Satire unter Johannes Hoffmann, Konrad Adenauer und Helmut Kohl - Roland Stigulinszky veröffentlicht u.d.T. "Der Tintenfisch und was danach kam" ...

Die Seite wird erstellt Mia Göbel
 
WEITER LESEN
Satire unter Johannes Hoffmann,
  Konrad Adenauer und Helmut Kohl

         Vortrag                    26.11.1996

                   Roland Stigulinszky

veröffentlicht u.d.T. »Der ›Tintenfisch‹ und was danach
kam«

In: »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung«,
St. Ingbert 2006, S. 178-198
DER »TINTENFISCH« UND WAS DANACH KAM                    (1990)

Historiker suchen im Staub der Geschichte. Der wird beim Su-
chen aufgewirbelt, was die Sicht nicht gerade verbessert. Mit
den schließlich gefundenen Bruchstücken dessen, was war, fin-
det dann Rekonstruktion statt. In den Wiederaufbau fließen als
Elemente u.a. Vor-Wissen, Vor-Urteil und Vor-Eingenommen-
heit der Historiker ein. Die fertige Weltgeschichte, die uns in
der Schule gelehrt, in Büchern gedruckt und in Museen gezeigt
wird, ist dann nie jenes Bauwerk, das die Menschen zu ihrer
Zeit bewohnt hatten. Aber das macht nix. Es wird ohnehin ja
von Zeit zu Zeit immer mal wieder umgebaut. Hier ein Kapi-
tellchen, dort ein Konsölchen, da eine Empore. Oder ein Mit-
telrisalit. Manchmal erfolgt aber auch der komplette Abriß we-
gen einer neuen Sicht der Dinge.
  Wie gut haben es da Historiker, die sich mit der Landesge-
schichte beschäftigen! Da ist doch wenigstens alles nah
beieinander und greifbar. Und wenn gar ein Teilthema »Das
Saarland von 1947 bis 1955« heißt! Da gibt’s doch sogar noch
Zeitzeugen! Jetzt wird’s sicher stimmig!
  Ach, die Zeitzeugen. Sie sind wie Unfallzeugen. Jeder hat was
anderes gesehen. Jeder stellt was anderes dar, in des Ausdrucks
beiderlei Bedeutung. Aus Stimmigkeit wird Vielstimmigkeit,
und schon kann der Streit weitergehen!
  Wasse Glick! Denn die Summe der Meinungen ist es doch,
die, nach gängiger Theorie, der mündige Bürger zur Bildung
des eigenen Urteils heranzieht. Heute kann er sich dafür sogar
des Fernsehens fernbedienen. Es liefert ihm Tag für Tag die
Geschehnisse aus aller Welt aus. Der Bürger ist ohne Zeitver-
zögerung allgegenwärtig. Oskar Lafontaine nennt die Oktober-
novemberdezemberrevolutionen von 1989 »Technische Revo-
lutionen« (am 9.1.1990, im Staatstheater Saarbrücken): Weil sie
ohne den Multiplikator und Informator Fernsehen so nicht
zustandegekommen wären.
  Da ist viel Wahres dran. Aber die Wahrheit ist nie rein gül-

178
den, und die Technik geht nicht ohne Kopf, Instrument und
Werkzeug. Das Unwägbare hüpft, von den wenigsten wahrge-
nommen, auf die Waagschale der Geschichte. Die Gunst des
Augenblicks, falls die Kamera zur rechten Zeit am rechten Ort
war; der Zufall, wenn der Kameramann den richtigen Blick-
winkel gewählt hatte; der redaktionelle Zwang zum Heraustren-
nen von 15 zu sendenden Sekunden aus angelieferten 30 Minu-
ten Film; die Veränderung schließlich, die der Botschaft durch
Aufnahmefähigkeit, Wissen und Stimmung des Empfängers am
Empfänger widerfährt.
   Natürlich wissen wir Heutigen weit mehr als unsere Großel-
tern wußten; aber wissen wir’s deshalb besser? Schlägt Quanti-
tät irgendwann mal in Qualität um? Die »Man brauchte doch
bloß ...!«-Gesprächsebene von 1990 ff. ist weiterhin stammtisch-
flach. Der Ausschnitt, den unsere DDR-Deutschen jahrzehn-
telang dank Bildschirm für unsere bundesdeutsche Wirklich-
keit hielten, ist auch unser Wessi-Schicksal. Oder, wie es in ei-
ner Afternoonsense-Geschichte des Autors R.S. heißt: »Ab-
schließende Frage – was halten Sie von der Behauptung, wir
lebten im Zeitalter der Kommunikation?« – »Och wissen Sie, es
wird soo viel geredet ...«
   Zur Sache des Jahres 1947: Deutschland war zertrümmert,
das Dritte Reich zerschlagen. Und zerschlagen hatten sich in
den zwei Jahren der russischen Gefangenschaft auch alle
einstmals hochfliegenden Pläne.
Ich konnte bloß ein bißchen
zeichnen. Mein Vater konnte es
besser, aber er hatte einen anstän-
digen Beruf. Vater starb im No-
vember. Nach den Wahlen am 5.
Oktober ’47 war die Tür der saar-
ländischen Notstandsbaracke auf-
gemacht worden. Datteln und
Rotwein kamen rein. Die Ära
Hoffmann begann. Ich mußte

                                                             179
Erstes Honorar für »Zeit im Bild« (1947)

was verdienen. Im Spätsommer hatte ich schon für ein paar
Illustrationen das erste Honorar von der »Zeit im Bild« bekom-
men. Das war eine Illustrierte. Die Redaktion saß am St. Johan-
ner Markt im ersten Stock. Willy Hold, Rudi Lichtenhagen und
Karl Pelizaeus waren dabei; später kam Jupp Hoppen dazu. Da
hieß das Blatt »Illus«. Ich entwarf für den Werbedienst Hu-
schenbeth Kino-Dias. Der Inhaber fragte mich eines Tages, wa-
                                         rum meine Entwürfe
                                         so zerkratzt wären.
                                         »Wenn ich mich ver-
                                         zeichnet hab, muß ich
                                         doch die Rasierklinge
                                         nehmen..!« sagte ich.
                                         Er, ob ich schon mal
                                         was von Deckweiß ge-
                                         hört hätte.
                                            Ja, Leben heißt ler-
                                         nen. Die »Saarbrücker
                                         Zeitung« brachte eine
                                         Kinderpost heraus. Ich
                                         machte Verse und Illu-
                                         strationen. Vierfarbig,

180
Comic-Serien für die »Kinder-Post« (o. 1950-51, u. 1952-54)

                                                              181
Frühe Reklamearbeiten als Kinodias

           nach einem Verfahren klischiert, das Albert Ober, der Boß der
           Klischeeabteilung, sich ausgetüftelt hatte. Die Hühner würden heu-
           te darüber lachen. Karl Werner, der SZ-Hausgrafiker, fragte mich,
                                              ob ich nichts vom »Tintenfisch«
                                              wüßte. Den gäb’s seit kurzem im
                                              Hause. Ich nahm ein paar Zeich-
                                              nungen – Cartoons heißt das heu-
                                              te – und klingelte bei Bruno Kop-
                                              pelkamm in der Schumannstraße.
                                              Der war ganz häppy, daß da ein
                                              neuer Zeichner auftauchte. Ab
                                              Nummer 5 im Herbst ’48 hab’ ich
                                              mitgemacht. So fing das an.
                                                 Ja, der Tintenfisch. Wir waren
                                              dort eine seltsame Nachkriegs-
                                              mischung. Koppelkamm, der
                                              Chefredakteur und Herausge-
                                              ber, zeichnete und schrieb; er
                                              war wohl so was wie ein deutsch-
                                              nationaler Europäer. Bob, mein
»... im Innern hat sich nichts geändert!!...«
                                              Karikaturistenkollege, war vor

         182
der Einberufung in die Hitler-
Wehrmacht zur Fremdenlegion ab-
gehauen. Ich mit meiner Hitlerjun-
gen-Vergangenheit war der Jüng-
ste. Gelegentlich hockte der Eisen-
bahner Fritz Jung dabei; er schrieb
als Lalacrimas die trocken-hinter-
fotzigen Leserbriefe. Hans König
hat klammheimlich mitgearbeitet,
mit Dialektglossen; er war Land-
tagsstenograph und lieferte Insi-
der- und Hintergrund-Eizes.
  Peter Frantzen prägte den ersten
                                             Wahlen am 30. November 1952
karikierten Joho und zog sich nach
vier, fünf Ausgaben zurück. Er und Koppelkamm waren damals
die bekannten saarländischen Grafiker; Koppelkamm machte
klassisch gute Packungen und Plakate für die Saarländische Ta-
bakregie. Ich habe als Gebrauchsgrafik-Autodidakt eine Menge
bei ihm abgucken können. Wolfram Huschens hat ein paarmal
Karikaturen gebracht, Baltes,
anfangs auch der elegant
zeichnende Beuthin, bevor er
wieder nach Hamburg ging
und für die Bildzeitung arbei-
tete.
  Alle vierzehn Tage war Re-
daktionssitzung. Ich kam mit
dem Fahrrad, das ich meiner
Schwägerin für wenig Geld
abgekauft hatte. Meistens
schlug Koppelkamm die The-
men vor. Ein paar Tage
danach kamen wir mit unse-
ren Ideen und Skizzen
(scribbles heißen die heute,        »Ei ihr Litt – sinn doch froh, daß mir eier
                                         Arwit schaffe!!!« (Tintenfisch 6/1953)

                                                                    183
oder roughs). Koppelkamm suchte aus, wir machten unsere
Zeichnungen reproreif, die Texter schrieben ihre Artikel und
Glossen. Koppelkamm pappte Satz und Abzüge zusammen,
und das Ding ging in Druck. Die Titelseiten waren meistens
von mir, die meisten Rückseiten von Bob Strauch. Jeder hatte
die Schere im Kopf, aber jeden kribbelte es, auszuprobieren,
was geht. Die Leute lauerten auf den Tag, an dem der »Tinten-
fisch« zum Verkauf kam.
   Aber das Schönste war: Diese satirische Zeitschrift, ein
paarmal verboten, ein Simplizissimus-Verschnitt, der die Joho-
Ära ablehnend, bissig und witzelnd begleitete, anfangs an den
Kiosken im Nu vergriffen, später matter werdend, Ende ’53
schließlich versandend – dieses Organ erschien im Verlag der
regierungslammfrommen Saarbrücker Zeitung, und die gehör-
te damals den Franzosen. Eine Lehr-Zeit in Demokratie, von
den Franzosen konzediert? Eine Satire in sich? Vielleicht bei-
des. Und für unsereinen natürlich auch ein Broterwerb. Ein et-
was riskanter sicher, aber immerhin ...

 In diesen schwülen Tagen hat sich der Tintenfisch zu seinen heimatli-
 chen Gestaden begeben und malt am Meeresstrand, fern von mensch-
 lichen Physiognomien, Pinguine und anderes Getier. – Nicht selten je-
 doch naht auch dort die Versuchung .....

184
25 % weiße Stimmzettel 1952 ...

   Weiß der Himmel, woher ich
1948 mit meinen 22 Jahren die
Chuzpe genommen habe, den
gestandenen Mann Hoffmann
anzugehen, der aus der Not eine
Tugend, aus französischer Be-
satzungspolitik eine europäische
Perspektive machen wollte. War
es Zorn über das Ausbleiben
der verheißenen Ideale jener
Demokratie, für die zu streiten
wir jetzt heftig bereit waren?
   Da ist einfach ganz viel zu-
                                   »... der weiße Fleck ist nicht groß – die
sammengekommen. Für mich             Brille ist weiter gut zu gebrauchen.«
z. B. die Summe der 10 Jahre
von 35 bis 45: Die Rückgliederung als erstes bewußt wahrge-
nommenes politisches Ereignis; der Onkel aus dem pfälzischen
Ewwerzem und der Opa in der »Baddei«; die Hinneigung des
ungarisch-deutschen Mischlings zum Geburtsland Deutschland;
die Jahre im Jungvolk und in der Flieger-HJ; 1942 der selbstän-
dige Entschluß: ich melde mich zur Aufnahmeprüfung für den
Fliegersonderzug der NPEA Köslin; die anderthalb Napola-Jah-
re, formend weniger im nationalsozialistischen Sinne als durch
»Paul«, den Klassenlehrer mit seiner Kodderschnauze, dem auch
das Braune nicht heilig war; dann Krieg und Gefangenschaft;
zwei Jahre in Rußland, die ausreichten, den Kopf wieder frei zu
machen. Und nun kommst du nach Hause, hast die Nase voll
von allen Vaterfiguren nach dieser letzten großen, der du zuge-
jubelt hast – und dann präsentiert sich, kaum daß du am Kü-
chentisch platzgenommen hast, schon die nächste Figur.
Diesmal ein dicker, bärbeißig-jovialer Mann. Hat Pech gehabt,
ist gleich suspekt! Ist außerdem Emigrant! Da kommen,
schwupp!, die alten Klischees hoch, auch wenn du eigentlich ab
jetzt hattest denken wollen.
   Hoffmann regierte. Die Saarländer richteten sich ein. Es war

                                                                  185
eine seltsame Zeit. Als versierte Schmuggler hatten wir ein
Wettkampf-Verhältnis zu den französischen Zöllnern an der
saarländisch-deutschen Grenze, manchmal wohl gar mit gegen-
seitigem Augenblinzeln. Aber vor der Sûreté hatten wir Angst.
Der französische Franc mit seinem Perma-Schüttelfrost hat uns
jahrelang einen Schrecken nach dem andern eingejagt – aber
die Wirtschaftsbeziehungen mit Frankreich florierten. Hoff-
manns Sozialgesetzgebung war Klasse, aber unser deutsches
Blut war dicker – und die D-Mark stärker. Der Innenminister
Hector wurde gefürchtet. Sein Polizeichef Guy Lachmann war
»e prima Kerl«. Über Joho wurden unzählige Witze gerissen,
aber keiner konnte sie so gut erzählen, wie sein »Informations-
minister« Albert Dorscheid ...

      »Sprenge mol vorbei, Guy-Kurt, un guck, ob der Lausert wirklich
       nur in der Nas bohrt – Als derzeit hauptverantwortlicher Staats-
       verteidiger männ ich als, der däd so staatsgefährlich gucke!!?«

186
Auf Klaus Altmeyers »Nachge-
fragt: 23. Oktober 1955« habe ich u.a.
geantwortet: »Die an sich idealisti-
sche Idee, das Saarland als Auslöser
in ein sich gestaltendes, nicht natio-
nalstaatliches Europa einzubringen,
war von Anfang an korrumpiert:
durch die ›kalte‹ französische Anne-
xion, durch Zustandekommen, per-
sonelle Besetzung und politische Ta-        Edgar Hector
gespraxis der Hoffmann-Regierun-
gen. Die beginnende deutsch-französische Annäherung konn-
te nur zu der für beide Nationen und Europa lebensnotwendi-
gen Freundschaft werden, wenn der – durch Hitlerkrieg und
Folgen vergiftete – Zankapfel des autonomen Saarlandes besei-
tigt würde. Erst durch die Rückkehr der deutschen Saarländer
zu Deutschland konnte jenes Klima entstehen, in dem die la-
tent immer vorhandene gutnachbarliche Haltung der Saarlän-
der gegenüber den Franzosen sich zu fester Freundschaft ent-
wickeln würde. Die wiederum war Voraussetzung, wenn das
Bundesland Saarland Verstärker- und Transmissionsfunktion
für die Vertiefung der bundesdeutsch-französischen Freund-
schaftsbeziehungen übernehmen sollte; dies aber war eben m.E.
im geschichtlichen Sinne ein Auftrag an die Saarländer«. Das
sehe ich heute noch genauso.
   Der »Tintenfisch« war ein Stück saarländische Nachkriegsge-
schichte. Die Arbeit dort ging für mich beinah nahtlos über in
die anfangs verdeckte, später offene Mitarbeit beim NEIN der
Heimatbundparteien zum Saar-Referendum von 1955, das dann
die Ära Hoffmann beendete.
   Else Michler von der »Kinderpost« hatte eines Tages 1955 zu
mir gesagt: »Der Erich Voltmer, noch ein paar und ich, wir hau-
en hier bei der Saarbrücker Zeitung ab. Wir machen in Saarlouis
beim Fontaine die ›Neuesten Nachrichten‹. Der Erich fragt, ob
Du mitmachst«. Natürlich hab ich mitgemacht. In den Vorrefe-

                                                           187
rendums-Bedingungen          waren
                        »freie Zeitungen« ausgehandelt
                        worden. Die »NN« waren das Or-
                        gan der Saar-CDU unter Ney, der
                        damals noch gar nicht so genau
                        wußte, was er wollte, außer daß er
                        gegen Hoffmanns CVP war. Ich
                        hätte auch für die SPD gearbeitet,
                        aber nicht für Heinrich Schneiders
       Kurt Conrad      DPS. Bei Heini kam mir zu viel von
          SPD           dem raus, was ich für mein Teil
                        zehn Jahre vorher ad acta gelegt
                        hatte, ein für alle Mal. Gebranntes
                        Kind scheut das Feuer.
                          Der »Trommler« Heini war
                        Bauch und Motor für das NEIN
                        der drei Heimatbundparteien, mit
                        dem das Saar-Statut gekippt wer-
                        den sollte, das Adenauer und Men-
                        dès-France ausgetüftelt hatten. Wir
                        waren gegen das Statut, obwohl wir
  Heinrich Schneider    wußten, daß für den Fall, daß das
         DPS            NEIN durchkäme, offiziell über-
                        haupt nichts geregelt war. Wenn
                        Heini der Bauch gewesen ist, war
                        Manfred Schäfer einer der Köpfe.
                        Es war eine verrückte konspirative
                        Arbeit. Adenauer machte uns Bauch-
                        weh, weil er uns mit seiner JA-
                        Empfehlung Krümmel in den Käs
                        machte. Aber Kaisers Gesamtdeut-
                        sches Ministerium versorgte uns
                        mit dem nötigen Geld; Krischel
                        und andere brachten es irgendwie
      Manfred Schäfer   über die grüne Grenze. Reinert war
           CDU

188
dabei, der als Bub bei uns da-
heim um die Ecke in der Uh-
landstraße gewohnt hatte, und
Kläuschen Altmeyer, der mehr
von allen wußte, als manchen
von der anderen Seite lieb sein
konnte. Wir alle wollten auf kei-
nen Fall deutsch-französisches
Porzellan zerschlagen, aber uns
                                    Doch was der Smutje nicht bedachte:
störte eben der annexistische
                                     der Brei im Topfe »frei« sich machte!
Holzwurm der französischen
Saar-Politik zwischen 45 und 47, der wie
1919 tickte, bloß diesmal in der Europäi-
sierungsidee.
   Wir entwarfen manche plakative Sach-
aussage und versuchten uns wegzuhalten
von zerschmetternden Arbeiterfäusten,
Frontkämpfergespenstern und frommen
Kirchtürmen.
   Aber der Renner war, was die DPS er-
funden hatte: Der Dicke muß weg! Eine
schrecklich vereinfachte, ganz rüde For-
mel. Hoffmann hatte es mit seiner Innen-
politik dahin gebracht, daß zum Schluß mit
ihm nicht mehr argumentiert, sondern
bloß noch draufgeschlagen wurde.
   In der politisch überheizten Atmosphä-
re des Sommers ’55 sind damals massen-
weise die Sicherungen rausgeflogen. »Kör-
tie« und ich trennten uns mit Tränen in den
Augen als Kunde und Auftragnehmer; er
sah das Heil seiner Fabrik nur auf dem
Frankreich-Markt, ich sah das Heil der
deutsch-französischen Freundschaft im
klaren NEIN. Da wollte er nicht länger mit

                                                            189
mir. Oder der ehemalige
                                       NS-Wirtschaftsbonze an
                                       der Spitze der großen
                                       Handelskette, jetzt super-
                                       frankophiler Konvertit:
                                       »Wenn das JA durch ist,
                                       haben Sie Ihren letzten
»Nun gib den Schwanz doch endlich
 her, du Nationalist – mich kleidet er
                                       Strich für uns gemacht!« –
            viel besser!«              »Ist gut, Meister«, sagte
                                       ich, »aber wir kommen
 durch mit dem NEIN!« Das NEIN kam durch, aber rausgeflo-
 gen bin ich ein paar Jahre später trotzdem.
   In den drei Monaten garantierter politischer Freiheit vor dem
 23. Oktober 1955 ist ein Riß durch viele saarländische Familien
 gegangen – und durch die saarländischen Parteien. Väter, On-
 kel und Töchter haben sich wegen ihrer JA- oder NEIN-Über-
 zeugungen verkracht. Und als Adenauer uns in seiner Bochu-
 mer Rede das JA zum Statut ans Herz legte, da waren wir kurz
 davor, den Slogan »Der Dicke muß weg!« zu ergänzen: »Und
 der Alte auch!«
   All das ist längst verheilt. Und das vereinte Europa? Hitler
 hatte ihm mit Gewalt das großdeutsche Haupt aufsetzen wollen;
 Hoffmann gedachte, ein paar Jahre später, das Saarland als Herz-
 stück zu stiften. Beides ging daneben. Heute haben wir’s. Aber
 noch ist es bloß eine Verwaltungsmaschine. Doch ist wenigstens
 die deutsch-französische Freundschaft auf den Trümmern ge-
 wachsen, die in den zwanzig Jahren zwischen 35 und 55 anfie-
 len. Oder fing das alles schon 14/18 an? Oder 70/71?
   Aber zurück zum »Tintenfisch«. In die Ausstellung, die Elit-
 zer ihm 1980 gewidmet hatte, hängte ich neben meine Karika-
 turen diesen Text:
   »›Ich bringe die Gipskepp fier die Dekoratione ...‹ hieß die
 Unterschrift dieser Karikatur im ›Tintenfisch‹ zum Thema der
 Bexbacher Bauausstellung 1948 oder 49. Sie brachte dem ›Tin-
 tenfisch‹ sein erstes Verbot ein. Wir befürchteten damals, aus-

 190
gewiesen zu werden; davon abgesehen waren wir ziemlich stolz:
›Denne hammers awwer gäbb!‹
   Wir hatten keinen Grund, stolz zu sein; jedenfalls ist das seit
langem meine, des Zeichners, Meinung. Was mir und vielen
Lesern damals als scharfe politische Karikatur erschien, war
entweder dumm oder billig. Was sagte der Text, der das Verbot
auslöste:
   ›Die Gipskepp‹ – das war ein im Saarland und anderswo ge-
bräuchlicher, lockerer Ausdruck für Portraitbüsten auf dem
Klavier oder Vertiko. Die Gipskepp von Joho und anderen Re-
gierungsmitgliedern, das hatte zwar gewollt abschätzigen Klang
(und Bierzeitungs-Niveau), es war aber kein Verbotsgrund. ›...
fir die Dekoratione ...‹ hieß zunächst nur ›zur Garnierung der
Eröffnungsfeier‹; aber es hieß implizit auch: die Hoffmann,
Straus und Hector erfüllen Dekorationszwecke. Sie sind Erfül-
lungsgehilfen und sonst nichts.

      FEIERLICHE ERÖFFNUNG
               »Ich bringe die Gibbskepp fier die Dekoratione ..!«

   Ob solche Deklarierung unter damaligen Umständen ein Ver-
bot auslösen mußte, darüber kann man auch heute noch geteil-
ter Meinung sein. Daß die Deklarierung, jedenfalls Hoffmann
gegenüber, ungerecht und kränkend war, erscheint mir heute
sicher. Die Karikatur verkannte: daß Hoffmann 1935 emigrie-
ren mußte, weil er sich wegen Hitler gegen Deutschland ent-

                                                                 191
schieden hatte; daß er die Situation 1947 und die damaligen
französischen Absichten nur realistisch eingeschätzt hatte, als
er sich für die einzig mögliche (Sieger-)Lösung verpflichten ließ;
daß er die Chance einer Europäisierung zu jener Zeit wohl als
wirklichen Europa-Beitrag und Friedens-Geste verstand; daß
er im Rahmen eines – de facto – Besatzungsstatutes oft genug
Mut vor dem Halberger Königsthron Grandvals gezeigt hatte;
daß er mit den seinerzeit bescheidenen Mitteln saarländische
Politik machen wollte, wie er sie verstand; daß schließlich kei-
nem Andersdenkenden die gute Absicht abgesprochen werden
sollte, auch wenn man sie für noch so verfehlt hält.
   Das Nostalgische einer Ausstellung, wie es diese ist, braucht
einen Magenbitter, um nicht schal zu schmecken.
   Andererseits erkennt der Besucher: Der satirische ›Tinten-
fisch‹, der sich zwischen 1948 und 1953, zwischen offizieller
Duldung und Mißbilligung, zwischen Geboten und Verboten –
also zwischen Scylla und Charybdis eines vordemokratischen
Staatsgebildes im Saarwasser durchschlängelte, war außen blau
und etwas über DIN A4 groß. Wer als Nachkriegsgeborener
heute die manchmal in den Zeichnungen von damals vor dem
Argwohn der Beobachter versteckten wirklichen Pointen ver-
stehen wollte, müßte zuvor alle Verwinkelungen, Verflechtun-
gen und Verästelungen der ›Hoffmann-Ära‹ studiert haben. Wer
aber wiederum als Zeitgenosse jener Jahre bestürzt oder amü-
siert die Harmlosigkeit der meisten dieser Witzchen erkennt
und sich dabei des Rufs erinnert, den der ›Tintenfisch‹ als Hecht
im Karpfenteich der autonomen Saarlandzeit – sehr bald nach
1945! – hatte, erfährt etwas über die Relativitätstheorie: so we-
nig Freiheit schien uns damals viel.«

192
NACHTRAG ZU JOHO             (1997)

ln Brigitte Steinles Erinnerungsbuch
»Johannes Hoffmann – ein Leben«,
das die Enkelin dem Opa schuldig zu
sein glaubte, hieß es in meinem Text
1990 »... weil nicht alle Blütenträume
reiften ...« u.a.:
  »Wir Älteren, Zeitgenossen seiner
acht Jahre als Ministerpräsident des
Saarlandes, scheiden uns in solche,
die gegen den Joho waren und sol-
che, die für ihn waren. Unter beiden
Gruppen begann einige Zeit nach 55
eine Art Wählerwanderung. Sie geht
bei den NElN-Sagern zumindest in
Richtung einer positiveren Wertung
des ›Dicken‹. Sie hat sicher damit zu           Gilbert Grandval
tun, daß milder stimmendes Alter
                                     die einstmals heftigen Ak-
                                     teure oder Passivisten ereilt
                                     hat. Oder das bessere Wis-
                                     sen.
                                        Nicht, daß der Dicke nun
                                     auf einmal im strahlendsten
                                     Weiß seines Lebens dastün-
                                     de – er hat, als wir ihn kriti-
                                     sierten, sein Fett oft genug
                                     zu Recht weggehabt. Aber
                                     Rückschau – und Synopsis
                                     vom Trümmerhaufen auch
                                     neuerer gesellschaftlicher
                                     Hoffnungen aus – sieht den
                                     Joho und seinen Weg heut
       Johannes Hoffmann             in etwas anderem Licht.«

                                                                193
Und im Taschenbuch zur Landesausstellung »Von Spichern
bis zur Kleinen Wiedervereinigung – 40 Jahre 23. Oktober
1955«, die ihren Beitrag zur da und dort noch nötigen Wund-
pflege liefern sollte, gab es im Zusammenhang des Sommers
1955 mein Kapitel »Johos Tragik«:
  »Der Joho hat es schwer: Paris will die gute Beziehung zu
Bonn, und Adenauer will diese gute Beziehung zur Freund-
schaft machen. Um diesen Gang der Dinge nicht durch allzu
deutliche Zugeständnisse an saarländische Wünsche nach mehr
Unabhängigkeit zu stören, ist Paris bei den Wirtschaftsverhand-
lungen dem Hoffmann gegenüber oft arg hartleibig. Um die
saarländisch-französische Union aber nicht ins Gerede zu brin-
gen, kann Hoffmann wiederum sich daheim nicht öffentlich
über Paris beklagen.
  Bei Adenauer kann er sich auch nicht ausweinen – der hält
deutlich Distanz zu ihm und will ihn nach Annahme des Statuts
in der darauffolgenden Landtagswahl weggewählt sehen. Ade-
nauer, der deswegen das JA zum Statut will, muß sich seinerseits
über sein Gesamtdeutsches Ministerium ärgern. Dort finden
die prodeutschen Parteien offene Türen, offene Ohren und ei-
nen stets offenen Geldbeutel.
  Der Joho hat’s schwer.
  Seine Tragik aber – und die der meisten seiner Minister – ist,
daß es ihm nicht gelingt, die Erfahrung seines Emigrations-
schicksals in demokratische Politik umzusetzen.
  Eine große Zahl von Abgeordneten des 1. Saarländischen
Landtages von 1947 war in der Emigration gewesen. Die mei-
sten Mitglieder der ersten Hoffmann-Kabinette hatten – anders
als die Minister in späteren Kabinetten anderer Bundesländer –
ein Emigrationsschicksal hinter sich.
  Hoffmann und Straus, Braun und Kirn waren vor der Dikta-
tur Hitlers geflohen. Nun waren sie zurückgekehrt, sicher vol-
ler bester Absichten, und an der Macht. Nun hätte die Chance
bestanden, ein Lehrstück ›So wird Demokratie gemacht!‹ zu
praktizieren. Statt dessen verstricken sie sich, unter dem Zwang

194
Exilanten der NS-Zeit (v.li.):
            Emil Straus, Heinz Braun, Richard Kirn

der Nachkriegsverhältnisse und bei latentem Mißtrauen in die
demokratischen Befähigungen des deutschen Menschen an der
Saar, unlösbar in eine Meinungsdiktatur.
  Politische Absicht und personale Gegebenheiten ergänzen
einander. Die üblichen Mittel von Besatzungsmächten verfil-
zen sich mit den nachfolgenden Methoden des Innenministers.
Ob ›Spiegel‹, ›Neue Zeit‹, ›Tintenfisch‹ oder ›Le Monde‹ – jeder
kommt mal dran mit Zeitungsverbot; mal paßt dem Grandval
was nicht, mal seinem Hector, mal
dem Joho. Die Summe von Auswei-
sungen, Zeitungsverboten, Film-
überwachung zwecks katholisch
sauberer Leinwand, von Zensur-
und Abhörmaßnahmen, von Be-
spitzelung und Polizeiaktionen
ohne richterliche Anordnung, von
Einreiseverboten, Ausreisebeob-
achtung, Versammlungsverbot, Par-
teienverbot und das in Protesten
nach erster Lesung untergegangene Der spätere Minister Hermann
                                       Trittelvitz, dem unter Hoffmann
›Maulkorbgesetz‹ von 1950 – die die saarländische Staatsan-
Summe ergibt zusammen den Ne- gehörigkeit aberkannt wurde.
gativ-Saldo der Rechnung.

                                                                 195
Ob das Saarland, dieses vordemokratische Gebilde, ein Poli-
zeistaat war? Heinrich Schneider, der schärfste Gegner des
Hoffmann/Grandval-Staates von 1947 bis 1955, nannte ihn
›den totalen Staat in der Gestalt einer Diktatur‹ und den ›auf
Unfreiheit aufgebauten Scheinstaat‹.
  ›Le Figaro‹ schrieb 1950 über die Saar: ›Mit Mitteln der Des-
potie macht man keine Politik der Freiheit!‹«

         »Verstehen Sie, das ist nur mal ’ne Zwischenlösung –
                    solange noch nichts los ist ...«

196
STETS IM ZENTRUM SAARLÄNDISCHER
   AUFMERKSAMKEIT:

   Léon Blum            Aristide Briand       Charles de Gaulle

  Jean Monnet        Pierre Mendès-France      Robert Schuman

François Mitterand     Jacques Delors       Valéry Giscard d‘Estaing

                                                         197
SAARLÄNDISCHE MINISTERPRÄSIDENTEN

Heinrich Welsch              Hubert Ney              Egon Reinert

Franz Josef Röder           Werner Zeyer              Oskar Lafontaine

          Reinhard Klimmt                  Peter Müller
    198
Sie können auch lesen