Rassismusvorfälle aus der Beratungspraxis - Januar bis Dezember 2019 - Auswertungsbericht auf der Grundlage des Dokumentations-Systems Rassismus ...
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Rassismusvorfälle aus der Beratungspraxis Januar bis Dezember 2019 Auswertungsbericht auf der Grundlage des Dokumentations-Systems Rassismus DoSyRa
Beratungsnetz für Rassismusopfer – Vernetzung und Know-how-Transfer Ein Joint-Venture-Angebot von: Eidgenössische Kommission gegen Rassismus EKR Commission fédérale contre le racisme CFR Commissione federale contro il razzismo CFR Impressum Herausgebende: Verein humanrights.ch, Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) Redaktion und Lektorat: Gina Vega (humanrights.ch), Marianne Aeberhard (humanrights.ch), Alma Wiecken (EKR) Grafik und Layout: Atelier Bläuer, Bern Übersetzungen: Sprachdienste GS-EDI (Französisch) und Sandra Verzasconi Catalano (Italienisch) Druck: Valmedia AG Bern, April 2020
Vorwort Der Bericht des Beratungsnetzes für Rassismusopfer zieht jedes Jahr eine Bilanz über die Vorfälle, die an die Beratungsstellen herangetragen werden. Dabei erhebt der Bericht nicht den Anspruch, eine vollständige Bestandsaufnahme der Rassismusvor- fälle in der Schweiz zu sein. Den Leserinnen und Lesern wird es durch die im Bericht behandelten Fälle möglich sein, einen Einblick in die Lebensrealität derjenigen zu erhalten, die in der Schweiz mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert sind. Im Jahr 2019 verzeichnen wir eine starke Zunahme der gemeldeten und als ras- sistisch eingestuften Fälle von Diskriminierung. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass der Rassismus in der Schweiz zugenommen hat (der Bericht gibt dahingehend einen Einblick, ist aber nicht als vollständige und belastbare Statistik zu verstehen). Aber es zeigt, – und das ist ein wichtiger Punkt – dass die Betroffenen eher bereit sind, sich an Beratungsstellen zu wenden. Es ist nicht immer leicht, den Schritt zu wagen und über die eigenen Diskriminierungserfahrungen zu sprechen, dazu gehört viel Vertrauen. Ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit gegen rassistische Diskriminierung besteht daher darin, auf die Beratungsstellen aufmerksam zu machen und über ihre Angebote und Arbeitsweise zu informieren. Anstrengungen wurden dahingehend unternommen und müssen auch weiterhin fortgesetzt werden. Die Veröffentlichung dieses Berichts ist auch eine Gelegenheit, die Notwendigkeit zu betonen, die Beratungsstellen mit den nötigen Mitteln auszustatten, damit sie ihre Aktivitäten weiterhin mit hoher Qualität durchführen können. In den kantonalen In- tegrationsprogrammen für den Zeitraum 2024–2027 sollten die für die Bekämpfung der Rassendiskriminierung bereitgestellten finanziellen Mittel unbedingt erhöht und die Kantone bestärkt werden, die Qualität und Zugänglichkeit von Berat ungsangeboten zu gewährleisten. Dies ist umso mehr gerechtfertigt, als 60 Prozent der Befragten in der Erhebung «Zusammenleben in der Schweiz» des Bundesamts für Statistik glauben, dass Rassismus ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem ist. 2019 haben Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund erstmals erkennbar zuge- nommen. Wie die Ereignisse im Ausland zeigen, muss diese Tendenz ernst genommen werden und darf nicht unterschätzt werden. Dieser Bericht ist das Ergebnis der wichtigen Arbeit der Beratungsstellen, die Mit- glied im Beratungsnetz für Rassismusopfer sind. Ich möchte hier unsere Dankbarkeit für diese wertvolle Arbeit zum Ausdruck bringen, deren Ergebnisse eine unverzicht- bare Informationsquelle sind. Ein Dank geht auch an die Projektleiterin Gina Vega von humanrights.ch und Alma Wiecken, Geschäftsführerin der EKR, die einen wichtigen Beitrag zum Beratungsnetz und zum vorliegenden Bericht leisten. Martine Brunschwig Graf Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) 1
Inhalt Vorwort.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 T E I L I E I N F Ü H RU NG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Das Beratungsnetz 2019.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Bedeutung des Beratungsnetzes für Bund und Kantone. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Die Beratungsstellen im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Methodik.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 T E I L I I A N A LY S E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Kontaktnahme und Dienstleistungen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Welche Personen haben Rat gesucht?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Wie wurde Kontakt aufgenommen?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Welche Dienstleistungen haben die Beratungsstellen erbracht?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Beschreibung der Diskriminierungsvorfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 In welchen Lebensbereichen geschahen die Vorfälle?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Wie wurde diskriminiert?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Welche Feindbilder, Zielgruppen und Ideologien waren involviert?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Lag eine Mehrfachdiskriminierung vor?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Angaben zu den betroffenen Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Aus welcher Region stammen die Personen ursprünglich?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Welche Nationalität haben die Personen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Welchen Rechtsstatus haben die Personen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Welches Alter haben die Personen?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Welches Geschlecht haben die Personen?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 T E I L I I I T H E M A R A C I A L P R OF I L I NG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Interview mit Anne-Laure Zeller, Leiterin der Beratungsstelle Centre d‘Ecoute Contre le Racisme in Genf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 TEIL I V N IC H T AU S GE W E R T E T E FÄ L L E .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Nicht genügend erhärtete Diskriminierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Meldungen ohne formelle Beratungstätigkeit.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 T E I L V GL O S S A R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 T E I L V I M I T W I R K E N DE U N D D A N K S A GU NG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Mitwirkende Beratungsstellen 2019.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2
I Das Beratungsnetz 2019 E I N F Ü H R U NG Mit dem vorliegenden Bericht wird die zwölfte Auswertung von Beratungsfällen zu rassistischer Diskriminierung* in der Schweiz veröffentlicht. Das Beratungsnetz für Rassismusopfer wurde 2005 als Joint Venture Projekt zwischen der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR und dem Verein humanrights.ch gegründet und hat sich seither stetig weiterentwickelt. Das Be- ratungsnetz ist überzeugt, dass wirksame Anti-Rassismus-Arbeit nur durch das Zusammenwirken unterschiedlichster Akteurinnen und Akteure möglich ist. Deswegen ist der Austausch zwischen kantonalen oder städtischen Stellen auf der einen Seite und nicht-staatlichen Beratungsstellen auf der anderen Seite für das Beratungsnetz unerlässlich. Im Jahr 2019 hat es einige Veränderungen im Netzwerk gegeben: von 24 spezialisierten Be- ratungsstellen aus der ganzen Schweiz ist die Anzahl der Mitglieder des Netzwerks im Jahr 2019 auf 22 Beratungsstellen gesunken. Multimondo und das Konfliktophon der AOZ sind aufgrund von Veränderungen in ihrem Arbeitsauftrag ausgetreten. Zudem musste das Kompetenzzentrum für interkulturelle Konflikte (TikK) in der bestehenden Form seine Türen schliessen. Als Neumitglied ist die Zürcher Anlaufstelle Rassismus ZüRAS (Nachfolgerin von TikK) dazugestossen. Im Berichtsjahr 2019 wurden 352 Beratungsfälle zu rassistischer Diskriminierung registriert, so viele wie noch nie. Der Anstieg an Beratungsfällen bedeutet aber nicht zwingend, dass der Ras- sismus in der Gesellschaft im selben Masse zugenommen hat. Mögliche Gründe für den Anstieg der Fallzahl können auch eine verstärkte Sensibilisierung der Betroffenen oder ein verbesserter Zu- gang zu Beratungsstellen sein. Es ist ausserdem wichtig zu betonen, dass die hier ausgewerteten Fälle nur die berühmte «Spitze des Eisbergs» darstellen: viele Betroffene gelangen aus verschiede- nen Gründen mit ihren Diskriminierungserfahrungen gar nicht an eine Beratungsstelle. Die Auswertung der von den Mitgliedstellen behandelten Beratungsfälle im vorliegenden Be- richt ist ein wichtiger Mosaikstein im nationalen Monitoring rassistischer Diskriminierung und eine Ergänzung zu Berichten wie der Chronologie «Rassismus in der Schweiz» der Stiftung ge- gen Rassismus und Antisemitismus (GRA) oder den Berichten zu Antisemitismus des Schweize- rischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) bzw. der Coordination Intercommunautaire Contre l‘Antisémitisme et la Diffamation (CICAD) in der Romandie. Die Fachstelle für Rassismusbekämp- fung (FRB) des Bundes verwendet diese und weitere Quellen als Datenbasis für ihre zweijährlich erscheinende Übersicht «Rassistische Diskriminierung in der Schweiz». Bedeutung des Beratungsnetzes für Bund und Kantone Das Beratungsnetz ist für die Kantone und den Bund von grosser Bedeutung. Den Kantonen bietet das Beratungsnetz massgeschneiderte statistische Auswertungsmöglichkeiten, belebt und fördert die interkantonale Vernetzung sowie den Diskriminierungsschutz. Es hilft damit den Kantonen, ihren Auftrag zu erfüllen. Zudem macht der jährliche Auswertungsbericht die Arbeit der kan- tonalen Beratungsstellen sichtbarer. Die Mehrheit der Kantone unterstützt das Beratungsnetz fi nanziell. Sie sind die wichtigsten Geldgeber des Projektes. Diese Strukturfinanzierung ist für das Projekt unerlässlich. Dem Bund dienen der vorliegende Bericht und die strukturierte Datenbasis einerseits dem nationalen Monitoring, andererseits der Berichterstattung an internationale Organe. Hierzu ge- hören unter anderem die Staatenberichte an den UNO-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) und an die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intole- ranz (ECRI) des Europarats. * Begriffe in Grün werden im Glossar auf Seite 23 erläutert. 3
Die Beratungsstellen im Überblick Stopp Rassismus Kantone BL, BS, SO Mitglied seit 2007 BI AIA Kanton Jura Kanton Aargau Mitglied seit 2016 Mitglied seit 2014 FABIA Kanton Luzern Mitglied seit 2016 COSM RBS Kanton Kanton Bern EKR Neuenburg Mitglied seit 2015 ganze Schweiz Mitglied seit 2017 Mitglied seit 2005 gggfon Deutschschweiz Mitglied seit 2005 BCI Respekt für alle Kanton Waadt Kanton Fribourg Mitglied seit 2011 Mitglied seit 2016 BLI Stadt Lausanne Mitglied seit 2011 B-ECR C-ECR Kanton Wallis Kanton Genf Mitglied seit 2015 Mitglied seit 2014 4
I E I N F Ü H R U NG Integres Kanton Schaffhausen Mitglied seit 2014 Fachstelle Integration TG Kanton Thurgau SOS Rassismus Mitglied seit 2016 Kanton Zürich Mitglied seit 2007 ZüRAS HEKS Kanton und Kanton Stadt Zürich Sankt Gallen Mitglied seit 2019 Mitglied seit 2016 Kantonale Anlaufstelle Kanton Zug KOMIN Mitglied seit 2016 Kanton Schwyz Mitglied seit 2016 GFI Kanton Nidwalden Mitglied seit 2016 CARDIS Kanton Tessin Mitglied seit 2015 5
Methodik Damit ein Fall in die Hauptauswertung des Berichts Einfache Meldungen ohne Anspruch auf Beratung (z. B. einbezogen wird, müssen folgende Bedingungen erfüllt ein anonymer Brief) sowie Fälle von nicht genügend er- sein: (1) Eine Interaktion zwischen der Beratungsstel- härteten Diskriminierungen fliessen nicht in die detail- le und der meldenden Person hat stattgefunden; (2) ein lierte Auswertung ein, werden aber separat berücksich- konkreter Situationsbeschrieb liegt vor und wird von der tigt (vgl. Teil IV, S. 22). Unberücksichtigt bleiben Fälle, beratenden Fachperson als Fall von rassistischer Diskri- die zu einer Beratungsleistung geführt haben, eine ras- minierung eingeordnet; (3) eine Beratungsleistung wur- sistische Diskriminierung aber ausgeschlossen werden de erbracht. konnte. Beratungsstellen Projektleitung 1. Falleingabe 2. Datenbereinigung 3. Datenauswertung Die Beratungsstellen erfassen Die von den Beratungsstellen Die Fälle, bei welchen aus die von ihnen behandelten Fälle eingetragenen Beratungsfälle externer, möglichst objektiver im «Dokumentationssystem werden von der Projektleitung Sicht eine rassistische Diskri- Rassismus» (DoSyRa) und ord- hinsichtlich ihrer Konsistenz minierung vorliegt, werden zu- nen die geschilderten Vorfälle und Vollständigkeit überprüft sammengeführt und im Bericht den vorgegebenen analytischen und falls nötig zur Überarbei- ausgewertet. Kategorien zu. tung zurückgewiesen. Anzahl Fälle insgesamt: 575 Einfache Meldung ohne Anspruch auf Beratung 31 Beratungsfälle: offensichtlich keine rassistische Diskriminierung 86 Beratungsfälle: nicht genügend Beratungsfälle: rassistische erhärtete Diskriminierungen 106 Diskriminierung 352 Anzahl ausgewerteter Beratungsfälle pro Berichtsjahr 2008: 87 Fälle, erfasst von 5 Beratungsstellen 2014: 249 Fälle, erfasst von 15 Beratungsstellen 2009: 162 Fälle, erfasst von 5 Beratungsstellen 2015: 239 Fälle, erfasst von 18 Beratungsstellen 2010: 178 Fälle, erfasst von 7 Beratungsstellen 2016: 199 Fälle, erfasst von 26 Beratungsstellen 2011: 156 Fälle, erfasst von 10 Beratungsstellen 2017: 301 Fälle, erfasst von 27 Beratungsstellen 2012: 196 Fälle, erfasst von 11 Beratungsstellen 2018: 278 Fälle, erfasst von 24 Beratungsstellen 2013: 192 Fälle, erfasst von 11 Beratungsstellen 2019: 352 Fälle, erfasst von 22 Beratungsstellen 6
I Zusammenfassung E I N F Ü H R U NG Der vorliegende Bericht bietet eine praxisnahe Auswer- sind, fliessen nicht in den Bericht mit ein. Zudem gibt es tung der Beratungsfälle des Jahres 2019, die als rassis- zahlreiche Gründe, weshalb Betroffene vom Besuch einer tische Diskriminierung in der Datenbank DoSyRa regis- Beratungsstelle absehen. Dazu gehört etwa die fehlende triert wurden. Die 22 teilnehmenden Beratungsstellen Kenntnis von Beratungsangeboten, fehlendes Vertrauen, sind wichtige Akteure in der Anti-Rassismus-Arbeit. Sie Ängste oder eine Bagatellisierung bzw. Verdrängung be- bieten Auskunft, psychosoziale und/oder Rechtsbera- stimmter Vorfälle. Die Dunkelziffer ist hoch: Es ist davon tung für die betroffenen Personen an und treten auch auszugehen, dass die Mehrzahl der rassistischen Vorfälle immer wieder als vermittelnde Instanzen auf. Die Mit- in der Schweiz nirgends gemeldet oder bearbeitet wird. gliedstellen leisten mit ihren vielfältigen Interventio- Insgesamt wurden im Berichtsjahr 2019 von den betei- nen einen zentralen Beitrag zur Begleitung, Beratung ligten Beratungsstellen 575 Vorfälle registriert. Im Haupt- und Empowerment von Betroffenen, aber auch zur Do- teil des vorliegenden Berichts werden diejenigen 352 Be- kumentation rassistischer Vorfälle in der Schweiz. ratungsfälle ausgewertet, bei welchen eine eigentliche Der Bericht erhebt keinerlei Anspruch auf eine Beratungstätigkeit stattgefunden hat und in denen auch vollständige Erfassung aller Fälle rassistischer Diskri- nach Einschätzung der Beratungsstellen eine rassistische minierung in der Schweiz. So gibt es sehr viele Bera- Diskriminierung vorlag. tungsstellen, die nicht auf rassistische Diskriminierung Die Zu- und Abnahmen berechnen sich aus der Dif- spezialisiert sind und dennoch Fälle bearbeiten, in de- ferenz der Prozentangaben der betreffenden Kategorie nen rassistische Diskriminierung eine Rolle spielt oder im Vergleich zum Vorjahr. Es kann also durchaus sein, Beratungsangebote, die sich auf eine spezifische Art von dass eine bestimmte Fallkategorie im Vergleich zum Vor- Rassismus fokussieren, zum Beispiel auf anti-muslimi- jahr mehr Fälle verzeichnet, dass aber aufgrund der ge- schen Rassismus oder Antisemitismus. Die Fälle dieser stiegenen Gesamtfallanzahl trotzdem eine relative Abnah- Beratungsstellen, die nicht Mitglied im Beratungsnetz me ausgewiesen wird.* Ratsuchende Personen Nennungen die häufigsten Formen der Diskrimi- • 222 der 352 Beratungsfälle rassistischer Diskrimi- nierung aus. nierung wurden im Berichtsjahr von den direkt Involvierte Vorurteile und Ideologien Betroffenen gemeldet. • Rassismus gegen Schwarze ist mit 132 Nennungen Lebensbereiche, in denen die Diskriminierungen nach dem generellen Motiv der Ausländerfeind- stattfanden lichkeit/Fremdenfeindlichkeit weiterhin das am • Der öffentliche Raum mit 62 Fällen und der Arbeits- häufigsten genannte Diskriminierungsmotiv. An platz mit 50 Fällen sind die am stärksten betroffe- dritter Stelle folgt die Muslimfeindlichkeit mit 55 nen Lebensbereiche. Nennungen. • Im Vergleich zu 2018 nahmen Diskriminierungen • Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Kategorie im öffentlichen Raum um 8 PP* und in der Freizeit Rechtsextremismus mit 36 registrierten Vorfällen um 6 PP* zu. Eine Abnahme an gemeldeten Vorfäl- um 5 PP* zu. len verzeichnete der Arbeitsplatz mit minus 7 PP*. Mehrfachdiskriminierung • Weitere stark betroffene Bereiche sind die Nachbar- • In 141 Fällen, d.h. mindestens in jedem dritten Be- schaft/Quartier mit 43 Nennungen, Bildung/Schu- ratungsfall, stellten die Beratungsstellen zusätz- le/Kita mit 39 Nennungen und die Verwaltung mit lich zur rassistischen Diskriminierung eine Mehr- 37 Beratungsfällen. fachdiskriminierung fest. Diese bezog sich Art und Weise der Diskriminierung überwiegend auf die Kategorie des Rechtsstatus • Im Berichtsjahr 2019 machten Benachteiligungen mit 66 Nennungen sowie das Geschlecht mit 40 mit 127 Nennungen und Beschimpfungen mit 116 Nennungen. * Die Prozentangaben (XY %) beziehen sich auf die Anzahl Nennungen der betreffenden Kategorie im Verhältnis zur Gesamtfallanzahl (352). Die Zu-/Abnahme in Prozentpunkten (PP) bezeichnet die Differenz des prozentualen Anteils einer Kategorie zum prozentualen Anteil im Vorjahr. 7
Kontaktnahme und Dienstleistungen Welche Personen haben Rat gesucht? Anzahl Beratungsfälle: 352 Andere 18 Fachpersonen/andere Beratungsstelle 34 Zeuge/Zeugin 47 Betroffene 222 Angehörige von Beschuldigten 3 Angehörige von Betroffenen 27 Beschuldigte 1 Wie wurde Kontakt aufgenommen? Anzahl Beratungsfälle: 352 Unbekannt 13 per E-Mail 106 Telefonisch 137 per Brief 8 Persönlich 88 Vorführung eines Films, welcher negative Stereotypen vermittelt Eine Frau berichtet, dass sie Kinder zu einer Vorfüh- vigator» – insbesondere die Rassentrennung in den rung eines Filmklubs für 6- bis 12-Jährige begleitet hat. Vereinigten Staaten und das damals herrschende dis- Gezeigt wurde Buster Keatons Film «The Navigator» von kriminierende Klima – spiegelt sich im Film wider. 1924. Die Frau war von dem Film schockiert, da dieser «The Navigator» bietet eine stereotype Darstellung negative Stereotypen über Schwarze vermittelt und von Schwarzen und kann dazu beitragen, dass sich diese lächerlich darstellt. bei den zuschauenden Kindern rassistische, stereoty- pe Bilder einprägen. Ein Brief wurde an den Filmklub Die betreffenden Szenen wurden von der Beratungs- adressiert mit Informationen über den problemati- stelle angeschaut und als problematisch eingeschätzt. schen Charakter dieses Filmes und mit Empfehlun- Der historische Kontext der Entstehung von «The Na- gen für die zukünftige Filmauswahl. 8
II A N A LY S E Welche Dienstleistungen haben die Beratungsstellen erbracht? Anzahl Beratungsfälle: 352 (Mehrfachnennungen möglich) Weiterleitung an andere Stelle 30 Intervention 56 Mediation 8 Auskunft/Information 198 Rechtsberatung 135 Unterstützende Dienstleistung 32 Psychosoziale Beratung 200 Mediation und Intervention in einer Schule In einem Whatsapp-Chat der 6. Klasse werden von ei- ein Gespräch mit dem beschuldigten Schüler, seiner nem Schüler Bilder mit obszönem sowie rechtsextre- Mutter und Verantwortlichen der Schule. Es zeigt sich, mem Inhalt geteilt. Eine Mutter setzt die Schulleitung dass der Schüler wenig über den Hintergrund solcher daraufhin über den Vorfall in Kenntnis. Die zuständige Bilder wusste. Gemeinsam mit der Mutter werden Re- Schulsozialarbeiterin ersucht die Beratungsstelle um geln für ihren Sohn betreffend den Umgang mit dem Unterstützung. Natel und den Sozialen Medien aufgestellt. Weiter führt die Beratungsstelle in der betroffenen Klasse Die Beratungsstelle berät die meldende Schulsozial- eine Intervention zum Thema «wie mit einem sol- arbeiterin und zeigt Interventionsmöglichkeiten vor chen Vorfall umgegangen werden kann» durch. Ort auf. Einige Tage später leitet die Beratungsstelle Unterstützende Gespräche bei Schwierigkeiten in einem Ausgehlokal Ein Mann berichtet von mehreren negativen Erlebnissen weitere Betroffene ähnliche Vorwürfe die Einlass- mit den Sicherheitsangestellten eines Ausgehlokals: So verweigerung und/oder diskriminierende Behand- sei er von einem Sicherheitsangestellten alleine deshalb lung gegenüber dem Ausgehlokal betreffend. Am auf die Brust geschlagen worden, weil er den falschen Runden Tisch konnten die Anwesenden ihre Sicht Eingang benutzen wollte. Zuvor sei er bereits einmal der Ereignisse schildern. Nach weiteren Nachgesprä- ohne Begründung nach seinem Ausweis gefragt worden chen wurde ein zweiter Runder Tisch organisiert. Die und habe das Ausgehlokal erst nach längeren Diskussi- Verantwortlichen des Ausgehlokals möchten interne onen betreten können. Anpassungen vornehmen, um solchen Vorfällen ent- gegenzuwirken. Die Beratungsstelle steht den Verant- Die Beratungsstelle nimmt Kontakt mit dem Aus- wortlichen des Ausgehlokals sowie der Sicherheits- gehlokal auf und organisiert einen Runden Tisch zur firma bei den kommenden Aufgaben und geplanten Aufarbeitung der Vorfälle. Insgesamt erheben drei Änderungen zur Seite. 9
Beschreibung der Diskriminierungsvorfälle In welchen Lebensbereichen geschahen die Vorfälle? Obwohl bei den Oberkategorien der Bereich Organisa- Bei den Unterkategorien waren der öffentliche Raum mit tionen/Institutionen/Privatwirtschaft mit 157 Nen- 62 Fällen (+ 8 PP*) und der Arbeitsplatz mit 50 Fällen nungen der am stärksten betroffen Lebensbereich war, (– 7 PP*) die am stärksten betroffenen Lebensbereiche. verzeichnete er im Vergleich zum Vorjahr eine Abnahme Dahinter folgen die Kategorien Nachbarschaft/Quartier (– 7 PP*). Der Bereich Öffentlichkeit dagegen verzeich- (43/+ 1 PP*), Bildung/Schule/KITA (39/– 3 PP*), Verwal- nete mit 143 Nennungen (+ 13 PP*) eine starke Zunah- tung (37/+ 4 PP*), Polizei (32/+ 1 PP*) und Freizeit/Aus- me. Der staatliche Bereich mit 97 Nennungen und der gang (32/+ 6 PP*). Bereich Privatleben mit 91 Nennungen haben leicht zu- genommen (jeweils + 4 PP*). Oberkategorien Lebensbereich Anzahl Beratungsfälle: 352 (Mehrfachnennungen möglich) Privatleben 91 25 % (+ 4 PP*) Organisationen/Institutionen/Privatwirtschaft 157 45 % (– 7 PP*) Öffentlichkeit 143 41% (+ 13 PP*) Staatlicher Bereich 97 28 % (+ 4 PP*) 0 50 100 150 200 * Die Prozentangaben (XY %) beziehen sich auf die Anzahl Nennungen der betreffenden Kategorie im Verhältnis zur Gesamtfallanzahl (352). Die Zu-/Abnahme in Prozentpunkten (PP) bezeichnet die Differenz des prozentualen Anteils einer Kategorie zum prozentualen Anteil im Vorjahr. Rassismus im öffentlichen Raum: «Fahren Sie wieder zurück in Ihr Land!» Eine muslimische Frau mit Kopftuch ist mit ihren bei- Der Ehemann der Frau ersucht die Beratungsstelle um den kleinen Kindern unterwegs, als sie von einer älteren Unterstützung. Diese hilft ihm, die Situation einzu- Frau beschimpft wird: «Erziehen Sie Ihre Kinder oder ordnen und bestärkt ihn darin, dass das Verhalten fahren Sie wieder zurück in Ihr Land!». Nachdem sich der älteren Frau nicht in Ordnung ist. Die Beratungs- die Frau zu verteidigen versucht, weist sie die ältere stelle bietet auch der betroffenen Frau eine Beratung Frau noch aggressiver zurecht. Die Frau fühlt sich ohn- an. Die Frau lehnt das Angebot jedoch ab. mächtig und verzweifelt. Sie wurde in der Vergangen- heit schon mehrmals wegen ihres Kopftuchs beschimpft und hat zunehmend Angst, aus dem Haus zu gehen. 10
II A N A LY S E Unterkategorien Lebensbereich Anzahl Beratungsfälle: 352 (Mehrfachnennungen möglich) Privatleben Familie/Verwandtschaft/Freunde 12 3 % (unverändert) Sport 4 1 % (– 3 PP) Freizeit/Ausgang 32 9 % (+ 6 PP) Nachbarschaft/Quartier 43 12 % (+ 1 PP) Organisationen/Institutionen/Privatwirtschaft Wohnungsmarkt/Mietverhältnis 17 5 % (– 2 PP) Arbeitsmarkt 17 5 % (+ 2 PP) Arbeitsplatz 50 14 % (– 7 PP) Gesundheitswesen 6 2 % (unverändert) Bildung/Schule/KITA 39 11 % (– 3 PP) Vereinsleben 8 2 % (+ 2 PP) Kirche/religiöse Organisationen 0 0 % (unverändert) Politik, Parteien 10 3 % (+ 1 PP) Private Sicherheitsunternehmen 3 1 % (+ 1 PP) Heim/Betreutes Wohnen 4 1 % (unverändert) Kundenbeziehungen (z.B. Versicherungen, Banken) 3 1 % (– 1 PP) Privatversicherung 0 0 % (unverändert) Öffentlichkeit Öffentlicher Raum 62 18 % (+ 8 PP) Öffentliche Verkehrsmittel 15 4 % (unverändert) Angebote von Privaten (z.B. Warenhaus/Festival) 28 8 % (+ 2 PP) Medienberichterstattung 5 1 % (– 1 PP) Werbung 10 3 % (+ 2 PP) Internet: Social Media, Blogs, etc. 23 7 % (+ 2 PP) Staatlicher Bereich Verwaltung 37 11 % (+ 4 PP) Einbürgerungsverfahren 0 0 % (– 2 PP) Gesetzgebung 8 2 % (+ 1 PP) Justiz und Freiheitsentzug 10 3 % (unverändert) Polizei 32 9 % (+ 1 PP) Sozialversicherung 0 0 % (– 1 PP) Sozialdienst 6 2 % (+ 1 PP) Zoll/Grenzwache 4 1 % (unverändert) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 * Die Prozentangaben (XY %) beziehen sich auf die Anzahl Nennungen der betreffenden Kategorie im Verhältnis zur Gesamtfallanzahl (352). Die Zu-/Abnahme in Prozentpunkten (PP) bezeichnet die Differenz des prozentualen Anteils einer Kategorie zum prozentualen Anteil im Vorjahr. 11
Wie wurde diskriminiert? Im Berichtsjahr 2019 betrafen die meisten Beratungsfälle (127 Fälle/+ 4 PP*) und herabwürdigende Behandlung (74 den Bereich der Kommunikation (322 Nennungen), wobei Fälle/– 6 PP*) entfiel. In der Kategorie der rechtsextremen die Kategorien Beschimpfung (116 Fälle/– 1 PP*), andere Propaganda mit 36 Nennungen verzeichnete die Verbrei- störende Äusserung/Illustration (65 Fälle/+ 3 PP*) und tung von Schriften und Tonträgern eine mittlere Zunahme Verleumdung/falsche Anschuldigung (63 Fälle/+ 2 PP*) am (29 Fälle/+ 4 PP*). In den Bereich Gewalt fallen 34 Meldun- meisten genannt wurden. Ebenfalls häufig gemeldet wur- gen, wobei eine Abnahme von Angriffen auf die körperli- den Diskriminierungen im Bereich der Ausgrenzung (285 che Integrität registriert wurde (18 Fälle/– 4 PP*). Nennungen), wovon der grösste Teil auf Benachteiligungen Art und Weise der Diskriminierung Anzahl Beratungsfälle: 352 (Mehrfachnennungen möglich) Gewalt Sachbeschädigung 16 5 % (+ 2 PP) Angriff auf körperliche Integrität 18 5 % (– 4 PP) Angriff mit Waffen 0 0 % (– 1 PP) Brandanschlag 0 0% (– 1 PP) Kommunikation Drohung 14 4 % (– 2 PP) Öffentlich geäusserte Hassrede 34 10 % (+ 4 PP) Beschimpfung 116 33 % (– 1 PP) Verleumdung/falsche Anschuldigung 63 18 % (+ 2 PP) Gestik, Mimik, Geräusche 28 8 % (+ 1 PP) Leugnung/Verharmlosung von Völkermord 0 0 % (– 1 PP) Andere störende Äusserung/Illustration 65 18 % (+ 3 PP) Bewusstes Vorenthalten von Informationen 2 1 % (– 1 PP) Ausgrenzung Benachteiligung 127 36 % (+ 4 PP) Leistungsverweigerung 29 8 % (– 1 PP) Herabwürdigende Behandlung 74 21 % (– 6 PP) Schutzunterlassung 1 0 % (– 4 PP) Unterlassene Hilfeleistung in einem Notfall 0 0 % (– 1 PP) Einbürgerungsverweigerung 0 0 % (– 1 PP) Mobbing 31 9 % (– 3 PP) Racial Profiling 23 7 % (unverändert) Rechtsextreme Propaganda Verbreitung von Schriften und Tonträger 29 8 % (+ 4 PP) Rechtsextremer Aufmarsch, Versammlung 7 2 % (+ 1 PP) 0 30 60 90 120 150 * Die Prozentangaben (XY %) beziehen sich auf die Anzahl Nennungen der betreffenden Kategorie im Verhältnis zur Gesamtfallanzahl (352). Die Zu-/Abnahme in Prozentpunkten (PP) bezeichnet die Differenz des prozentualen Anteils einer Kategorie zum prozentualen Anteil im Vorjahr. 12
II A N A LY S E Nachbarschaft/Quartier: Mietwohnung wird wegen falscher Anschuldigungen gekündigt Die ratsuchenden Personen beklagen sich über eine Die ratsuchenden Personen werden nach einer Abklä Nachbarin, die ihre Kinder als «Affenkinder» oder Ähn- rung der Rechtslage darin bestärkt, gegen die Kün liches bezeichnet und sie mit falschen Anschuldigun- digung Einsprache zu erheben. Die Beratungsstelle gen bei der Hausverwaltung negativ darstellt. Als Folge nimmt Kontakt mit dem zuständigen Sozialarbeiter kündigt ihnen der Vermieter die Wohnung. Sie haben der Gemeinde auf. Dieser erklärt sich bereit, die rat- Zeugen und können nachweisen, dass die Anschuldi- suchenden Personen vor der Schlichtungsstelle zu gungen falsch sind. Sie möchten Unterstützung bei der vertreten. Die Kündigung wird schliesslich von der Einsprache gegen die Kündigung. Schlichtungsstelle als missbräuchlich aufgehoben. Rassistische Bemerkungen von Kunden in einem Lebensmittelgeschäft Frau N. wird in einem Lebensmittelgeschäft von ei- Die Beratungsstelle nimmt mit der Leiterin des Ge- nem anderen Kunden mit rassistischen Sprüchen be- schäfts Kontakt auf, um das Geschehen zu schildern schimpft: «Diese Kopftücher wollen nur unser Geld, und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Tatsäch- warum sind die überhaupt hier? Hau ab!». Die anderen lich ist die Geschäftsleiterin bereits von einer ande- Kunden schauen zu, aber niemand reagiert. Sie fühlt ren Kundin kontaktiert worden, die dasselbe erlebt sich extrem gedemütigt und hat Angst, dem Mann in hat. Der Kunde sei bereits identifiziert und habe nun Zukunft erneut zu begegnen. Hausverbot erhalten, weil eine Verwarnung nichts ge- nützt habe. Hassrede in Blogs und Social Media Ein Mann informiert die Beratungsstelle über auf Face Die Beratungsstelle informiert den Mann über die book veröffentlichte, herabsetzende Inhalte und Hass- Rechtslage und die bestehenden Handlungsoptionen. reden gegen Menschen muslimischen Glaubens und Mit seinem Einverständnis leitet sie den Fall an die bittet um Auskunft. Er möchte anonym bleiben, weil er Präventionsplattform gegen Radikalisierung und ge- die Reaktion der Person fürchtet, die die Beiträge ver- walttätigen Extremismus weiter. öffentlicht hat. Arbeitsplatz: Schikane und Diskriminierung am Arbeitsplatz Herr P. wird an seinem Arbeitsplatz aufgrund seiner Dem Mann war es in erster Linie wichtig, seine Er- Herkunft respektlos behandelt. Der Küchenchef nennt fahrung bei der Beratungsstelle zu melden und zu ihn nicht beim Namen, sondern ruf ihn «Taliban». Nun besprechen. Da er beim Schlichtungsverfahren schon nennt ihn das ganze Team so. Herr P. wünscht sich ei- von einer anderen Beratungsstelle Unterstützung er- nen respektvollen Umgang seitens seines Chefs und des hielt, ging es ihm nur darum, Auskunft und Informa- Teams. tionen zu erhalten. 13
Welche Feindbilder, Zielgruppen und Ideologien waren involviert? Dem langjährigen Trend entsprechend ist das unspezi- Muslimfeindlichkeit mit 55 Meldungen (unverändert*) fische Motiv der Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit sowie in der inhaltlich verwandten Kategorie der Feind- mit 145 Nennungen (+ 4 PP*) am häufigsten präsent, ge- lichkeit gegen Menschen aus dem arabischen Raum mit folgt vom Rassismus gegen Schwarze mit 132 Nennun- 28 Nennungen (– 1 PP*). Muslimfeindlichkeit und Feind- gen (+ 3 PP*). Letzteres bleibt somit das zweithäufigste lichkeit gegen Menschen aus dem arabischen Raum Diskriminierungsmotiv. Die Fälle Anti-Schwarzen Ras- traten am häufigsten in der Nachbarschaft/im Quartier sismus finden sich am häufigsten in den Lebensbereichen (17), im öffentlichen Raum (16) und am Arbeitsmarkt Arbeitsplatz (24), öffentlicher Raum (21), Polizei (20), (11) auf. Erkennbar ist mit 36 Nennungen (+ 5 PP*) eine Bildung/Schule/KITA (14) und Nachbarschaft/Quartier Zunahme der registrierten Fälle, die Rechtsextremis- (14). Weiterhin häufig sind die Beratungsfälle im Bereich mus betreffen. Involvierte Feinbilder, Zielgruppen und Ideologien Anzahl Beratungsfälle: 352 (Mehrfachnennungen möglich) Ausländerfeindlichkeit/Fremdenfeindlichkeit 145 41 % (+ 4 PP) Rassismus gegen Schwarze 132 38 % (+ 3 PP) Muslimfeindlichkeit 55 16 % (unverändert) Antisemitismus 6 2 % (unverändert) Feindlichkeit gegen Roma, Sinti, Jenische 5 1 % (unverändert) Feindlichkeit gegen Menschen aus der Balkanregion 10 3 % (unverändert) Feindlichkeit gegen Menschen aus dem arabischen Raum 28 8 % (– 1 PP) Rechtspopulismus 0 0 % (– 1 PP) Rechtsextremismus 36 10% (+ 5 PP) Nationalismus 4 1 % (unverändert) Religiöser Fundamentalismus 0 0 % (unverändert) Anderes religiöses Feindbild 1 0 % (– 1 PP) Feindlichkeit gegen Deutsche in der Deutschschweiz 2 1 % (– 1 PP) Feindlichkeit gegen Franzosen in der Romandie 5 1 % (unverändert) Feindlichkeit gegen Menschen 3 1 % (unverändert) aus der Mehrheitsgesellschaft 0 30 60 90 120 150 Lag eine Mehrfachdiskriminierung vor? In 141 Fällen, d. h. in mindestens jedem dritten Bera- Keine Angaben 236 67 % (– 4 PP) tungsfall, stellten die Beratungsstellen zusätzlich zur Alter 4 1 % (– 1 PP) rassistischen Diskriminierung eine Mehrfachdiskrimi- Geschlecht 40 11 % (– 1 PP) nierung fest. Diese bezog sich überwiegend auf die Kate- Sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität 8 2 % (+ 1 PP) gorie des Rechtsstatus mit 66 Nennungen (+ 7 PP*) sowie Behinderung 5 1 % (– 1 PP) Soziale Stellung 11 3 % (– 2 PP) das Geschlecht mit 40 Nennungen (– 1 PP*). Politische Meinung 7 2 % (+ 1 PP) Rechtsstatus 66 19 % (+ 7 PP) * Die Prozentangaben (XY %) beziehen sich auf die Anzahl Nennungen der betreffenden Kategorie im Verhältnis zur Gesamtfallanzahl (352). Die Zu-/Abnahme in Prozentpunkten (PP) bezeichnet die Differenz des prozentualen Anteils einer Kategorie zum prozentualen Anteil im Vorjahr. 14
II A N A LY S E Anti-Schwarzen-Rassismus: Beleidigung und Ausgrenzung in einer Schulklasse Frau M. ist mit ihren zwei Kindern vor Kurzem von der in der betroffenen Klasse seit zwei Jahren Mobbing Stadt aufs Land gezogen. Nun kommt es in der neuen immer wieder ein Thema ist. Man habe aber bereits Schule in der 5. und 6. Klasse zu massiven rassistischen viel getan und das Klassenklima habe sich verbes- Beleidigungen in denen auch das N-Wort vorkommt. sert. Trotzdem komme es immer wieder zu Vorfällen von «wüsten Beschimpfungen». Die Beratungsstelle Die Beratungsstelle bespricht die Situation mit der führt nach Absprache mit der Schule und der Schul- Mutter. Daraufhin kontaktiert die Beratungsstelle die sozialarbeiterin eine Klassenintervention durch, was zuständige Schulsozialarbeiterin und erfährt, dass zu einer Beruhigung der Situation führt. Muslimfeindlichkeit: Rassistische und diskriminierende Äusserungen gegenüber der muslimischen Community Ein Teamleiter und Ausbildner eines Fahrdienstun- Die Beratungsstelle unterstützt die meldende Person ternehmens macht rassistische und diskriminierende bei der Formulierung eines Briefs an den Unterneh- Bemerkungen gegenüber den muslimischen Mitarbei- mensleiter. Im Schreiben wird der Leiter aufgefor- tenden, die ihre Religion ausüben und den Ramadan dert, alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um praktizieren. Diese würden, so der Teamleiter, eine Ge- Belästigung und Rassismus zu verhindern und Mitar- fahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. beitende, die solche Handlungen begehen, zu sankti- onieren. Der Brief wird von mehreren Mitarbeitenden verschiedener Nationalitäten unterzeichnet. Rassistischer Abdruck «White Power» Frau L. berichtet von einer rassistischen Beschriftung Die Beratungsstelle bestätigt, dass der Schriftzug «White Power» auf einem Gebäude in einer zentralen eine Rassendiskriminierung nach Art. 261 bis StGB Strasse der Stadt. Sie habe sich bereits an alle kantona- darstellt und reicht eine Strafanzeige ein. Daraufhin len und kommunalen Institutionen gewendet, um die ordnet die Staatsanwaltschaft die Entfernung des Beschriftung entfernen zu lassen. Die Polizei teilte ihr Schriftzugs an. aber mit, dass es der Eigentümer des Gebäudes sei, der die notwendigen Schritte unternehmen müsse, um die Beschriftung zu entfernen. 15
Angaben zu den betroffenen Personen Aus welcher Region stammen die Personen ursprünglich? Menschen afrikanischer Herkunft stellen, wie in den darunter auch zahlreiche Personen mit Schweizer Her- letzten Jahren, die grösste Gruppe von Betroffenen dar kunft (52), die als «fremd» wahrgenommen und diskri- (98 Nennungen). Am zweithäufigsten betreffen die er- miniert werden. Zugenommen hat die Anzahl betroffe- fassten Fälle Menschen mit europäischer Herkunft (94 ner Personen aus dem Nahen Osten und Zentralasien (33) Nennungen). Dies ist damit zu erklären, dass Personen sowie Asien und Pazifik (20). Auffallend ist, wie stark italienischer, deutscher, portugiesischer, französischer, auch Menschen aus Eritrea und Syrien von rassistischer kosovarischer, spanischer, türkischer und serbischer Diskriminierung betroffen waren und sich an eine Bera- Staatsangehörigkeit die Mehrheit der Menschen ohne tungsstelle gewandt haben. Schweizer Pass in der Schweiz ausmachen. Zudem sind Regionale Herkunft der Betroffenen Anzahl betroffene Personen: 299 EU/EFTA 23 übriges Europa 19 Nordamerika 1 Schweiz 52 Naher Osten, Zentralasien 33 Nordafrika 32 Zentralamerika 4 Karibik 6 Asien/Pazifik 20 Westafrika 25 Ostafrika 37 Zentralafrika 2 Südamerika 11 Südliches Afrika 2 Ozeanien 1 keine Angabe 31 Welche Nationalität haben die Personen? Anzahl betroffene Personen: 299 (davon 35 Doppelbürgerschaften) Keine Angaben 61 Brasilien, Türkei je 8 Schweiz 81 Afghanistan, Bangladesch, Indien, Marokko, Sudan, Tunesien je 5 Eritrea 21 Algerien, Deutschland, Gambia, Italien, Nigeria, Somalia je 4 Syrien 19 Ägypten, Kenia, Peru, Senegal, Sri Lanka je 3 Frankreich 17 Weitere Nationalitäten 50 16
II A N A LY S E Welchen Rechtsstatus haben die Personen? Nicht die Nationalität bzw. der Aufenthaltsstatus in der des prekären Aufenthaltsstatus nur mit Mühe eine Woh- Schweiz, sondern vielmehr die vermutete bzw. zuge- nung oder eine Erwerbstätigkeit. schriebene Herkunft ist ausschlaggebend für eine Dis- In der Regel werden die Beratungsstellen eher von kriminierung. Menschen mit einem Schweizer Pass oder einem gefes- So kommt es bezeichnenderweise auch zu diskri- tigten Aufenthaltsstatus aufgesucht als von Asylsu- minierenden Handlungen gegen Schweizerinnen bzw. chenden, vorläufig Aufgenommenen oder Sans-Papiers. Schweizer, denen die Täterinnen und Täter jedoch eine Insbesondere für Sans-Papiers (darunter auch abgewie- nicht-schweizerische Herkunft zuschreiben. sene und untergetauchte Asylsuchende) ist die Hemm- Bei vorläufig aufgenommen Personen stellt sich nach schwelle für die Inanspruchnahme einer Beratung in der einigen Jahren Aufenthalt die Frage, inwieweit dieser Regel grösser, da unter Umständen befürchtet wird, dass Status an sich bereits einer strukturellen Diskriminie- sich die Offenlegung des Status negativ auf die Aufent- rung gleichkommt. So finden diese Personen aufgrund haltssituation auswirken könnte. Rechtsstatus der Betroffenen Anzahl betroffene Personen: 299 Aufenthaltsbewilligung mit Erwerbstätigkeit Ci 2 Sans-Papiers 2 CH-Pass 83 Schengenvisum 5 vorläufig Aufgenommene F 15 Asylsuchende N 12 Grenzgängerbewilligung G 1 Kurzaufenthaltsbewilligung L 2 Niederlassungsbewilligung C 32 Flüchtlinge B 13 Aufenthaltsbewilligung B 28 keine Angaben 104 Diskriminierung wegen Rechtsstatus: Einlassverweigerung in einem Club Ein junger Mann und zwei Freunde werden vom Sicher- Der Betroffene möchte diese Praxis strafrechtlich ver- heitspersonal eines städtischen Clubs wegen ihrer Auf- folgen. enthaltsbewilligung (B-Flüchtlinge) abgewiesen. Das Sicherheitspersonal nennt die Aufenthaltsgenehmi- Mit Hilfe der Beratungsstelle wird eine Beschwerde gung hierbei explizit als Grund für die Einlassverwei- bei der Staatsanwaltschaft eingereicht und eine Ver- gerung. letzung des Diskriminierungsverbots nach Art. 8 BV Am folgenden Tag werden er und ein anderer Freund sowie eine Rassendiskriminierung nach Art. 261 bis erneut abgewiesen, diesmal jedoch ohne Begründung. StGB geltend gemacht. 17
Welches Alter haben die Personen? Anzahl betroffene Personen: 299 keine Angaben 16 älter als 65-jährig 2 bis 16-jährig 36 17- bis 25-jährig 33 26- bis 65-jährig 212 Welches Geschlecht haben die Personen? Anzahl betroffene Personen: 299 keine Angaben 4 männlich 161 weiblich 134 Rechtsextreme Vorfälle in einer Schule Die Fachperson einer Gemeinde berichtet der Bera- Die Beratungsstelle führte mehrere Gesprächsrun- tungsstelle von verschiedenen Vorfällen, welche der den und Interventionen mit den Jugendlichen, den Thematik Rechtsextremismus zuzuordnen sind. Es sei Eltern, der Schule inkl. Lehrpersonen und den zu- in der Vergangenheit zur Verbreitung von rechtsextre- ständigen Fachstellen der Gemeinde durch. Die Mass- men Symbolen, Gestik (Hitler-Gruss) bis hin zu verba- nahmen führten zu einer Sensibilisierung und Beru- len und physischen Übergriffen auf einen Schwarzen higung der Situation vor Ort. Jugendlichen gekommen. Die Vorfälle gingen stets von Schülerinnen und Schülern der Gemeinde aus. 18
III T H E M A R A C I A L P R OF I L I NG Interview mit Anne-Laure Zeller, Leiterin der Beratungsstelle Centre d‘Ecoute Contre le Racisme in Genf Die Beratungsstelle gegen Rassismus, Centre d’Ecoute Kontrolle nicht in aller Öffentlichkeit durchgeführt Contre le Racisme (C-ECR) in Genf steht allen Personen wird. So wäre die Kontrolle weniger entwürdigend offen, die mit rassistischen, diskriminierenden oder in- für ihn gewesen. Betroffene erwähnen häufig, dass toleranten Handlungen aufgrund ethnischer Herkunft, sie die Kontrolle als eine öffentliche Demütigung Hautfarbe, Nationalität oder Religion konfrontiert sind. empfinden. Seinem Wunsch wurde nicht entsprochen Racial Profiling ist in Genf weit verbreitet und ein wie- und er wehrte sich deshalb gegen die Kontrolle. Da- derkehrendes Thema in der Beratung. raufhin wurden ihm Handschellen angelegt und er wurde auf den Polizeiposten geführt. Er verpasste nicht nur seinen Zug, sondern wurde auch noch ge- Anne-Laure Zeller, Sie sind die Leiterin des C-ECR. büsst. Angesichts solcher Fälle bietet das Zentrum Warum ist Racial Profiling ein aktuelles Thema in an, einen Termin mit der Schlichtungsstelle der Po- Genf? lizei zu vereinbaren, um eine Lösung für die Betrof- fenen zu finden. Betroffene empfinden solche Kont- Die Bevölkerung des Kantons Genf ist ausgespro- rollen als missbräuchlich, weil sie als «Weisse» unter chen multikulturell. Genf ist eine internationale den gleichen Umständen nicht kontrolliert worden Stadt, in der viele internationale Organisationen wären. In einem anderen Fall schilderte ein Zeuge, und NGOs ihren Sitz haben und viele ausländische dass an der Kasse eines Ladens ausschliesslich bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt Schwarzen Stichproben durchgeführt worden seien. sind. Der Kanton verfügt zudem über zwölf Kollek- Der Zeuge sprach von Missbrauch und wies ebenfalls tivunterkünfte für Migrantinnen und Migranten und auf die Demütigung hin, die Betroffenen dadurch wird demnächst ein Bundesasylzentrum eröffnen. widerfahre. Bei dieser Art von Kontrolle ist es sehr Genf ist auch ein Grenzkanton und verfügt über ei- schwierig, den Straftatbestand von Racial Profiling nen internationalen Flughafen. Kontrollen durch die nachzuweisen, da sich die Läden auf ihr Recht zur Polizei oder den Zoll sind daher üblich, meist aus Kontrolle von Taschen und Waren berufen. Das C-ECR Sicherheitsgründen. Eine der direkten Nebenerschei- hat sich bereits mit mehreren ähnlichen Fällen be- nungen dieser Kontrollen ist der Straftatbestand des fasst, die von Betroffenen selbst oder von Zeuginnen Racial Profilings. und Zeugen gemeldet wurden. Wie viele Fälle von Racial Profiling hat das C-ECR im Wie werden Polizei- oder Zollkontrollen von den Jahr 2019 behandelt? Können Sie uns einige dieser Betroffenen erlebt? Zu welcher Art von Konflikten Fälle beschreiben? können diese Kontrolle führen? 2019 verzeichnete das C-ECR neun Fälle von Racial Im Allgemeinen sind diese Kontrollen für die Men- Profiling. Meist betrafen diese Polizei- oder Zollkon- schen sehr schwer zu ertragen, sie sind schockiert, trollen, bei denen sich die Betroffene aufgrund ihrer gestresst, verärgert; und zwar nicht nur darüber, Hautfarbe oder Herkunft als Zielscheibe der Kont- dass sie kontrolliert werden, sondern auch aufgrund rolle fühlten. So wurde beispielsweise ein schwarzer der Art und Weise, wie sie kontrolliert werden. Für Musiker auf dem Weg zum Bahnhof von der Polizei Betroffene ist es in zweierlei Hinsicht schwierig: angehalten. Da er nicht verstand, warum seine Ta- Zum einen aufgrund der Tatsache, dass sie kontrol- sche durchsucht werden sollte, schlug er vor, die An- liert werden, zum anderen, weil die Kontrolle we- gelegenheit ein wenig abseits zu regeln, damit die gen ihrer Hautfarbe oder Herkunft geschieht. Alle 19
Betroffene weisen auch darauf hin, dass sie bei der ge einzureichen, weil sie Repressalien oder andere Kontrolle nicht angehört werden und die Beamten Nachteile befürchten. Manchmal entwickeln die Be- ihre Fragen nicht beantworten. Dies führt zu Span- troffenen auch eigene Strategien. Dies zeigt der Fall nungen, sowohl bei den Betroffenen – die entspre- einer betroffenen Person, die begann, den Zug zu im- chend reagieren und sich verteidigen – als auch bei mer anderen Zeiten zu nehmen, um nicht systematisch den Polizistinnen und Polizisten oder den Mitarbei- von den Grenzwachtbeamten kontrolliert zu werden. tenden des Grenzwachtkorps. Die Beamten können die Diskussion verweigern oder sich unangemessen verhalten, beispielsweise mit der Äusserung unange- Wie berät das C-ECR im Fall von Racial Profiling brachter oder diskriminierender Bemerkungen über und welche Interventionsmöglichkeiten werden die Herkunft der Person. Sie können auch drastische- vorgeschlagen? re Massnahmen ergreifen, indem sie die Person fest- nehmen und sie über Nacht auf dem Polizeiposten Eine Beratung im Zusammenhang mit einem ras- festhalten. Eine Kontrolle kann zu einem schwerwie- sistischen Vorfall besteht in einem ersten Schritt genden Vorfall ausarten, in der Regel zum Nachteil darin, der Person aufmerksam zuzuhören und ihre der kontrollierten Person. Aussagen zur Kenntnis zu nehmen. In einem zwei- ten Schritt wird der Verlauf der Situation rekonst- ruiert und allenfalls mit genaueren Informationen Welche Folgen hat Racial Profiling für die Betroffe- ergänzt. Die Beratungsstelle schlägt oft vor, dass nen? Welche Strategien entwickeln die Betroffenen, die Person eine Chronologie der Ereignisse verfasst. um mit solchen Kontrollen umzugehen? Dadurch kann die Situation besser erfasst und ver- folgt werden, was wiederum wichtig für das richtige Das C-ECR beobachtet verschiedene Reaktionen, die Verständnis und die angemessene Behandlung des von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind und von Falls ist. Der dritte Schritt besteht darin, sich über ihrer Situation, ihrer Resilienz und anderen Fakto- den allgemeinen Gesundheitszustand der Person zu ren abhängen. Einige wehren sich, andere sind em- informieren und herauszufinden, ob sie Familie oder pört oder fühlen sich zutiefst gedemütigt. Betroffene Freunde und Freundinnen hat, die sie unterstützen können auch einen traumatischen oder posttrau- könnten. Die vom C-ECR vorgeschlagenen Interventi- matischen Schock (Bumerang-Effekt) erleiden, vor onen variieren je nach Ergebnis der Fallbeurteilung. allem, wenn die Kontrolle lange dauert und sie bei- Eine Interventionsmöglichkeit besteht darin, einen spielsweise eine Nacht in der Zelle verbringen müs- Brief zu schreiben, um eine Stellungnahme von der sen, oder wenn sie wiederholt kontrolliert worden beschuldigten Organisation, Firma oder Verwaltung sind. Diese Menschen entwickeln ein starkes Gefühl zu verlangen. Wenn die Polizei beispielsweise wegen des Verfolgtwerdens. Einige sprechen von ihrem Ver- einer unangemessenen Kontrolle beschuldigt wird, trauensverlust oder auch ihrer Angst vor den Sicher- schlägt die Beratungsstelle vor, dass die Person sich heitskräften, den öffentlichen Institutionen und an die Schlichtungsstelle der Polizei wendet, um eine dem Staat allgemein. Viele Betroffene befürchten, Vermittlung herbeizuführen. dass auch ihre Kinder solche Kontrollen erleben müs- Seit 2019 hat die Beratungsstelle C-ECR einen sen. Betroffene wünschen sich, dass diese Art von erleichterten Zugang zur Kantonspolizei und kann rassistischer Schikane aufhört. Sie möchten wissen, direkt mit Mitarbeitenden des Stabs Kontakt aufneh- wie sie in solchen Situationen reagieren sollen und men, um sich über bestimmte Situationen oder Ver- ob es Austauschgruppen für Betroffene von R acial fahren der Polizei Klarheit zu verschaffen. Auch eine Profiling oder Vereine gibt, die sich gegen Racial Pro- langfristige Zusammenarbeit mit einem Stabsoffizier filing engagieren. Viele haben Angst eine Strafanzei- des Schweizer Zolls konnte aufgebaut werden. 20
III T H E M A R A C I A L P R OF I L I NG Welche Massnahmen sollten, Ihrer Meinung nach, Der Austausch dient zur Sensibilisierung. Die doku- innerhalb der Polizei und des Grenzwachtkorps mentierten Fälle können in Schulungen und beim ergriffen werden, um allgemein Rassismus und beruflichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen willkürliche Kontrollen aufgrund der äusseren genutzt werden. Es ist auch sinnvoll, die Öffentlich- Erscheinung zu bekämpfen? keit transparenter über Zoll- oder Polizeikontrollen zu informieren, wie es beispielsweise die französi- Die Ausbildung spielt natürlich eine wichtige Rolle. sche Regierung tut. Sie informiert zu diesem Thema Die Ausbildung der Polizistinnen und Polizisten und auf der Website der Zollverwaltung. Entsprechende der Grenzwächterinnen und Grenzwächter ist jedoch Informationen könnten in der Schweiz auf der Web- hauptsächlich technisch ausgerichtet. Die juristi- seite der eidgenössischen Zollverwaltung oder des sche, psychosoziale und kulturelle Ausbildung ist be- eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement un- grenzt. Es ist wichtig, über Fälle von Racial Profiling ter dem Titel «Alles über Zollkontrollen» und «Alles und über die Art und Weise, wie solche willkürlichen über Polizeikontrollen» aufgeschaltet werden. Kontrollen durchgeführt werden zu sprechen und auf Das Beratungsnetz für Rassismusopfer verzeich- deren Folgen hinzuweisen. Dies bedingt, dass die nete im Jahr 2019 23 Fälle von Racial Profiling. Es Fälle bei den zuständigen Behörden in den betref- ist gravierend, dass es in der Schweiz praktisch kei- fenden Städten und Kantonen gemeldet werden. In ne Unterstützung für Opfer von Racial Profiling gibt. Genf können solche Vorfälle mit den Kontakten bei Die Kantone Bern, Basel und Zürich haben jedoch der Polizei und dem Zoll in anonymisierter Form be- bereits reagiert und erste Massnahmen zur Überwa- sprochen werden. Dadurch werden rassistische Vor- chung rassistischer Handlungen durch die Polizei fälle für die Mitarbeitenden konkreter und fassbar. ergriffen. Racial Profiling: Kontrolle am Flughafen in Genf Frau M. aus Westafrika arbeitet als Projektleiterin für Die Beratungsstelle nahm direkt Kontakt mit dem eine internationale Organisation in Genf. Bei der Rück- Sicherheitsdienst des Flughafens Genf auf. Darauf- kehr von einer ihrer Geschäftsreisen wurde ihr Reise- hin erläuterte der zuständige Stabsoffizier in einem pass direkt nach der Landung am Flughafen kontrol- persönlichen Gespräch mit Frau M. und der Bera- liert. Obwohl alle Dokumente in Ordnung waren, wurde tungsstelle die Gründe für die Kontrolle. Er räumte sie als einzige Passagierin zur Seite genommen. Ohne ein, dass solche Kontrollen oft abrupt stattfinden ihr einen Grund zu nennen, begleiteten die Beamten und schockierend sein können. Er erklärte weiter, sie durch den ganzen Flughafen, eine Situation, die dass trotz der Unschuld der kontrollierten Person sie als sehr demütigend empfand. In einem separaten eine solche Kontrolle automatisch zu einem Eintrag Raum wurde ihr Koffer kontrolliert, sie wurde aggres- in der schweizerischen Zolldatenbank führt und dass siv befragt und sie musste sich ausziehen. Niemand dieser Hinweis fünf Jahre lang bestehen bleibt. Der erklärte ihr, warum sie kontrolliert wurde und es gab Beamte versprach, sich um die Löschung dieses Ein- keine Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten. Als trags zu bemühen. Durch diesen Fall gelang es der Be- sie schliesslich gehen konnte, fühlte sie sich erschla- ratungsstelle, eine dauerhafte Zusammenarbeit mit gen und schockiert von diesem Erlebnis. Frau M. wurde dem Stabsoffizier bei Fällen rassistischer Diskrimi- durch die Kontrolle so verunsichert, dass sie eine an- nierung aufzubauen. stehende Geschäftsreise absagte. 21
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