Robert Foltin Immaterielle Arbeit, Empire, Multitude. Neue Begrifflichkeiten in der linken Diskussion. Zu Hardt/Negris "Empire".
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3 Robert Foltin Immaterielle Arbeit, Empire, Multitude. Neue Begrifflichkeiten in der linken Diskussion. Zu Hardt/Negris “Empire”. Das Buch “Empire” von Michael Hardt und Die Theorie, auf die sich “Empire” bezieht, wird Antonio Negri ist im Jahr 2000 erschienen, ge- oft als “Postoperaismus” bezeichnet. Sie bezieht schrieben wurde es in den neunziger Jahren des sich auf eine Strömung im Italien der sozialen Bewe- zwanzigsten Jahrhunderts, zwischen dem Golfkrieg gungen in den Sechziger- und Siebzigerjahren, die 1991 und der Bombardierung Jugoslawiens 1999. Im als Operaismus2 bezeichnet wurde. Die Grundthese Jahr 2001 wurde das Buch zu einem Bestseller (wo sich diese Theorie von den anderen linken Strö- (“Empire war ein Schläfer. So heißt im amerikani- mungen unterscheidet) besteht darin, dass die schen Verlagsjargon ein Buch, das lange in den Re- Kämpfe der ArbeiterInnenklasse als der Motor der galen liegt - und plötzlich die Bestsellerlisten kapitalistischen Entwicklung gesehen werden. Im stürmt.” NZZ 10./11.11. 2001), inzwischen wird Zusammenhang mit den damals aktuellen Kämpfen dieses Buch nicht nur in der Linken diskutiert, son- wurden auch Veränderungen der kapitalistischen dern es wird im akademischen Bereich rezipiert und Organisation beobachtet und zwar in dem Sinne, selbst Konservative sehen sich gezwungen, sich da- dass sich die Fabrik in die Gesellschaft ausdehnt, mit auseinanderzusetzen1. aber auch die Gesellschaft in die Fabrik eindringt. Ein Analysekriterium, mit dem das erfasst wird, ist Es gibt verschiedene Erklärungen für den Erfolg das der realen Subsumption (Unterordnung) im dieses Buches. Es mag daran liegen, dass ein ameri- Gegensatz zur formalen Subsumption. Formale kanischer Literaturprofessor gemeinsam mit einem Subsumption bedeutet Unterordnung nichtkapita- Theoretiker der italienischen “Autonomen”, der listischer Produktionsweisen unter den Kapi- noch dazu des Terrorismus beschuldigt wurde, ein talismus, reale die Organisation der Ausbeutung Buch schreibt, das das europäische Wissen von durch den Kapitalismus. Die vollkommene Unter- Spinoza über Marx bis zur Postmoderne versam- ordnung aller gesellschaftlichen Teile ist typisch für melt; wo radikales Denken mit europäischer das Empire, die aktuell sich entwickelnde Herr- Wissenstradition und angloamerikanischem Wissen- schaftsstruktur des Kapitalismus. Die National- schaftsstil verbunden wird. Ein zusätzliches Argu- staaten haben einen großen Teil ihrer Funktion zur ment ist, dass in der globalen Protestbewegung ein Integration sozialer Gruppen und Bewegungen ver- Hunger nach Theorie herrscht, der auf eine fundier- loren, sodass eine neue Konstitution zur Organisa- te, aber auch begeisternde Weise befriedigt wird. Im tion von Unterdrückung und Ausbeutung notwen- folgenden werde ich einige Grundzüge der Theorie dig wurde. Diese ist informeller, internationaler und vorstellen, auf denen dieses Buch aufgebaut ist. netzwerkartiger als die nationalstaatliche Orga- Robert Foltin Zu Hardt/Negris “Empire” seite_6 grundrisse_02_2002
nisation. Die Entwicklung Richtung Empire ist ver- KapitalistInnen - des Kapitals sehen. Als eine bunden mit einer Veränderung der Arbeits- Initialzündung kann ein Artikel von Panzieri 1961 verhältnisse. Im Fordismus ist die industrielle (Panzieri 1985) über die Beziehung der Arbeiter- 3 Fabrikarbeit im Zentrum gestanden. Diese hegemo- Innen zur Maschine gelten. Dabei wird die Unter- niale Funktion hat jetzt die immaterielle Arbeit ordnung der lebendigen Arbeit (die menschliche übernommen, die Produkte (und Waren) dieser Arbeitskraft) unter die tote (das konstante Kapital, Arbeitsverhältnisse sind Wissen und Kom- die Maschine) beschrieben, der Einsatz der Maschi- munikation, aber auch Gefühle und Beziehungen. nerie gegen die (lebendige) Arbeit5 (vgl auch Diese Veränderungen werden manchmal als Über- Grundrisse S. 582-592). Mario Tronti erweitert in gang zur Dienstleistungsgesellschaft beschrieben, seiner Analyse den Blickwinkel auf die Entwicklung was aber die neuen Arbeitsverhältnisse nur begrenzt der Produktivkräfte im Allgemeinen (Tronti 1974). erfasst. Was die Entwicklung der Gesellschaft, den Die Verkürzung des Arbeitstages wird als Ergebnis Kapitalismus in Richtung Empire vorangetrieben der Arbeitskämpfe wie der sozialen Auseinander- hat, ist die Vielfalt der Wünsche und Bedürfnisse setzungen im Allgemeinen beschrieben (Tronti der Menschen, die sich in (individuellen und kollek- 1974, S. 165ff ,vgl. MEW 23, S. 245-330): Wenn der tiven) Revolten ausdrücken und von Negri/Hardt Arbeitstag verkürzt wird, der Profit für die Kapi- als Multitude3 bezeichnet werden. Dieser Begriff talistInnen aber gleich bleiben soll, kann das nur wird in Abgrenzung zu nationalistischer oder son- durch die Steigerung der Produktivkraft der Arbeit stiger Identitätsbildung, aber auch zum Begriff der passieren. Insofern ist die logische Folge sowohl die ArbeiterInnenklasse der traditionellen sozialisti- Umstrukturierung der Organisation der Arbeit wie schen und kommunistischen Parteien festgelegt. auch der Einsatz von neuen technologischen Der Kapitalismus, das Empire kann nur weiterexis- Möglichkeiten. So werden die Klassenkämpfe als tieren, indem es die emanzipatorischen Elemente der Motor der kapitalistischen Entwicklung inter- der Kämpfe der Multitude in sich aufgenommen pretiert (Tronti 1974, S. 173). Solange der Kapi- hat. Einerseits wird erkannt, dass alle Kämpfe ins talismus (und der Klassenkampf) besteht, stellt sich herrschende System integriert werden, andererseits die Frage von Sieg und Niederlage in einer Schlacht wird immer offensichtlicher, dass das System vom nicht. Eine Niederlage der ArbeiterInnenklasse be- Wissen, von der Kreativität, den Gefühlen und der deutet auch eine Niederlage für das Kapital, weil es Lebendigkeit der Multitude abhängig ist. Die in Passivität verharrt, und ein Sieg der Multitude ist Teil des Empire, und zugleich revol- ArbeiterInnenklasse ist eigentlich eine Niederlage, tiert sie immer dagegen. Um die herrschenden weil das Kapital die Produktivkräfte weiterentwik- Strukturen zu überwinden, sollte jeder Widerstand kelt und die Ausbeutung verbessert (Tronti 1974 S. gleich auch als Aufstand und konstituierende 174). Die Entwicklung der Produktivkräfte, getrie- Macht gedacht werden. Unter konstituierender ben von der ArbeiterInnenklasse, führt in der Kon- Macht sind Elemente einer konkreten Utopie zu sequenz zur Selbstauflösung des Kapitals und zur verstehen, die sich in den Auseinandersetzungen der Befreiung der Arbeit. “Als das rastlose Streben, nach Multitude mit dem Empire, mit dem Kapitalismus der allgemeinen Form des Reichtums treibt aber das herausbilden. Kapital die Arbeit über die Grenzen der Not- wendigkeit hinaus und schafft so die materiellen Operaismus Elemente für die Entwicklung der reichen Indi- vidualität, die ebenso allseitig in ihrer Produktion In Abgrenzung von der traditionellen Linken, als Konsumtion ist und deren Arbeit daher auch aber auch in Zusammenhang mit so genannten “Ar- nicht als Arbeit, sondern als volle Entwicklung der beiteruntersuchungen” wurde von italienischen Tätigkeit selbst erscheint, in der das Natur- Theoretikern eine neue Interpretation der Texte von notwendige in ihrer unmittelbaren Form ver- Marx gesucht4. Dabei wurde die Arbeiter- schwunden ist.” (Grundrisse S. 231). Die Produk- Innenklasse als Subjekt ins Zentrum gestellt im tivität der lebendigen Arbeit, die zuerst dem Kapital Gegensatz zu anderen marxistischen Theoretiker- äußerlich ist, geht sukzessive auf das Kapital über. Innen, die eine Weiterentwicklung des Kapitalismus “Die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit nur als inneres Moment - in der Konkurrenz der wird als Arbeiterklasse gesellschaftliche Pro- Zu Hardt/Negris “Empire” Robert Foltin grundrisse_02_2002 seite_7
duktivkraft des Kapitals. Die Arbeiter treten als Ar- für soziale Bewegungen und die kapitalistische Ant- beiterklasse ins Kapital ein und werden als solche wort darauf bringen. 3 auf ein Teil des Kapitals reduziert. Das Kapital aber hat jetzt seinen Feind im Inneren.” (Tronti 1974, S. Die Oktoberrevolution 1917 in Russland, ver- 107). Der Antagonismus der ArbeiterInnenklasse bunden mit den Kämpfen und revolutionären Be- drückt sich jetzt in totaler Separation aus, im wegungen in der ganzen Welt, oft als “kommunisti- “Kampf gegen die Arbeit” als Streik, Sabotage, mit sche Bedrohung” bezeichnet, hat zur Anerkennung individuellen Formen der Arbeitsverweigerung. Im der ArbeiterInnenklasse (Multitude) als Subjekt ge- Fordismus wurde erkannt, dass die Entwicklung des führt, zu einen “New Deal” in den Metropolen des (Gesamt)kapitals von diesem Antagonismus abhän- Westens (vgl Empire S. 240-244, aber z.B. auch gig ist. Die Nicht-Arbeit wird in der Form des Kon- Negri 1972a). In der Zwischenkriegszeit war der sums in die Form des geordnten Klassenkampfes Kapitalismus in der Krise, ist an die Grenze seiner einbezogen: hohe Löhne, Produkte, die sich die Möglichkeiten gekommen. Die egoistischen Ein- ArbeiterInnen leisten können, “New Deal” (vgl. zelinteressen der Kapitalien führten zur Depression unten). nach 1929 und eine Überwindung der Krise durch eine verschärfte Ausbeutung war durch die Stärke Krisen sind Antworten des Kapitals auf Kampf- der ArbeiterInnenbewegung und der sozialrevolu- zyklen der Multitude. Die EinzelkapitalistInnen tionären Aufstandsbewegungen von den USA und haben nur ein Interesse an der Profitmaximierung, Deutschland über China bis Spanien unmöglich. In darum ist die erste Antwort des kapitalistischen Deutschland und Italien führte das zum Staates, der als Gesamtkapitalist agiert, die Re- Nationalsozialismus und Faschismus, nur die USA pression. Erst in der Krise und durch die Krise ist es führten den “New Deal” ein8. Die Anerkennung der für den Gesamtkapitalisten in Form des Staates Subjektivität der Klasse drückte sich in der An- möglich, die gesamtgesellschaftlichen Strukturen zu erkennung sozialer Kräfte und durch deren Teil- verändern, so dass die Ausbeutung auf einer neuen nahme (besonders der Gewerkschaften) an staat- Ebene funktioniert (über die Rolle des Staates bei lichen Institutionen aus, aber auch in wirtschaft- der Entwicklung des Sozialstaates als Antwort auf lichen Maßnahmen und Regulierungen: Die den Kampfzyklus, der in den weltweiten Kämpfen ArbeiterInnen wurden als KonsumentInnen aner- und Auseinandersetzungen nach der Oktober- kannt, Hochlohnpolitik und Wohlfahrtsstaat erhöh- revolution 1917 gipfelte vgl. Negri 1972a, 1972b, ten die Nachfrage nach Produkten. Nach dem Sieg 1973, 1977). Von den operaistischen Theoretikern über die Achsenmächte wurde der “New Deal” nach wurde der Marx´sche Satz von der Geschichte als Europa und Japan getragen und bildete dort die Geschichte von Klassenkämpfen ernst genommen6. Basis für das Wirtschaftswunder der 50er Jahre. Die weltweite Umstrukturierung in Richtung Sozial- Was Tronti und andere (z.B. auch Toni Negri) im staat (und Empire) wurde erst nur durch Krise und Diskurs der operaistischen Linken für die Bezie- Krieg möglich9. Dieses Regime des modernen Wohl- hung zwischen ArbeiterInnenkämpfen und Kapital fahrtsstaates besteht aus der Trinität von Tayloris- beschreiben, lässt sich auf andere gesellschaftliche mus, Fordismus und Keynesianismus. Taylorismus Entwicklungen ausweiten. In diesem Zusam- ist die Organisation der Arbeit durch die Aufteilung menhang wird auch der ambivalente Charakter der der Arbeitsschritte, typischerweise am Fließband. kapitalistischen Umstrukturierungen stärker be- Der Fordismus beruht auf der Erzeugung von Mas- tont: Es geht nicht nur um die Repression durch die senprodukten (meist Konsumgüter wie Autos oder Umstrukturierung. Um die ArbeiterInnen (oder die Fernseher), die sich die “Massen” leisten können Multitude) zu disziplinieren und zu kontrollieren, und der Zahlung hoher Löhne. Der Keynesianismus ist es auch notwendig, die emanzipatorischen und ist die makroökonomische Theorie, die die Gesel- positiven Elemente der Kämpfe aufzunehmen, das lschaft sowohl innerhalb der Staaten wie auch inter- was im der linksradikalen Jargon als “Reformismus” national reguliert. In der Konferenz von Bretton bezeichnet wird7. Im folgenden werde ich Beispiele Woods wurde ein internationales Währungs- Robert Foltin Zu Hardt/Negris “Empire” seite_8 grundrisse_02_2002
regimemit dem Dollar als Leitwährung festgelegt, gemeinen Angriffs der Subjektivität auf die damali- um ein Chaos durch die Egoismen der Einzelkapi- ge kapitalistische Gesellschaft. Die Antwort des talien zu vermeiden. Dieser “New Deal” als Ant- Systems ist zwar in einer Anfangsphase die Unter- 3 wort auf Klassenkämpfe und kommunistische Be- drückung der aktiven Minderheiten, aber im Laufe drohung ist ambivalent. Er enthält die positiven Ele- der nächsten Jahrzehnte eine massive Umstruk- mente der geregelten Arbeitszeiten, der hohen Löh- turierung der gesellschaftlichen Strukturen und der ne und eine relativ gesicherte Existenz eines Groß- Arbeitsverhältnisse. Viele Projekte, die aus dem teils der Bevölkerung (der Metropolen). Dieses Re- subjektiven Wunsch nach Veränderung gegründet gime reguliert aber nicht nur das Kapital, sondern es wurden, z.B. Alternativbetriebe und feministische diszipliniert auch die Menschen: 40 Stunden Initiativen werden von staatlichen Institutionen Wochenarbeit bedeutet Stechuhr, Taylorismus ist aufgegriffen und bestätigen als Institutionen die die Zerlegung der Arbeit in die Einzelteile, Sozial- Veränderungen in der Gesellschaft. Damit wird die leistungen werden nur unter bestimmten Bedingun- Ausbeutung und Unterdrückung perfektioniert. gen (mit dem “sanften” Druck zur Arbeit) verge- Der Wunsch nach freier Arbeitszeiteinteilung wird ben. In der Gesellschaft bestehen Institutionen, die zur flexiblen Arbeitszeit, der Wunsch nach Selbst- eine Normalisierung durchsetzen. Die geschlecht- verwaltung wird zur Selbstorganisation in Projekt- liche Arbeitsteilung und die patriarchale Unter- arbeit, die Kontrolle durch MeisterInnen und Vorar- drückung funktioniert durch die Institution Klein- beiterInnen wird in selbstkontrollierte Teamarbeit familie, es besteht ein sozialer Zwang für Männer umgewandelt. Der Wunsch nach Selbstver- zur lebenslangen Arbeit, für Frauen zum Hausfrau- wirklichung von Kollektiven und Individuen hat endasein, es gibt einen Druck in Richtung einer nor- sich in “freies” UnternehmerInnentum verwandelt. malisierten Sexualität. Die Dominanz dieser diszipl- War in der (fordistischen) Disziplinargesellschaft inierenden Institutionen bedeutet aber nicht, dass die “affektive” Arbeit (vgl. unten) der sozialen, die Wünsche nach einem befreiteren Leben der emotionellen und kommunikativen Zuwendung zu Multitude verschwunden wären, sondern nur, dass einem großem Teil in der Institution der Familie sie in die Unsichtbarkeit und an den Rand gedrängt konzentriert, wird das jetzt in die Gesellschaft ver- wurden. lagert, was die geschlechtliche Verteilung zwar auf- weicht, aber im Großen und Ganzen nicht ändert10. Gegen diesen Zwang der Disziplinargesellschaft Die Bewegung vor und nach 1968 und die darauf entsteht eine Reihe von Revolten, die in den Auf- folgende feministische Bewegung sind die Quelle ständen von 1968 einen Höhepunkt gefunden ha- für die Revolution in Richtung der Strukturen, die ben (vgl. Empire S 260-276). Unter Ausnützung des im herrschenden Diskurs “Dienstleistungsgesel- Wohlfahrtsstaates ist es den ArbeiterInnen gelun- lschaft” genannt werden. Die Durchsetzung der gen, die Löhne in die Höhe zu treiben, einerseits in “immateriellen Arbeit” und die (teilweise) Auf- einem organisierten Rahmen durch Gewerkschaften lösung der Fabrik in die Gesellschaft (reale Sub- und linke Parteien, andererseits durch Arbeits- sumption) ist die kapitalistische Antwort auf die verweigerung (von Streiks bis zu individuellem Revolte gegen die Disziplinargesellschaft. Widerstand z.B. durch Krankfeiern). Die Voll- beschäftigung erlaubt auch die Erhöhung des Druk- Reale Subsumption und Biomacht kes mit der Drohung eines Arbeitsplatzwechsels. Zur gleichen Zeit geht der Kolonialismus der alten Anhand von Beispielen habe ich dargestellt, dass europäischen Staaten zu Ende und die Kämpfe und die Entwicklung des Kapitalismus in Richtung der Widerstand im Trikont verhindern, dass (Lohn)- Empire durch die Kämpfe der ArbeiterInnen- Konflikte durch imperialistische Maßnahmen abge- klasse/Multitude vorangetrieben wird. Ein weiteres schwächt werden, Konflikte können nicht nach Kennzeichen des Kapitalismus ist seine Tendenz zur außen verlagert werden. Diese Auseinander- sukzessiven Ausbreitung, zuerst in alle Regionen setzungen fallen mit dem Widerstand gegen die dis- der Erde, dann aber auch in alle gesellschaftlichen ziplinäre Ordnung im Allgemeinen zusammen. In Formen, die neben der kapitalistischen Ausbeutung den Metropolen sieht ein großer Teil der Jugend- existieren (vgl. Empire S.220-234)11. Zu Beginn des lichen keinen Sinn mehr darin, 40 Stunden sein 20. Jh war die ganze Welt unter den imperialisti- Leben lang zu arbeiten und dann in Pension zu ge- schen Mächten aufgeteilt, revolutionäre Theo- hen. Sexualität wird “entdeckt” und außerhalb der retikerInnen (z.B. Lenin oder Luxemburg) hielten Norm gelebt. Frauen sind immer weniger bereit, in die kapitalistische Produktionsweise bereits für normalen Familienbeziehungen zu leben und ihre gescheitert, was aber offensichtlich nicht der Fall Männer zu ernähren und dafür zu sorgen, dass sie war. Zwei Erklärungen gibt es dafür (vgl. Empire S. ordentlich und sauber in die Arbeit gehen können. 271-272): (A) Der Imperialismus hat zwar alle Die politisch linken und feministischen Bewe- Territorien aufgeteilt, aber noch keineswegs alle gungen sind dabei nur die sichtbare Spitze eines all- Möglichkeiten der Ausbeutung von Arbeitskraft Zu Hardt/Negris “Empire” Robert Foltin grundrisse_02_2002 seite_9
und der Natur ausgenützt. Erst jetzt seien die Gren- Die Unterordnung gesellschaftlicher Formen zen der Ausbeutung der Natur erreicht12 (B) Die lässt sich aber nicht auf die Lohnarbeit beschränken. 3 Expansion des Kapitals erfolgt nach innen, was Im Fordismus steht die industrielle Fertigung unter durch den Übergang von der formalen zur realen Fabrikdisziplin im Zentrum. Daneben besteht das Subsumption erklärt wird. Die soziale und techno- “Leben”, das in Nicht-Arbeits-Strukturen organi- logische Organisation des Kapitals erobert alle siert ist, das, was als Zivilgesellschaft bezeichnet Bereiche der Gesellschaft: Wurden in der industriel- wird, soziale Zusammenhänge außerhalb der Fabrik len Revolution maschinengemachte Konsumgüter (Vereine, soziale Treffpunkte in Lokalitäten), Fami- und Maschinen erzeugt, so gibt es jetzt maschinen- lien, aber auch Institutionen wie Parteien, Gewerk- erzeugte Rohstoffe und Nahrungsmittel. Natur und schaften und sonstige Interessenvertretungen. Über Kultur werden von der Maschine erzeugt13. diese Zivilgesellschaft wird die Verbindung zwi- schen Kapital/Fabrik und Staat hergestellt. Der bür- Die Marxsche Intuition der Unterscheidung gerliche Staat hat nicht nur die Aufgabe des Ge- zwischen formaler und realer Subsumption bezieht samtkapitalisten, sondern die bürgerliche Demo- sich auf die Form der Ausbeutung in Zusam- kratie hat auch die Aufgabe, einen Ausgleich zwi- menhang mit der Entstehung kapitalistischer schen den verschiedenen sozialen Gruppen herzu- Produktionsverhältnisse (Negri/Hardt 1997, S. 77- stellen und sie so in den (National)staat zu integrie- 78). Formelle Subsumption bedeutet die Unter- ren. Es gibt also eine Trennung zwischen Fabrik und ordnung eines Arbeitsprozesses unter das Kapital, Gesellschaft. “Die bürgerliche Gesellschaft ist also ohne die Zerstörung der existierenden (meist vorka- der Ort, an dem sich der Staat als Repräsentant des pitalistischen) Produktionsverhältnisse. Das Kapital Allgemeininteresses die seiner Ordnung äußer- fungiert nur als Verwalter oder Aufseher, ist eine lichen oder fremden Einzelinteressen unterordnet. “importierte fremde Kraft” (Negri/Hardt 1997, S. In diesem Sinne stellt die zivile Gesellschaft den 78). Bei der realen Subsumption der Arbeit unter Raum der formellen Subsumption dar, in dem der das Kapital werden die Bedingungen nichtkapitalis- Staat die gegenüber seiner Herrschaft fremden tischer Produktionsweisen zerstört, die Arbeits- gesellschaftlichen Antagonismen vermittelt, diszi- verhältnisse werden durch das Kapital selbst hervor- pliniert und befriedet” (Negri/Hardt 1997, S. 116). gebracht. Beispiele für formelle Subsumption sind Der neoliberale Diskurs tritt für die Reduktion des HandwerkerInnen oder freie BäuerInnen, die aber Staates ein, in Wirklichkeit ist es aber so, dass die auf dem kapitalistischen Markt existieren müssen zivilgesellschaftlichen Institutionen verschwinden, und dadurch indirekt zur Produktion von Reichtum weil sie Teil der kapitalistischen und staatlichen Or- der KapitalistInnen beitragen. Werden ihre Produk- ganisation werden. Die reale Subsumption der tionsgrundlagen zerstört und werden sie dann ge- Gesellschaft unter den Staat ist die Antwort auf die zwungen, als freie ArbeiterInnen auf Plantagen oder Kämpfe gegen die Disziplinargesellschaft. Die Fa- in Agrarfabriken zu arbeiten, ist die Arbeit dem briken werden durch Auslagerungen in Klein- Kapital real untergeordnet. Marx hat die reale betriebe bis hin zu Alternativbetrieben aufgelöst. Subsumption nur in der großen Industrie gesehen, Durch Flexibilisierung dringt auch das “Leben” in in einem kleinem Teil der damaligen Ökonomie. Zu die Fabrik ein. Flexible Arbeitszeiten verhindern, Beginn der 20. Jahrhunderts hat allerdings das dass die ArbeiterInnen die genormte Arbeitszeit für Proletariat in einem Teil der industrialisierten Welt ihr “Leben” benutzen15. Die Autonomie des Pri- bereits eine dominierende Stellung. Aber erst in der vaten wird aufgelöst (von der Überwachung der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts sind sowohl ein Menschen bis in die intimsten Bereiche und der Ver- Großteil der feudalen Strukturen wie auch der bäu- wandlung von Intimität in eine Ware in Reality erlichen Produktionsweisen verschwunden und Shows wie Taxi Orange), die Schule wird zu lebens- auch im Trikont massiv reduziert14. In der Phase der langem Lernen. Über die Dienstleistungsgesell- formalen Subsumption erscheint das Kapital außer- schaft gewinnt das Kapital Zugriff auf alle Lebens- halb der lebendigen Arbeit, es ist die äußere Gewalt bereiche, über Reproduktionstechnologie reicht der und wird in der Zirkulationssphäre gesehen. Für die Zugriff bis in die Körper (besonders der Frauen). antikolonialistischen Revolutionäre, die sich meist Das Verschwinden der Zivilgesellschaft drückt sich auch KommunistInnen nannten, ist es so erschie- in der Reduktion der demokratischen Politik auf ein nen, als ob die Arbeit am Gebrauchswert nur vom Spektakel aus. Die Bindung von Parteien und ande- Kapital befreit werden müsste und alles wäre gut rer Organisationen an bestimmte soziale Gruppen (vgl. Foltin 2002, S. 47). Die reale Subsumption er- hat aufgehört. Über Meinungsforschung, durch die zeugt ein anderes Bild: die lebendige Arbeit ist in Massenmedien, über Populismus wird nicht mehr das Kapital integriert, sie ist Teil des Kapitals, das ein Ausgleich zwischen unterschiedlichen Inter- wie eine Maschine funktioniert, die die Arbeitskraft essen gesucht, sondern hauptsächlich werden Wäh- organisiert. Der antagonistische Kampf findet dort lerInnen produziert. Die Politik ist nur mehr Simu- als Kampf gegen die Arbeit, als Separation statt. lation von Politik (Negri/Hardt 1997, S. 131-134). Robert Foltin Zu Hardt/Negris “Empire” seite_10 grundrisse_02_2002
Die reale Subsumption der Gesellschaft ist ver- sierung, die sich eben auch in den Fabriken durch- bunden mit der Verschiebung von der Diszipli- setzt und durch die Verschiebung in Richtung nargesellschaft zur Kontrollgesellschaft (vgl. Dienstleistungsgesellschaft: Auch die Produktion 3 Deleuze 1992). Die Machtausübung in der Dis- von materiellen Gütern wird in Dienstleistungen an ziplinargesellschaft funktionierte, indem die Indi- den KundInnen verwandelt. Was immaterielle Ar- viduen in Institutionen (Schulen, Gefängnisse) fest- beit ausmacht, ist Kommunikation auf sprachlicher, gehalten und geformt wurden, Abweichungen von aber ebenso auf körperlicher, sozialer gefühlsmäßi- der Norm wurden ausgeschlossen. In der Kontroll- ger etc. Ebene. Wurde im Fordismus die Kon- gesellschaft wird im Gegensatz dazu die Subjek- sumtion in den Zyklus der Kapitalreproduktion tivität der Individuen produktiv genutzt. Wurden in integriert, so integriert der Postfordismus die der Disziplinargesellschaft die Kommunikation, die Kommunikation (Lazzarato 1998b, S. 53). Körperlichkeiten, die Gefühle geordnet und ge- lenkt, werden sie in der Kontrollgesellschaft produ- Die Produkte der Arbeit im Postfordismus sind ziert. Die Organisation der Macht produziert das immer mehr immateriell, eben nicht Schuhe oder Leben, sie wird biopolitisch (Empire, S. 24) Ein Autos, sondern Information, Wissen und Kom- gutes Beispiel dafür ist die Sexualität: War sie vorher munikation, symbolische Verknüpfungen (am in die Familie, oder zumindest in die Privatheit einer Computer), Beziehungen und Gefühle (Spannung, Beziehung eingesperrt und normiert auf die Hetero- Aufregung, Wohlgefühl). Das “Leben” selbst wird sexualität ohne Varianten., ist jetzt eine Vielfalt ver- zum Produkt, wie die Reality Shows und die zu- schiedener Praxen möglich und darf auch in der künftigen Möglichkeiten der Reproduktions- Öffentlichkeit - zumindestens bei bestimmten An- medizin zeigen. Die Voraussetzung und das Resul- läßen wie der Love Parade - gezeigt (oder zumindest tat der immateriellen Arbeit ist die Produktion und angedeutet) werden. Das Ziel ist nicht mehr die Reproduktion von Subjektivität (Lazzarato 1998b, Disziplinierung, sondern die Ausnutzung der Krea- S. 53) In dieser höchsten Form der kapitalistischen tivität und Vielfalt der Multitude. Durch die imma- Ausbeutung verliert die Marxsche Unterscheidung terielle Arbeit wird dieses Kontrollsystem für die von Basis und Überbau an Bedeutung, weil “Leben”, Produktion benützt. Es geht darum, dass das Ka- Subjektivität, Gesellschaft und Produktion zu- pital seine Möglichkeiten der Ausbeutung der Ar- sammenfallen. In diesem Zusammenhang wird das beit erweitert hat. Es produziert soziale Beziehun- im Abschnitt über die reale Subsumption beschrie- gen (z.B. Heiratsvermittlungen und Sexarbeiter- bene Wegfallen der Zivilgesellschaft verständlicher. Innen, aber auch das Lächeln der KellnerInnen, in Es ist keine vermittelnde Instanz mehr nötig, das den Büros, in der Werbung), Gefühle (Kultur, Un- Leben ist total dem Kapital untergeordnet. Um- terhaltung, Freizeit), Kommunikation (Telekom- gekehrt ist das herrschende System viel abhängiger munikation, Seminare und Therapien). Das Kapital von der lebendigen Arbeit der Multitude. verwischt die Trennung von Arbeit und Freizeit. Ar- beit wird als Vergnügen definiert, bei der Freizeit ist Hardt/Negri (Empire S. 289-294, vgl. aber auch häufig die Anstrengung wichtig. Das Kapital produ- Hardt 2002) beschreiben drei Aspekte der immate- ziert das ganze Leben, ist eben Biomacht16. riellen Arbeit. Der erste Aspekt betrifft den Informationsfluss zwischen der Fabrik und dem Immaterielle Arbeit Markt. Im fordistischen Modell gibt es eine “stille” Kommunikation mit dem Markt. Es wird eine große Hatten im Fordismus die IndustriearbeiterInnen Anzahl gleicher Produkte produziert, die dann auf in der Herstellung von Konsumgütern eine he- dem Markt abgesetzt werden müssen. Das toyotis- gemoniale Stellung im Produktionsprozess, hat sich tische Modell baut auf der Informatisierung der das im Postfordismus in Richtung der immateriellen Fabrik auf. Es gibt nicht die Wahl zwischen einem Arbeit verschoben. Das bedeutet keineswegs, dass schwarzen Ford T und einem schwarzen Ford T, die industrielle Fertigung verschwunden ist, es ist sondern ich kann einen Toyota in den verschieden- nicht einmal so, dass sie zahlenmäßig abgenommen sten Formen, Farben und Ausstattungen kaufen. Im hat, teilweise besteht sie auch noch in den Metro- Idealfall gibt es keine Lagerbestände, sondern das polen, teilweise wurde sie in den Trikont verlagert. Produkt wird erst produziert, wenn es der Kunde Auch die Landwirtschaft und die Gewinnung von gekauft hat. Es gibt also in der Fabrik eine Rohstoffen sind durch die Industrialisierung nicht Verschiebung weg von der Produktion in Richtung verschwunden, sondern wurden nur abgewertet. Marketing und Werbung. Entscheidend ist eine Allerdings hat sich in großen Teilen die Pro- schnelle Kommunikation zwischen Produktion und duktionsweise in der Landwirtschaft verändert, sie Konsumtion. wurde industrialisiert. Die Verschiebung in Richtung immaterieller Arbeit drückt sich in zwei Der zweite Aspekt beschreibt die Formen der großen Veränderungen aus: Durch die Informati- Arbeit, wo Kommunikation produktiv wird, die mit Zu Hardt/Negris “Empire” Robert Foltin grundrisse_02_2002 seite_11
Symboleingabe in den Computer zu tun haben Kunstbetrieb befriedigt wurden. Jetzt ist die Pro- (Empire S. 290-292, vgl. aber auch Lazzarato duktion von Affekten direkt zum Produkt, zur 3 1998a). Immer häufiger wird von Arbeitskräften Ware geworden. Das wäre tatsächlich in dem Sinn verlangt, dass sie mit den neuen Informations- zu interpretieren, dass das Patriachat zu Ende ist, in- technologien umgehen können. Das betrifft nicht sofern als der Kapitalismus jetzt identisch mit dem nur Berufe, die direkt mit Computern zu tun haben, Patriachat ist. Natürlich ist klar, dass der Zerfall der sondern auch alle möglichen Jobs, auch die in der Familie die geschlechtliche Ungleichverteilung der industriellen Fertigung. Immer mehr Arbeitsgänge Arbeit, der Einkommen etc. nicht beendet hat, son- werden dabei direkt zu Informationsverarbeitung. dern sie nur ins Kapital verschoben wurde. Eine So bedeutet das Auftauchen der immateriellen Ar- Revolution bleibt notwendig und sie kann nur von beit immer mehr auch eine Homogenisierung der der affektiven Arbeit her gedacht werden, sie muss Arbeitsvorgänge. Waren früher verschiedene feministisch sein. Arbeitsgänge und Werkzeuge notwendig, um z.B. Schuhe oder Autos herzustellen, so handelt es sich Die immaterielle Arbeit bewirkt, dass das Ganze jetzt um die gleichen Prozesse der Symboleingabe. der gesellschaftlichen Verhältnisse produktiv wird Wurde bei früheren Arbeitsformen die menschliche (Lazzarato 1998b, S. 63). Damit kommt die kapita- lebendige Arbeit zur abstrakten Arbeit über den listische Aneignung in Legitimationsprobleme, sie Tausch und das Geld, so ist jetzt der Arbeitsvorgang ist abhängig von der Kommunikation, der Krea- selbst abstrakt, da er nur aus Symbolverarbeitung tivität, den sozialen und menschlichen Beziehungen besteht, ganz egal, ob das Produkt etwas Materielles der lebendigen Arbeit. Die Arbeitenden brauchen wie ein Auto ist oder etwas Immaterielles wie ein das Kapital eigentlich nicht mehr. “Gehirne und Lehrgang in Marketing oder das Programm eines Körper brauchen andere, um Wert zu produzieren, neuen Computerspieles. Der Prozess der Informa- aber diese anderen werden nicht notwendiger Weise tionsverarbeitung schafft einerseit neue kreative vom Kapital und seinen Fähigkeiten, die Produktion Jobs, die auch relativ gut bezahlt sind, z.B. Com- zu orchestrieren, zur Verfügung gestellt. Heute puterprogrammiererInnen und WebdesignerInnen, nimmt Produktivität, Reichtum und die Schaffung andererseits aber auch eine neue Schicht schlecht sozialen Mehrwertes Form an durch die kooperative bezahlter Kräfte, deren Hauptaufgabe in der Daten- Interaktivität mit Hilfe sprachlicher, kommunikati- eingabe besteht. Gemeinsam ist aber beiden Grup- ver und affektiver Netzwerke. Im Ausdruck der ei- pen, dass die Produkte Information und Symbol- genen kreativen Energien scheint uns die immateri- eingabe sind. elle Arbeit das Potential für eine Art spontanen und elementaren Kommunismus zur Verfügung zu stel- Der dritte Aspekt ist die affektive Arbeit len.”17 (Empire 292-293, genauer Hardt 2002). “Die affek- tive Arbeit ist heute nicht nur direkt produktiv für Ist im Fordismus das Fließband im Zentrum das Kapital, mehr noch, sie bildet die Spitze in der gestanden, ist es im Informationszeitalter das Netz- Hierarchie der Arbeitsformen” (Hardt 2002, S. 1). werk. Die Produktion ist weniger an Orte gebunden Ein Beispiel dafür sind die ArbeiterInnen im und tendiert dazu, sich über die ganze Welt zu ver- Gesundheitswesen. Obwohl diese Arbeit körperlich teilen. Immer weniger gibt es industrielle Regionen, ist, ist das Produkt der Arbeit eben nicht materiell, die transnationalen Konzerne können die Pro- es ist ein Gefühl der Erleichterung, Wohlbefinden, duktionsanlagen viel leichter von einer Region in die Zufriedenheit, Entspannung etc. Diese Arbeit ist andere verschieben. Da viele Produkte immateriell verbunden mit menschlichem Kontakt. Diese Be- sind, ist auch das Problem des Transports viel gerin- ziehung muss aber nicht zwangsläufig persönlich ger. Information z.B. lässt sich innerhalb von Se- sein, sondern kann auch virtuell sein (z.B. in der kunden von der einen Seite des Erdballs auf die an- Unterhaltungsindustrie, wo Filme oder Musik- dere verschieben (vgl. Empire S. 294-295). Im Zu- stücke produziert werden). Affektive Arbeit, also sammenhang mit der immateriellen Arbeit habe ich menschliche Interaktion und Kommunikation spielt die Mikrostruktur der Herrschaftserhaltung be- inzwischen in verschiedensten Bereichen eine große schrieben, im Folgenden möchte ich auf die welt- Rolle, vom Fast-Food-Betrieb bis zu den weite Struktur der Machtausübung und Organisa- FinanzdienstleisterInnen. Selbst in “normalen” Jobs tion der Ausbeutung, die Struktur des Empire ein- wird immer größerer Wert auf die sozialen und gehen. kommunikativen Fähigkeiten gelegt. Es ist klar, dass es diese affekte Arbeit immer gegeben hat, aber Empire außerhalb des Ausbeutungsverhältnisses durch das Kapital und daher “wertlos”. Der Kapitalismus pro- Die Entwicklung vom Imperialismus in Rich- fitierte vorher nur indirekt davon, als diese Bedürf- tung Empire lässt sich an drei Mechanismen festma- nisse in Institutionen wie in den Familien oder im chen: Entkolonialisierung, Dezentralisierung der Robert Foltin Zu Hardt/Negris “Empire” seite_12 grundrisse_02_2002
Produktion und die Ausbreitung des Dis- nicht, dass es keine Regulation ziplinarsystems (Empire S. 244-249). Die erste mehr gibt, sondern dass sich ein Phase der Dekolonisierung ist davon geprägt, dass System entwickeln muss, das auf 3 sich die USA so verhielten wie die alten Kolo- eine gewisse Weise wie ein Gesamt- nialmächte, indem sie die Ausbreitung des “Kom- kapitalist agiert, eben das “Empire”. munismus” mit Waffengewalt verhinderten. Nach So eine Struktur der überstaatlichen dem Vietnamkrieg hat sich die Machtausübung auf Konstitution ist dabei, vor unseren den Dollar verlagert. IWF und Weltbank spielen Augen sichtbar zu werden (Der jetzt die entscheidendere Rolle bei der Beein- erste Satz des Buches lautet: flussung der Staaten im Trikont. Auch die Dezen- “Empire is materializing before our tralisierung läuft in zwei Phasen ab. Die erste Phase very eyes.” Empire, S. XI). Die war geprägt vom ungleichen Tausch zwischen unter- Hierarchie der Machtausübung ist geordneten Regionen und den dominierenden in drei Bereiche (“tiers”) gegliedert (westlichen) Staaten. Ab den siebziger Jahren ver- (Empire S. 309-314). An der Spitze ändert sich das, transnationale Konzerne verlagern des obersten Bereiches stehen die große Teile der Produktionen in Weltmarktfabriken USA als einzige noch bestehende und freie Produktionszonen des Südens. Mit der Supermacht, die über die Ausübung Entkolonialisierung und der Verlagerung von von Gewalt entscheidet, manchmal Fabriken beginnt auch die Ausdehnung des alleine, bevorzugt in Zusammen- Disziplinarregimes auf die ganze Welt18. In einigen arbeit mit anderen Staaten oder auch wenigen Teilen der Welt wird die Massen- unter der Schirmherrschaft der Ver- mobilisierung für den Befreiungskampf in eine einten Nationen20. Im gleichen Be- Mobilisierung für die Produktion umgewandelt reich befindet sich die Gruppe der (z.B. in China, in Kuba, in Vietnam). In anderen Re- Nationalstaaten, die durch eine gionen des Trikont wird die Fabrikdisziplin des Reihe von informellen Zusammen- “New Deal” transportiert, in einem sehr begrenz- schlüssen verbunden sind. Diese tem Ausmaß allerdings die hohen Löhne und die Zusammenhänge werden teilweise Sozialleistungen. Verbunden ist das mit einer mas- durch formale und informelle Tref- senhaften Entwurzelung der BäuerInnen und dem fen hergestellt - die G7, aber z.B. Anwachsen der Megastädte, der Steigerung der auch die WEF-Treffen von Davos, Anzahl von ProletarierInnen, die für die New York. Diese Strukturen domi- Ausbeutung bereitstehen. nieren auch solche internationalen Organisationen wie die WTO Viele Linke diskutieren im Zusammenhang mit (World Trade Organisation) oder dem Siegeszug des “Neoliberalismus” in den letzten den IWF (Internationaler Weltwirt- Jahrzehnten über die Beziehung zwischen Staat und schaftsfonds). Der zweite Bereich Kapital. Mit der “Globalisierung” entstehen immer wird von den Netzwerken des wieder Wünsche zu einer neuen Regulierung durch Transnationalen Kapitals gebildet. die Nationalstaaten19. Der Staat hatte immer die Dieser Bereich ist tatsächlich über Funktion, als Gesamtkapitalist gegen die Interessen die ganze Welt verbreitet, er ist ver- der EinzelkapitalistInnen zur wirken. Dabei war die antwortlich für die neue Geographie Einschränkung der Einzelkapitalien durch den Staat von Macht und Ausbeutung. Ver- zeitweise größer, zu anderen Zeiten kleiner. Z.B. bunden mit diesem Bereich sind die konnte die East India Company bis zu den Auf- (untergeordneten) Nationalstaaten, ständen 1857 weitgehend machen was sie wollte, da- sie bilden einen Filter für den globa- nach wurde sie durch staatliche Maßnahmen einge- len Fluß des Reichtums, es ist nicht schränkt und eine voll funktionierende koloniale so, dass sich das Kapital völlig un- Administration eingesetzt (Empire S.306). Die Rol- kontrolliert verhalten kann. Die le des Staats in den Metropolen nach dem zweiten Basis der Pyramide bilden die Orga- Weltkrieg als Antwort auf die revolutionären Be- nisationen, die die nicht vertretba- drohungen (und die Krise dieses “Planstaats” in den ren Menschen, die Bevölkerungen, 60er und 70er Jahren) war ein beliebtes Thema der die Multitude in eine repräsentier- operaistischen Diskussion (Negri 1972a, 1972b, bare Form bringen21. Einerseits han- 1973, 1977, vgl. oben die Diskussion um den New delt es sich dabei noch um die Deal). Nationalstaaten, die ihr “Volk” z.B. in den Vereinten Nationen vertre- Der Siegeszug der transnationalen Konzerne ten. Sie sind aber inzwischen nicht über und außerhalb staatlicher Kontrolle bedeutet mehr die einzige Form zur Or- Zu Hardt/Negris “Empire” Robert Foltin grundrisse_02_2002 seite_13
ganisation der Basis der Pyramide, der Multitude. Es bleme, ohne sie lösen zu können (Empire S. 198- gibt die VertreterInnen der Zivilgesellschaft, die 201) Ich möchte das am Beispiel der Interventionen 3 direkt weder von Staaten noch vom Kapital abhän- in Jugoslawien darstellen. Das integrierende Ele- gig sind. Traditionelle Komponenten davon, die ment war und ist der Diskurs über die Multi- schon länger existieren, sind die Medien und die nationalität. Überall von den NGOs über die Me- verschiedenen religiösen Gemeinschaften. So ver- dien bis zu den PolitikerInnen wird verkündet, dass stehen sich christliche und islamische Fun- das Ziel des Westens in Jugoslawien die Mult- damentalismen als Gemeinschaften, die über die inationalität sei. “Die Serben” seien der Feind dieser Grenzen der Nationalstaaten hinausgehen. Eine Vielfalt. Schon innerhalb dieses Multinationalismus- relativ neue Erscheinung, aber inzwischen interna- Diskurses drückt sich das zweite, das differenzie- tional am bedeutendsten sind die so genannten rende Moment aus. In den zuerst indirekten Inter- Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs). Ihre ge- ventionen in Kroatien und Bosnien (durch NGOs, naue Definition und genaue Eingrenzung ist schwer aber auch durch Bewaffnung unter Umgehung des festzumachen. Sie agieren sowohl auf lokaler, natio- UNO-Embargos) wurden die westlich orientierten, naler und übernationaler Ebene. Manche haben tra- dabei im Vergleich zu Restjugoslawien weitaus eth- ditionell gewerkschaftliche Funktionen (gerade weil nozentrischeren Strukturen in Kroatien und die traditionellen Gewerkschaftsorganisationen an Bosnien unterstützt. Dadurch wurde der Konflikt die Nationalstaaten gebunden sind), einige sind mit auf die Spitze getrieben und der Westen, an der religiösen Gruppen verbunden (Hilfsorganisationen Spitze die USA, sahen sich gezwungen, militärisch der katholischen Kirche oder fundamentalistischer zu intervenieren und mit dem Vertrag von Dayton protestantischer Sekten), viele verstehen sich als eine internationale Verwaltung zu installieren. Organisationen, die Bevölkerungen vertreten, die Gelöst wurde nichts, die Probleme wurden in die ihren Platz nicht innerhalb nationalstaatlicher Re- nächste Region weitergetragen. Im Kosovo wurde präsentationen finden (Frauen, Homosexuelle, indi- wieder behauptet, die Vielfalt zu unterstützen, um gene Bevölkerungen). Ein Teil dieser Organi- dann in einer militärischen Intervention einen eth- sationen spielt eine besondere Rolle, weil sie sich als nisch reinen Kosovo zu schaffen. In Kürze wird wo- Menschenrechtsorganisationen um Bevölkerungs- möglich mit Hilfe des Westens der vorletzte multi- gruppen kümmern, die an der Grenze der Existenz nationale Staat, nämlich Mazedonien, zerstört. Es leben. Die bekanntesten davon sind Amnesty Inter- stellt sich die Frage, wie lange noch Jugoslawien als national, Human Rights Watch, Médicins sans fron- multinationaler Staat die drei Momente Integration, tières. Sie verteidigen das nackte menschliche Leben Differenzierung und Verwaltung überstehen wird22. der Gefolterten, der Hungernden, der Massakrier- ten, der Gefangenen etc. Sie sind die feinsten Enden Zum Abschluß dieses Abschnittes möchte ich der Netzwerke des Empire, sie sind der Humus der noch einige Anmerkungen zum Anschlag auf das Biomacht. Darin zeigt sich wieder die Ambivalenz World Trade Center am 11. September 2001 und den der Organisation des Empire, es produziert Leben darauf folgenden “Krieg gegen den Terrorismus” und Tod. machen. Die TerroristInnen haben nur ein von ihnen projiziertes Zentrum des Empire getroffen, Die in der Pyramide dargestellte Hierarchie der bei New York handelt es sich zwar um einen Ort, an Machtausübung existiert aber nur in gegenseitiger dem mehr Privilegierte leben als z.B. in Pakistan, Abhängigkeit. Tatsächlich sind alle Bereiche nötig aber der heutige Kapitalismus hat kein Zentrum und vermischt oder hybrid. Um Interventionen mehr. Auch die USA sind mehr mit einer Polizei durchzuführen, haben die USA z.B. die größten vergleichbar, die ja auch innerhalb der National- Möglichkeiten (Finanzen und Drohpotentiale), staaten eine rechtlich privilegierte Position einnim- aber in der Regel ist es unmöglich, wenn nicht ein mt. Der Krieg gegen Afghanistan und in eventuell Konsens mit den anderen Strukturen hergestellt noch folgenden Regionen ist nicht mehr als eine wird. Gerade die NGOs haben mehr Einfluß, als es Polizeiaktion. Es gibt nichts mehr, was außerhalb die Darstellung als Basis der Pyramide suggerieren des Empire liegt, Feinde kann es nur noch als Ver- würde. Jede militärische Intervention in den letzten brecher geben. Dadurch kann es auch keinen Frie- Jahren hat als moralische Intervention der NGOs densschluß mehr geben, sondern nur ein Scheitern angefangen, gerade diese NGOs bereiteten (ge- oder die Vernichtung des Feindes23. meinsam mit den Medien) die “gerechten Kriege” vor (Empire S. 36-37). An den Rändern des Empire, Multitude dort wo Interventionen stattfinden, ist die Funk- tionsweise des Systems am deutlichsten zu erken- In der logischen Abfolge hätte eigentlich dieser nen. Krisen entstehen und werden “gelöst” durch Abschnitt vor dem vorigen stehen sollen, denn es ist ein dreifaches Paradigma: das Empire integriert al- die Multitude, die Vielfalt der Wünsche und Be- les, differenziert es und verwaltet dann die Pro- dürfnisse, die durch ihre Kämpfe und ihren Wider- Robert Foltin Zu Hardt/Negris “Empire” seite_14 grundrisse_02_2002
stand den Kapitalismus Richtung Empire (und dar- arbeiterIn. Theoretisiert wurde das vorerst, indem über hinaus) treibt. Die Multitude war und ist die von der fabricca diffusa, der verteilten Fabrik ge- Subjektivität, die in Konfrontation mit der Realität sprochen wurde und der Begriff der “gesellschaft- 3 der herrschenden Gesellschaft steht und dabei über lichen ArbeiterInnen” wurde entwickelt (Über die die Bedingungen dieser Existenz hinausgeht. Sie ist Beziehung zwischen der Revolte 1977 und den das Subjekt des Kampfes um Freiheit Umstrukturierungen in Staat und Gesellschaft, vgl. (Macchiavelli), Wunsch (Spinoza) und lebendiger Virno 1998). Mit dem Erkennen und der Analyse Arbeit (Marx)24. Im folgenden möchte ich den Be- der neuen Arbeitsverhältnisse, der immateriellen griff Multitude zuerst negativ in Abgrenzung von Arbeit und der Ausbreitung der kapitalistischen “Volk” und “ArbeiterInnenklasse” festmachen und Verwertung, der realen Subsumption nicht nur von anschließend an konkreten Beispielen die Struktur Arbeit wurde ein neuer Begriff gefunden, eben der positv bestimmen. Begriff der Multitude. Das “Volk” (auch in seinem weniger “völkisch” Im Fordismus war die ArbeiterInnenklasse in gesehenen englischen Begriff “people”) ist ein Pro- der tayloristischen Fabrik tatsächlich der der “pro- dukt des modernen Nationalstaates (zum Folgen- duktive” Teil der Multitude. Die Institutionen Fa- den vgl. Empire S. 101-105, vgl. auch Hardt/Negri brik und Familie wirkten tatsächlich homogenisie- 2001). Das Volk tendiert dazu, homogen und selbst- rend. Auch der Konsum für die “Massen”, von der identisch zu sein, es ist notwendig zur Konstitution Freizeitgestaltung über den Urlaub bis zu Auto der Souveränität des Nationalstaates. Völker defi- spielte eine vereinheitlichende Rolle. Von der Ar- nieren sich immer in Abgrenzung zu einem An- beiterInnenklasse abgetrennt existierten die Teile, deren. Insofern sind sie auch implizit rassistisch: es die dem Kapital nur formell subsumiert waren, die gibt immer eine Tendenz zur Vereinheitlichung Hausfrauen in der Familie, die Menschen in den dis- (entweder durch Assimilation und Ausgrenzung) ziplinierenden Institutionen wie Schule oder Ge- und zur rassischen oder kulturellen Minderbe- fängnis. Menschen, die von der Norm abwichen (z. wertung der anderen. Die Multitude ist im Gegen- B. Homosexuelle) wurden aus der fordistisch struk- satz dazu eine Vielzahl von Singularitäten, eine turierten Gesellschaft ausgeschlossen. Die “Ar- Menge von Individualitäten, eben nicht homogen beiterInnenklasse” spielte in dieser Zeit tatsächlich und darum auch nicht zur Abgrenzung zu Anderen eine zentrale Rolle in der Produktion von Wert und gezwungen. Jede Nation muss eine Multitude in das im Widerstand gegen den Kapitalismus. Die verein- Volk umwandeln. Das Konzept der Nation war in heitlichte Kultur der ArbeiterInnenbewegung, teil- der französischen Revolution eine erste Hypothese weise identisch mit dem fordistischem Dis- zur Konstruktion der Hegemonie der Bevölkerung ziplinierungsregime verhinderte aber eine vollkom- gegen die herrschende Monarchie. Danach war die mene Befreiung der Multitude26. Nation und das Volk eine reaktionäre Antwort auf das Trauma der Umwälzung durch die französische Die ArbeiterInnenklasse hat ihre Repräsentation Revolution. Der König wurde geköpft, weil er die innerhalb des Nationalstaates gefunden, die linken Bevölkerung verloren hat, Napoleon wurde gekrönt Parteien und die Gewerkschaften, die das Subjekt und hat ein Volk gewonnen. Die Multitude wurde in ArbeiterInnenklasse gegenüber dem keynesianisti- ein Volk vereinheitlicht25. schen Staat vertreten haben. Das bedeutet das Zurückdrängen der Subjektivität zugunsten der In der operaistischen Diskussion der 70er-Jahre Subjektwerdung im kapitalistischen Staat (vgl. war immer von der ArbeiterInnenklasse als der oben, die Rolle des New Deal). Daneben hat es im- Subjektivität gegen das Kapital die Rede (vgl. oben). mer eine nicht repräsentierte Autonomie der Diese Theorien waren auf die Fabrik bezogen. In ArbeiterInnen gegeben, den spontanen Widerstand dieser Phase zeichnete sich schon eine Umstruk- auf individueller und kollektiver Ebene, der zeit- turierung ab: Als Antwort auf die Arbeiter- weise die Gewerkschaften in Auseinandersetzungen Innenkämpfe löst sich die Fabrik teilweise auf, brei- mit dem Kapital getrieben hat. Was dann aber wie- tet sich zugleich aber auf die Gesellschaft aus (reale der die Integration ins repräsentationelle System Subsumption). Parallel dazu ist die Revolte von bedeutete27. Selbst innerhalb des starren Blocks der 1977 in Italien ausgebrochen, die vor allem Jugend- fordistischen ArbeiterInnenklasse hat die Multitude liche außerhalb der Fabriken mobilisierte und mit in Form der ArbeiterInnenautonomie ihren Aus- Aneignungsformen in der Reproduktionssphäre druck gefunden. verbunden war (Plünderung von Supermärkten, Hausbesetzungen). Schon seit Anfang der 70er Wie oben beschrieben, wird im Postfordismus Jahre haben auch Feministinnen die Beschränktheit die ganze Gesellschaft produktiv. Als Antwort auf der Diskussion auf die “produktive” Arbeit klarge- die Subjektivität der Multitude in den Kämpfen macht: ArbeiterIn bedeutet mehr als Fabrik- nach 68 wurden die Arbeitsverhältnisse verändert, Zu Hardt/Negris “Empire” Robert Foltin grundrisse_02_2002 seite_15
aber es mussten auch neue Wege der herrschenden Institutionen fühlen, zeigen die Ver- Institutionalisierung der Multitude suche im öffentlichen Diskurs, das Nicht-Re- 3 gefunden werden. Im Empire haben präsentierbare sichtbar zu machen und zu verein- die Institutionen der ArbeiterInnen- heitlichen. Ein Mittel dazu ist die Gewaltfrage. Mit bewegung ihre Bedeutung verloren, dem einen Teil der Multitude sollen Gespräche ge- weil die Hegemonie auf die immate- führt werden, sie sollen in kontrollierbare (wenn rielle Arbeit übergegangen ist. So auch vielleicht nur informelle) Institutionen wie das Empire erst in seiner Phase verwandelt werden. Für den anderen Teil, der sich der Konstitution ist, so sind es auch weigert, sich in kommunikative Bahnen lenken zu die Institutionen zur Integration der lassen, wird sogar eine Repräsentation konstruiert: Multitude, die Verwandlung von Sie sind der “schwarze Block”. Subjektivität in ein Subjekt ist erst in den Anfangsstadien. Eine ent- Ein weiteres Beispiel für die Nicht-Re- scheidende Rolle, um zu einer Re- präsentierbarkeit von Revolten der Multitude ist die präsentation des Nicht-Repräsen- Bewegung nach der Regierungsbildung in Öster- tierbaren zu kommen, spielten dabei reich im Februar 2000. Der Ausbruch von Militanz der Diskurs um die “Zivilgesell- am 4. Februar 2000 war von niemanden organisiert, schaft” und die NGOs. Insbe- er wurde von niemand erwartet. Die Demokratische sondere zu Beginn der 90er Jahre Offensive wollte sich als repräsentativ verstehen scheint die Vielfalt der sozialen Be- und sagte eine Demonstration ab, zu der sie gar wegungen bereits fest in institutio- nicht aufgerufen hat. Die täglichen und später nalisierter Hand zu sein. Dabei wöchentlichen Demonstrationen ließen sich dann meine ich weniger die grünen Par- weder von der Staatsmacht lenken noch von linken teien, die sich kaum mehr von den oder revolutionären Gruppen. Nur die Groß- anderen Parteien unterscheiden28, demonstation am 19. Februar verlief in einem insti- sondern die bereits erwähnten tutionalisierten Rahmen der traditionellen Politik NGOs. Nicht umsonst gibt es einen mit Prominenten auf der Bühne und einer passiven Reigen von internationalen Kon- Masse im Publikum. Für die spontanen De- ferenzen, die sowohl von Politiker- monstrationen stimmt auch nicht, dass sie sich für Innen wie von RepräsentantInnen einen Regierungswechsel benutzen lassen würden. nicht-staatlicher Organisationen be- Im Gegenteil, immer wieder wurden aktuelle Er- sucht werden (Klimakonferenzen, eignisse, z.B. rassistische Übergriffe aufgegriffen, Frauenkonferenzen, eine Reihe von die sich gegen die staatlichen Institutionen im All- der Veranstaltungen aller möglicher gemeinen richteten und nicht von den zufälligen UNO-Unterorganisationen). Personen oder Parteien in der Regierung abhängig sind. Diese Bewegung ist zwar bis auf Reste wieder Die Strukturen des Empire unsichtbar geworden, aber es wurde die Grundlage schaffen aber wieder neue Mög- für einen nächsten Ausbruch gelegt. Es ist bis jetzt lichkeiten für Revolten, die Multi- niemanden gelungen, sie zu institutionalisieren und tude findet neue Wege, ihre Wün- in repräsentierbare Bahnen zu lenken. sche im und gegen das System aus- zudrücken. So legten gerade diese Aufstand und konstituierende Macht NGO-Strukturen die Grundlage für einen nächsten Kampfzyklus, der in Mit der realen Subsumption von Arbeit und den Auseinandersetzungen in Gesellschaft unter das Kapital ist auch der (illusori- Seattle im November 1999 erstmals sche) Wunsch einer emanzipatorischen Utopie weltweit sichtbar wurde und in den außerhalb des Kapitals verschwunden. Da die Aus- Protesten gegen den G8-Gipfel in beutung und Machtausübung innerhalb des Empire Genua im Juli 2001 einen ersten organisiert wird, gibt keine Möglichkeit mehr, eine Höhepunkt gefunden hat. Die Befreiung zu erwarten, wenn eine Bürokratie die Vielfalt der Aktionsformen und die Fabrik übernimmt oder eine revolutionäre Partei Unterschiedlichkeit der sozialen einen Staat. Es gibt kein Außerhalb mehr. Zugleich Gruppen, die sich an den Demon- hat sich durch die Verschiebung der Hegemonie hin strationen beteiligten, war die tat- zu immaterieller Arbeit die Abhängigkeit des sächliche Bedrohung für die herr- Empire von der Lebendigkeit und Kreativität der schende Konstitution und nicht die Multitude verstärkt. Haben früher die Unter- Gefahr des Eindringens in die Rote nehmerInnen eine organisierende Funktion und der Zone in Genua. Wie bedroht sich die Staat eine vermittelnde zwischen den sozialen Robert Foltin Zu Hardt/Negris “Empire” seite_16 grundrisse_02_2002
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