Restaurierung und Konservierung des Sammelatlas Ryhiner, einer umfangreichen Kartenkollektion des 18. Jahrhunderts in der Stadt- und ...
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Restaurierung und Konservierung des Sammelatlas Ryhiner, einer umfangreichen Kartenkollektion des 18. Jahrhunderts in der Stadt- und Universitätsbibliothek Bern Madlon Gunia graphie und der Staatenkunde, mit denen er sich bereits seit Jahrzehnten intensiv befasst hatte. Er erweiterte seine umfang- reiche Kartensammlung und erarbeitete mehrere Kataloge, Zusammenfassung Registerbände und Verzeichnisse zu den Blättern. Der Text beschreibt die Erschliessung und Bearbeitung ei- ner bis dahin unerfassten Kartensammlung in Albenform aus Die Sammlung Ryhiner dem 18. Jahrhundert. Sie wurde vom Bernischen Staatsmann Ryhiner zusammengetragen, von ihm nach regionalen Kri- Die Sammlung in der Stadt- und Universitätsbibliothek beinhal- terien geordnet und bildet eine aussergewöhnlich umfang- tet insgesamt ca. 16.000 Karten, Pläne und topographische reiche Zusammenstellung der Karten seiner Zeit. Die Ansichten in 541 Sammelbänden. Berühmte Kartographen und restauratorische Betreuuung von Erfassung und Mikrover- Herausgeber wie Blaeu, Sanson, Homann u.a. sind vertreten. filmung und die Schwierigkeiten eines über fünf Jahre dau- Die Karten zeigen weltweit Regionen oder auch Stadtansichten ernden Projektes werden ausgeführt. Die Rücksichtnahme der damals bekannten Nationen. Ausserdem finden sich Kurio- auf die besondere Sammlungsform und die daraus resultie- sa wie Abbilder des Schlaraffenlandes, Kupferstiche exotischer renden Probleme und Fragestellungen werden erläutert. Tiere oder genealogische Tabellen und anderes. Es handelt sich Ebenso wird auf den z.T. stark unterschiedlichen Erhaltungs- folglich um einen typischen Sammelatlas, der die individuellen zustand und die praktische Bearbeitung der Papiere einge- Schwerpunkte des Gelehrten widerspiegelt. gangen. Die Sammlung Ryhiner zählt zu den wertvollsten und bedeutendsten privat angelegten Kartensammlungen des 18. Jahrhunderts. Sie umfasst Werke vom 16. bis in das frühe 19. Abstract Jahrhundert, wobei der Grossteil aus der Zeit ab 1700 stammt. Als Wissenschaftler und Privatgelehrter betrachtete Ryhiner This paper describes the cataloguing and conservation work seine Sammlung als Forschungs- und Arbeitsmedium, nicht als on a collection of maps bound into albums in the 18th century Kunstsammlung oder Raritätenkabinett. Diese Einschätzung which was untouched up until then. A statesman from Bern, manifestiert sich zunächst im Aussehen der Einbände: Ryhiner called Ryhiner, had assembled the collection; he gave the liess einfache Gebrauchseinbände mit relativ dünnen und da- collection an order according to regional criteria and it her preiswerten Kartondeckeln anfertigen, die mit schlichtem presents an outstandingly wide range of maps of his time. Kleisterpapier überzogen wurden. Für die Vorsätze und Fälze, Conservation aspects encompassing cataloguing and an denen die Karten montiert wurden, fand ein preiswertes Pa- microfilming, including the difficulties, which arose during pier mit zahlreichen Fasereinschlüssen und Verunreinigungen the period of a five-year long project are presented. Taking Verwendung. into consideration the particular aspects of this collection Sein Umgang mit den Karten lässt ebenfalls auf ihre Einstu- and the problems and options which came up as a result are fung als Gebrauchsmedium schliessen: das Aussenformat der being explained. Differences in physical deterioration and Einbände bzw. die Unterbringung der Karten in der von ihm the practical treatments of those papers are also being gewünschten Reihenfolge schien Ryhiner wichtiger als die Er- discussed. haltung der originalen Abmessungen: Die Blätter wurden mehr- fach gefalzt, wenn sie zu gross für die Alben waren. Ryhiner ordnete die Karten nach geographischen Zonen, d.h. Darstellungen des Erdballs folgen die der Meere, Europas und Der Sammler schliesslich die detaillierten Karten einzelner Regionen wie z.B. der Iberischen Halbinsel. Jedem Album geht ein Inhaltsverzeich- Johann Friedrich von Ryhiner (1732 -1803) war im bernischen nis mit Kartennummern, Herausgeber und Jahreszahl voran. Staatsdienst tätig und bekleidete am Ende seiner Laufbahn als Ryhiner hatte eine sehr genaue Vorstellung seiner Sammlung Mitglied des Kleinen Rates (1788 -1798) und in seiner Funk- und der geplanten Zusammensetzung: in den Verzeichnissen tion als Venner höchste Staatsämter. Durch den Untergang des sind neben den Einträgen der vorhandenen Karten mit Eisen- Alten Bern und die Folgen der napoleonischen Umstrukturie- gallustinte auch die noch zu erwerbenden an ihrem zukünfti- rungen in der Schweiz wurde Ryhiner 1798 unvermittelt in gen Ort mit Blei- respektive Graphitstift vermerkt. den Ruhestand versetzt. Nun widmete er sich ganz der Geo- Preprint vom 9. Internationalen Kongreß der IADA, Kopenhagen, 15 - 21 August 1999. 51
Erscheinungsbild der Sammlung Provenienz Zumeist sind zwanzig bis vierzig Blätter in einem Album Die Herkunft der Karten ist unterschiedlich: ein Teil stammt zusammengefasst. Die einfach gearbeiteten, vorproduzierten aus bereits gebundenen Atlanten z.B. aus dem von Blaeu, Gebrauchsbände in den durchschnittlichen Massen von fünfund- die Ryhiner trennte und nach seinen Kriterien neu vierzig mal fünfundfünfzig Zentimetern wurden mit einem ro- zusammenfasste. Karten aus den gleichen Atlanten treten in ten, unifarbenem und undekoriertem Kleisterpapier überzogen. derselben Reihenfolge in diversen Alben auf, vermutlich, weil Die Karten wurden an die leeren Fälze aus grauem Papier er die einzelnen Atlanten zerlegte und dann der Reihe nach gehängt, die Montage der Blätter erfolgte mit einem Kleister, in seine Bände einordnete. Eines der Alben fasst die Titel- der vermutlich durch Alaunzusatz wasserunlöslich wurde. blätter bzw. Frontispizes von sechsundzwanzig zerlegten Die Signatur bzw. die Zählung vermerkte Ryhiner oben Atlanten zusammen. rechts auf den Blättern mit Eisengallustinte, bei einer Um- Aus Ryhiners Niederschriften geht hervor, dass er An- montage wurde die alte Ziffer unter Materialverlust mit ei- gebotskataloge, Korrespondenz, Fachliteratur und Verzeich- nem Messer o.ä. ausgekratzt und die neue darübergeschrieben. nisse von Kartenautoren und Listen aller bekannten Atlan- Bei einer Ummontage zu Ryhiners Zeit wurden einige ten für eine wesentliche Voraussetzung zum Aufbau einer Karten am alten Ort recht unsanft herausgerissen, was zu Sammlung hält (Klöti, 292). Es ist folglich davon auszuge- Faserverlust auf der Rückseite führte. In diesem Zustand, hen, dass er eben diese Quellen selber zum Zusammentra- d.h. ohne Verstärkung oder Sicherung wurde das Blatt am gen der seinigen nutzte. neuen Ort befestigt. An anderen Karten finden sich verstär- Nach Ryhiners Tod geht die Sammlung an seinen Neffen kende Papierstreifen um den Falzknick, die die Karte stabi- Rudolf Friedrich Ryhiner, der sie ab 1803 bis ca. 1809 weiter- lisieren und zu ihrer Montage dienen. führte. Anschliessend wanderte sie durch mehrere Hände und In den meisten Fällen handelt es sich bei den Blättern um gelangte schliesslich über die Familie von Effinger 1867 als Kupferstiche, aber auch einige wenige Holzschnitte und Schenkung an die Stadtbibliothek Bern, deren Rechtsnachfol- typometrisch erstellte Karten liegen vor. Die Typometrie bildet gerin die Stadt- und Universitätsbibliothek Bern ist (Klöti, 70). nach Art des Drucks mit beweglichen Lettern Landschaften mit Hilfe einzelner, fixer Symbole ab, z.B. stilisierte Hügel für Berg- regionen, kurze, gebogene Abschnitte für Flussläufe usw. Erschliessungs- und Bearbeitungsprojekt Die Karten sind teilweise koloriert, teilweise im Druckzu- stand belassen worden. Wichtig war dabei die Darstellung der Seit dem 19. Jahrhundert finden sich Erwähnungen der Samm- Grenzverläufe und der territorialen Zugehörigkeiten, die in der lung Ryhiner in verschiedenen Fachorganen, vermehrt Mitte gleichen Farbe ausgeführt wurden. Die Städte sind durch roten dieses Jahrhunderts (Klöti, 321). Nur wenige nutzten den Farbton hervorgehoben, die Kartuschen teilweise üppig ge- wertvollen Bestand, wie etwa der Berner Geograph Prof. schmückt ausgeführt. Georges Grosjean, der wiederholt auf die grosse Bedeutung der Sammlung hinwies. Er setzte sich sehr für die Bearbei- tung und Aufbereitung der Sammlung ein. Seine Publikatio- Fundzustand nen und die enge Kooperation mit dem damaligen Bibliotheks- direktor der Stadt- und Universitätsbibliothek Prof. Hans A. Aus den Alben mit Schweizer Karten wurden Anfang des Michel ermöglichte 1986 die erste Projektidee. Dem Vorschlag 20. Jahrhunderts die Blätter herausgetrennt und als Einzel- aus dieser Zeit ist zu entnehmen, dass ein Zusammenführen exemplare in andere Sammlungen des Hauses integriert, sie der verteilt liegenden Bestände der Sammlung und die liegen folglich separiert vor. Erschliessung über einen Katalog für unabdingbar gehalten Die Bände waren lange Jahre unter ungünstigen räumli- wird. In den folgenden Jahren publizierte der Geograph Dr. chen und klimatischen Bedingungen schräg stehend auf ei- Thomas Klöti verschiedene Beiträge in Fachzeitschriften und nem Dachboden gelagert und wurden in der Folgezeit zwar vermittelte einen differenzierten Eindruck des umfangreichen im Kulturgüterschutzraum, jedoch wiederum stehend, unter- und wertvollen Bestandes. gebracht. Aus diesem Grund wiesen sie zahlreiche Lagerungs- Im Rahmen eines zeitlich begrenzten und fremdfinanzierten schäden wie Risse, Knicke und Fehlstellen auf, waren defor- Projektes sollte diese bis dato unerschlossene Kartensammlung miert und durch anhaftende Stäube stark verschmutzt. aufgearbeitet und erhalten werden. Zwischen den Seiten der Bände wurden Überreste von Als Geldgeber sowohl für die Erschliessung als auch die Insektenbefall gefunden, der aus der Zeit der Lagerung auf Sicherung und Verfilmung konnte der Bernische Lotteriefonds dem Dachboden stammte. Neue Besiedlungsspuren wurden gefunden werden; Dieser fördert mit seinen Einnahmen ge- nicht gefunden und sind durch die heutige, sichere Lage- meinnützige und wohltätige Zwecke im Kanton Bern. rung in den klimatisierten Räumen im Kulturgüterschutzraum 1992 startete ein Vorprojekt, welches die Grundlage für die ausgeschlossen. Die Bestimmung der Insektenreste im Natur- vollumfängliche Bearbeitung aller Karten bilden sollte, eine historischen Museum der Burgergemeinde Bern erbrachte erste Begutachtung und Erfassung des Kartenzustands fand eine sogenannte Sekundärbesiedlung, d.h. eine Folge- statt. Proberestaurierungen lieferten Erfahrungen und Zahlen besiedlung „fleischfressender“ Insekten, wie Larven- für das folgende Hauptprojekt. rückstände des Speckkäfers und leere Schmetterlingspuppen In einem nächsten Arbeitsschritt wurde das Ziel definiert bzw. Raupenrückstände von Kleinschmetterlingen. und somit eine Grundsatzentscheidung über die zukünftige 52
Nutzung gefällt. Neben der Erschliessung, bibliothekarischen Die Aufbewahrung wurde durch die liegende Lagerung der Erfassung und Beschreibung galt es ebenfalls den Erhalt der Bände in Planschränken verbessert. Es folgte die Signatur- Sammlung zu gewährleisten. Die verbesserte Zugänglichkeit vergabe und die bibliothekarische Erfassung mit Katalogisie- der Karten zöge zwangsläufig eine erhöhte Nachfrage und rung, Massstabsbestimmung, Beschreibung und Zuordnung Nutzung der fragilen Originale nach sich. Um das Kartenma- der Karte. Anschliessend wurden die Bände konservatorisch terial nicht zu stark zu gefährden, wurde als Ersatzmedium bearbeitet und mikroverfilmt. Die Reihenfolge der Arbeits- eine Mikroverfilmung angestrebt. Zusätzlich würde die Samm- schritte wurde im Laufe des Projekts modifiziert und folgte lung auf diese Weise vervielfältigt und die Karteninformation nicht immer streng diesem Ablauf: Zu Beginn war z.B. eine im Sinne des Kulturgüterschutzes gesichert werden. rasche Bereitstellung für die ersten Verfilmungen dringliches Eine weitere Grundsatzfrage beschäftigte sich mit dem Pro- Gebot, d.h. die Reinigung und Sicherung der Kartenvorder- blem des Zerlegens oder Belassens der Sammlung in der ur- seiten wurde der Rückseitenbearbeitung vorgezogen. sprünglichen Form der Alben. Das Teilen der Bände in Einzel- Während der Vorüberlegungen wurde versucht, die karten ermöglichte eine bessere und sicherere Verfilmbarkeit Schwierigkeiten eines über einen langen Zeitraum und durch der zweidimensionalen Objekte und die anschliessende La- viele verschiedene Hände gehenden Projekts auszuloten. Man gerung in Mappen. Es bedeutete zugleich jedoch die Zerstö- versuchte, alle eventuell auftretenden Probleme und Frage- rung des originalen Zusammenhangs und Aussehens des stellungen angemessen zu berücksichtigen und in das Formu- Sammelatlasses. Ryhiner äusserte sich in seinen Unterlagen lar der Dokumentation aufzunehmen. Diese sollte als Leit- ausdrücklich positiv über ein Sammeln von Karten in Alben schnur und Orientierung alle wesentlichen Arbeitsschritte (Klöti, 305). Aus diesem Grund und da die spezielle Sammlungs- protokollieren und so den Überblick gewährleisten. Die Ar- form als schützens- und erhaltenswert erkannt wurde, entschied beitsabläufe und -reihenfolgen mussten aus diesem Schema man sich für ein Belassen der vorhandenen Bände. ebenfalls zu ersehen sein, d.h. es wurden alle Einträge mit Diese Entscheidung hatte Konsequenzen für Verfilmung Datum und Personenkürzel versehen. und Lagerung. Die Verfilmung musste mit spezieller Aufnah- Es stellte sich im Verlauf der Arbeiten heraus, dass metechnik für Bücher und grossformatige Bände erfolgen, eine regelmässige Treffen des gesamten Projektteams dringend entsprechend ausgerüstete Firma war ausfindig zu machen. erforderlich waren. Die räumliche Trennung von bibliotheka- Die liegende Lagerung der Bände mit ihren dünnen und wei- rischer Erfassung und Restaurierung machte regelmässige chen Deckeln, die kaum Schutz und Stabilität liefern konn- Sitzungen notwendig, um über den Stand der Arbeit und ak- ten, musste durch entsprechende Fächer oder Schubladen ge- tuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben und sich währleistet werden. über Schwierigkeiten z.B. bei der Verfilmung auszutauschen. Die gemeinsame Übergabe und Entgegennahme der ver- filmten Bände ermöglichte überdies den direkten Kontakt zu Begutachtung der Alben durch die Restau- den Mitarbeitern der externen Reproduktionsfirma. Es erwies rierung sich z.B. bei Fragen der Transportverpackung oder der Verfilmungshilfsmittel als notwendig, immer wieder auf die Die Untersuchungen während des Vorprojekts zeigten die drin- gleichen Bedürfnisse hinzuweisen. gende Notwendigkeit sichernder Massnahmen. Der Kartenzu- Die Restaurierung erfolgte über die gesamten fünf Jahre stand von ca. dreissig Bände wurde begutachtet und nach Dring- hinweg im Rahmen einer fremdfinanzierten 50%-Stelle. Nach lichkeitsstufen und Schadensbildern bewertet, dabei galten die Möglichkeit wurden die PraktikantInnen der Werkstatt eben- Kriterien „Verbund von Buchblock/Decke gelöst oder stabil“ falls bei der Bearbeitung einzelner Bände integriert. Ein Teil und Papierzustand „stabil, verbräunt, abgebaut oder angegrif- der anstehenden Aufgaben konnte an stundenweise Beschäf- fen (z.B. Kupferfrass)“ als massgebliche Parameter. Durch die tigte abgegeben werden, so beschriftete z.B. eine studentische Lagerung unter ungünstigen Bedingungen zeigten die Bände Hilfskraft die Hüllen der Mikrofiche. Die Trockenreinigung entsprechend zahlreiche Lagerungsspuren, die behandelt wer- der Kartenrückseiten wurde teilweise im Rahmen eines be- den mussten. zahlten Praktikums durch Studenten der Restaurierungsfach- Proberestaurierungen umfassten die beidseitige Trocken- klasse der Schule für Gestaltung in Bern erledigt. reinigung der Blätter, die Sicherung der Fehlstellen, Schliessen Da die Werkstatt in der Bibliothek räumlich etwas beengt ist, der Risse und Festigung der Einbände wurde als notwendig mussten diese Personen zeitlich in den Werkstattablauf einge- erachtet. Einige aufwendige Einzelrestaurierungen wie beispiels- gliedert werden, d.h. es musste die Urlaubszeit genutzt und ein weise Karten mit starken Schäden oder Verbräunungen, ein brü- geeigneter Arbeitsplatz bereitgestellt werden. Das bedeutete z.B., chiger Transparentplan und Kupferfrassschäden, die eine Son- dass für ein Zweierteam eigens eine sogenannte „Schmutzecke“ derbehandlung erforderten, wurden mit ca. 5% veranschlagt. eingerichtet wurde, in der die Reinigungsmassnahmen stattfan- Als Resultat der Erhebung kalkulierte man für die Bearbeitung den. eine halbe Restaurierungsstelle über fünf Jahre hinweg. Lagerung und Konservierung der Sammlung Organisation der Arbeitsabläufe Die Ryhiner-Kartensammlung ist in den Altbestand der Stadt- Im Vorfeld wurden die notwendigen Arbeitsschritte definiert und Universitätsbibliothek integriert und als solche im Ma- und in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht. gazin U5 (Kulturgüterschutzraum) untergebracht. Dessen 53
Klima wird permanent überwacht und liegt im Bereich von ter hin zu prüfen. Neben der oft nicht sachgemässen Verpak- 18/19°C und 45 - 55% rel. Feuchte. kung der Bände gab es einige wenige Fälle von Für die Lagerung der Alben wurden von Hand - d.h. sanft - unsachgemässer Behandlung: In einer schwierigen Aufnahme- verschiebbare Kompaktussysteme mit tiefen Schubladen an- situation wurde beispielsweise trotz gegenteiliger Instruktion geschafft, die eine liegende Aufbewahrung der grossformatigen auf schwarzes Selbstklebeband zur Fixierung der Blätter zu- Bände erlauben. Dabei wurden wegen der leichteren Handha- rückgegriffen. Das Klebeband verblieb im Album und wurde bung und der Druckbelastung zwei bis maximal drei Bände dort von den ProjektmitarbeiterInnen entdeckt und selbstver- übereinander gestapelt. ständlich sofort reklamiert. Die als Einzelkarten vorliegenden Schweizer Karten wur- den jeweils in einen Doppelbogen archivfestes Papier einge- legt. Jeweils ca. vierzig Karten wurden in einer Schachtel Restauratorische Massnahmen zusammengefasst, die ebenfalls in den Schubladen aufbewahrt werden. Der Übersichtlichkeit wegen sind diese Schachteln Vor der Verfilmung wurden die Oberflächen aller Karten mit dauerhaft beschriftet und der Inhalt im Deckel aufgelistet. einem Latexschwamm trocken gereinigt und die entstandenen Die Mikrofilme verblieben in ihren mitgelieferten Partikel anschliessend ausgebürstet. Die durch anhaftende Stäu- Transparenthüllen. Deren ursprüngliche Beschriftung durch ein be verunklarten Kartenbilder wurden hierdurch wieder deutli- Selbstklebeetikett wurde verbessert, indem das Etikett abge- cher erkennbar. löst, die Kleberückstände mit Alkohol entfernt und das mattier- Überformatige Karten wurden von Ryhiner bis zu fünfmal te Feld schliesslich mit einem elektronischen Schreibgerät mit gefalzt, um auf das Aussenmass der Alben gebracht zu werden. Tusche beschriftet wurde. Für die Aufbewahrung der Hüllen Gerade in den exponierten Randbereichen wiesen sie mechani- standen mit Tusche beschriftete Papiermappen zur Verfügung, sche Schäden wie Risse, Stauchungen und Knicke auf. Risse und die in Schachteln aus alterungsbeständigem Karton eingelegt Fehlstellen wurden mit Weizenstärkekleister und dem Original wurden. ähnlichen Japanpapieren geschlossen bzw. ergänzt. Bei sehr star- ken Verwerfungen, die ein Risiko für die Erhaltung einer Karte dargestellt hätten, wurden einzelne Blätter mit Hilfe eines Goretex- Mikroverfilmung Sandwiches geglättet, die Bereiche mit Kupferfrass blieben von dieser Behandlung selbstverständlich ausgenommen. Da die Stadt- und Universitätsbibliothek Bern über keiner- Zur Vorbereitung der Verfilmung gehörte neben der Reini- lei Verfilmungsmöglichkeit verfügt, sollte diese Arbeit ex- gung auch die Kontrolle, ob alle Karten sicher montiert und gut tern erledigt werden. Bei der Auswahl eines geeigneten Ver- aufschlagbar seien. Gegebenenfalls wurde eine Falzverbindung fahrens waren die Auflösung des Films, d.h. die Qualität der erneuert, ein neuer Falz aus Japanpapier zur Sicherung einge- Rückvergrösserungen und die Alterungsbeständigkeit die zogen oder lose inliegende Karten nach Rücksprache mit dem ausschlaggebenden Kriterien. Projektleiter erstmals montiert. Manchmal war eine Ummontage Der Stand der Technik schloss ein direktes, digitalisierendes erforderlich, wenn eine Karte zu weit hinten im Rücken einge- Verfahren aus, eine hohe Aufnahmequalität sollte jedoch eine klebt war. In Einzelfällen war es notwendig, für lose Karten zukünftige Digitalisierung ermöglichen, ohne dass erneut auf einen neuen Falz einzuheften, der mit Heftgarn an die Bünde die empfindlichen Originale zurückgegriffen werden müsste. des Buchblocks angestochen wurde. Eine neue Verbindung von Die getreue Abbildung der Karten mit ihren kolorierten Falz und Karte wurde durch einen Zwischenfalz aus stärkerem Grenzverläufen erforderte eine farbige Reproduktion, um Japanpapier gefertigt, um kenntlich zu machen, dass es sich diese wesentlichen Merkmale deutlich erkennbar wiederzu- hierbei nicht um eine originale Montierung handelt. Als Kleb- geben. Diese Faktoren grenzten die Auswahl auf das stoff wurde immer Weizenstärkekleister eingesetzt. In einigen Cibachrome-Micrographic-Verfahren ein. Fällen waren verklebte Fälze voneinander zu lösen, um die Die Mikroverfilmung fand bei einer Firma in der Ostschweiz Karten gut und flach aufschlagen zu können. statt, die Erfahrungen im Umgang mit Kulturgut aufweisen Mehrfach war eine Karte bei der Erstmontage sehr rasch nach konnte. Der Transport erfolgte dem Versicherungswert entspre- dem grosszügigen Kleisterauftrag zugeklappt worden, so dass chend in kleineren Tranchen, teilweise per Bahn, teilweise per dieser aus der Klebenaht herausgedrückt wurde und zwei benach- PKW. Dem Gefahrenpotential auf der zweistündigen Fahrt be- barte Fälze miteinander verklebte. Eine weitere Folge konnte ein gegnete man durch Verpackung in einer eigens angefertigten Anquellen der Malschichten sein, die wieder klebfähig wurden Kiste aus flammhemmend behandeltem Holz, die innen mit und sich mit der gegenüberliegenden Seite verbanden; bei erneu- Dämmmaterial stoss- und klimagedämpft ausgekleidet war. tem Öffnen rissen diese Stellen aus. Diese „abgeklatschten“ Über- Die Verfilmung von Karten in Bänden stellt hohe Anforde- reste wurden nach Möglichkeit durch leichtes Feuchten gelöst rungen an die Aufnahmetechnik. Zur Planlegung eines Blat- und wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückgeführt, um das tes muss der Band auf der Buchwippe individuell justiert, alte Kartenbild wieder herzustellen. unterlegt und gegen eine Glasplatte gehoben werden. Projekt- Einige Schadensfälle erforderten Einzelrestaurierungen be- mitarbeiter besuchten die Firma, wobei Arbeitsabläufe geprüft sonders stark abgebauter Karten, die durch Waschen und Nach- und besprochen wurden. Es zeigte sich, dass die Arbeiten über leimen vor der Verfilmung stabilisiert werden mussten. Diese die lange Projektdauer hinweg zu befriedigenden Resultaten zeitlich aufwendigen Arbeiten wurden erst nach Abschluss der führten. Jedoch erwies es sich als vorteilhaft, Buchlieferungen Routinereinigungen und -sicherungen durchgeführt. sofort bei der Rückkehr auf Verpackung und Zustand der Blät- 54
Kupferfrass Endkontrollen Besonders in den ältesten Karten der Sammlung, d.h. am Be- Im letzten Arbeitsschritt wurden die Einbände gesichert, d.h. ginn einer Signaturreihe, tritt das Phänomen des Kupferfrasses aufstehendes und ausgerissenes Überzugspapier mit Weizen- auf. Es finden sich unterschiedliche Abstufungen des Zerfalls stärkekleister erneut verklebt. Knicke und Einrisse der Deckel- von erster Verbräunung bis hin zu starken Ausbrüchen und pappen wurden mit festem Japanpapier versteift und verstärkt. Materialverlust. Die Rücken der Deckel waren besonders im Kapitalbereich Die restauratorische Behandlung beschränkte sich auf die häufig eingerissen und mussten verstärkt oder mit Japanpapier am stärksten geschädigten Blätter. Unterschieden wurde je ergänzt werden. Aufgestossene Ecken der Deckel wurden mit nach Lage der verbräunten Bereiche zwischen Karten, die Kleister erneut zusammengefügt. demontiert, separat behandelt und dann erneut an einen Japan- Durch das überproportionale Gewicht der Buchblöcke war falz montiert wurden einerseits und in situ zu behandelnden die Verbindung zu den leichten Einbanddecken stark gefährdet. andererseits. Die Bände sind auf vier Einzelbünde geheftet, die auf dem Vorder- Nach Vorversuchen mit verschiedenen Klebmitteln wur- und Rückdeckel verklebt sind. Zur Stabilität sollten zusätzlich den beide Gruppen stabilisiert, indem die geschädigten Be- die mitgehefteten Spiegelpapiere beitragen, die beim Anpappen reiche mit ca. 5mm Masszugabe mit Japanpapier und Wei- der Folianten über das Bundmaterial gezogen wurden. In eini- zenstärkekleister hinterklebt wurden. Bereits ausgebrochene gen Fällen waren Bünde und mit ihnen die Spiegel jedoch aus- Zonen wurden zunächst mit stärkerem Japanpapier (RK5) gerissen, die Buchblöcke lagen ohne Halt in der Einbanddecke. gesichert, bevor sie mit einer feinen Qualität (RK2) ganz- Da das Bundmaterial in der Regel sehr kurz zurück- flächig hinterklebt wurden. Die Papiere wurden zuvor durch geschnitten war, mussten die Bünde mit neuer Heftkordel er- Tränkung in angereichertem Wasser mit einer alkalischen gänzt werden. Diese neuen Bundenden wurden aufgefächert Reserve aus basischen Magnesium- und Calciumsalzen ver- wieder auf den Deckeln ausgestrichen, zur besseren Haltbar- sehen (pH-Wert bei Oberflächenmessung um 8,5). Der ver- keit wurden sie mit festem Japanpapier zweifach überklebt. wendete Kleister wurde ebenfalls mit angereichertem Was- Alle Folianten wurden erneut durchgesehen und eventuell ser verdünnt, so dass auch hier eine alkalische Reserve vorlag. noch vorhandene oder entstandene Risse an den Karten geschlos- Um die Gefahr durch die im Kleister enthaltene Feuchte zu sen. Diese letzte Kontrolle hatte sich im Verlauf des Projekts minimieren, wurde der Wassergehalt soweit wie möglich vor als notwendig erwiesen, um einen korrekten Abschluss der der Verklebung reduziert und die Trocknung durch einen Sicherungsmassnahmen gewährleisten zu können. Heizspatel beschleunigt. Dokumentation Transparentplan/“Oleat“ Im Falle dieses langewährenden und durch viele Hände bear- Ein Kupferstich wurde kurz nach seiner Herstellung mit ei- beiteten Projektes erwies sich ein Bearbeitungsbericht als we- nem Firnis getränkt, um eine erwünschte Transparenz zu er- sentlich, um den Überblick und die Konstanz der Arbeitsschrit- halten (Ryh 1003:20: „Stereographischer Entwurf des te zu gewährleisten. gestirnten Himmels von Bode, neu hrg. von Schrämbl, Wien, Die Abschlussdokumentation ist zweigeteilt. In einem er- 1787“). Der Plan diente als durchscheinende Arbeitshilfe und sten allgemeinen Teil wurden die häufig wiederkehrenden ermöglichte das Auflegen eines Meridianrasters über eine Massnahmen und die verwendeten Materialien beschrieben. Der massstabsgleiche Himmelskarte (vorhergehende Signatur zweite, umfangreiche Teil beinhaltet ein ausgefülltes Formular 1003:19). Mittels Infrarotspektroskopie konnte eine harzartige pro Sammlungsband. Substanz mit Kollophoniumanteil ermittelt werden. Hier wurden neben der Signatur zur Identifikation die Daten Das Hadernpapier war durch den Harzauftrag stark der Fertigstellung, der Verfilmung usw. vermerkt. Da sich durch versprödet und in mehrere Teile gebrochen, die z.T. aneinander die externe Mikroverfilmung häufig mehrere Bände ausser Haus hafteten. Es wies zahlreiche Ausbrüche, Risse und Fehlstellen befanden, war dieser Eintrag zur Kontrolle notwendig. auf. Die verklebten Teile konnten trocken mit einem Skalpell Ein letztes, unbeschriftetes Feld „Anmerkungen“ war für voneinander gelöst werden, Risse wurden mit passend gefärb- variable Handeinträge, etwa über Zustand und Behandlung der tem Japanpapier geschlossen. Fehlstellen wurden mit stärkeren Karten, vorgesehen. Es bewährte sich, die getroffenen Japanpapieren ergänzt, die zur Angleichung an das glänzende Massnahmen hier lediglich stichwortartig aufzulisten. Zugleich Original nach der Färbung mit einer Gelatineschicht überzogen gab dieses Feld im Verlauf der Arbeit immer Auskunft, welche worden waren. Die Verklebungen erfolgten mit Weizenstärke- Arbeitsschritte bereits abgeschlossen waren und orientierte über kleister. die noch zu erfolgenden. Parallel geführte Listen ermöglichten Die zunächst angestrebte erneute Montage im Album wur- das gezielte Auffinden von Bänden, die z.B. zum Zeitpunkt der de verworfen, weil das Blatt zu spröde und gefährdet war. Bearbeitung der Rückseiten nicht im Hause waren und nachge- Stattdessen wurde eine Mappe angefertigt, in die das Blatt in arbeitet werden mussten. eine Hülle aus Silversafe-Papier und Photokarton eingelegt Auch das Heraustrennen einer Karte zur Behandlung oder wurde, im Originalband wurde ein Stellvertreter montiert. für eine Ausstellung wurde schriftlich fixiert. Ein solcher Ein- griff ist ebenfalls an der neuen Montage mit einem Japanpapier- falz zu erkennen, dies soll die direkte Unterscheidung einer ori- 55
ginalen Zweitmontage zu Ryhiners Zeit von einer modernen Michel, Hans A.: ‘Die Kartensammlung Ryhiner der Stadt- Befestigung erleichtern. und Universtätsbibliothek Bern, eine bibliothekarische, technische und wissenschaftliche Erschliessungs- und Konservierungsaufgabe’. In: Jahrbuch der Geographischen Präsentation/Publikationen Gesellschaft von Bern, Band 55/1983-1985, Bern 1986, S. 589-599 Die Sammlung Ryhiner wurde in zahlreichen Publikationen und an Tagungen vorgestellt, z.B. auf dem Internationalen Kartographentag in Interlaken 1996. Im Internet ist sie ausführ- Biographie lich beschrieben und via Homepage der Stadt- und Universitäts- bibliothek Bern zugänglich. Madlon Gunia. Nach einer Buchbinderlehre, diverse Praktika In einer Abschlussausstellung von September bis Dezem- in Restaurierungswerkstätten in Deutschland, Grossbritannien ber 1998 präsentierten sich das Projekt und die Sammlung und den Niederlanden; Studium an der FH Köln im Fachbe- ein vorerst letztes Mal der Öffentlichkeit. Hier wurden einige reich Buchmalerei, Papier und Graphik; Diplomarbeit über Karten unter aktuellem Gesichtspunkt betrachtet oder als histo- ein Herbarium vivum aus dem ersten Viertel des 18. Jahr- risches Zeugnis wissenschaftlich aufbereitet. Es wurden sowohl hunderts; in den letzten Jahren Tätigkeit in der Stadt- und Einzelkarten als auch Alben gezeigt, um dem Publikum die Universitätsbibliothek Bern; seit Februar 1999 in der Gra- verschiedenartigen Gesichter der Sammlung vorzuführen. Als phischen Sammlung des Landesmuseums Mainz tätig. ein Arbeitsergebnis konnte der in den vergangenen Jahren er- stellte Gesamtkatalog in einer Typoskriptfassung ausgelegt werden. Ausserdem wurde die restauratorische Arbeit anhand Kontaktadresse eines Einzelbeispiels vorgestellt. Madlon Gunia Graphische Sammlung, Benutzung Landesmuseum Mainz, Grosse Bleiche 49-51, Dem heutigen Benutzer bieten sich vielfältige Einstiegs- D - 55116 Mainz möglichkeiten: Er kann über das Internet recherchieren und über den Katalog der Bibliothek Daten über einzelne Karten abfra- gen. Ausserdem weist der Katalog auf die Mikrofiche der Samm- lung hin, die auf einem Lesegerät im Lesesaal zu betrachten sind. Schwarz/Weiss-Kopien DIN-A4 bzw. A3 oder Ausschnittsvergrösserungen können problemlos angefertigt und zur Bearbeitung mitgenommen werden. Farbige Rückvergrösserungen einzelner Karten sind via Fiche und auf Bestellung möglich. In Ausnahmefällen und auf berechtigten Wunsch hin kann weiterhin das Original eingesehen werden, doch wird diese Nutzung durch die guten technischen Voraus- setzungen und im Sinne einer schonenden Erhaltung der Origi- nale nur noch selten erfolgen. Bibliographie Barth, Robert: ‘Die Sammlung Ryhiner in der Stadt- und Universitätsbibliothek Bern (StUB)’. In: Der Welten- sammler, Murten 1998, S.3 (= Cartographica Helvetica, Sonderheft Nr. 15.) Grosjean, Georges: Bild der Welt, Abbild der Welt. Alte Atlanten, Weltkarten, Landkarten. (Ausstellungskatalog zur Ausstel- lung vom 2. September bis 27. November 1986 im Schweizerischen Gutenbergmuseum), Münsingen 1986 Gunia, Madlon: ‘Restauratorische Betreuung des Ryhiner- Projekts’. In: Der Weltensammler, Murten 1998, S.56-58 (= Cartographica Helvetica, Sonderheft Nr. 15.) Klöti, Thomas: Johann Friedrich von Ryhiner (1732-1803), Berner Staatsmann, Geograph, Kartenbibliograph und Verkehrspolitiker, Jahrbuch der Geographischen Gesell- schaft Bern, Band 58/1992-1993, Bern 1994
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