I4 dokumentar filmwoche hamburg-23.april20I7 - dokumentarfilmwoche hamburg
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I4 dokumentar filmwoche hamburg 19. – 23. april 20I7 dokfilmwoche.com METROPOLIS LICHTMESS B-MOVIE GÄNGEVIERTEL
dokumentarfilmwoche Impressum Team hamburg dokumentarfilmwoche hamburg e. V. Filmauswahl und Festivalteam: c/o KurzFilmAgentur Hamburg Thorkil Asmussen, Sebastian Bartosch, Die dokumentarfilmwoche Friedensallee 7, 22765 Hamburg Annika Börm, Tim Gallwitz, Rasmus info@dokfilmwoche.com Gerlach, Felix Grimm, Lili Hartwig, Sam hamburg ist das einzige Festival www.dokfilmwoche.com Heinrichs, Sebastian Hofer, Carsten der Region, das sich ganz auf Knoop, Julia Küllmer, Stefanie Ott, den Dokumentarfilm spezialisiert V.i.S.d.P.: Felix Grimm Lina Paulsen, Bernd Schoch, Claudia Redaktion: Ulrich Seiter, Lili Hartwig, Wondratschke hat. In den drei Kinos B-Movie, Annika Börm (Bildredaktion) Organisation: Annika Börm, Grafik: Felix Grimm Felix Grimm, Lili Hartwig Lichtmeß und Metropolis sowie im Inhalt Druck: Drucktechnik Altona Gästebetreuung: Annika Börm Festivalzentrum im Gängeviertel Programmkoordination: Lili Hartwig werden Filme präsentiert, die Impressum........................................ 2 Texte: Alejandro Bachmann, Sebastian Presse: Sebastian Hofer Abfahrt............................................. 4 Bartosch, Annika Börm, Tim Gallwitz, Kopienlogistik: Sam Heinrichs sonst nicht den Weg in die Stadt Rasmus Gerlach, Felix Grimm, Lili Website: Claudia Wondratschke finden würden. Die dokumentar- Eröffnung .......................................... 5 Hartwig, Sam Heinrichs, Sebastian filmwoche hamburg zeigt sowohl Filmprogramm................................. 6 Hofer, Volko Kamensky, Julia Küllmer, Fotonachweise S. 28-37: Stiftung Deut- Lina Paulsen, Bernd Schoch, Ulrich sche Kinemathek – Museum für Film kleine, abseitige und experimen- Abschlussfilm ................................. 25 Seiter, Mark Stöhr und Fernsehen, Arsenal – Institut für telle Dokumentarfilme, die ohne Programmübersicht........................ 26 Film und Videokunst e.V. Fotonachweis S. 40: Sammlung Öster- Senderbeteiligung und Fördermit- Retrospektive Peter Nestler ........... 28 reichisches Filmmuseum/Courtesy of tel entstanden sind, als auch die The Conner Family Trust Spezial ............................................ 38 Fotonachweise S. 42-43: Sammlung Höhepunkte der internationalen Positionen ....................................... 40 Österreichisches Filmmuseum Festivalszene. Ein wichtiger Fokus Kurze .............................................. 48 liegt auf regionalen Produktionen, denn die dokumentarfilmwoche Festivalzentrum .............................. 49 Gefördert von: Filmindex ....................................... 50 hamburg ist seit 2004 als lokaler Treffpunkt für Dokumentarfilm- Infos ................................................ 51 interessierte ebenso einzigartig wie als Plattform für die ansässige Weitere Informationen unter Filmkultur. www.dokfilmwoche.com
ABFAHRT ERÖFFNUNGSFILM Vorsicht an der Bahnsteigkante! Die Dokomotive dampft los. Die Aus westlichen Richtungen Juliane Henrich (R/K), D 2016, 61 min, dt. OF 14. dokumentarfilmwoche hamburg präsentiert an fünf Tagen bis- her nicht Gesehenes und Perlen der Filmgeschichte. Auf der Reise Vorbei an Häuserfassaden, Autobahnausfahrten und METROPOLIS öffnen wir neue Blickwinkel auf den Dokumentarfilm und schaffen Minigolfanlagen gleitet die Kamera durch Deutsch- MI 19.04. Raum für Diskussionen und Diskurse. Wir wünschen nicht nur eine land, genauer gesagt durch Westdeutschland. Denn 20 UHR gute Projektion, sondern hoffen auch auf Widerstände, Spannungen die Überlegung, dass „Westen“ mehr als eine Him- GAST: JULIANE und Perspektivwechsel, denn nicht zuletzt scheint die Frage nach ei- melsrichtung ist, dient Juliane Henrich als Aus- HENRICH ner Vermittlung der Wirklichkeit durch die Medien relevanter denn je. gangspunkt für ihre essayistische Reise durch eine persönliche wie gesellschaftliche Vergangenheit. VORFILM: Wir beziehen Positionen, fördern den Austausch und freuen uns, Es sind die Spuren, die hinterlassen wurden und sich »WARUM IST zu fast allen Filmen in unserem internationalen Filmprogramm in die Gegenwart eingeschrieben haben, denen Hein- KRIEG« VON die Macher*innen begrüßen zu dürfen. Produktionen aus und über richs Interesse gilt. Denn die austauschbare Archi- PETER NESTLER unsere Stadt haben wieder einen festen Platz in unserem Programm – tektur ist ebenso abstoßend wie heimelig. Jägerzäu- 18 min, SIEHE S. 35 Dokland Hamburg. ne und Einfamilienhäuser – Traum und Trauma der BRD. Beobachtungen über Stadtentwicklung, Sied- HAMBURG- Die diesjährige Retrospektive widmen wir Peter Nestler, einem der lungspolitik und Kindheitserinnerungen erzählen von PREMIERE bedeutendsten wie umstrittensten deutschen Dokumentarfilmer, einem heute scheinbar weit entfernten Land. So wird der diesen Sommer seinen 80. Geburtstag feiert. Seit Jahrzehnten der Westen im Film zu einem verlorenen Sehnsuchts- ALS INSTALLATION dokumentiert Nestler mit respektvollem Abstand und politischem ort, in dem „alle noch an das gleiche Fernsehpro- S. 49 und künstlerischem Anspruch Arbeitsleben und Alltagsbedingun- gramm angeschlossen waren“ und der Kapitalismus gen der Menschen. zwar nicht besser, aber doch fassbarer wirkte. Eine Suche nach einer gefühlten Sicherheit, die heute für Über Abfahrtszeiten informieren wir am Schalter im Festival- immer vergangen scheint. zentrum, gleich neben unserem Versackbahnhof dokfilmclub. Feierliche Eröffnung der 14. dokumentarfilmwoche hamburg 4 5
FILMPROGRAMM Streifzüge ins Unbekannte 66 Kinos Philipp Hartmann (R/K), D 2016, 98 min, dt. OF Egal, ob Handkamera oder Stativ, ob geplante Abläufe Mit seinem Essayfilm »Die Zeit vergeht wie ein brül- METROPOLIS oder zufällige Ereignisse: Das dokumentarische Bild lender Löwe« (Eröffnungsfilm der dokfilmwoche SA 22.04. ist nie neutral. Es ist gelenkt von einem Interesse, dem 2013) begab sich Philipp Hartmann von Hamburg 21 UHR Wunsch, zu erkennen und zu verstehen. In einer Zeit, in aus auf eine einjährige Tour durch Deutschland. GAST: PHILIPP der die Angst vor dem und den Fremden zur globalen Mit im Gepäck eine eigens angeschaffte kompakte HARTMANN Krise erklärt wird, erlauben es die Filme im diesjäh- Kamera, mit der er die Liebhaber-Lichtspielstätten rigen Programm, mit ihnen zu erkunden und zu ent- des Landes erkundete. Ob im Alpirsbacher Kloster- DEUTSCHLAND- decken. Sei es auf einer Reise durch die Musikszene der kino, im Münchner Werkstatt-Kino oder im Meldorfer PREMIERE Subsahara, kurdische Kriegsgebiete oder die deutsche Verzehrkino – überall begegnete Hartmann char- Kinolandschaft. Wir besuchen Treffen der AfD in den mant-individualistischen Überzeugungstäter*innen, Stadthallen der Provinz und den Zufluchtshafen junger die das Kulturgut Kino am Leben erhalten. Sichtbar DOKLAN D Roma in der Wiener Nacht. Mal liegt das Unbekannte werden auch die Umbrüche der Branche. In den Vor- HAMBUR G nahe wie in der eigenen Familiengeschichte, mal so führräumen verstauben die 35mm-Projektoren, doch fern wie im Alltag enteigneter Bauern in Kambodscha. die allseits vollzogene Digitalisierung hat die in sie Im Spannungsfeld von Distanz und Eingriff finden die gesetzten Hoffnungen vielerorts nicht erfüllt. Und so Filme ihre eigenen ästhetischen und erzählerischen ist für viele Betreiber*innen ihr Kino eine „Labour of Umgangsweisen, den Prozess der Annäherung im Love“ hart an der Rentabilitätsgrenze. Eine filmische Kinosaal erfahrbar zu machen. Reise durch die deutsche Kinolandschaft abseits der Dokland Hamburg, die dokumentarischen Produk- Multiplexe, ebenso sympathisch handgemacht und tionen aus und über die Hansestadt, zeigen wir mit improvisiert wie der Betrieb vieler der besuchten Unterstützung der Hamburgischen Kulturstiftung. Lichtspielstätten. 6 7
FILMPROGRAMM a story of Sahel Sounds Alter Knacker Florian Kläger/Tobias Adam/Markus Milcke (R/K) Dorothea Ratzel, Markus Fiedler (R/K) D/NIG/USA 2016, 82 min, engl./franz./tamashek OmU D 2017, 48 min, dt. OF Am südlichen Rand der Sahara zirkulieren die Klän- Harry hat jeden Tresor geknackt. Tausend Stück LICHTMESS ge einer so vielseitigen wie produktiven Musikszene: waren es in seiner kriminellen Karriere, vielleicht SA 22.04. Bei Hochzeiten und auf Dorfplätzen mischen sich sogar mehr. Den ersten Bruch machte er mit 18, 18 UHR METROPOLIS traditionelle Rhythmen der Tuareg mit elektrisch ver- in Lübeck war das, der Safe voll mit Schmuck und GÄSTE: FR 21.04. stärktem Blues, Fragmente aus Techno und Hip-Hop Devisen. Später brach er den Tresor einer Wäscherei in DOROTHEA 21 UHR werden auf Keyboards zu treibenden Sphären ver- Itzehoe auf. Darin befanden sich 40.000 Mark in bar, RATZEL, MARKUS GÄSTE: FLORIAN arbeitet. Mit seinem Projekt „Sahel Sounds“, einer es war Harrys größter Coup. Über die Jahrzehnte hat FIEDLER KLÄGER, MARKUS Kombination aus Blog, Plattenlabel und unkonven- er seine Techniken optimiert und wurde zu einem MILCKE tioneller Feldforschung, macht Christopher Kirkley Erfinder des Einbruchs. Lange arbeitete er auf einem WELTPREMIERE dieses Schaffen einem internationalen Publikum zu- Schrottplatz und brach nach der Schicht zu seinen HAMBURG- gänglich. Das Stuttgarter neopan kollektiv hat Kirkley Raubzügen auf. Heute ist der König der Tresore nur DOUBLE- PREMIERE bei seiner Arbeit begleitet. Wir folgen ihm auf eine noch ein alter Knacker. Krank und einsam lebt er in FEATURE MIT Recherchereise von Portland über Nigers Hauptstadt einer kleinen Wohnung auf St. Pauli. Die vielen Jahre »DAS ENDE VOM im Anschluss: Niamey bis nach Agadez, bei der Suche nach Tonauf- im Knast, der häufige Verrat durch Vertraute haben LIED«, S. 14 neopan kollektiv nahmen, die auf Handy-Speicherkarten getauscht an ihm gezehrt. Seine Zunge ist schwer geworden, DOK LAN D DJ-SET IM werden oder in Radioarchiven lagern. Und als der doch seine Finger sind noch flink. Bevor er abtritt, HAMBURG DOKFILMCLUB nigrische Stargitarrist Mdou Moctar zu einer Euro- will es Harry noch einmal wissen – und macht sich patournee aufbricht, wird schließlich auch deutlich, auf zu einem letzten Bruch. welche Grenzen einer anderen, faireren und wirklich globalen Kultur noch gesetzt bleiben. 8 9
FILMPROGRAMM FILMPROGRAMM Austerlitz Brüder der Nacht Sergei Loznitsa (R/K), Jesse Mazuch (K) Patric Chiha (R), Klemens Hufnagl (K) D 2016, 94 min, dt./span./engl. OmU AUT 2016, 88 min, dt./bulgar./romani OmU Menschen in Freizeitkleidung strömen durch ein »Brüder der Nacht« von Patric Chiha führt uns in das B-MOVIE schweres Stahltor. Kurz halten sie inne, um dem ans nächtliche Wien. Eine scheinbar aus der Zeit gefalle- SA 22.04. Ohr gehaltenen Audioguide zuzuhören oder für ein ne Stricherbar, in der junge bulgarische Roma ihre 22.30 UHR Foto zu posieren. „Arbeit macht frei“ steht am Tor. Dienste anbieten, bildet den Ausgangspunkt und das GAST: EBBA Sergei Loznitsa hat seine Kamera den Sommer über topografische Zentrum. Die prekäre Situation der Ju- SINZINGER in KZ-Gedenkstätten aufgestellt. Unbewegte, lange gendlichen im Wahlheimatland bricht sich im künst- (Produzentin) und in schwarz-weiß gefilmte Einstellungen zeigen, lich farbigen Licht der hochstilisierten Bilder, die be- wie die Besucher*innen den Lagerbauten begegnen, wusst an das Kino Fassbinders, Genets oder Angers HAMBURG- METROPOLIS die als Rest vergangener Verbrechen und Schicksale »Scorpio Rising« anknüpfen. Chihas Anliegen war es, PREMIERE SO 23.04. geblieben sind. Wird Erinnerung durch banale Gesten einen Film mit diesen am Rande stehenden Menschen 18.30 UHR und Routinen des Tourismus verhindert? Gibt es stille zu machen – und nicht über sie. Und so schafft dieser GAST: SERGEI Momente aufrichtiger Erschütterung? Was bewahrt energetische Film Bühnenräume, auf denen sie sich LOZNITSA und bedeutet ein Selfie, aufgenommen an einem und ihre Lebensumstände inszenieren können, denn: Sommertag in Dachau oder Sachsenhausen? „Selbst „Auch das Spiel mit der Wirklichkeit erzählt über eine HAMBURG- jetzt, wo ich mich mühe, mich zu erinnern“, klagt der Wahrheit oder Wirklichkeit“, so Chiha. „Es ist keine PREMIERE Erzähler in W.G. Sebalds Roman „Austerlitz“, „löst moralisierende, besserwisserische Stricherballade, sich das Dunkel nicht auf, sondern verdichtet sich bei sondern eine zärtliche, empathische Hymne an die dem Gedanken, wie wenig wir festhalten können, was furchtbare Poesie des (Über-)Lebens und an die Soli- alles und wieviel ständig in Vergessenheit gerät, mit darität unter Geächteten und Außenseitern“, schreibt jedem ausgelöschten Leben.“ Andrey Arnold in „Die Presse“. 10 11
FILMPROGRAMM Cahier Africain Casi Paraíso Heidi Specogna (R), Johann Feindt (K) Pablo Narezo (R/K), MEX/D 2016, 56 min, span. OmU D/CH 2016, 119 min, franz. OmU Ausgangspunkt dieser Langzeitstudie ist ein abgegrif- Es beginnt mit einem verloren gegangenen Rucksack LICHTMESS fenes Schulheft, das der Filmemacherin 2008 bei einer voll mit altem Filmmaterial, der schließlich auf mys- DO 20.04. Recherchereise in die Hände fällt. Es ist gefüllt mit teriöse Weise wieder auftaucht. Die 8mm-Rollen im 21 UHR Fotografien und Zeugenaussagen von 300 Frauen, die Rucksack dokumentieren den Alltag und die Reisen GAST: PABLO 2002 beim Überfall kongolesischer Truppen auf die Zen- der mexikanischen Familie des Regisseurs über drei NAREZO tralafrikanische Republik Opfer von Gewaltverbrechen Generationen. Im Laufe des Drehs kommt durch die wurden. Heidi Specogna begleitet von nun an die allein- Geburt seiner Tochter eine fünfte Generation hin- HAMBURG- erziehende Amzine und das Mädchen Arlette auf Ihrem zu. Dies dient als Anlass, weitere Nachforschungen PREMIERE Weg zurück in eine fragile Normalität. Doch plötzlich in der Vergangenheit anzustellen und sich mit dem DOK LAN D beginnt ein neuer Strudel aus Tod und Gewalt: Musli- aktuellen Geschehen in seinem Heimatland ausein- mische und christliche Rebellen ziehen mordend und anderzusetzen. »Casi Paraíso« ist ein Essayfilm, in HAMBURG METROPOLIS plündernd durchs Land, Menschen suchen Schutz am dem sich 8mm-Material, Tonbandaufnahmen, Fotos, DO 20.04. lokalen Flughafen, fast hilflos patrouillieren franzö- Briefe und eigene Aufnahmen mit großer Leichtig- VORFILM: »DER 21 UHR sische Schutztruppen in den Straßen, während die keit zusammenfügen. Assoziativ gleitet er zwischen EINZELKÄMPFER« GAST: JOHANN Menschen Matratzen und anderes Hab und Gut auf den Zeiten und Orten hin und her und kreiert neue S. 48 FEINDT völlig überladenen Lastwagen festzurren. Mit großer Zusammenhänge. So wird gleichzeitig ein persön- Nähe folgt die Kamera den Protagonist*innen durch liches wie universelles Bild von der Familie des HAMBURG- die Kriegswirren und dokumentiert den unglaub- Filmemachers und vom Leben mit der ständig prä- PREMIERE lichen Überlebenswillen dieser Menschen in einer senten Gewalt in Mexiko gezeichnet. ausweglos erscheinenden Situation. 12 13
FILMPROGRAMM Das Ende vom Lied Deportation Class Julia Küllmer (R/K), D 2016, 45 min, dt. OF Carsten Rau/Hauke Wendler (R), Boris Mahlau (K) D 2016, 85 min, dt.-albanische OmU Als Julia Küllmer beginnt, ihren Großvater zu filmen, Eine Sammelabschiebung in Mecklenburg-Vorpom- METROPOLIS ist er Ende 80 und lebt allein in einem Einfamilienhaus. mern, minutiös vorbereitet und mit erheblichem SA 22.04. DO KL AN D Mit Training, Treppenlift und ein wenig Hilfe kann er Aufwand durchgeführt. In der Nacht aufgeschreckt, 18.30 UHR HAMBURG sein selbstbestimmtes Leben aufrechterhalten. Er werden verängstigte Menschen von Polizeibeamten GÄSTE: musiziert auf der Heimorgel, pflegt die Beete und zum Charterflieger gebracht, Innenminister Caffier CARSTEN RAU, tritt gegen seinen Schachautomaten an. Sein reso- begleitet das Zuführkommando. Man setze geltendes HAUKE WENDLER LICHTMESS luter Charme lässt ihn unerschütterlich erscheinen. Recht um, so lautet das Mantra der Mitarbeiter*innen & TEAM SA 22.04. Aber Ludwig Dreyer ist auch Realist. Seinen Platz im des Rückführungsmanagements. Die Beschwörung 18 UHR Altenheim hat er schon vor Jahren reserviert. Als nach des Rechtsstaates ist zum Gutteil Selbstschutz für HAMBURG- GAST: JULIA einem Krankenhausaufenthalt die Kräfte schwinden, jene, die die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu PREMIERE KÜLLMER steht die Frage dann unweigerlich im Raum: Pflege- verantworten und zu vollstrecken haben. Denn unser heim oder nicht? Rechtsstaat ist für die Rückzuführenden hier nun zu EUROPA- Ohne zu Jammern fügt sich der langsam Vergreisen- Ende, und hinter der nüchternen Behördenbegrifflich- DOK LAN D PREMIERE de in sein Schicksal: „Es wird ja nicht besser.“ Julia keit stehen enttäuschte Hoffnungen und menschliche HAMBURG Küllmer hat die letzten fünf Jahre des Lebens ihres Dramen. Über 20.000 Menschen wurden 2016 aus DOUBLE- Großvaters dokumentiert. Mit genauer Beobachtung Deutschland abgeschoben, Tendenz steigend durch FEATURE MIT und Szenenauswahl zeichnet sie ein zwischen Leich- das System der vermeintlich sicheren Herkunftslän- »ALTER tigkeit und Schwere changierendes Porträt eines der. Was erwartet die Abgeschobenen in der Heimat? KNACKER«, S.9 Menschen, der um seine Unabhängigkeit kämpft und Das Filmteam besucht sie in Albanien, spricht mit niemandem zur Last fallen will. Anwälten, Mitschülern und Lehrern in Deutschland. 14 15
FILMPROGRAMM Der Einzug – Meuthen`s Party Die Geister, die mich riefen Marc Eberhardt (R/K), D 2017, 92 min, dt. OmeU Diana Näcke (R/K), Kathrin Krottenthaler (K) D 2017, 100 min, dt./türk. OmU „Ich seh ja aus wie ein Grüner“, beruhigt sich Jörg Berlin-Neukölln an einem Sommertag: Engin ist auf B-MOVIE Meuthen vorm Gang ins Veranstaltungslokal. Die dem Weg ins Krankenhaus. Er braucht ein Attest, um SA 22.04. Gegendemonstrant*innen werden in ihm, gleichsam nicht zur türkischen Armee zu müssen. Denn Engin 18 UHR Schaf in Jack Wolfskin, schon nicht den AfD-Spitzen- hat eine Mission. Zum ersten Mal seit fast 25 Jah- GAST: DIANA kandidaten erkennen. Geschmeidig manövriert Wirt- ren will er zurück in seine Heimatstadt Edirne, um NÄCKE schaftsprofessor Meuthen durch den Landtagswahl- seine Mutter bei einem Konflikt mit Verwandten zu kampf in Baden-Württemberg Anfang 2016; vermintes unterstützen. Doch es tun sich immer wieder neue HAMBURG- Gelände, immer wieder lassen sich Parteifreund*innen Hindernisse auf – nicht zuletzt durch Engin selbst ge- PREMIERE LICHTMESS zu Äußerungen hinreißen, für die er wortreiche Aus- schaffen. So verwandelt sich die Reise in die Türkei FR 21.04. flüchte finden muss. Der Mann vermeidet jeden zu dem dichten Porträt einer fast unüberbrückbaren 18.00 UHR schrillen Ton und weiß, wann das Mikro eingeschaltet Zerrissenheit. Die nostalgisch verklärte Erinnerung GÄSTE: MARC ist. Eine Wandlung. „Wir sind ja soo wichtig“, kichert an eine Kindheit bei den Großeltern passt nicht mit EBERHARDT, Meuthen über seine plötzliche Popularität und scheint den Kriegserfahrungen seiner Cousins zusammen. THERESA BAZCA, überrascht von der Ergebenheit seiner Mannen. „Ich Engins schnelles Leben in Berlin ist nicht mit den PABLO BEN bremse die Leute eher“, versichert er, grenzt sich ab konservativen Lebensmodellen seiner Familie kom- YAKOV von Pegida und Rassismus, doch zusehends berauscht patibel. Aber es ist das Unverarbeitete und Ungesag- er sich an seiner neuen Wichtigkeit. Um schließlich auf te, das wie ein Geist über allem schwebt und zu En- WELTPREMIERE dem Bundesparteitag erfolgstrunken zu johlen: „Weg gins Antrieb wird. Ob er es selbst weiß, bleibt offen. vom links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland.“ Und wie die Regisseurin nehmen wir den Beifahrersitz Es ist doch ein Wolf in Funktionsjacke. ein und folgen ihm auf seinen Wegen. 16 17
FILMPROGRAMM ER SIE ICH Mme Saïdi Carlotta Kittel (R), Andac Karabeyoglu (K) Bijan Anquetil/Paul Costes (R/K) D 2017, 87 min, dt. OF F 2016, 59 min, farsi OmeU Schon bevor die Filmemacherin zur Welt kam, haben „Ich bin die Mutter eines Märtyrers, ich bin eine B-MOVIE ihre Eltern den Kontakt zueinander abgebrochen. Car- Schauspielerin. Zögern Sie nicht, mich zu kontaktie- SA 22.04. lotta Kittel stellt ihrer Mutter und ihrem Vater getrennt ren…“ Die Franzosen Bijan Anquetil und Paul Costes 20.30 UHR vor der Kamera Fragen zur gemeinsamen Vergangen- drehen gerade einen Dokumentarfilm über den schi- GAST: BIJAN heit. Danach zeigt sie die Aufnahmen dem jeweils an- itischen Märtyrerkult, als sie auf der Straße im Süden ANQUETIL, PAUL deren. Die Eltern reagieren auf das Gesagte, kommen- Teherans von Madame Saïdi angesprochen werden. COSTES tieren die Version der anderen Seite und stellen ihre Sieben Jahre später reisen die beiden zurück nach eigene gegenüber. Die beiden Sichtweisen weichen Iran, um der resoluten über 70-jährigen Dame einen DEUTSCHLAND- voneinander ab, teilweise widersprechen sie sich und Film zu widmen. Und der verwebt auf geschickte und PREMIERE METROPOLIS immer wieder tun sich schwerwiegende Gedächtnis- amüsante Weise die beiden Rollen, die Mme Saïdi SO 23.04. lücken auf – oder sind es eher „Gedächtnislügen“? zugewiesen werden: Protagonistin eines Dokumen- 16 UHR Durch die genauso einfache wie stringente Form des tarfilms mit TV-Schauspielerfahrung und Märtyrer- GAST: CARLOTTA Films entwickelt sich eine Dynamik zwischen den mutter in der schiitischen Gesellschaft Irans. Darüber KITTEL & TEAM Eltern, die den Eindruck eines Austausches erzeugt. hinaus gibt der Film einen sehenswerten Einblick in „Uns in einen Dialog setzen – ich wüsste nicht, wie das ihre Alltagswelt im Teheraner Wohnviertel Ali Abad. HAMBURG- gehen soll“, sagt die Mutter gegen Ende des Films. Da- Später im Film unterhält sich Mme Saïdi mit einem PREMIERE rauf erwidert die Regisseurin: „Nicht in echt, im Film.“ Taxifahrer: „Sie machen einen Dokumentarfilm, aber Und vor dem inneren Auge des Betrachtenden ent- was heißt das schon wirklich, Dokumentarfilm?“ spinnt sich aus dem Dialog der Erinnerungen ein ganz eigener Film über ein Elternpaar, das „nie eines war“. 18 19
FILMPROGRAMM Mirr Moghen paris – und sie ziehen mit Mehdi Sahebi (R/K) Katharina Copony (R/K), Stefan Neuberger (K) CH 2016, 90 min, bunong/khmer OmeU AUT 2016, 61 min, dt. OF Seit vielen Jahren werden Kleinbäuer*innen in Kam- Es beginnt in einem Wald aus Korkeichen. Die Bäu- B-MOVIE bodscha durch Großgrundbesitzer, unterstützt vom me wirken wie verwunschen und aus der Zeit gefal- FR 21.04. Militär, gewalttätig enteignet. Dieses Schicksal ereilt len und verleihen dem Filmbild eine Textur. Doch sie 22.30 UHR auch Sahebis Protagonist Binchey und seine Familie. tragen die Wunden des menschlichen Eingriffs, der GAST: Sie sind Mitglieder der ethnischen Minderheit der ihre Stämme bloßlegt. An den Häuserwänden eines KATHARINA Bunong, ein schriftloses Volk, das unter Diskrimi- kleinen Dorfes deuten einzelne Handabdrücke das COPONY nierung leidet. Der Existenzgrundlage beraubt, be- Kommende an. Und dann ziehen sie ein. Mit schwarz METROPOLIS gibt sich Binchey mit seinem Motorrad auf die Suche bemalten Gesichtern, Fellen und Perücken erobern DEUTSCHLAND- DO 20.04. nach einem freien Feld. Sahebi Mehdi inszeniert dies sie den Ort. Sie wirken archaisch, wären nicht die PREMIERE 18.30 UHR mit den Dorfbewohner*innen zusammen als epische Artefakte unserer Zeit, die in das Geschehen einge- GAST: MEHDI Heldenreise und erzählt so die Geschichte eines bunden sind. Angeknüpfte Schweineohren lassen das SAHEBI Landraubs und seiner Folgen. Das Ergebnis ist ein Küchensieb zur Kopfbedeckung werden, eine kaputte vielschich-tiger Film, der versucht, die innere Sicht Herdplatte wird am Band durch die Gassen gezogen. VORFILM: HAMBURG- der Vertriebenen und deren Nöte zu beleuchten und Es wird zerstört, denn darum geht es. Es ist das Ende »a continental PREMIERE gleichzeitig Fragen nach Formen der Widerständig- des Winters, genauer der Aschermittwochskarneval, feast for the eyes keit, der Ausdrucksmöglichkeiten und Repräsen- der den Anlass für das Treiben bietet. Hier feiert die and the ears« tation in den Mittelpunkt stellt. sardische Bevölkerung ein Ritual, dessen Zeichen für S. 48 Außenstehende fremd wirken und doch einen rausch- haften Sog auf der Kinoleinwand entwickeln. 20 21
FILMPROGRAMM Paradies! Paradies! Surire Kurdwin Ayub (R/K), AUT 2016, 78 min, kurd./dt. OmeU Bettina Perut/Ivan Osnovikoff (R/K) CHL/D 2015, 80 min, span./aymara OmU Die Sonne scheint auf den frisch gemähten Rasen, Der Salzsee Surire, 4300 Meter hoch in den Anden METROPOLIS von einem Spielplatz hallen Kinderstimmen herüber. zwischen Chile und Bolivien gelegen. Hierher reicht SO 23.04. Hinter einer Mauer reihen sich Neubauvillen bis zum das Funksignal nur an guten Tagen. Es ist so brü- 13.30 UHR Horizont. Das hier muss das Paradies sein. chig wie die Hornhaut unter den Füßen der wenigen GAST: DIRK Kurdwin Ayub läuft mit der Kamera durch Dohuk im Menschen, Nachfahren der indigenen Urbevölke- MANTHEY Nordirak. Sie filmt ihren Vater. Der möchte in seiner rung, die noch dageblieben sind. Ein altes Paar – er (Produzent) früheren Heimatstadt unbedingt eine Wohnung kau- hört schlecht, sie sieht nicht gut. Als die beiden für fen. Er träumt davon, endlich wieder hier zu leben. ein paar Tage verreisen, hütet ein Junge ihre Lamas. DEUTSCHLAND- Eine Sehnsucht, die seiner Tochter seltsam fremd Sein Lohn: ein rostiges Rad. Doch er kann gar nicht PREMIERE LICHTMESS bleibt. Denn ihre Eltern haben schon eine Wohnung Radfahren. Eine Neunzigjährige verflucht ihr Alter SA 22.04. in Wien. Ayub dokumentiert Besichtigungstermine und verpasst ihrem Hund einen waghalsigen Haar- DO KL AN D 20.30 UHR und Besuche in Maklerbüros; beharrlich meldet sie schnitt. In das Flüstern des Windes mischt sich der HAMBURG GAST: aus dem Off ihre Zweifel an. Dann dringt eine andere Lärm der Ökonomie. Auf der anderen Seite des Sees LIXI FRANK Wirklichkeit in die Bilder: Nur wenige Kilometer vor wird Salz abgebaut. Ein Konvoi von Lastwagen wälzt (Produzentin) der Stadt kämpfen kurdische Soldat*innen gegen den sich an den Flamingos vorbei, endlos und massiv. Ein „Islamischen Staat.“ Aufnahmen von Familienalltag Film voller atemberaubender Totalen und aberwitzi- HAMBURG- und Front begegnen sich, die Selbstinszenierungen ger Close-ups – über die Schönheit und den Schwund PREMIERE ihrer Protagonist*innen werden einander ähnlich. Ein einer Landschaft und Kultur. Reisefilm als vielschichtiges Porträt zweier Generati- onen, die um ihr Verständnis von Heimat ringen. 22 23
FILMPROGRAMM ABSCHLUSSFILM The Dazzling Light of Sunset Eldorado XXI Salomé Jashi (R/K), GEO/D 2016, 74 min, georg. OmeU Salomé Lamas (R), Luis Armando Arteaga (K) P/F 2016, 125 min, span./quechoa/aymara OmeU Sie berichten über neu angelegte Gehwege und einge- Seit der Bronzezeit graben Menschen nach Boden- METROPOLIS fangene Eulen, Hochzeitsfeiern und Beerdigungen: Das schätzen, doch mancherorts haben sich die Produk- SO 23.04. Team des Fernsehsenders „Jikha TV“ macht das Leben tionsverhältnisse seither wenig verbessert. Das peru- 21 UHR in der westgeorgischen Provinz zu Nachrichten. Dariko anische La Rinconada, auf 5000 m Höhe in den Anden Beria, zugleich Reporterin und Moderatorin, sucht mit gelegen, ist ein solcher Ort. Das Goldfieber hat eine HAMBURG- dem Camcorder dringend benötigte Geschichten oder Ansammlung sich aneinander duckender, armseliger PREMIERE verhandelt am Schreibtisch den Preis für Traueran- Blechhütten entstehen lassen. Frauen zerschlagen am zeigen. Mit ihr begibt sich Regisseurin Salomé Jashi in Steilhang mit primitivem Werkzeug Geröll. Unkom- den Alltag einer Region zwischen sorgsam bewahrter mentiert bleibt der Blick einer Überwachungskame- LICHTMESS Tradition und unübersehbarer Veränderung. Volks- ra lange stehen und wird später mit Erzählungen der FR 21.04. tänze werden aufgeführt, die Proben für eine Moden- Mineros unterlegt. Unaufhörlich zieht der Strom der 20.30 UHR schau laufen unter Hochdruck. Zu den anstehenden Lumpenproletarier an der Kamera vorbei. Unkennt- GAST: SALOMÉ Regionalwahlen diskutieren Männer und Frauen im liche Figuren schleppen das Ergebnis ihrer Mühsal den JASHI Studio getrennt voneinander. Sorgfältig komponierte Hang entlang. So wird »Eldorado XXI« zu großem Kino. Einstellungen lenken den Blick auf die Bühnen, auf Mit Neugier und Geduld begegnet die Portugiesin Salo- HAMBURG- denen Menschen in religiösen, kulturellen und politi- mé Lamas dem Berg und seinen Mythen. Tief unten in PREMIERE schen Ritualen ihrer Selbstinszenierung nachgehen. den Stollen sollen Geister wohnen, und nur der Genuss Ein Film über den Lokaljournalismus – und das Streben von Kokablättern lässt die Angst vor Einstürzen in der nach Würde, das zwar manchmal hochkomisch, aber nie Grube überwinden. Am Ende des Tunnels wird im Dorf lächerlich ist. aber auch gefeiert – unser Abschlussfilm. 24 25
PROGRAMMPLAN Mittwoch /// 19.04. Donnerstag /// 20.04. Freitag /// 21.04. Samstag /// 22.04. Sonntag /// 23.04. 13.30 Uhr »Retrospektive« GÄNGEVIERTEL Warum ist Krieg // Aufsätze // Verteidigung der Zeit S. 33 on Installati 14.30 Uhr 16.00 Uhr »Positionen« m li n k srechts, Rau rtel »Positionen« Wo Feuer Analoger Film, Archiv und Gängevie ist, ist auch Rauch dokumenarisches Arbeiten k i L az u ardi & Riz S. 41 S. 44 enrich Juliane H 18.30 Uhr D o- S a »Positionen« Hashti Tehran S. 47 13.30 Uhr METROPOLIS Surire S. 23 16.00 Uhr 16.00 Uhr »Retrospektive« 16.00 Uhr »Positionen« Ausländer Teil 1, Schiffe und Er Sie Ich Durch den Film Kanonen // Spanien! S. 42 S. 36 S. 18 18.30 Uhr 18.00 Uhr »Spezial« 18.30 Uhr 18.30 Uhr Mirr 5Islands Deportation Class Austerlitz Eröffnungsfilm S. 20 S. 39 S. 15 S. 10 20.00 Uhr 21.00 Uhr 21.00 Uhr 21.00 Uhr 21.00 Uhr Aus westlichen Richtungen Cahier Africain a story of Sahel Sounds 66 Kinos Abschlussfilm: S. 5 S. 12 S. 8 S. 7 Eldorado XXI S. 25 18.00 Uhr »Retrospektive« 18.00 Uhr 14.00 Uhr »Spezial« B-MOVIE Ein Arbeiterclub in Shef- Die Geister, die mich riefen 5 Bemerkungen zum field // Zeit S. 31 S. 17 Dokumentarfilm S. 38 20.00 Uhr »Retrospektive« 20.30 Uhr 16.30 Uhr »Retrospektive« Am Siel // Pachamama – Mme Saïdi Von Griechenland // Tod und Unsere Erde S. 32 S.19 Teufel S. 37 22.30 Uhr 22.30 Uhr Moghen paris – und sie Brüder der Nacht ziehen mit // a continental feast... S. 21 S. 11 LICHTMESS 18.00 Uhr »Retrospektive« Ödenwaldstetten // 18.00 Uhr Der Einzug – Meuthen´s 18.00 Uhr Das Ende vom Lied // Alter Die Hohlmenschen // Party Knacker Zigeuner sein S.30 S. 16 S. 14 // S. 9 21.00 Uhr 20.30 Uhr 20.30 Uhr Casi Paraíso // The Dazzling Light of Paradies! Paradies! Der Einzelkämpfer S. 13 Sunset S. 24 S. 22 26 27
RETROSPEKTIVE PETER NESTLER Retrospektive Peter Nestler – und taube Glaube an einen direkten Zugang zur Rea- GAST BEI ALLEN Indirect Cinema lität mittels synchronen Bild- und Tonaufzeichnungen VORSTELLUNGEN: – Ersteres unter Dokumentarfilmer*innen, Zweiteres PETER „Die Ohren der Leute, die Filme sehen, sind unter Hersteller*innen und Konsument*innen von NESTLER verstopft vom Dreck, den man ihnen liefert, und die Nachrichtenmedien. Peter Nestler scheint dies nie Ohren der Leute, die Filme machen, sind verstopft so recht überzeugt zu haben. Er macht es anders – KURATOREN: vom Dreck aus ihren Hirnen.“ (Peter Nestler, 1966) und das seit mehr als 50 Jahren und rund 70 Filmen. RASMUS GERLACH, Nahezu singulär ist die Qualität seiner Kommen- FELIX GRIMM, ERÖFFNUNG: Peter Nestler, das ist der Filmemacher, von dem der tare, die zwar von ihm selbst eingesprochen, doch VOLKO KAMENSKY, LICHTMESS französische Filmkritiker Michel Delahaye sagte, nie privatistisch geraten. Aussagen Dritter werden BERND SCHOCH DO 20.04. er sei der größte gegenwärtige Dokumentarist. Das häufig in indirekter Rede wiedergegeben, hin und 18 UHR war 1965 und Peter Nestler hatte gerade einmal fünf wieder bleibt offen, wo wessen Statement beginnt SIEHE S. 30 Kurzfilme fertiggestellt. Das Erstaunliche an dieser und aufhört. Nicht etwa, um wichtige Spuren zu ver- Einschätzung ist, dass sie in eine Zeit fällt, in der wischen, sondern vielmehr, um zu einer größeren das Direct Cinema mit seinem neu entdeckten Ein- inhaltlichen Präzision zu finden, mitunter gar, um die satz von Handkamera und Synchronton als Befreierin Protagonist*innen zu schützen. Wo die Mehrheit der des Dokumentarfilms gefeiert wird. Man hoffte, sich Filmemacher*innen auf „Continuity“ und somit auf nun mittels Kamera und Tonbandgerät einer „reinen Anschlüsse bedacht ist, verzichtet Nestler auf diese Beobachtung“ anzunähern und sich endlich von der und macht ein Fest daraus, Töne auf Bilder treffen vorherrschenden und als autoritär empfundenen zu lassen oder einfach Bilder auf Bilder. Und so lässt Kommentarstimme befreien zu können. Das grund- Nestler die Gedanken über Bande laufen, ohne je die sätzliche Misstrauen gegenüber der Kommentar- Achtung vor den Protagonist*innen, vor sich selbst stimme hat sich bis heute erhalten, ebenso der blinde und seinem Publikum zu verlieren. 28 29
(C) Suhrkamp Verlag RETROSPEKTIVE PETER NESTLER Ödenwaldstetten Ein Arbeiterclub in Sheffield Peter Nestler/Kurt Ulrich (R/K), BRD 1964, 36 min, 16mm, dt. OF Peter Nestler (R), Dirk Alvermann (K), BRD 1965, 16mm, 40 min, dt. OF TRIPLE- Auf der Schwäbischen Alb hat Nestler sich vor Dreh- Peter Nestler dreht für den Süddeutschen Rundfunk FEATURE beginn einen Monat bei einem Bauern einquartiert und in einem Arbeiterclub in Sheffield – einem genossen- recherchiert, mitunter die Aussagen des Mannes wort- schaftlich organisierten Modell der Witwen- und Wai- LICHTMESS wörtlich stenografiert. Im Dorf Ödenwaldstetten stößt senkasse, aber auch Feierabendlokal und vor allem DO 20.04. er auf die verborgenen Spuren des Faschismus inner- Treffpunkt für selbstgemachte Musik. Dies realistische 18 UHR halb der Alltagskultur der Nachkriegsgesellschaft. und doch vergnügte Dokument der britischen Arbei- GAST: PETER terkultur sollte nach dem Willen des Senders über DOUBLE- Die Hohlmenschen NESTLER einen erklärenden Kommentar all das verbinden, was FEATURE Peter Nestler (R), Etgar Keret (B), SE/ISR 2015, 4 min im Film einfach in Blöcken nebeneinandergestellt ist. © Storyvid 2015. Anhand eigener und vorgefundener Werke (Tusch- Story by Etgar Keret. Nestler beharrt und bekommt keine Folgeaufträge. B-MOVIE Executive Producers: zeichnung, Malerei, Holzschnitzerei, Musik, Text) wird Etgar Keret, Dov FR. 21.04. Alfon & Hamutal eine Kindheit erzählt und die Kluft zwischen Gebor- Gur. This project was Zeit 18 UHR co-produced with the genheit und Bodenlosigkeit durchmessen. Goethe Institut Israel. Peter Nestler (R/K), Zsóka Nestler (R), D 1992, 42 min, dt. OF GAST: PETER Zigeuner sein Zsóka Nestler bringt Künstler*innen vor der Kamera NESTLER Peter Nestler (R/K), Zsóka Nestler (R/B), SE 1970, 47 min, 16mm, DF zum Sprechen, die gemeinhin als naiv abgetan wer- Die Spurensuche unter den in Deutschland und Öster- den. Es zeigt sich, dass ihre Kunst als Gegenpro- reich lebenden Roma beginnt mit Bildern des Malers Otto dukt auszehrender jahrzehntelanger Erwerbstätig- Pankok und führt zu Berichten von Überlebenden der NS- keit entsteht. Sie schnitzen, malen und bildhauern Vernichtungsmaschinerie, die vergeblich auf ein Leben in unter Einbringung ihrer Lebensgeschichte, und ihre Würde hoffen. „Nestlers unheimlichster Film, da er den Schöpferkraft scheint direkt der erlebten Zeit abge- Zuschauer mit der Vorstellung konfrontiert, dass es von trotzt zu sein. Film und dargestellte Kunst werden zu der Diskriminierung bis zur Ausrottung einer Volksgruppe Kompliz*innen über ihre je eigene feine Kritik gesell- nach wie vor nur ein kleiner Schritt ist.“ (Frank Scurla) schaftlicher Bedingungen. 30 31
RETROSPEKTIVE PETER NESTLER Am Siel Peter Nestler/Kurt Ulrich (R/K), Robert Wolfgang Schnell (B) Voice-over? Voice-under? BRD 1962, 16mm, 13 min, dt. OF Voice-aside? Nestlers erster Film, ein Porträt eines Dorfes am Meer, Gemeinhin wird behauptet, ein Kommentar würde im DISKUSSION UND irritierte sofort nach Erscheinen. Obwohl oder gerade Film unter oder auch über die Bilder gelegt werden. FILMPROGRAMM weil ihm eine nahezu kindliche Erfindung zugrunde Ganz so, als sei eine solch hierarchische Ordnung liegt, die den Filmkommentar aus der Perspektive eines – also eine zwischen einem dominanten und einem FOTOFABRIQUE, Siels erzählen lässt: „Ich altes Siel ziehe leise ins Meer, unterlegenen Element – etwas, das dem Wesen der GÄNGEVIERTEL und wenn meine Wasser sich mit ihm unlöslich ver- Filmkunst bereits auf natürliche oder zumindest SA 22.04. bunden haben, treffe ich draußen einen vom Siel, einen zwingende Weise eingeschrieben wäre. 13.30 UHR DOUBLE- kleinen Matrosen, den ich mit meinen alten Wassern er- Peter Nestler verweist mit seinen Produktionen seit GAST: PETER FEATURE zogen habe, dem Meer zu vertrauen und seinem Schiff.“ Jahrzehnten auf ein anderes, mögliches Verhältnis: NESTLER Pachamama – Unsere Erde eines, das Kommentar und Bild gleichberechtigt ne- B-MOVIE Peter Nestler (R), Rainer Komers (K), D 1995, 90 min, dt. OF beneinander stellt. Dabei scheint mit jeder Produkti- FR 21.04. Der Kamerablick folgt Bewässerungskanälen, on das Verhältnis zwischen Ton und Bild neu ausge- 20 UHR Gebirgsbächen, Strömen. Ein starker Regenguss fochten zu werden. Jean-Marie Straub schreibt über GAST: PETER und ein anschwellender Fluss spülen Kunstschätze die Sequenz eines Massenauflaufs in »Von Griechen- NESTLER frei – vor Jahrhunderten vergraben, um sie der Gier land« (BRD 1965): „Genial war, dass die Slogans der spanischer Eroberer zu entziehen. Peter Nestler be- Menge nicht mit direktem Ton aufgenommen waren. reist Ecuador an geologischen, kulturellen und öko- Wenn ich das sage, bedeutet das etwas, weil ich fast nomischen Bruchkanten: „Der Weg in die Altstadt, ein Apostel des direkten Tons bin. Die geniale Intu- es ist Sonntag. Hier wohnen keine reichen Leute. ition lag darin, daß die Slogans nur im Kommentar Die kommen nicht mal her, sagen, es sei unsicher.“ gesprochen wurden, von ihm. Er wiederholte, was Unvermittelt, großartige Musik. die Leute gesagt und geschrieben haben.“ Und tat- 32 33
RETROSPEKTIVE PETER NESTLER sächlich gelingt hier etwas sehr Unwahrscheinliches: Drei Filme werden vorgeführt und zur Diskussion stehen: Mehrstimmigkeit, eingesprochen von nur einer Stimme. Woher stammt das Interesse an Mehrstimmigkeit? Warum ist Krieg? Warum sich die Arbeit machen, vielen Stimmen zu Peter Nestler (R/K), Zsóka Nestler (R/B), SE 1969/70, 18 min, dt. OF DISKUSSION UND lauschen? Warum immer wieder aufs Neue die Ver- „Manche sagen, Krieg hat es immer gegeben, es wird FILMPROGRAMM hältnisse zwischen den filmischen Elementen unter- immer Krieg geben. Wenn sie so reden, geben sie sich suchen? Sie umverteilen? selbst auf, oder sie wollen die Leute betrügen. (…) FOTOFABRIQUE, Viele Dokumentarfilmer*innen betonen heute, ihre Krieg wird vorbereitet, und das braucht Zeit.“ GÄNGEVIERTEL Filme seien rein subjektive Interpretationen der SA 22.04. Aufsätze Wirklichkeit. Um einen Anspruch auf Objektivität 13.30 UHR Peter Nestler/Kurt Ulrich/Marianne Beutler (B), Peter Nestler/ könne es nicht mehr gehen. Nestler hingegen scheint Kurt Ulrich (R/K), BRD 1969/70, 18 min., dt. OF GAST: PETER schon früh eine Ahnung davon gehabt zu haben, dass NESTLER Ein Film mit und nicht lediglich über Kinder. Entstan- die Qualitäten einer Subjektivität erst voll zur Gel- den als Kooperation mit den Schüler*innen und der tung kommen, wenn sie mit einem gewissen Maß Lehrerin einer Dorfschule im Berner Oberland. Die an Objektivität unter Spannung gesetzt werden. Und Schüler*innen verlesen ihre Aufsätze. Das kostet so beschreibt er seine Arbeit als Bemühung „der Mühe, doch was ist das schon, wenn man zu Fuß kilo- Sache, die ich mir vorgenommen hatte, auf den meterlange Schulwege in 2000 Metern Höhe meistert. Grund zu kommen. Ich habe versucht, den (für mich) kürzesten Weg zu finden und das Wichtigste der Sache Verteidigung der Zeit zu zeigen: zum Erkennen, zum Wiedererkennen und Peter Nestler (R/B), Reiner Komers (K), D 2007, 25 min., dt. OF um mit vielen zu sagen, dieses gehört geändert, oder Daniele Huillet und Jean-Marie Straub bei der Arbeit jenes soll bewahrt werden, oder nicht übersehen“. an ihrem letzten gemeinsamen Film »Quei loro incontri« (»Jene ihre Begegnungen»). 34 35
RETROSPEKTIVE PETER NESTLER Ausländer. Teil 1. Schiffe und Kanonen Tod und Teufel Peter Nestler (R/K), SE 1976, 44 min, 16mm, DF Peter Nestler (R/K), D/SE 2009, 54 min, dt. OF Deutsche und belgische Arbeiter, in ihren krisenge- Eine Spurensuche anhand des Bild- und Textarchivs des DOUBLE- schüttelten Ländern ohne Einkommen, wurden zur schwedischen Adligen Eric von Rosen, der Anfang des FEATURE Hansezeit angeworben, um die schwedische Wirtschaft 20. Jahrhunderts Expeditionen nach Afrika und Süd- anzukurbeln. Ihre Kenntnisse im Abbau von Eisenerz, amerika unternahm. Schon früh wird das Gepäck mit B-MOVIE dem Bau von Hochöfen und schweren Waffen verhelfen Hakenkreuzen „verziert“. Großwild wird erlegt, mensch- SO 23.04. Schweden zu Reichtum und Macht. Heute arbeiten in liche Körper aus „rassischem“ Interesse vermessen und 16.30 UHR Belgien auch viele Ausländer*innen in der Rüstungs- aufwendig hergestellte traditionelle Kleidungsstücke GAST: PETER industrie, um sich und ihren Familien den Unterhalt gegen Glasperlen getauscht. Und doch scheint hin und NESTLER zu sichern. „Wir wollen Arbeit, nicht Arbeitslosigkeit“ wieder überraschend Empathie durch. Ein widersprüch- steht auf einem Plakat. liches Porträt des Großvaters von Peter Nestler. DOUBLE- FEATURE Spanien! Von Griechenland Peter Nestler (R/K), BRD 1973, 43 min, 16mm, dt. OF Peter Nestler (R/K)/Reinald Schnell (R), BRD 1965, 28 min, dt. OF METROPOLIS Mit der Erzählung der Verteidigung der bürgerlichen Griechenland – Wiege der Demokratie, und doch im- SA 22.04. Demokratie Spaniens gegen den Faschismus hat sich mer wieder um seine demokratischen Rechte betrogen 16 UHR die Bundesrepublik immer schwergetan. Kommunis- – ist das Ziel einer Reise. Sie führt zunächst zurück zu GAST: PETER ten verteidigen die Demokratie – das passte und passt einer Zeugin des Massakers von Distomo durch Ange- NESTLER nicht in die gängigen Narrative, auch nicht in Finnland, hörige der SS und landet ohne Umschweife mitten in Schweden oder Ungarn. Nestler sucht 1973 europa- den Demonstrationen gegen die verfassungswidrige weit ehemalige „Spanienfreiwillige“ auf. Er besucht Entlassung des Präsidenten im Jahr 1965. Ein Film Spanien, wo an den Küsten der Tourismus boomt und ohne Originalton. Immer wieder stumm. Man sieht nur, Hotels und Bungalows sprießen. Im Hinterland: zer- wie die Menschen sprechen und gestikulieren, meint schossene Bauernhäuser, liquidierte Dörfer. aber, sie genau gehört zu haben. 36 37
SPEZIAL 5 Bemerkungen zum Dokumentarfilm 5Islands DOKLAN Klaus Wildenhahn (R), Gisela Tuchtenhagen (R/K) Div. Regisseure, D/IDN 2016, 102 min, OmeU D D 1974, 53 min, dt. OF HAMBUR Auf Einladung des Goethe-Instituts reisten im Frühjahr G Das Fernsehen mit den Mitteln eines Fernsehfilms 2016 junge Hamburger Filmemacher der Hochschule SPEZIA L kritisieren – geht das? Der WDR strahlte Mitte der 70er für Bildende Künste nach Indonesien, um hier gemein- B-MOVIE Jahre die Reihe „Telekritik“ aus, in der das Medium sam mit Studenten der Universitas Indonesia die Re- SO 23.04. METROPOLIS selbst zum Thema wurde. Wildenhahn und Tuchten- alitäten abseits der urbanen Metropolen zu erkunden. 14 UHR FR 21.04. hagen nahmen das WDR-Fernsehen unter die Lupe. Entstanden sind filmische Arbeiten, die fünf der über GÄSTE: KLAUS 18 UHR Der besondere Film spannt den Bogen von Klaus 16.000 Inseln des Landes betrachten. Die persönlichen WILDENHAHN, MIT ALLEN Wildenhahns biografischen Notizen über seine Kind- Perspektiven auf die Orte sind dabei so divers wie die GISELA REGISSEUR*INNEN heit im Nachkriegsdeutschland bis hin zu Peter Eilande selbst. So entsteht ein kaleidoskopisches Por- TUCHTENHAGEN, & WEITEREN Nestlers Emigration nach Schweden. Das von den trät eines Landes zwischen Traditionen und Moderne, PETER NESTLER GÄSTEN Besatzern installierte öffentlich-rechtliche Fern- Alltag und religiösen Konflikten. sehsystem war intolerant geworden und kannte kein DOKLAND Boats Pardon. In der zweiten der fünf Bemerkungen geht es Yannick Kaftan (R/K), 14 min, bajau OmeU Mit freundlicher HAMBURG um Kameramann Rudolf Körösi und die freie Arbeit Unterstützung der S P E Z I A L an einem Thema ohne Drehbuch. Bobanehena Anna Walkstein (R/K), 34 min, teranate OmeU Im dritten Kapitel wird das Vorbild der englischen Rote Malam Dokumentarfilmschule als kollegiale Zusammenar- Samuel Parkes Heinrichs (R/K), 25 min indonesische/rotinesische OmeU beit zu einem gesellschaftlichen Labor. Der Film be- kommt utopische Züge. Im Epilog wird Wildenhahns Reda Mata Max Sänger (R/K), 19 min, laura/loli OmeU Doku »Die Liebe zum Land« zitiert, die wir am 19. Juni zum 87. Geburtstag des Regisseurs im 3001 zeigen. Selarus Dream Marko Mijatovic (R/K), 16 min, ambonesisch OmeU 38 39
POSITIONEN Positionen – Wo Feuer ist, ist auch Rauch Von den Prozessen des Sichtbaren Volker Köster (R), D 2016, 29 min, dt./franz. OmU Im vergangenen Jahr riefen wir mit unserer neuen 18. Mai 2015: Der Brandanschlag auf ein Polizeiauto FOTOFABRIQUE, Veranstaltungsreihe „Positionen“ zum Reden und in Paris ist die Topmeldung des Tages. Im Zuge der GÄNGEVIERTEL Nachdenken über Dokumentarfilm auf. Den Aus- anhaltenden Proteste gegen die geplante Arbeits- FR 20.04. tausch über die vielseitigen Ansätze des dokumen- marktreform kam es zu Ausschreitungen. Wäh- 14.30 UHR tarischen Arbeitens möchten wir fortführen und rend auf dem Place de la République rund tausend GAST: VOLKER KÖSTE laden zur Diskussionsrunde, zu Filmgesprächen, ins Ordnungshüter*innen ein härteres Vorgehen gegen Kino und erstmalig auch zu einer Installation. Alle gewaltbereite Demonstrant*innen fordern (eine ange- HAMBURG- Arbeiten der Reihe verbindet die Frage nach dem meldete Gegendemonstration wurde nicht genehmigt), PREMIERE Sichtbarmachen. Sei es durch das Hinterfragen der zünden vermeintliche Randalier*innen unweit der Ver- journalistischen Verwertungskette von Protestbil- anstaltung einen Streifenwagen an und attackieren dern, welches die aktuelle Krise der medialen Glaub- einen Insassen. Ein verbreitetes Handyvideo wird ta- würdigkeit abbildet, oder durch das konzeptuelle gelang in den französischen Nachrichten gezeigt und beobachtende Annähern an einen Stadtraum, das von analysiert. „Das nennt man versuchten Mord, das ist gesellschaftlichen Umbrüchen berichtet. Es geht um barbarisch. Die Bilder sprechen für sich“, so ein das Offenlegen und Bewusstmachen und auch um Sprecher der Polizei. den Film als Material selbst. Die ästhetischen Konse- Doch was ist wirklich passiert? Wurde hier mit ge- quenzen des analogen Arbeitens auf die dokumenta- schickten Schnitten etwas vertuscht? Volker Köster rische Form betrachten wir in einem Filmprogramm hat andere Quellen konsultiert, ausgewertet und historisch und diskutieren, wie Labore und Initiativen kommentiert seine Version des Vorfalls mit Textein- dieses klassische Filmbild künstlerisch und politisch blendungen. „Ein Film über journalistische Sorgfalts- bewahren und zugleich neu schaffen. pflicht und deren Verletzung.“ (Ruhr Nachrichten) 40 41
POSITIONEN Durch den Film – Kader, Körper, zum »Perfect Film« erklärt. Das Umkopieren von Haut und die dokumentarische Form Internetfundstücken auf 35mm verleiht den Jugend- lichen in »Satellites« Körperlichkeit, und in »Quiet METROPOLIS In welchen Momenten, auf welche Weise und mit Zone« wird das Material zur menschlichen Haut, an FR 21.04. welchen poetischen Gesten werden die spezifischen der sich die Spuren der Welt abzeichnen. 16 UHR Eigenschaften des analogen Mediums im Doku- Sieben Mal wird in diesem Programm ein Blick auf die GAST: mentarfilm spürbar? Wann zeigt sich der Blick der Welt sichtbar, der Ereignisse, Momente und Zusammen- ALEJANDRO Filmemacher*innen auf die Welt nicht ausschließlich hänge dokumentarisch festhält und dabei das Werkzeug BACHMANN als eigener, sondern als einer, der durch eine spezi- zwischen Auge und Welt nicht vergisst, sondern expres- (Kurator) fische Apparatur hindurch geworfen wird? Wenn die siv, reflexiv und einfallsreich zu Wort kommen lässt. im Gebrüder Lumière noch im Jahr der Erfindung des Films das Abreißen einer Mauer nicht nur einfach Démolation d`un mur aufzeichnen, sondern sie mittels der Apparatur neu Cinématographe Lumière (R), F 1895, 35mm, 1 min erstehen lassen, markieren sie eine Spur, entlang der Germany Calling Charles Ridley (R), GB 1941, 35mm, 2 min man über das Verhältnis von Dokumentarfilmschaffen und die Qualitäten des analogen Films nachdenken White Rose In Kooperation mit Bruce Conner (R), USA 1967, 16mm, 7 min kann. Dieses wird in Charles Ridleys satirischem Um- schnitt von Leni Riefenstahls »Triumph des Willens« Asyl Kurt Kren (R), AUT 1975, 16mm, 9 min implizit und mit dem radikal traurigem »White Rose« explizit spürbar gemacht. Kurt Kren nutzt eine Rolle Perfect Film Ken Jacobs (R), USA 1986, 16mm, 22 min 16mm-Film, um den Stillstand des eigenen Lebens Satellites angesichts der weiterziehenden Zeit auf dem Film- Karin Fisslthaler (R), AT 2011, 35mm, 7 min streifen zu verdichten, während Ken Jacobs einen Quiet Zone gefundenen, völlig unbearbeiteten Streifen Celluloid Karl Lemieux & David Bryant (R), CA 2015, digital, 15 min 42 43
POSITIONEN Zugreifen und angreifen In Kooperation mit Analoger Film, Archiv & dokumentarisches Arbeiten FOTOFABRIQUE, Dokumentarisches Arbeiten ist immer auch sichtbar Im Rahmen dieser Veranstaltung werden Arbeiten GÄNGEVIERTEL zumachen, was nicht sichtbar war oder es nie werden von und mit Rizki Lazuardi und Bernd Lützeler ge- SA 22.04. sollte: Mit dem rapide (und fast vollständig) durchge- zeigt und besprochen. Die Installation »Eastman of 16 UHR führten Wechsel von analogen Filmproduktions- und Mr. East on East« von Rizki Lazuardi ist ab dem 19. GÄSTE: Präsentationsweisen zum digitalen Medium droht all April im Festivalzentrum zu sehen. (S. 46) ALEJANDRO jenes, das diesen Übergang nicht vollzieht – weil es nicht BACHMANN, digitalisiert wurde und somit kaum zeigbar oder weiter Unterwegs mit Maxim Gorkiy Kolija Kunt/Bernd Lützeler (R), D 2014, 11 min RIZKI LAZUARDI, zu bearbeiten ist – beim Schritt aus der Vergangenheit in wird als Super-8-Projektion zur Veranstaltung gezeigt. BERND die Gegenwart ins Stolpern zu geraten. Wie so oft sind es Alejandro Bachmann leitet den Bereich Vermittlung, For- LÜTZELER Künstler*innen, die sich die Fähigkeiten bewahren, auf schung, Publikationen des Österreichischen Filmmuseums und diese Bilder zuzugreifen, die jenseits von Verwertungs- schreibt regelmäßig – Schwerpunkt: Dokumentar- und Expe- logiken und ökonomischen Interessen existieren. Wie rimentalfilm. wird der Zugriff auf ein vermeintlich obsoletes Medium, Bernd Lützeler lebt zwischen Berlin und Mumbai als Künstler die abjekten Seiten der Geschichte filmisch sichtbar und und Filmemacher. Er ist Mitglied des analogen Filmlabors La- verhandelbar gemacht? Mit Initiativen wie dem indone- borBerlin. Seine Arbeiten drehen sich um Techniken der Be- sischen „Lab Laba-Laba“ und dem „LaborBerlin“ weitet wegtbildproduktion und -Präsentation im Verhältnis zu Form sich dieses persönliche künstlerische Interesse zu einer und Wahrnehmung und wurden u.a. im Centre Pompidou, auf Schaffung von Infrastruktur aus, die potenziell Zugriff der Berlinale, beim IFF Rotterdam und den Views from the auf diese Dokumente einer anderen Ära möglich macht. Avant-Garde gezeigt. 44 45
POSITIONEN Eastman of Mr. East on East Hashti Tehran Rizki Lazuardi, IDN 2015 Daniel Kötter (R/K), Iran/D 2016, 60 min, Farsi OmeU Installation, Super-8-Film auf Viewer, Loop, ohne Dialog Als „Hashti“ bezeichnet man in Iran einen rechtecki- FOTOFABRIQUE, gen Innenhof, von dem aus die anderen Zimmer des GÄNGEVIERTEL RAUM 1975 wird der Journalist Roger East, der den Tod Gebäudes erreicht werden. Daniel Kötter überträgt SA 22.04. LINKSRECHTS, fünf australischer Kollegen untersucht, in der por- diese Idee eines Raums auf seine filmische Explora- 18.30 UHR GÄNGEVIERTEL tugiesischen Überseeprovinz Osttimor ermordet. tion der Stadt Teheran. In vier Kapiteln widmet er sich GAST: DANIEL MI 19.04. Wenig später wird das Land von Indonesien annek- der iranischen Hauptstadt. Ausgehend von der Peri- KÖTTER DO 20.04. tiert. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass pherie im Norden erkundet er sie in alle vier Him- FR 21.04. die Journalisten von indonesischen Spezialeinheiten melsrichtungen. Die Kamera vermisst und zerlegt HAMBURG- SA 22.04. umgebracht wurden, was jedoch verneint wird. Der den Stadtraum in Totalen, Fahrten und Schwenks. So PREMIERE Fall versinkt in der Obskurität. Aus dem Archiv des erschließt sich der Raum nach und nach in seinen un- EUROPA- mittlerweile nicht mehr bestehenden Geheimdiens- terschiedlichen Qualitäten und Verwendungen, in sei- PREMIERE tes aus der Zeit der „Orde Baru“ („Neue Ordnung“) nen sozialen und ökonomischen Zusammensetzun- entstammen ein 8mm-Film und eine Karte. Die In- gen. Im Off: Tonaufnahmen von Gesprächen. Makler, stallation untersucht die Rolle und Bedeutung von die mit potenziellen Käufern sprechen. Anwohner, die Dokumenten und ihren Informationen in einer autori- von Verdrängung und Abwanderung erzählen. So er- tären Gesellschaft, die von strenger Zensur und fab- zeugt »Hashti Tehran« ein differenzierteres Stadtbild, rizierter Geschichtsschreibung geprägt ist. das einen politisch, sozial und ökonomisch struktu- Rizki Lazuardi ist indonesischer Künstler, Kurator und Mitglied des rierten Raum zeigt. Stadt als globales Unternehmen. analogen Filmlabors „Lab Laba-Laba“ in Jakarta. In seinen Arbeiten Stadt als schwindender öffentlicher Raum. setzt er sich mit der Bedeutung von Archiven und der Flüchtigkeit von Informationen auseinander. Er lebt und arbeitet in Hamburg. 46 47
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