"Rettet die Bienen!" Bayerns Bürgerinnen und Bürger schreiben mit dem Volksbegehren zur Artenvielfalt Naturschutzgeschichte von Claus Obermeier ...
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Der kritische Agrarbericht 2020 ( Schwerpunkt »Stadt, Land – im Fluss« »Rettet die Bienen!« Bayerns Bürgerinnen und Bürger schreiben mit dem Volksbegehren zur Artenvielfalt Naturschutzgeschichte von Claus Obermeier Was im eisig kalten Februar 2019 mit langen Schlangen vor den Rathäusern begann und danach über Monate in stundenlangen Sitzungen diskutiert wurde, fand am 17. Juli 2019 seinen Abschluss: Das Volksbegehren »Rettet die Bienen!« – von über 1,7 Millionen bayerischen Bürgerinnen und Bür- gern unterstützt und von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis getragen –, ist samt Begleit- gesetz und umfassendem Maßnahmenpaket im Landtag verabschiedet worden. Es trat bereits am 1. August 2019 in Kraft und soll in Bayern den massiven Artenschwund stoppen. In anderen Bundes- ländern wie Brandenburg und Baden-Württemberg wird ähnliches versucht. Der folgende Beitrag, geschrieben von einem Vertreter des Trägerkreises des Volksbegehrens, erläutert die Hintergründe, stellt die wichtigsten Maßnahmen des neuen Gesetzes vor und diskutiert die Herausforderungen bei der nun anstehenden Umsetzung. Zu den ältesten Themen der Natur- und Tierschutz- eine strukturelle Änderung bzw. Neuaufstellung der bewegung gehört die Auseinandersetzung mit der ordnungs- und förderpolitischen Eckpunkte, ohne Landwirtschaft, besonders nach deren Intensivierung allerdings in vielen Punkten einen Durchbruch zu durch den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmit- erzielen. Dies betrifft nicht nur den oft eingeforder- tel und industriell hergestellten Düngers. Spätestens ten Kurswechsel in der Gemeinsamen Agrarpolitik seit der Veröffentlichung des Bestsellers von Rachel (GAP), sondern auch unmittelbar für die Schutz Carson, Der stumme Frühling, im Jahr 1962 wurden güter entscheidende strittige Fragen der Pestizid die dramatischen Folgen eines ungebremsten Pesti- zulassung. zideinsatzes auch der breiten Öffentlichkeit bewusst. An einer strukturellen und nachweisbar die Schutz- Die damals nicht zuletzt durch dieses aufrüttelnde güter auf hohem Niveau bewahrenden Reform der Buch aufkeimende weltweite Umweltbewegung kon- entsprechenden Regelungen und Förderinstrumen- zentrierte sich mit ihren Protesten vor allem auf »Su- te sind trotz zahlreicher Ankündigungen sowohl die pergifte« wie DDT. Hier konnten auch vergleichsweise letzten Bundesregierungen als auch die EU-Gremien schnell globale Erfolge erzielt werden – bis hin zum immer wieder gescheitert. Dies gilt für ordnungs- Verbot von DDT. rechtliche Regelungen in Verantwortung der Bundes- Nach der Etablierung einer gemeinsamen Ag- regierung (Stichworte: Düngeverordnung, Nutztier- rarpolitik in der Europäischen Gemeinschaft bzw. haltungsverordnung, bundesrechtliche Regelungen EU konzentrierten sich die Bemühungen der Um- zum Einsatz von Agrargiften) wie auf EU-Ebene für welt-, Naturschutz- und Tierschutzverbände auf die förderrechtlichen Grundstrukturen im Rahmen der GAP (Stichwort: Greening der GAP, Koppelung an fachlich begründete und einem transparenten Mo- »Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist, auch nitoring zugängliche gesellschaftliche Leistungen). eingedenk der Verantwortung für die kommenden Stichworte zu den auch im Kritischen Agrarbericht Generationen, der besonderen Fürsorge jedes einzelnen immer wieder umfassend behandelten Schutzgütern und der staatlichen Gemeinschaft anvertraut.« sind: Erhalt der Agrobiodiversität, Kontaminierung Aus der Verfassung des Freistaates Bayern (Art. 141) von Grund- und Oberflächengewässern durch Pes- tizide, Nährstoffeintrag in angrenzende Ökosysteme 222
Natur und Umwelt und Grundwasser, Erhalt kleiner und mittlerer land- lungnahme an den Bayerischen Landtag übermitteln. wirtschaftlicher Betriebsstrukturen sowie Tierschutz Der Landtag hatte das Volksbegehren binnen drei und Tierwohl.1 Monaten zu behandeln (3-Monats-Frist). Das Volks- Auf dieser Grundlage bekommt die Ausschöpfung begehren wurde am 17. Juli 2019 vom Bayerischen des landesrechtlichen Regelungsspielraums eine hohe Landtag unverändert beschlossen, somit kam es zu Bedeutung – nicht nur in den Bereichen, die im Rah- keinem Volksentscheid. men der konkurrierenden Gesetzgebung ohnehin lan- Das Bündnis bestand aus den Trägerkreisorganisa- desrechtlich konstruiert sind, sondern auch ergänzend tionen ÖDP, Landesbund für Vogelschutz in Bayern dort, wo bundes- und europarechtlich weiter keine be- (LBV), Bündnis 90/Die Grünen, Gregor Louisoder friedigenden Lösungen zu erwarten sind. Da sich die Umweltstiftung und rund 200 weiteren Bündnisorga- Bayerische Staatsregierung in der Vergangenheit trotz nisationen, darunter Arbeitsgemeinschaft bäuerliche zahlreicher Initiativen der Naturschutzverbände und Landwirtschaft (AbL), Bund Naturschutz in Bayern, der Oppositionsparteien immer wieder erfolgreich Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in gegen wirksame rechtliche Regelungen wehrte und in Bayern sowie Omnibus und Firmen wie die Münchner den meisten Bereichen auf freiwillige und damit punk- Hofpfisterei.2 tuelle Verträge setzte, wurde die Zivilgesellschaft im Zentrale Arbeitseinheit in allen Landkreisen und Rahmen der Volksgesetzgebung gemäß Bayerischer kreisfreien Städten waren die jeweiligen Aktions- Verfassung tätig. bündnisse, die in unterschiedlicher Zusammenset- zung selbstorganisiert agierten und vom Münchner Lange Schlangen – runde Tische Kampagnenbüro mit Materialien und Informationen versorgt wurden. Im Rahmen des Volksbegehrens »Artenvielfalt & Na- turschönheit in Bayern ›Rettet die Bienen!‹« konnten Der Runde-Tisch-Prozess wegen des sog. Koppelungsverbotes nur Regelungen Nach Abschluss der Eintragungsphase initiierte die umgesetzt werden, die in eine Neufassung des Baye- Bayerische Staatsregierung einen breit aufgestellten rischen Naturschutzgesetzes integrierbar waren. Im Runden Tisch mit den Trägerkreisverbänden des Zuge des von der Bayerischen Staatsregierung initi- Volksbegehrens und zahlreichen weiteren Akteuren, ierten »Runden Tisches« wurden zahlreiche weitere insbesondere auch dem Bayerischen Bauernverband sinnvolle bzw. erforderliche Maßnahmen diskutiert als Wortführer der Gegner des Volksbegehrens. Die und im Abschlussdokument festgehalten, die teilwei- Leitung wurde Landtagspräsident a. D. Alois Glück se in zusätzlichen Gesetzen bzw. Verordnungen oder übertragen. Er fasst in seinem Abschlussbericht die über Beschlussanträge des Landtages umgesetzt wur- Arbeit wie folgt zusammen: den. Dies gilt insbesondere für Bereiche, in denen die »Der gesamte Prozess des Runden Tisches war jetzt gesetzlich festgelegten Ziele operativ durch die zunächst vor allem geprägt vom Ziel, eine Verstän- Staatsregierung umgesetzt werden müssen, so etwa digung zwischen Naturschützern und Landwirten zu zur Erreichung des 30-Prozent-Zieles Ökologische erreichen, sowie Misstrauen, Ängste und Vorurteile Landwirtschaft. auf beiden Seiten abzubauen. Letztlich gab es einen großen Verständigungsprozess. Möglich wurde dies Das Volksbegehren vor allem dadurch, dass alle Beteiligten bereit waren, Die ÖDP Bayern hat das Volksbegehren »Artenviel- zuzuhören und den Willen aufbrachten, ihr Gegen- falt & Naturschönheit in Bayern ›Rettet die Bienen!‹« über zu verstehen, quasi sich auf den Stuhl des Ande- initiiert und beantragt. Nachdem das Volksbegehren ren zu setzen. Damit einher ging die Erkenntnis, dass zugelassen wurde, lief die Eintragungsfrist in den Ge- die andere Seite nicht aus Böswilligkeit argumentiert, meinden im Zeitraum vom 31. Januar bis einschließ- sondern ihre fachlichen Anliegen anbringt. Ein we- lich 13. Februar 2019. sentlicher Baustein zur Verständigung war aber auch Der Landeswahlleiter des Freistaates Bayern hat die veranstaltete Fachtagung Biodiversität zu Beginn am 14. März 2019 mitgeteilt, dass für das Volksbe- des Arbeitsprozesses. Mit der hier gesetzten gemeinsa- gehren »Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern« men Basis zu Veränderungen in der Landschaft, deren nach dem endgültigen Ergebnis 1,741 Millionen gül- Hintergründe, sowie negativen Veränderungen in der tige Eintragungen geleistet wurden. Damit haben Artenvielfalt war es möglich, sachlich und fachlich zu 18,3 Prozent der stimmberechtigten Bürgerinnen und diskutieren«.3 Bürger in Bayern das Volksbegehren unterstützt. Spä- Ergebnis des Runden Tisches ist ein umfassendes testens vier Wochen nach der Veröffentlichung des Abschlussdokument mit zahlreichen Informationen amtlichen Endergebnisses im Staatsanzeiger musste zum Prozess und den Ergebnissen der einzelnen Ar- die Staatsregierung das Volksbegehren mit einer Stel- beitsgruppen.4 223
Der kritische Agrarbericht 2020 Die Ziele: ambitioniert – aber machbar allem bei landwirtschaftlichen Nutzungen vorrangig über eine Erweiterung bzw. Umgestaltung der beste- Durch das Gesetzespaket zum Volksbegehren Ar- henden Förderinstrumente »Bayerisches Vertragsna- tenvielfalt wurden das Bayerische Naturschutzgesetz turschutzprogramm« und die Förderkulissen nach in zahlreichen Punkten ergänzt und einige Bereiche EU-Agrarpolitik erfolgen. gesetzlich völlig neu geregelt sowie umfangreiche An- In der Begründung zum Zulassungsantrag des passungen in den anderen Fachgesetzen (z. B. Wald- Volksbegehrens 5 sowie des »Zweiten Gesetzes zuguns- gesetz) vorgenommen. ten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern«6 Neben den ordnungsrechtlichen Regelungen wie liegen auch umfangreiche naturschutzpolitische Hin- dem gesetzlichen Schutz für zahlreiche Kleinbiotope tergrundinformationen zu den einzelnen Regelungen in der Agrarlandschaft, dem Schutz von Gewässer- vor, auf die näher einzugehen hier aus Platzgründen randstreifen sowie dem Schutz von Streuobstwiesen verzichtet wird. und artenreichem Grünland sind zahlreiche Festle- gungen Ziele, die landesweit gelten und von der Bay- Neuregelungen ab 1. August 2019 erischen Staatsregierung und insbesondere den Fach- Der Kasten unten enthält die neuen gesetzlichen Rege- ministerien umgesetzt werden müssen. Dies kann vor lungen7 auf der Basis einer Übersicht des Bayerischen Neuregelungen durch das Volksbegehren und das »Zweite Gesetz zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern« Regelung Gewässerrandstreifen reduziert. Himmelsstrahler und Einrichtungen mit ähn- ■■ Unmittelbar geltend: Der Randstreifen muss an allen licher Wirkung sind deshalb grundsätzlich unzulässig. natürlichen und naturnahen Gewässern mindestens fünf Im Außenbereich ist die Beleuchtung von Werbeanlagen Meter breit sein; eine Grünlandnutzung ist weiterhin mög- grundsätzlich untersagt. lich, nicht jedoch eine garten- und ackerbauliche Nutzung. ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung: ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung: Die Fassadenbeleuchtung an öffentlichen Gebäuden wird Zusätzlich verpflichtet sich der Freistaat, auf staatlichen ab 23 Uhr abgeschaltet. Flächen an Gewässern erster und zweiter Ordnung einen zehn Meter breiten Gewässerrandstreifen auszuweisen. Regelung Streuobstwiesen, arten- und strukturreiches Grünland Regelung Schutz des Dauergrünlands und seiner Pflan- ■ ■ Unmittelbar geltend: Streuobstbestände und arten- und zen und Tiere bei der landwirtschaftlichen Nutzung strukturreiches Dauergrünland werden unter bestimmten ■ ■ Unmittelbar geltend: Um Wiesen und Weiden zu erhal- Voraussetzungen gesetzlich geschützte Biotope. Welche ten, ist die Umwandlung von Dauergrünland und Dauer- Bestände genau erfasst werden, wird in einer Rechtsver- grünlandbrachen nicht mehr möglich. Auch das Walzen ordnung der Staatsregierung zeitnah festgelegt. Unterhal- auf Grünland nach dem 15. März wird ab 2020 untersagt. tungsmaßnahmen für die Streuobstbestände sind weiter- Durch flexible Regelungen im Begleitgesetz werden hin möglich, so wie eine normale Bewirtschaftung insge- unzumutbare Härten für Landwirte vermieden (z. B. Ver- samt weiterhin möglich sein wird. Dies gilt beispielsweise schiebung des Termins bei Schneelage Mitte März nach für die Mahd der Flächen, den Ersatz einzelner Bäume hinten). Um Hasen und Vögel zu schützen, ist die Mahd und auch für die Bekämpfung der Kirschfruchtfliege mit von außen nach innen bei Flächen ab einem Hektar künf- Pestiziden. Zudem wird die Förderung sowohl der Streu- tig nicht mehr möglich. obstwiesen als auch des arten- und strukturreichen Dau- ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung: ergrünlands verbessert und damit die naturverträgliche Weiter wird das Ziel festgelegt, dass ab dem Jahr 2020 auf Bewirtschaftung dieser Flächen honoriert. bayernweit zehn Prozent aller Grünlandflächen die erste Mahd nicht vor dem 15. Juni erfolgen soll. Dies wird über Regelung Schutz von Alleen und Strukturelementen geförderte freiwillige Maßnahmen wie den Vertragsnatur- in der Feldflur schutz umgesetzt. ■■ Unmittelbar geltend: Bei der landwirtschaftlichen Nutzung dürfen Feldgehölze, Hecken, Säume, Baumreihen, Lese- Regelung Reduzierung der Lichtverschmutzung steinhaufen, Natursteinmauern, natürliche Totholzansamm- ■ ■ Unmittelbar geltend: Um nachtaktiven Tieren wie Fle- lungen, Feldraine und Kleingewässer nicht beeinträchtigt dermäusen, Insekten und Zugvögeln mehr ungestörte werden. Die Beseitigung oder Beeinträchtigung von Alleen Lebensräume zu bieten, werden störende Lichtquellen an Verkehrsflächen und Wirtschaftswegen wird verboten. 224
Natur und Umwelt Umweltministeriums.8 Einzelne Rechtsfragen können bestimmungen im Rahmen der ordnungsgemäßen damit nicht geklärt werden, hierzu sind weitergehen- Nutzung sowie zu einer praxistauglichen und um- de Ausführungsbestimmungen und insbesondere die setzbaren naturschutzfachlichen Abgrenzung im Rah- entsprechenden Rechtsverordnungen bzw. Erlasse men der Biotopkartierungen. Im Zuge dieser Debatten erforderlich. stoppte das Bayerische Umweltministerium vorläufig die entsprechenden Kartierungen bis zur Klärung der Komplex gesetzlich geschützte Biotope/ neuen Rechtslage. Zusätzlich brachten die Fraktionen Biotopkartierung von CSU und Freien Wählern im Rahmen des parla- Besonders umstritten war die Aufnahme der Bio- mentarischen Prozesses Änderungsanträge zur Schaf- toptypen »Streuobstwiese« und »Artenreiches Grün- fung eines Schlichtungsverfahrens im Rahmen der land« in den Katalog der gesetzlich nach Bundesna- Biotopkartierung ein.9 Beides wurde vom Trägerkreis turschutzgesetz geschützten Biotope mit dem damit des Volksbegehrens heftig und im Rahmen eines eige- verbundenen hohen Schutzstatus. Neben der Gene- nen Rechtsgutachtens kritisiert. Der gesamte Themen- raldebatte dazu entwickelten sich bereits während des komplex war zum Redaktionsschluss dieses Artikels Volksbegehrens und später am Runden Tisch um- noch in der Debatte, die entscheidenden Rechtsver- fangreiche Diskussionen zu möglichen Ausführungs- ordnungen lagen noch nicht vor. Regelung Verbot von Pflanzenschutzmitteln zu mindestens 20 Prozent und bis 2030 zu mindestens ■■ Unmittelbar geltend: Auf den vom Freistaat Bayern 30 Prozent nach den Grundsätzen des ökologischen Land- bewirtschafteten Flächen wird der Einsatz von Totalherbi- baus bewirtschaftet werden. Für staatliche Flächen gilt ziden verboten. Auch in Naturschutzgebieten, in geschütz- dies bereits ab 2020. ten Landschaftsbestandteilen und gesetzlich geschützten Biotopen ist die Anwendung von Pestiziden verboten, Regelung Naturschutzförderprogramme sofern die Flächen extensiv genutzt werden. Dasselbe gilt ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung: ab dem Jahr 2022 für den flächenhaften Einsatz von Pflan- Das Bayerische Vertragsnaturschutzprogramm (VNP), das zenschutzmitteln bei der landwirtschaftlichen Nutzung Vertragsnaturschutzprogramm Wald (VNP Wald) und das von Dauergrünland; eine Einzelpflanzenbekämpfung wird Landschaftspflegeprogramm werden gesetzlich verankert, aber auch nach 2022 nach wie vor möglich sein. inhaltlich ausgeweitet und verstärkt. So sollen zukünftig sechs Prozent der landwirtschaftlichen Fläche über das Regelung Biotopverbund Offenland Vertragsnaturschutzprogramm so bewirtschaftet werden, ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung: dass Bienen und viele andere Tier- und Pflanzenarten Bis 2030 soll der Biotopverbund auf mindestens 15 Prozent davon profitieren können. Bei den Weiden sollen die Prä- der bayerischen Offenlandfläche erweitert werden (zehn mien, z. B. für Schäfer, Almbauern und Mutterkuhhalter, Prozent bis 2023 und 13 Prozent bis 2027). erhöht werden. Auch sollen sechs Prozent der Fläche des Privat- und Körperschaftswaldes besonders ökologisch Regelung Naturwaldnetzwerk bewirtschaftet und die Waldbesitzer entsprechend hono- ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung: riert werden. Bis 2023 wird auf zehn Prozent des Staatswaldes ein grünes Netzwerk an Naturwaldflächen, die dauerhaft Regelung Mehr Naturschutz in Erziehung, Aus- und nicht forstwirtschaftlich genutzt werden, eingerichtet. Ziel Fortbildung ist ein Verbundsystem von Naturwäldern mit besonderer ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung: Bedeutung für die Biodiversität. Die Ziele und Aufgaben des Naturschutzes und der Land- schaftspflege, insbesondere auch mit ihrem Bezug zur Regelung Intensivierter Moorschutz Landwirtschaft, werden künftig bei der pädagogischen ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung: Aus- und Fortbildung, in den Lehr- und Bildungsplänen Über einen Masterplan Moore werden Hochmoore im und bei den Lehr- und Lernmitteln stärker berücksichtigt. Staatswald wiederhergestellt und die Renaturierungs aktivitäten der Naturschutzverwaltung zur Wiederver Regelung Biodiversitätsberater, Wildlebensraum nässung von Mooren verdreifacht. berater ■■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung: Regelung Ausweitung des Ökologischen Landbaus Es werden Biodiversitätsberater an den unteren Natur- ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung: schutzbehörden und Wildlebensraumberater an den Ämtern Die landwirtschaftlichen Flächen in Bayern sollen bis 2025 für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eingerichtet. 225
Der kritische Agrarbericht 2020 Jahr davor um 24 Prozent und von 2014 auf 2015 um Wanderausstellung 7,4 Prozent. Damit im Jahr 2030 ein Marktanteil von 30 Prozent für Ökolebensmittel erreicht bzw. auf 30 Zum Thema des Volksbegehrens Artenvielfalt wurde Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche Öko- eine Ausstellung erarbeitet, bestehend aus acht Modu- landbau betrieben wird, müssen die bayerischen Ver- len (Rollup-System), einem Flyerspender und weiteren braucherinnen und Verbraucher auch weiterhin Jahr Materialien, die sich z. B. für Schulaulen, Eingangshal- für Jahr zehn bis 15 Prozent mehr Ökoprodukte in die len etc. eignet – Auf Wunsch kombinierbar mit einem Einkaufskörbe legen. Dies erfordert von Seiten der Po- interessanten Vortrag zum Thema. litik, aber auch der Landwirtschaft und des Handels Nähere Infos hierzu: www.umweltstiftung.com . ein weiterhin engagiertes Vorgehen. Zehn Prozent nutzungsfreie Staatswälder 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 Über eine Änderung des Bayerischen Waldgesetzes Bislang werden in Bayern rund zehn Prozent der land- wird die Bayerische Staatsregierung verpflichtet, ein wirtschaftlichen Flächen nach Richtlinien des Ökolo- Netzwerk aus nutzungsfreien Naturwäldern auf zehn gischen Landbaus bewirtschaftet. Bayern nimmt mit Prozent der Staatswaldfläche einzurichten. Hier gilt etwa 13.000 Ökobetrieben und einer ökologisch be- dann das Motto: »Natur Natur sein lassen«. Dies ist wirtschafteten Fläche von knapp 343.000 Hektar bun- eine Jahrhundertchance für Naturschutz und Forst- desweit den Spitzenplatz ein. Somit wirtschaften laut wirtschaft in Bayern. Die letzten Jahrzehnte wurde die Statistik 30 Prozent aller deutschen Ökobetriebe in Debatte über Ziele, Instrumente und Gebietskulissen Bayern.10 Das neue Gesetz sieht vor, dass die landwirt- im Waldnaturschutz sehr oft erbittert und ideologisch schaftlichen Flächen in Bayern bis 2025 zu mindestens geführt und die Ausweisung nutzungsfreier Wälder in 20 Prozent und bis 2030 zu mindestens 30 Prozent Bayern verhindert. Die neuen gesetzlichen Regelun- nach den Grundsätzen des Ökologischen Landbaus gen kommen nicht aus dem luftleeren Raum: Sie sind bewirtschaftet werden. (Für staatliche Flächen gilt Ergebnis des jahrzehntelangen Kampfes engagierter dies bereits ab 2020.) Eine aktuelle Machbarkeitsstu- Naturschützer und Förster, die sich oft hinter den Ku- die 11 weist nach, dass diese Ziele zwar ambitioniert, lissen für echte Waldschutzgebiete eingesetzt haben. aber durchaus realistisch gesetzt sind, und erläutert, mit welchem Bündel an Maßnahmen sie umgesetzt Initiativen in anderen Bundesländern werden können. Machbar erscheinen sie auch deshalb, weil der Sektor sich gerade in Bayern besonders dyna- Im Anschluss an das bayerische Volksbegehren ent- misch entwickelt. So stieg die ökologisch bewirtschaf- standen mehrere Initiativen mit gleicher Zielrichtung tete Fläche von 2016 auf 2017 um zehn Prozent an, im in deutschen Bundesländern und auf EU-Ebene. So Folgerungen & Forderungen ■■ Das bayerische Volksbegehren hat gezeigt, dass es brei- geringe Bevölkerungsanteile und führen oft nicht zu ten zivilgesellschaftlichen Bündnissen gelingen kann, der gewünschten Mobilisierung. gegen Politikversagen vorzugehen und konstruktiv ■■ Die Zielgenauigkeit der umwelt- und agrarpolitischen entsprechende gesetzliche Regelungen zum Schutz der Forderungen muss in Zukunft verbessert werden: Im Umwelt und Natur zu erwirken. hochkomplexen System aus EU-, Bundes- und landes- ■■ Im Idealfall sollten die Struktur des Bündnisses und die rechtlicher Regelungskompetenz müssen in Zukunft Trägerkreiskonstruktion vor Einreichung eines Volks- alle Forderungen viel stärker differenziert und auf die begehrens final abgeklärt sein und alle Hauptakteure politischen Handlungsebenen ausgerichtet werden. gleichberechtigt repräsentieren. Rechtliche Vertreter Dazu ist hohe juristische Kompetenz erforderlich, bleiben immer nur die bei der Einreichung benannten besonders bei Themen, die der konkurrierenden Personen/Organisationen. Gesetzgebung unterliegen. ■■ Mögliche Zielkonflikte innerhalb der Bündnispartner, ■■ Das Volksbegehren hat über die Vielzahl und Vielfalt etwa zwischen Naturschutz und bäuerlicher Landwirt- an Bündnispartnern die Zivilgesellschaft insgesamt schaft, müssen frühzeitig erkannt und geklärt werden. gestärkt und ermutigt, sich auch in anderen Politikfel- ■■ Bei entsprechenden Kampagnen ist die richtige Balance dern stärker als bisher zu Wort zu melden und gestal- zwischen emotionaler und fachlicher Ansprache zu fin- tend einzugreifen. den. Rein faktenbasierte Informationen erreichen nur 226
Natur und Umwelt wurde in Brandenburg im April 2019 die Volksini- 3 Runder Tische Arten- und Naturschutz. Bericht des Moderators tiative »Artenvielfalt retten« gestartet. Bereits nach Alois Glück vom 26. April 2019, S. 2 (www.bayern.de/wp-content/ uploads/2019/04/rundertisch_bericht_glueck_190426_final.pdf). vier Monaten war mit über 50.000 Unterschriften die 4 Ebd. erforderliche Mindestzahl an Unterschriften deutlich 5 Zulassungsantrag zum Volksbegehren Artenvielfalt (»Rettet die überschritten. Die Frist endet nach einem Jahr im Bienen!«) incl. Gesetzesentwurf des Volksbegehrensgesetzes: April 2020.12 Kernforderungen der Initiative in Bran- www.volksbegehren-artenvielfalt.de. –Beschlussfassung: Baye- denburg sind ein Verbot von Pestiziden und minera- risches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 14/2019. 6 Begründung zum »Zweiten Gesetz zugunsten der Artenvielfalt lischem Stickstoffdünger in Naturschutzgebieten und und Naturschönheit in Bayern«, Beschlussfassung: Bayerisches FFH-Gebieten, eine Änderung des Grundstücksver- Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 14/2019. wertungsgesetzes, durch die sichergestellt wird, dass 7 Ausnahme- und Befreiungsbestimmungen werden hier nicht auf den landeseigegen Flächen (rund 30.000 Hek vollständig behandelt. Die Gesetze bzw. Änderungen traten am 1. August 2019 in Kraft, einzelne Regelungen später. tar) vorrangig ökologische Landwirtschaft betrieben 8 Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit wurden einzelne For- wird, sowie die Festlegung, dass bis 2030 landesweit mulierungen teils wörtlich aus der entsprechenden Bekannt- 25 Prozent der Fläche ökologisch bewirtschaftet wird. machung des Bayerischen Umweltministeriums übernommen Schließlich soll unter anderem der Gewässerrandstrei- (www.stmuv.bayern.de/themen/naturschutz/biodiversitaet/ fen, auf dem der Einsatz von Pestiziden und minera- volksbegehren_artenschutz/index.htm). 9 Vergleiche dazu z. B. folgende Presseinfo des Trägerkreises vom lischem Stickstoffdünger sowie die Ausbringung von 6. Juni 2019: »Keine Verwässerung der Ergebnisse des Runden Gülle verboten ist, in Zukunft zehn Meter betragen. Tisches. Parlamentarische Beratungen zum Gesetzespaket star- Auch in Baden-Württemberg konnten alle Hürden ten heute« (https://volksbegehren-artenvielfalt.de/2019/06/06/ überwunden und das „Volksbegehren Artenschutz“ keine-verwaesserung-der-ergebnisse-des-runden-tisches-par- lamentarische-beratungen-zum-gesetzespaket-starten-heute- gestartet werden.13 Die Forderungen gehen zum Teil traegerkreis-hat-ueber-20-antraege-naturschutzfachlich- weit über die des bayerischen Volksbegehrens hinaus, geprueft/). diverse der dortigen Regelungen wurden in Baden- 10 Die Zahlen sind entnommen aus der Studie von ECOZEPT und Württemberg bereits früher von der Landesregierung FiBL Projekte GmbH: 30 % Ökolandbau in Bayern im Jahr 2030. zumindest teilweise umgesetzt. So sollen weitrei- Analysen und Empfehlungen aus Absatz- und Marktsicht. Eine Machbarkeitsstudie, erarbeitet für Bündnis 90/Die Grünen Bay- chende Anwendungsverbote für Pestizide in Schutz- ern [2019], S. 29. gebieten gelten und bis zum Jahr 2035 soll die Hälfte 11 Ebd. der Fläche ökologisch bewirtschaftet werden. Mitte 12 Nähere Infos unter www.artenvielfalt-brandenburg.de. Oktober 2019 wurde die Mobilisierung zugunsten ei- 13 Nähere Infos unter www.volksbegehren-artenschutz.de. 14 »Bienen-Volksbegehren: Trägerkreis begrüßt Dialogangebot«. ner Dialogphase unterbrochen. Die Landesregierung Pressemitteilung des BUND vom 15. Oktober 2019 (www.bund- hatte ein umfassendes Eckpunktepapier zur Umset- bawue.de/service/pressemitteilungen/detail/news/bienen- zung von Zielen und Forderungen vorgelegt. »Wir volksbegehren-traegerkreis-begruess-dialogangebot/). gehen den Weg, den die Landesregierung aufgezeigt hat, mit, wenn die Eckpunkte der Landesregierung bis Mitte Dezember in konkrete Maßnahmen gegossen sind und Bauernverbände, Imkerverbände und Regie- rungsfraktionen sich ebenfalls hinter diese Eckpunkte stellen«, sagt Volksbegehrens-Sprecherin und BUND- Landeschefin Brigitte Dahlbender dazu. »Wir wollen, Claus Obermeier dass den Worten nun Taten folgen.«14 Diplom-Geograf und Vorstand der Gregor Louisoder Umweltstiftung sowie Vertreter der Stiftung im Trägerkreis Volksbegehren Arten- Anmerkungen vielfalt. 1 Siehe hierzu z. B. die Beiträge im Europa-Schwerpunkt des K ritischen Agrarberichts 2019. Gregor Louisoder Umweltstiftung 2 Eine Übersicht der Bündnisorganisationen findet sich unter Brienner Straße 46, 80333 München www.volksbegehren-artenvielfalt.de. claus.obermeier@umweltstiftung.com 227
Der kritische Agrarbericht 2020 Stephan Kreppold Landwirtschaft früher einbinden! Ein Kommentar zum Volksbegehren aus bäuerlicher Sicht Die bayerische ÖDP formulierte, unter dem Druck der den Auto- u. Flugverkehr usw. Leider verstellt dieser Blick bevorstehenden Landtagswahl, mit relativ kurzer Vor- nach außen die Sicht nach innen: auf die Mitverursachung laufszeit den Gesetzestext des bayerischen Volksbegeh- des Artensterbens durch die Landwirtschaft. rens und legte den fertigen Text den potenziellen Unter- Ich habe bei Diskussionen oft auf eine Ausarbeitung der stützern, also auch der bayerischen Arbeitsgemeinschaft Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft verwiesen, bäuerliche Landwirtschaft (AbL), vor. Da eine Diskussion die bereits aus dem Jahr 1990 stammt.1 Diese Untersu- in den Regionalgruppen der AbL aus zeitlichen Gründen chung befasste sich vergleichend mit der Frage nach der nicht stattfinden konnte, erfolgte die Beteiligung des Auswirkung der landwirtschaftlichen Systeme in Bezug L andesverbands auf Beschluss des Vereinsvorstands. auf die Artenvielfalt. Die Studie resümiert: »Wer die Arten- Unter ähnlichem Zeitdruck standen die Naturschutz vielfalt will, muss die Agrarchemie drastisch reduzieren.«2 verbände. In den Gliederungen des Bund Naturschutz Diese Aussage wird mittlerweile in mehreren wissen- Bayern (BN) z. B. bestand zwar durchgehend eine große schaftlichen Untersuchungen weltweit bestätigt.3 Des- Unterstützungsbereitschaft. Der Landesverband des BN wegen ist es höchste Zeit, dass auch die Landwirtschaft aber betrachtete einige Passagen im Gesetzestext aus diesen Fakten endlich ins Auge schaut, statt nach anderen naturschutzfachlicher Sicht als korrekturbedürftig. Ände- Schuldigen zu suchen. rungen waren aber auch hier nicht mehr möglich. Hier zeigte sich bereits die ganze Fragwürdigkeit der Vorge- Agrarsystem auf dem Prüfstand hensweise nach der Methode »Vogel friss oder stirb«: eine Wenn ich den Betrachtungsbogen etwas weiter spanne, an sich sinnvolle und notwendige Initiative den poten- zeigt sich mir folgendes Bild: Die breite gesellschaftliche ziellen Unterstützern unter hohem Zeitdruck gleichsam und politische Diskussion anlässlich des Volksbegeh- »unterzujubeln«, ohne dass diese die Möglichkeit hatten, rens ist als Öffnung eines Ventiles zu begreifen. Denn an der Formulierung des Gesetzesentwurfs mitzuwirken. die notwendige Debatte zur Naturverträglichkeit des chemiebasierten Landnutzungssystems wurde vom Bau- Bauernverband trägt Streit in die Dörfer ernverband und der Agrarlobby über die letzten 20 Jahre Es ist davon auszugehen, dass bei einer Erarbeitung zurückgehalten. Für viele Bauern kommen die geballten des Textes zusammen mit der AbL und dem BN einige Erwartungen der Gesellschaft an die Landwirtschaft unschlüssige bzw. fachlich nicht haltbare Passagen korri- jetzt einem Tsunami gleich auf sie zu. Die Bayerische giert worden wären. Im Verlaufe der öffentlichen Debatte Landwirtschaftsministerin hat während der Eintragungs- wurden von den Gegnern genau diese Bestandteile her- frist den Schulterschluss mit dem BBV gesucht und von auspickt, um den Initiatoren und Unterstützern Ahnungs- »Bauernbashing« geredet. Aber es ist keineswegs so, losigkeit vorzuwerfen. Mit einem finanziellen Aufwand in dass die Gesellschaft Bäuerinnen und Bauern verachtet. Millionenhöhe initiierte der Bayerische Bauernverband In vielen Umfragen rangieren die Bauernfamilien in der (BBV) eine landesweite, unsägliche Kampagne gegen die Wertschätzung durch die Gesellschaft gleich nach Ärzten Maßnahmen des Gesetzestextes. Dabei wurden auf der und Krankenschwestern. Wenn allerdings weitergehende Basis von Halbwahrheiten und Verdrehungen bei den Bau- Fragen zur Naturverträglichkeit des Wirtschaftens und zur erfamilien Unsicherheiten erzeugt und Ängste geschürt. Nutztierhaltung gestellt werden, rutscht diese Zustim- Das Für und Wider führte in vielen Gemeinden zu hitzigen mung in den Keller. Es geht also nicht um ein Bauern Streitereien. Die Spaltungslinie verlief teilweise auch bashing, sondern um ein Systembashing. Deswegen muss durch die Ökobauernbewegung. Ein AbL-er wurde von das Agrarsystem auf den Prüfstand und eine Agrarwende den Medien als Kronzeuge für das »Bauernsterben durch eingeleitet werden. das Volksbegehren« aufgebaut (wobei daran zu erinnern Dass diese, längst überfällige, Auseinandersetzung über ist, dass bereits vor dem Volksbegehren jedes Jahr ein bis das intensive Landnutzungs- und Tierhaltungssystem jetzt vier Prozent der Bauernhöfe aufgeben mussten). in einem breiten gesellschaftlichen Rahmen geführt wird, Aus meiner Sicht ist die Kritik der Bauernschaft an den stellt den eigentlichen Erfolg des Volksbegehrens dar. Maßnahmen des Volksbegehrens zunächst nachvollzieh- bar, greifen doch 80 Prozent derselben in die Autonomie Lehren aus dem Volksbegehren des Bewirtschafters ein. Die Bauern verweisen im Gegen- Was müssen wir Bauern und Bäuerinnen aus diesen Erfah- zug auf sterile Steingärten, Mähroboter, den zunehmen- rungen lernen, vor allem im Blick auf weitere ausste- 228
Natur und Umwelt hende Volksbegehren in Baden-Württemberg und Bran- Erfahrung ein weiteres Moment wichtig. Dies ist die Prü- denburg4 und womöglich weiteren Bundesländern? fung der Forderungen auf die Konformität mit bestehen- Zum einen: Allen intensiven, konventionellen Bau- den Gesetzen (z. B. KULAP-Förderungen). Diese Unsicher- ernfamilien muss klar werden, dass die nichtbäuerliche heiten, ob z. B. die bisherige Förderung von freiwilligen Gesellschaft ein »Weiter so« zunehmend ablehnt und dass Gewässerrandstreifen bei einer Gesetzverpflichtung auch die etablierten Parteien eine schrittweise Abkehr wegfällt oder nicht, müssen im Vorfeld zweifelsfrei geklärt vollziehen. Für viele meiner CSU-treuen Kollegen bricht sein. Mit diesem Zweifel an der Förderungsunschädlich- jetzt eine Welt zusammen, wenn Ministerpräsident Söder keit haben das Landwirtschaftsministerium und der BBV zum einen den Text des Volksbegehrens annimmt und im die Bauern aufgescheucht. Ergänzungsgesetz noch einiges draufsetzt (z. B. 50 Prozent Gleichzeitig muss in diesen Vorbereitungsrunden die Chemiereduzierung bis 2026). Forderung aufrechterhalten werden, dass die wirtschaft- Zum anderen ist es notwendig, dafür zu sorgen, dass lichen Nachteile, die sich aus Verpflichtungsmaßnahmen sich die Landwirtschaft bereits weit im Vorfeld eines ergeben, ausgeglichen werden. Eine weitere einseitige Volksbegehrens in die Debatte mit einbringt und einbrin- Belastung der bäuerlichen Einkommen kann beim der- gen kann. Auch deshalb, damit praxisuntaugliche Forde- zeitigen konventionellen Agrarpreisniveau nicht hin- rungen nicht in den Text einfließen können. Ich verweise genommen werden. Erbrachte Leistungen zum Schutz da auf die Passage im Text des bayerischen Volksbegeh- der Gemeingüter Wasser, Boden, intakte biodiverse rens Artikel 1, Absatz 7, dass »Walzen auf Wiesen nur vor Landschaft müssen auch gesamtgesellschaftlich getragen dem 15. März« erlaubt ist. Diese grandiose Dümmlichkeit werden. zeugt davon, dass es bei der Ausarbeitung des Textes an landwirtschaftlichem Sachverstand mangelte. Und genau über diese (beinahe nebensächliche) Forderung haben sich die Gegner bis zur Weißglut echauffiert – und damit Anmerkungen alle anderen, viel relevanteren Maßnahmen gleich mit 1 G. Pommer: Wer die Artenvielfalt will, muss die Agrarchemie drastisch reduzieren. In: Natur und Landschaft Reihe 65 abgelehnt. (1990), Heft 78, S. 4 ff. Es muss also rechtzeitig darauf hingearbeitet wer- 2 Ebd. den, dass bäuerlicher Sachverstand von Anfang an und 3 Jüngst z. B. durch den Globalen Bericht des Weltbiodiver durchgehend in entsprechende Gesetzesvorschläge sitätsrat (IPBES), der im Frühjahr 2019 erschienen ist. – Eine eingearbeitet wird. Aber auch dann wird die textliche gute Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse findet sich bei C. Schwägerl: Dramatischer UN-Bericht – Eine Mil Kompromissfindung kein »Kinderspiel« sein. Dies ist auch lion Arten vom Aussterben bedroht. In: Spiegel Online vom die Erkenntnis aus dem »Runden Tisch«, den Söder relativ 6. Mai 2019 (www.spiegel.de/wissenschaft/natur/arten kurzfristig einberufen hat. Die BBV-Funktionäre gingen da sterben-uno-bericht-beschreibt-dramatischen-verlust-der- zunächst wie bisher mit großem Selbstbewusstsein in die artenvielfalt-a-1265482.html). 4 Zentrale Forderungen beider Länderinitiativen finden sich Gespräche und vertraten über weite Strecken die altbe- im nebenstehenden Beitrag von Claus Obermeier sowie im kannten Rechtfertigungsparolen. Als dann auf Einladung Rückblick des Agrarpolitik-Kapitels dieses Kritischen Agrar- des Moderators Alois Glück im Rahmen einer Expertenan- berichts (S. 222–227). hörung der Direktor der Zoologischen Staatssammlung in München, Professor Dr. Gerhard Haszprunar, eindrücklich belegen konnte, dass die Hauptverantwortung für das massive Artensterben bei der derzeitigen Form der Inten- sivlandwirtschaft liegt, sahen sich BBV-Präsident Heidl & Co. zum Einlenken genötigt. Diese Zustimmung zum Gesetzestext (mit der »Faust in der Hosentasche«) wird jetzt der BBV-Spitze, gerade von »Hardlinern« in eigenen Reihen, zum Vorwurf gemacht. Eines jedoch zeigt sich bei alldem überdeutlich: Die Dominanz des BBV ist gewaltig geschrumpft. Hier wurde Stephan Kreppold der Bogen überspannt und unnötig Streit und Feindschaft Biobauer und Mitglied im Sprecherrat in die Dörfer getragen. Die BBV-Spitze trägt diesbezüglich der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Land ein hohes Maß an Verpflichtung, die von ihr geschürten wirtschaft (AbL) Bayerisch Schwaben. Gegensätze wieder zu versöhnen. Biolandhof Kreppold Im Spannungsfeld der unterschiedlichen Interessen bei Wilpersberg 1, 86551 Aichach der Vorbereitung eines Volksbegehrens ist nach unserer biolandhof-kreppold@web.de 229
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