwin Ayub läuft mit der Kamera durch Dohuk im         Menschen, Nachfahren der indigenen Urbevölke-            MANTHEY
                Nordirak. Sie filmt ihren Vater. Der möchte in seiner    rung, die noch dageblieben sind. Ein altes Paar – er     (Produzent)
                früheren Heimatstadt unbedingt eine Wohnung kau-         hört schlecht, sie sieht nicht gut. Als die beiden für
                fen. Er träumt davon, endlich wieder hier zu leben.      ein paar Tage verreisen, hütet ein Junge ihre Lamas.     DEUTSCHLAND-
                Eine Sehnsucht, die seiner Tochter seltsam fremd         Sein Lohn: ein rostiges Rad. Doch er kann gar nicht      PREMIERE
LICHTMESS       bleibt. Denn ihre Eltern haben schon eine Wohnung        Radfahren. Eine Neunzigjährige verflucht ihr Alter
SA 22.04.       in Wien. Ayub dokumentiert Besichtigungstermine          und verpasst ihrem Hund einen waghalsigen Haar-           DO KL AN D
20.30 UHR       und Besuche in Maklerbüros; beharrlich meldet sie        schnitt. In das Flüstern des Windes mischt sich der       HAMBURG
GAST:           aus dem Off ihre Zweifel an. Dann dringt eine andere     Lärm der Ökonomie. Auf der anderen Seite des Sees
LIXI FRANK      Wirklichkeit in die Bilder: Nur wenige Kilometer vor     wird Salz abgebaut. Ein Konvoi von Lastwagen wälzt
(Produzentin)   der Stadt kämpfen kurdische Soldat*innen gegen den       sich an den Flamingos vorbei, endlos und massiv. Ein
                „Islamischen Staat.“ Aufnahmen von Familienalltag        Film voller atemberaubender Totalen und aberwitzi-
HAMBURG-        und Front begegnen sich, die Selbstinszenierungen        ger Close-ups – über die Schönheit und den Schwund
PREMIERE        ihrer Protagonist*innen werden einander ähnlich. Ein     einer Landschaft und Kultur.
                Reisefilm als vielschichtiges Porträt zweier Generati-
                onen, die um ihr Verständnis von Heimat ringen.

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FILMPROGRAMM                                                                          ABSCHLUSSFILM

               The Dazzling Light of Sunset                              Eldorado XXI
               Salomé Jashi (R/K), GEO/D 2016, 74 min, georg. OmeU       Salomé Lamas (R), Luis Armando Arteaga (K)
                                                                         P/F 2016, 125 min, span./quechoa/aymara OmeU

               Sie berichten über neu angelegte Gehwege und einge-       Seit der Bronzezeit graben Menschen nach Boden-          METROPOLIS
               fangene Eulen, Hochzeitsfeiern und Beerdigungen: Das      schätzen, doch mancherorts haben sich die Produk-        SO 23.04.
               Team des Fernsehsenders „Jikha TV“ macht das Leben        tionsverhältnisse seither wenig verbessert. Das peru-    21 UHR
               in der westgeorgischen Provinz zu Nachrichten. Dariko     anische La Rinconada, auf 5000 m Höhe in den Anden
               Beria, zugleich Reporterin und Moderatorin, sucht mit     gelegen, ist ein solcher Ort. Das Goldfieber hat eine    HAMBURG-
               dem Camcorder dringend benötigte Geschichten oder         Ansammlung sich aneinander duckender, armseliger         PREMIERE
               verhandelt am Schreibtisch den Preis für Traueran-        Blechhütten entstehen lassen. Frauen zerschlagen am
               zeigen. Mit ihr begibt sich Regisseurin Salomé Jashi in   Steilhang mit primitivem Werkzeug Geröll. Unkom-
               den Alltag einer Region zwischen sorgsam bewahrter        mentiert bleibt der Blick einer Überwachungskame-
LICHTMESS
               Tradition und unübersehbarer Veränderung. Volks-          ra lange stehen und wird später mit Erzählungen der
FR 21.04.
               tänze werden aufgeführt, die Proben für eine Moden-       Mineros unterlegt. Unaufhörlich zieht der Strom der
20.30 UHR
               schau laufen unter Hochdruck. Zu den anstehenden          Lumpenproletarier an der Kamera vorbei. Unkennt-
GAST: SALOMÉ
               Regionalwahlen diskutieren Männer und Frauen im           liche Figuren schleppen das Ergebnis ihrer Mühsal den
JASHI
               Studio getrennt voneinander. Sorgfältig komponierte       Hang entlang. So wird »Eldorado XXI« zu großem Kino.
               Einstellungen lenken den Blick auf die Bühnen, auf        Mit Neugier und Geduld begegnet die Portugiesin Salo-
HAMBURG-
               denen Menschen in religiösen, kulturellen und politi-     mé Lamas dem Berg und seinen Mythen. Tief unten in
PREMIERE
               schen Ritualen ihrer Selbstinszenierung nachgehen.        den Stollen sollen Geister wohnen, und nur der Genuss
               Ein Film über den Lokaljournalismus – und das Streben     von Kokablättern lässt die Angst vor Einstürzen in der
               nach Würde, das zwar manchmal hochkomisch, aber nie       Grube überwinden. Am Ende des Tunnels wird im Dorf
               lächerlich ist.                                           aber auch gefeiert – unser Abschlussfilm.

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PROGRAMMPLAN
             Mittwoch /// 19.04.           Donnerstag /// 20.04.       Freitag /// 21.04.           Samstag /// 22.04.              Sonntag /// 23.04.
                                                                                                   13.30 Uhr »Retrospektive«
GÄNGEVIERTEL                                                                                       Warum ist Krieg // Aufsätze //
                                                                                                   Verteidigung der Zeit   S. 33
                                  on
                    Installati                                          14.30 Uhr                  16.00 Uhr »Positionen«
                     m   li n k srechts,
                 Rau               rtel                                 »Positionen« Wo Feuer      Analoger Film, Archiv und
                    Gängevie                                            ist, ist auch Rauch        dokumenarisches Arbeiten
                      k i L  az u ardi &
                  Riz                                                   S. 41                                             S. 44
                                 enrich
                   Juliane H                                                                       18.30 Uhr
                           D  o- S a
                                                                                                   »Positionen« Hashti Tehran
                                                                                                                          S. 47
                                                                                                                                    13.30 Uhr
METROPOLIS                                                                                                                          Surire               S. 23

                                                                        16.00 Uhr                 16.00 Uhr »Retrospektive«         16.00 Uhr
                                                                        »Positionen«              Ausländer Teil 1, Schiffe und     Er Sie Ich
                                                                        Durch den Film            Kanonen // Spanien!
                                                                                            S. 42                          S. 36                         S. 18
                                           18.30 Uhr                    18.00 Uhr »Spezial«       18.30 Uhr                         18.30 Uhr
                                           Mirr                         5Islands                  Deportation Class                 Austerlitz
             Eröffnungsfilm                                    S. 20                        S. 39                          S. 15                         S. 10
             20.00 Uhr                   21.00 Uhr                      21.00 Uhr                  21.00 Uhr                      21.00 Uhr
             Aus westlichen Richtungen Cahier Africain                  a story of Sahel Sounds    66 Kinos                       Abschlussfilm:
                                    S. 5                       S. 12                          S. 8                           S. 7 Eldorado XXI           S. 25
                                                                        18.00 Uhr »Retrospektive« 18.00 Uhr                        14.00 Uhr »Spezial«
B-MOVIE                                                                 Ein Arbeiterclub in Shef-   Die Geister, die mich riefen 5 Bemerkungen zum
                                                                        field // Zeit         S. 31                          S. 17 Dokumentarfilm        S. 38

                                                                        20.00 Uhr »Retrospektive« 20.30 Uhr                      16.30 Uhr »Retrospektive«
                                                                        Am Siel // Pachamama – Mme Saïdi                         Von Griechenland // Tod und
                                                                        Unsere Erde         S. 32                           S.19 Teufel                  S. 37
                                                                        22.30 Uhr                   22.30 Uhr
                                                                        Moghen paris – und sie      Brüder der Nacht
                                                                        ziehen mit // a continental
                                                                        feast...              S. 21                     S. 11

LICHTMESS                                  18.00 Uhr »Retrospektive«
                                           Ödenwaldstetten //
                                                                        18.00 Uhr
                                                                        Der Einzug – Meuthen´s
                                                                                                 18.00 Uhr
                                                                                                 Das Ende vom Lied // Alter
                                           Die Hohlmenschen //          Party                    Knacker
                                           Zigeuner sein       S.30                        S. 16                 S. 14 // S. 9
                                           21.00 Uhr                    20.30 Uhr                   20.30 Uhr
                                           Casi Paraíso //              The Dazzling Light of       Paradies! Paradies!
                                           Der Einzelkämpfer S. 13      Sunset                S. 24                        S. 22
26                                                                                                                                                          27
RETROSPEKTIVE PETER NESTLER

              Retrospektive Peter Nestler –                           und taube Glaube an einen direkten Zugang zur Rea-       GAST BEI ALLEN

              Indirect Cinema                                         lität mittels synchronen Bild- und Tonaufzeichnungen     VORSTELLUNGEN:
                                                                      – Ersteres unter Dokumentarfilmer*innen, Zweiteres       PETER
              „Die Ohren der Leute, die Filme sehen, sind             unter Hersteller*innen und Konsument*innen von           NESTLER
              verstopft vom Dreck, den man ihnen liefert, und die     Nachrichtenmedien. Peter Nestler scheint dies nie
              Ohren der Leute, die Filme machen, sind verstopft       so recht überzeugt zu haben. Er macht es anders –        KURATOREN:
              vom Dreck aus ihren Hirnen.“ (Peter Nestler, 1966)      und das seit mehr als 50 Jahren und rund 70 Filmen.      RASMUS GERLACH,
                                                                      Nahezu singulär ist die Qualität seiner Kommen-          FELIX GRIMM,
ERÖFFNUNG:    Peter Nestler, das ist der Filmemacher, von dem der     tare, die zwar von ihm selbst eingesprochen, doch        VOLKO KAMENSKY,
LICHTMESS     französische Filmkritiker Michel Delahaye sagte,        nie privatistisch geraten. Aussagen Dritter werden       BERND SCHOCH
DO 20.04.     er sei der größte gegenwärtige Dokumentarist. Das       häufig in indirekter Rede wiedergegeben, hin und
18 UHR        war 1965 und Peter Nestler hatte gerade einmal fünf     wieder bleibt offen, wo wessen Statement beginnt
SIEHE S. 30   Kurzfilme fertiggestellt. Das Erstaunliche an dieser    und aufhört. Nicht etwa, um wichtige Spuren zu ver-
              Einschätzung ist, dass sie in eine Zeit fällt, in der   wischen, sondern vielmehr, um zu einer größeren
              das Direct Cinema mit seinem neu entdeckten Ein-        inhaltlichen Präzision zu finden, mitunter gar, um die
              satz von Handkamera und Synchronton als Befreierin      Protagonist*innen zu schützen. Wo die Mehrheit der
              des Dokumentarfilms gefeiert wird. Man hoffte, sich     Filmemacher*innen auf „Continuity“ und somit auf
              nun mittels Kamera und Tonbandgerät einer „reinen       Anschlüsse bedacht ist, verzichtet Nestler auf diese
              Beobachtung“ anzunähern und sich endlich von der        und macht ein Fest daraus, Töne auf Bilder treffen
              vorherrschenden und als autoritär empfundenen           zu lassen oder einfach Bilder auf Bilder. Und so lässt
              Kommentarstimme befreien zu können. Das grund-          Nestler die Gedanken über Bande laufen, ohne je die
              sätzliche Misstrauen gegenüber der Kommentar-           Achtung vor den Protagonist*innen, vor sich selbst
              stimme hat sich bis heute erhalten, ebenso der blinde   und seinem Publikum zu verlieren.
28                                                                                                                                            29
(C) Suhrkamp Verlag
                                                                                                                                                      RETROSPEKTIVE PETER NESTLER

                           Ödenwaldstetten                                                       Ein Arbeiterclub in Sheffield
                           Peter Nestler/Kurt Ulrich (R/K), BRD 1964, 36 min, 16mm, dt. OF       Peter Nestler (R), Dirk Alvermann (K), BRD 1965, 16mm, 40 min, dt. OF
TRIPLE-                    Auf der Schwäbischen Alb hat Nestler sich vor Dreh-                   Peter Nestler dreht für den Süddeutschen Rundfunk
FEATURE                    beginn einen Monat bei einem Bauern einquartiert und                  in einem Arbeiterclub in Sheffield – einem genossen-
                           recherchiert, mitunter die Aussagen des Mannes wort-                  schaftlich organisierten Modell der Witwen- und Wai-
LICHTMESS                  wörtlich stenografiert. Im Dorf Ödenwaldstetten stößt                 senkasse, aber auch Feierabendlokal und vor allem
DO 20.04.                  er auf die verborgenen Spuren des Faschismus inner-                   Treffpunkt für selbstgemachte Musik. Dies realistische
18 UHR                     halb der Alltagskultur der Nachkriegsgesellschaft.                    und doch vergnügte Dokument der britischen Arbei-
GAST: PETER                                                                                      terkultur sollte nach dem Willen des Senders über DOUBLE-
                           Die Hohlmenschen
NESTLER                                                                                          einen erklärenden Kommentar all das verbinden, was FEATURE
                           Peter Nestler (R), Etgar Keret (B), SE/ISR 2015, 4 min
                                                                                                 im Film einfach in Blöcken nebeneinandergestellt ist.
      © Storyvid 2015.     Anhand eigener und vorgefundener Werke (Tusch-
  Story by Etgar Keret.                                                                          Nestler beharrt und bekommt keine Folgeaufträge.       B-MOVIE
 Executive Producers:      zeichnung, Malerei, Holzschnitzerei, Musik, Text) wird
      Etgar Keret, Dov                                                                                                                                                   FR. 21.04.
     Alfon & Hamutal       eine Kindheit erzählt und die Kluft zwischen Gebor-
  Gur. This project was                                                                          Zeit                                                                    18 UHR
 co-produced with the      genheit und Bodenlosigkeit durchmessen.
 Goethe Institut Israel.                                                                         Peter Nestler (R/K), Zsóka Nestler (R), D 1992, 42 min, dt. OF          GAST: PETER
                           Zigeuner sein                                                         Zsóka Nestler bringt Künstler*innen vor der Kamera NESTLER
                           Peter Nestler (R/K), Zsóka Nestler (R/B), SE 1970, 47 min, 16mm, DF   zum Sprechen, die gemeinhin als naiv abgetan wer-
                           Die Spurensuche unter den in Deutschland und Öster-                   den. Es zeigt sich, dass ihre Kunst als Gegenpro-
                           reich lebenden Roma beginnt mit Bildern des Malers Otto               dukt auszehrender jahrzehntelanger Erwerbstätig-
                           Pankok und führt zu Berichten von Überlebenden der NS-                keit entsteht. Sie schnitzen, malen und bildhauern
                           Vernichtungsmaschinerie, die vergeblich auf ein Leben in              unter Einbringung ihrer Lebensgeschichte, und ihre
                           Würde hoffen. „Nestlers unheimlichster Film, da er den                Schöpferkraft scheint direkt der erlebten Zeit abge-
                           Zuschauer mit der Vorstellung konfrontiert, dass es von               trotzt zu sein. Film und dargestellte Kunst werden zu
                           der Diskriminierung bis zur Ausrottung einer Volksgruppe              Kompliz*innen über ihre je eigene feine Kritik gesell-
                           nach wie vor nur ein kleiner Schritt ist.“ (Frank Scurla)             schaftlicher Bedingungen.
30                                                                                                                                                                                     31
RETROSPEKTIVE PETER NESTLER

              Am Siel
              Peter Nestler/Kurt Ulrich (R/K), Robert Wolfgang Schnell (B)
                                                                             Voice-over? Voice-under?
              BRD 1962, 16mm, 13 min, dt. OF
                                                                             Voice-aside?
              Nestlers erster Film, ein Porträt eines Dorfes am Meer,
                                                                             Gemeinhin wird behauptet, ein Kommentar würde im        DISKUSSION UND
              irritierte sofort nach Erscheinen. Obwohl oder gerade
                                                                             Film unter oder auch über die Bilder gelegt werden.     FILMPROGRAMM
              weil ihm eine nahezu kindliche Erfindung zugrunde
                                                                             Ganz so, als sei eine solch hierarchische Ordnung
              liegt, die den Filmkommentar aus der Perspektive eines
                                                                             – also eine zwischen einem dominanten und einem         FOTOFABRIQUE,
              Siels erzählen lässt: „Ich altes Siel ziehe leise ins Meer,
                                                                             unterlegenen Element – etwas, das dem Wesen der         GÄNGEVIERTEL
              und wenn meine Wasser sich mit ihm unlöslich ver-
                                                                             Filmkunst bereits auf natürliche oder zumindest         SA 22.04.
              bunden haben, treffe ich draußen einen vom Siel, einen
                                                                             zwingende Weise eingeschrieben wäre.                    13.30 UHR
DOUBLE-       kleinen Matrosen, den ich mit meinen alten Wassern er-
                                                                             Peter Nestler verweist mit seinen Produktionen seit     GAST: PETER
FEATURE       zogen habe, dem Meer zu vertrauen und seinem Schiff.“
                                                                             Jahrzehnten auf ein anderes, mögliches Verhältnis:      NESTLER
              Pachamama – Unsere Erde                                        eines, das Kommentar und Bild gleichberechtigt ne-
B-MOVIE
              Peter Nestler (R), Rainer Komers (K), D 1995, 90 min, dt. OF   beneinander stellt. Dabei scheint mit jeder Produkti-
FR 21.04.
              Der Kamerablick folgt Bewässerungskanälen,                     on das Verhältnis zwischen Ton und Bild neu ausge-
20 UHR
              Gebirgsbächen, Strömen. Ein starker Regenguss                  fochten zu werden. Jean-Marie Straub schreibt über
GAST: PETER
              und ein anschwellender Fluss spülen Kunstschätze               die Sequenz eines Massenauflaufs in »Von Griechen-
NESTLER
              frei – vor Jahrhunderten vergraben, um sie der Gier            land« (BRD 1965): „Genial war, dass die Slogans der
              spanischer Eroberer zu entziehen. Peter Nestler be-            Menge nicht mit direktem Ton aufgenommen waren.
              reist Ecuador an geologischen, kulturellen und öko-            Wenn ich das sage, bedeutet das etwas, weil ich fast
              nomischen Bruchkanten: „Der Weg in die Altstadt,               ein Apostel des direkten Tons bin. Die geniale Intu-
              es ist Sonntag. Hier wohnen keine reichen Leute.               ition lag darin, daß die Slogans nur im Kommentar
              Die kommen nicht mal her, sagen, es sei unsicher.“             gesprochen wurden, von ihm. Er wiederholte, was
              Unvermittelt, großartige Musik.                                die Leute gesagt und geschrieben haben.“ Und tat-
32                                                                                                                                                 33
RETROSPEKTIVE PETER NESTLER

     sächlich gelingt hier etwas sehr Unwahrscheinliches:    Drei Filme werden vorgeführt und zur Diskussion stehen:
     Mehrstimmigkeit, eingesprochen von nur einer Stimme.
     Woher stammt das Interesse an Mehrstimmigkeit?          Warum ist Krieg?
     Warum sich die Arbeit machen, vielen Stimmen zu         Peter Nestler (R/K), Zsóka Nestler (R/B), SE 1969/70, 18 min, dt. OF   DISKUSSION UND
     lauschen? Warum immer wieder aufs Neue die Ver-         „Manche sagen, Krieg hat es immer gegeben, es wird FILMPROGRAMM
     hältnisse zwischen den filmischen Elementen unter-      immer Krieg geben. Wenn sie so reden, geben sie sich
     suchen? Sie umverteilen?                                selbst auf, oder sie wollen die Leute betrügen. (…) FOTOFABRIQUE,
     Viele Dokumentarfilmer*innen betonen heute, ihre        Krieg wird vorbereitet, und das braucht Zeit.“       GÄNGEVIERTEL
     Filme seien rein subjektive Interpretationen der                                                                               SA 22.04.
                                                             Aufsätze
     Wirklichkeit. Um einen Anspruch auf Objektivität                                                                               13.30 UHR
                                                             Peter Nestler/Kurt Ulrich/Marianne Beutler (B), Peter Nestler/
     könne es nicht mehr gehen. Nestler hingegen scheint     Kurt Ulrich (R/K), BRD 1969/70, 18 min., dt. OF                        GAST: PETER
     schon früh eine Ahnung davon gehabt zu haben, dass                                                                             NESTLER
                                                             Ein Film mit und nicht lediglich über Kinder. Entstan-
     die Qualitäten einer Subjektivität erst voll zur Gel-
                                                             den als Kooperation mit den Schüler*innen und der
     tung kommen, wenn sie mit einem gewissen Maß
                                                             Lehrerin einer Dorfschule im Berner Oberland. Die
     an Objektivität unter Spannung gesetzt werden. Und
                                                             Schüler*innen verlesen ihre Aufsätze. Das kostet
     so beschreibt er seine Arbeit als Bemühung „der
                                                             Mühe, doch was ist das schon, wenn man zu Fuß kilo-
     Sache, die ich mir vorgenommen hatte, auf den
                                                             meterlange Schulwege in 2000 Metern Höhe meistert.
     Grund zu kommen. Ich habe versucht, den (für mich)
     kürzesten Weg zu finden und das Wichtigste der Sache    Verteidigung der Zeit
     zu zeigen: zum Erkennen, zum Wiedererkennen und         Peter Nestler (R/B), Reiner Komers (K), D 2007, 25 min., dt. OF
     um mit vielen zu sagen, dieses gehört geändert, oder    Daniele Huillet und Jean-Marie Straub bei der Arbeit
     jenes soll bewahrt werden, oder nicht übersehen“.       an ihrem letzten gemeinsamen Film »Quei loro incontri«
                                                             (»Jene ihre Begegnungen»).

34                                                                                                                                                35
RETROSPEKTIVE PETER NESTLER

              Ausländer. Teil 1. Schiffe und Kanonen                     Tod und Teufel
              Peter Nestler (R/K), SE 1976, 44 min, 16mm, DF             Peter Nestler (R/K), D/SE 2009, 54 min, dt. OF
              Deutsche und belgische Arbeiter, in ihren krisenge-        Eine Spurensuche anhand des Bild- und Textarchivs des               DOUBLE-
              schüttelten Ländern ohne Einkommen, wurden zur             schwedischen Adligen Eric von Rosen, der Anfang des                 FEATURE
              Hansezeit angeworben, um die schwedische Wirtschaft        20. Jahrhunderts Expeditionen nach Afrika und Süd-
              anzukurbeln. Ihre Kenntnisse im Abbau von Eisenerz,        amerika unternahm. Schon früh wird das Gepäck mit                   B-MOVIE
              dem Bau von Hochöfen und schweren Waffen verhelfen         Hakenkreuzen „verziert“. Großwild wird erlegt, mensch-              SO 23.04.
              Schweden zu Reichtum und Macht. Heute arbeiten in          liche Körper aus „rassischem“ Interesse vermessen und               16.30 UHR
              Belgien auch viele Ausländer*innen in der Rüstungs-        aufwendig hergestellte traditionelle Kleidungsstücke                GAST: PETER
              industrie, um sich und ihren Familien den Unterhalt        gegen Glasperlen getauscht. Und doch scheint hin und                NESTLER
              zu sichern. „Wir wollen Arbeit, nicht Arbeitslosigkeit“    wieder überraschend Empathie durch. Ein widersprüch-
              steht auf einem Plakat.                                    liches Porträt des Großvaters von Peter Nestler.
DOUBLE-
FEATURE       Spanien!                                                   Von Griechenland
              Peter Nestler (R/K), BRD 1973, 43 min, 16mm, dt. OF        Peter Nestler (R/K)/Reinald Schnell (R), BRD 1965, 28 min, dt. OF
METROPOLIS    Mit der Erzählung der Verteidigung der bürgerlichen        Griechenland – Wiege der Demokratie, und doch im-
SA 22.04.     Demokratie Spaniens gegen den Faschismus hat sich          mer wieder um seine demokratischen Rechte betrogen
16 UHR        die Bundesrepublik immer schwergetan. Kommunis-            – ist das Ziel einer Reise. Sie führt zunächst zurück zu
GAST: PETER   ten verteidigen die Demokratie – das passte und passt      einer Zeugin des Massakers von Distomo durch Ange-
NESTLER       nicht in die gängigen Narrative, auch nicht in Finnland,   hörige der SS und landet ohne Umschweife mitten in
              Schweden oder Ungarn. Nestler sucht 1973 europa-           den Demonstrationen gegen die verfassungswidrige
              weit ehemalige „Spanienfreiwillige“ auf. Er besucht        Entlassung des Präsidenten im Jahr 1965. Ein Film
              Spanien, wo an den Küsten der Tourismus boomt und          ohne Originalton. Immer wieder stumm. Man sieht nur,
              Hotels und Bungalows sprießen. Im Hinterland: zer-         wie die Menschen sprechen und gestikulieren, meint
              schossene Bauernhäuser, liquidierte Dörfer.                aber, sie genau gehört zu haben.
36                                                                                                                                                         37
SPEZIAL

                 5 Bemerkungen zum Dokumentarfilm                          5Islands                                                   DOKLAN
                 Klaus Wildenhahn (R), Gisela Tuchtenhagen (R/K)           Div. Regisseure, D/IDN 2016, 102 min, OmeU                        D
                 D 1974, 53 min, dt. OF                                                                                              HAMBUR
                                                                           Auf Einladung des Goethe-Instituts reisten im Frühjahr           G
                 Das Fernsehen mit den Mitteln eines Fernsehfilms          2016 junge Hamburger Filmemacher der Hochschule           SPEZIA
                                                                                                                                            L
                 kritisieren – geht das? Der WDR strahlte Mitte der 70er   für Bildende Künste nach Indonesien, um hier gemein-
B-MOVIE
                 Jahre die Reihe „Telekritik“ aus, in der das Medium       sam mit Studenten der Universitas Indonesia die Re-
SO 23.04.                                                                                                                           METROPOLIS
                 selbst zum Thema wurde. Wildenhahn und Tuchten-           alitäten abseits der urbanen Metropolen zu erkunden.
14 UHR                                                                                                                              FR 21.04.
                 hagen nahmen das WDR-Fernsehen unter die Lupe.            Entstanden sind filmische Arbeiten, die fünf der über
GÄSTE: KLAUS                                                                                                                        18 UHR
                 Der besondere Film spannt den Bogen von Klaus             16.000 Inseln des Landes betrachten. Die persönlichen
WILDENHAHN,                                                                                                                         MIT ALLEN
                 Wildenhahns biografischen Notizen über seine Kind-        Perspektiven auf die Orte sind dabei so divers wie die
GISELA                                                                                                                              REGISSEUR*INNEN
                 heit im Nachkriegsdeutschland bis hin zu Peter            Eilande selbst. So entsteht ein kaleidoskopisches Por-
TUCHTENHAGEN,                                                                                                                       & WEITEREN
                 Nestlers Emigration nach Schweden. Das von den            trät eines Landes zwischen Traditionen und Moderne,
PETER NESTLER                                                                                                                       GÄSTEN
                 Besatzern installierte öffentlich-rechtliche Fern-        Alltag und religiösen Konflikten.
                 sehsystem war intolerant geworden und kannte kein
  DOKLAND                                                                  Boats
                 Pardon. In der zweiten der fünf Bemerkungen geht es       Yannick Kaftan (R/K), 14 min, bajau OmeU
                                                                                                                                     Mit freundlicher
  HAMBURG um Kameramann Rudolf Körösi und die freie Arbeit                                                                          Unterstützung der

   S P E Z I A L an einem Thema ohne Drehbuch.                             Bobanehena
                                                                           Anna Walkstein (R/K), 34 min, teranate OmeU
                 Im dritten Kapitel wird das Vorbild der englischen        Rote Malam
                 Dokumentarfilmschule als kollegiale Zusammenar-           Samuel Parkes Heinrichs (R/K), 25 min
                                                                           indonesische/rotinesische OmeU
                 beit zu einem gesellschaftlichen Labor. Der Film be-
                 kommt utopische Züge. Im Epilog wird Wildenhahns          Reda Mata
                                                                           Max Sänger (R/K), 19 min, laura/loli OmeU
                 Doku »Die Liebe zum Land« zitiert, die wir am 19. Juni
                 zum 87. Geburtstag des Regisseurs im 3001 zeigen.         Selarus Dream
                                                                           Marko Mijatovic (R/K), 16 min, ambonesisch OmeU
38                                                                                                                                                 39
POSITIONEN

     Positionen –
                                                              Wo Feuer ist, ist auch Rauch
     Von den Prozessen des Sichtbaren                         Volker Köster (R), D 2016, 29 min, dt./franz. OmU
     Im vergangenen Jahr riefen wir mit unserer neuen         18. Mai 2015: Der Brandanschlag auf ein Polizeiauto
                                                                                                                      FOTOFABRIQUE,
     Veranstaltungsreihe „Positionen“ zum Reden und           in Paris ist die Topmeldung des Tages. Im Zuge der
                                                                                                                      GÄNGEVIERTEL
     Nachdenken über Dokumentarfilm auf. Den Aus-             anhaltenden Proteste gegen die geplante Arbeits-
                                                                                                                      FR 20.04.
     tausch über die vielseitigen Ansätze des dokumen-        marktreform kam es zu Ausschreitungen. Wäh-
                                                                                                                      14.30 UHR
     tarischen Arbeitens möchten wir fortführen und           rend auf dem Place de la République rund tausend
                                                                                                                      GAST: VOLKER KÖSTE
     laden zur Diskussionsrunde, zu Filmgesprächen, ins       Ordnungshüter*innen ein härteres Vorgehen gegen
     Kino und erstmalig auch zu einer Installation. Alle      gewaltbereite Demonstrant*innen fordern (eine ange-
                                                                                                                      HAMBURG-
     Arbeiten der Reihe verbindet die Frage nach dem          meldete Gegendemonstration wurde nicht genehmigt),
                                                                                                                      PREMIERE
     Sichtbarmachen. Sei es durch das Hinterfragen der        zünden vermeintliche Randalier*innen unweit der Ver-
     journalistischen Verwertungskette von Protestbil-        anstaltung einen Streifenwagen an und attackieren
     dern, welches die aktuelle Krise der medialen Glaub-     einen Insassen. Ein verbreitetes Handyvideo wird ta-
     würdigkeit abbildet, oder durch das konzeptuelle         gelang in den französischen Nachrichten gezeigt und
     beobachtende Annähern an einen Stadtraum, das von        analysiert. „Das nennt man versuchten Mord, das ist
     gesellschaftlichen Umbrüchen berichtet. Es geht um       barbarisch. Die Bilder sprechen für sich“, so ein
     das Offenlegen und Bewusstmachen und auch um             Sprecher der Polizei.
     den Film als Material selbst. Die ästhetischen Konse-    Doch was ist wirklich passiert? Wurde hier mit ge-
     quenzen des analogen Arbeitens auf die dokumenta-        schickten Schnitten etwas vertuscht? Volker Köster
     rische Form betrachten wir in einem Filmprogramm         hat andere Quellen konsultiert, ausgewertet und
     historisch und diskutieren, wie Labore und Initiativen   kommentiert seine Version des Vorfalls mit Textein-
     dieses klassische Filmbild künstlerisch und politisch    blendungen. „Ein Film über journalistische Sorgfalts-
     bewahren und zugleich neu schaffen.                      pflicht und deren Verletzung.“ (Ruhr Nachrichten)

40                                                                                                                                41
POSITIONEN

             Durch den Film – Kader, Körper,                         zum »Perfect Film« erklärt. Das Umkopieren von
             Haut und die dokumentarische Form                       Internetfundstücken auf 35mm verleiht den Jugend-
                                                                     lichen in »Satellites« Körperlichkeit, und in »Quiet
METROPOLIS   In welchen Momenten, auf welche Weise und mit           Zone« wird das Material zur menschlichen Haut, an
FR 21.04.    welchen poetischen Gesten werden die spezifischen       der sich die Spuren der Welt abzeichnen.
16 UHR       Eigenschaften des analogen Mediums im Doku-             Sieben Mal wird in diesem Programm ein Blick auf die
GAST:        mentarfilm spürbar? Wann zeigt sich der Blick der       Welt sichtbar, der Ereignisse, Momente und Zusammen-
ALEJANDRO    Filmemacher*innen auf die Welt nicht ausschließlich     hänge dokumentarisch festhält und dabei das Werkzeug
BACHMANN     als eigener, sondern als einer, der durch eine spezi-   zwischen Auge und Welt nicht vergisst, sondern expres-
(Kurator)    fische Apparatur hindurch geworfen wird? Wenn die       siv, reflexiv und einfallsreich zu Wort kommen lässt.
im           Gebrüder Lumière noch im Jahr der Erfindung des
             Films das Abreißen einer Mauer nicht nur einfach        Démolation d`un mur
             aufzeichnen, sondern sie mittels der Apparatur neu      Cinématographe Lumière (R), F 1895, 35mm, 1 min

             erstehen lassen, markieren sie eine Spur, entlang der   Germany Calling
                                                                     Charles Ridley (R), GB 1941, 35mm, 2 min
             man über das Verhältnis von Dokumentarfilmschaffen
             und die Qualitäten des analogen Films nachdenken        White Rose                                                  In Kooperation mit
                                                                     Bruce Conner (R), USA 1967, 16mm, 7 min
             kann. Dieses wird in Charles Ridleys satirischem Um-
             schnitt von Leni Riefenstahls »Triumph des Willens«     Asyl
                                                                     Kurt Kren (R), AUT 1975, 16mm, 9 min
             implizit und mit dem radikal traurigem »White Rose«
             explizit spürbar gemacht. Kurt Kren nutzt eine Rolle    Perfect Film
                                                                     Ken Jacobs (R), USA 1986, 16mm, 22 min
             16mm-Film, um den Stillstand des eigenen Lebens
                                                                     Satellites
             angesichts der weiterziehenden Zeit auf dem Film-       Karin Fisslthaler (R), AT 2011, 35mm, 7 min
             streifen zu verdichten, während Ken Jacobs einen        Quiet Zone
             gefundenen, völlig unbearbeiteten Streifen Celluloid    Karl Lemieux & David Bryant (R), CA 2015, digital, 15 min
42                                                                                                                                                    43
POSITIONEN

                  Zugreifen und angreifen                                                                                                     In Kooperation mit

                  Analoger Film, Archiv &
                  dokumentarisches Arbeiten
FOTOFABRIQUE,     Dokumentarisches Arbeiten ist immer auch sichtbar            Im Rahmen dieser Veranstaltung werden Arbeiten
GÄNGEVIERTEL      zumachen, was nicht sichtbar war oder es nie werden          von und mit Rizki Lazuardi und Bernd Lützeler ge-
SA 22.04.         sollte: Mit dem rapide (und fast vollständig) durchge-       zeigt und besprochen. Die Installation »Eastman of
16 UHR            führten Wechsel von analogen Filmproduktions- und            Mr. East on East« von Rizki Lazuardi ist ab dem 19.
GÄSTE:            Präsentationsweisen zum digitalen Medium droht all           April im Festivalzentrum zu sehen. (S. 46)
ALEJANDRO         jenes, das diesen Übergang nicht vollzieht – weil es nicht
BACHMANN,         digitalisiert wurde und somit kaum zeigbar oder weiter       Unterwegs mit Maxim Gorkiy
                                                                               Kolija Kunt/Bernd Lützeler (R), D 2014, 11 min
RIZKI LAZUARDI,   zu bearbeiten ist – beim Schritt aus der Vergangenheit in
                                                                               wird als Super-8-Projektion zur Veranstaltung gezeigt.
BERND             die Gegenwart ins Stolpern zu geraten. Wie so oft sind es
                                                                               Alejandro Bachmann leitet den Bereich Vermittlung, For-
LÜTZELER          Künstler*innen, die sich die Fähigkeiten bewahren, auf
                                                                               schung, Publikationen des Österreichischen Filmmuseums und
                  diese Bilder zuzugreifen, die jenseits von Verwertungs-      schreibt regelmäßig – Schwerpunkt: Dokumentar- und Expe-
                  logiken und ökonomischen Interessen existieren. Wie          rimentalfilm.
                  wird der Zugriff auf ein vermeintlich obsoletes Medium,
                                                                               Bernd Lützeler lebt zwischen Berlin und Mumbai als Künstler
                  die abjekten Seiten der Geschichte filmisch sichtbar und
                                                                               und Filmemacher. Er ist Mitglied des analogen Filmlabors La-
                  verhandelbar gemacht? Mit Initiativen wie dem indone-        borBerlin. Seine Arbeiten drehen sich um Techniken der Be-
                  sischen „Lab Laba-Laba“ und dem „LaborBerlin“ weitet         wegtbildproduktion und -Präsentation im Verhältnis zu Form
                  sich dieses persönliche künstlerische Interesse zu einer     und Wahrnehmung und wurden u.a. im Centre Pompidou, auf
                  Schaffung von Infrastruktur aus, die potenziell Zugriff      der Berlinale, beim IFF Rotterdam und den Views from the
                  auf diese Dokumente einer anderen Ära möglich macht.         Avant-Garde gezeigt.

44                                                                                                                                                                 45
POSITIONEN

               Eastman of Mr. East on East                                             Hashti Tehran
               Rizki Lazuardi, IDN 2015                                                Daniel Kötter (R/K), Iran/D 2016, 60 min, Farsi OmeU
               Installation, Super-8-Film auf Viewer, Loop, ohne Dialog
                                                                                       Als „Hashti“ bezeichnet man in Iran einen rechtecki-      FOTOFABRIQUE,
                                                                                       gen Innenhof, von dem aus die anderen Zimmer des          GÄNGEVIERTEL
RAUM           1975 wird der Journalist Roger East, der den Tod
                                                                                       Gebäudes erreicht werden. Daniel Kötter überträgt         SA 22.04.
LINKSRECHTS,   fünf australischer Kollegen untersucht, in der por-
                                                                                       diese Idee eines Raums auf seine filmische Explora-       18.30 UHR
GÄNGEVIERTEL   tugiesischen Überseeprovinz Osttimor ermordet.
                                                                                       tion der Stadt Teheran. In vier Kapiteln widmet er sich   GAST: DANIEL
MI 19.04.      Wenig später wird das Land von Indonesien annek-
                                                                                       der iranischen Hauptstadt. Ausgehend von der Peri-        KÖTTER
DO 20.04.      tiert. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass
                                                                                       pherie im Norden erkundet er sie in alle vier Him-
FR 21.04.      die Journalisten von indonesischen Spezialeinheiten
                                                                                       melsrichtungen. Die Kamera vermisst und zerlegt           HAMBURG-
SA 22.04.      umgebracht wurden, was jedoch verneint wird. Der
                                                                                       den Stadtraum in Totalen, Fahrten und Schwenks. So        PREMIERE
               Fall versinkt in der Obskurität. Aus dem Archiv des
                                                                                       erschließt sich der Raum nach und nach in seinen un-
EUROPA-        mittlerweile nicht mehr bestehenden Geheimdiens-
                                                                                       terschiedlichen Qualitäten und Verwendungen, in sei-
PREMIERE       tes aus der Zeit der „Orde Baru“ („Neue Ordnung“)
                                                                                       nen sozialen und ökonomischen Zusammensetzun-
               entstammen ein 8mm-Film und eine Karte. Die In-
                                                                                       gen. Im Off: Tonaufnahmen von Gesprächen. Makler,
               stallation untersucht die Rolle und Bedeutung von
                                                                                       die mit potenziellen Käufern sprechen. Anwohner, die
               Dokumenten und ihren Informationen in einer autori-
                                                                                       von Verdrängung und Abwanderung erzählen. So er-
               tären Gesellschaft, die von strenger Zensur und fab-
                                                                                       zeugt »Hashti Tehran« ein differenzierteres Stadtbild,
               rizierter Geschichtsschreibung geprägt ist.
                                                                                       das einen politisch, sozial und ökonomisch struktu-
               Rizki Lazuardi ist indonesischer Künstler, Kurator und Mitglied des     rierten Raum zeigt. Stadt als globales Unternehmen.
               analogen Filmlabors „Lab Laba-Laba“ in Jakarta. In seinen Arbeiten      Stadt als schwindender öffentlicher Raum.
               setzt er sich mit der Bedeutung von Archiven und der Flüchtigkeit von
               Informationen auseinander. Er lebt und arbeitet in Hamburg.

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