"Rettet die Bienen!" Bayerns Bürgerinnen und Bürger schreiben mit dem Volksbegehren zur Artenvielfalt Naturschutzgeschichte von Claus Obermeier ...

Die Seite wird erstellt Elina Wulf
 
WEITER LESEN
Der kritische Agrarbericht 2020

( Schwerpunkt »Stadt, Land – im Fluss«

»Rettet die Bienen!«
Bayerns Bürgerinnen und Bürger schreiben mit dem Volksbegehren
zur Artenvielfalt Naturschutzgeschichte

von Claus Obermeier

                       Was im eisig kalten Februar 2019 mit langen Schlangen vor den Rathäusern begann und danach
                       über Monate in stundenlangen Sitzungen diskutiert wurde, fand am 17. Juli 2019 seinen Abschluss:
                       Das Volksbegehren »Rettet die Bienen!« – von über 1,7 Millionen bayerischen Bürgerinnen und Bür-
                       gern unterstützt und von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis getragen –, ist samt Begleit-
                       gesetz und umfassendem Maßnahmenpaket im Landtag verabschiedet worden. Es trat bereits am
                       1. August 2019 in Kraft und soll in Bayern den massiven Artenschwund stoppen. In anderen Bundes-
                       ländern wie Brandenburg und Baden-Württemberg wird ähnliches versucht. Der folgende Beitrag,
                       geschrieben von einem Vertreter des Trägerkreises des Volksbegehrens, erläutert die Hintergründe,
                       stellt die wichtigsten Maßnahmen des neuen Gesetzes vor und diskutiert die Herausforderungen bei
                       der nun anstehenden Umsetzung.

Zu den ältesten Themen der Natur- und Tierschutz-               eine strukturelle Änderung bzw. Neuaufstellung der
bewegung gehört die Auseinandersetzung mit der                  ordnungs- und förderpolitischen Eckpunkte, ohne
Landwirtschaft, besonders nach deren Intensivierung             allerdings in vielen Punkten einen Durchbruch zu
durch den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmit-                 erzielen. Dies betrifft nicht nur den oft eingeforder-
tel und industriell hergestellten Düngers. Spätestens           ten Kurswechsel in der Gemeinsamen Agrarpolitik
seit der Veröffentlichung des Bestsellers von Rachel            (GAP), sondern auch unmittelbar für die Schutz­
Carson, Der stumme Frühling, im Jahr 1962 wurden                güter entscheidende strittige Fragen der Pestizid­
die dramatischen Folgen eines ungebremsten Pesti-               zulassung.
zideinsatzes auch der breiten Öffentlichkeit bewusst.              An einer strukturellen und nachweisbar die Schutz-
Die damals nicht zuletzt durch dieses aufrüttelnde              güter auf hohem Niveau bewahrenden Reform der
Buch aufkeimende weltweite Umweltbewegung kon-                  entsprechenden Regelungen und Förderinstrumen-
zentrierte sich mit ihren Protesten vor allem auf »Su-          te sind trotz zahlreicher Ankündigungen sowohl die
pergifte« wie DDT. Hier konnten auch vergleichsweise            letzten Bundesregierungen als auch die EU-Gremien
schnell globale Erfolge erzielt werden – bis hin zum            immer wieder gescheitert. Dies gilt für ordnungs-
Verbot von DDT.                                                 rechtliche Regelungen in Verantwortung der Bundes-
   Nach der Etablierung einer gemeinsamen Ag-                   regierung (Stichworte: Düngeverordnung, Nutztier-
rarpolitik in der Europäischen Gemeinschaft bzw.                haltungsverordnung, bundesrechtliche Regelungen
EU konzentrierten sich die Bemühungen der Um-                   zum Einsatz von Agrargiften) wie auf EU-Ebene für
welt-, Naturschutz- und Tierschutzverbände auf                  die förderrechtlichen Grundstrukturen im Rahmen
                                                                der GAP (Stichwort: Greening der GAP, Koppelung
                                                                an fachlich begründete und einem transparenten Mo-
   »Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist, auch       nitoring zugängliche gesellschaftliche Leistungen).
   eingedenk der Verantwortung für die kommenden                Stichworte zu den auch im Kritischen Agrarbericht
   Generationen, der besonderen Fürsorge jedes einzelnen        immer wieder umfassend behandelten Schutzgütern
   und der staatlichen Gemeinschaft anvertraut.«                sind: Erhalt der Agrobiodiversität, Kontaminierung
   Aus der Verfassung des Freistaates Bayern (Art. 141)         von Grund- und Oberflächengewässern durch Pes-
                                                                tizide, Nährstoffeintrag in angrenzende Ökosysteme

222
Natur und Umwelt

und Grundwasser, Erhalt kleiner und mittlerer land-      lungnahme an den Bayerischen Landtag übermitteln.
wirtschaftlicher Betriebsstrukturen sowie Tierschutz     Der Landtag hatte das Volksbegehren binnen drei
und Tierwohl.1                                           Monaten zu behandeln (3-Monats-Frist). Das Volks-
   Auf dieser Grundlage bekommt die Ausschöpfung         begehren wurde am 17. Juli 2019 vom Bayerischen
des landesrechtlichen Regelungsspielraums eine hohe      Landtag unverändert beschlossen, somit kam es zu
Bedeutung – nicht nur in den Bereichen, die im Rah-      keinem Volksentscheid.
men der konkurrierenden Gesetzgebung ohnehin lan-           Das Bündnis bestand aus den Trägerkreisorganisa-
desrechtlich konstruiert sind, sondern auch ergänzend    tionen ÖDP, Landesbund für Vogelschutz in Bayern
dort, wo bundes- und europarechtlich weiter keine be-    (LBV), Bündnis 90/Die Grünen, Gregor Louisoder
friedigenden Lösungen zu erwarten sind. Da sich die      Umweltstiftung und rund 200 weiteren Bündnisorga-
Bayerische Staatsregierung in der Vergangenheit trotz    nisationen, darunter Arbeitsgemeinschaft bäuerliche
zahlreicher Initiativen der Naturschutzverbände und      Landwirtschaft (AbL), Bund Naturschutz in Bayern,
der Oppositionsparteien immer wieder erfolgreich         Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in
gegen wirksame rechtliche Regelungen wehrte und in       Bayern sowie Omnibus und Firmen wie die Münchner
den meisten Bereichen auf freiwillige und damit punk-    Hofpfisterei.2
tuelle Verträge setzte, wurde die Zivilgesellschaft im      Zentrale Arbeitseinheit in allen Landkreisen und
Rahmen der Volksgesetzgebung gemäß Bayerischer           kreisfreien Städten waren die jeweiligen Aktions-
Verfassung tätig.                                        bündnisse, die in unterschiedlicher Zusammenset-
                                                         zung selbstorganisiert agierten und vom Münchner
Lange Schlangen – runde Tische                           Kampagnenbüro mit Materialien und Informationen
                                                         versorgt wurden.
Im Rahmen des Volksbegehrens »Artenvielfalt & Na-
turschönheit in Bayern ›Rettet die Bienen!‹« konnten     Der Runde-Tisch-Prozess
wegen des sog. Koppelungsverbotes nur Regelungen         Nach Abschluss der Eintragungsphase initiierte die
umgesetzt werden, die in eine Neufassung des Baye-       Bayerische Staatsregierung einen breit aufgestellten
rischen Naturschutzgesetzes integrierbar waren. Im       Runden Tisch mit den Trägerkreisverbänden des
Zuge des von der Bayerischen Staatsregierung initi-      Volksbegehrens und zahlreichen weiteren Akteuren,
ierten »Runden Tisches« wurden zahlreiche weitere        insbesondere auch dem Bayerischen Bauernverband
sinnvolle bzw. erforderliche Maßnahmen diskutiert        als Wortführer der Gegner des Volksbegehrens. Die
und im Abschlussdokument festgehalten, die teilwei-      Leitung wurde Landtagspräsident a. D. Alois Glück
se in zusätzlichen Gesetzen bzw. Verordnungen oder       übertragen. Er fasst in seinem Abschlussbericht die
über Beschlussanträge des Landtages umgesetzt wur-       Arbeit wie folgt zusammen:
den. Dies gilt insbesondere für Bereiche, in denen die      »Der gesamte Prozess des Runden Tisches war
jetzt gesetzlich festgelegten Ziele operativ durch die   zunächst vor allem geprägt vom Ziel, eine Verstän-
Staatsregierung umgesetzt werden müssen, so etwa         digung zwischen Naturschützern und Landwirten zu
zur Erreichung des 30-Prozent-Zieles Ökologische         erreichen, sowie Misstrauen, Ängste und Vorurteile
Landwirtschaft.                                          auf beiden Seiten abzubauen. Letztlich gab es einen
                                                         großen Verständigungsprozess. Möglich wurde dies
Das Volksbegehren                                        vor allem dadurch, dass alle Beteiligten bereit waren,
Die ÖDP Bayern hat das Volksbegehren »Artenviel-         zuzuhören und den Willen aufbrachten, ihr Gegen-
falt & Naturschönheit in Bayern ›Rettet die Bienen!‹«    über zu verstehen, quasi sich auf den Stuhl des Ande-
initiiert und beantragt. Nachdem das Volksbegehren       ren zu setzen. Damit einher ging die Erkenntnis, dass
zugelassen wurde, lief die Eintragungsfrist in den Ge-   die andere Seite nicht aus Böswilligkeit argumentiert,
meinden im Zeitraum vom 31. Januar bis einschließ-       sondern ihre fachlichen Anliegen anbringt. Ein we-
lich 13. Februar 2019.                                   sentlicher Baustein zur Verständigung war aber auch
   Der Landeswahlleiter des Freistaates Bayern hat       die veranstaltete Fachtagung Biodiversität zu Beginn
am 14. März 2019 mitgeteilt, dass für das Volksbe-       des Arbeitsprozesses. Mit der hier gesetzten gemeinsa-
gehren »Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern«        men Basis zu Veränderungen in der Landschaft, deren
nach dem endgültigen Ergebnis 1,741 Millionen gül-       Hintergründe, sowie negativen Veränderungen in der
tige Eintragungen geleistet wurden. Damit haben          Artenvielfalt war es möglich, sachlich und fachlich zu
18,3 Prozent der stimmberechtigten Bürgerinnen und       diskutieren«.3
Bürger in Bayern das Volksbegehren unterstützt. Spä-        Ergebnis des Runden Tisches ist ein umfassendes
testens vier Wochen nach der Veröffentlichung des        Abschlussdokument mit zahlreichen Informationen
amtlichen Endergebnisses im Staatsanzeiger musste        zum Prozess und den Ergebnissen der einzelnen Ar-
die Staatsregierung das Volksbegehren mit einer Stel-    beitsgruppen.4

                                                                                                            223
Der kritische Agrarbericht 2020

Die Ziele: ambitioniert – aber machbar                           allem bei landwirtschaftlichen Nutzungen vorrangig
                                                                 über eine Erweiterung bzw. Umgestaltung der beste-
Durch das Gesetzespaket zum Volksbegehren Ar-                    henden Förderinstrumente »Bayerisches Vertragsna-
tenvielfalt wurden das Bayerische Naturschutzgesetz              turschutzprogramm« und die Förderkulissen nach
in zahlreichen Punkten ergänzt und einige Bereiche               EU-Agrarpolitik erfolgen.
gesetzlich völlig neu geregelt sowie umfangreiche An-               In der Begründung zum Zulassungsantrag des
passungen in den anderen Fachgesetzen (z. B. Wald-               Volksbegehrens 5 sowie des »Zweiten Gesetzes zuguns-
gesetz) vorgenommen.                                             ten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern«6
   Neben den ordnungsrechtlichen Regelungen wie                  liegen auch umfangreiche naturschutzpolitische Hin-
dem gesetzlichen Schutz für zahlreiche Kleinbiotope              tergrundinformationen zu den einzelnen Regelungen
in der Agrarlandschaft, dem Schutz von Gewässer-                 vor, auf die näher einzugehen hier aus Platzgründen
randstreifen sowie dem Schutz von Streuobstwiesen                verzichtet wird.
und artenreichem Grünland sind zahlreiche Festle-
gungen Ziele, die landesweit gelten und von der Bay-             Neuregelungen ab 1. August 2019
erischen Staatsregierung und insbesondere den Fach-              Der Kasten unten enthält die neuen gesetzlichen Rege-
ministerien umgesetzt werden müssen. Dies kann vor               lungen7 auf der Basis einer Übersicht des Bayerischen

   Neuregelungen durch das Volksbegehren und das
   »Zweite Gesetz zugunsten der Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern«

   Regelung Gewässerrandstreifen                                 reduziert. Himmelsstrahler und Einrichtungen mit ähn-
   ■■ Unmittelbar geltend: Der Randstreifen muss an allen        licher Wirkung sind deshalb grundsätzlich unzulässig.
   natürlichen und naturnahen Gewässern mindestens fünf          Im Außenbereich ist die Beleuchtung von Werbeanlagen
   Meter breit sein; eine Grünlandnutzung ist weiterhin mög-     grundsätzlich untersagt.
   lich, nicht jedoch eine garten- und ackerbauliche Nutzung.    ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung:

   ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung:   Die Fassadenbeleuchtung an öffentlichen Gebäuden wird
   Zusätzlich verpflichtet sich der Freistaat, auf staatlichen   ab 23 Uhr abgeschaltet.
   Flächen an Gewässern erster und zweiter Ordnung einen
   zehn Meter breiten Gewässerrandstreifen auszuweisen.          Regelung Streuobstwiesen, arten- und strukturreiches
                                                                 Grünland
   Regelung Schutz des Dauergrünlands und seiner Pflan-          ■ ■ Unmittelbar geltend: Streuobstbestände und arten- und

   zen und Tiere bei der landwirtschaftlichen Nutzung            strukturreiches Dauergrünland werden unter bestimmten
   ■ ■ Unmittelbar geltend: Um Wiesen und Weiden zu erhal-       Voraussetzungen gesetzlich geschützte Biotope. Welche
   ten, ist die Umwandlung von Dauergrünland und Dauer-          Bestände genau erfasst werden, wird in einer Rechtsver-
   grünlandbrachen nicht mehr möglich. Auch das Walzen           ordnung der Staatsregierung zeitnah festgelegt. Unterhal-
   auf Grünland nach dem 15. März wird ab 2020 untersagt.        tungsmaßnahmen für die Streuobstbestände sind weiter-
   Durch flexible Regelungen im Begleitgesetz werden             hin möglich, so wie eine normale Bewirtschaftung insge-
   unzumutbare Härten für Landwirte vermieden (z. B. Ver-        samt weiterhin möglich sein wird. Dies gilt beispielsweise
   schiebung des Termins bei Schneelage Mitte März nach          für die Mahd der Flächen, den Ersatz einzelner Bäume
   hinten). Um Hasen und Vögel zu schützen, ist die Mahd         und auch für die Bekämpfung der Kirschfruchtfliege mit
   von außen nach innen bei Flächen ab einem Hektar künf-        Pestiziden. Zudem wird die Förderung sowohl der Streu-
   tig nicht mehr möglich.                                       obstwiesen als auch des arten- und strukturreichen Dau-
   ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung:   ergrünlands verbessert und damit die naturverträgliche
   Weiter wird das Ziel festgelegt, dass ab dem Jahr 2020 auf    Bewirtschaftung dieser Flächen honoriert.
   bayernweit zehn Prozent aller Grünlandflächen die erste
   Mahd nicht vor dem 15. Juni erfolgen soll. Dies wird über     Regelung Schutz von Alleen und Strukturelementen
   geförderte freiwillige Maßnahmen wie den Vertragsnatur-       in der Feldflur
   schutz umgesetzt.                                             ■■ Unmittelbar geltend: Bei der landwirtschaftlichen Nutzung

                                                                 dürfen Feldgehölze, Hecken, Säume, Baumreihen, Lese-
   Regelung Reduzierung der Lichtverschmutzung                   steinhaufen, Natursteinmauern, natürliche Totholzansamm-
   ■ ■ Unmittelbar geltend: Um nachtaktiven Tieren wie Fle-      lungen, Feldraine und Kleingewässer nicht beeinträchtigt
   dermäusen, Insekten und Zugvögeln mehr ungestörte             werden. Die Beseitigung oder Beeinträchtigung von Alleen
   Lebensräume zu bieten, werden störende Lichtquellen           an Verkehrsflächen und Wirtschaftswegen wird verboten. 

224
Natur und Umwelt

Umweltministeriums.8 Einzelne Rechtsfragen können                bestimmungen im Rahmen der ordnungsgemäßen
damit nicht geklärt werden, hierzu sind weitergehen-             Nutzung sowie zu einer praxistauglichen und um-
de Ausführungsbestimmungen und insbesondere die                  setzbaren naturschutzfachlichen Abgrenzung im Rah-
entsprechenden Rechtsverordnungen bzw. Erlasse                   men der Biotopkartierungen. Im Zuge dieser Debatten
­erforderlich.                                                   stoppte das Bayerische Umweltministerium vorläufig
                                                                 die entsprechenden Kartierungen bis zur Klärung der
Komplex gesetzlich geschützte Biotope/                           neuen Rechtslage. Zusätzlich brachten die Fraktionen
Biotopkartierung                                                 von CSU und Freien Wählern im Rahmen des parla-
Besonders umstritten war die Aufnahme der Bio-                   mentarischen Prozesses Änderungsanträge zur Schaf-
toptypen »Streuobstwiese« und »Artenreiches Grün-                fung eines Schlichtungsverfahrens im Rahmen der
land« in den Katalog der gesetzlich nach Bundesna-               Biotopkartierung ein.9 Beides wurde vom Trägerkreis
turschutzgesetz geschützten Biotope mit dem damit                des Volksbegehrens heftig und im Rahmen eines eige-
verbundenen hohen Schutzstatus. Neben der Gene-                  nen Rechtsgutachtens kritisiert. Der gesamte Themen-
raldebatte dazu entwickelten sich bereits während des            komplex war zum Redaktionsschluss dieses Artikels
Volksbegehrens und später am Runden Tisch um-                    noch in der Debatte, die entscheidenden Rechtsver-
fangreiche Diskussionen zu möglichen Ausführungs-                ordnungen lagen noch nicht vor.

  Regelung Verbot von Pflanzenschutzmitteln                      zu mindestens 20 Prozent und bis 2030 zu mindestens
  ■■ Unmittelbar geltend: Auf den vom Freistaat Bayern           30 Prozent nach den Grundsätzen des ökologischen Land-
  bewirtschafteten Flächen wird der Einsatz von Totalherbi-      baus bewirtschaftet werden. Für staatliche Flächen gilt
  ziden verboten. Auch in Naturschutzgebieten, in geschütz-      dies bereits ab 2020.
  ten Landschaftsbestandteilen und gesetzlich geschützten
  Biotopen ist die Anwendung von Pestiziden verboten,            Regelung Naturschutzförderprogramme
  sofern die Flächen extensiv genutzt werden. Dasselbe gilt      ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung:

  ab dem Jahr 2022 für den flächenhaften Einsatz von Pflan-      Das Bayerische Vertragsnaturschutzprogramm (VNP), das
  zenschutzmitteln bei der landwirtschaftlichen Nutzung          Vertragsnaturschutzprogramm Wald (VNP Wald) und das
  von Dauergrünland; eine Einzelpflanzenbekämpfung wird          Landschaftspflegeprogramm werden gesetzlich verankert,
  aber auch nach 2022 nach wie vor möglich sein.                 inhaltlich ausgeweitet und verstärkt. So sollen zukünftig
                                                                 sechs Prozent der landwirtschaftlichen Fläche über das
  Regelung Biotopverbund Offenland                               Vertragsnaturschutzprogramm so bewirtschaftet werden,
  ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung:    dass Bienen und viele andere Tier- und Pflanzenarten
  Bis 2030 soll der Biotopverbund auf mindestens 15 Prozent      davon profitieren können. Bei den Weiden sollen die Prä-
  der bayerischen Offenlandfläche erweitert werden (zehn         mien, z. B. für Schäfer, Almbauern und Mutterkuhhalter,
  Prozent bis 2023 und 13 Prozent bis 2027).                     erhöht werden. Auch sollen sechs Prozent der Fläche des
                                                                 Privat- und Körperschaftswaldes besonders ökologisch
  Regelung Naturwaldnetzwerk                                     bewirtschaftet und die Waldbesitzer entsprechend hono-
  ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung:    riert werden.
  Bis 2023 wird auf zehn Prozent des Staatswaldes ein
  grünes Netzwerk an Naturwaldflächen, die dauerhaft             Regelung Mehr Naturschutz in Erziehung, Aus- und
  nicht forstwirtschaftlich genutzt werden, eingerichtet. Ziel   Fortbildung
  ist ein Verbundsystem von Naturwäldern mit besonderer          ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung:

  Bedeutung für die Biodiversität.                               Die Ziele und Aufgaben des Naturschutzes und der Land-
                                                                 schaftspflege, insbesondere auch mit ihrem Bezug zur
  Regelung Intensivierter Moorschutz                             Landwirtschaft, werden künftig bei der pädagogischen
  ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung:    Aus- und Fortbildung, in den Lehr- und Bildungsplänen
  Über einen Masterplan Moore werden Hochmoore im                und bei den Lehr- und Lernmitteln stärker berücksichtigt.
  Staatswald wiederhergestellt und die Renaturierungs­
  aktivitäten der Naturschutzverwaltung zur Wiederver­           Regelung Biodiversitätsberater, Wildlebensraum­
  nässung von Mooren verdreifacht.                               berater
                                                                 ■■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung:

  Regelung Ausweitung des Ökologischen Landbaus                  Es werden Biodiversitätsberater an den unteren Natur-
  ■ ■ Bayernweites Ziel bzw. Vorgabe für die Staatsregierung:    schutzbehörden und Wildlebensraumberater an den Ämtern
  Die landwirtschaftlichen Flächen in Bayern sollen bis 2025     für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eingerichtet.

                                                                                                                               225
Der kritische Agrarbericht 2020

                                                                   Jahr davor um 24 Prozent und von 2014 auf 2015 um
   Wanderausstellung                                               7,4 Prozent. Damit im Jahr 2030 ein Marktanteil von
                                                                   30 Prozent für Ökolebensmittel erreicht bzw. auf 30
   Zum Thema des Volksbegehrens Artenvielfalt wurde                Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche Öko-
   eine Ausstellung erarbeitet, bestehend aus acht Modu-           landbau betrieben wird, müssen die bayerischen Ver-
   len (Rollup-System), einem Flyerspender und weiteren            braucherinnen und Verbraucher auch weiterhin Jahr
   Materialien, die sich z. B. für Schulaulen, Eingangshal-        für Jahr zehn bis 15 Prozent mehr Ökoprodukte in die
   len etc. eignet – Auf Wunsch kombinierbar mit einem             Einkaufskörbe legen. Dies erfordert von Seiten der Po-
   interessanten Vortrag zum Thema.                                litik, aber auch der Landwirtschaft und des Handels
   Nähere Infos hierzu: www.umweltstiftung.com .                   ein weiterhin engagiertes Vorgehen.

                                                                   Zehn Prozent nutzungsfreie Staatswälder
30 Prozent Ökolandbau bis 2030                                     Über eine Änderung des Bayerischen Waldgesetzes
Bislang werden in Bayern rund zehn Prozent der land-               wird die Bayerische Staatsregierung verpflichtet, ein
wirtschaftlichen Flächen nach Richtlinien des Ökolo-               Netzwerk aus nutzungsfreien Naturwäldern auf zehn
gischen Landbaus bewirtschaftet. Bayern nimmt mit                  Prozent der Staatswaldfläche einzurichten. Hier gilt
etwa 13.000 Ökobetrieben und einer ökologisch be-                  dann das Motto: »Natur Natur sein lassen«. Dies ist
wirtschafteten Fläche von knapp 343.000 Hektar bun-                eine Jahrhundertchance für Naturschutz und Forst-
desweit den Spitzenplatz ein. Somit wirtschaften laut              wirtschaft in Bayern. Die letzten Jahrzehnte wurde die
Statistik 30 Prozent aller deutschen Ökobetriebe in                Debatte über Ziele, Instrumente und Gebietskulissen
Bayern.10 Das neue Gesetz sieht vor, dass die landwirt-            im Waldnaturschutz sehr oft erbittert und ideologisch
schaftlichen Flächen in Bayern bis 2025 zu mindestens              geführt und die Ausweisung nutzungsfreier Wälder in
20 Prozent und bis 2030 zu mindestens 30 Prozent                   Bayern verhindert. Die neuen gesetzlichen Regelun-
nach den Grundsätzen des Ökologischen Landbaus                     gen kommen nicht aus dem luftleeren Raum: Sie sind
bewirtschaftet werden. (Für staatliche Flächen gilt                Ergebnis des jahrzehntelangen Kampfes engagierter
dies bereits ab 2020.) Eine aktuelle Machbarkeitsstu-              Naturschützer und Förster, die sich oft hinter den Ku-
die 11 weist nach, dass diese Ziele zwar ambitioniert,             lissen für echte Waldschutzgebiete eingesetzt haben.
aber durchaus realistisch gesetzt sind, und erläutert,
mit welchem Bündel an Maßnahmen sie umgesetzt                      Initiativen in anderen Bundesländern
werden können. Machbar erscheinen sie auch deshalb,
weil der Sektor sich gerade in Bayern besonders dyna-              Im Anschluss an das bayerische Volksbegehren ent-
misch entwickelt. So stieg die ökologisch bewirtschaf-             standen mehrere Initiativen mit gleicher Zielrichtung
tete Fläche von 2016 auf 2017 um zehn Prozent an, im               in deutschen Bundesländern und auf EU-Ebene. So

   Folgerungen      & Forderungen
   ■■   Das bayerische Volksbegehren hat gezeigt, dass es brei-         geringe Bevölkerungsanteile und führen oft nicht zu
        ten zivilgesellschaftlichen Bündnissen gelingen kann,           der gewünschten Mobilisierung.
        gegen Politikversagen vorzugehen und konstruktiv           ■■   Die Zielgenauigkeit der umwelt- und agrarpolitischen
        entsprechende gesetzliche Regelungen zum Schutz der             Forderungen muss in Zukunft verbessert werden: Im
        Umwelt und Natur zu erwirken.                                   hochkomplexen System aus EU-, Bundes- und landes-
   ■■   Im Idealfall sollten die Struktur des Bündnisses und die        rechtlicher Regelungskompetenz müssen in Zukunft
        Trägerkreiskonstruktion vor Einreichung eines Volks-            alle Forderungen viel stärker differenziert und auf die
        begehrens final abgeklärt sein und alle Hauptakteure            politischen Handlungsebenen ausgerichtet werden.
        gleichberechtigt repräsentieren. Rechtliche Vertreter           Dazu ist hohe juristische Kompetenz erforderlich,
        bleiben immer nur die bei der Einreichung benannten             besonders bei Themen, die der konkurrierenden
        Personen/Organisationen.                                        Gesetzgebung unterliegen.
   ■■   Mögliche Zielkonflikte innerhalb der Bündnispartner,       ■■   Das Volksbegehren hat über die Vielzahl und Vielfalt
        etwa zwischen Naturschutz und bäuerlicher Landwirt-             an Bündnispartnern die Zivilgesellschaft insgesamt
        schaft, müssen frühzeitig erkannt und geklärt werden.           gestärkt und ermutigt, sich auch in anderen Politikfel-
   ■■   Bei entsprechenden Kampagnen ist die richtige Balance           dern stärker als bisher zu Wort zu melden und gestal-
        zwischen emotionaler und fachlicher Ansprache zu fin-           tend einzugreifen.
        den. Rein faktenbasierte Informationen erreichen nur

226
Natur und Umwelt

wurde in Brandenburg im April 2019 die Volksini-                 3 Runder Tische Arten- und Naturschutz. Bericht des Moderators
tiative »Artenvielfalt retten« gestartet. Bereits nach             Alois Glück vom 26. April 2019, S. 2 (www.bayern.de/wp-content/
                                                                   uploads/2019/04/rundertisch_bericht_glueck_190426_final.pdf).
vier Monaten war mit über 50.000 Unterschriften die
                                                                 4 Ebd.
erforderliche Mindestzahl an Unterschriften deutlich             5 Zulassungsantrag zum Volksbegehren Artenvielfalt (»Rettet die
überschritten. Die Frist endet nach einem Jahr im                  Bienen!«) incl. Gesetzesentwurf des Volksbegehrensgesetzes:
April 2020.12 Kernforderungen der Initiative in Bran-              www.volksbegehren-artenvielfalt.de. –Beschlussfassung: Baye-
denburg sind ein Verbot von Pestiziden und minera-                 risches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 14/2019.
                                                                 6 Begründung zum »Zweiten Gesetz zugunsten der Artenvielfalt
lischem Stickstoffdünger in Naturschutzgebieten und                und Naturschönheit in Bayern«, Beschlussfassung: Bayerisches
FFH-Gebieten, eine Änderung des Grundstücksver-                    Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 14/2019.
wertungsgesetzes, durch die sichergestellt wird, dass            7 Ausnahme- und Befreiungsbestimmungen werden hier nicht
auf den landeseigegen Flächen (rund 30.000 Hek­                    vollständig behandelt. Die Gesetze bzw. Änderungen traten
                                                                   am 1. August 2019 in Kraft, einzelne Regelungen später.
tar) vorrangig ökologische Landwirtschaft betrieben
                                                                 8 Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit wurden einzelne For-
wird, sowie die Festlegung, dass bis 2030 landesweit               mulierungen teils wörtlich aus der entsprechenden Bekannt-
25 Prozent der Fläche ökologisch bewirtschaftet wird.              machung des Bayerischen Umweltministeriums übernommen
Schließlich soll unter anderem der Gewässerrandstrei-              (www.stmuv.bayern.de/themen/naturschutz/biodiversitaet/
fen, auf dem der Einsatz von Pestiziden und minera-                volksbegehren_artenschutz/index.htm).
                                                                 9 Vergleiche dazu z. B. folgende Presseinfo des Trägerkreises vom
lischem Stickstoffdünger sowie die Ausbringung von                 6. Juni 2019: »Keine Verwässerung der Ergebnisse des Runden
Gülle verboten ist, in Zukunft zehn Meter betragen.                Tisches. Parlamentarische Beratungen zum Gesetzespaket star-
   Auch in Baden-Württemberg konnten alle Hürden                   ten heute« (https://volksbegehren-artenvielfalt.de/2019/06/06/
überwunden und das „Volksbegehren Artenschutz“                     keine-verwaesserung-der-ergebnisse-des-runden-tisches-par-
                                                                   lamentarische-beratungen-zum-gesetzespaket-starten-heute-
gestartet werden.13 Die Forderungen gehen zum Teil
                                                                   traegerkreis-hat-ueber-20-antraege-naturschutzfachlich-
weit über die des bayerischen Volksbegehrens hinaus,               geprueft/).
diverse der dortigen Regelungen wurden in Baden-                10 Die Zahlen sind entnommen aus der Studie von ECOZEPT und
Württemberg bereits früher von der Landesregierung                 FiBL Projekte GmbH: 30 % Ökolandbau in Bayern im Jahr 2030.
zumindest teilweise umgesetzt. So sollen weitrei-                  Analysen und Empfehlungen aus Absatz- und Marktsicht. Eine
                                                                   Machbarkeitsstudie, erarbeitet für Bündnis 90/Die Grünen Bay-
chende Anwendungsverbote für Pestizide in Schutz-                  ern [2019], S. 29.
gebieten gelten und bis zum Jahr 2035 soll die Hälfte           11 Ebd.
der Fläche ökologisch bewirtschaftet werden. Mitte              12 Nähere Infos unter www.artenvielfalt-brandenburg.de.
Oktober 2019 wurde die Mobilisierung zugunsten ei-              13 Nähere Infos unter www.volksbegehren-artenschutz.de.
                                                                14 »Bienen-Volksbegehren: Trägerkreis begrüßt Dialogangebot«.
ner Dialogphase unterbrochen. Die Landesregierung
                                                                   Pressemitteilung des BUND vom 15. Oktober 2019 (www.bund-
hatte ein umfassendes Eckpunktepapier zur Umset-                   bawue.de/service/pressemitteilungen/detail/news/bienen-
zung von Zielen und Forderungen vorgelegt. »Wir                    volksbegehren-traegerkreis-begruess-dialogangebot/).
gehen den Weg, den die Landesregierung aufgezeigt
hat, mit, wenn die Eckpunkte der Landesregierung bis
Mitte Dezember in konkrete Maßnahmen gegossen
sind und Bauernverbände, Imkerverbände und Regie-
rungsfraktionen sich ebenfalls hinter diese Eckpunkte
stellen«, sagt Volksbegehrens-Sprecherin und BUND-
Landeschefin Brigitte Dahlbender dazu. »Wir wollen,
                                                                                   Claus Obermeier
dass den Worten nun Taten folgen.«14                                               Diplom-Geograf und Vorstand der Gregor
                                                                                   Louisoder Umweltstiftung sowie Vertreter der
                                                                                   Stiftung im Trägerkreis Volksbegehren Arten-
Anmerkungen                                                                        vielfalt.
 1 Siehe hierzu z. B. die Beiträge im Europa-Schwerpunkt des
   ­K ritischen Agrarberichts 2019.                                                Gregor Louisoder Umweltstiftung
 2 Eine Übersicht der Bündnisorganisationen findet sich unter                      Brienner Straße 46, 80333 München
    www.volksbegehren-artenvielfalt.de.                                            claus.obermeier@umweltstiftung.com

                                                                                                                              227
Der kritische Agrarbericht 2020

   Stephan Kreppold
   Landwirtschaft früher einbinden!
   Ein Kommentar zum Volksbegehren aus bäuerlicher Sicht

   Die bayerische ÖDP formulierte, unter dem Druck der          den Auto- u. Flugverkehr usw. Leider verstellt dieser Blick
   bevorstehenden Landtagswahl, mit relativ kurzer Vor-         nach außen die Sicht nach innen: auf die Mitverursachung
   laufszeit den Gesetzestext des bayerischen Volksbegeh-       des Artensterbens durch die Landwirtschaft.
   rens und legte den fertigen Text den potenziellen Unter-        Ich habe bei Diskussionen oft auf eine Ausarbeitung der
   stützern, also auch der bayerischen Arbeitsgemeinschaft      Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft verwiesen,
   bäuerliche Landwirtschaft (AbL), vor. Da eine Diskussion     die bereits aus dem Jahr 1990 stammt.1 Diese Untersu-
   in den Regionalgruppen der AbL aus zeitlichen Gründen        chung befasste sich vergleichend mit der Frage nach der
   nicht stattfinden konnte, erfolgte die Beteiligung des       Auswirkung der landwirtschaftlichen Systeme in Bezug
   ­L andesverbands auf Beschluss des Vereinsvorstands.         auf die Artenvielfalt. Die Studie resümiert: »Wer die Arten-
       Unter ähnlichem Zeitdruck standen die Naturschutz­       vielfalt will, muss die Agrarchemie drastisch reduzieren.«2
    verbände. In den Gliederungen des Bund Naturschutz          Diese Aussage wird mittlerweile in mehreren wissen-
    Bayern (BN) z. B. bestand zwar durchgehend eine große       schaftlichen Untersuchungen weltweit bestätigt.3 Des-
    Unterstützungsbereitschaft. Der Landesverband des BN        wegen ist es höchste Zeit, dass auch die Landwirtschaft
    aber betrachtete einige Passagen im Gesetzestext aus        diesen Fakten endlich ins Auge schaut, statt nach anderen
    naturschutzfachlicher Sicht als korrekturbedürftig. Ände-   Schuldigen zu suchen.
    rungen waren aber auch hier nicht mehr möglich. Hier
    zeigte sich bereits die ganze Fragwürdigkeit der Vorge-     Agrarsystem auf dem Prüfstand
    hensweise nach der Methode »Vogel friss oder stirb«: eine   Wenn ich den Betrachtungsbogen etwas weiter spanne,
    an sich sinnvolle und notwendige Initiative den poten-      zeigt sich mir folgendes Bild: Die breite gesellschaftliche
    ziellen Unterstützern unter hohem Zeitdruck gleichsam       und politische Diskussion anlässlich des Volksbegeh-
    »unterzujubeln«, ohne dass diese die Möglichkeit hatten,    rens ist als Öffnung eines Ventiles zu begreifen. Denn
    an der Formulierung des Gesetzesentwurfs mitzuwirken.       die notwendige Debatte zur Naturverträglichkeit des
                                                                chemiebasierten Landnutzungssystems wurde vom Bau-
   Bauernverband trägt Streit in die Dörfer                     ernverband und der Agrarlobby über die letzten 20 Jahre
   Es ist davon auszugehen, dass bei einer Erarbeitung          zurückgehalten. Für viele Bauern kommen die geballten
   des Textes zusammen mit der AbL und dem BN einige            Erwartungen der Gesellschaft an die Landwirtschaft
   unschlüssige bzw. fachlich nicht haltbare Passagen korri-    jetzt einem Tsunami gleich auf sie zu. Die Bayerische
   giert worden wären. Im Verlaufe der öffentlichen Debatte     Landwirtschaftsministerin hat während der Eintragungs-
   wurden von den Gegnern genau diese Bestandteile her-         frist den Schulterschluss mit dem BBV gesucht und von
   auspickt, um den Initiatoren und Unterstützern Ahnungs-      »Bauernbashing« geredet. Aber es ist keineswegs so,
   losigkeit vorzuwerfen. Mit einem finanziellen Aufwand in     dass die Gesellschaft Bäuerinnen und Bauern verachtet.
   Millionenhöhe initiierte der Bayerische Bauernverband        In vielen Umfragen rangieren die Bauernfamilien in der
   (BBV) eine landesweite, unsägliche Kampagne gegen die        Wertschätzung durch die Gesellschaft gleich nach Ärzten
   Maßnahmen des Gesetzestextes. Dabei wurden auf der           und Krankenschwestern. Wenn allerdings weitergehende
   Basis von Halbwahrheiten und Verdrehungen bei den Bau-       Fragen zur Naturverträglichkeit des Wirtschaftens und zur
   erfamilien Unsicherheiten erzeugt und Ängste geschürt.       Nutztierhaltung gestellt werden, rutscht diese Zustim-
   Das Für und Wider führte in vielen Gemeinden zu hitzigen     mung in den Keller. Es geht also nicht um ein Bauern­
   Streitereien. Die Spaltungslinie verlief teilweise auch      bashing, sondern um ein Systembashing. Deswegen muss
   durch die Ökobauernbewegung. Ein AbL-er wurde von            das Agrarsystem auf den Prüfstand und eine Agrarwende
   den Medien als Kronzeuge für das »Bauernsterben durch        eingeleitet werden.
   das Volksbegehren« aufgebaut (wobei daran zu erinnern           Dass diese, längst überfällige, Auseinandersetzung über
   ist, dass bereits vor dem Volksbegehren jedes Jahr ein bis   das intensive Landnutzungs- und Tierhaltungssystem jetzt
   vier Prozent der Bauernhöfe aufgeben mussten).               in einem breiten gesellschaftlichen Rahmen geführt wird,
      Aus meiner Sicht ist die Kritik der Bauernschaft an den   stellt den eigentlichen Erfolg des Volksbegehrens dar.
   Maßnahmen des Volksbegehrens zunächst nachvollzieh-
   bar, greifen doch 80 Prozent derselben in die Autonomie      Lehren aus dem Volksbegehren
   des Bewirtschafters ein. Die Bauern verweisen im Gegen-      Was müssen wir Bauern und Bäuerinnen aus diesen Erfah-
   zug auf sterile Steingärten, Mähroboter, den zunehmen-       rungen lernen, vor allem im Blick auf weitere ausste- 

228
Natur und Umwelt

hende Volksbegehren in Baden-Württemberg und Bran-           Erfahrung ein weiteres Moment wichtig. Dies ist die Prü-
denburg4 und womöglich weiteren Bundesländern?               fung der Forderungen auf die Konformität mit bestehen-
   Zum einen: Allen intensiven, konventionellen Bau-         den Gesetzen (z. B. KULAP-Förderungen). Diese Unsicher-
ernfamilien muss klar werden, dass die nichtbäuerliche       heiten, ob z. B. die bisherige Förderung von freiwilligen
Gesellschaft ein »Weiter so« zunehmend ablehnt und dass      Gewässerrandstreifen bei einer Gesetzverpflichtung
auch die etablierten Parteien eine schrittweise Abkehr       wegfällt oder nicht, müssen im Vorfeld zweifelsfrei geklärt
vollziehen. Für viele meiner CSU-treuen Kollegen bricht      sein. Mit diesem Zweifel an der Förderungsunschädlich-
jetzt eine Welt zusammen, wenn Ministerpräsident Söder       keit haben das Landwirtschaftsministerium und der BBV
zum einen den Text des Volksbegehrens annimmt und im         die Bauern aufgescheucht.
Ergänzungsgesetz noch einiges draufsetzt (z. B. 50 Prozent      Gleichzeitig muss in diesen Vorbereitungsrunden die
Chemiereduzierung bis 2026).                                 Forderung aufrechterhalten werden, dass die wirtschaft-
   Zum anderen ist es notwendig, dafür zu sorgen, dass       lichen Nachteile, die sich aus Verpflichtungsmaßnahmen
sich die Landwirtschaft bereits weit im Vorfeld eines        ergeben, ausgeglichen werden. Eine weitere einseitige
Volksbegehrens in die Debatte mit einbringt und einbrin-     Belastung der bäuerlichen Einkommen kann beim der-
gen kann. Auch deshalb, damit praxisuntaugliche Forde-       zeitigen konventionellen Agrarpreisniveau nicht hin-
rungen nicht in den Text einfließen können. Ich verweise     genommen werden. Erbrachte Leistungen zum Schutz
da auf die Passage im Text des bayerischen Volksbegeh-       der Gemeingüter Wasser, Boden, intakte biodiverse
rens Artikel 1, Absatz 7, dass »Walzen auf Wiesen nur vor    Landschaft müssen auch gesamtgesellschaftlich getragen
dem 15. März« erlaubt ist. Diese grandiose Dümmlichkeit      werden.
zeugt davon, dass es bei der Ausarbeitung des Textes an
landwirtschaftlichem Sachverstand mangelte. Und genau
über diese (beinahe nebensächliche) Forderung haben
sich die Gegner bis zur Weißglut echauffiert – und damit     Anmerkungen
alle anderen, viel relevanteren Maßnahmen gleich mit­         1 G. Pommer: Wer die Artenvielfalt will, muss die Agrarchemie
                                                                drastisch reduzieren. In: Natur und Landschaft Reihe 65
abgelehnt.
                                                                (1990), Heft 78, S. 4 ff.
   Es muss also rechtzeitig darauf hingearbeitet wer-         2 Ebd.
den, dass bäuerlicher Sachverstand von Anfang an und          3 Jüngst z. B. durch den Globalen Bericht des Weltbiodiver­
durchgehend in entsprechende Gesetzesvorschläge                 sitätsrat (IPBES), der im Frühjahr 2019 erschienen ist. – Eine
eingearbeitet wird. Aber auch dann wird die textliche           gute Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse findet
                                                                sich bei C. Schwägerl: Dramatischer UN-Bericht – Eine Mil­
Kompromissfindung kein »Kinderspiel« sein. Dies ist auch
                                                                lion Arten vom Aussterben bedroht. In: Spiegel Online vom
die Erkenntnis aus dem »Runden Tisch«, den Söder relativ        6. Mai 2019 (www.spiegel.de/wissenschaft/natur/arten­
kurzfristig einberufen hat. Die BBV-Funktionäre gingen da       sterben-uno-bericht-beschreibt-dramatischen-verlust-der-
zunächst wie bisher mit großem Selbstbewusstsein in die         artenvielfalt-a-1265482.html).
                                                              4 Zentrale Forderungen beider Länderinitiativen finden sich
Gespräche und vertraten über weite Strecken die altbe-
                                                                im nebenstehenden Beitrag von Claus Obermeier sowie im
kannten Rechtfertigungsparolen. Als dann auf Einladung          Rückblick des Agrarpolitik-Kapitels dieses Kritischen Agrar-
des Moderators Alois Glück im Rahmen einer Expertenan-          berichts (S. 222–227).
hörung der Direktor der Zoologischen Staatssammlung in
München, Professor Dr. Gerhard Haszprunar, eindrücklich
belegen konnte, dass die Hauptverantwortung für das
massive Artensterben bei der derzeitigen Form der Inten-
sivlandwirtschaft liegt, sahen sich BBV-Präsident Heidl
& Co. zum Einlenken genötigt. Diese Zustimmung zum
Gesetzestext (mit der »Faust in der Hosentasche«) wird
jetzt der BBV-Spitze, gerade von »Hardlinern« in eigenen
Reihen, zum Vorwurf gemacht.
   Eines jedoch zeigt sich bei alldem überdeutlich: Die
Dominanz des BBV ist gewaltig geschrumpft. Hier wurde                            Stephan Kreppold
der Bogen überspannt und unnötig Streit und Feindschaft                          Biobauer und Mitglied im Sprecherrat
in die Dörfer getragen. Die BBV-Spitze trägt diesbezüglich                       der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Land­
ein hohes Maß an Verpflichtung, die von ihr geschürten                           wirtschaft (AbL) Bayerisch Schwaben.
Gegensätze wieder zu versöhnen.
                                                                                 Biolandhof Kreppold
   Im Spannungsfeld der unterschiedlichen Interessen bei                         Wilpersberg 1, 86551 Aichach
der Vorbereitung eines Volksbegehrens ist nach unserer                           biolandhof-kreppold@web.de

                                                                                                                             229
Sie können auch lesen