Projekt Ärztin 2020 Eine Bestandsaufnahme - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher ...

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Projekt Ärztin 2020 Eine Bestandsaufnahme - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher ...
67. Jahrgang . ISSN 0341-2458

                                                     12 | 2020

                   Zeitschrift des
                   Deutschen Ärztinnenbundes e.V.

Projekt Ärztin 2020
Eine Bestandsaufnahme
Projekt Ärztin 2020 Eine Bestandsaufnahme - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher ...
INHALT/IMPRESSUM

                Inhalt                                                         ärztin
                                                                               Offizielles Organ
                                                                               des Deutschen Ärztinnenbundes e. V.
                                                                               ISSN 0341-2458

          03     Editorial                                                     Herausgegeben vom
                 Dr. med. Christiane Groß, M.A.                                Deutschen Ärztinnenbund e. V.
                                                                               Präsidentin: Dr. med. Christiane Groß, M.A.
                                                                               E-Mail: gsdaeb@aerztinnenbund.de
          04     Gastbeitrag
                 Anne Schilling                                                Redaktion und V.i.S.d.P.:
                 Kuren für Mütter: Durch Corona in Gefahr                      Alexandra von Knobloch
                                                                               Pressereferentin des Deutschen Ärztinnenbundes
                                                                               E-Mail: presse@aerztinnenbund.de
          05     Schwerpunkt: „Projekt Ärztin 2020“ – Eine Bestandsaufnahme
                 Dr. med. Christiane Groß, M.A.; PD Dr. med. Barbara Puhahn-   Redaktionsausschuss:
                 Schmeiser; Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk                Dr. med. Christiane Groß, M.A.
                                                                               Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk
                 Dr. med. Regine Rapp-Engels
                                                                               Dr. med. Heike Raestrup
                 Dr. med. Astrid Bühren                                        PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser
                 Jana Pannenbäcker
                 Dr. med. Stefanie Donner; Dr. med. Maya Niethard              Geschäftsstelle des DÄB
                                                                               Rhinstraße 84, 12681 Berlin
                 Dr. med. Linda Meyer                                          Tel.: 030 54 70 86 35
                 Dr. med. Margarete Heibl                                      Fax: 030 54 70 86 36
                 Dr. med. Thorsten Hornung                                     E-Mail: gsdaeb@aerztinnenbund.de
                 Jana Aulenkamp
                                                                               Wir bitten alle Mitglieder, uns ihre aktuelle
                                                                               E-Mail-Adresse mitzuteilen
          15     Prof. Dr. med. Gabriele Kaczmarczyk
                 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei Corona-Infektionen:   Grafikdesign:
                                                                               d‘sign, Anne-Claire Martin
                 Die Spur führt ins Immunsystem
                                                                               Mommsenstraße 70, 10629 Berlin
                                                                               Tel.: 030 883 94 95
          16     PD Dr. med. Barbara Puhahn-Schmeiser                          E-Mail: anneclaire.martin@berlin.de
                 Evaluation des neu strukturierten MentorinnenNetzwerks
                                                                               Druck:
                                                                               DBM Druckhaus Berlin-Mitte GmbH
          17     Dr. med. Brigitte Klein                                       Buckower Chaussee 114, 12277 Berlin
                 Sexarbeit: Antidiskriminierungs-Label für ärztliche Praxen
                 im Modellprojekt

          18     Deutscher Ärztinnenbund                                       Die Zeitschrift erscheint dreimal pro Jahr.
                 Ausschreibung: Wissenschaftspreis 2021                        Heftpreis 5 Euro. Bestellungen werden von der
                                                                               Geschäftsstelle entgegengenommen.
                                                                               Für ordentliche Mitglieder des DÄB ist der Be-
          18     Aus dem Verband                                               zugspreis durch den Mitgliedsbeitrag abgegolten.
                 Junges Forum • Aus den Regionalgruppen: Berlin/Brandenburg    Redaktionsschluss der Ausgabe 01/2021:
                                                                               25. Februar 2021
          19     Wir gratulieren • Auszeichnungen: SR Eva Groterath •
                                                                               Fotos:
                 Dr. med. Ute Otten • PD Dr. med. Doreen Richardt              Titelseite: 123rf_Alexander Korzh, Seite 15: 123rf_
                                                                               Kateryna Kon, Seite 23: 123rf_ Antonio Guillem,
          21     Neue Mitglieder                                               Icons von Seite 7 bis 14: 123rf_moleks, iconisa,
                                                                               metelsky, greyjj, arcady31, Supanut Piyakanont, quka,
                                                                               Seite 18 + 24: Unsplash
          22     Dr. med. Ulrike Berg
                 Buchbesprechung: Trauerbewältigung nach einem Suizid          Haftungsbeschränkung
                                                                               Der DÄB übernimmt weder die Verantwortung für den
                 Dr. med. Christiane Groß, M.A.
                                                                               Inhalt noch die geäußerte Meinung in den veröffent­
                 Buchbesprechung: Wegweiser durch die Pubertät                 lichten Beiträgen. Für unverlangt eingesandte Manu­
                 für Mutter und Tochter                                        s­kripte und Fotos übernehmen wir keine Haftung.
                                                                               Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die
                                                                               Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen
          23     Leser:innenbrief
                                                                               Autorin und nicht immer die Meinung der Redaktion
                                                                               wieder. Wir behalten uns das Recht vor, Beiträge und
          24     Save the Date: Mitgliederversammlung 2021                     auch Anzeigen nicht zu veröffentlichen.

 2    ärztin 3 Dezember 2020                                                                                          67. Jahrgang
Projekt Ärztin 2020 Eine Bestandsaufnahme - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher ...
EDITORIAL

Liebe Kolleginnen,

vor zehn Jahren hat der Deutsche Ärz-                                      samkeit erlangt, die ihr schon lange
tinnenbund das „Projekt Ärztin 2020 –                                      hätte zukommen müssen. Sie verändert
Perspektiven für Ärztinnen von morgen“                                     Abläufe, doch müssen der Nutzen und
initiiert und ist 2011 damit an die Öffent-                                die Arzt-Patient-Beziehung im Mittel-
lichkeit gegangen. 2020 analysieren wir                                    punkt bleiben. Die zunehmende Ökono-
die Vorschläge und Visionen von damals                                     misierung im Gesundheitswesen kön-
in einer großen Titelgeschichte der ärztin. Eine Erfah-     nen wir nur gemeinsam stoppen. Behalten wir im Blick,
rung aus der Planung dieser Ausgabe ist wahrschein-         dass einzelne Ärzt:innen beim Kauf eines Praxissitzes
lich bezeichnend für die Situation vieler jüngerer Ärz-     keine Chance haben gegen die Konkurrenz von Aktien-
tinnen im Jahr 2020: zu viel Arbeit in der Klinik, Kinder   gesellschaften oder Hedgefonds. Setzen wir uns end-
zuhause, Stress an allen Ecken und folglich überhaupt       lich ein, dass diese Zulassungspraktik verändert wird,
keine Zeit, um sich um Dinge zu kümmern, die auch           weil sie unser Gesundheitssystem zerstört.
wichtig wären, die einem auch am Herzen liegen. Das
hörten wir mehrfach von Kolleginnen mit Kindern, die        Am Ende dieses Jahres 2020, des Corona-Jahres mit
wir gerne als Autorinnen gewonnen hätten.                   Unsicherheiten, die die meisten von uns nie für mög-
                                                            lich gehalten hätten, erlaube ich mir einen Blick zu-
Mir zeigt das wieder einmal, dass die Arbeitszeitmo-        rück, aber auch einen in die Zukunft. Es ist sehr unter-
delle in unserem Gesundheitssystem weit weg sind            schiedlich, wie wir Ärzt:innen dieses Jahr erlebt haben.
von einer Situation, die Chancengleichheit ermöglicht.      Für die einen ist es wegen der zusätzlich anfallenden
Unsere Autorinnen und ein Autor haben noch zahlrei-         Arbeit zu schnell vergangen, für andere hat es sich
che weitere Felder mit Handlungsbedarf identifiziert,       gezogen oder das Zeitgefühl ist ganz aus den Fugen
aber auch Lösungsvorschläge präsentiert. Das ist er-        geraten. Ich denke, viele sehen das so wie ich, und
mutigend. Die Visionen des „Projekts Ärztin 2020“           setzen die Hoffnung auf die Impfstoffe. Wir Ärztinnen
gelten weiter und der DÄB setzt sich weiter dafür ein,      haben die Aufgabe, Patient:innen zu versorgen. Dazu
dass sie Wirklichkeit werden.                               gehören Soma und Psyche. Auch wenn die Impfungen
                                                            gut wirken, werden wir noch lange mit den psychi-
Ein dafür notwendiger Baustein ist unser Mentorinnen-       schen Folgen zu kämpfen haben und es wird dauern,
Netzwerk, das nach seiner Umstrukturierung nun erst-        bis wir wieder eine Unbeschwertheit erlangen, wie wir
mals evaluiert wurde und erfreuliche Anstöße bietet.        sie kannten. Krisen zeigen aber auch immer Chancen
Ein weiterer ist unser Bemühen zur Verbesserung der         auf. Lassen Sie uns alle daran wachsen.
Mutterschutzgesetzgebung und der Kinderbetreuung.
Ein dritter ist unsere Aktivität, in Approbationsordnung    Passen Sie auf sich auf!
und Weiterbildungsordnungen die Bedingungen für
Schwangere und Ärzt:innen mit Kindern zu verbessern.
Und last but not least ist die Etablierung der Gender-
medizin ein wichtiger Schritt.

Rasant ändern sich die Rahmenbedingungen im Ge-             Dr. med. Christiane Groß, M.A.,
sundheitswesen: Die Digitalisierung hat eine Aufmerk-       Präsidentin des DÄB

                                                                                                     ärztin 3 Dezember 2020   3
Projekt Ärztin 2020 Eine Bestandsaufnahme - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher ...
GASTBEITRAG

                                                             Kuren für Mütter oder
                                                             Mutter oder Vater und Kind:
                               Foto: © Müttergenesungswerk
                                                             Durch Corona in Gefahr

                                                                        ANNE SCHILLING

      Fast 50 000 Mütter mit mehr als 70 000 Kindern kommen jährlich in die Mütter- und Mutter-Kind-Kliniken
      im Müttergenesungswerk (MGW) zu einer ärztlich verordneten Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme.
      Durch Corona ist die Belastung gestiegen. Zugleich sind die Kliniken jetzt in der Existenz bedroht.

     D
              ie Frauen, die eine sogenannte Mutter- oder Mutter-               es für die in den sechs Wochen zwischen den Rettungsschir-
              Kind-Kur erhalten (nach §§ 24, 41 SGB V), kommen                  men entstandenen Defizite keine Hilfen. Die von den Kran­
              aus allen sozialen Status- und Berufsgruppen. 80 Pro-             ken­kassen geleistete Pauschale von 8 Euro pro Person und
      zent sind erwerbstätig, alle sind hochgradig belastet. In der Re-         Tag – für Mutter-Kind-Kliniken maximal 16 Euro – für den
      gel kommen sie mit zwei bis drei Indikationen, darunter zu 80             hygienebedingten Mehraufwand ist bis zum 31. Dezember
      Prozent psychische Gesundheitsstörungen wie Erschöpfung                   2020 befristet.
      bis zum Burn-out, Schlafstörungen, Angstgefühle oder depres­
      sive Verstimmungen, aber auch Muskel-Skelett-Erkrankungen,                Aktuell steht der Änderungsantrag der CDU/CSU- und SPD-
      Allergien, gynäkologische oder Stoffwechselerkrankungen.                  Fraktion zum Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesse-
                                                                                rungsgesetz – (GPVG) zur Abstimmung. Darin sollen Kranken­
      Die Corona-Pandemie hat alles auf den Kopf gestellt: Die                  kassen verpflichtet werden, ihre Kostenvereinbarungen mit
      über 70 MGW-Kliniken mussten im Frühjahr für viele Wochen                 den Kliniken aufgrund der Pandemie für Hygiene, Personal und
      schließen. Danach konnten sie wegen der pandemiebedingten                 Minderbelegung anzupassen. Insgesamt sind Familien dop-
      Vorgaben meist nur mit 60 bis 80 Prozent Belegung wieder in               pelt die Leidtragenden der Corona-Krise: Trotz Mehrbelastung
      Betrieb gehen – bei vollem Personaleinsatz.                               ist die medizinisch-therapeutische Versorgung eingeschränkt
                                                                                und steht auf der Kippe.
      Mehr Belastung, weniger Kuren
                                                                                Absurde Entwicklung durch Corona
      Im März wurden die Kliniken, wie auch die anderer Träger, in
      den Rettungsschirm aufgenommen. Seither bekamen sie für                   Mütter- und Mutter-Kind-/Vater-Kind-Kuren sind nach wie
      unbelegte Plätze 60 Prozent Ausfallgeld. Dieser Rettungs-                 vor das einzige zielgruppenspezifische Versorgungsangebot
      schirm ist aber am 30. September ausgelaufen. Das MGW hat                 im Gesundheitswesen für die Lebenssituation Familie. Als
      mit Kliniken, Verbänden und Unterstützer:innen für eine Ver­              Stiftung leistet das MGW seit 70 Jahren Pionierarbeit für ge-
      längerung gekämpft. Der Bedarf ist ungebrochen. Mütter sind               schlechtsspezifische und ganzheitliche Kuren für Mütter –
      jetzt oft sogar noch stärker belastet. Corona zeigt: Traditio-            und nun auch für Väter und pflegende Angehörige. Ein Mei-
      nelle Rollenverteilungen in Familien sind noch verankert. Ins-            lenstein war die politische Durchsetzung des gesetzlichen
      besondere Frauen tragen die Sorgearbeit und stellen ihre Be-              Anspruchs. Damit immer wieder Erfolge gelingen, braucht das
      dürfnisse zurück. Mit dem dritten Bevölkerungsschutzgesetz                Müttergenesungswerk Unterstützung und Aufmerksamkeit
      hat der Bundestag nun den Rettungsschirm modifiziert fort­                für die Gesundheit von Familien, politisch und sozial: www.ge-
      geführt. Eine Erleichterung, aber nicht ausreichend. Die Situ-            meinsam-stark.social ƒ
      ation bleibt existenzbedrohend, die Gefahr von Schließungen
      real. Selbst mit Rettungsschirm werden die Kliniken dieses                 Anne Schilling ist seit fast 20 Jahren Geschäftsführerin des
      Jahr Defizite im sechsstelligen Bereich verzeichnen.                       Müttergenesungswerks. Sie hat Politik und Germanistik stu-
                                                                                 diert und war früher unter anderem Bundessprecherin der
      Die Ausfallzahlungen sind auf 50 Prozent reduziert worden.                 kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten.
      Der neue Rettungsschirm gilt zudem erst seit dem 18. No-
      vember 2020 und nur bis zum 31. Januar 2021. Damit gibt                   E-Mail: presse@muettergenesungswerk.de

 4    ärztin 3 Dezember 2020                                                                                                      67. Jahrgang
Projekt Ärztin 2020 Eine Bestandsaufnahme - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher ...
ÄRZTIN 2020 UND DANACH

                                                                                      Wir sollten noch mehr
                                                                                      vom weiblichen Blick
                                                                                      auf das Gesundheits-

                                               Foto: © Oliver Kraus
                      Foto: © J. Rolfes

                                                                                      wesen profitieren!

                                                                       Foto: privat
   DR. MED. CHRISTIANE GROSS, M.A., PD DR. MED. BARBARA PUHAHN-SCHMEISER, PROF. DR. MED. GABRIELE KACZMARCZYK

„Die Studentinnen im Jahr 2020 fangen früh an, an ihrer Karriere zu arbeiten, sie bilden Netzwerke, in-
teressieren sich für weibliche Vorbilder und wissen, wo sie später stehen wollen. Mal sehen, was sich so
anbietet, ist out!“ Mit dieser Vision war der DÄB vor rund zehn Jahren im Bereich Forschung und Lehre in
das „Projekt Ärztin 2020“ gestartet. Nun ist es Zeit zu schauen, was aus den Visionen geworden ist.

F
        ür diese Titelgeschichte haben
        wir neben Autorinnen die „Ärztin
        2020“ seit damals begleiten, ge-
zielt junge Kolleginnen und einen Kol-
legen gebeten, ihre Einschätzung zu
schildern. Sicher, die Medizinstudentin-
nen sind selbstbewusster geworden. Es       denten zwei Vize­präsidentinnen in der         der Grund für Teilzeit bei Ärztinnen in
zeichnen sich inzwischen auch positive      Bundesärztekammer aktiv. Eine weitere          der Erziehungsphase die ausufernde Ar-
Tendenzen ab und es existieren einige       Frau wurde dann in den Vorstand ge-            beitszeit ist. Tatsächlich sind wir an ei-
großartige Vorbilder.                       wählt. Die Sensibili­sierung aller, bezo-      nem Punkt angelangt, wo auch die Väter
                                            gen auf die Beteiligung von Frauen, hat        sich mehr um die Kinder und die Familie
Darauf haben viele Kolleginnen zusam-       sich erhöht. Es ist auch den männlichen        kümmern wollen. So prognostizierte Dr.
men mit dem DÄB hingearbeitet. Wenn         Kollegen nahezu peinlich, wenn ein Vor-        med. Beatrice Mohar es schon 2011. Sie
wir aber vergleichen, was uns die Kolle­    stand fast nur aus Männern besteht.            prognostizierte aber auch, dass Teilzeit
g:innen 2020 berichten, sehen wir: Einige                                                  weniger einen Karrierebruch verursachen
Probleme von 2010 begleiten uns noch        Insgesamt beschreibt Jana Pannen­              würde. Das ist leider nicht eingetreten.
immer. Die Lösungen liegen auf dem          bäcker die Lage in ihrem aktuellen Bei-
Tisch, lassen sich aber aus diversen        trag aber als unbefriedigend. An Parität       Warum geht es anderswo?
Gründen noch schwer umsetzen. Ande-         in ärztlichen Gremien sei noch nicht zu
re Schwierigkeiten sind neu. Wer hätte      denken. In den Kassenärztlichen Ver-           Wir fordern: Arbeitszeiten in einer Voll-
geahnt, dass wir uns 2020 wegen eines       einigungen bis hin zur KBV dominieren          zeitstelle auch bei Ärzt:innen dürfen
Virus gegen einen Rückfall der Frauen­      weiter die Männer. Die wenigen Frauen,         grundsätzlich nicht mehr als 40 Stunden
bewegung um mehrere Jahrzehnte              die dort prominent zu sehen waren, ver-        pro Woche betragen – selbstverständ-
stemmen müssen?                             schwinden sogar. Ähnlich geht es Chef­         lich mit Nacht- und Wochenenddiensten.
                                            ärztinnen, denen das berufliche Leben          Notfälle kommen vor, aber die Selbstver-
Erste knappe Kandidatin 2019                so schwer gemacht wird, dass sie aufge-        ständlichkeit, dass zu den 40 Stunden
                                            ben (müssen). Das betrifft nicht nur Ärz-      immer noch die Dienste hinzukommen,
Sehen wir genauer hin: Kathrin Klimke-      tinnen in Führungspositionen in Deutsch-       muss man dringend überdenken. In an-
Jung hatte 2011 für 2020 prognostiziert,    land, wie uns bekannte Fälle auch aus          deren Ländern ist das möglich, warum
dass die Angst vor der Feminisierung        der Schweiz und Österreich beweisen.           nicht bei uns? Auch die Kinderbetreuung
der Medizin 2020 vorbei sei, die ärzt­                                                     funktioniert in anderen Ländern besser.
lichen Gremien paritätisch besetzt seien    Gerade in diesem Jahr ging die Diskus-
und wir eine Präsidentin der Bundes­        sion wieder los, dass doch für Männer          Statt abzunehmen, hat sich der Ärzte-
ärztekammer (BÄK) hätten. Tatsächlich       eine Quote für das Medizinstu­dium ein-        mangel sowohl in den Kliniken als auch
hat 2019 erstmals eine Frau als BÄK-        geführt werden soll, weil mit den vielen       im ambulanten Bereich dramatisch zu-
Präsidentin nur ganz knapp verloren.        Ärztinnen die Versorgung zusammen-             gespitzt. Als Hürden für attraktivere Ar-
Zum ersten Mal sind neben dem Präsi-        breche. Dabei wird oft vergessen, dass         beitsbedingungen sieht Dr. med. Linda

                                                                                                              ärztin 3 Dezember 2020    5
Projekt Ärztin 2020 Eine Bestandsaufnahme - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher ...
ÄRZTIN 2020 UND DANACH

      Meyer in den Kliniken zumeist unver-         lassen – eine Option für Ärzt:innen, mit      teschaft 47,6 Prozent. An den Universi­
      ändert starre Strukturen, die immer          Familie zu arbeiten, vielleicht sogar, ohne   tätskliniken waren zugleich lediglich 13
      noch die Flexibilisierung der Arbeitszeit    die Arbeitszeit zu reduzieren.                Prozent der Führungspositionen mit Ärz-
      oder der Arbeitsorte – Stichwort: Home-                                                    tinnen besetzt, wie die DÄB-Erhebung
      Office – verhinderten.                       Nach wie vor eine Dauerbaustelle sind         „Medical Women on Top (MWoT) Update
                                                   die Mutterschutzregelungen: Das 2018          2019“ ergeben hat.
      Mittlerweile ist der Anteil ambulant täti-   in Kraft getretene novellierte Mutter-
      ger Ärzt:innen auf 39,8 Prozent aller be-    schutzgesetz brachte bisher eher eine         Kind oder Karriere?
      rufstätigen Ärzte gestiegen. Unter den       Verschärfung als eine Erleichterung für
      allgemeinärztlich tätigen niedergelasse-     schwangere Ärztinnen – egal ob als Ärz-       Kehren wir daher zu Forschung und Leh-
      nen Ärzt:innen beträgt der Frauenanteil      tin in Weiterbildung oder als Fachärztin.     re zurück: Es sind immer noch von der
      über 47 Prozent – Tendenz weiter stei-       Eine direkte Tätigkeit mit Patient:innen      Versorgung getrennte Arbeitsbereiche.
      gend. Aus heutiger Sicht sind auch hier,     ist vielerorts nicht mehr möglich und es      Findet Forschung neben der Weiter­
      so schreibt Dr. med. Margarete Heibl,        gibt mehr Beschäftigungsverbote denn          bildung statt, kann dies nur in der Frei-
      flexible Teilzeitmodelle unabdingbar, um     je. Wegen des föderalen Systems be-           zeit geschehen. Viele wissenschaftlich
      eine Niederlassung in Zeiten der älter       stehen gravierende Unterschiede in den        interessierte Mediziner:innen sehen sich
      werdenden Bevölkerung und in Anbe-           einzelnen Bundesländern, ja sogar zwi-        noch vor der Entscheidung Kinder oder
      tracht des Fachkräftemangels attrakti-       schen den einzelnen Kliniken. Durch Co-       Karriere. Dadurch wird jede Menge wis-
      ver zu machen.                               rona hat sich die Situation laut des hier     senschaftliches Potenzial vergeudet. Dr.
                                                   veröffentlichten Beitrags von „Operieren      med. Thorsten Hornung fordert daher,
      Selbstständigkeit fördern                    in der Schwangerschaft“ (OpidS) noch          was das „Projekt Ärztin 2020“ sich da-
                                                   deutlich verschärft, so dass alle schwan-     mals schon wünschte: die Aufwertung
      Im ambulanten Bereich sind die Ärztin-       geren Ärztinnen direkt ins Beschäfti-         von Sozialkompetenz, Teamfähigkeit und
      nen bislang mehrheitlich angestellt. Die     gungsverbot gehen.                            Fehlerkultur – Fähigkeiten, die als weib-
      Autorin weist daher explizit darauf hin,                                                   lich gelten.
      dass es zielgerichteter Bemühungen be-       Zur Verbesserung der Umsetzung des
      darf, um die Selbstständigkeit für mehr      Mutterschutzgesetzes ist der Ärztinnen­       Die Vision von 2011 hat daher Gültig-
      Ärztinnen erstrebenswert zu machen.          bund – ebenso wie das Team von                keit über 2020 hinaus: Studentinnen
      Leider haben junge Ärzt:innen oft keine      OpidS – im Bundesausschuss „Mutter-           sind als studentische Vertreterinnen in
      Chance gegen Hedgefonds und Aktien-          schutz“ aktiv. Außerdem startet der DÄB       den Gremien ihrer Fakultät präsent und
      gesellschaften, die sogar Praxen auf­        in Kürze eine Evaluation der Auswirkung       mischen sich ein. Sie sind sich bewusst,
      kaufen – natürlich nur in lukrativen Ge-     des neuen Mutterschutzgesetzes auf            dass die Existenzberechtigung einer Uni-
      genden und in lukrativen Fächern. Dieser     betroffene schwangere Ärztinnen.              versitätsklinik in erster Linie der Ausbil-
      immer weiter ausufernden Ökonomisie-                                                       dung fähiger Ärztinnen und Ärzte dient.
      rung müssen wir uns entgegenstellen.         Vorhersagen bewahrheitet                      Nach Abschluss ihres Studiums sind
                                                                                                 sie Mitglieder im Alumni-Club und neh-
      In ländlichen Regionen könnte natürlich      Insgesamt bewahrheitet sich gerade,           men am Geschick ihrer Universität regen
      die Digitalisierung helfen. Sie kann Ver-    was Dr. med. Astrid Bühren 2011 vorher-       Anteil. Das Junge Forum des DÄB hat
      sorgung unterstützen und Arztbesuche         sagte: „Der Anteil der Ärztinnen an der       hier eine Brückenfunktion. ƒ
      reduzieren. Telemedizin ist ein brauch-      Gesamtärzteschaft wird ansteigen [...],
      bares Instrument, wie sich auch in der       und zwar von jetzt 42,5 Prozent auf über       Dr. med. Christiane Groß, M.A., ist Prä-
      aktuellen Pandemielage zeigt. Dies hat-      50 Prozent, in den Führungspositionen          sidentin des DÄB. Mit den Vizepräsiden-
      ten wir schon 2011 vorausgedacht. Ge-        in der Wissenschaft und in Kliniken wer-       tinnen PD Dr. med. Barbara Puhahn-
      rade für Ärztinnen geht es bei der Di-       den sie jedoch trotz Quoten-Diskussion         Schmeiser und Prof. Dr. med. Gabriele
      gitalisierung auch darum, alternative        weiterhin unterrepräsentiert sein.“ Laut       Kaczmarczyk wirft sie hier einen Blick
      Arbeitsfelder zu eröffnen. Wir sind hier     Ärztestatistik der Bundesärztekammer           auf die Aufgaben nach 2020.
      wieder beim Home-Office, in dem sich         von Ende 2019 betrug der Anteil an be-
      viele ärztliche Teilaufgaben erledigen       rufstätigen Ärztinnen an der Gesamtärz-       E-Mail: gsdaeb@aerztinnenbund.de

 6    ärztin 3 Dezember 2020                                                                                                   67. Jahrgang
Projekt Ärztin 2020 Eine Bestandsaufnahme - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher ...
ÄRZTIN 2020 UND DANACH

                                    Hintergrund zum Projekt Ärztin 2020:
                                    Was der DÄB dem Drohgespenst
                                    der Feminisierung entgegensetzte
                     Foto: privat

                                               DR. MED. REGINE RAPP-ENGELS

2010 wurde der Begriff der „Feminisierung der Medizin“ etabliert – und der wachsende Anteil von Frauen
im ärztlichen Beruf für einen drohenden Ärztemangel mitverantwortlich gemacht. Das bedeutete Hand-
lungsbedarf für den DÄB. Das „Projekt Ärztin 2020 – Perspektiven für Ärztinnen von morgen“ repräsentiert
seither die Forderungen und Visionen, die Ärztinnen für den Berufsstand entwickeln.

N
         ach der sogenannten Ärzteschwemme in den 1980er         Zeitpunkt, um als Ärztinnen sichtbar zu werden und aktiv
         und 1990er Jahren zeichnete sich in den 2000er          Mitgestaltung einzufordern: Ja, die Zukunft der Medizin ist
         Jahren zunehmend ein Ärztemangel ab. Er war 2002        weiblich und wir lassen das nicht als „Feminisierung“ patho-
erstmals prognostiziert worden und 2007 hatten ihn Studien       logisieren. Wir wollen nicht, dass über uns, sondern, dass
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Bun­        mit uns geredet wird, denn wir können uns selbst vertreten.
des­ärztekammer (BÄK) verifiziert. Politik und Krankenkassen     Wir Ärztinnen denken mit, wir entwickeln Perspektiven und
bestritten den Ärztemangel jedoch wegen gestiegener Arzt-        Visionen für Ärztinnen und Ärzte. Wir übernehmen Verant-
zahlen vehement.                                                 wortung.

Die Jahresstatistik der BÄK für 2009 differenzierte erstmalig    In diesem Zusammenhang war wichtig, dass ich als amtieren-
nach Geschlecht – und erfüllte eine alte DÄB-Forderung. In der   de DÄB-Präsidentin für einen der beiden zu besetzenden wei-
5. Studie zur Altersstruktur- und Arztzahlentwicklung der BÄK    teren – also nicht an eine Kammerpräsidentschaft geknüpf-
und KBV im August 2010 bezogen sich jedoch fast alle Aus-        ten – Sitze im BÄK-Vorstand kandidierte. Diese Sitze waren
sagen auf Ärzte ohne Geschlechtsdifferenzierung. Ein Extra-      ursprünglich für unterrepräsentierte Gruppen gedacht. Einen
Kapitel widmete sich der ärztinnenspezifischen Betrachtung,      davon hat dann erfreulicherweise Dr. Ellen Lundershausen er-
also dem Blick auf das Andere im Allgemeingültigen.              kämpft.

Mehr Frauen, schlechtere Versorgung?                             Meine persönlichen Erfahrungen

Das Fazit der Studie: Die medizinische Profession werde zu-      Der Aufschlag beim DÄT war gelungen, nach außen wurden
nehmend weiblich. Der Anteil der Ärztinnen habe seit 1991 dra-   die Ärztinnen und der DÄB gut wahrgenommen. Persönlich hat
matisch zugenommen. Konkret stieg dieser in 18 Jahren von        mir das bis heute Empfindlichkeiten eines Herrn beschert, da
33,6 Prozent auf 42,2 Prozent. Der Trend werde sich verstär-     er mich von einer Gegenkandidatur erfolglos abzuhalten ver-
ken aufgrund der 61,3 Prozent weiblichen Medizinstudenten.       suchte. Die Frauensolidarität in der Wahlsituation war leider
Damit aber verändere sich nicht nur der Stil der Medizin, son-   nicht immer gegeben, gleichzeitig hatte ich erfreuliche bis
dern auch „das angebotene Arbeitsvolumen“, denn die geleis-      heute anhaltende Begegnungen. Ich bin durch diese Kandida-
tete Wochenarbeitszeit der berufstätigen Ärztinnen sei deut-     tur gewachsen. DÄB-intern hat dieses Projekt meines Erach-
lich niedriger als die der Ärzte.                                tens die Kommunikation befördert und für das Thema weiter
                                                                 sensibilisiert. Hoffentlich hat es die eine oder andere Kollegin
Und so wurde der Begriff „Feminisierung der Medizin“ eta­        motiviert und bestärkt, ihre eigenen Visionen zu denken und
bliert – als eine von fünf Ursachen für das Paradoxon eines      zu leben. ƒ
Ärztemangels bei zeitgleich wachsenden Arztzahlen. Führen-
de Ärztefunktionäre postulierten, dass der steigende Anteil       Dr. med. Regine Rapp-Engels war von 2009 bis 2015 Präsiden-
an Ärztinnen die Versorgung verschlechtere. Beim 114. Deut-       tin des DÄB und eine maßgebliche Kraft für das „Projekt Ärztin
schen Ärztetag (DÄT) 2011 sollte ein Schwerpunkt der Bera-        2020“. Inzwischen wirkt sie als Ehrenmitglied für den DÄB.
tungen das sogenannte Versorgungsgesetz sein – vor allem
zur Regulierung des Ärztemangels. Das war der Ort und der        E-Mail: rapp-engels@aerztinnenbund.de

                                                                                                          ärztin 3 Dezember 2020    7
Projekt Ärztin 2020 Eine Bestandsaufnahme - Zeitschrift des Deutschen Ärztinnenbundes e.V - Deutscher ...
ÄRZTIN 2020 UND DANACH

                                              Herausforderung für Ärztinnen 2020:
                                              Karriereplanung in einem
                               Foto: privat
                                              männerdominierten Umfeld

                                                            DR. MED. ASTRID BÜHREN

      Die Frage, wie sich der Anspruch auf gleiche Teilhabe in einem männlich dominierten Umfeld durch-
      setzen lässt, beschäftigt viele junge Ärztinnen. Doch gerade jetzt findet ein Umbruch statt: Die Corona-
      Pandemie verändert lange gewohnte Gefüge. Diesen Wandel gilt es mutig mitzugestalten.

      D
              emnächst stellen Frauen die            Auch Standpunkte in der Partnerschaft        diese direkt an, etwa auf Kongressen
              Mehrheit im ärztlichen Beruf           sind zu klären: Kann dieser Mann/diese       oder während eines Mentorings. Ziel ist
              und gerade die operativen Fach-        Frau eine ebenbürtige Frau ertragen?         ein funktionierendes berufliches Netz-
      gebiete müssen sich um Berufseinstei-          Stärkt mir diese Person den Rücken bei       werk. Um das zu ermöglichen, braucht
      gerinnen und Ärztinnen zur Besetzung           Beruf und gemeinsamer Verantwortung          es Unterstützung, etwa eine Kinderbe-
      von Leitungsfunktionen bemühen. Aller-         für Kinder? Schließlich gilt es, persön­     treuung für Kongressteilnahmen. Wirken
      dings sind diese Bereiche häufig noch          liche Fähigkeiten für die Karriere zu ent-   Sie selbst auf familienfreundliche Ar-
      von männlich dominierten Strukturen            wickeln: delegieren, sich Unterstützung      beitsplatzstrukturen hin, indem Sie sol-
      geprägt. Um die eigenen Lebensziele            organisieren, soziale und Führungskom-       che Stellen bevorzugen.
      und den angestrebten beruflichen Erfolg        petenz ausbauen sowie Kommunika-
      zu erreichen, bietet ein strukturiertes        tions- und Teamfähigkeit, etwa durch die     Frauen führen anders
      Vorgehen Vorteile.                             Teilnahme am Curriculum Ärztliche Füh-
                                                     rung. Wichtig sind auch ökonomische          Insgesamt ist es in einem männlich ge-
      Fähigkeiten entwickeln                         Kenntnisse, wie sie ein berufsbegleiten-     prägten Umfeld wichtig, sich mit männ-
                                                     des MHBA-Stu­dium bietet.                    lichen Verhaltensweisen vertraut zu ma-
      Zunächst bedeutet das, seine Ziele klar                                                     chen, um sie einordnen und adäquat
      und für die jeweilige Lebensetappe pas-        Kümmern Sie sich rechtzeitig um Ihre         reagieren zu können. Inwiefern Sie selbst
      send zu definieren – am besten schrift-        Ressourcen! Stärken Sie Ihr berufliches      solche Strategien anwenden, hängt da-
      lich und im Diskurs mit Mentor:innen,          Selbstvertrauen, Ihre Resilienz und Ihr      von ab, wie es zur Persönlichkeit und
      Partner:innen und anderen Vertrauens-          Durchhaltevermögen, indem Sie sich ei-       zur Position passt. Durch Einlesen und
      personen. Hinterfragen Sie dabei innere        nen emotionalen Ausgleich im Familien-       inter­aktive Seminare lässt sich heraus-
      Barrieren. Karriereambitionen müssen           und Freundeskreis schaffen und Hobbys        finden, was stimmig ist. Jedenfalls kön-
      Frauen gegenüber Vorgesetzten zeigen           nicht vernachlässigen.                       nen Frauen weibliche Verhaltensweisen
      und sich zeitgleich gut vernetzen: im                                                       im Beruf authentisch leben. „Frauen füh-
      Kolleg:innenkreis, in Gremien und Fach-        Den Kontext gestalten                        ren anders“ ist ein beachtetes Karriere-
      gesellschaften. Um sich die Freude am                                                       konzept. ƒ
      Beruf zu erhalten, hilft es, sich immer        Ebenso wichtig ist es, seinen beruflichen
      wieder auf seine Ursprungsmotivation           Kontext zu steuern: Sprechen Sie die          Dr. med. Astrid Bühren war von 1997
      und seine ethischen und ärztlichen             Förderung durch Vorgesetzte in Mitar-         bis 2009 Präsidentin des DÄB und ist
      Überzeugungen zu besinnen und die              beitergesprächen an, kümmern Sie sich         seither als Ehrenpräsidentin aktiv. Ihre
      gewaltfreie Kommunikation zu pflegen.          um und reden Sie über wissenschaft-           Erfahrungen in frauendominierten Ver-
      In einem männerdominierten Umfeld              liche Qualifikationen oder Ihr Engage-        bänden und männerdominierten Gre-
      müssen viele Frauen sexistische Anma-          ment für interne Aufgaben wie die             mien wie Bundes­ärztekammer, Landes-
      che abwehren: Das geht durch Solida-           Dienstplangestaltung. Lassen Sie sich         ärztekammer und der Kassenärztlichen
      risierung unter Kolleg:innen, die solche       die Karrierepfade und Organisations-          Vereinigung Bayerns gibt sie im Coa-
      Vorgänge gemeinsam publik machen.              strukturen, etwa an der Universität,          ching und Mentoring weiter.
      Persönlich lassen sich Antworten und           transparent darlegen. Suchen Sie sich
      Reaktionen trainieren.                         weibliche Vorbilder und sprechen Sie         E-Mail: abuehren@t-online.de

 8    ärztin 3 Dezember 2020                                                                                                     67. Jahrgang
ÄRZTIN 2020 UND DANACH

                                     Parität in den Gremien:
                                     Gewünscht, erhofft –
                                     und doch noch nicht erreicht
                      Foto: privat

                                                      JANA PANNENBÄCKER

Was waren noch unsere Visionen vor neun Jahren? Berufspolitische Gremien, die paritätisch besetzt sind,
die Selbstverständlichkeit von Frauen in Führungspositionen und eine gute Vereinbarkeit von Beruf und
Familie. Doch haben wir dies noch nicht erreicht. Dass wir 2020 in den Organisationen der ärztlichen
Selbstverwaltung ein Drittel Vorstandsfrauen haben, müssen wir auf diesem noch langen Weg wohl als
Teilerfolg verbuchen.

V
         on 17 Landesärztekammern            Holstein. Gleichzeitig wird vermehrt auf    Zielen mit Verständnis und Unterstüt-
         werden 13 von männlichen Kol-       eine weiblichere Besetzung der Listen       zung entgegensieht und ihr den Rücken
         legen geführt. An der Spitze der    bei Landeskammerwahlen geachtet.            freihält. Doch bleibt nicht unter dem
Bundesärztekammer steht (natürlich) ein      Ebenso dürfen wir nicht vergessen, dass     Strich, dass wir Frauen gerne als Vize­
Mann und auch die der Kassenärzt-            es möglich ist, als junge Ärztin in die     posten herhalten? Nach dem Motto, wir
lichen Bundesvereinigung besteht nur         Gremien zu kommen. Nicht zuletzt durch      haben eine Frau mit im Vorstand, aber
aus männlichen Kollegen. Betrachten          die Förderung und eine Vernetzung von       natürlich nicht an der Spitze. Sind wir
wir die Kassenärztlichen Vereinigungen,      berufspolitisch interessierten Frauen –     Frauen es selbst, die in die zweite Reihe
zeigt sich: Nur ein Drittel der Vorsitzen-   wie sie auch das MentorinnenNetzwerk        hinter die Männer zurücktreten?
den in den Vertreterversammlungen ist        des Deutschen Ärztinnen­bundes ermög-
weiblich, und auch in den Ausschüssen        licht.                                      Parität muss das Ziel sein
finden sich nur knapp 30 Prozent Ärz-
tinnen.                                      Schneller Aufstieg möglich                  Wir sind bei weitem noch nicht da, wo
                                                                                         wir sein wollen. Um eine Berufspolitik für
Ein wenig besser sieht es in den Landes­     Wenn eine Ärztin zum richtigen Zeit-        heute und die Zukunft zu erreichen – die
ärztekammern aus. Hier hat sich der          punkt Interesse hat, muss sie erst einmal   eine gute Vereinbarkeit von Familie und
Frauenanteil deutlich erhöht, von circa      zeigen, dass sie Zeit und Engagement in-    Beruf, Karriere und Kinderwunsch er-
19 Prozent weiblichen Vorstandsmit­          vestiert. Hat sie überzeugt, ist auch ein   möglicht –, ist es zwingend notwendig,
gliedern 2016 auf 28 Prozent 2019. Auch      Listenplatz recht weit vorne möglich.       dass wir Frauen weiter für eine paritä­
hat sich der Anteil der Vizepräsidentin-     Schließlich hat doch manch ein langjäh-     tische Besetzung von wichtigen berufs­
nen von vier auf sieben fast verdoppelt.     riger Amtsinhaber verstanden, dass es       politischen Posten und Spitzenpositio-
Das darf aber nicht darüber hinwegtäu-       ohne weiblichen Nachwuchs nicht geht.       nen eintreten. ƒ
schen, dass die Vorstände der Landes-
kammern zu mehr als zwei Dritteln mit        Und dann kann auch eine junge Frau           Jana Pannenbäcker (31) durchläuft
Männern besetzt sind. Auch weiterhin         tatsächlich schnell kleinere oder größere    die Weiterbildung zur Allgemeinmedizi-
existieren Landesärztekammern, deren         berufspolitische Posten bekommen. Von        nerin – seit Mai in der Hausarztpraxis
Präsidien eine reine Männerrunde bilden.     da an gilt es, Zeit, Kraft und Engagement    Amelung in Sprockhövel als Weiterbil-
                                             für die Gremienarbeit aufzuwenden und        dungsassistentin. Zuvor war sie in der
Es ist erschreckend, dass wir die Zu-        nebenher den eigentlichen Beruf, die zu      Inneren Medizin einer Klinik. Sie ist Mit-
nahme auf fast ein Drittel als Erfolg ver-   Beginn jeder Arztkarriere notwendigen        glied im Arbeitskreis „Junge Ärzte“ der
buchen müssen. An Parität ist nicht zu       24-Stunden-Dienste sowie möglicher-          Ärztekammer Westfalen-Lippe, stellver­
denken. Immerhin: Es gibt Landesärz-         weise die eigene Familie unter einen Hut     tretende Vorsitzende des Ärztekammer-
tekammern, die den Deutschen Ärzte-          zu bringen. Wer zu diesem Zeitpunkt be-      Verwaltungsbezirks Hagen und Mitglied
tagen annähernd gleich viele Ärztinnen       reits Mutter ist, kann sein berufspoliti-    im Ethikausschuss des DÄB.
und Ärzte entsenden. Besonders zu er-        sches Engagement nur dann bewältigen,
wähnen sind Bremen und Schleswig-            wenn der Mann den Wünschen und              E-Mail: jana.pannenbaecker@outlook.de

                                                                                                             ärztin 3 Dezember 2020    9
ÄRZTIN 2020 UND DANACH

                                                                               Mutterschutz und kein Ende:
                                                                               Operieren in der Schwanger-
                               Foto: © Reinhard Berg                           schaft weiter schwierig

                                                                Foto: privat
                                                       DR. MED. STEFANIE DONNER, DR. MED. MAYA NIETHARD

      Seit der Novellierung des Mutterschutzgesetzes haben viele schwangere Chirurginnen mit eigenem
      Engagement ihre klinische und operative Tätigkeit durchgesetzt. Das gelingt aber nicht in allen Bundes-
      ländern gleich gut und Corona bremst alles aus. Das Bundesfamilienministerium ist jetzt gefragt.

      A
               m 01.01.2018 trat das neue                    existieren. Aus Baden-Württemberg und         Corona-Pause endet
               Mutterschutzgesetz in Kraft.                  Bayern berichteten immer wieder Chirur-
               Zentraler Aspekt der Neugestal-               ginnen, dass die zuständigen Behörden         Um die Abläufe direkt zu beeinflussen,
      tung war die Stärkung und Betonung                     eine chirurgische Tätigkeit während der       freut es uns, im berufenen Expertenaus-
      der individuellen Gefährdungsbeurtei-                  Schwangerschaft prinzipiell untersagten       schuss (AK Gesundheitswesen und AK
      lung, die für jede Schwangere erstellt                 und keine Anpassung der Arbeitsbedin-         Körperliche Belastung) des Familien­
      werden muss. Zuvor war eine operative                  gungen für möglich hielten, um die Tätig-     ministeriums tätig zu sein. Die corona­
      Tätigkeit für schwangere Chirurginnen                  keit im OP fortzusetzen.                      bedingte Tagungspause wird Ende des
      oft pauschal abgelehnt und es war ein                                                                Jahres durch virtuelle Treffen endlich
      generelles Beschäftigungsverbot ausge-                 Die Corona-Pandemie bedingt ein so-           beendet. Zentrale Aufgabe des Aus-
      sprochen worden.                                       fortiges Beschäftigungsverbot nach Be-        schusses ist es, alltagstaugliche Emp-
                                                             kanntgabe der Schwangerschaft. Dies           fehlungen zur Interpretation des neu
      Inzwischen haben viele Chirurginnen                    bedeutet im Falle eines Weiterbildungs-       definierten Begriffes der „unverantwort-
      nach Vorlage der Unterlagen des Pro-                   vertrages, dass keine Weiterbildungs-         baren Gefährdung“ zu erarbeiten.
      jekts „Operieren in der Schwangerschaft“               zeit angerechnet werden kann. Die Risi-
      (OPidS) von www.opids.de mit viel eige­                ken einer COVID-19-Erkrankung und der         Eine zeitnahe Veröffentlichung wurde
      nem Engagement und Rückenwind des                      Übertragung auf das Ungeborene sind           auch vom DÄB mehrfach gefordert. Da
      neuen Gesetzes durchgesetzt, ihre kli­                 nicht sicher abzuschätzen und wenig er-       jedoch auch hier die Sicherheit für die
      ni­sche und operative Tätigkeit in der                 forscht. Daher sollte man dringend alle       Schwangere und ihr werdendes Kind
      Schwangerschaft fortzusetzen. Neben                    notwendigen Sicherheitsvorkehrungen           Priorität hat, brauchen die Abstimmung
      direkten Kontakten über das OPidS-Kon-                 treffen. Aktuell führt die Situation jedoch   und Recherche nur spärlich vorhandener
      taktformular erreichen uns auch mehr                   dazu, dass Schwangere weder klinisch          evidenzbasierter Daten viel Zeit. ƒ
      und mehr Nachrichten von Kolleginnen,                  noch operativ weiter tätig werden kön-
      die in ihren Kliniken nach Rücksprache                 nen. Sicherheit geht vor. Teams mit we-        Dr. med. Stefanie Donner (41) ist Fach­
      mit den Vorgesetzten, der Betriebsärzt:in              nigen Mitarbeiterinnen und einem hohen         ärztin für Orthopädie/Unfallchirurgie
      und dem Gewerbeaufsichtsamt weiter                     Frauenanteil geraten so schnell an die         und Oberärztin in der Klinik für Ortho­
      operieren konnten.                                     Grenzen ihrer Belastbarkeit.                   pädie des St. Josefs-Hospitals Wies-
                                                                                                            baden. Sie ist verheiratet und hat 2
      Im Süden kaum Arbeitschancen                           Sobald sich die Corona-Pandemie ihrem          Kinder. Dr. med. Maya Niethard (43)
                                                             Ende zuneigt und ein Impfstoff eta­bliert      ist Fachärztin für Orthopädie/Unfallchi­
      Doch die Novelle des Mutterschutzge-                   ist, bleibt zu hoffen, dass die bereits        rurgie und leitende Oberärztin der Klinik
      setzes hat leider nichts daran geändert,               regelmäßig praktizierte Fortführung der        für Tumororthopädie, Helios Klinikum
      dass über die föderale Struktur der Re-                operativen Tätigkeit wieder aufgenom-          Berlin-Buch. Sie ist verheiratet und hat
      gierungspräsidien mit den Gewerbeauf-                  men werden kann und zeitnah eine Lö-           2 Kinder. Beide Ärztinnen leiten das Pro-
      sichtsämtern schwangere Chirurginnen                   sung für föderale Ungleichheiten ge-           jekt OPidS der Deutschen Gesellschaft
      in Bayern anders behandelt werden als                  schaffen wird. Diesbezüglich ist dringend      für Orthopädie und Unfallchirurgie.
      etwa in Hessen oder Berlin. Es scheint                 die Einbindung des Bundesfamilienmi-
      gar ein gewisses Nord-Süd-Gefälle zu                   nisteriums notwendig.                         E-Mail: familie@jf-ou.de

 10   ärztin 3 Dezember 2020                                                                                                              67. Jahrgang
ÄRZTIN 2020 UND DANACH

                                             „Halbe Tage“ an Kliniken weiter selten –
                      Foto: © Helle Kammer
                                             ein Hindernis für Frauen

                                                        DR. MED. LINDA MEYER

In Kliniken verhindern starre, historisch gewachsene Strukturen immer noch die Flexibilisierung der
Arbeitszeitmodelle. Der stationäre Bereich hinkt dem Trend der Arbeitswelt hinterher. Dabei ließen sich
manche Aufgaben sogar im Home-Office erledigen.

I
    n den letzten Jahren habe ich viele Einblicke in die Problem-   von Teilzeitmodellen. So scheint ein Problem bei der Organisa-
    lage an den Kliniken gewonnen: Über die jungen Neurolo-         tion zu sein, dass „halbe Tage“ nicht gut integriert und akzep-
    gen habe ich für den Kongress der deutschen Gesellschaft        tiert werden.
für Neurologie mehrere Veranstaltungen zur Vereinbarkeit von
Familie und Beruf mitorganisiert – und dabei die Diskussionen       Eine Ärztin aus der Gynäkologie berichtet: „Wenn wir nicht
mit Assistenz­ärzt:innen, Oberärzt:innen, aber auch Chefärzt:in-    ganze Tage arbeiten, werden wir nicht im OP eingeteilt.“ Die
nen verfolgt. Insgesamt, so mein Eindruck, hat sich schon eini-     Assistenz- und Fachärzt:innen könnten in der Regel erst gegen
ges verbessert. Doch die Vereinbarkeit ist längst nicht so weit     Mittag mit ihren Operationen beginnen, da morgens der Chef
umgesetzt, wie es möglich wäre.                                     seine Eingriffe ansetzt. Im zweiten verfügbaren OP-Saal wür-
                                                                    den am Vormittag die Oberärzt:innen Tumoren operieren. „Wir
Abträglich sind häufig noch starre, historisch gewachsene           müssen uns dem System anpassen, um die Möglichkeit zu
Strukturen in Kliniken. Sie verhindern die Flexibilisierung der     haben, weiter zu operieren“, berichtet die Gynäkologin. Das
Arbeitszeiten. Zum Beispiel sind Home-Office-Zeiten kaum            Problem sei die Kinderbetreuung. Sie ist gegen Abend, wenn
etabliert. Dabei ließen sich ärztliche Briefe und Dokumenta­        die OPs für Ärzt:innen in der Weiterbildung weitergehen, oft
tionen, die keinem Zeitdruck unterliegen, auch abends von           nicht mehr verfügbar. Doch die Alternative ist: nicht operieren
zu Hause aus erledigen, wenn das besser zum Familienleben           und mit der Weiterbildung nicht fertig zu werden.
passt. Die Anwesenheitszeiten in der Klinik ließen sich redu-
zieren.                                                             Jetzt von Vorbildern lernen

Vereinbarkeit noch immer nicht akzeptiert                           Ärztin 2020? Auch 2020 müssen Arbeitszeitmodelle optimiert
                                                                    werden – und neue Lösungen sind erst noch zu etablieren. Ins-
Allerdings ist der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und        besondere ist es wichtig zu gewähr­leisten, dass auch mit einer
Beruf in vielen Bereichen der Medizin selbst heute noch nicht       Teilzeitstelle die Weiterbildung absolviert werden kann. Dazu
akzeptiert und respektiert. Laut einem Evaluationsbericht der       ist der Austausch von persönlichen Erfahrungen aus unter-
Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) arbeiteten 2018            schiedlichen Fachbereichen und Kliniken nötig. Es gilt, vonein-
immerhin 41 Prozent der Ärzt:innen in Weiterbildung im ambu­        ander zu lernen. Lösungsvorschläge aus gut funktionierenden
lanten Sektor in Teilzeit. In der Weiterbildung zur Allgemein­      Abteilungen könnten auf andere übertragen werden. Insbeson-
medizin hatten 63 Prozent Vollzeit, 37 Prozent Teilzeit.            dere über die Berufspolitik sollte der Druck auf die Arbeitgeber-
                                                                    seite erhöht werden, Nachteile durch eine Schwangerschaft
In den übrigen Fachrichtungen hat sich das Verhältnis umge-         und Teilzeitarbeit zu kompensieren und Arbeitszeitmodelle
dreht und es arbeiten nur 46 Prozent in Vollzeit und 54 Prozent     flexibler zu gestalten – für Frauen und Männer. ƒ
in Teilzeit. Auf dieser Grundlage fasst die Ärztezeitung in einem
Artikel vom 4. Februar zusammen: „In den Statistiken offen-          Dr. med. Linda Meyer (33) ist Schatzmeisterin des Jungen
bart sich somit der gesellschaftliche Trend zur Teilzeit.“ (Noch)    Forums im DÄB. Sie hat 2013 promoviert und ist seit 2014 in
überwiegend bei Frauen.                                              der Weiterbildung zur Neurologin – derzeit in der Psychiatrie
                                                                     des Alexius/Josef Krankenhauses in Neuss.
Auch in den Kliniken ist der Trend zu beobachten, doch gibt
es nach wie vor häufig Herausforderungen bei der Umsetzung          E-Mail: lindameyer1212@gmail.com

                                                                                                              ärztin 3 Dezember 2020    11
ÄRZTIN 2020 UND DANACH

                                                            Niederlassung:
                                                            Flexible Arbeitszeiten und
                               Foto: © Fotohaus Zacharias
                                                            neue Praxiskonstellationen
                                                            ziehen Frauen an

                                                                         DR. MED. MARGARETE HEIBL

      Eine zeitgemäße Flexibilisierung erfährt die Medizin derzeit vor allem im ambulanten Bereich. Der Sektor
      ist darum attraktiv für junge Ärztinnen. Bei der Selbstständigkeit zögern sie aber – eine Aufgabe für
      Frauennetzwerke wie den DÄB.

      D
              er Anteil weiblicher Ärzte steigt                    lichen Versorgung oder in unterversorg-        Gemeinschaftspraxen, bei denen man
              vor allem im ambulanten bezie-                       ten Gebieten – sind inzwischen viel mehr       sich auf einen KV-Sitz anstellen lässt,
              hungsweise niedergelassenen                          niedergelassene Kolleg:innen bereit, jun-      oder Medizinische Versorgungszentren
      Bereich. Unter den hausärztlich Tätigen                      ge Ärzte auszubilden. Auch alle Arten          sind deshalb stark auf dem Vormarsch.
      beispielsweise waren 2010 noch 39,1                          von Teilzeitmodellen mit entsprechender        Es gibt mittlerweile viele Angebote – von
      Prozent Frauen. In 2020 ist der Frauen­                      Teilförderung sind gut zu verwirklichen.       der Kassenärztlichen Vereinigung (KV)
      anteil auf 47 gestiegen.                                     Viele Praxisinhaber:innen sind flexibel,       bis zu Banken – die mit Beratungen oder
                                                                   und meist findet sich ein Konsens, der         Online-Seminaren eine gute Hilfestellung
      Die Medizin ist ein wunderbares, facet-                      für beide Seiten passt.                        bieten, wie sich berufliche Vorstellungen
      tenreiches Fach, das viele Arbeitsformen                                                                    finanziell verwirklichen lassen.
      bietet. Frauen wenden sich jedoch ver-                       Aufgrund dieser Flexibilität wechseln
      stärkt dem ambulanten Bereich zu, weil                       auch vermehrt Ärzt:innen aus der Klinik        Gestaltungswillen fördern
      sie dort unter anderem eine Work-Life-                       in den niedergelassenen Bereich: Sie ha-
      Balance sowie geregelte Arbeitszeiten                        ben bereits einen Facharzt, sind aber mit      Niederlassungskonstellationen,     etwa
      entdecken und Familiengründung und                           den Arbeitsbedingungen im Kranken­             Jobsharing oder Entlastungsassisten­
      Beruf für sie – verglichen mit anderen                       haus, meist wegen fehlender Teilzeit-          t:innen, erleichtern den Schritt in die
      ärztlichen Tätigkeitsmodellen – am bes-                      möglichkeiten, nicht zufrieden.                Selbstständigkeit. Dennoch wagen noch
      ten miteinander zu vereinbaren sind. Vor                                                                    zu wenige Ärztinnen diesen Schritt. Er
      allem auf dem Land stellt auch die oft                       Ein weiterer, kleiner Teil möchte sich         ist aber maßgeblich und notwendig, um
      mangelhafte flexible Kita- oder Kinder-                      meiner Erfahrung nach einfach umorien­         die ambulante Medizin aktiv mitgestal-
      gartenbetreuung die Weichen mit in die-                      tieren, wofür die Allgemeinmedizin mit         ten zu können. Vor allem die Weiterent-
      se Richtung.                                                 der hausärztlichen Versorgung eine gute        wicklung der Vereinbarkeit von Familie
                                                                   Alternative bietet. Binnen zwei Jahren         und Beruf sollte hier meiner Meinung
      Die klassische Einzelpraxis stirbt lang-                     können Quereinsteiger:innen den Fach­          nach einen Schwerpunkt bilden. Wir im
      sam aus, denn es gibt zunehmend                              arzt für Allgemeinmedizin ablegen. Au-         Ärztinnenbund können und sollten mehr
      mehr unterschiedliche Arbeitsmodelle                         ßerdem lässt sich mittlerweile auch in         Aufklärung betreiben und junge Ärztin-
      und Praxiskonstellationen als Alterna-                       anderen Fächern ein Teil der Weiterbil-        nen dazu motivieren, die Selbstständig-
      tive. Junge Ärzt:innen finden tatsäch-                       dung im ambulanten Bereich absolvie-           keit zu wagen. ƒ
      lich immer flexiblere Möglichkeiten der                      ren. Diese Möglichkeit nutzen wieder
      beruf­lichen Orientierung. Das braucht                       einmal vor allem Frauen, weil sie eine fle-     Dr. med. Margarete Heibl (33) hat in
      die Medizin auch! Starre Konstrukte sind                     xible Teilzeitregelung erleichtert.             Regensburg Medizin studiert und be-
      nicht mehr gewünscht.                                                                                        endet demnächst ihre Facharzt-Weiter-
                                                                   Wie es nach dem Facharzt weitergeht,            bildung für Allgemeinmedizin. Derzeit
      Chancen beim Quereinstieg                                    ist für viele erst einmal offen. Die meisten    arbeitet sie in der Notaufnahme des
                                                                   möchten zunächst im Angestelltenver-            RoMed Klinikums in Rosenheim. Sie ist
      Mit der finanziellen Förderung von Wei-                      hältnis bleiben. Sie überlegen erst nach        Beisitzerin im Jungen Forum des DÄB.
      terbildungsassistent:innen im ambulan-                       mehreren Jahren, ob eine Selbstständig-
      ten Bereich – speziell in der hausärzt-                      keit für sie infrage kommt. Modelle wie        E-Mail: margarete.heibl@gmail.com

 12   ärztin 3 Dezember 2020                                                                                                                   67. Jahrgang
ÄRZTIN 2020 UND DANACH

                                                             Die akademische Welt
                      Foto: © Dagmar Steinbrecher, UK Bonn
                                                             fördert offenbar männliche Werte:
                                                             Das sollten wir ändern

                                                                         DR. MED. THORSTEN HORNUNG

Nach Schätzung der UNESCO sind weltweit nur fünf Prozent der Professorenschaft weiblich. Das liegt
unter anderem an den männlich geprägten Wissenschaftsthemen und an der Netzwerkstruktur. Ein Plä-
doyer für ein neues Wertesystem in Forschung und Lehre.

D
        as Gender-Leak in der Hochschu-                             rungspositionen hatten sogar tenden­          Selektion zugunsten von Männern. Die
        le ist auch in Deutschland gut                              ziell mehr Muße für die Wissenschaft.         ausgewählten Männer fördern sich wie-
        bekannt: 60 Prozent der Medizin-                                                                          der gegenseitig. Netzwerke sind Schlüs-
studierenden sind Frauen, am Ende sind                              Akademia bevorzugt scheinbar männ­            sel für die Karriere! So haben etwa viele
aber nur 15 Prozent aller Medizinprofes-                            liche Werte. Das sollten wir ändern. In       Topathleten Angehörige oder Freunde
suren weiblich besetzt. Ich möchte be­                              dieser Auffassung hat mich das Ge-            aus dem Profisport. Wer von klein auf
tonen, dass ich beobachtender Mann                                  spräch mit einer engagierten Studentin        Tipps, Kniffe und die richtigen Kontakte
bin. Zu Beginn eine Anekdote: Ein junger                            bestärkt. Sie fand die Lehr- und For-         hat, ist klar im Vorteil.
aufstrebender Oberarzt war Vater ge-                                schungsthemen schlicht uninteressant.
worden und beantragte Elternzeit für                                Die Themen, von den meist männlichen          Drei Ideen für die Zukunft
zwei Monate. Sein Chef sagte: „Da habe                              Führungskräften gesetzt, gingen für sie
ich mich wohl in Ihnen getäuscht, ich                               als Frau an den wahren Fragen vorbei.         Meine Vision für Geschlechtergerech­tig­
dachte, Sie wollen sich habilitieren!“                              Was in der Wissenschaft beforscht und         keit in Forschung und Lehre in der neuen
                                                                    gefördert wird, ist eine (für die Karriere)   Dekade ist es
So skandalös dieser Dialog ist, umso                                entscheidende Frage. Für mich wäre              die Chancen der Digitalisierung zu nut-
skandalöser ist es, dass eine Heerschar                             mehr Diversität in der Themensetzung          zen – nicht zur Überwachung oder Ge-
qualifizierter Frauen gar nicht erst ein­                           ein wichtiger Wert. Dafür benötigen wir       winnmaximierung, sondern als sozialer
gestellt wird. Ich finde, wir müssen den                            aber auch mehr Diversität in der Förder-      und gesellschaftlicher Türöffner,
Mut haben, neue Modelle von Arbeit und                              politik, den Fördergremien und bei den          Themen und Werte zu finden, die für
Führung auszuprobieren.                                             Begutachtenden.                               uns alle relevant sind,
                                                                                                                    der akademische Bereich nicht mehr
Teamarbeit statt Einzelkampf                                        Doch es gibt Lichtblicke: Eine gute           als Förderung von sogenannten Alpha-
                                                                    Freundin, Mutter dreier Kinder auf dem        Männchen mit Quoten-Frauen zu betrei-
Job-Sharing ist eine Option. Für mich                               Weg zur Habilitation, freut sich, dass        ben. Wichtig wäre der Mut, langfristige
sind es auch Teamstrukturen, in denen                               Kongresse gerade nur online stattfinden       Teams zu fördern und in den Wettbe-
sich die Mitglieder gegenseitig flexible                            und sie ihre Lehre digital von zu Hause       werb untereinander zu bringen. Kurzum,
Freiräume ermöglichen. Das Leben ist                                aus erbringt. Dank einer guten Nachbar-       es braucht eine Kultur der wertschätzen-
nicht linear. Warum sollte es die Arbeits-                          schaft ist für sie die Kinderbetreuung        den Kooperation und Kommunikation,
belastung sein? Forschung und Lehre                                 gerade kein Problem. Nicht reisen zu          die allen Raum gibt, sich zu entfalten. ƒ
sind Teamarbeit, nicht Einzelkampf.                                 müssen, bringt ihr Zeit. Auch sieht sie
                                                                    sich beim Networking weniger im Nach-          Dr. med. Thorsten Hornung ist Stellver-
„Nature“ veröffentlichte im Juni eine                               teil, da ja alle zu Hause bleiben.             tretender Direktor der Klinik und Poli­
Arbeit, die zeigte, dass Frauen durch die                                                                          klinik für Dermatologie und Allergologie
Corona-Krise viel weniger publizieren.                              Ein wichtiger Aspekt, denn bisher war          am Universitätsklinikum Bonn und en-
Der Grund: Sie hatten ihre Ressourcen                               eine akademische Karriere eher eine Lot-       gagiert sich auch berufspolitisch unter
stärker für Familien- und Gemeinschafts-                            terie, deren Tickets durch einen massi-        anderem im Marburger Bund.
aufgaben umgewidmet und steckten                                    ven Verzicht an Freizeit und Jobsicher-
akademisch zurück. Männer in Füh-                                   heit erworben werden. Eine klassische         E-Mail: thorsten@th-hornung.de

                                                                                                                                     ärztin 3 Dezember 2020   13
ÄRZTIN 2020 UND DANACH

                                                            Zunehmend sinnvolle Digitalisierung:
                                                            Chance zur Mitgestaltung und
                               Foto: © Clemens Bauerfeind
                                                            Weichenstellung jetzt nutzen

                                                                       JANA AULENKAMP

      Nicht erst seit der Corona-Pandemie wird häufig über die Digitalisierung des Gesundheitswesens, über
      digitales Lernen, Lehren und Arbeiten berichtet. Aber sind die Entwicklungen rund um die digitale Medi-
      zin für uns Ärztinnen und Ärzte alle relevant?

      Z
             unehmend mehr Prozesse im Gesundheitssystem sind                  und ob eine digitale Komponente sie erleichtern oder ergänzen
             digitalisiert. Auch politische Rahmenbedingungen än-              kann. In der Diabetesbehandlung etwa wird bereits lange mit
             dern sich und weisen uns Ärzt:innen neue Aufgaben                 Apps und webbasierten Anwendungen gearbeitet. Das ließe
      zu. Das wohl gerade prominenteste Beispiel: digitale Gesund-             sich ausweiten, etwa auf die Migränetherapie, wo Apps neben
      heitsanwendungen, die wir verschreiben dürfen – Apps auf Re-             der Behandlung auch zur Begleitung der Patient:innen und zur
      zept. Doch nicht nur das sollte uns dazu bewegen, uns mit der            Edukation eingesetzt werden.
      Digitalisierung zu beschäftigen. Die intrinsische Motivation,
      medizinische Möglichkeiten besser auszuschöpfen und zu be-               Ärztliche Perspektive einbringen
      forschen, weckt das Interesse an der Digitalisierung aus der
      Ärzteschaft heraus.                                                      Damit Ärzt:innen Prozesse rund um die Digitalisierung mit-
                                                                               gestalten können, steht an erster Stelle, dass wir uns mit der
      Die Zukunft ist schon da                                                 Thematik beschäftigen und Grundzüge von digitalen Kompe­
                                                                               tenzen erlangen. Des Weiteren können wir darauf hinwirken,
      Beispielsweise soll in Berlin in einem Forschungsprojekt ein             dass bei Anwendungen künstlicher Intelligenz die Gender-
      intelligenter Alarmoptimierer für Intensivstationen entwickelt           perspektive bedacht wird. Momentan wird selten auf gender-
      werden, um die relevantesten Alarme herauszufiltern: eine                spezifische Algorithmen geachtet, obwohl digitale Werkzeuge
      Technik, die Personal unterstützt und die Patient:innensicher-           Genderaspekte manchmal bräuchten. Darum ist es ein zen­
      heit erhöht. Ein anderes, schon teilweise etabliertes Verfahren          trales Anliegen, dass sich Ärzt:innen mit diesem Thema be-
      sind Televisiten, bei denen Pflegepersonal beispielsweise eine           schäftigen und in Entwicklungs- und Steuerungsgremien ver-
      Hausärzt:in per Videomodul dem Altersheim und somit der Pa-              treten sind.
      tient:in zuschaltet. Dies ermöglicht eine qualitativ hochwertige
      Versorgung selbst über eine weite Distanz.                               Insgesamt zeichnen sich zunehmend mehr sinnvolle digitale
                                                                               Versorgungsangebote ab, die mit ärztlicher Perspektive be­
      Digitalisierung benötigt eine gute Steuerung                             gleitet werden sollten. Auch wenn der Anschluss an die Infra­
                                                                               struktur und die Standardisierung holprig voranschreiten,
      Digitale Angebote können zudem ärztliche Arbeit flexibilisie-            macht der Gedanke an ein vernetztes Gesundheitswesen, in
      ren. Außerdem treiben die Ansprüche der jüngeren Patient:in-             dem Patientinnen und Patienten selbstbestimmt ihre Daten
      nengeneration die Digitalisierung der Medizin voran. Nicht zu-           verwalten, Hoffnung. ƒ
      letzt gibt es ökonomische Entwicklungen, welche die oft mit
      der Hoffnung auf Kostenreduktion verbundene digitale Trans-               Jana Aulenkamp (30) ist Ärztin in Weiterbildung für Anästhe­
      formation ebenfalls beschleunigen. Daher ist es umso wich­                siologie am Universitätsklinikum Essen und promoviert zu
      tiger, dass wir uns aus unserer Profession heraus und mit me-             chronischen postoperativen Schmerzen. Sie hat einen Lehr-
      dizinischer Expertise mit der Thematik beschäftigen. Digitale             auftrag zur „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ an der
      Werkzeuge können nur so sinnvoll sein wie der Prozess, in den             Hochschule Ravensburg-Weingarten inne und die Plattform
      sie integriert sind.                                                      match4healthcare mitgegründet. 2018 war sie Präsidentin der
                                                                                Bundesvertretung der Medizinstudierenden.
      Genau hier besteht die Chance, dass wir unsere medizinischen
      Prozesse hinterfragen, ob diese für Patient:innen aktuell sind           E-Mail: jana.aulenkamp@uk-essen.de

 14   ärztin 3 Dezember 2020                                                                                                     67. Jahrgang
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