Rassismusvorfälle aus der Beratungspraxis - Januar bis Dezember 2019 - Auswertungsbericht auf der Grundlage des Dokumentations-Systems Rassismus ...

Die Seite wird erstellt Hedwig Mayer
 
WEITER LESEN
Rassismusvorfälle
aus der
Beratungspraxis
Januar bis Dezember 2019

Auswertungsbericht auf der Grundlage des Dokumentations-Systems Rassismus DoSyRa
Beratungsnetz für Rassismusopfer – Vernetzung und Know-how-Transfer

Ein Joint-Venture-Angebot von:

                                                                            Eidgenössische Kommission gegen Rassismus EKR
                                                                            Commission fédérale contre le racisme CFR
                                                                            Commissione federale contro il razzismo CFR

Impressum
Herausgebende:                   Verein humanrights.ch, Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR)
Redaktion und Lektorat:          Gina Vega (humanrights.ch), Marianne Aeberhard (humanrights.ch), Alma Wiecken (EKR)
Grafik und Layout:               Atelier Bläuer, Bern
Übersetzungen:                   Sprachdienste GS-EDI (Französisch) und Sandra Verzasconi Catalano (Italienisch)
Druck:                           Valmedia AG
                                 Bern, April 2020
Vorwort

          Der Bericht des Beratungsnetzes für Rassismusopfer zieht jedes Jahr eine Bilanz über
          die Vorfälle, die an die Beratungsstellen herangetragen werden. Dabei erhebt der
          ­Bericht nicht den Anspruch, eine vollständige Bestandsaufnahme der Rassismusvor-
          fälle in der Schweiz zu sein. Den Leserinnen und Lesern wird es durch die im Bericht
          behandelten Fälle möglich sein, einen Einblick in die Lebensreali­tät derjenigen zu
          erhalten, die in der Schweiz mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert sind.
              Im Jahr 2019 verzeichnen wir eine starke Zunahme der gemeldeten und als ras-
          sistisch eingestuften Fälle von Diskriminierung. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass
          der Rassismus in der Schweiz zuge­nommen hat (der Bericht gibt dahingehend einen
          Einblick, ist aber nicht als vollständige und belast­bare Statistik zu verstehen). Aber es
          zeigt, – und das ist ein wichtiger Punkt – dass die Betroffenen eher bereit sind, sich an
          Beratungsstellen zu wenden. Es ist nicht immer leicht, den Schritt zu wagen und über
          die eigenen Diskriminierungserfahrungen zu sprechen, dazu gehört viel Vertrauen.
          Ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit gegen rassistische Diskriminierung besteht
          daher darin, auf die Beratungs­stellen aufmerksam zu machen und über ihre Angebote
          und Arbeitsweise zu informieren. Anstrengun­gen wurden dahingehend unternommen
          und müssen auch weiterhin fortgesetzt werden.
              Die Veröffentlichung dieses Berichts ist auch eine Gelegenheit, die Notwendigkeit
          zu betonen, die Beratungsstellen mit den nötigen Mitteln auszustatten, damit sie ihre
          Aktivitäten weiterhin mit ho­her Qualität durchführen können. In den kantonalen In-
          tegrationsprogrammen für den Zeitraum 2024–2027 sollten die für die Bekämpfung der
          Rassendiskriminierung bereitgestellten finanziellen Mittel unbedingt erhöht und die
          Kantone bestärkt werden, die Qualität und Zugänglichkeit von Bera­t ungsangeboten
          zu gewährleisten. Dies ist umso mehr gerechtfertigt, als 60 Prozent der Befragten in
          der Erhebung «Zusammenleben in der Schweiz» des Bundesamts für Statistik glauben,
          dass Rassismus ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem ist.
              2019 haben Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund erstmals erkennbar zuge-
          nommen. Wie die Ereignisse im Ausland zeigen, muss diese Tendenz ernst genommen
          werden und darf nicht unter­schätzt werden.
              Dieser Bericht ist das Ergebnis der wichtigen Arbeit der Beratungsstellen, die Mit-
          glied im Beratungs­netz für Rassismusopfer sind. Ich möchte hier unsere Dankbarkeit
          für diese wertvolle Arbeit zum Aus­druck bringen, deren Ergebnisse eine unverzicht-
          bare Informationsquelle sind. Ein Dank geht auch an die Projektleiterin Gina Vega von
          humanrights.ch und Alma Wiecken, Geschäftsführerin der EKR, die einen wichtigen
          Beitrag zum Beratungsnetz und zum vorliegenden Bericht leisten.

             Martine Brunschwig Graf
             Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR)

                                                                                                  1
Inhalt

			                  Vorwort.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   1

		T E I L I          E I N F Ü H RU NG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             3

			                  Das Beratungsnetz 2019.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                              3
                     Bedeutung des Beratungsnetzes für Bund und Kantone. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                             3

			                  Die Beratungsstellen im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                              4

			                  Methodik.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      6

			                  Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                       7

		T E I L I I        A N A LY S E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    8
			                  Kontaktnahme und Dienstleistungen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                     8
                     Welche Personen haben Rat gesucht?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                               8
                     Wie wurde Kontakt aufgenommen?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                              8
                     Welche Dienstleistungen haben die Beratungsstellen erbracht?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                      9

			                  Beschreibung der Diskriminierungsvorfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                              10
                     In welchen Lebensbereichen geschahen die Vorfälle?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                       10
                     Wie wurde diskriminiert?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                             12
                     Welche Feindbilder, Zielgruppen und Ideologien waren involviert?.. . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                                          14
                     Lag eine Mehrfachdiskriminierung vor?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                   14

			                  Angaben zu den betroffenen Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                      16
                     Aus welcher Region stammen die Personen ursprünglich?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                                               16
                     Welche Nationalität haben die Personen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                    16
                     Welchen Rechtsstatus haben die Personen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                         17
                     Welches Alter haben die Personen?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                           18
                     Welches Geschlecht haben die Personen?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                    18

			T E I L I I I     T H E M A R A C I A L P R OF I L I NG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                  19
                     Interview mit Anne-Laure Zeller, Leiterin der Beratungsstelle
                     Centre d‘Ecoute Contre le Racisme in Genf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                     19

          TEIL I V   N IC H T AU S GE W E R T E T E FÄ L L E .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                        22
                     Nicht genügend erhärtete Diskriminierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                             22
                     Meldungen ohne formelle Beratungstätigkeit.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                            22

		T E I L V          GL O S S A R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    23

		T E I L V I        M I T W I R K E N DE U N D D A N K S A GU NG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                                   24
		                   Mitwirkende Beratungsstellen 2019.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .                                             24

2
I
Das Beratungsnetz 2019

                                                                                                          E I N F Ü H R U NG
Mit dem vorliegenden Bericht wird die zwölfte Auswertung von Beratungsfällen zu rassistischer
Diskriminierung* in der Schweiz veröffentlicht. Das Beratungsnetz für Rassismusopfer wurde
2005 als Joint Venture Projekt zwischen der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR
und dem Verein humanrights.ch gegründet und hat sich seither stetig weiterentwickelt. Das Be-
ratungsnetz ist überzeugt, dass wirksame Anti-Rassismus-Arbeit nur durch das Zusammenwirken
unterschiedlichster Akteurinnen und Akteure möglich ist. Deswegen ist der Austausch zwischen
kantonalen oder städtischen Stellen auf der einen Seite und nicht-staatlichen Beratungsstellen
auf der anderen Seite für das Beratungsnetz unerlässlich.
    Im Jahr 2019 hat es einige Veränderungen im Netzwerk gegeben: von 24 spezialisierten Be-
ratungsstellen aus der ganzen Schweiz ist die Anzahl der Mitglieder des Netzwerks im Jahr 2019
auf 22 Beratungsstellen gesunken. Multimondo und das Konfliktophon der AOZ sind aufgrund von
Veränderungen in ihrem Arbeitsauftrag ausgetreten. Zudem musste das Kompetenzzentrum für
interkulturelle Konflikte (TikK) in der bestehenden Form seine Türen schliessen. Als Neumitglied
ist die Zürcher Anlaufstelle Rassismus ZüRAS (Nachfolgerin von TikK) dazugestossen.
    Im Berichtsjahr 2019 wurden 352 Beratungsfälle zu rassistischer Diskriminierung registriert,
so viele wie noch nie. Der Anstieg an Beratungsfällen bedeutet aber nicht zwingend, dass der Ras-
sismus in der Gesellschaft im selben Masse zugenommen hat. Mögliche Gründe für den Anstieg der
Fallzahl können auch eine verstärkte Sensibilisierung der Betroffenen oder ein verbesserter Zu-
gang zu Beratungsstellen sein. Es ist ausserdem wichtig zu betonen, dass die hier ausgewerteten
Fälle nur die berühmte «Spitze des Eisbergs» darstellen: viele Betroffene gelangen aus verschiede-
nen Gründen mit ihren Diskriminierungserfahrungen gar nicht an eine Beratungsstelle.
    Die Auswertung der von den Mitgliedstellen behandelten Beratungsfälle im vorliegenden Be-
richt ist ein wichtiger Mosaikstein im nationalen Monitoring rassistischer Diskriminierung und
eine Ergänzung zu Berichten wie der Chronologie «Rassismus in der Schweiz» der Stiftung ge-
gen Rassismus und Antisemitismus (GRA) oder den Berichten zu Antisemitismus des Schweize-
rischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) bzw. der Coordination Intercommunautaire Contre
l‘Antisémitisme et la Diffamation (CICAD) in der Romandie. Die Fachstelle für Rassismusbekämp-
fung (FRB) des Bundes verwendet diese und weitere Quellen als Datenbasis für ihre zweijährlich
erscheinende Übersicht «Rassistische Diskriminierung in der Schweiz».

Bedeutung des Beratungsnetzes für Bund und Kantone
  Das Beratungsnetz ist für die Kantone und den Bund von grosser Bedeutung. Den Kantonen bietet
 das Beratungsnetz massgeschneiderte statistische Auswertungsmöglichkeiten, belebt und fördert
die interkantonale Vernetzung sowie den Diskriminierungsschutz. Es hilft damit den Kantonen,
  ihren Auftrag zu erfüllen. Zudem macht der jährliche Auswertungsbericht die Arbeit der kan-
  tonalen Beratungsstellen sichtbarer. Die Mehrheit der Kantone unterstützt das Beratungsnetz
 ­fi nanziell. Sie sind die wichtigsten Geldgeber des Projektes. Diese Strukturfinanzierung ist für
das Projekt unerlässlich.
      Dem Bund dienen der vorliegende Bericht und die strukturierte Datenbasis einerseits dem
­nationalen Monitoring, andererseits der Berichterstattung an internationale Organe. Hierzu ge-
 hören unter anderem die Staatenberichte an den UNO-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von
 Rassendiskriminierung (CERD) und an die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intole-
  ranz (ECRI) des Europarats.

* Begriffe in Grün werden im Glossar auf Seite 23 erläutert.

                                                                                                      3
Die Beratungsstellen im Überblick

                                                                       Stopp Rassismus
                                                                       Kantone
                                                                       BL, BS, SO
                                                                       Mitglied seit 2007
                                          BI                                                          AIA
                                          Kanton Jura                                                 Kanton Aargau
                                          Mitglied seit 2016                                          Mitglied seit 2014

                                                                                                      FABIA
                                                                                                      Kanton Luzern
                                                                                                      Mitglied seit 2016
                             COSM                                  RBS
                             Kanton                                Kanton Bern               EKR
                             Neuenburg                             Mitglied seit 2015        ganze Schweiz
                             Mitglied seit 2017
                                                                                             Mitglied seit 2005

                                                                        gggfon
                                                                        Deutschschweiz
                                                                        Mitglied seit 2005
                     BCI                          Respekt für alle
                     Kanton Waadt                 Kanton Fribourg
                     Mitglied seit 2011           Mitglied seit 2016

                     BLI
                     Stadt Lausanne
                     Mitglied seit 2011

                                                                          B-ECR
C-ECR
                                                                          Kanton Wallis
Kanton Genf
                                                                          Mitglied seit 2015
Mitglied seit 2014

4
I

                                                                        E I N F Ü H R U NG
                     Integres
                     Kanton
                     Schaffhausen
                     Mitglied seit 2014        Fachstelle
                                               Integration TG
                                               Kanton Thurgau
SOS Rassismus                                  Mitglied seit 2016
Kanton Zürich
Mitglied seit 2007

                ZüRAS
                                            HEKS
                Kanton und
                                            Kanton
                Stadt Zürich
                                            Sankt Gallen
                Mitglied seit 2019
                                            Mitglied seit 2016

     Kantonale
     Anlaufstelle
     Kanton Zug                KOMIN
     Mitglied seit 2016        Kanton Schwyz
                               Mitglied seit 2016

     GFI
     Kanton
     Nidwalden
     Mitglied seit 2016

                       CARDIS
                       Kanton Tessin
                       Mitglied seit 2015

                                                                    5
Methodik

Damit ein Fall in die Hauptauswertung des Berichts                Einfache Meldungen ohne Anspruch auf Beratung (z. B.
einbezogen wird, müssen folgende Bedingungen erfüllt              ein anonymer Brief) sowie Fälle von nicht genügend er-
sein: (1) Eine Interaktion zwischen der Beratungsstel-            härteten Diskriminierungen fliessen nicht in die detail-
le und der meldenden Person hat stattgefunden; (2) ein            lierte Auswertung ein, werden aber separat berücksich-
konkreter Situationsbeschrieb liegt vor und wird von der          tigt (vgl. Teil IV, S. 22). Unberücksichtigt bleiben Fälle,
beratenden Fachperson als Fall von rassistischer Diskri-          die zu einer Beratungsleistung geführt haben, eine ras-
minierung eingeordnet; (3) eine Beratungsleistung wur-            sistische Diskriminierung aber ausgeschlossen werden
de erbracht.                                                      konnte.

    Beratungsstellen                                                                                             Projektleitung

    1. Falleingabe                               2. Datenbereinigung                     3. Datenauswertung
    Die Beratungsstellen erfassen                Die von den Beratungsstellen            Die Fälle, bei welchen aus
    die von ihnen behandelten Fälle              eingetragenen Beratungsfälle            externer, möglichst objektiver
    im «Dokumentationssystem                     werden von der Projektleitung           Sicht eine rassistische Diskri-
    Rassismus» (DoSyRa) und ord-                 hinsichtlich ihrer Konsistenz           minierung vorliegt, werden zu-
    nen die geschilderten Vorfälle               und Vollständigkeit überprüft           sammengeführt und im Bericht
    den vorgegebenen analytischen                und falls nötig zur Überarbei-          ausgewertet.
    Kategorien zu.                               tung zurückgewiesen.

Anzahl Fälle insgesamt: 575

                               Einfache Meldung ohne Anspruch
                                               auf Beratung 31
                      Beratungsfälle: offensichtlich
              keine rassistische Diskriminierung 86

                Beratungsfälle: nicht genügend                                    Beratungsfälle: rassistische
               erhärtete Diskriminierungen 106                                    Diskriminierung 352

    Anzahl ausgewerteter Beratungsfälle pro Berichtsjahr
    2008: 87 Fälle, erfasst von 5 Beratungsstellen                2014: 249 Fälle, erfasst von 15 Beratungsstellen
    2009: 162 Fälle, erfasst von 5 Beratungsstellen               2015: 239 Fälle, erfasst von 18 Beratungsstellen
    2010: 178 Fälle, erfasst von 7 Beratungsstellen               2016: 199 Fälle, erfasst von 26 Beratungsstellen
    2011: 156 Fälle, erfasst von 10 Beratungsstellen              2017: 301 Fälle, erfasst von 27 Beratungsstellen
    2012: 196 Fälle, erfasst von 11 Beratungsstellen              2018: 278 Fälle, erfasst von 24 Beratungsstellen
    2013: 192 Fälle, erfasst von 11 Beratungsstellen              2019: 352 Fälle, erfasst von 22 Beratungsstellen

6
I
Zusammenfassung

                                                                                                                                                     E I N F Ü H R U NG
Der vorliegende Bericht bietet eine praxisnahe Auswer-                       sind, fliessen nicht in den Bericht mit ein. Zudem gibt es
tung der Beratungsfälle des Jahres 2019, die als rassis-                     zahlreiche Gründe, weshalb Betroffene vom Besuch einer
tische Diskriminierung in der Datenbank DoSyRa regis-                        Beratungsstelle absehen. Dazu gehört etwa die fehlende
triert wurden. Die 22 teilnehmenden Beratungsstellen                         Kenntnis von Beratungsangeboten, fehlendes Vertrauen,
sind wichtige Akteure in der Anti-Rassismus-Arbeit. Sie                      Ängste oder eine Bagatellisierung bzw. Verdrängung be-
bieten Auskunft, psychosoziale und/oder Rechtsbera-                          stimmter Vorfälle. Die Dunkelziffer ist hoch: Es ist davon
tung für die betroffenen Personen an und treten auch                         auszugehen, dass die Mehrzahl der rassistischen Vorfälle
immer wieder als vermittelnde Instanzen auf. Die Mit-                        in der Schweiz nirgends gemeldet oder bearbeitet wird.
gliedstellen leisten mit ihren vielfältigen Interventio-                         Insgesamt wurden im Berichtsjahr 2019 von den betei-
nen einen zentralen Beitrag zur Begleitung, Beratung                         ligten Beratungsstellen 575 Vorfälle registriert. Im Haupt-
und Empowerment von Betroffenen, aber auch zur Do-                           teil des vorliegenden Berichts werden diejenigen 352 Be-
kumentation rassistischer Vorfälle in der Schweiz.                           ratungsfälle ausgewertet, bei welchen eine eigentliche
    Der Bericht erhebt keinerlei Anspruch auf eine                           Beratungstätigkeit stattgefunden hat und in denen auch
vollständige Erfassung aller Fälle rassistischer Diskri-                     nach Einschätzung der Beratungsstellen eine rassistische
minierung in der Schweiz. So gibt es sehr viele Bera-                        Diskriminierung vorlag.
tungsstellen, die nicht auf rassistische Diskriminierung                         Die Zu- und Abnahmen berechnen sich aus der Dif-
spezialisiert sind und dennoch Fälle bearbeiten, in de-                      ferenz der Prozentangaben der betreffenden Kategorie
nen rassistische Diskriminierung eine Rolle spielt oder                      im Vergleich zum Vorjahr. Es kann also durchaus sein,
Beratungsangebote, die sich auf eine spezifische Art von                     dass eine bestimmte Fallkategorie im Vergleich zum Vor-
Rassismus fokussieren, zum Beispiel auf anti-muslimi-                        jahr mehr Fälle verzeichnet, dass aber aufgrund der ge-
schen Rassismus oder Antisemitismus. Die Fälle dieser                        stiegenen Gesamtfallanzahl trotzdem eine relative Abnah-
Beratungsstellen, die nicht Mitglied im Beratungsnetz                        me ausgewiesen wird.*

  Ratsuchende Personen                                                           Nennungen die häufigsten Formen der Diskrimi-
  • 222 der 352 Beratungsfälle rassistischer Diskrimi-                           nierung aus.
     nierung wurden im Berichtsjahr von den direkt
                                                                             Involvierte Vorurteile und Ideologien
     ­Betroffenen gemeldet.
                                                                             • Rassismus gegen Schwarze ist mit 132 Nennungen
  Lebensbereiche, in denen die Diskriminierungen                                nach dem generellen Motiv der Ausländerfeind-
  stattfanden                                                                   lichkeit/Fremdenfeindlichkeit weiterhin das am
  • Der öffentliche Raum mit 62 Fällen und der Arbeits-                         häufigsten genannte Diskriminierungsmotiv. An
     platz mit 50 Fällen sind die am stärksten betroffe-                        dritter Stelle folgt die Muslimfeindlichkeit mit 55
     nen Lebensbereiche.                                                        Nennungen.
  • Im Vergleich zu 2018 nahmen Diskriminierungen                            • Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Kategorie
     im öffentlichen Raum um 8 PP* und in der Freizeit                          Rechtsextremismus mit 36 registrierten Vorfällen
     um 6 PP* zu. Eine Abnahme an gemeldeten Vorfäl-                            um 5 PP* zu.

     len verzeichnete der Arbeitsplatz mit minus 7 PP*.
                                                                             Mehrfachdiskriminierung
  • Weitere stark betroffene Bereiche sind die Nachbar-
                                                                             • In 141 Fällen, d.h. mindestens in jedem dritten Be-
     schaft/Quartier mit 43 Nennungen, Bildung/Schu-
                                                                                ratungsfall, stellten die Beratungsstellen zusätz-
     le/Kita mit 39 Nennungen und die Verwaltung mit
                                                                                lich zur rassistischen Diskriminierung eine Mehr-
     37 Beratungsfällen.
                                                                                fachdiskriminierung fest. Diese bezog sich
  Art und Weise der Diskriminierung                                             überwiegend auf die Kategorie des Rechtsstatus
  • Im Berichtsjahr 2019 machten Benachteiligungen                              mit 66 Nennungen sowie das Geschlecht mit 40
     mit 127 Nennungen und Beschimpfungen mit 116                               Nennungen.

* Die Prozentangaben (XY %) beziehen sich auf die Anzahl Nennungen der betreffenden Kategorie im Verhältnis zur Gesamtfallanzahl (352).
  Die Zu-/Abnahme in Prozentpunkten (PP) bezeichnet die Differenz des prozentualen Anteils einer Kategorie zum prozentualen Anteil im Vorjahr.

                                                                                                                                                 7
Kontaktnahme und Dienstleistungen

Welche Personen haben Rat gesucht?
Anzahl Beratungsfälle: 352

                                                   Andere 18

            Fachpersonen/andere Beratungsstelle 34

                               Zeuge/Zeugin 47                                          Betroffene 222

                   Angehörige von Beschuldigten 3
                       Angehörige von Betroffenen 27
                                           Beschuldigte 1

Wie wurde Kontakt aufgenommen?
Anzahl Beratungsfälle: 352

                                                     Unbekannt 13

                                  per E-Mail 106                                      Telefonisch 137

                                                                                per Brief 8
                                                       Persönlich 88

    Vorführung eines Films, welcher negative Stereotypen vermittelt
    Eine Frau berichtet, dass sie Kinder zu einer Vorfüh-              vigator» – insbesondere die Rassentrennung in den
    rung eines Filmklubs für 6- bis 12-Jährige begleitet hat.          Vereinigten Staaten und das damals herrschende dis-
    Gezeigt wurde Buster Keatons Film «The Navigator» von              kriminierende Klima – spiegelt sich im Film wider.
    1924. Die Frau war von dem Film schockiert, da dieser              «The Navigator» bietet eine stereotype Darstellung
    negative Stereotypen über Schwarze vermittelt und                  von Schwarzen und kann dazu beitragen, dass sich
    diese lächerlich darstellt.                                        bei den zuschauenden Kindern rassistische, stereoty-
                                                                       pe Bilder einprägen. Ein Brief wurde an den Filmklub
    Die betreffenden Szenen wurden von der Beratungs-                  adressiert mit Informationen über den problemati-
    stelle angeschaut und als problematisch eingeschätzt.              schen Charakter dieses Filmes und mit Empfehlun-
    Der historische Kontext der Entstehung von «The Na-                gen für die zukünftige Filmauswahl.

8
II

                                                                                                                                     A N A LY S E
Welche Dienstleistungen haben die Beratungsstellen erbracht?
Anzahl Beratungsfälle: 352 (Mehrfachnennungen möglich)

                                                               Weiterleitung an andere Stelle 30
                                           Intervention 56
                                         Mediation 8
                                                                                     Auskunft/Information 198

                            Rechtsberatung 135

                                                                                      Unterstützende Dienstleistung 32

                                           Psychosoziale Beratung 200

  Mediation und Intervention in einer Schule
  In einem Whatsapp-Chat der 6. Klasse werden von ei-                   ein Gespräch mit dem beschuldigten Schüler, seiner
  nem Schüler Bilder mit obszönem sowie rechtsextre-                    Mutter und Verantwortlichen der Schule. Es zeigt sich,
  mem Inhalt geteilt. Eine Mutter setzt die Schulleitung                dass der Schüler wenig über den Hintergrund solcher
  daraufhin über den Vorfall in Kenntnis. Die zuständige                Bilder wusste. Gemeinsam mit der Mutter werden Re-
  Schulsozialarbeiterin ersucht die Beratungsstelle um                  geln für ihren Sohn betreffend den Umgang mit dem
  Unterstützung.                                                        Natel und den Sozialen Medien aufgestellt. Weiter
                                                                        führt die Beratungsstelle in der betroffenen Klasse
  Die Beratungsstelle berät die meldende Schulsozial-                   eine Intervention zum Thema «wie mit einem sol-
  arbeiterin und zeigt Interventionsmöglichkeiten vor                   chen Vorfall umgegangen werden kann» durch.
  Ort auf. Einige Tage später leitet die Beratungsstelle

  Unterstützende Gespräche bei Schwierigkeiten in einem Ausgehlokal
  Ein Mann berichtet von mehreren negativen Erlebnissen                 weitere Betroffene ähnliche Vorwürfe die Einlass-
  mit den Sicherheitsangestellten eines Ausgehlokals: So                verweigerung und/oder diskriminierende Behand-
  sei er von einem Sicherheitsangestellten alleine deshalb              lung gegenüber dem Ausgehlokal betreffend. Am
  auf die Brust geschlagen worden, weil er den falschen                 Runden Tisch konnten die Anwesenden ihre Sicht
  Eingang benutzen wollte. Zuvor sei er bereits einmal                  der Ereignisse schildern. Nach weiteren Nachgesprä-
  ohne Begründung nach seinem Ausweis gefragt worden                    chen wurde ein zweiter Runder Tisch organisiert. Die
  und habe das Ausgehlokal erst nach längeren Diskussi-                 Verantwortlichen des Ausgehlokals möchten interne
  onen betreten können.                                                 Anpassungen vornehmen, um solchen Vorfällen ent-
                                                                        gegenzuwirken. Die Beratungsstelle steht den Verant-
  Die Beratungsstelle nimmt Kontakt mit dem Aus-                        wortlichen des Ausgehlokals sowie der Sicherheits-
  gehlokal auf und organisiert einen Runden Tisch zur                   firma bei den kommenden Aufgaben und geplanten
  Aufarbeitung der Vorfälle. Insgesamt erheben drei                     Änderungen zur Seite.

                                                                                                                                 9
Beschreibung der Diskriminierungsvorfälle

In welchen Lebensbereichen geschahen die Vorfälle?
Obwohl bei den Oberkategorien der Bereich Organisa-                          Bei den Unterkategorien waren der öffentliche Raum mit
tionen/Institutionen/Privatwirtschaft mit 157 Nen-                           62 Fällen (+ 8 PP*) und der Arbeitsplatz mit 50 Fällen
nungen der am stärksten betroffen Lebensbereich war,                         (– 7 PP*) die am stärksten betroffenen Lebensbereiche.
verzeichnete er im Vergleich zum Vorjahr eine Abnahme                        Dahinter folgen die Kategorien Nachbarschaft/Quartier
(– 7 PP*). Der Bereich Öffentlichkeit dagegen verzeich-                      (43/+ 1 PP*), Bildung/Schule/KITA (39/– 3 PP*), Verwal-
nete mit 143 Nennungen (+ 13 PP*) eine starke Zunah-                         tung (37/+ 4 PP*), Polizei (32/+ 1 PP*) und Freizeit/Aus-
me. Der staatliche Bereich mit 97 Nennungen und der                          gang (32/+ 6 PP*).
Bereich Privatleben mit 91 Nennungen haben leicht zu-
genommen (jeweils + 4 PP*).

Oberkategorien Lebensbereich
Anzahl Beratungsfälle: 352 (Mehrfachnennungen möglich)

                                       Privatleben                                             91 25 % (+ 4 PP*)

Organisationen/Institutionen/Privatwirtschaft                                                                               157 45 % (– 7 PP*)

                                    Öffentlichkeit                                                                    143 41% (+ 13 PP*)

                              Staatlicher Bereich                                                 97 28 % (+ 4 PP*)

                                                     0                    50                   100                   150                   200

* Die Prozentangaben (XY %) beziehen sich auf die Anzahl Nennungen der betreffenden Kategorie im Verhältnis zur Gesamtfallanzahl (352).
  Die Zu-/Abnahme in Prozentpunkten (PP) bezeichnet die Differenz des prozentualen Anteils einer Kategorie zum prozentualen Anteil im Vorjahr.

  Rassismus im öffentlichen Raum: «Fahren Sie wieder zurück in Ihr Land!»
  Eine muslimische Frau mit Kopftuch ist mit ihren bei-                      Der Ehemann der Frau ersucht die Beratungsstelle um
  den kleinen Kindern unterwegs, als sie von einer älteren                   Unterstützung. Diese hilft ihm, die Situation einzu-
  Frau beschimpft wird: «Erziehen Sie Ihre Kinder oder                       ordnen und bestärkt ihn darin, dass das Verhalten
  fahren Sie wieder zurück in Ihr Land!». Nachdem sich                       der älteren Frau nicht in Ordnung ist. Die Beratungs-
  die Frau zu verteidigen versucht, weist sie die ältere                     stelle bietet auch der betroffenen Frau eine Beratung
  Frau noch aggressiver zurecht. Die Frau fühlt sich ohn-                    an. Die Frau lehnt das Angebot jedoch ab.
  mächtig und verzweifelt. Sie wurde in der Vergangen-
  heit schon mehrmals wegen ihres Kopftuchs beschimpft
  und hat zunehmend Angst, aus dem Haus zu gehen.

10
II

                                                                                                                                                                  A N A LY S E
  Unterkategorien Lebensbereich
  Anzahl Beratungsfälle: 352 (Mehrfachnennungen möglich)

                                          Privatleben
                   Familie/Verwandtschaft/Freunde                             12  3 %  (unverändert)
                                                 Sport            4  1 %  (– 3 PP)
                                    Freizeit/Ausgang                                                 32  9 %  (+ 6 PP)
                             Nachbarschaft/Quartier                                                               43  12 %  (+ 1 PP)

  Organisationen/Institutionen/Privatwirtschaft
                     Wohnungsmarkt/Mietverhältnis                                  17  5 %  (– 2 PP)
                                         Arbeitsmarkt                              17  5 %  (+ 2 PP)
                                          Arbeitsplatz                                                                     50  14 %  (– 7 PP)
                                   Gesundheitswesen                  6  2 %  (unverändert)
                                Bildung/Schule/KITA                                                           39  11 %  (– 3 PP)
                                         Vereinsleben                  8  2 %  (+ 2 PP)
                     Kirche/religiöse Organisationen           0  0 %  (unverändert)
                                     Politik, Parteien                      10  3 %  (+ 1 PP)
                    Private Sicherheitsunternehmen                3  1 %  (+ 1 PP)
                            Heim/Betreutes Wohnen                 4  1 %  (unverändert)
Kundenbeziehungen (z.B. Versicherungen, Banken)                   3  1 %  (– 1 PP)
                                   Privatversicherung          0  0 %  (unverändert)

                                       Öffentlichkeit
                                   Öffentlicher Raum                                                                                    62  18 %  (+ 8 PP)
                           Öffentliche Verkehrsmittel                             15  4 %  (unverändert)
  Angebote von Privaten (z.B. Warenhaus/Festival)                                               28  8 %  (+ 2 PP)
                            Medienberichterstattung                 5  1 %  (– 1 PP)
                                              Werbung                       10  3 %  (+ 2 PP)
                  Internet: Social Media, Blogs, etc.                                     23  7 %  (+ 2 PP)

                                 Staatlicher Bereich
                                           Verwaltung                                                     37  11 %  (+ 4 PP)
                             Einbürgerungsverfahren            0  0 %  (– 2 PP)
                                        Gesetzgebung                   8  2 %  (+ 1 PP)
                          Justiz und Freiheitsentzug                        10  3 %  (unverändert)
                                                Polizei                                              32  9 %  (+ 1 PP)
                                   Sozialversicherung          0  0 %  (– 1 PP)
                                          Sozialdienst               6  2 %  (+ 1 PP)
                                     Zoll/Grenzwache               4  1 %  (unverändert)
                                                           0           10           20          30         40         50           60           70      80
  * Die Prozentangaben (XY %) beziehen sich auf die Anzahl Nennungen der betreffenden Kategorie im Verhältnis zur Gesamtfallanzahl (352).
    Die Zu-/Abnahme in Prozentpunkten (PP) bezeichnet die Differenz des prozentualen Anteils einer Kategorie zum prozentualen Anteil im Vorjahr.

                                                                                                                                                             11
Wie wurde diskriminiert?
Im Berichtsjahr 2019 betrafen die meisten Beratungsfälle                        (127 Fälle/+ 4 PP*) und herabwürdigende Behandlung (74
den Bereich der Kommunikation (322 Nennungen), wobei                            Fälle/– 6 PP*) entfiel. In der Kategorie der rechtsextremen
die Kategorien Beschimpfung (116 Fälle/– 1 PP*), andere                         Propaganda mit 36 Nennungen verzeichnete die Verbrei-
störende Äusserung/Illustration (65 Fälle/+ 3 PP*) und                          tung von Schriften und Tonträgern eine mittlere Zunahme
Verleumdung/falsche Anschuldigung (63 Fälle/+ 2 PP*) am                         (29 Fälle/+ 4 PP*). In den Bereich Gewalt fallen 34 Meldun-
meisten genannt wurden. Ebenfalls häufig gemeldet wur-                          gen, wobei eine Abnahme von Angriffen auf die körperli-
den Diskriminierungen im Bereich der Ausgrenzung (285                           che Integrität registriert wurde (18 Fälle/– 4 PP*).
Nennungen), wovon der grösste Teil auf Benachteiligungen

Art und Weise der Diskriminierung
Anzahl Beratungsfälle: 352 (Mehrfachnennungen möglich)

                                         Gewalt
                             Sachbeschädigung                    16  5 %  (+ 2 PP)
             Angriff auf körperliche Integrität                   18  5 %  (– 4 PP)
                             Angriff mit Waffen          0  0 %  (– 1 PP)
                                 Brandanschlag           0  0%  (– 1 PP)

                              Kommunikation
                                        Drohung                 14  4 %  (– 2 PP)
               Öffentlich geäusserte Hassrede                                34  10 %  (+ 4 PP)
                                 Beschimpfung                                                                             116  33 %  (– 1 PP)
        Verleumdung/falsche Anschuldigung                                                       63  18 %  (+ 2 PP)
                     Gestik, Mimik, Geräusche                           28  8 %  (+ 1 PP)
   Leugnung/Verharmlosung von Völkermord                 0  0 %  (– 1 PP)
      Andere störende Äusserung/Illustration                                                    65  18 %  (+ 3 PP)
  Bewusstes Vorenthalten von Informationen               2  1 %  (– 1 PP)

                                  Ausgrenzung
                               Benachteiligung                                                                                  127  36 %  (+ 4 PP)
                        Leistungsverweigerung                              29  8 %  (– 1 PP)
                Herabwürdigende Behandlung                                                           74  21 %  (– 6 PP)
                           Schutzunterlassung            1  0 %  (– 4 PP)
  Unterlassene Hilfeleistung in einem Notfall            0  0 %  (– 1 PP)
                  Einbürgerungsverweigerung              0  0 %  (– 1 PP)
                                        Mobbing                             31  9 %  (– 3 PP)
                               Racial Profiling                      23  7 %  (unverändert)

                  Rechtsextreme Propaganda
     Verbreitung von Schriften und Tonträger                               29  8 %  (+ 4 PP)
     Rechtsextremer Aufmarsch, Versammlung                  7  2 %  (+ 1 PP)

                                                     0                30                 60                 90            120             150
* Die Prozentangaben (XY %) beziehen sich auf die Anzahl Nennungen der betreffenden Kategorie im Verhältnis zur Gesamtfallanzahl (352).
  Die Zu-/Abnahme in Prozentpunkten (PP) bezeichnet die Differenz des prozentualen Anteils einer Kategorie zum prozentualen Anteil im Vorjahr.

12
II

                                                                                                                    A N A LY S E
Nachbarschaft/Quartier: Mietwohnung wird wegen falscher Anschuldigungen gekündigt
Die ratsuchenden Personen beklagen sich über eine         Die ratsuchenden Personen werden nach einer Ab­klä­
Nachbarin, die ihre Kinder als «Affenkinder» oder Ähn-    rung der Rechtslage darin bestärkt, gegen die Kün­
liches bezeichnet und sie mit falschen Anschuldigun-      digung Einsprache zu erheben. Die Beratungsstelle
gen bei der Hausverwaltung negativ darstellt. Als Folge   nimmt Kontakt mit dem zuständigen Sozialarbeiter
kündigt ihnen der Vermieter die Wohnung. Sie haben        der Gemeinde auf. Dieser erklärt sich bereit, die rat-
Zeugen und können nachweisen, dass die Anschuldi-         suchenden Personen vor der Schlichtungsstelle zu
gungen falsch sind. Sie möchten Unterstützung bei der     vertreten. Die Kündigung wird schliesslich von der
Einsprache gegen die Kündigung.                           Schlichtungsstelle als missbräuchlich aufgehoben.

Rassistische Bemerkungen von Kunden in einem Lebensmittelgeschäft
Frau N. wird in einem Lebensmittelgeschäft von ei-        Die Beratungsstelle nimmt mit der Leiterin des Ge-
nem anderen Kunden mit rassistischen Sprüchen be-         schäfts Kontakt auf, um das Geschehen zu schildern
schimpft: «Diese Kopftücher wollen nur unser Geld,        und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Tatsäch-
warum sind die überhaupt hier? Hau ab!».  Die anderen     lich ist die Geschäftsleiterin bereits von einer ande-
Kunden schauen zu, aber niemand reagiert. Sie fühlt       ren Kundin kontaktiert worden, die dasselbe erlebt
sich extrem gedemütigt und hat Angst, dem Mann in         hat. Der Kunde sei bereits identifiziert und habe nun
Zukunft erneut zu begegnen.                               Hausverbot erhalten, weil eine Verwarnung nichts ge-
                                                          nützt habe.

Hassrede in Blogs und Social Media
Ein Mann informiert die Beratungsstelle über auf Face­    Die Beratungsstelle informiert den Mann über die
book veröffentlichte, herabsetzende Inhalte und Hass-     Rechtslage und die bestehenden Handlungsoptionen.
reden gegen Menschen muslimischen Glaubens und            Mit seinem Einverständnis leitet sie den Fall an die
bittet um Auskunft. Er möchte anonym bleiben, weil er     Präventionsplattform gegen Radikalisierung und ge-
die Reaktion der Person fürchtet, die die Beiträge ver-   walttätigen Extremismus weiter.
öffentlicht hat.

Arbeitsplatz: Schikane und Diskriminierung am Arbeitsplatz
Herr P. wird an seinem Arbeitsplatz aufgrund seiner       Dem Mann war es in erster Linie wichtig, seine Er-
Herkunft respektlos behandelt. Der Küchenchef nennt       fahrung bei der Beratungsstelle zu melden und zu
ihn nicht beim Namen, sondern ruf ihn «Taliban». Nun      besprechen. Da er beim Schlichtungsverfahren schon
nennt ihn das ganze Team so. Herr P. wünscht sich ei-     von einer anderen Beratungsstelle Unterstützung er-
nen respektvollen Umgang seitens seines Chefs und des     hielt, ging es ihm nur darum, Auskunft und Informa-
Teams.                                                    tionen zu erhalten.

                                                                                                               13
Welche Feindbilder, Zielgruppen und Ideologien waren involviert?
         Dem langjährigen Trend entsprechend ist das unspezi-                         Muslimfeindlichkeit mit 55 Meldungen (unverändert*)
         fische Motiv der Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit                         sowie in der inhaltlich verwandten Kategorie der Feind-
         mit 145 Nennungen (+ 4 PP*) am häufigsten präsent, ge-                       lichkeit gegen Menschen aus dem arabischen Raum mit
         folgt vom Rassismus gegen Schwarze mit 132 Nennun-                           28 Nennungen (– 1 PP*). Muslimfeindlichkeit und Feind-
         gen (+ 3 PP*). Letzteres bleibt somit das zweithäufigste                     lichkeit gegen Menschen aus dem arabischen Raum
         Diskriminierungsmotiv. Die Fälle Anti-Schwarzen Ras-                         traten am häufigsten in der Nachbarschaft/im Quartier
         sismus finden sich am häufigsten in den Lebensbereichen                      (17), im öffentlichen Raum (16) und am Arbeitsmarkt
         Arbeitsplatz (24), öffentlicher Raum (21), Polizei (20),                     (11) auf. Erkennbar ist mit 36 Nennungen (+ 5 PP*) eine
         Bildung/Schule/KITA (14) und Nachbarschaft/Quartier                          Zunahme der registrierten Fälle, die Rechtsextremis-
         (14). Weiterhin häufig sind die Beratungsfälle im Bereich                    mus betreffen.

         Involvierte Feinbilder, Zielgruppen und Ideologien
         Anzahl Beratungsfälle: 352 (Mehrfachnennungen möglich)

           Ausländerfeindlichkeit/Fremdenfeindlichkeit                                                                                         145  41 %  (+ 4 PP)
                              Rassismus gegen Schwarze                                                                                        132  38 %  (+ 3 PP)
                                     Muslimfeindlichkeit                                         55  16 %  (unverändert)
                                          Antisemitismus              6 2 %  (unverändert)
               Feindlichkeit gegen Roma, Sinti, Jenische             5  1 %  (unverändert)
    Feindlichkeit gegen Menschen aus der Balkanregion                    10  3 %  (unverändert)
Feindlichkeit gegen Menschen aus dem arabischen Raum                               28  8 %  (– 1 PP)
                                        Rechtspopulismus            0  0 %  (– 1 PP)
                                      Rechtsextremismus                                36 10%  (+ 5 PP)
                                           Nationalismus             4 1 %  (unverändert)
                            Religiöser Fundamentalismus            0  0 %  (unverändert)
                             Anderes religiöses Feindbild          1  0 %  (– 1 PP)
    Feindlichkeit gegen Deutsche in der Deutschschweiz              2  1 %  (– 1 PP)
         Feindlichkeit gegen Franzosen in der Romandie               5  1 %  (unverändert)
                          Feindlichkeit gegen Menschen              3  1 %  (unverändert)
                           aus der Mehrheitsgesellschaft

                                                               0                30               60                90               120               150

         Lag eine Mehrfachdiskriminierung vor?
         In 141 Fällen, d. h. in mindestens jedem dritten Bera-                       Keine Angaben                                   236 67 % (– 4 PP)
         tungsfall, stellten die Beratungsstellen zusätzlich zur                      Alter                                             4 1 % (– 1 PP)
         rassistischen Diskriminierung eine Mehrfachdiskrimi-                         Geschlecht                                       40 11 % (– 1 PP)
         nierung fest. Diese bezog sich überwiegend auf die Kate-                     Sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität   8 2 % (+ 1 PP)
         gorie des Rechtsstatus mit 66 Nennungen (+ 7 PP*) sowie                      Behinderung                                       5 1 % (– 1 PP)
                                                                                      Soziale Stellung                                 11 3 % (– 2 PP)
         das Geschlecht mit 40 Nennungen (– 1 PP*).
                                                                                      Politische Meinung                                7 2 % (+ 1 PP)
                                                                                      Rechtsstatus                                     66 19 % (+ 7 PP)

         * Die Prozentangaben (XY %) beziehen sich auf die Anzahl Nennungen der betreffenden Kategorie im Verhältnis zur Gesamtfallanzahl (352).
           Die Zu-/Abnahme in Prozentpunkten (PP) bezeichnet die Differenz des prozentualen Anteils einer Kategorie zum prozentualen Anteil im Vorjahr.

         14
II

                                                                                                                     A N A LY S E
Anti-Schwarzen-Rassismus: Beleidigung und Ausgrenzung in einer Schulklasse
Frau M. ist mit ihren zwei Kindern vor Kurzem von der       in der betroffenen Klasse seit zwei Jahren ­Mobbing
Stadt aufs Land gezogen. Nun kommt es in der neuen          immer wieder ein Thema ist. Man habe aber bereits
Schule in der 5. und 6. Klasse zu massiven rassistischen    viel getan und das Klassenklima habe sich verbes-
Beleidigungen in denen auch das N-Wort vorkommt.            sert. Trotzdem komme es immer wieder zu Vorfällen
                                                            von «wüsten Beschimpfungen». Die Beratungsstelle
Die Beratungsstelle bespricht die Situation mit der         führt nach Absprache mit der Schule und der Schul-
Mutter. Daraufhin kontaktiert die Beratungsstelle die       sozialarbeiterin eine Klassenintervention durch, was
zuständige Schulsozialarbeiterin und erfährt, dass          zu einer Beruhigung der Situation führt.

Muslimfeindlichkeit: Rassistische und diskriminierende Äusserungen gegenüber
der muslimischen Community
Ein Teamleiter und Ausbildner eines Fahrdienstun-           Die Beratungsstelle unterstützt die meldende Person
ternehmens macht rassistische und diskriminierende          bei der Formulierung eines Briefs an den Unterneh-
Bemerkungen gegenüber den muslimischen Mitarbei-            mensleiter. Im Schreiben wird der Leiter aufgefor-
tenden, die ihre Religion ausüben und den Ramadan           dert, alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um
praktizieren. Diese würden, so der Teamleiter, eine Ge-     Belästigung und Rassismus zu verhindern und Mitar-
fahr für die öffentliche Sicherheit darstellen.             beitende, die solche Handlungen begehen, zu sankti-
                                                            onieren. Der Brief wird von mehreren Mitarbeitenden
                                                            verschiedener Nationalitäten unterzeichnet.

Rassistischer Abdruck «White Power»
Frau L. berichtet von einer rassistischen Beschriftung      Die Beratungsstelle bestätigt, dass der Schriftzug
«White Power» auf einem Gebäude in einer zentralen          eine Rassendiskriminierung nach Art. 261 bis StGB
Strasse der Stadt. Sie habe sich bereits an alle kantona-   darstellt und reicht eine Strafanzeige ein. Daraufhin
len und kommunalen Institutionen gewendet, um die           ordnet die Staatsanwaltschaft die Entfernung des
Beschriftung entfernen zu lassen. Die Polizei teilte ihr    Schriftzugs an.
aber mit, dass es der Eigentümer des Gebäudes sei, der
die notwendigen Schritte unternehmen müsse, um die
Beschriftung zu entfernen.

                                                                                                                15
Angaben zu den betroffenen Personen

Aus welcher Region stammen die Personen ursprünglich?
Menschen afrikanischer Herkunft stellen, wie in den                       darunter auch zahlreiche Personen mit Schweizer Her-
letzten Jahren, die grösste Gruppe von Betroffenen dar                    kunft (52), die als «fremd» wahrgenommen und diskri-
(98 Nennungen). Am zweithäufigsten betreffen die er-                      miniert werden. Zugenommen hat die Anzahl betroffe-
fassten Fälle Menschen mit europäischer Herkunft (94                      ner Personen aus dem Nahen Osten und Zentralasien (33)
Nennungen). Dies ist damit zu erklären, dass Personen                     sowie Asien und Pazifik (20). Auffallend ist, wie stark
italienischer, deutscher, portugiesischer, französischer,                 auch Menschen aus Eritrea und Syrien von rassistischer
kosovarischer, spanischer, türkischer und serbischer                      Diskriminierung betroffen waren und sich an eine Bera-
Staatsangehörigkeit die Mehrheit der Menschen ohne                        tungsstelle gewandt haben.
Schweizer Pass in der Schweiz ausmachen. Zudem sind

Regionale Herkunft der Betroffenen
Anzahl betroffene Personen: 299

                                                                    EU/EFTA 23

                                                                                   übriges Europa 19
 Nordamerika 1                                                                  Schweiz 52
                                                                                               Naher Osten,
                                                                                               Zentralasien 33
                                               Nordafrika 32
 Zentralamerika 4                      Karibik 6                                                                          Asien/Pazifik 20
                                              Westafrika 25                                Ostafrika 37
                                                           Zentralafrika 2

                                                          Südamerika 11

                                                                                        Südliches Afrika 2
                                                                                                             Ozeanien 1

          keine Angabe 31

Welche Nationalität haben die Personen?
Anzahl betroffene Personen: 299 (davon 35 Doppelbürgerschaften)

Keine Angaben                                                     61      Brasilien, Türkei                                            je 8
Schweiz                                                           81      Afghanistan, Bangladesch, Indien, Marokko, Sudan, Tunesien   je 5
Eritrea                                                           21      Algerien, Deutschland, Gambia, Italien, Nigeria, Somalia     je 4
Syrien                                                            19      Ägypten, Kenia, Peru, Senegal, Sri Lanka                     je 3
Frankreich                                                        17      Weitere Nationalitäten                                        50

16
II

                                                                                                                         A N A LY S E
Welchen Rechtsstatus haben die Personen?
Nicht die Nationalität bzw. der Aufenthaltsstatus in der       des prekären Aufenthaltsstatus nur mit Mühe eine Woh-
Schweiz, sondern vielmehr die vermutete bzw. zuge-             nung oder eine Erwerbstätigkeit.
schriebene Herkunft ist ausschlaggebend für eine Dis-              In der Regel werden die Beratungsstellen eher von
kriminierung.                                                  Menschen mit einem Schweizer Pass oder einem gefes-
   So kommt es bezeichnenderweise auch zu diskri-              tigten Aufenthaltsstatus aufgesucht als von Asylsu-
minierenden Handlungen gegen Schweizerinnen bzw.               chenden, vorläufig Aufgenommenen oder Sans-Papiers.
Schweizer, denen die Täterinnen und Täter jedoch eine          Insbesondere für Sans-Papiers (darunter auch abgewie-
nicht-schweizerische Herkunft zuschreiben.                     sene und untergetauchte Asylsuchende) ist die Hemm-
   Bei vorläufig aufgenommen Personen stellt sich nach         schwelle für die Inanspruchnahme einer Beratung in der
einigen Jahren Aufenthalt die Frage, inwieweit dieser          Regel grösser, da unter Umständen befürchtet wird, dass
Status an sich bereits einer strukturellen Diskriminie-        sich die Offenlegung des Status negativ auf die Aufent-
rung gleichkommt. So finden diese Personen aufgrund            haltssituation auswirken könnte.

Rechtsstatus der Betroffenen
Anzahl betroffene Personen: 299

            Aufenthaltsbewilligung mit Erwerbstätigkeit Ci 2
                                           Sans-Papiers 2           CH-Pass 83
                                         Schengenvisum 5
                         vorläufig Aufgenommene F 15
                                 Asylsuchende N 12
                       Grenzgängerbewilligung G 1
                    Kurzaufenthaltsbewilligung L 2

                  Niederlassungsbewilligung C 32

                                   Flüchtlinge B 13

                              Aufenthaltsbewilligung B 28                keine Angaben 104

  Diskriminierung wegen Rechtsstatus: Einlassverweigerung in einem Club
  Ein junger Mann und zwei Freunde werden vom Sicher-          Der Betroffene möchte diese Praxis strafrechtlich ver-
  heitspersonal eines städtischen Clubs wegen ihrer Auf-       folgen.
  enthaltsbewilligung (B-Flüchtlinge) abgewiesen. Das
  Sicherheitspersonal nennt die Aufenthaltsgenehmi-            Mit Hilfe der Beratungsstelle wird eine Beschwerde
  gung hierbei explizit als Grund für die Einlassverwei-       bei der Staatsanwaltschaft eingereicht und eine Ver-
  gerung.                                                      letzung des Diskriminierungsverbots nach Art. 8 BV
     Am folgenden Tag werden er und ein anderer Freund         sowie eine Rassendiskriminierung nach Art. 261 bis
  erneut abgewiesen, diesmal jedoch ohne Begründung.           StGB geltend gemacht.

                                                                                                                    17
Welches Alter haben die Personen?
Anzahl betroffene Personen: 299

                                                                 keine Angaben 16
                                         älter als 65-jährig 2
                                                                            bis 16-jährig 36

                                                                                      17- bis 25-jährig 33

                                  26- bis 65-jährig 212

Welches Geschlecht haben die Personen?
Anzahl betroffene Personen: 299

                                              keine Angaben 4

                                                                                        männlich 161
                                  weiblich 134

  Rechtsextreme Vorfälle in einer Schule
  Die Fachperson einer Gemeinde berichtet der Bera-                  Die Beratungsstelle führte mehrere Gesprächsrun-
  tungsstelle von verschiedenen Vorfällen, welche der                den und Interventionen mit den Jugendlichen, den
  Thematik Rechtsextremismus zuzuordnen sind. Es sei                 Eltern, der Schule inkl. Lehrpersonen und den zu-
  in der Vergangenheit zur Verbreitung von rechtsextre-              ständigen Fachstellen der Gemeinde durch. Die Mass-
  men Symbolen, Gestik (Hitler-Gruss) bis hin zu verba-              nahmen führten zu einer Sensibilisierung und Beru-
  len und physischen Übergriffen auf einen Schwarzen                 higung der Situation vor Ort.
  Jugendlichen gekommen. Die Vorfälle gingen stets von
  Schülerinnen und Schülern der Gemeinde aus.

18
III

                                                                                                                        T H E M A R A C I A L P R OF I L I NG
Interview mit Anne-Laure Zeller,
Leiterin der Beratungsstelle Centre d‘Ecoute Contre le Racisme in Genf

Die Beratungsstelle gegen Rassismus, Centre d’Ecoute           Kontrolle nicht in aller Öffentlichkeit durchgeführt
Contre le Racisme (C-ECR) in Genf steht allen Personen         wird. So wäre die Kontrolle weniger entwürdigend
offen, die mit rassistischen, diskriminierenden oder in-       für ihn gewesen. Betroffene erwähnen häufig, dass
toleranten Handlungen aufgrund ethnischer Herkunft,            sie die Kontrolle als eine öffentliche Demütigung
Hautfarbe, Nationalität oder Religion konfrontiert sind.       empfinden. Seinem Wunsch wurde nicht entsprochen
Racial Profiling ist in Genf weit verbreitet und ein wie-      und er wehrte sich deshalb gegen die Kontrolle. Da-
derkehrendes Thema in der Beratung.                            raufhin wurden ihm Handschellen angelegt und er
                                                               wurde auf den Polizeiposten geführt. Er verpasste
                                                               nicht nur seinen Zug, sondern wurde auch noch ge-
Anne-Laure Zeller, Sie sind die Leiterin des C-ECR.            büsst. Angesichts solcher Fälle bietet das Zentrum
­Warum ist Racial Profiling ein aktuelles Thema in             an, einen Termin mit der Schlichtungsstelle der Po-
 Genf?                                                         lizei zu vereinbaren, um eine Lösung für die Betrof-
                                                               fenen zu finden. Betroffene empfinden solche Kont-
    Die Bevölkerung des Kantons Genf ist ausgespro-            rollen als missbräuchlich, weil sie als «Weisse» unter
   chen multikulturell. Genf ist eine internationale           den gleichen Umständen nicht kontrolliert worden
   Stadt, in der viele internationale Organisationen           wären. In einem anderen Fall schilderte ein Zeuge,
    und NGOs ihren Sitz haben und viele ausländische           dass an der Kasse eines Ladens ausschliesslich bei
    Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt             Schwarzen Stichproben durchgeführt worden seien.
    sind. Der Kanton verfügt zudem über zwölf Kollek-          Der Zeuge sprach von Missbrauch und wies ebenfalls
    tivunterkünfte für Migrantinnen und Migranten und          auf die ­Demütigung hin, die Betroffenen dadurch
    wird demnächst ein Bundesasylzentrum eröffnen.             widerfahre. Bei dieser Art von Kontrolle ist es sehr
    Genf ist auch ein Grenzkanton und verfügt über ei-         schwierig, den Straftatbestand von Racial Profiling
   nen internationalen Flughafen. Kontrollen durch die         nachzuweisen, da sich die Läden auf ihr Recht zur
   ­Polizei oder den Zoll sind daher üblich, meist aus         Kontrolle von Taschen und Waren berufen. Das C-ECR
    Sicherheitsgründen. Eine der direkten Nebenerschei-        hat sich bereits mit mehreren ähnlichen Fällen be-
    nungen dieser Kontrollen ist der Straftatbestand des       fasst, die von Betroffenen selbst oder von Zeuginnen
    Racial Profilings.                                         und Zeugen gemeldet wurden.

Wie viele Fälle von Racial Profiling hat das C-ECR im       Wie werden Polizei- oder Zollkontrollen von den
Jahr 2019 behandelt? Können Sie uns einige dieser           ­Betroffenen erlebt? Zu welcher Art von Konflikten
Fälle beschreiben?                                           können diese Kontrolle führen?

   2019 verzeichnete das C-ECR neun Fälle von Racial           Im Allgemeinen sind diese Kontrollen für die Men-
   Profiling. Meist betrafen diese Polizei- oder Zollkon-      schen sehr schwer zu ertragen, sie sind schockiert,
   trollen, bei denen sich die Betroffene aufgrund ihrer       gestresst, verärgert; und zwar nicht nur darüber,
   Hautfarbe oder Herkunft als Zielscheibe der Kont-           dass sie kontrolliert werden, sondern auch aufgrund
   rolle fühlten. So wurde beispielsweise ein schwarzer        der Art und Weise, wie sie kontrolliert werden. Für
   Musiker auf dem Weg zum Bahnhof von der Polizei             Betroffene ist es in zweierlei Hinsicht schwierig:
   angehalten. Da er nicht verstand, warum seine Ta-           Zum einen aufgrund der Tatsache, dass sie kontrol-
   sche durchsucht werden sollte, schlug er vor, die An-       liert werden, zum anderen, weil die Kontrolle we-
   gelegenheit ein wenig abseits zu regeln, damit die          gen ihrer Hautfarbe oder Herkunft geschieht. Alle

                                                                                                                  19
Betroffene weisen auch darauf hin, dass sie bei der          ge einzureichen, weil sie Repressalien oder andere
     Kontrolle nicht angehört werden und die Beamten              Nachteile befürchten. Manchmal entwickeln die Be-
     ihre Fragen nicht beantworten. Dies führt zu Span-           troffenen auch eigene Strategien. Dies zeigt der Fall
     nungen, sowohl bei den Betroffenen – die entspre-            einer betroffenen Person, die begann, den Zug zu im-
     chend reagieren und sich verteidigen – als auch bei          mer anderen Zeiten zu nehmen, um nicht systematisch
     den Polizistinnen und Polizisten oder den Mitarbei-          von den Grenzwachtbeamten kontrolliert zu werden.
     tenden des Grenzwachtkorps. Die Beamten können
     die Diskussion verweigern oder sich unangemessen
     verhalten, beispielsweise mit der Äusserung unange-       Wie berät das C-ECR im Fall von Racial Profiling
     brachter oder diskriminierender Bemerkungen über          und welche Interventionsmöglichkeiten werden
     die Herkunft der Person. Sie können auch drastische-      vorgeschlagen?
     re Massnahmen ergreifen, indem sie die Person fest-
     nehmen und sie über Nacht auf dem Polizeiposten              Eine Beratung im Zusammenhang mit einem ras-
     festhalten. Eine Kontrolle kann zu einem schwerwie-          sistischen Vorfall besteht in einem ersten Schritt
     genden Vorfall ausarten, in der Regel zum Nachteil           darin, der Person aufmerksam zuzuhören und ihre
     der kontrollierten Person.                                   Aussagen zur Kenntnis zu nehmen. In einem zwei-
                                                                  ten Schritt wird der Verlauf der Situation rekonst-
                                                                  ruiert und allenfalls mit genaueren Informationen
Welche Folgen hat Racial Profiling für die Betroffe-              ergänzt. Die Beratungsstelle schlägt oft vor, dass
nen? Welche Strategien entwickeln die Betroffenen,                die Person eine Chronologie der Ereignisse verfasst.
um mit solchen Kontrollen umzugehen?                              Dadurch kann die Situation besser erfasst und ver-
                                                                  folgt werden, was wiederum wichtig für das richtige
     Das C-ECR beobachtet verschiedene Reaktionen, die            Verständnis und die angemessene Behandlung des
     von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind und von            Falls ist. Der dritte Schritt besteht darin, sich über
     ihrer Situation, ihrer Resilienz und anderen Fakto-          den allgemeinen Gesundheitszustand der Person zu
     ren abhängen. Einige wehren sich, andere sind em-            informieren und herauszufinden, ob sie Familie oder
     pört oder fühlen sich zutiefst gedemütigt. Betroffene        Freunde und Freundinnen hat, die sie unterstützen
     können auch einen traumatischen oder posttrau-               könnten. Die vom C-ECR vorgeschlagenen Interventi-
     matischen Schock (Bumerang-Effekt) erleiden, vor             onen variieren je nach Ergebnis der Fallbeurteilung.
     allem, wenn die Kontrolle lange dauert und sie bei-          Eine Interventionsmöglichkeit besteht darin, einen
     spielsweise eine Nacht in der Zelle verbringen müs-          Brief zu schreiben, um eine Stellungnahme von der
     sen, oder wenn sie wiederholt kontrolliert worden            beschuldigten Organisation, Firma oder Verwaltung
     sind. Diese Menschen entwickeln ein starkes Gefühl           zu verlangen. Wenn die Polizei beispielsweise wegen
     des Verfolgtwerdens. Einige sprechen von ihrem Ver-          einer unangemessenen Kontrolle beschuldigt wird,
     trauensverlust oder auch ihrer Angst vor den Sicher-         schlägt die Beratungsstelle vor, dass die Person sich
     heitskräften, den öffentlichen Institutionen und             an die Schlichtungsstelle der Polizei wendet, um eine
     dem Staat allgemein. Viele Betroffene befürchten,            Vermittlung herbeizuführen.
     dass auch ihre Kinder solche Kontrollen erleben müs-             Seit 2019 hat die Beratungsstelle C-ECR einen
     sen. Betroffene wünschen sich, dass diese Art von            erleichterten Zugang zur Kantonspolizei und kann
     rassistischer Schikane aufhört. Sie möchten wissen,          direkt mit Mitarbeitenden des Stabs Kontakt aufneh-
     wie sie in solchen Situationen reagieren sollen und          men, um sich über bestimmte Situationen oder Ver-
     ob es Austauschgruppen für Betroffene von ­R acial           fahren der Polizei Klarheit zu verschaffen. Auch eine
     Profiling oder Vereine gibt, die sich gegen Racial Pro-      langfristige Zusammenarbeit mit einem Stabsoffizier
     filing engagieren. Viele haben Angst eine Strafanzei-        des Schweizer Zolls konnte aufgebaut werden.

20
III

                                                                                                                       T H E M A R A C I A L P R OF I L I NG
Welche Massnahmen sollten, Ihrer Meinung nach,                 Der Austausch dient zur Sensibilisierung. Die doku-
­innerhalb der Polizei und des Grenzwachtkorps                 mentierten Fälle können in Schulungen und beim
 ergriffen werden, um allgemein Rassismus und                  beruflichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen
 willkürliche Kontrollen aufgrund der äusseren                 genutzt werden. Es ist auch sinnvoll, die Öffentlich-
 Erscheinung zu bekämpfen?                                     keit transparenter über Zoll- oder Polizeikontrollen
                                                               zu informieren, wie es beispielsweise die französi-
  Die Ausbildung spielt natürlich eine wichtige Rolle.         sche Regierung tut. Sie informiert zu diesem Thema
  Die Ausbildung der Polizistinnen und Polizisten und          auf der Website der Zollverwaltung. Entsprechende
  der Grenzwächterinnen und Grenzwächter ist jedoch            Informationen könnten in der Schweiz auf der Web-
  hauptsächlich technisch ausgerichtet. Die juristi-           seite der eidgenössischen Zollverwaltung oder des
  sche, psychosoziale und kulturelle Ausbildung ist be-        eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement un-
  grenzt. Es ist wichtig, über Fälle von Racial Profiling      ter dem Titel «Alles über Zollkontrollen» und «Alles
  und über die Art und Weise, wie solche willkürlichen         über Polizeikontrollen» aufgeschaltet werden.
  Kontrollen durchgeführt werden zu sprechen und auf               Das Beratungsnetz für Rassismusopfer verzeich-
  deren Folgen hinzuweisen. Dies bedingt, dass die             nete im Jahr 2019 23 Fälle von Racial Profiling. Es
  Fälle bei den zuständigen Behörden in den betref-            ist gravierend, dass es in der Schweiz praktisch kei-
  fenden Städten und Kantonen gemeldet werden. In              ne Unterstützung für Opfer von Racial Profiling gibt.
  Genf können solche Vorfälle mit den Kontakten bei            Die Kantone Bern, Basel und Zürich haben jedoch
  der Polizei und dem Zoll in anonymisierter Form be-          bereits reagiert und erste Massnahmen zur Überwa-
  sprochen werden. Dadurch werden rassistische Vor-            chung rassistischer Handlungen durch die Polizei
  fälle für die Mitarbeitenden konkreter und fassbar.          ergriffen.

 Racial Profiling: Kontrolle am Flughafen in Genf
 Frau M. aus Westafrika arbeitet als Projektleiterin für    Die Beratungsstelle nahm direkt Kontakt mit dem
 eine internationale Organisation in Genf. Bei der Rück-    Sicherheitsdienst des Flughafens Genf auf. Darauf-
 kehr von einer ihrer Geschäftsreisen wurde ihr Reise-      hin erläuterte der zuständige Stabsoffizier in einem
 pass direkt nach der Landung am Flughafen kontrol-         persönlichen Gespräch mit Frau M. und der Bera-
 liert. Obwohl alle Dokumente in Ordnung waren, wurde       tungsstelle die Gründe für die Kontrolle. Er räumte
 sie als einzige Passagierin zur Seite genommen. Ohne       ein, dass solche Kontrollen oft abrupt stattfinden
 ihr einen Grund zu nennen, begleiteten die Beamten         und schockierend sein können. Er erklärte weiter,
 sie durch den ganzen Flughafen, eine Situation, die        dass trotz der Unschuld der kontrollierten Person
 sie als sehr demütigend empfand. In einem separaten        eine solche Kontrolle automatisch zu einem Eintrag
 Raum wurde ihr Koffer kontrolliert, sie wurde aggres-      in der schweizerischen Zolldatenbank führt und dass
 siv befragt und sie musste sich ausziehen. Niemand         dieser Hinweis fünf Jahre lang bestehen bleibt. Der
 erklärte ihr, warum sie kontrolliert wurde und es gab      Beamte versprach, sich um die Löschung dieses Ein-
 keine Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten. Als       trags zu bemühen. Durch diesen Fall gelang es der Be-
 sie schliesslich gehen konnte, fühlte sie sich erschla-    ratungsstelle, eine dauerhafte Zusammenarbeit mit
 gen und schockiert von diesem Erlebnis. Frau M. wurde      dem Stabsoffizier bei Fällen rassistischer Diskrimi-
 durch die Kontrolle so verunsichert, dass sie eine an-     nierung aufzubauen.
 stehende Geschäftsreise absagte.

                                                                                                                 21
Sie können auch lesen