Robert Foltin Immaterielle Arbeit, Empire, Multitude. Neue Begrifflichkeiten in der linken Diskussion. Zu Hardt/Negris "Empire".

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              Robert Foltin
              Immaterielle Arbeit, Empire, Multitude. Neue
              Begrifflichkeiten in der linken Diskussion.
              Zu Hardt/Negris “Empire”.
                    Das Buch “Empire” von Michael Hardt und                Die Theorie, auf die sich “Empire” bezieht, wird
                Antonio Negri ist im Jahr 2000 erschienen, ge-         oft als “Postoperaismus” bezeichnet. Sie bezieht
                schrieben wurde es in den neunziger Jahren des         sich auf eine Strömung im Italien der sozialen Bewe-
                zwanzigsten Jahrhunderts, zwischen dem Golfkrieg       gungen in den Sechziger- und Siebzigerjahren, die
                1991 und der Bombardierung Jugoslawiens 1999. Im       als Operaismus2 bezeichnet wurde. Die Grundthese
                Jahr 2001 wurde das Buch zu einem Bestseller           (wo sich diese Theorie von den anderen linken Strö-
                (“Empire war ein Schläfer. So heißt im amerikani-      mungen unterscheidet) besteht darin, dass die
                schen Verlagsjargon ein Buch, das lange in den Re-     Kämpfe der ArbeiterInnenklasse als der Motor der
                galen liegt - und plötzlich die Bestsellerlisten       kapitalistischen Entwicklung gesehen werden. Im
                stürmt.” NZZ 10./11.11. 2001), inzwischen wird         Zusammenhang mit den damals aktuellen Kämpfen
                dieses Buch nicht nur in der Linken diskutiert, son-   wurden auch Veränderungen der kapitalistischen
                dern es wird im akademischen Bereich rezipiert und     Organisation beobachtet und zwar in dem Sinne,
                selbst Konservative sehen sich gezwungen, sich da-     dass sich die Fabrik in die Gesellschaft ausdehnt,
                mit auseinanderzusetzen1.                              aber auch die Gesellschaft in die Fabrik eindringt.
                                                                       Ein Analysekriterium, mit dem das erfasst wird, ist
                    Es gibt verschiedene Erklärungen für den Erfolg    das der realen Subsumption (Unterordnung) im
                dieses Buches. Es mag daran liegen, dass ein ameri-    Gegensatz zur formalen Subsumption. Formale
                kanischer Literaturprofessor gemeinsam mit einem       Subsumption bedeutet Unterordnung nichtkapita-
                Theoretiker der italienischen “Autonomen”, der         listischer Produktionsweisen unter den Kapi-
                noch dazu des Terrorismus beschuldigt wurde, ein       talismus, reale die Organisation der Ausbeutung
                Buch schreibt, das das europäische Wissen von          durch den Kapitalismus. Die vollkommene Unter-
                Spinoza über Marx bis zur Postmoderne versam-          ordnung aller gesellschaftlichen Teile ist typisch für
                melt; wo radikales Denken mit europäischer             das Empire, die aktuell sich entwickelnde Herr-
                Wissenstradition und angloamerikanischem Wissen-       schaftsstruktur des Kapitalismus. Die National-
                schaftsstil verbunden wird. Ein zusätzliches Argu-     staaten haben einen großen Teil ihrer Funktion zur
                ment ist, dass in der globalen Protestbewegung ein     Integration sozialer Gruppen und Bewegungen ver-
                Hunger nach Theorie herrscht, der auf eine fundier-    loren, sodass eine neue Konstitution zur Organisa-
                te, aber auch begeisternde Weise befriedigt wird. Im   tion von Unterdrückung und Ausbeutung notwen-
                folgenden werde ich einige Grundzüge der Theorie       dig wurde. Diese ist informeller, internationaler und
                vorstellen, auf denen dieses Buch aufgebaut ist.       netzwerkartiger als die nationalstaatliche Orga-

    Robert Foltin                      Zu Hardt/Negris “Empire”
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nisation. Die Entwicklung Richtung Empire ist ver-     KapitalistInnen - des Kapitals sehen. Als eine
bunden mit einer Veränderung der Arbeits-              Initialzündung kann ein Artikel von Panzieri 1961
verhältnisse. Im Fordismus ist die industrielle        (Panzieri 1985) über die Beziehung der Arbeiter-                  3
Fabrikarbeit im Zentrum gestanden. Diese hegemo-       Innen zur Maschine gelten. Dabei wird die Unter-
niale Funktion hat jetzt die immaterielle Arbeit       ordnung der lebendigen Arbeit (die menschliche
übernommen, die Produkte (und Waren) dieser            Arbeitskraft) unter die tote (das konstante Kapital,
Arbeitsverhältnisse sind Wissen und Kom-               die Maschine) beschrieben, der Einsatz der Maschi-
munikation, aber auch Gefühle und Beziehungen.         nerie gegen die (lebendige) Arbeit5 (vgl auch
Diese Veränderungen werden manchmal als Über-          Grundrisse S. 582-592). Mario Tronti erweitert in
gang zur Dienstleistungsgesellschaft beschrieben,      seiner Analyse den Blickwinkel auf die Entwicklung
was aber die neuen Arbeitsverhältnisse nur begrenzt    der Produktivkräfte im Allgemeinen (Tronti 1974).
erfasst. Was die Entwicklung der Gesellschaft, den     Die Verkürzung des Arbeitstages wird als Ergebnis
Kapitalismus in Richtung Empire vorangetrieben         der Arbeitskämpfe wie der sozialen Auseinander-
hat, ist die Vielfalt der Wünsche und Bedürfnisse      setzungen im Allgemeinen beschrieben (Tronti
der Menschen, die sich in (individuellen und kollek-   1974, S. 165ff ,vgl. MEW 23, S. 245-330): Wenn der
tiven) Revolten ausdrücken und von Negri/Hardt         Arbeitstag verkürzt wird, der Profit für die Kapi-
als Multitude3 bezeichnet werden. Dieser Begriff       talistInnen aber gleich bleiben soll, kann das nur
wird in Abgrenzung zu nationalistischer oder son-      durch die Steigerung der Produktivkraft der Arbeit
stiger Identitätsbildung, aber auch zum Begriff der    passieren. Insofern ist die logische Folge sowohl die
ArbeiterInnenklasse der traditionellen sozialisti-     Umstrukturierung der Organisation der Arbeit wie
schen und kommunistischen Parteien festgelegt.         auch der Einsatz von neuen technologischen
Der Kapitalismus, das Empire kann nur weiterexis-      Möglichkeiten. So werden die Klassenkämpfe als
tieren, indem es die emanzipatorischen Elemente        der Motor der kapitalistischen Entwicklung inter-
der Kämpfe der Multitude in sich aufgenommen           pretiert (Tronti 1974, S. 173). Solange der Kapi-
hat. Einerseits wird erkannt, dass alle Kämpfe ins     talismus (und der Klassenkampf) besteht, stellt sich
herrschende System integriert werden, andererseits     die Frage von Sieg und Niederlage in einer Schlacht
wird immer offensichtlicher, dass das System vom       nicht. Eine Niederlage der ArbeiterInnenklasse be-
Wissen, von der Kreativität, den Gefühlen und der      deutet auch eine Niederlage für das Kapital, weil es
Lebendigkeit der Multitude abhängig ist. Die           in Passivität verharrt, und ein Sieg der
Multitude ist Teil des Empire, und zugleich revol-     ArbeiterInnenklasse ist eigentlich eine Niederlage,

tiert sie immer dagegen. Um die herrschenden           weil das Kapital die Produktivkräfte weiterentwik-
Strukturen zu überwinden, sollte jeder Widerstand      kelt und die Ausbeutung verbessert (Tronti 1974 S.
gleich auch als Aufstand und konstituierende           174). Die Entwicklung der Produktivkräfte, getrie-
Macht gedacht werden. Unter konstituierender           ben von der ArbeiterInnenklasse, führt in der Kon-
Macht sind Elemente einer konkreten Utopie zu          sequenz zur Selbstauflösung des Kapitals und zur
verstehen, die sich in den Auseinandersetzungen der    Befreiung der Arbeit. “Als das rastlose Streben, nach
Multitude mit dem Empire, mit dem Kapitalismus         der allgemeinen Form des Reichtums treibt aber das
herausbilden.                                          Kapital die Arbeit über die Grenzen der Not-
                                                       wendigkeit hinaus und schafft so die materiellen
Operaismus                                             Elemente für die Entwicklung der reichen Indi-
                                                       vidualität, die ebenso allseitig in ihrer Produktion
   In Abgrenzung von der traditionellen Linken,        als Konsumtion ist und deren Arbeit daher auch
aber auch in Zusammenhang mit so genannten “Ar-        nicht als Arbeit, sondern als volle Entwicklung der
beiteruntersuchungen” wurde von italienischen          Tätigkeit selbst erscheint, in der das Natur-
Theoretikern eine neue Interpretation der Texte von    notwendige in ihrer unmittelbaren Form ver-
Marx gesucht4. Dabei wurde die Arbeiter-               schwunden ist.” (Grundrisse S. 231). Die Produk-
Innenklasse als Subjekt ins Zentrum gestellt im        tivität der lebendigen Arbeit, die zuerst dem Kapital
Gegensatz zu anderen marxistischen Theoretiker-        äußerlich ist, geht sukzessive auf das Kapital über.
Innen, die eine Weiterentwicklung des Kapitalismus     “Die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit
nur als inneres Moment - in der Konkurrenz der         wird als Arbeiterklasse gesellschaftliche Pro-

                                                Zu Hardt/Negris “Empire”                               Robert Foltin
grundrisse_02_2002                                                                                             seite_7
duktivkraft des Kapitals. Die Arbeiter treten als Ar-    für soziale Bewegungen und die kapitalistische Ant-
              beiterklasse ins Kapital ein und werden als solche       wort darauf bringen.
3             auf ein Teil des Kapitals reduziert. Das Kapital aber
              hat jetzt seinen Feind im Inneren.” (Tronti 1974, S.         Die Oktoberrevolution 1917 in Russland, ver-
              107). Der Antagonismus der ArbeiterInnenklasse           bunden mit den Kämpfen und revolutionären Be-
              drückt sich jetzt in totaler Separation aus, im          wegungen in der ganzen Welt, oft als “kommunisti-
              “Kampf gegen die Arbeit” als Streik, Sabotage, mit       sche Bedrohung” bezeichnet, hat zur Anerkennung
              individuellen Formen der Arbeitsverweigerung. Im         der ArbeiterInnenklasse (Multitude) als Subjekt ge-
              Fordismus wurde erkannt, dass die Entwicklung des        führt, zu einen “New Deal” in den Metropolen des
              (Gesamt)kapitals von diesem Antagonismus abhän-          Westens (vgl Empire S. 240-244, aber z.B. auch
              gig ist. Die Nicht-Arbeit wird in der Form des Kon-      Negri 1972a). In der Zwischenkriegszeit war der
              sums in die Form des geordnten Klassenkampfes            Kapitalismus in der Krise, ist an die Grenze seiner
              einbezogen: hohe Löhne, Produkte, die sich die           Möglichkeiten gekommen. Die egoistischen Ein-
              ArbeiterInnen leisten können, “New Deal” (vgl.           zelinteressen der Kapitalien führten zur Depression
              unten).                                                  nach 1929 und eine Überwindung der Krise durch
                                                                       eine verschärfte Ausbeutung war durch die Stärke
                 Krisen sind Antworten des Kapitals auf Kampf-         der ArbeiterInnenbewegung und der sozialrevolu-
              zyklen der Multitude. Die EinzelkapitalistInnen          tionären Aufstandsbewegungen von den USA und
              haben nur ein Interesse an der Profitmaximierung,        Deutschland über China bis Spanien unmöglich. In
              darum ist die erste Antwort des kapitalistischen         Deutschland und Italien führte das zum
              Staates, der als Gesamtkapitalist agiert, die Re-        Nationalsozialismus und Faschismus, nur die USA

              pression. Erst in der Krise und durch die Krise ist es   führten den “New Deal” ein8. Die Anerkennung der
              für den Gesamtkapitalisten in Form des Staates           Subjektivität der Klasse drückte sich in der An-
              möglich, die gesamtgesellschaftlichen Strukturen zu      erkennung sozialer Kräfte und durch deren Teil-
              verändern, so dass die Ausbeutung auf einer neuen        nahme (besonders der Gewerkschaften) an staat-
              Ebene funktioniert (über die Rolle des Staates bei       lichen Institutionen aus, aber auch in wirtschaft-
              der Entwicklung des Sozialstaates als Antwort auf        lichen Maßnahmen und Regulierungen: Die
              den Kampfzyklus, der in den weltweiten Kämpfen           ArbeiterInnen wurden als KonsumentInnen aner-
              und Auseinandersetzungen nach der Oktober-               kannt, Hochlohnpolitik und Wohlfahrtsstaat erhöh-
              revolution 1917 gipfelte vgl. Negri 1972a, 1972b,        ten die Nachfrage nach Produkten. Nach dem Sieg
              1973, 1977). Von den operaistischen Theoretikern         über die Achsenmächte wurde der “New Deal” nach
              wurde der Marx´sche Satz von der Geschichte als          Europa und Japan getragen und bildete dort die
              Geschichte von Klassenkämpfen ernst genommen6.           Basis für das Wirtschaftswunder der 50er Jahre. Die
                                                                       weltweite Umstrukturierung in Richtung Sozial-
                  Was Tronti und andere (z.B. auch Toni Negri) im      staat (und Empire) wurde erst nur durch Krise und
              Diskurs der operaistischen Linken für die Bezie-         Krieg möglich9. Dieses Regime des modernen Wohl-
              hung zwischen ArbeiterInnenkämpfen und Kapital           fahrtsstaates besteht aus der Trinität von Tayloris-
              beschreiben, lässt sich auf andere gesellschaftliche     mus, Fordismus und Keynesianismus. Taylorismus
              Entwicklungen ausweiten. In diesem Zusam-                ist die Organisation der Arbeit durch die Aufteilung
              menhang wird auch der ambivalente Charakter der          der Arbeitsschritte, typischerweise am Fließband.
              kapitalistischen Umstrukturierungen stärker be-          Der Fordismus beruht auf der Erzeugung von Mas-
              tont: Es geht nicht nur um die Repression durch die      senprodukten (meist Konsumgüter wie Autos oder
              Umstrukturierung. Um die ArbeiterInnen (oder die         Fernseher), die sich die “Massen” leisten können
              Multitude) zu disziplinieren und zu kontrollieren,       und der Zahlung hoher Löhne. Der Keynesianismus
              ist es auch notwendig, die emanzipatorischen und         ist die makroökonomische Theorie, die die Gesel-
              positiven Elemente der Kämpfe aufzunehmen, das           lschaft sowohl innerhalb der Staaten wie auch inter-
              was im der linksradikalen Jargon als “Reformismus”       national reguliert. In der Konferenz von Bretton
              bezeichnet wird7. Im folgenden werde ich Beispiele       Woods wurde ein internationales Währungs-

    Robert Foltin                     Zu Hardt/Negris “Empire”
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regimemit dem Dollar als Leitwährung festgelegt,        gemeinen Angriffs der Subjektivität auf die damali-
um ein Chaos durch die Egoismen der Einzelkapi-         ge kapitalistische Gesellschaft. Die Antwort des
talien zu vermeiden. Dieser “New Deal” als Ant-         Systems ist zwar in einer Anfangsphase die Unter-                 3
wort auf Klassenkämpfe und kommunistische Be-           drückung der aktiven Minderheiten, aber im Laufe
drohung ist ambivalent. Er enthält die positiven Ele-   der nächsten Jahrzehnte eine massive Umstruk-
mente der geregelten Arbeitszeiten, der hohen Löh-      turierung der gesellschaftlichen Strukturen und der
ne und eine relativ gesicherte Existenz eines Groß-     Arbeitsverhältnisse. Viele Projekte, die aus dem
teils der Bevölkerung (der Metropolen). Dieses Re-      subjektiven Wunsch nach Veränderung gegründet
gime reguliert aber nicht nur das Kapital, sondern es   wurden, z.B. Alternativbetriebe und feministische
diszipliniert auch die Menschen: 40 Stunden             Initiativen werden von staatlichen Institutionen
Wochenarbeit bedeutet Stechuhr, Taylorismus ist         aufgegriffen und bestätigen als Institutionen die
die Zerlegung der Arbeit in die Einzelteile, Sozial-    Veränderungen in der Gesellschaft. Damit wird die
leistungen werden nur unter bestimmten Bedingun-        Ausbeutung und Unterdrückung perfektioniert.
gen (mit dem “sanften” Druck zur Arbeit) verge-         Der Wunsch nach freier Arbeitszeiteinteilung wird
ben. In der Gesellschaft bestehen Institutionen, die    zur flexiblen Arbeitszeit, der Wunsch nach Selbst-
eine Normalisierung durchsetzen. Die geschlecht-        verwaltung wird zur Selbstorganisation in Projekt-
liche Arbeitsteilung und die patriarchale Unter-        arbeit, die Kontrolle durch MeisterInnen und Vorar-
drückung funktioniert durch die Institution Klein-      beiterInnen wird in selbstkontrollierte Teamarbeit
familie, es besteht ein sozialer Zwang für Männer       umgewandelt. Der Wunsch nach Selbstver-
zur lebenslangen Arbeit, für Frauen zum Hausfrau-       wirklichung von Kollektiven und Individuen hat
endasein, es gibt einen Druck in Richtung einer nor-    sich in “freies” UnternehmerInnentum verwandelt.
malisierten Sexualität. Die Dominanz dieser diszipl-    War in der (fordistischen) Disziplinargesellschaft
inierenden Institutionen bedeutet aber nicht, dass      die “affektive” Arbeit (vgl. unten) der sozialen,
die Wünsche nach einem befreiteren Leben der            emotionellen und kommunikativen Zuwendung zu
Multitude verschwunden wären, sondern nur, dass         einem großem Teil in der Institution der Familie
sie in die Unsichtbarkeit und an den Rand gedrängt      konzentriert, wird das jetzt in die Gesellschaft ver-
wurden.                                                 lagert, was die geschlechtliche Verteilung zwar auf-
                                                        weicht, aber im Großen und Ganzen nicht ändert10.
    Gegen diesen Zwang der Disziplinargesellschaft      Die Bewegung vor und nach 1968 und die darauf
entsteht eine Reihe von Revolten, die in den Auf-       folgende feministische Bewegung sind die Quelle
ständen von 1968 einen Höhepunkt gefunden ha-           für die Revolution in Richtung der Strukturen, die
ben (vgl. Empire S 260-276). Unter Ausnützung des       im herrschenden Diskurs “Dienstleistungsgesel-
Wohlfahrtsstaates ist es den ArbeiterInnen gelun-       lschaft” genannt werden. Die Durchsetzung der
gen, die Löhne in die Höhe zu treiben, einerseits in    “immateriellen Arbeit” und die (teilweise) Auf-
einem organisierten Rahmen durch Gewerkschaften         lösung der Fabrik in die Gesellschaft (reale Sub-
und linke Parteien, andererseits durch Arbeits-         sumption) ist die kapitalistische Antwort auf die
verweigerung (von Streiks bis zu individuellem          Revolte gegen die Disziplinargesellschaft.
Widerstand z.B. durch Krankfeiern). Die Voll-
beschäftigung erlaubt auch die Erhöhung des Druk-       Reale Subsumption und Biomacht
kes mit der Drohung eines Arbeitsplatzwechsels.
Zur gleichen Zeit geht der Kolonialismus der alten          Anhand von Beispielen habe ich dargestellt, dass
europäischen Staaten zu Ende und die Kämpfe und         die Entwicklung des Kapitalismus in Richtung
der Widerstand im Trikont verhindern, dass (Lohn)-      Empire durch die Kämpfe der ArbeiterInnen-
Konflikte durch imperialistische Maßnahmen abge-        klasse/Multitude vorangetrieben wird. Ein weiteres
schwächt werden, Konflikte können nicht nach            Kennzeichen des Kapitalismus ist seine Tendenz zur
außen verlagert werden. Diese Auseinander-              sukzessiven Ausbreitung, zuerst in alle Regionen
setzungen fallen mit dem Widerstand gegen die dis-      der Erde, dann aber auch in alle gesellschaftlichen
ziplinäre Ordnung im Allgemeinen zusammen. In           Formen, die neben der kapitalistischen Ausbeutung
den Metropolen sieht ein großer Teil der Jugend-        existieren (vgl. Empire S.220-234)11. Zu Beginn des
lichen keinen Sinn mehr darin, 40 Stunden sein          20. Jh war die ganze Welt unter den imperialisti-
Leben lang zu arbeiten und dann in Pension zu ge-       schen Mächten aufgeteilt, revolutionäre Theo-
hen. Sexualität wird “entdeckt” und außerhalb der       retikerInnen (z.B. Lenin oder Luxemburg) hielten
Norm gelebt. Frauen sind immer weniger bereit, in       die kapitalistische Produktionsweise bereits für
normalen Familienbeziehungen zu leben und ihre          gescheitert, was aber offensichtlich nicht der Fall
Männer zu ernähren und dafür zu sorgen, dass sie        war. Zwei Erklärungen gibt es dafür (vgl. Empire S.
ordentlich und sauber in die Arbeit gehen können.       271-272): (A) Der Imperialismus hat zwar alle
Die politisch linken und feministischen Bewe-           Territorien aufgeteilt, aber noch keineswegs alle
gungen sind dabei nur die sichtbare Spitze eines all-   Möglichkeiten der Ausbeutung von Arbeitskraft

                                                 Zu Hardt/Negris “Empire”                               Robert Foltin
grundrisse_02_2002                                                                                              seite_9
und der Natur ausgenützt. Erst jetzt seien die Gren-         Die Unterordnung gesellschaftlicher Formen
               zen der Ausbeutung der Natur erreicht12 (B) Die          lässt sich aber nicht auf die Lohnarbeit beschränken.
3              Expansion des Kapitals erfolgt nach innen, was           Im Fordismus steht die industrielle Fertigung unter
               durch den Übergang von der formalen zur realen           Fabrikdisziplin im Zentrum. Daneben besteht das
               Subsumption erklärt wird. Die soziale und techno-        “Leben”, das in Nicht-Arbeits-Strukturen organi-
               logische Organisation des Kapitals erobert alle          siert ist, das, was als Zivilgesellschaft bezeichnet
               Bereiche der Gesellschaft: Wurden in der industriel-     wird, soziale Zusammenhänge außerhalb der Fabrik
               len Revolution maschinengemachte Konsumgüter             (Vereine, soziale Treffpunkte in Lokalitäten), Fami-
               und Maschinen erzeugt, so gibt es jetzt maschinen-       lien, aber auch Institutionen wie Parteien, Gewerk-
               erzeugte Rohstoffe und Nahrungsmittel. Natur und         schaften und sonstige Interessenvertretungen. Über
               Kultur werden von der Maschine erzeugt13.                diese Zivilgesellschaft wird die Verbindung zwi-
                                                                        schen Kapital/Fabrik und Staat hergestellt. Der bür-
                   Die Marxsche Intuition der Unterscheidung            gerliche Staat hat nicht nur die Aufgabe des Ge-
               zwischen formaler und realer Subsumption bezieht         samtkapitalisten, sondern die bürgerliche Demo-
               sich auf die Form der Ausbeutung in Zusam-               kratie hat auch die Aufgabe, einen Ausgleich zwi-
               menhang mit der Entstehung kapitalistischer              schen den verschiedenen sozialen Gruppen herzu-
               Produktionsverhältnisse (Negri/Hardt 1997, S. 77-        stellen und sie so in den (National)staat zu integrie-
               78). Formelle Subsumption bedeutet die Unter-            ren. Es gibt also eine Trennung zwischen Fabrik und
               ordnung eines Arbeitsprozesses unter das Kapital,        Gesellschaft. “Die bürgerliche Gesellschaft ist also
               ohne die Zerstörung der existierenden (meist vorka-      der Ort, an dem sich der Staat als Repräsentant des
               pitalistischen) Produktionsverhältnisse. Das Kapital     Allgemeininteresses die seiner Ordnung äußer-
               fungiert nur als Verwalter oder Aufseher, ist eine       lichen oder fremden Einzelinteressen unterordnet.
               “importierte fremde Kraft” (Negri/Hardt 1997, S.         In diesem Sinne stellt die zivile Gesellschaft den
               78). Bei der realen Subsumption der Arbeit unter         Raum der formellen Subsumption dar, in dem der
               das Kapital werden die Bedingungen nichtkapitalis-       Staat die gegenüber seiner Herrschaft fremden
               tischer Produktionsweisen zerstört, die Arbeits-         gesellschaftlichen Antagonismen vermittelt, diszi-
               verhältnisse werden durch das Kapital selbst hervor-     pliniert und befriedet” (Negri/Hardt 1997, S. 116).
               gebracht. Beispiele für formelle Subsumption sind        Der neoliberale Diskurs tritt für die Reduktion des
               HandwerkerInnen oder freie BäuerInnen, die aber          Staates ein, in Wirklichkeit ist es aber so, dass die
               auf dem kapitalistischen Markt existieren müssen         zivilgesellschaftlichen Institutionen verschwinden,
               und dadurch indirekt zur Produktion von Reichtum         weil sie Teil der kapitalistischen und staatlichen Or-
               der KapitalistInnen beitragen. Werden ihre Produk-       ganisation werden. Die reale Subsumption der
               tionsgrundlagen zerstört und werden sie dann ge-         Gesellschaft unter den Staat ist die Antwort auf die
               zwungen, als freie ArbeiterInnen auf Plantagen oder      Kämpfe gegen die Disziplinargesellschaft. Die Fa-
               in Agrarfabriken zu arbeiten, ist die Arbeit dem         briken werden durch Auslagerungen in Klein-
               Kapital real untergeordnet. Marx hat die reale           betriebe bis hin zu Alternativbetrieben aufgelöst.
               Subsumption nur in der großen Industrie gesehen,         Durch Flexibilisierung dringt auch das “Leben” in
               in einem kleinem Teil der damaligen Ökonomie. Zu         die Fabrik ein. Flexible Arbeitszeiten verhindern,
               Beginn der 20. Jahrhunderts hat allerdings das           dass die ArbeiterInnen die genormte Arbeitszeit für
               Proletariat in einem Teil der industrialisierten Welt    ihr “Leben” benutzen15. Die Autonomie des Pri-
               bereits eine dominierende Stellung. Aber erst in der     vaten wird aufgelöst (von der Überwachung der
               zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts sind sowohl ein       Menschen bis in die intimsten Bereiche und der Ver-
               Großteil der feudalen Strukturen wie auch der bäu-       wandlung von Intimität in eine Ware in Reality
               erlichen Produktionsweisen verschwunden und              Shows wie Taxi Orange), die Schule wird zu lebens-
               auch im Trikont massiv reduziert14. In der Phase der     langem Lernen. Über die Dienstleistungsgesell-
               formalen Subsumption erscheint das Kapital außer-        schaft gewinnt das Kapital Zugriff auf alle Lebens-
               halb der lebendigen Arbeit, es ist die äußere Gewalt     bereiche, über Reproduktionstechnologie reicht der
               und wird in der Zirkulationssphäre gesehen. Für die      Zugriff bis in die Körper (besonders der Frauen).
               antikolonialistischen Revolutionäre, die sich meist      Das Verschwinden der Zivilgesellschaft drückt sich
               auch KommunistInnen nannten, ist es so erschie-          in der Reduktion der demokratischen Politik auf ein
               nen, als ob die Arbeit am Gebrauchswert nur vom          Spektakel aus. Die Bindung von Parteien und ande-
               Kapital befreit werden müsste und alles wäre gut         rer Organisationen an bestimmte soziale Gruppen
               (vgl. Foltin 2002, S. 47). Die reale Subsumption er-     hat aufgehört. Über Meinungsforschung, durch die
               zeugt ein anderes Bild: die lebendige Arbeit ist in      Massenmedien, über Populismus wird nicht mehr
               das Kapital integriert, sie ist Teil des Kapitals, das   ein Ausgleich zwischen unterschiedlichen Inter-
               wie eine Maschine funktioniert, die die Arbeitskraft     essen gesucht, sondern hauptsächlich werden Wäh-
               organisiert. Der antagonistische Kampf findet dort       lerInnen produziert. Die Politik ist nur mehr Simu-
               als Kampf gegen die Arbeit, als Separation statt.        lation von Politik (Negri/Hardt 1997, S. 131-134).

    Robert Foltin                      Zu Hardt/Negris “Empire”
    seite_10                                                                                           grundrisse_02_2002
Die reale Subsumption der Gesellschaft ist ver-        sierung, die sich eben auch in den Fabriken durch-
bunden mit der Verschiebung von der Diszipli-              setzt und durch die Verschiebung in Richtung
nargesellschaft zur Kontrollgesellschaft (vgl.             Dienstleistungsgesellschaft: Auch die Produktion                  3
Deleuze 1992). Die Machtausübung in der Dis-               von materiellen Gütern wird in Dienstleistungen an
ziplinargesellschaft funktionierte, indem die Indi-        den KundInnen verwandelt. Was immaterielle Ar-
viduen in Institutionen (Schulen, Gefängnisse) fest-       beit ausmacht, ist Kommunikation auf sprachlicher,
gehalten und geformt wurden, Abweichungen von              aber ebenso auf körperlicher, sozialer gefühlsmäßi-
der Norm wurden ausgeschlossen. In der Kontroll-           ger etc. Ebene. Wurde im Fordismus die Kon-
gesellschaft wird im Gegensatz dazu die Subjek-            sumtion in den Zyklus der Kapitalreproduktion
tivität der Individuen produktiv genutzt. Wurden in        integriert, so integriert der Postfordismus die
der Disziplinargesellschaft die Kommunikation, die         Kommunikation (Lazzarato 1998b, S. 53).
Körperlichkeiten, die Gefühle geordnet und ge-
lenkt, werden sie in der Kontrollgesellschaft produ-           Die Produkte der Arbeit im Postfordismus sind
ziert. Die Organisation der Macht produziert das           immer mehr immateriell, eben nicht Schuhe oder
Leben, sie wird biopolitisch (Empire, S. 24) Ein           Autos, sondern Information, Wissen und Kom-
gutes Beispiel dafür ist die Sexualität: War sie vorher    munikation, symbolische Verknüpfungen (am
in die Familie, oder zumindest in die Privatheit einer     Computer), Beziehungen und Gefühle (Spannung,
Beziehung eingesperrt und normiert auf die Hetero-         Aufregung, Wohlgefühl). Das “Leben” selbst wird
sexualität ohne Varianten., ist jetzt eine Vielfalt ver-   zum Produkt, wie die Reality Shows und die zu-
schiedener Praxen möglich und darf auch in der             künftigen Möglichkeiten der Reproduktions-
Öffentlichkeit - zumindestens bei bestimmten An-           medizin zeigen. Die Voraussetzung und das Resul-
läßen wie der Love Parade - gezeigt (oder zumindest        tat der immateriellen Arbeit ist die Produktion und
angedeutet) werden. Das Ziel ist nicht mehr die            Reproduktion von Subjektivität (Lazzarato 1998b,
Disziplinierung, sondern die Ausnutzung der Krea-          S. 53) In dieser höchsten Form der kapitalistischen
tivität und Vielfalt der Multitude. Durch die imma-        Ausbeutung verliert die Marxsche Unterscheidung
terielle Arbeit wird dieses Kontrollsystem für die         von Basis und Überbau an Bedeutung, weil “Leben”,
Produktion benützt. Es geht darum, dass das Ka-            Subjektivität, Gesellschaft und Produktion zu-
pital seine Möglichkeiten der Ausbeutung der Ar-           sammenfallen. In diesem Zusammenhang wird das
beit erweitert hat. Es produziert soziale Beziehun-        im Abschnitt über die reale Subsumption beschrie-
gen (z.B. Heiratsvermittlungen und Sexarbeiter-            bene Wegfallen der Zivilgesellschaft verständlicher.
Innen, aber auch das Lächeln der KellnerInnen, in          Es ist keine vermittelnde Instanz mehr nötig, das
den Büros, in der Werbung), Gefühle (Kultur, Un-           Leben ist total dem Kapital untergeordnet. Um-
terhaltung, Freizeit), Kommunikation (Telekom-             gekehrt ist das herrschende System viel abhängiger
munikation, Seminare und Therapien). Das Kapital           von der lebendigen Arbeit der Multitude.
verwischt die Trennung von Arbeit und Freizeit. Ar-
beit wird als Vergnügen definiert, bei der Freizeit ist        Hardt/Negri (Empire S. 289-294, vgl. aber auch
häufig die Anstrengung wichtig. Das Kapital produ-         Hardt 2002) beschreiben drei Aspekte der immate-
ziert das ganze Leben, ist eben Biomacht16.                riellen Arbeit. Der erste Aspekt betrifft den
                                                           Informationsfluss zwischen der Fabrik und dem
Immaterielle Arbeit                                        Markt. Im fordistischen Modell gibt es eine “stille”
                                                           Kommunikation mit dem Markt. Es wird eine große
   Hatten im Fordismus die IndustriearbeiterInnen          Anzahl gleicher Produkte produziert, die dann auf
in der Herstellung von Konsumgütern eine he-               dem Markt abgesetzt werden müssen. Das toyotis-
gemoniale Stellung im Produktionsprozess, hat sich         tische Modell baut auf der Informatisierung der
das im Postfordismus in Richtung der immateriellen         Fabrik auf. Es gibt nicht die Wahl zwischen einem
Arbeit verschoben. Das bedeutet keineswegs, dass           schwarzen Ford T und einem schwarzen Ford T,
die industrielle Fertigung verschwunden ist, es ist        sondern ich kann einen Toyota in den verschieden-
nicht einmal so, dass sie zahlenmäßig abgenommen           sten Formen, Farben und Ausstattungen kaufen. Im
hat, teilweise besteht sie auch noch in den Metro-         Idealfall gibt es keine Lagerbestände, sondern das
polen, teilweise wurde sie in den Trikont verlagert.       Produkt wird erst produziert, wenn es der Kunde
Auch die Landwirtschaft und die Gewinnung von              gekauft hat. Es gibt also in der Fabrik eine
Rohstoffen sind durch die Industrialisierung nicht         Verschiebung weg von der Produktion in Richtung
verschwunden, sondern wurden nur abgewertet.               Marketing und Werbung. Entscheidend ist eine
Allerdings hat sich in großen Teilen die Pro-              schnelle Kommunikation zwischen Produktion und
duktionsweise in der Landwirtschaft verändert, sie         Konsumtion.
wurde industrialisiert. Die Verschiebung in
Richtung immaterieller Arbeit drückt sich in zwei             Der zweite Aspekt beschreibt die Formen der
großen Veränderungen aus: Durch die Informati-             Arbeit, wo Kommunikation produktiv wird, die mit

                                                    Zu Hardt/Negris “Empire”                              Robert Foltin
grundrisse_02_2002                                                                                                seite_11
Symboleingabe in den Computer zu tun haben              Kunstbetrieb befriedigt wurden. Jetzt ist die Pro-
               (Empire S. 290-292, vgl. aber auch Lazzarato            duktion von Affekten direkt zum Produkt, zur
3              1998a). Immer häufiger wird von Arbeitskräften          Ware geworden. Das wäre tatsächlich in dem Sinn
               verlangt, dass sie mit den neuen Informations-          zu interpretieren, dass das Patriachat zu Ende ist, in-
               technologien umgehen können. Das betrifft nicht         sofern als der Kapitalismus jetzt identisch mit dem
               nur Berufe, die direkt mit Computern zu tun haben,      Patriachat ist. Natürlich ist klar, dass der Zerfall der
               sondern auch alle möglichen Jobs, auch die in der       Familie die geschlechtliche Ungleichverteilung der
               industriellen Fertigung. Immer mehr Arbeitsgänge        Arbeit, der Einkommen etc. nicht beendet hat, son-
               werden dabei direkt zu Informationsverarbeitung.        dern sie nur ins Kapital verschoben wurde. Eine
               So bedeutet das Auftauchen der immateriellen Ar-        Revolution bleibt notwendig und sie kann nur von
               beit immer mehr auch eine Homogenisierung der           der affektiven Arbeit her gedacht werden, sie muss
               Arbeitsvorgänge. Waren früher verschiedene              feministisch sein.
               Arbeitsgänge und Werkzeuge notwendig, um z.B.
               Schuhe oder Autos herzustellen, so handelt es sich           Die immaterielle Arbeit bewirkt, dass das Ganze
               jetzt um die gleichen Prozesse der Symboleingabe.       der gesellschaftlichen Verhältnisse produktiv wird
               Wurde bei früheren Arbeitsformen die menschliche        (Lazzarato 1998b, S. 63). Damit kommt die kapita-
               lebendige Arbeit zur abstrakten Arbeit über den         listische Aneignung in Legitimationsprobleme, sie
               Tausch und das Geld, so ist jetzt der Arbeitsvorgang    ist abhängig von der Kommunikation, der Krea-
               selbst abstrakt, da er nur aus Symbolverarbeitung       tivität, den sozialen und menschlichen Beziehungen
               besteht, ganz egal, ob das Produkt etwas Materielles    der lebendigen Arbeit. Die Arbeitenden brauchen
               wie ein Auto ist oder etwas Immaterielles wie ein       das Kapital eigentlich nicht mehr. “Gehirne und
               Lehrgang in Marketing oder das Programm eines           Körper brauchen andere, um Wert zu produzieren,
               neuen Computerspieles. Der Prozess der Informa-         aber diese anderen werden nicht notwendiger Weise
               tionsverarbeitung schafft einerseit neue kreative       vom Kapital und seinen Fähigkeiten, die Produktion
               Jobs, die auch relativ gut bezahlt sind, z.B. Com-      zu orchestrieren, zur Verfügung gestellt. Heute
               puterprogrammiererInnen und WebdesignerInnen,           nimmt Produktivität, Reichtum und die Schaffung
               andererseits aber auch eine neue Schicht schlecht       sozialen Mehrwertes Form an durch die kooperative
               bezahlter Kräfte, deren Hauptaufgabe in der Daten-      Interaktivität mit Hilfe sprachlicher, kommunikati-
               eingabe besteht. Gemeinsam ist aber beiden Grup-        ver und affektiver Netzwerke. Im Ausdruck der ei-
               pen, dass die Produkte Information und Symbol-          genen kreativen Energien scheint uns die immateri-
               eingabe sind.                                           elle Arbeit das Potential für eine Art spontanen und
                                                                       elementaren Kommunismus zur Verfügung zu stel-
                   Der dritte Aspekt ist die affektive Arbeit          len.”17
               (Empire 292-293, genauer Hardt 2002). “Die affek-
               tive Arbeit ist heute nicht nur direkt produktiv für        Ist im Fordismus das Fließband im Zentrum
               das Kapital, mehr noch, sie bildet die Spitze in der    gestanden, ist es im Informationszeitalter das Netz-
               Hierarchie der Arbeitsformen” (Hardt 2002, S. 1).       werk. Die Produktion ist weniger an Orte gebunden
               Ein Beispiel dafür sind die ArbeiterInnen im            und tendiert dazu, sich über die ganze Welt zu ver-
               Gesundheitswesen. Obwohl diese Arbeit körperlich        teilen. Immer weniger gibt es industrielle Regionen,
               ist, ist das Produkt der Arbeit eben nicht materiell,   die transnationalen Konzerne können die Pro-
               es ist ein Gefühl der Erleichterung, Wohlbefinden,      duktionsanlagen viel leichter von einer Region in die
               Zufriedenheit, Entspannung etc. Diese Arbeit ist        andere verschieben. Da viele Produkte immateriell
               verbunden mit menschlichem Kontakt. Diese Be-           sind, ist auch das Problem des Transports viel gerin-
               ziehung muss aber nicht zwangsläufig persönlich         ger. Information z.B. lässt sich innerhalb von Se-
               sein, sondern kann auch virtuell sein (z.B. in der      kunden von der einen Seite des Erdballs auf die an-
               Unterhaltungsindustrie, wo Filme oder Musik-            dere verschieben (vgl. Empire S. 294-295). Im Zu-
               stücke produziert werden). Affektive Arbeit, also       sammenhang mit der immateriellen Arbeit habe ich
               menschliche Interaktion und Kommunikation spielt        die Mikrostruktur der Herrschaftserhaltung be-
               inzwischen in verschiedensten Bereichen eine große      schrieben, im Folgenden möchte ich auf die welt-
               Rolle, vom Fast-Food-Betrieb bis zu den                 weite Struktur der Machtausübung und Organisa-
               FinanzdienstleisterInnen. Selbst in “normalen” Jobs     tion der Ausbeutung, die Struktur des Empire ein-
               wird immer größerer Wert auf die sozialen und           gehen.
               kommunikativen Fähigkeiten gelegt. Es ist klar,
               dass es diese affekte Arbeit immer gegeben hat, aber    Empire
               außerhalb des Ausbeutungsverhältnisses durch das
               Kapital und daher “wertlos”. Der Kapitalismus pro-         Die Entwicklung vom Imperialismus in Rich-
               fitierte vorher nur indirekt davon, als diese Bedürf-   tung Empire lässt sich an drei Mechanismen festma-
               nisse in Institutionen wie in den Familien oder im      chen: Entkolonialisierung, Dezentralisierung der

    Robert Foltin                     Zu Hardt/Negris “Empire”
    seite_12                                                                                            grundrisse_02_2002
Produktion und die Ausbreitung des Dis-                 nicht, dass es keine Regulation
ziplinarsystems (Empire S. 244-249). Die erste          mehr gibt, sondern dass sich ein
Phase der Dekolonisierung ist davon geprägt, dass       System entwickeln muss, das auf                            3
sich die USA so verhielten wie die alten Kolo-          eine gewisse Weise wie ein Gesamt-
nialmächte, indem sie die Ausbreitung des “Kom-         kapitalist agiert, eben das “Empire”.
munismus” mit Waffengewalt verhinderten. Nach           So eine Struktur der überstaatlichen
dem Vietnamkrieg hat sich die Machtausübung auf         Konstitution ist dabei, vor unseren
den Dollar verlagert. IWF und Weltbank spielen          Augen sichtbar zu werden (Der
jetzt die entscheidendere Rolle bei der Beein-          erste Satz des Buches lautet:
flussung der Staaten im Trikont. Auch die Dezen-        “Empire is materializing before our
tralisierung läuft in zwei Phasen ab. Die erste Phase   very eyes.” Empire, S. XI). Die
war geprägt vom ungleichen Tausch zwischen unter-       Hierarchie der Machtausübung ist
geordneten Regionen und den dominierenden               in drei Bereiche (“tiers”) gegliedert
(westlichen) Staaten. Ab den siebziger Jahren ver-      (Empire S. 309-314). An der Spitze
ändert sich das, transnationale Konzerne verlagern      des obersten Bereiches stehen die
große Teile der Produktionen in Weltmarktfabriken       USA als einzige noch bestehende
und freie Produktionszonen des Südens. Mit der          Supermacht, die über die Ausübung
Entkolonialisierung und der Verlagerung von             von Gewalt entscheidet, manchmal
Fabriken beginnt auch die Ausdehnung des                alleine, bevorzugt in Zusammen-
Disziplinarregimes auf die ganze Welt18. In einigen     arbeit mit anderen Staaten oder auch
wenigen Teilen der Welt wird die Massen-                unter der Schirmherrschaft der Ver-
mobilisierung für den Befreiungskampf in eine           einten Nationen20. Im gleichen Be-
Mobilisierung für die Produktion umgewandelt            reich befindet sich die Gruppe der
(z.B. in China, in Kuba, in Vietnam). In anderen Re-    Nationalstaaten, die durch eine
gionen des Trikont wird die Fabrikdisziplin des         Reihe von informellen Zusammen-
“New Deal” transportiert, in einem sehr begrenz-        schlüssen verbunden sind. Diese
tem Ausmaß allerdings die hohen Löhne und die           Zusammenhänge werden teilweise
Sozialleistungen. Verbunden ist das mit einer mas-      durch formale und informelle Tref-
senhaften Entwurzelung der BäuerInnen und dem           fen hergestellt - die G7, aber z.B.
Anwachsen der Megastädte, der Steigerung der            auch die WEF-Treffen von Davos,
Anzahl von ProletarierInnen, die für die                New York. Diese Strukturen domi-
Ausbeutung bereitstehen.                                nieren auch solche internationalen
                                                        Organisationen wie die WTO
    Viele Linke diskutieren im Zusammenhang mit         (World Trade Organisation) oder
dem Siegeszug des “Neoliberalismus” in den letzten      den IWF (Internationaler Weltwirt-
Jahrzehnten über die Beziehung zwischen Staat und       schaftsfonds). Der zweite Bereich
Kapital. Mit der “Globalisierung” entstehen immer       wird von den Netzwerken des
wieder Wünsche zu einer neuen Regulierung durch         Transnationalen Kapitals gebildet.
die Nationalstaaten19. Der Staat hatte immer die        Dieser Bereich ist tatsächlich über
Funktion, als Gesamtkapitalist gegen die Interessen     die ganze Welt verbreitet, er ist ver-
der EinzelkapitalistInnen zur wirken. Dabei war die     antwortlich für die neue Geographie
Einschränkung der Einzelkapitalien durch den Staat      von Macht und Ausbeutung. Ver-
zeitweise größer, zu anderen Zeiten kleiner. Z.B.       bunden mit diesem Bereich sind die
konnte die East India Company bis zu den Auf-           (untergeordneten) Nationalstaaten,
ständen 1857 weitgehend machen was sie wollte, da-      sie bilden einen Filter für den globa-
nach wurde sie durch staatliche Maßnahmen einge-        len Fluß des Reichtums, es ist nicht
schränkt und eine voll funktionierende koloniale        so, dass sich das Kapital völlig un-
Administration eingesetzt (Empire S.306). Die Rol-      kontrolliert verhalten kann. Die
le des Staats in den Metropolen nach dem zweiten        Basis der Pyramide bilden die Orga-
Weltkrieg als Antwort auf die revolutionären Be-        nisationen, die die nicht vertretba-
drohungen (und die Krise dieses “Planstaats” in den     ren Menschen, die Bevölkerungen,
60er und 70er Jahren) war ein beliebtes Thema der       die Multitude in eine repräsentier-
operaistischen Diskussion (Negri 1972a, 1972b,          bare Form bringen21. Einerseits han-
1973, 1977, vgl. oben die Diskussion um den New         delt es sich dabei noch um die
Deal).                                                  Nationalstaaten, die ihr “Volk” z.B.
                                                        in den Vereinten Nationen vertre-
   Der Siegeszug der transnationalen Konzerne           ten. Sie sind aber inzwischen nicht
über und außerhalb staatlicher Kontrolle bedeutet       mehr die einzige Form zur Or-

                                                 Zu Hardt/Negris “Empire”                        Robert Foltin
grundrisse_02_2002                                                                                      seite_13
ganisation der Basis der Pyramide, der Multitude. Es      bleme, ohne sie lösen zu können (Empire S. 198-
               gibt die VertreterInnen der Zivilgesellschaft, die        201) Ich möchte das am Beispiel der Interventionen
3              direkt weder von Staaten noch vom Kapital abhän-          in Jugoslawien darstellen. Das integrierende Ele-
               gig sind. Traditionelle Komponenten davon, die            ment war und ist der Diskurs über die Multi-
               schon länger existieren, sind die Medien und die          nationalität. Überall von den NGOs über die Me-
               verschiedenen religiösen Gemeinschaften. So ver-          dien bis zu den PolitikerInnen wird verkündet, dass
               stehen sich christliche und islamische Fun-               das Ziel des Westens in Jugoslawien die Mult-
               damentalismen als Gemeinschaften, die über die            inationalität sei. “Die Serben” seien der Feind dieser
               Grenzen der Nationalstaaten hinausgehen. Eine             Vielfalt. Schon innerhalb dieses Multinationalismus-
               relativ neue Erscheinung, aber inzwischen interna-        Diskurses drückt sich das zweite, das differenzie-
               tional am bedeutendsten sind die so genannten             rende Moment aus. In den zuerst indirekten Inter-
               Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs). Ihre ge-           ventionen in Kroatien und Bosnien (durch NGOs,
               naue Definition und genaue Eingrenzung ist schwer         aber auch durch Bewaffnung unter Umgehung des
               festzumachen. Sie agieren sowohl auf lokaler, natio-      UNO-Embargos) wurden die westlich orientierten,
               naler und übernationaler Ebene. Manche haben tra-         dabei im Vergleich zu Restjugoslawien weitaus eth-
               ditionell gewerkschaftliche Funktionen (gerade weil       nozentrischeren Strukturen in Kroatien und
               die traditionellen Gewerkschaftsorganisationen an         Bosnien unterstützt. Dadurch wurde der Konflikt
               die Nationalstaaten gebunden sind), einige sind mit       auf die Spitze getrieben und der Westen, an der
               religiösen Gruppen verbunden (Hilfsorganisationen         Spitze die USA, sahen sich gezwungen, militärisch
               der katholischen Kirche oder fundamentalistischer         zu intervenieren und mit dem Vertrag von Dayton
               protestantischer Sekten), viele verstehen sich als        eine internationale Verwaltung zu installieren.
               Organisationen, die Bevölkerungen vertreten, die          Gelöst wurde nichts, die Probleme wurden in die
               ihren Platz nicht innerhalb nationalstaatlicher Re-       nächste Region weitergetragen. Im Kosovo wurde
               präsentationen finden (Frauen, Homosexuelle, indi-        wieder behauptet, die Vielfalt zu unterstützen, um
               gene Bevölkerungen). Ein Teil dieser Organi-              dann in einer militärischen Intervention einen eth-
               sationen spielt eine besondere Rolle, weil sie sich als   nisch reinen Kosovo zu schaffen. In Kürze wird wo-
               Menschenrechtsorganisationen um Bevölkerungs-             möglich mit Hilfe des Westens der vorletzte multi-
               gruppen kümmern, die an der Grenze der Existenz           nationale Staat, nämlich Mazedonien, zerstört. Es
               leben. Die bekanntesten davon sind Amnesty Inter-         stellt sich die Frage, wie lange noch Jugoslawien als
               national, Human Rights Watch, Médicins sans fron-         multinationaler Staat die drei Momente Integration,
               tières. Sie verteidigen das nackte menschliche Leben      Differenzierung und Verwaltung überstehen wird22.
               der Gefolterten, der Hungernden, der Massakrier-
               ten, der Gefangenen etc. Sie sind die feinsten Enden          Zum Abschluß dieses Abschnittes möchte ich
               der Netzwerke des Empire, sie sind der Humus der          noch einige Anmerkungen zum Anschlag auf das
               Biomacht. Darin zeigt sich wieder die Ambivalenz          World Trade Center am 11. September 2001 und den
               der Organisation des Empire, es produziert Leben          darauf folgenden “Krieg gegen den Terrorismus”
               und Tod.                                                  machen. Die TerroristInnen haben nur ein von
                                                                         ihnen projiziertes Zentrum des Empire getroffen,
                   Die in der Pyramide dargestellte Hierarchie der       bei New York handelt es sich zwar um einen Ort, an
               Machtausübung existiert aber nur in gegenseitiger         dem mehr Privilegierte leben als z.B. in Pakistan,
               Abhängigkeit. Tatsächlich sind alle Bereiche nötig        aber der heutige Kapitalismus hat kein Zentrum
               und vermischt oder hybrid. Um Interventionen              mehr. Auch die USA sind mehr mit einer Polizei
               durchzuführen, haben die USA z.B. die größten             vergleichbar, die ja auch innerhalb der National-
               Möglichkeiten (Finanzen und Drohpotentiale),              staaten eine rechtlich privilegierte Position einnim-
               aber in der Regel ist es unmöglich, wenn nicht ein        mt. Der Krieg gegen Afghanistan und in eventuell
               Konsens mit den anderen Strukturen hergestellt            noch folgenden Regionen ist nicht mehr als eine
               wird. Gerade die NGOs haben mehr Einfluß, als es          Polizeiaktion. Es gibt nichts mehr, was außerhalb
               die Darstellung als Basis der Pyramide suggerieren        des Empire liegt, Feinde kann es nur noch als Ver-
               würde. Jede militärische Intervention in den letzten      brecher geben. Dadurch kann es auch keinen Frie-
               Jahren hat als moralische Intervention der NGOs           densschluß mehr geben, sondern nur ein Scheitern
               angefangen, gerade diese NGOs bereiteten (ge-             oder die Vernichtung des Feindes23.
               meinsam mit den Medien) die “gerechten Kriege”
               vor (Empire S. 36-37). An den Rändern des Empire,         Multitude
               dort wo Interventionen stattfinden, ist die Funk-
               tionsweise des Systems am deutlichsten zu erken-             In der logischen Abfolge hätte eigentlich dieser
               nen. Krisen entstehen und werden “gelöst” durch           Abschnitt vor dem vorigen stehen sollen, denn es ist
               ein dreifaches Paradigma: das Empire integriert al-       die Multitude, die Vielfalt der Wünsche und Be-
               les, differenziert es und verwaltet dann die Pro-         dürfnisse, die durch ihre Kämpfe und ihren Wider-

    Robert Foltin                      Zu Hardt/Negris “Empire”
    seite_14                                                                                            grundrisse_02_2002
stand den Kapitalismus Richtung Empire (und dar-         arbeiterIn. Theoretisiert wurde das vorerst, indem
über hinaus) treibt. Die Multitude war und ist die       von der fabricca diffusa, der verteilten Fabrik ge-
Subjektivität, die in Konfrontation mit der Realität     sprochen wurde und der Begriff der “gesellschaft-                  3
der herrschenden Gesellschaft steht und dabei über       lichen ArbeiterInnen” wurde entwickelt (Über die
die Bedingungen dieser Existenz hinausgeht. Sie ist      Beziehung zwischen der Revolte 1977 und den
das Subjekt des Kampfes um Freiheit                      Umstrukturierungen in Staat und Gesellschaft, vgl.
(Macchiavelli), Wunsch (Spinoza) und lebendiger          Virno 1998). Mit dem Erkennen und der Analyse
Arbeit (Marx)24. Im folgenden möchte ich den Be-         der neuen Arbeitsverhältnisse, der immateriellen
griff Multitude zuerst negativ in Abgrenzung von         Arbeit und der Ausbreitung der kapitalistischen
“Volk” und “ArbeiterInnenklasse” festmachen und          Verwertung, der realen Subsumption nicht nur von
anschließend an konkreten Beispielen die Struktur        Arbeit wurde ein neuer Begriff gefunden, eben der
positv bestimmen.                                        Begriff der Multitude.

    Das “Volk” (auch in seinem weniger “völkisch”           Im Fordismus war die ArbeiterInnenklasse in
gesehenen englischen Begriff “people”) ist ein Pro-      der tayloristischen Fabrik tatsächlich der der “pro-
dukt des modernen Nationalstaates (zum Folgen-           duktive” Teil der Multitude. Die Institutionen Fa-
den vgl. Empire S. 101-105, vgl. auch Hardt/Negri        brik und Familie wirkten tatsächlich homogenisie-
2001). Das Volk tendiert dazu, homogen und selbst-       rend. Auch der Konsum für die “Massen”, von der
identisch zu sein, es ist notwendig zur Konstitution     Freizeitgestaltung über den Urlaub bis zu Auto
der Souveränität des Nationalstaates. Völker defi-       spielte eine vereinheitlichende Rolle. Von der Ar-
nieren sich immer in Abgrenzung zu einem An-             beiterInnenklasse abgetrennt existierten die Teile,
deren. Insofern sind sie auch implizit rassistisch: es   die dem Kapital nur formell subsumiert waren, die
gibt immer eine Tendenz zur Vereinheitlichung            Hausfrauen in der Familie, die Menschen in den dis-
(entweder durch Assimilation und Ausgrenzung)            ziplinierenden Institutionen wie Schule oder Ge-
und zur rassischen oder kulturellen Minderbe-            fängnis. Menschen, die von der Norm abwichen (z.
wertung der anderen. Die Multitude ist im Gegen-         B. Homosexuelle) wurden aus der fordistisch struk-
satz dazu eine Vielzahl von Singularitäten, eine         turierten Gesellschaft ausgeschlossen. Die “Ar-
Menge von Individualitäten, eben nicht homogen           beiterInnenklasse” spielte in dieser Zeit tatsächlich
und darum auch nicht zur Abgrenzung zu Anderen           eine zentrale Rolle in der Produktion von Wert und
gezwungen. Jede Nation muss eine Multitude in das        im Widerstand gegen den Kapitalismus. Die verein-
Volk umwandeln. Das Konzept der Nation war in            heitlichte Kultur der ArbeiterInnenbewegung, teil-
der französischen Revolution eine erste Hypothese        weise identisch mit dem fordistischem Dis-
zur Konstruktion der Hegemonie der Bevölkerung           ziplinierungsregime verhinderte aber eine vollkom-
gegen die herrschende Monarchie. Danach war die          mene Befreiung der Multitude26.
Nation und das Volk eine reaktionäre Antwort auf
das Trauma der Umwälzung durch die französische             Die ArbeiterInnenklasse hat ihre Repräsentation
Revolution. Der König wurde geköpft, weil er die         innerhalb des Nationalstaates gefunden, die linken
Bevölkerung verloren hat, Napoleon wurde gekrönt         Parteien und die Gewerkschaften, die das Subjekt
und hat ein Volk gewonnen. Die Multitude wurde in        ArbeiterInnenklasse gegenüber dem keynesianisti-
ein Volk vereinheitlicht25.                              schen Staat vertreten haben. Das bedeutet das
                                                         Zurückdrängen der Subjektivität zugunsten der
    In der operaistischen Diskussion der 70er-Jahre      Subjektwerdung im kapitalistischen Staat (vgl.
war immer von der ArbeiterInnenklasse als der            oben, die Rolle des New Deal). Daneben hat es im-
Subjektivität gegen das Kapital die Rede (vgl. oben).    mer eine nicht repräsentierte Autonomie der
Diese Theorien waren auf die Fabrik bezogen. In          ArbeiterInnen gegeben, den spontanen Widerstand
dieser Phase zeichnete sich schon eine Umstruk-          auf individueller und kollektiver Ebene, der zeit-
turierung ab: Als Antwort auf die Arbeiter-              weise die Gewerkschaften in Auseinandersetzungen
Innenkämpfe löst sich die Fabrik teilweise auf, brei-    mit dem Kapital getrieben hat. Was dann aber wie-
tet sich zugleich aber auf die Gesellschaft aus (reale   der die Integration ins repräsentationelle System
Subsumption). Parallel dazu ist die Revolte von          bedeutete27. Selbst innerhalb des starren Blocks der
1977 in Italien ausgebrochen, die vor allem Jugend-      fordistischen ArbeiterInnenklasse hat die Multitude
liche außerhalb der Fabriken mobilisierte und mit        in Form der ArbeiterInnenautonomie ihren Aus-
Aneignungsformen in der Reproduktionssphäre              druck gefunden.
verbunden war (Plünderung von Supermärkten,
Hausbesetzungen). Schon seit Anfang der 70er                Wie oben beschrieben, wird im Postfordismus
Jahre haben auch Feministinnen die Beschränktheit        die ganze Gesellschaft produktiv. Als Antwort auf
der Diskussion auf die “produktive” Arbeit klarge-       die Subjektivität der Multitude in den Kämpfen
macht: ArbeiterIn bedeutet mehr als Fabrik-              nach 68 wurden die Arbeitsverhältnisse verändert,

                                                  Zu Hardt/Negris “Empire”                               Robert Foltin
grundrisse_02_2002                                                                                               seite_15
aber es mussten auch neue Wege der      herrschenden Institutionen fühlen, zeigen die Ver-
                    Institutionalisierung der Multitude     suche im öffentlichen Diskurs, das Nicht-Re-
3                   gefunden werden. Im Empire haben        präsentierbare sichtbar zu machen und zu verein-
                    die Institutionen der ArbeiterInnen-    heitlichen. Ein Mittel dazu ist die Gewaltfrage. Mit
                    bewegung ihre Bedeutung verloren,       dem einen Teil der Multitude sollen Gespräche ge-
                    weil die Hegemonie auf die immate-      führt werden, sie sollen in kontrollierbare (wenn
                    rielle Arbeit übergegangen ist. So      auch vielleicht nur informelle) Institutionen
                    wie das Empire erst in seiner Phase     verwandelt werden. Für den anderen Teil, der sich
                    der Konstitution ist, so sind es auch   weigert, sich in kommunikative Bahnen lenken zu
                    die Institutionen zur Integration der   lassen, wird sogar eine Repräsentation konstruiert:
                    Multitude, die Verwandlung von          Sie sind der “schwarze Block”.
                    Subjektivität in ein Subjekt ist erst
                    in den Anfangsstadien. Eine ent-            Ein weiteres Beispiel für die Nicht-Re-
                    scheidende Rolle, um zu einer Re-       präsentierbarkeit von Revolten der Multitude ist die
                    präsentation des Nicht-Repräsen-        Bewegung nach der Regierungsbildung in Öster-
                    tierbaren zu kommen, spielten dabei     reich im Februar 2000. Der Ausbruch von Militanz
                    der Diskurs um die “Zivilgesell-        am 4. Februar 2000 war von niemanden organisiert,
                    schaft” und die NGOs. Insbe-            er wurde von niemand erwartet. Die Demokratische
                    sondere zu Beginn der 90er Jahre        Offensive wollte sich als repräsentativ verstehen
                    scheint die Vielfalt der sozialen Be-   und sagte eine Demonstration ab, zu der sie gar
                    wegungen bereits fest in institutio-    nicht aufgerufen hat. Die täglichen und später
                    nalisierter Hand zu sein. Dabei         wöchentlichen Demonstrationen ließen sich dann
                    meine ich weniger die grünen Par-       weder von der Staatsmacht lenken noch von linken
                    teien, die sich kaum mehr von den       oder revolutionären Gruppen. Nur die Groß-
                    anderen Parteien unterscheiden28,       demonstation am 19. Februar verlief in einem insti-
                    sondern die bereits erwähnten           tutionalisierten Rahmen der traditionellen Politik
                    NGOs. Nicht umsonst gibt es einen       mit Prominenten auf der Bühne und einer passiven
                    Reigen von internationalen Kon-         Masse im Publikum. Für die spontanen De-
                    ferenzen, die sowohl von Politiker-     monstrationen stimmt auch nicht, dass sie sich für
                    Innen wie von RepräsentantInnen         einen Regierungswechsel benutzen lassen würden.
                    nicht-staatlicher Organisationen be-    Im Gegenteil, immer wieder wurden aktuelle Er-
                    sucht werden (Klimakonferenzen,         eignisse, z.B. rassistische Übergriffe aufgegriffen,
                    Frauenkonferenzen, eine Reihe von       die sich gegen die staatlichen Institutionen im All-
                    der Veranstaltungen aller möglicher     gemeinen richteten und nicht von den zufälligen
                    UNO-Unterorganisationen).               Personen oder Parteien in der Regierung abhängig
                                                            sind. Diese Bewegung ist zwar bis auf Reste wieder
                        Die Strukturen des Empire           unsichtbar geworden, aber es wurde die Grundlage
                    schaffen aber wieder neue Mög-          für einen nächsten Ausbruch gelegt. Es ist bis jetzt
                    lichkeiten für Revolten, die Multi-     niemanden gelungen, sie zu institutionalisieren und
                    tude findet neue Wege, ihre Wün-        in repräsentierbare Bahnen zu lenken.
                    sche im und gegen das System aus-
                    zudrücken. So legten gerade diese       Aufstand und konstituierende Macht
                    NGO-Strukturen die Grundlage für
                    einen nächsten Kampfzyklus, der in         Mit der realen Subsumption von Arbeit und
                    den Auseinandersetzungen in             Gesellschaft unter das Kapital ist auch der (illusori-
                    Seattle im November 1999 erstmals       sche) Wunsch einer emanzipatorischen Utopie
                    weltweit sichtbar wurde und in den      außerhalb des Kapitals verschwunden. Da die Aus-
                    Protesten gegen den G8-Gipfel in        beutung und Machtausübung innerhalb des Empire
                    Genua im Juli 2001 einen ersten         organisiert wird, gibt keine Möglichkeit mehr, eine
                    Höhepunkt gefunden hat. Die             Befreiung zu erwarten, wenn eine Bürokratie die
                    Vielfalt der Aktionsformen und die      Fabrik übernimmt oder eine revolutionäre Partei
                    Unterschiedlichkeit der sozialen        einen Staat. Es gibt kein Außerhalb mehr. Zugleich
                    Gruppen, die sich an den Demon-         hat sich durch die Verschiebung der Hegemonie hin
                    strationen beteiligten, war die tat-    zu immaterieller Arbeit die Abhängigkeit des
                    sächliche Bedrohung für die herr-       Empire von der Lebendigkeit und Kreativität der
                    schende Konstitution und nicht die      Multitude verstärkt. Haben früher die Unter-
                    Gefahr des Eindringens in die Rote      nehmerInnen eine organisierende Funktion und der
                    Zone in Genua. Wie bedroht sich die     Staat eine vermittelnde zwischen den sozialen

    Robert Foltin          Zu Hardt/Negris “Empire”
    seite_16                                                                               grundrisse_02_2002
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