RKB - Rehabellikon-Kompetenzen-Bilanz - Entwicklung und Einführung eines Arbeitsmittels zur Stärkung der personalen Ressourcen im Rahmen der ...
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Masterarbeit im Rahmen des Master of Advanced Studies ZFH in Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung RKB – Rehabellikon-Kompetenzen-Bilanz Entwicklung und Einführung eines Arbeitsmittels zur Stärkung der personalen Ressourcen im Rahmen der Beruflichen Eingliederung Eingereicht dem IAP Institut für Angewandte Psychologie, Departement Angewandte Psychologie der ZHAW von Marlene Gehbauer-Walser am 23. April 2018
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Erstbetreuung: Stefan Spiegelberg, dipl. Berufs-, Studien- und Laufbahnberater, dipl. Psychologe FH Zweitbetreuung: Sandra Hedinger, dipl. Berufs- und Laufbahnberaterin, dipl. Psychologin FH Diese Arbeit wurde im Rahmen der Ausbildung an der ZHAW, IAP Institut für Angewandte Psychologie, Zürich verfasst. Eine Publikation bedarf der vorgängigen schriftlichen Bewilli- gung des IAP.
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Abstract Das Angebot der Rehaklinik Bellikon umfasst in der Abteilung Berufliche Eingliederung be- rufliche Abklärungsmassnahmen für Personen, welche sich infolge Unfall oder Krankheit be- ruflich umorientieren müssen. Im Rahmen dieser Massnahmen fehlt ein Angebot, welches gezielt und systematisch die im Laufe des Lebens informell erworbenen Kompetenzen der Klientinnen und Klienten erhebt. Die Bilanzierung von Kompetenzen kann insbesondere für Personen im mittleren Erwachsenenalter bedeutsam sein, da diese aus ihrer bisherigen be- ruflichen Tätigkeit langjährige Erfahrung und vertiefte Kenntnisse mitbringen. Es erscheint deshalb sinnvoll, bei der Umorientierung an Bestehendes anzuknüpfen. Die Abteilungsleitung und die Berufsberatung der Beruflichen Eingliederung haben deshalb die Entwicklung, Erpro- bung und Auswertung eines auf ihre Bedürfnisse angepassten Arbeitsmittels zur Bilanzierung von Kompetenzen in Auftrag gegeben. Die vorliegende Arbeit zeigt die Hintergründe zur Entwicklung des Arbeitsmittels RKB – Reha- bellikon-Kompetenzen-Bilanz auf und stellt das Arbeitsmittel und dessen erste Praxiserpro- bung vor. Mit zwei Klientinnen und vier Klienten im Alter zwischen 36 und 54 Jahren wurden im Einzelsetting anhand der RKB – Rehabellikon-Kompetenzen-Bilanz die persönlichen Kompetenzen bilanziert und schriftlich festgehalten. Mittels leitfadenbasierter Interviews soll- ten erste Erkenntnisse über den Nutzen, die Wirkung und die Akzeptanz des RKB-Arbeits- mittels zur Kompetenzenbilanzierung gewonnen werden. In einem Abstand von rund zwei Wochen wurden die Betroffenen zur Intervention befragt. Die Interviews wurden mittels qua- litativer Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das erarbeitete Verfahren die Qualitätskriterien an Kompetenzmessverfahren hinsichtlich Akzeptanz, Relevanz und Praktikabilität im Wesentli- chen erfüllt und die Intervention von den Beteiligten im Grundsatz als partizipativ, ressourcen- fördernd und bestärkend erlebt wurde. Das Arbeitsmittel scheint die spezifischen Bedürfnisse der Kompetenzenbilanzierung im Rehabilitationskontext abzudecken. Es empfiehlt sich, die Erstintervention der Kompetenzenbilanzierung inskünftig in den Begleit- und Beratungspro- zess der Beruflichen Abklärung einzubetten, damit die vorhandenen Kompetenzen im Neuori- entierungsprozess nachhaltig aktiviert werden können. Schlagworte: Berufliche Rehabilitation, Berufliche Eingliederung, Kompetenzen, Kompe- tenzenbilanz II
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Dank Ein grosses Dankeschön geht an das Team der Beruflichen Eingliederung der Rehabellikon unter der Leitung von Sandra Hedinger. Ihr habt in mir die Begeisterung für die Arbeit mit Klientinnen und Klienten, die aufgrund einer Einschränkung infolge Unfall oder Krankheit am Rand des ersten Arbeitsmarktes stehen und die sich deshalb beruflich neu orientieren müs- sen, geweckt und die Motivation für dieses Arbeitsgebiet mit mir geteilt. Die vernetzte, inter- disziplinäre Arbeit wird auf höchstem Niveau und verbunden mit viel Menschlichkeit und Teamgeist gelebt. Ein besonderer Dank geht an die Verantwortliche der internen Berufsbe- ratung, Susanne Lassau. Sie hat mir während eines halbjährigen Praktikums ermöglicht, dass ich selbständig – natürlich unter ihrer Supervision – Berufsberatungen im Rahmen der Beruf- lichen Abklärungsprogramme übernehmen durfte. Sie hat mit mir ihr Fachwissen geteilt und mich bei Bedarf unterstützt. Ausserdem bedanke ich mich bei den Klientinnen und Klienten, welche ich während meines Praktikums betreuen durfte, insbesondere bei denjenigen, die sich auf das Experiment der Kompetenzenbilanzierung eingelassen haben. Alle Klientinnen und Klienten liessen mich an einem Teil ihrer ganz persönlichen Welt teilhaben, was ich nicht als selbstverständlich erachte. Dieses Teilhaben-Lassen bildete jedoch die Grundlage für gute Arbeitsbeziehungen, der zentralen Voraussetzung für einen gelingenden Beratungspro- zess. Alle genannten Personen haben wesentlich zu meinem Entscheid beigetragen, inskünf- tig mit Menschen, welche am Rand des ersten Arbeitsmarktes stehen, zu arbeiten. Bedanken möchte ich mich auch beim Team der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung am Institut für Angewandte Psychologie IAP an der Zürcher Fachhochschule ZHAW. Ich bin dankbar dafür, das Rüstzeug für eine spannende und bereichernde Berufstätigkeit erhalten zu haben. Ein besonderer Dank geht an Stefan Spiegelberg, welcher mir bei der Erstellung dieser Arbeit als Betreuungsperson zur Seite stand, mir dabei wertvolle Feedbacks gegeben und meine Anliegen und Fragen immer fachkundig, wohlwollend und prompt beantwortet hat. Ein besonderer Dank geht an meinen Mann Stephan, der mich dazu motiviert und mich wäh- rend der vergangenen Jahre dabei unterstützt hat, zuerst meinen lang gehegten Traum des Psychologiestudiums zu verwirklichen und mich nun auch noch während des Masterstudien- gangs in Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung uneingeschränkt unterstützt hat. Dankbar bin ich unseren beiden jugendlichen Söhnen, welche meinen Alltag ausserhalb des Studiums ungemein bereichern und die mich nicht vergessen lassen, was wirklich zählt im Leben. III
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Hinweis In der vorliegenden Arbeit wird wenn möglich auf geschlechtsneutrale Formulierungen und Bezeichnungen geachtet. Wo es zugunsten einer besseren Lesbarkeit sinnvoll ist, werden maskuline Bezeichnungen gewählt. Dies widerspiegelt die Realität, da der Anteil an männli- chen Klienten in der Beruflichen Eingliederung mindestens 80% beträgt. Selbstverständlich sind Klientinnen in allen Aussagen ebenso angesprochen. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Bilanzierung von Kompetenzen. In der Literatur werden dafür die beiden Begriffe Kompetenzbilanz und Kompetenzenbilanz resp. Kompetenzen-Bi- lanz verwendet. Im theoretischen Teil verwendet die Autorin die Begriffe gemäss den jewei- ligen Quellen. Ansonsten wir der Begriff Kompetenzen in der Mehrzahl verwendet, da die Personen, welche sich an dieser Untersuchung beteiligen, ja nicht nur über eine Kompetenz verfügen, sondern reich an Kompetenzen in unterschiedlichen Bereichen und auf unter- schiedlichen Ebenen sind. IV
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Inhalt Abbildungen .................................................................................................................... VII Tabellen ............................................................................................................................ VII Abkürzungen .................................................................................................................. VIII 1 Einleitung und Fragestellung...................................................................................... 1 1.1 Ausgangslage ............................................................................................................. 1 1.2 Zielsetzung und Begründung der Themenwahl ........................................................... 2 1.3 Fragestellung .............................................................................................................. 4 1.4 Aufbau ........................................................................................................................ 4 2 Theoretische Grundlagen ............................................................................................ 6 2.1 Arbeits- und Erwerbs(un)fähigkeit ............................................................................... 6 2.1.1 Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit .......................................................................... 6 2.1.2 Das Haus der Arbeitsfähigkeit .............................................................................. 7 2.2 Modell zur beruflichen Umorientierung im Rehabilitationskontext ............................... 8 2.2.1 Berufliche Eingliederung als Teil des Rehabilitationsprozesses ........................... 9 2.2.2 Happenstance Learning Theory und Laufbahnadaptabilität ............................... 10 2.2.3 Das biopsychosoziale Modell ............................................................................. 12 2.2.4 Das Karriere-Ressourcenmodell ........................................................................ 13 2.2.5 Das Angebot der Beruflichen Eingliederung der Rehaklinik Bellikon .................. 14 2.2.6 Zusammenspiel und Wechselwirkungen der Modellkomponenten ..................... 17 2.3 Die Bilanzierung von Kompetenzen .......................................................................... 18 2.3.1 Kompetenz – mehr als Wissen und Qualifikation ............................................... 18 2.3.2 Nutzen und Ziele der Bilanzierung von Kompetenzen ........................................ 19 2.3.3 Formen der Kompetenzbilanzierung .................................................................. 19 2.3.4 Qualitätskriterien für Kompetenz-Messsysteme ................................................. 20 2.3.5 Kompetenzenbilanzierung als Prozess .............................................................. 23 2.4 Kompetenzenbilanzierung in der beruflichen Rehabilitation ...................................... 26 3 Methode...................................................................................................................... 27 3.1 Entwicklung des Instruments .................................................................................... 27 3.1.1 Ziele eines Instruments zur Kompetenzenbilanzierung an der RKB ................... 27 3.1.2 Definition der Anforderungen an das Arbeitsmittel ............................................. 27 3.1.3 Sichtung von Literatur und von bestehenden Instrumenten................................ 29 3.1.4 Kompetenzbereiche ........................................................................................... 30 3.1.5 Kompetenzen ..................................................................................................... 32 3.1.6 Schriftliches Festhalten der Kompetenzen ......................................................... 33 3.2 Einführung und Anwendung des Instruments............................................................ 33 3.2.1 Einführung Abteilungsleitung und Team BE ....................................................... 33 VI
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ 3.2.2 Pretest ............................................................................................................... 34 3.2.3 Auswahl und Beschreibung der Stichprobe ........................................................ 34 3.2.4 Ablauf der Intervention ....................................................................................... 36 3.3 Qualitative Auswertung der Intervention ................................................................... 36 3.3.1 Methodenwahl ................................................................................................... 36 3.3.2 Interviewleitfaden und Datenerhebung ............................................................... 37 3.3.3 Datenaufbereitung und Auswertung der Interviews ............................................ 38 4 Ergebnisse ................................................................................................................. 40 4.1 Auswirkungen der Intervention auf Gefühlslage und Motivation ................................ 40 4.2 Persönlicher Erkenntnisgewinn ................................................................................. 41 4.3 Akzeptanz des Arbeitsmittels und der Intervention.................................................... 41 4.4 Einbettung der Intervention in den Prozess der BA ................................................... 42 4.5 Relevanz des Arbeitsmittels resp. der Intervention ................................................... 44 5 Diskussion ................................................................................................................. 46 5.1 Anmerkungen zu Entwicklung und Durchführung der Intervention ............................ 46 5.2 Interpretation der Erkenntnisse aus Interviews und Beobachtungen ......................... 48 5.3 Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich der Qualitätskriterien für Kompetenzfeststellungsverfahren ............................................................................. 50 5.4 Kritische Betrachtung der Untersuchung ................................................................... 51 5.5 Fazit und Ausblick..................................................................................................... 52 Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 54 Anhang ............................................................................................................................. 59 VI
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Abbildungen Abbildung 1: Arbeitsmarktdaten Schweiz............................................................................. 3 Abbildung 2: Das Haus der Arbeitsfähigkeit ........................................................................ 7 Abbildung 3: Modell zur beruflichen Umorientierung im Rehabilitationskontext ................... 9 Abbildung 4: Wirkfaktoren im biopsychosozialen Modell...................................................... 13 Abbildung 5: Das Karriere-Ressourcenmodell nach Hirschi ................................................. 14 Abbildung 6: Elemente aus den Abklärungsprogrammen BA1 und BA2 .............................. 16 Abbildung 7: Der Kompetenzbilanzierungsprozess nach Lang-von Wins & Triebel (2012) .. 24 Abbildung 8: Kompetenzquellen .......................................................................................... 30 Abbildung 9: Stimmungsbarometer in Form einer Smiley-Skala .......................................... 36 Tabellen Tabelle 1: Qualitätskriterien von Kompetenzmessverfahren ................................................ 23 Tabelle 2: Kompetenzdimensionen des RKB-Arbeitsmittels ................................................ 31 Tabelle 3: Kategorien der Inhaltsanalyse ............................................................................. 38 VII
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Abkürzungen AD(H)S Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts)-Syndrom AR Arbeitsorientierte Rehabilitation AUF Arbeitsunfähigkeit BA Berufliche Abklärung BA1 Berufliche Grundabklärung BA2 Vertiefte Berufliche Abklärung BE Berufliche Eingliederung, Abteilung der SUVA-Rehaklinik Bellikon BSV Bundesamt für Sozialversicherungen ECDL European Computer Driving License effe Espace de femmes pour la formation et l’emploi, Biel/Bienne HLT Happenstance Learning Theory FBE Fachmann, Fachfrau, Fachleute Berufliche Eingliederung IV Invalidenversicherung IVG Invalidenversicherungsgesetz MV Militärversicherung NRW Nordrhein-Westfalen RAV Regionales Arbeitsvermittlungszentrum RKB Rehabellikon-Kompetenzen-Bilanz (klinikintern auch die Abkürzung für Rehaklinik Bellikon) SDBB Schweizerisches Dienstleistungszentrum für Berufsbildung und Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung SECO Staatssekretariat für Wirtschaft SIM Swiss Insurance Medicine, Interessengemeinschaft Versicherungsmedizin Schweiz SUVA Schweizerische Unfallversicherungsanstalt VHS Volkshochschule VIII
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ 1 Einleitung und Fragestellung «Erkennen, was man kann, um zu sehen, wohin man will.» Dr. Claas Triebel 1.1 Ausgangslage Die Rehaklinik in Bellikon, welche zur Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gehört, bietet in ihrer Abteilung Berufliche Eingliederung (BE) im Bereich der Arbeits- orientierten Rehabilitation Berufs- und Laufbahnberatung, berufliche Abklärungen, Berufsvor- bereitungen sowie Coaching am Arbeitsplatz an. Diese Massnahmen wenden sich an Perso- nen, welche infolge eines Unfalls oder einer Krankheit mit einer Eingliederungsproblematik konfrontiert sind. Ziel ist, existenzielle Sicherheit, Anerkennung und soziale Teilhabe der Be- troffenen aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Die zuweisenden Stellen sind die SUVA, die Invalidenversicherung (IV) und gelegentlich auch die Militärversicherung (MV). Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ergibt sich aus einem Bedürfnis des Ange- botes der beruflichen Abklärungen. Hier bietet die Rehaklinik zwei aufeinander aufbauende Programme an, welche unter anderem Berufs- und Laufbahnberatung umfassen: Die vierwö- chige Berufliche Grundabklärung (BA1) und die Vertiefte Berufliche Abklärung (BA2). Ziel ist es, mit den Betroffenen Eingliederungspläne zu erarbeiten und in Frage kommende neue Be- rufsfelder wenn möglich zu erproben, damit die Klienten in einer auf ihre körperliche Einschrän- kung angepassten Tätigkeit in den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren können. In den beiden Angeboten geht es einerseits um eine Standortbestimmung und andererseits um Neuorientie- rung. Zur Standortbestimmung gehören nebst persönlichen Gesprächen mit dem Klienten das Aufarbeiten schulischen Wissens und − je nach Erstberuf − die Klärung und Weiterentwicklung handwerklicher oder büro- und computertechnischer Fertigkeiten. Begleitend dazu erfolgt eine Berufsberatung, welche an die bisherige Berufserfahrung und die körperliche Einschränkung des Klienten anknüpft. Mittels Gesprächen und unterstützt durch diagnostische Verfahren wer- den die Interessen und Neigungen geklärt. Zudem wird das kognitive Potential abgeklärt. Was bisher im Angebot der beruflichen Abklärungsprogramme der Rehabellikon fehlt, ist ein Instrument zur Feststellung der Kompetenzen der Klientinnen und Klienten, welche im persönlichen, sozialen oder im ausserberuflichen Bereich (informell) erworben wurden. Diese Kompetenzen können insbesondere für Personen im mittleren Erwachsenenalter, also ab ca. dem 35. Altersjahr relevant sein, da in diesem Lebensabschnitt auf breite Erfahrung zurück- gegriffen werden kann. Bis anhin wurden die Kompetenzen in ressourcenorientierten Bera- tungsgesprächen durch die Fachleute Berufliche Eingliederung (FBE) oder die interne Berufs- beraterin angesprochen, jedoch nicht systematisch erhoben. Hier setzt die Idee für die vorlie- gende Masterarbeit an. Die Klientinnen und Klienten der Beruflichen Eingliederung der 1
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Rehaklinik in Bellikon bringen nebst Berufserfahrung breite Erfahrungen, Fähigkeiten und Fer- tigkeiten aus dem Leben mit, wie z.B. aus Familie, Hobbys, Sport, ehrenamtlichen Tätigkeiten oder je nachdem im Umgang mit den Einschränkungen, die aus einem Unfall oder einer Krank- heit resultieren. Das systematische Aufarbeiten und Festhalten dieser Kompetenzen kann auf dem Weg der Neuorientierung richtungsgebend und bestärkend sein. Diese Kompetenzen können zudem in Bewerbungsunterlagen einfliessen und bei der Vorbereitung auf Vorstel- lungsgespräche hilfreich sein. 1.2 Zielsetzung und Begründung der Themenwahl Menschen im mittleren Erwachsenenalter haben andere Bedürfnisse in Bezug auf die Arbeit, sie bringen aber auch andere Kompetenzen mit als junge Erwachsene. Reemts Flum und Nadig (2016) widmen in ihrem Buch zur Neuorientierung 50plus ein Kapitel dem Thema Kompetenzen und meinen: «Ihre Kompetenzen sind Ihr stärkstes Argument auf dem Arbeits- markt. Deshalb sollten Sie sich gut kennen» (S. 72). Sie betonen, dass ältere Berufstätige andere Fähigkeiten haben als junge, aber nicht weniger wertvolle (Reemts Flum & Nadig, 2016). Verfolgt man Informationen zum schweizerischen Arbeitsmarkt in den Medien, so hört und liest man immer wieder, dass Arbeitnehmende mit zunehmendem Alter Schwierigkeiten bei der Suche einer neuen Stelle haben. Die linke Hälfte von Abbildung 1, basierend auf Daten des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), belegt diese Aussage. Insbesondere ab dem 50. Lebensjahr beginnt die Kurve der Jobvermittlungsfähigkeit nach Alter in der Katego- rie schwer vermittelbar deutlich nach unten zu zeigen. Auch die eigentlich leicht vermittelba- ren Arbeitnehmenden sind in den letzten Arbeitsjahren vor der Pensionierung in etwa doppelt so schwer vermittelbar wie junge Arbeitnehmende. Die Zahlen zur Arbeitslosigkeit zeigen, dass die Arbeitslosenquote bei den über 50-Jährigen (vgl. Abb. 1, rechte Hälfte) in den letzten Jahren stetig gestiegen ist und dass diese Altersgruppe mehr als ein Viertel der Arbeitslosen ausmacht. In der Regel sind Personen im mittleren Erwachsenenalter gut in den Arbeitsmarkt integriert. Schwierig wird es für Menschen, welche sich neu orientieren müssen, sei dies z.B. infolge von Firmenschliessungen, Reorganisationen oder aufgrund gesundheitlicher Ein- schränkungen. Gemäss dem Arbeitsmarktbarometer (Von Rundstedt, 2018) bilden ältere Mit- arbeiter zwar eine Risikogruppe, jedoch keine Problemgruppe. Als problematisch anzusehen ist hingegen die Polarisierung zwischen marktfähigen und sogenannt schwierigen Profilen. Gemäss aktueller Daten «lassen Arbeitgeber kaum Mobilität zwischen Branchen und Funkti- onen zu. Sie suchen nach dem 100% passenden Profil. Betroffene können es demzufolge trotz nachweislichem Potenzial schwer haben, in eine neue Branche oder eine neue Funktion zu wechseln» (Von Rundstedt, 2018, S. 1). Dieses Phänomen wird als Zero Gap bezeichnet. 2
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Abbildung 1: Arbeitsmarktdaten Schweiz. Links: Jobvermittlungsfähigkeit nach Alter (Kofler, 2018; ba- sierend auf Daten der SECO-Arbeitsmarktstatistik). Rechts: Anteil der über 50-jährigen am Total der Arbeitslosen (Ringier, 2017; basierend auf Daten der SECO-Arbeitsmarktstatistik) Aus diesen Informationen und Zahlen kann gefolgert werden, dass es Menschen im mittleren Erwachsenenalter härter trifft, wenn sie sich beruflich neu orientieren müssen. Für die Klientinnen und Klienten der Rehaklinik Bellikon trifft dies in besonderem Mass zu, da sie aufgrund der gesundheitlichen Einschränkung eine angepasste Tätigkeit, häufig in einem neuen Bereich oder zumindest in einer neuen Funktion, finden müssen. Hier kommen wieder die Kompetenzen ins Spiel: Wenn eine Tätigkeit in einem neuen Gebiet gesucht werden muss, weil beispielsweise selbst beim Erlangen einer Berufsprüfung noch stark körperlich gearbeitet werden muss oder weil die kognitiven Fähigkeiten nicht für eine mehrheitlich pla- nerische, organisatorische oder administrative Tätigkeit reichen, dann muss nach Alternati- ven gesucht werden. Bei dieser Suche spielen die Kompetenzen eine Schlüsselrolle. Basierend auf obgenannten Fakten entstand das Bedürfnis, ein Kompetenzenbilan- zierungs-Instrument zur Verfügung zu haben, welches auf die Bedürfnisse der Rehaklinik Bellikon angepasst ist. Daraus ergeben sich die Ziele der vorliegenden Arbeit: 1. Entwicklung eines Arbeitsmittels zur Kompetenzenbilanzierung Das Arbeitsmittel soll auf die Bedürfnisse der Beruflichen Eingliederung ausgerichtet sein. Es soll einerseits die spezifischen Bedürfnisse der Klientinnen und Klienten der Rehabellikon berücksichtigen. Es soll aber auch die Bedürfnisse der Klinik abdecken; das Instrument soll effektiv und wirtschaftlich sein. 2. Erste Praxiseinsätze des Arbeitsmittels Das Arbeitsmittel soll ein praktikables, einfaches Vorgehen ermöglichen. Die Durch- führung/Anleitung der Klienten soll auch für Personen mit nichtpsychologischem Hin- tergrund möglich sein (z.B. durch FBEs). Zudem soll der Zeitaufwand angemessen sein. 3
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ 3. In einem qualitativen Forschungsdesign sollen mittels Interviews erste Rückmeldun- gen zum Nutzen und zur Wirkung des Arbeitsmittels gesammelt werden. Weiters sol- len Hinweise zur Akzeptanz der RKB-Kompetenzen-Bilanz bei den Klientinnen und Klienten gewonnen werden. Es sollen auch allfällige Verbesserungsmöglichkeiten herausgearbeitet werden. 1.3 Fragestellung In der vorliegenden Arbeit geht es darum – basierend auf den im vorhergehenden Ka- pitel formulierten Zielen – eine Antwort auf folgende Fragen zu erhalten: Wie könnte ein Arbeitsmittel zur Bilanzierung von Kompetenzen, welches auf die Be- dürfnisse der Rehabellikon angepasst ist, gestaltet sein? Als zentrale Bedürfnisse sol- len dabei definiert werden: Das Instrument soll auf Personen im mittleren Erwachse- nenalter ausgerichtet und sprachlich einfach sein. Die Methode sollte handlungsori- entiert und nicht IT-basiert sein. Das Instrument soll als Arbeitsmittel – nicht als Test – gestaltet und somit von allen Teammitgliedern einsetzbar sein. Die Intervention soll ressourcenorientiert sein, sie sollte als bestärkend empfunden werden. Sie sollte im Einzel- oder Gruppensetting durchführbar sein. Wie akzeptieren und beurteilen die Probandinnen und Probanden den Prototyp des Arbeitsmittels? Welche Schlüsse können für eine zukünftige, regelmässige Anwendung des Instru- ments zur Kompetenzenbilanzierung gezogen werden? 1.4 Aufbau Die theoretischen Grundlagen zur beruflichen Umorientierung im Rehabilitationskon- text und zur Bilanzierung von Kompetenzen befinden sich in Kapitel 2. Da eine gelingende berufliche Neuorientierung ein vielschichtiger, langwieriger und somit komplexer Prozess ist, hat die Autorin ein Modell zur beruflichen Umorientierung erarbeitet, welches eingangs des Kapitels vorgestellt wird. Es soll dem Leser das Verständnis zum Thema erleichtern und auf- zeigen, wo die RKB – Rehabellikon-Kompetenzen-Bilanz im Angebot der Beruflichen Einglie- derung zu verorten ist. In Kapitel 3 wird die Methode der Untersuchung erläutert. Diese umfasst drei zentrale Schritte: als erstes wurde ein Instrument entwickelt, welches auf die Bedürfnisse der Reha- bellikon angepasst ist. Der Entwicklungsprozess soll in Kapitel 3.1 nachvollziehbar dargestellt werden. In einem nächsten Schritt wird die Einführung und Anwendung des Instruments be- schrieben. In einem dritten und letzten Schritt wird dann die wissenschaftliche Auswertung der Intervention, welche in Form von leitfadenbasierten Interviews erfolgte, dokumentiert. 4
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Es folgt die Darstellung der Ergebnisse aus den Interviews in Kapitel 4. Die Auswer- tung erfolgte basierend auf dem Interviewleitfaden anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015). Die Ergebnisse werden in Kapitel 5 diskutiert und es erfolgt ein Aus- blick. Im Anhang sollen das Instrument und der Forschungsprozess so genau wie sinnvoll und möglich dokumentiert werden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Einverständniser- klärungen der Studienteilnehmenden und die Transkripte der Interviews den Betreuungsper- sonen vorliegen. 5
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ 2 Theoretische Grundlagen Dieses Kapitel dient der Darlegung der theoretischen Konzepte, der Theorien und Methoden. Es bildet die Basis für die anschliessende Konzeption, Erprobung und Auswertung des Arbeitsmittels RKB – Rehabellikon-Kompetenzen-Bilanz. Beschäftigt man sich mit der Thematik der Beruflichen Eingliederung aufgrund physischer oder psychischer Einschrän- kungen, so ist man rasch mit rechtlichen und sozialversicherungstechnischen Fragen kon- frontiert. Dabei stösst man gleich zu Beginn auf die Begriffe Arbeitsfähigkeit und Arbeitsun- fähigkeit. Ilmarinen (Ilmarinen, 2001; Ilmarinen & Tempel, 2002) hat mit seinem Haus der Arbeitsfähigkeit ein Konzept entwickelt, welches den Menschen ins Zentrum stellt und ihn ganzheitlich betrachtet. Tragendes Fundament bildet in diesem Konzept die Gesundheit. Das Haus der Arbeitsfähigkeit als übergeordnetes Konzept bildet den Rahmen für ein theoretisches Modell, welches einen nachvollziehbaren Bezug zur Praxis der Beruflichen Ein- gliederung der Rehaklinik Bellikon schafft. Das Modell basiert auf den Laufbahntheorien der Happenstance (Krumboltz, 2009) und der Laufbahnadaptabilität (Savickas, 2002), dem Kar- riere-Ressourcen-Modell (Hirschi, 2017) und dem biopsychosozialen Krankheitsmodell (En- gel, 1976). Es stellt die darauffolgende Darstellung der Theorien zu Kompetenzen und zu wissenschaftlich basierten Methoden der Kompetenzbilanzierung in einen Kontext. Es be- gründet zudem die Ziele und den Nutzen der Einführung eines Arbeitsmittels zur Bilanzierung von Kompetenzen. Grundsätzlich geht die vorliegende Arbeit davon aus, dass Erwerbsarbeit eine zent- rale Ressource für die Lebensbewältigung darstellt, da sie einer Person ein finanzielles Aus- kommen sichert, Zeit strukturiert, soziale Interaktion erlaubt und Gelegenheit für Persönlich- keitsentwicklung und Selbstverwirklichung bietet. Arbeit kann Quelle von Anerkennung und Wertschätzung sein und ermöglicht sinnhaftes Handeln sowie das Erfahren von Selbstwirk- samkeit (Bethge & Neuderth, 2016). 2.1 Arbeits- und Erwerbs(un)fähigkeit Während Arbeits- und Erwerbsfähigkeit, resp. -unfähigkeit medizinisch und juristisch geprägte Begriffe sind, liefert Ilmarinen (2001) mit dem Haus der Arbeitsfähigkeit ein Modell, welches den arbeitenden Menschen ganzheitlich betrachtet. 2.1.1 Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit Die Interessengemeinschaft Versicherungsmedizin Schweiz (Swiss Insurance Medi- cine [SIM], 2013) definiert Arbeitsunfähigkeit wie folgt: Arbeitsunfähigkeit (AUF) ist die durch eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen 6
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ oder psychischen Gesundheit bedingte volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten. Die bisher ausgeübte Tätig- keit im Beruf oder Aufgabenbereich kann nicht mehr ausgeübt werden oder nur noch in beschränktem Masse, unter der Gefahr einer Verschlimmerung des Gesundheitszu- stands oder dem Risiko, sich selber oder Dritte zu gefährden. (S. 4) Von der Arbeitsunfähigkeit ist die Erwerbsunfähigkeit zu unterscheiden. Während die Arbeitsunfähigkeit von Ärzten beurteilt wird, ist die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit Sache von Versicherungsfachleuten. Diese umfasst folgende Komponenten: (1) Gesundheitsscha- den und verbleibende, zumutbare Arbeitstätigkeiten = medizinisches Element. (2) Verlust der Erwerbsmöglichkeiten auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt = wirtschaftliches Element. (3) Kausaler Zusammenhang zwischen Gesundheitsschaden und Erwerbslosigkeit und (4) Zu- mutbarkeit von Behandlung und Eingliederung (SIM, 2013). 2.1.2 Das Haus der Arbeitsfähigkeit Die zuweisenden Versicherungen attestieren den Klientinnen und Klienten im Bereich der Beruflichen Eingliederung grundsätzlich Erwerbsfähigkeit, anerkennen jedoch, dass die- se im angestammten Beruf in der bisherigen Form nicht mehr gegeben ist. Doch was genau ist Arbeitsfähigkeit, wenn sie in einer Tätigkeit zwar nicht mehr vorhanden ist, aber die Be- troffenen grundsätzlich als erwerbsfähig eingestuft werden? Abbildung 2. Das Haus der Arbeitsfähigkeit (Prümper & Richenhagen, 2011; basierend auf Ilmarinen, 2001) 7
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Ilmarinen und Tempel (2002) definieren Arbeitsfähigkeit wie folgt: «Arbeitsfähigkeit bezeichnet die Summe aller Faktoren, die einen Menschen in einer bestimmten Arbeitssitu- ation in die Lage versetzen, die ihm gestellten Arbeitsaufgaben erfolgreich zu bewältigen» (S. 166; zit. nach Trümper & Richenhagen, 2011, S. 136). Aus Abbildung 2 ist ersichtlich, dass die Gesellschaft, das soziale Umfeld in Form von Familie, Freunden und Verwandten, aber vor allem die Gesundheit den Rahmen resp. das Fundament der Arbeitsfähigkeit bilden. Arbeitsfähigkeit setzt sich zusammen aus den intrinsischen Faktoren Kompetenzen und Werte des Individuums und aus extrinsischen Komponenten der Arbeit wie Arbeitsinhalte, -mittel, -umgebung, -organisation, Führung und dem sozialen Umfeld am Arbeitsplatz. Den elementaren Grundstein im Modell, sozusagen das Fundament des Hauses, bildet die phy- sische, psychische und geistige Gesundheit. Damit eine Person ihre Arbeit bewältigen kann, benötigt sie physische Reserven (man muss sich von Beanspruchungen durch die Arbeit auch wieder erholen können), mentale Reserven (um beispielsweise lern- und entwicklungsfähig zu bleiben) und soziale Funktio- nen. Diese befähigen die Betroffenen z.B. zur Aufrechterhaltung, Verbesserung und Verbrei- terung von sozialen Netzwerken im und ausserhalb des Arbeitslebens (Tempel, Geissler & Ilmarinen, 2010). 2.2 Modell zur beruflichen Umorientierung im Rehabilitationskontext Die Klienten, welche eine berufliche Abklärung an der SUVA-Rehaklinik in Bellikon durchlaufen, waren ursprünglich oftmals in körperlich herausfordernden Erstberufen tätig, häu- fig in der Baubranche. Aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit (z.B. Arthrose) können sie nicht mehr in ihrem angestammten Beruf tätig sein. Im Rahmen der beruflichen Umorientie- rung geht es darum, die persönlichen, gesundheitlichen und kognitiven Ressourcen abzuklä- ren und gemeinsam mit den Betroffenen mögliche Wege für die Zukunft zu erarbeiten. Es ist das Ziel, dass die Betroffenen mittels passender und geeigneter Massnahmen in einer auf ihre körperliche Einschränkung angepassten Tätigkeit in den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren können. Je nach Verlauf der bisherigen beruflichen Laufbahn der betroffenen Personen unter- scheiden sich diese Massnahmen: Einige der Betroffenen entscheiden sich für eine weitere berufliche Grundbildung oder eine Berufsprüfung, welche zu einem formalen Bildungsab- schluss führen. Andere erwägen den Eintritt in ein neues Berufsfeld mittels Weiterbildungs- massnahmen ohne formalen Bildungsabschluss. Je länger die bisherige Laufbahn einer Per- sonen gedauert hat, desto mehr geht es darum, bei der Neuorientierung bisher erworbene Kompetenzen zu berücksichtigen und auf diese aufzubauen. In Abbildung 3 ist der Prozess grafisch dargestellt (grössere Darstellung in Anhang 1). Vielen Klienten fällt die Vorstellung schwer, von einem körperlich anstrengenden und heraus- fordernden Beruf in eine Tätigkeit zu wechseln, welche mehr mit Sitzen, Arbeit am Bildschirm 8
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ und/oder abstrakten Aufgaben verbunden ist. Bis anhin war für sie wichtig, dass am Abend das Resultat ihres Tagwerkes klar ersichtlich war. Abbildung 3. Modell zur beruflichen Umorientierung im Rehabilitationskontext (eigene Darstellung ba- sierend auf den Modellen von Engel (1976) und Hirschi (2017) und der grafischen Darstellung der An- gebote zur beruflichen Eingliederung der Rehaklinik Bellikon (RKB, 2011)) In den folgenden Unterkapiteln wird zuerst die Bedeutung der beruflichen Eingliede- rung als Teil des Rehabilitationsprozesses erläutert. Anschliessend werden die einzelnen Komponenten des Modells detaillierter vorgestellt, dabei spielen Laufbahntheorien, ein neues Verständnis der Betroffenen von Gesundheit und persönliche Karriereressourcen eine wesent- liche Rolle. Zum Schluss des Kapitels werden die Zusammenhänge zwischen den Komponen- ten aufgezeigt. 2.2.1 Berufliche Eingliederung als Teil des Rehabilitationsprozesses Der Begriff der Beruflichen Rehabilitation ist relativ weit gefasst. Er umfasst sowohl die Ersteingliederung von Personen mit Behinderungen, resp. von Personen, die davon be- droht sind, als auch die Umschulung von Personen mit psychischen oder körperlichen Ein- schränkungen. In jüngerer Zeit ist der Aufgabenkatalog um kürzere Massnahmen der (Re-) Integration und Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt erweitert worden. Einrichtungen, welche sich mit der beruflichen (Wieder-)Eingliederung beschäftigen, bieten Assessment-, Vorberei- tungs-, Ausbildungs-, Umschulungs- und Qualifizierungsmassnahmen an (Wolf-Kühn & Mor- feld, 2016). Gemäss Wilke, Muder und Froböse (2013) ist der Zeitpunkt der beruflichen Rehabili- tation nach einem Unfall relevant: Entscheidend ist es, die Patienten möglichst zeitnah nach 9
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ dem Unfall oder der Verletzung wieder einzugliedern. Die Autoren konnten weiters aufzeigen, dass nebst dem frühzeitigen Beginn der Rückführung auch der Belastungsschmerz und das Alter signifikante Einflussfaktoren sind, wobei der Schmerz die stärkste Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit hat. Ältere Arbeitnehmer sind tendenziell schwerer rückzuführen als jüngere, wobei die Altersgrenze bei rund 45 Jahren liegt (Wilke et al., 2013). In der Schweiz liegt die Verantwortung für berufliche Eingliederung in der Regel bei der IV. Diese sieht die berufliche Eingliederung als ihre Hauptaufgabe und handelt nach dem Grundsatz Eingliederung vor Rente (Bundesamt für Sozialversicherungen [BSV], 2014). Da- bei fördert sie Massnahmen der Frühintervention bei Mitarbeitern mit gesundheitlichen Prob- lemen, erstellt Eingliederungspläne und entscheidet über berufliche Massnahmen. Die kan- tonalen Sozialversicherungsanstalten sind häufig so organisiert, dass Betroffene von Einglie- derungsfachpersonen betreut werden. Versicherte Personen, die wegen einer Behinderung in ihrer Berufswahl oder in der Ausübung ihrer bisherigen Tätigkeit beeinträchtigt sind, haben Anspruch auf Berufsberatung (BSV, 2018; Art. 15 IVG). Die Berufsberatungspersonen der IV wiederum können Betroffene, bei welchen es vertiefte Abklärungen braucht, entsprechen- den Stellen oder Institutionen zuweisen, dazu gehört u.a. die Rehaklinik in Bellikon. 2.2.2 Happenstance Learning Theory und Laufbahnadaptabilität Die Klientinnen und Klienten im Rehabilitationskontext der RKB sind durch körperliche Einschränkungen infolge einer Krankheit oder eines Unfalls dazu gezwungen, sich beruflich neu zu orientieren. In Gesprächen im Rahmen der Berufsberatung in Zusammenhang mit der Beruflichen Abklärung fiel auf, dass die Betroffenen mehrheitlich zufrieden in ihrem Beruf ar- beiteten und sich bis zum Unfall resp. zur Krankheit keine oder nur wenig Gedanken über ihre berufliche Zukunft gemacht haben und insbesondere kaum Weiterbildungspläne hatten. Die meisten Betroffenen sind aufgrund eines zufälligen, unvorhergesehenen Ereignis- ses (engl. Happenstance) in der Beruflichen Abklärung. Dieses zwingt sie dazu, sich mit ihrer beruflichen Laufbahn auseinanderzusetzen. Nun ist Anpassungsfähigkeit in Bezug auf die Be- rufslaufbahn gefragt. Im Folgenden wird deshalb auf die zwei Laufbahntheorien der Happen- stance Learning Theory (Krumboltz, 2009) und der Laufbahnadaptabilität (Savickas, 2002) eingegangen. Diese beiden Theorien sind als übergeordnet im Prozess der beruflichen Um- orientierung zu betrachten. Aus diesem Grund werden sie nicht nur aus der Perspektive des Klienten beschrieben, sondern es wird auch die Rolle der prozessbegleitenden Personen (Be- rufsberater, Arbeitsagogen) thematisiert. Happenstance Learning Theory. Die Happenstance-Lerntheorie (HLT) von Krum- boltz (2009) ist ein Erklärungsversuch dazu, wie und weshalb Individuen unterschiedlichen Lebenspfaden folgen. Die HLT postuliert, dass menschliches Verhalten ein Produkt unzähliger 10
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Lernerfahrungen ist, welche auf geplanten und ungeplanten Situationen beruhen. Diese Lern- erfahrungen umfassen Fähigkeiten, Interessen, Wissen, Einstellungen, Präferenzen und Emo- tionen und sie beeinflussen zukünftige Handlungen. Die Lebenssituationen, welchen Indivi- duen begegnen, beinhalten teilweise Faktoren, welche durch die Person beeinflusst und kon- trolliert werden können und teilweise sind sie rein zufälliger Natur. Jede dieser Lebenssituati- onen – egal ob geplant oder zufällig – kann als eine potentielle Chance erkannt werden, diese gewinnbringend zu nutzen, also aktiv zu handeln. Menschen im beruflichen Rehabilitations- kontext sind in besonderem Mass damit konfrontiert, mit einer zufällig auftauchenden Krank- heit 1 oder den Folgen eines Unfalls umgehen lernen zu müssen. Krumboltz (2009) fordert die prozessbegleitenden Personen – hier also die Arbeitsa- gogen und die Berufsberater – auf, Klientinnen und Klienten wie folgt zu unterstützen: (1) Das Ziel der Beratung resp. der Prozessbegleitung ist, Klientinnen und Klienten dabei zu unterstützen, proaktiv zu handeln um für sich so einen Zuwachs an Berufs- und Lebenszufriedenheit zu gewinnen. (2) Diagnostikinstrumente dienen dazu, Lernprozesse beim Klienten zu stimulieren – und nicht etwa dazu, um Persönlichkeitseigenschaften mit Jobprofilen abzuglei- chen. (3) Klientinnen und Klienten sollen dahingehend unterstützt werden, offen zu sein und explorativ aktiv zu werden, um damit für sich vorteilhafte, ungeplante Ereignisse generieren zu können (z.B. Schnupperlehren, Praktika) (4) Der Erfolg der Prozessbegleitung und Berufsberatung zeigt sich an dem, was der Klient in der realen Welt erreicht. Laufbahnadaptabilität. Laufbahnadaptabilität bildet ein zentrales Konstrukt in der konstruktivistischen Laufbahnentwicklung nach Savickas (2002). Diese Theorie beruht auf der Annahme, dass Personen eine subjektive Realität aktiv konstruieren und nicht einfach auf- grund der objektiven Realität handeln (Hirschi, 2013). Gemäss Savickas (1997) ist «Laufbahn- adaptabilität die Bereitschaft, sich zwei Aufgaben zu stellen: der vorhersehbaren Aufgabe, eine Berufsrolle zu übernehmen, und der nicht vorhersehbaren Aufgabe, sich an die Veränderun- gen der Arbeitswelt anzupassen» (S. 254). Laufbahnadaptabilität beinhaltet also eine motiva- tionale Komponente. Sie besteht aus den folgenden Kernelementen: (a) zukunftsgerichtete Laufbahnplanung, (b) aktive Entscheidungsfindung, (c) neugierige Exploration der beruflichen Möglichkeiten und (d) zuversichtliche Herangehensweise beim Umgang mit Herausforderun- gen in der Laufbahnentwicklung. Für die Arbeit der prozessbegleitenden Personen bedeutet dies, dass die subjektive und komplexe Realität jedes Klienten im Neuorientierungsprozess berücksichtigt werden 1 Nur ein kleiner Prozentsatz der Klienten leidet an sogenannten Berufskrankheiten. 11
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ sollte. Ziel der Beratungspersonen sollte sein, bei Klientinnen und Klienten die vier Aspekte der Laufbahnadaptabilität zu fördern. Es geht in der Beratung also weniger um Informations- vermittlung, sondern vielmehr um die Begleitung beim Erlernen von Anpassungsstrategien, um eine Steigerung von Arbeitsmarktfähigkeit und um die Förderung von Sozial- und Entschei- dungskompetenzen (Hirschi, 2013). 2.2.3 Das biopsychosoziale Modell In Kapitel 2.1.2 zum Haus der Arbeitsfähigkeit wurde erläutert, dass die Gesundheit das Fundament zur Arbeitsfähigkeit bildet. Doch wie kann Gesundheit definiert werden? Oder umgekehrt: Wie wird Krankheit definiert? Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization [WHO], 1946) ist «Gesundheit ein Zustand vollkommenen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbe- findens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen». Die WHO versteht Ge- sundheit ganzheitlich als bio-psycho-soziales Konstrukt. Ein gesunder Mensch ist nicht einfach frei von Krankheit und Gebrechen; er ist fähig, jegliche Lebenslage ganzheitlich zu bewältigen. Gesundheit wird hier über das subjektive Befinden des Einzelnen definiert. An dieser Definition kann jedoch das vollkommene Wohlbefinden kritisiert werden, denn ist man wirklich nur dann gesund, wenn man über ein vollkommenes körperliches, psychisches und soziales Wohlbe- finden verfügt? Ebenfalls von einem biopsychosozialen Verständnis geht Engel (1976) aus, der Ge- sundheit wie folgt definiert: Gesundheit ist die ausreichende Kompetenz des Systems «Mensch», beliebige Stö- rungen auf beliebigen Systemebenen autoregulativ zu bewältigen. Nicht das Fehlen von pathogenen Keimen (Bakterien, Viren etc.) oder das Nichtvorhandensein von Stö- rungen / Auffälligkeiten auf der psychosozialen Ebene bedeuten demnach Gesundheit, sondern die Fähigkeit, diese pathogenen Faktoren wirksam zu kontrollieren. (zit. nach Egger, 2005, S. 5) Krankheit und Gesundheit erscheinen gemäss dieser Definition nicht als Zustand, sondern als ein dynamisches Geschehen (Egger, 2008). Dies bedeutet, dass sich ein Mensch dank auto- regulativer Prozesse trotz einer körperlichen Einschränkung gesund fühlen kann. Die körper- lich-biologische Einschränkung kann mit Hilfe von personalen und sozialen Ressourcen kom- pensiert werden. Damit eine Person dieses Selbstverständnis entwickeln kann, braucht es je- doch aktive Auseinandersetzung mit sich selbst und der persönlichen Lebenssituation. Wer sich im ersten Arbeitsmarkt auf Stellen bewirbt, ist gefordert, als gesunder Mensch aufzutreten. 12
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Abbildung 4. Wirkfaktoren im biopsychosozialen Modell (eigene Darstellung; nach Engel, 1976) In Abbildung 4 werden die zentralen Wirkfaktoren des biopsychosozialen Modells auf- gezeigt: zum biologischen Faktor gehören Komponenten wie das Alter, das Geschlecht, ge- netische Voraussetzungen und die körperliche Einschränkung. Der psychologische Wirkfaktor umfasst die mentale Gesundheit einer Person, basierend auf emotionalen, motivationalen und kognitiven Faktoren. In Zusammenhang mit der Findung eines neuen Gesundheitsverständ- nisses, mit welchem Personen im Bereich der Beruflichen Eingliederung konfrontiert sind, spielen Einstellungen, Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeitserwartungen eine Schlüsselrolle. Eine zentrale Bedeutung kommt auch dem sozialen Faktor zu: bestärkende zwischenmenschliche Beziehungen und soziale Unterstützung können den Umorientierungs- prozess positiv beeinflussen. Ebenfalls eine wichtige, jedoch weniger beeinflussbare Rolle, spielt der sozioökonomische Status einer Person. 2.2.4 Das Karriere-Ressourcenmodell Hirschi (2017) formuliert ein Karriere-Ressourcenmodell, welches bis anhin zwar nicht empirisch belegt ist jedoch im Karriere-Ressourcen-Fragebogen 2 (Hirschi, Nagy, Baumeler, Johnston & Spurk, 2017) operationalisiert ist. Er geht davon aus, dass es zur Gestaltung selbstbestimmter und erfolgreicher Laufbahnen persönlicher Ressourcen bedarf. Hirschi nennt diese Ressourcen Karriere-Ressourcen. Sein Modell ist geleitet von der Frage «Was hilft mir, meine Ziele zu erreichen?» (Hirschi, 2017). Es geht dabei also weniger um Passung, sondern vielmehr um einen Entwicklungsgedanken. 2 www.cresogo.com 13
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Abbildung 5. Das Karriere-Ressourcenmodell nach Hirschi (2017). In Abbildung 5 sind die Bereiche definiert, welche Hirschi als Ressourcen identifiziert: Es sind dies die Bereiche Wissen und Kompetenzen, Motivation und das Umfeld. Besondere Bedeutung kommt den Aktivitäten zu: Ressourcen kommen nur dann zum Tragen, wenn sie auch aktiviert werden. Dabei erachtet Hirschi das Netzwerken, sich informieren über Möglich- keiten und kontinuierliches Lernen als zentrale Aktivitäten. Programme zur beruflichen Einglie- derung oder Jobcoaching können Menschen im Rehabilitationskontext dabei unterstützen, Ressourcen zu aktivieren und zu fördern. Diese Massnahmen können als Ressourcen-Multi- plikator dienen. 2.2.5 Das Angebot der Beruflichen Eingliederung der Rehaklinik Bellikon Die Berufliche Eingliederung ist an der Rehaklinik Bellikon Teil des Bereichs der ar- beitsorientierten Rehabilitation (AR). Dieser Bereich ist das Bindeglied zwischen dem Reha- Aufenthalt und der Arbeitswelt. Die Klinik ist bestrebt, Personen mit gesundheitlicher Ein- schränkung dabei zu unterstützen, in die Arbeitswelt zurückzukehren. Das Angebot der AR umfasst sowohl stationäre als auch ambulante Programme. In Zusammenarbeit mit der SUVA und der IV bietet die Rehaklinik Berufs- und Laufbahnberatung, berufliche Abklärun- gen, Berufsvorbereitungen sowie ein Coaching am Arbeitsplatz an (RKB, 2018a). In der Beruflichen Eingliederung bilden nebst beruflichen Massnahmen wie z.B. dem Arbeitstraining und dem Job Coaching, welche an einem Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt stattfinden, die zwei aufeinander aufbauenden Abklärungsprogramme einen zentralen Be- standteil des Angebotes: Die Berufliche Grundabklärung (BA1) und die Vertiefte Berufliche Abklärung (BA2). Beide Massnahmen umfassen Berufs- und Laufbahnberatung. Rechtlich basieren sie auf Art. 15 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG), welcher die Berufsberatung im Rahmen der IV regelt: «Mittels einer Abklärung wird eruiert, welche 14
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Tätigkeiten sich für eine versicherte Person eignen, unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und Neigungen sowie ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung» (BSV, 2018; IVG Art. 15, Abs. 11). Voraussetzung für eine Abklärung beruflicher Art ist die objektiv und subjektiv vorhan- dene Eingliederungsfähigkeit. Berufliche Grundabklärung. Die Berufliche Grundabklärung dauert 20 Tage. Vo- raussetzung ist, dass Betroffene mindestens halbtags anwesend sein können. Das Koopera- tionsmodell zwischen SUVA und IV gewährleistet Patienten der Klinik eine rasche und un- komplizierte Zusprache von beruflichen Massnahmen (RKB, 2018b). Häufig werden Klienten aber auch direkt von ihrer kantonalen IV-Stelle oder von der Militärversicherung der Grund- abklärung zugewiesen. Ziele der BA1 sind die Abklärung der praktischen und theoretischen Fähigkeiten und Interessen, das Feststellen der Lernfähigkeit, das Ermitteln der sozialen Kompetenzen und das Aufzeigen von Eingliederungsperspektiven. Gegen Ende der BA1 werden mit dem Zuweiser Anschlussmassnahmen erarbeitet (RKB, 2018c). Vertiefte Berufliche Abklärung. Sofern angezeigt folgt auf die Berufliche Grundab- klärung eine Vertiefte Berufliche Abklärung. Diese Massnahme dauert üblicherweise zwei Monate und bedingt i.d.R eine ganztägige Anwesenheit der Betroffenen. Hier werden die in der Grundabklärung erarbeiteten Umorientierungsideen hinterfragt, Neigungen und Fähigkei- ten werden mittels Interessens- und Leistungstests analysiert. Die Ratsuchenden sollen ihr Eingliederungspotential erkennen können. Die Klienten erhalten die Möglichkeit, ihre Berufs- wünsche in den Bereichen Büro (inkl. Informatikanwendungen), technisches Zeichnen (inkl. CAD), Holzbearbeitung, Mechanik/Metallbearbeitung und Elektrotechnik praktisch zu erpro- ben. Von grosser Wichtigkeit sind in der BA2 auch interne und externe Praktika (RKB, 2018d). Ziel der beiden Massnahmen BA1 und BA2 ist es, abgestützt auf die Abklärungser- gebnisse und den Berufsberatungsprozess in Absprache mit der zuweisenden Versicherung konkrete Eingliederungs- und Umschulungsmassnahmen einzuleiten. Elemente der Beruflichen Abklärung. In Abbildung 6 sind die Elemente der BA1 und BA2 ersichtlich. Das Ressourcenmosaik erhebt schulisches Wissen, welches häufig auch zu- sätzlich mit einem Basic-Check-Test überprüft wird. Mit praktischen Arbeitsaufträgen aus den Bereichen Büro, Holzbearbeitung, Mechanik, Metallbearbeitung und Elektrotechnik werden handwerkliche, grob- und feinmotorische Fertigkeiten überprüft; oftmals geht es darum, dass Personen aus dem Baugewerbe in Berufsfelder wechseln, welche mehr feinmotorisches oder technisches Geschick erfordern. In der Berufsberatung werden mittels Beratungsgesprächen und mittels Einsatz von Interessen- und Neigungstests mögliche berufliche Wege erarbeitet. Kognitive Leistungstests geben zusammen mit den Ergebnissen aus dem Ressourcenmosaik und dem Basic-Check Hinweise darauf, ob für das angestrebte Anspruchsniveau das kognitive Potential vorhanden ist. In der BA2 werden Lerngruppen angeboten, mit dem Ziel schulische 15
RKB – REHABELLIKON-KOMPETENZEN-BILANZ Lücken zu schliessen. Zudem haben die Klienten die Möglichkeit, das Zehnfingersystem zu erlernen und verschiedene ECDL-Module (European Computer Driving Licence) mit einem Zertifikat abzuschliessen. Bei Bedarf können auch erste CAD-Kenntnisse erworben werden. Zum Umorientierungsprozess gehört auch der Erwerb von Wissen und Kompetenzen rund um das Thema Bewerbung: die Klienten werden bei der Erstellung eines aktuellen, ansprechen- den Bewerbungsdossiers unterstützt. Im Bewerbungstraining werden sie auf potentielle Vor- stellungsgespräche vorbereitet. Das Beziehungsnetz der RKB dient häufig als Türöffner für Schnupperlehren und Praktika. Auch innerhalb der Klinik können verschiedene Berufe erprobt werden. Abbildung 6. Elemente aus der Beruflichen Grundabklärung und der Vertieften Beruflichen Abklärung (eigene Darstellung, basierend auf Rehaklinik Bellikon, 2011) Berufliche Massnahmen und Coaching am Arbeitsplatz. Da für die vorliegende Ar- beit insbesondere die Beruflichen Abklärungs-Angebote BA1 und BA2 von Interesse sind, wird nur kurz auf die Beruflichen Massnahmen und das Coaching am Arbeitsplatz eingegangen. Ziel der Beruflichen Massnahmen ist die Vorbereitung auf eine Umschulung oder die Wiedereingliederung in die freie Wirtschaft. Fachliches Wissen und Können werden trainiert, Lern- und Arbeitstechniken vermittelt, Bewerbungstrainings absolviert, Arbeits- und Ausbil- dungsstellen gesucht, die Belastbarkeit gesteigert und Anschlusslösungen vorbereitet. Zwei Jobcoaches unterstützen und begleiten Personen bei Bedarf während und nach ihrer Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt. Sie arbeiten nach der Methodik des Supported Employment. Dies bedeutet, dass auch der Arbeitgeber und das Umfeld ins Coaching einbe- zogen werden. Ein Coaching dauert in der Regel sechs Monate. Mindestens einmal pro Woche steht der Coach mit der betroffenen Person in Kontakt. Bei Bedarf werden auch verunfallte 16
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