Satire unter Johannes Hoffmann, Konrad Adenauer und Helmut Kohl - Roland Stigulinszky veröffentlicht u.d.T. "Der Tintenfisch und was danach kam" ...
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Satire unter Johannes Hoffmann, Konrad Adenauer und Helmut Kohl Vortrag 26.11.1996 Roland Stigulinszky veröffentlicht u.d.T. »Der ›Tintenfisch‹ und was danach kam« In: »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung«, St. Ingbert 2006, S. 178-198
DER »TINTENFISCH« UND WAS DANACH KAM (1990) Historiker suchen im Staub der Geschichte. Der wird beim Su- chen aufgewirbelt, was die Sicht nicht gerade verbessert. Mit den schließlich gefundenen Bruchstücken dessen, was war, fin- det dann Rekonstruktion statt. In den Wiederaufbau fließen als Elemente u.a. Vor-Wissen, Vor-Urteil und Vor-Eingenommen- heit der Historiker ein. Die fertige Weltgeschichte, die uns in der Schule gelehrt, in Büchern gedruckt und in Museen gezeigt wird, ist dann nie jenes Bauwerk, das die Menschen zu ihrer Zeit bewohnt hatten. Aber das macht nix. Es wird ohnehin ja von Zeit zu Zeit immer mal wieder umgebaut. Hier ein Kapi- tellchen, dort ein Konsölchen, da eine Empore. Oder ein Mit- telrisalit. Manchmal erfolgt aber auch der komplette Abriß we- gen einer neuen Sicht der Dinge. Wie gut haben es da Historiker, die sich mit der Landesge- schichte beschäftigen! Da ist doch wenigstens alles nah beieinander und greifbar. Und wenn gar ein Teilthema »Das Saarland von 1947 bis 1955« heißt! Da gibt’s doch sogar noch Zeitzeugen! Jetzt wird’s sicher stimmig! Ach, die Zeitzeugen. Sie sind wie Unfallzeugen. Jeder hat was anderes gesehen. Jeder stellt was anderes dar, in des Ausdrucks beiderlei Bedeutung. Aus Stimmigkeit wird Vielstimmigkeit, und schon kann der Streit weitergehen! Wasse Glick! Denn die Summe der Meinungen ist es doch, die, nach gängiger Theorie, der mündige Bürger zur Bildung des eigenen Urteils heranzieht. Heute kann er sich dafür sogar des Fernsehens fernbedienen. Es liefert ihm Tag für Tag die Geschehnisse aus aller Welt aus. Der Bürger ist ohne Zeitver- zögerung allgegenwärtig. Oskar Lafontaine nennt die Oktober- novemberdezemberrevolutionen von 1989 »Technische Revo- lutionen« (am 9.1.1990, im Staatstheater Saarbrücken): Weil sie ohne den Multiplikator und Informator Fernsehen so nicht zustandegekommen wären. Da ist viel Wahres dran. Aber die Wahrheit ist nie rein gül- 178
den, und die Technik geht nicht ohne Kopf, Instrument und Werkzeug. Das Unwägbare hüpft, von den wenigsten wahrge- nommen, auf die Waagschale der Geschichte. Die Gunst des Augenblicks, falls die Kamera zur rechten Zeit am rechten Ort war; der Zufall, wenn der Kameramann den richtigen Blick- winkel gewählt hatte; der redaktionelle Zwang zum Heraustren- nen von 15 zu sendenden Sekunden aus angelieferten 30 Minu- ten Film; die Veränderung schließlich, die der Botschaft durch Aufnahmefähigkeit, Wissen und Stimmung des Empfängers am Empfänger widerfährt. Natürlich wissen wir Heutigen weit mehr als unsere Großel- tern wußten; aber wissen wir’s deshalb besser? Schlägt Quanti- tät irgendwann mal in Qualität um? Die »Man brauchte doch bloß ...!«-Gesprächsebene von 1990 ff. ist weiterhin stammtisch- flach. Der Ausschnitt, den unsere DDR-Deutschen jahrzehn- telang dank Bildschirm für unsere bundesdeutsche Wirklich- keit hielten, ist auch unser Wessi-Schicksal. Oder, wie es in ei- ner Afternoonsense-Geschichte des Autors R.S. heißt: »Ab- schließende Frage – was halten Sie von der Behauptung, wir lebten im Zeitalter der Kommunikation?« – »Och wissen Sie, es wird soo viel geredet ...« Zur Sache des Jahres 1947: Deutschland war zertrümmert, das Dritte Reich zerschlagen. Und zerschlagen hatten sich in den zwei Jahren der russischen Gefangenschaft auch alle einstmals hochfliegenden Pläne. Ich konnte bloß ein bißchen zeichnen. Mein Vater konnte es besser, aber er hatte einen anstän- digen Beruf. Vater starb im No- vember. Nach den Wahlen am 5. Oktober ’47 war die Tür der saar- ländischen Notstandsbaracke auf- gemacht worden. Datteln und Rotwein kamen rein. Die Ära Hoffmann begann. Ich mußte 179
Erstes Honorar für »Zeit im Bild« (1947) was verdienen. Im Spätsommer hatte ich schon für ein paar Illustrationen das erste Honorar von der »Zeit im Bild« bekom- men. Das war eine Illustrierte. Die Redaktion saß am St. Johan- ner Markt im ersten Stock. Willy Hold, Rudi Lichtenhagen und Karl Pelizaeus waren dabei; später kam Jupp Hoppen dazu. Da hieß das Blatt »Illus«. Ich entwarf für den Werbedienst Hu- schenbeth Kino-Dias. Der Inhaber fragte mich eines Tages, wa- rum meine Entwürfe so zerkratzt wären. »Wenn ich mich ver- zeichnet hab, muß ich doch die Rasierklinge nehmen..!« sagte ich. Er, ob ich schon mal was von Deckweiß ge- hört hätte. Ja, Leben heißt ler- nen. Die »Saarbrücker Zeitung« brachte eine Kinderpost heraus. Ich machte Verse und Illu- strationen. Vierfarbig, 180
Comic-Serien für die »Kinder-Post« (o. 1950-51, u. 1952-54) 181
Frühe Reklamearbeiten als Kinodias nach einem Verfahren klischiert, das Albert Ober, der Boß der Klischeeabteilung, sich ausgetüftelt hatte. Die Hühner würden heu- te darüber lachen. Karl Werner, der SZ-Hausgrafiker, fragte mich, ob ich nichts vom »Tintenfisch« wüßte. Den gäb’s seit kurzem im Hause. Ich nahm ein paar Zeich- nungen – Cartoons heißt das heu- te – und klingelte bei Bruno Kop- pelkamm in der Schumannstraße. Der war ganz häppy, daß da ein neuer Zeichner auftauchte. Ab Nummer 5 im Herbst ’48 hab’ ich mitgemacht. So fing das an. Ja, der Tintenfisch. Wir waren dort eine seltsame Nachkriegs- mischung. Koppelkamm, der Chefredakteur und Herausge- ber, zeichnete und schrieb; er war wohl so was wie ein deutsch- nationaler Europäer. Bob, mein »... im Innern hat sich nichts geändert!!...« Karikaturistenkollege, war vor 182
der Einberufung in die Hitler- Wehrmacht zur Fremdenlegion ab- gehauen. Ich mit meiner Hitlerjun- gen-Vergangenheit war der Jüng- ste. Gelegentlich hockte der Eisen- bahner Fritz Jung dabei; er schrieb als Lalacrimas die trocken-hinter- fotzigen Leserbriefe. Hans König hat klammheimlich mitgearbeitet, mit Dialektglossen; er war Land- tagsstenograph und lieferte Insi- der- und Hintergrund-Eizes. Peter Frantzen prägte den ersten Wahlen am 30. November 1952 karikierten Joho und zog sich nach vier, fünf Ausgaben zurück. Er und Koppelkamm waren damals die bekannten saarländischen Grafiker; Koppelkamm machte klassisch gute Packungen und Plakate für die Saarländische Ta- bakregie. Ich habe als Gebrauchsgrafik-Autodidakt eine Menge bei ihm abgucken können. Wolfram Huschens hat ein paarmal Karikaturen gebracht, Baltes, anfangs auch der elegant zeichnende Beuthin, bevor er wieder nach Hamburg ging und für die Bildzeitung arbei- tete. Alle vierzehn Tage war Re- daktionssitzung. Ich kam mit dem Fahrrad, das ich meiner Schwägerin für wenig Geld abgekauft hatte. Meistens schlug Koppelkamm die The- men vor. Ein paar Tage danach kamen wir mit unse- ren Ideen und Skizzen (scribbles heißen die heute, »Ei ihr Litt – sinn doch froh, daß mir eier Arwit schaffe!!!« (Tintenfisch 6/1953) 183
oder roughs). Koppelkamm suchte aus, wir machten unsere Zeichnungen reproreif, die Texter schrieben ihre Artikel und Glossen. Koppelkamm pappte Satz und Abzüge zusammen, und das Ding ging in Druck. Die Titelseiten waren meistens von mir, die meisten Rückseiten von Bob Strauch. Jeder hatte die Schere im Kopf, aber jeden kribbelte es, auszuprobieren, was geht. Die Leute lauerten auf den Tag, an dem der »Tinten- fisch« zum Verkauf kam. Aber das Schönste war: Diese satirische Zeitschrift, ein paarmal verboten, ein Simplizissimus-Verschnitt, der die Joho- Ära ablehnend, bissig und witzelnd begleitete, anfangs an den Kiosken im Nu vergriffen, später matter werdend, Ende ’53 schließlich versandend – dieses Organ erschien im Verlag der regierungslammfrommen Saarbrücker Zeitung, und die gehör- te damals den Franzosen. Eine Lehr-Zeit in Demokratie, von den Franzosen konzediert? Eine Satire in sich? Vielleicht bei- des. Und für unsereinen natürlich auch ein Broterwerb. Ein et- was riskanter sicher, aber immerhin ... In diesen schwülen Tagen hat sich der Tintenfisch zu seinen heimatli- chen Gestaden begeben und malt am Meeresstrand, fern von mensch- lichen Physiognomien, Pinguine und anderes Getier. – Nicht selten je- doch naht auch dort die Versuchung ..... 184
25 % weiße Stimmzettel 1952 ... Weiß der Himmel, woher ich 1948 mit meinen 22 Jahren die Chuzpe genommen habe, den gestandenen Mann Hoffmann anzugehen, der aus der Not eine Tugend, aus französischer Be- satzungspolitik eine europäische Perspektive machen wollte. War es Zorn über das Ausbleiben der verheißenen Ideale jener Demokratie, für die zu streiten wir jetzt heftig bereit waren? Da ist einfach ganz viel zu- »... der weiße Fleck ist nicht groß – die sammengekommen. Für mich Brille ist weiter gut zu gebrauchen.« z. B. die Summe der 10 Jahre von 35 bis 45: Die Rückgliederung als erstes bewußt wahrge- nommenes politisches Ereignis; der Onkel aus dem pfälzischen Ewwerzem und der Opa in der »Baddei«; die Hinneigung des ungarisch-deutschen Mischlings zum Geburtsland Deutschland; die Jahre im Jungvolk und in der Flieger-HJ; 1942 der selbstän- dige Entschluß: ich melde mich zur Aufnahmeprüfung für den Fliegersonderzug der NPEA Köslin; die anderthalb Napola-Jah- re, formend weniger im nationalsozialistischen Sinne als durch »Paul«, den Klassenlehrer mit seiner Kodderschnauze, dem auch das Braune nicht heilig war; dann Krieg und Gefangenschaft; zwei Jahre in Rußland, die ausreichten, den Kopf wieder frei zu machen. Und nun kommst du nach Hause, hast die Nase voll von allen Vaterfiguren nach dieser letzten großen, der du zuge- jubelt hast – und dann präsentiert sich, kaum daß du am Kü- chentisch platzgenommen hast, schon die nächste Figur. Diesmal ein dicker, bärbeißig-jovialer Mann. Hat Pech gehabt, ist gleich suspekt! Ist außerdem Emigrant! Da kommen, schwupp!, die alten Klischees hoch, auch wenn du eigentlich ab jetzt hattest denken wollen. Hoffmann regierte. Die Saarländer richteten sich ein. Es war 185
eine seltsame Zeit. Als versierte Schmuggler hatten wir ein Wettkampf-Verhältnis zu den französischen Zöllnern an der saarländisch-deutschen Grenze, manchmal wohl gar mit gegen- seitigem Augenblinzeln. Aber vor der Sûreté hatten wir Angst. Der französische Franc mit seinem Perma-Schüttelfrost hat uns jahrelang einen Schrecken nach dem andern eingejagt – aber die Wirtschaftsbeziehungen mit Frankreich florierten. Hoff- manns Sozialgesetzgebung war Klasse, aber unser deutsches Blut war dicker – und die D-Mark stärker. Der Innenminister Hector wurde gefürchtet. Sein Polizeichef Guy Lachmann war »e prima Kerl«. Über Joho wurden unzählige Witze gerissen, aber keiner konnte sie so gut erzählen, wie sein »Informations- minister« Albert Dorscheid ... »Sprenge mol vorbei, Guy-Kurt, un guck, ob der Lausert wirklich nur in der Nas bohrt – Als derzeit hauptverantwortlicher Staats- verteidiger männ ich als, der däd so staatsgefährlich gucke!!?« 186
Auf Klaus Altmeyers »Nachge- fragt: 23. Oktober 1955« habe ich u.a. geantwortet: »Die an sich idealisti- sche Idee, das Saarland als Auslöser in ein sich gestaltendes, nicht natio- nalstaatliches Europa einzubringen, war von Anfang an korrumpiert: durch die ›kalte‹ französische Anne- xion, durch Zustandekommen, per- sonelle Besetzung und politische Ta- Edgar Hector gespraxis der Hoffmann-Regierun- gen. Die beginnende deutsch-französische Annäherung konn- te nur zu der für beide Nationen und Europa lebensnotwendi- gen Freundschaft werden, wenn der – durch Hitlerkrieg und Folgen vergiftete – Zankapfel des autonomen Saarlandes besei- tigt würde. Erst durch die Rückkehr der deutschen Saarländer zu Deutschland konnte jenes Klima entstehen, in dem die la- tent immer vorhandene gutnachbarliche Haltung der Saarlän- der gegenüber den Franzosen sich zu fester Freundschaft ent- wickeln würde. Die wiederum war Voraussetzung, wenn das Bundesland Saarland Verstärker- und Transmissionsfunktion für die Vertiefung der bundesdeutsch-französischen Freund- schaftsbeziehungen übernehmen sollte; dies aber war eben m.E. im geschichtlichen Sinne ein Auftrag an die Saarländer«. Das sehe ich heute noch genauso. Der »Tintenfisch« war ein Stück saarländische Nachkriegsge- schichte. Die Arbeit dort ging für mich beinah nahtlos über in die anfangs verdeckte, später offene Mitarbeit beim NEIN der Heimatbundparteien zum Saar-Referendum von 1955, das dann die Ära Hoffmann beendete. Else Michler von der »Kinderpost« hatte eines Tages 1955 zu mir gesagt: »Der Erich Voltmer, noch ein paar und ich, wir hau- en hier bei der Saarbrücker Zeitung ab. Wir machen in Saarlouis beim Fontaine die ›Neuesten Nachrichten‹. Der Erich fragt, ob Du mitmachst«. Natürlich hab ich mitgemacht. In den Vorrefe- 187
rendums-Bedingungen waren »freie Zeitungen« ausgehandelt worden. Die »NN« waren das Or- gan der Saar-CDU unter Ney, der damals noch gar nicht so genau wußte, was er wollte, außer daß er gegen Hoffmanns CVP war. Ich hätte auch für die SPD gearbeitet, aber nicht für Heinrich Schneiders Kurt Conrad DPS. Bei Heini kam mir zu viel von SPD dem raus, was ich für mein Teil zehn Jahre vorher ad acta gelegt hatte, ein für alle Mal. Gebranntes Kind scheut das Feuer. Der »Trommler« Heini war Bauch und Motor für das NEIN der drei Heimatbundparteien, mit dem das Saar-Statut gekippt wer- den sollte, das Adenauer und Men- dès-France ausgetüftelt hatten. Wir waren gegen das Statut, obwohl wir Heinrich Schneider wußten, daß für den Fall, daß das DPS NEIN durchkäme, offiziell über- haupt nichts geregelt war. Wenn Heini der Bauch gewesen ist, war Manfred Schäfer einer der Köpfe. Es war eine verrückte konspirative Arbeit. Adenauer machte uns Bauch- weh, weil er uns mit seiner JA- Empfehlung Krümmel in den Käs machte. Aber Kaisers Gesamtdeut- sches Ministerium versorgte uns mit dem nötigen Geld; Krischel und andere brachten es irgendwie Manfred Schäfer über die grüne Grenze. Reinert war CDU 188
dabei, der als Bub bei uns da- heim um die Ecke in der Uh- landstraße gewohnt hatte, und Kläuschen Altmeyer, der mehr von allen wußte, als manchen von der anderen Seite lieb sein konnte. Wir alle wollten auf kei- nen Fall deutsch-französisches Porzellan zerschlagen, aber uns Doch was der Smutje nicht bedachte: störte eben der annexistische der Brei im Topfe »frei« sich machte! Holzwurm der französischen Saar-Politik zwischen 45 und 47, der wie 1919 tickte, bloß diesmal in der Europäi- sierungsidee. Wir entwarfen manche plakative Sach- aussage und versuchten uns wegzuhalten von zerschmetternden Arbeiterfäusten, Frontkämpfergespenstern und frommen Kirchtürmen. Aber der Renner war, was die DPS er- funden hatte: Der Dicke muß weg! Eine schrecklich vereinfachte, ganz rüde For- mel. Hoffmann hatte es mit seiner Innen- politik dahin gebracht, daß zum Schluß mit ihm nicht mehr argumentiert, sondern bloß noch draufgeschlagen wurde. In der politisch überheizten Atmosphä- re des Sommers ’55 sind damals massen- weise die Sicherungen rausgeflogen. »Kör- tie« und ich trennten uns mit Tränen in den Augen als Kunde und Auftragnehmer; er sah das Heil seiner Fabrik nur auf dem Frankreich-Markt, ich sah das Heil der deutsch-französischen Freundschaft im klaren NEIN. Da wollte er nicht länger mit 189
mir. Oder der ehemalige NS-Wirtschaftsbonze an der Spitze der großen Handelskette, jetzt super- frankophiler Konvertit: »Wenn das JA durch ist, haben Sie Ihren letzten »Nun gib den Schwanz doch endlich her, du Nationalist – mich kleidet er Strich für uns gemacht!« – viel besser!« »Ist gut, Meister«, sagte ich, »aber wir kommen durch mit dem NEIN!« Das NEIN kam durch, aber rausgeflo- gen bin ich ein paar Jahre später trotzdem. In den drei Monaten garantierter politischer Freiheit vor dem 23. Oktober 1955 ist ein Riß durch viele saarländische Familien gegangen – und durch die saarländischen Parteien. Väter, On- kel und Töchter haben sich wegen ihrer JA- oder NEIN-Über- zeugungen verkracht. Und als Adenauer uns in seiner Bochu- mer Rede das JA zum Statut ans Herz legte, da waren wir kurz davor, den Slogan »Der Dicke muß weg!« zu ergänzen: »Und der Alte auch!« All das ist längst verheilt. Und das vereinte Europa? Hitler hatte ihm mit Gewalt das großdeutsche Haupt aufsetzen wollen; Hoffmann gedachte, ein paar Jahre später, das Saarland als Herz- stück zu stiften. Beides ging daneben. Heute haben wir’s. Aber noch ist es bloß eine Verwaltungsmaschine. Doch ist wenigstens die deutsch-französische Freundschaft auf den Trümmern ge- wachsen, die in den zwanzig Jahren zwischen 35 und 55 anfie- len. Oder fing das alles schon 14/18 an? Oder 70/71? Aber zurück zum »Tintenfisch«. In die Ausstellung, die Elit- zer ihm 1980 gewidmet hatte, hängte ich neben meine Karika- turen diesen Text: »›Ich bringe die Gipskepp fier die Dekoratione ...‹ hieß die Unterschrift dieser Karikatur im ›Tintenfisch‹ zum Thema der Bexbacher Bauausstellung 1948 oder 49. Sie brachte dem ›Tin- tenfisch‹ sein erstes Verbot ein. Wir befürchteten damals, aus- 190
gewiesen zu werden; davon abgesehen waren wir ziemlich stolz: ›Denne hammers awwer gäbb!‹ Wir hatten keinen Grund, stolz zu sein; jedenfalls ist das seit langem meine, des Zeichners, Meinung. Was mir und vielen Lesern damals als scharfe politische Karikatur erschien, war entweder dumm oder billig. Was sagte der Text, der das Verbot auslöste: ›Die Gipskepp‹ – das war ein im Saarland und anderswo ge- bräuchlicher, lockerer Ausdruck für Portraitbüsten auf dem Klavier oder Vertiko. Die Gipskepp von Joho und anderen Re- gierungsmitgliedern, das hatte zwar gewollt abschätzigen Klang (und Bierzeitungs-Niveau), es war aber kein Verbotsgrund. ›... fir die Dekoratione ...‹ hieß zunächst nur ›zur Garnierung der Eröffnungsfeier‹; aber es hieß implizit auch: die Hoffmann, Straus und Hector erfüllen Dekorationszwecke. Sie sind Erfül- lungsgehilfen und sonst nichts. FEIERLICHE ERÖFFNUNG »Ich bringe die Gibbskepp fier die Dekoratione ..!« Ob solche Deklarierung unter damaligen Umständen ein Ver- bot auslösen mußte, darüber kann man auch heute noch geteil- ter Meinung sein. Daß die Deklarierung, jedenfalls Hoffmann gegenüber, ungerecht und kränkend war, erscheint mir heute sicher. Die Karikatur verkannte: daß Hoffmann 1935 emigrie- ren mußte, weil er sich wegen Hitler gegen Deutschland ent- 191
schieden hatte; daß er die Situation 1947 und die damaligen französischen Absichten nur realistisch eingeschätzt hatte, als er sich für die einzig mögliche (Sieger-)Lösung verpflichten ließ; daß er die Chance einer Europäisierung zu jener Zeit wohl als wirklichen Europa-Beitrag und Friedens-Geste verstand; daß er im Rahmen eines – de facto – Besatzungsstatutes oft genug Mut vor dem Halberger Königsthron Grandvals gezeigt hatte; daß er mit den seinerzeit bescheidenen Mitteln saarländische Politik machen wollte, wie er sie verstand; daß schließlich kei- nem Andersdenkenden die gute Absicht abgesprochen werden sollte, auch wenn man sie für noch so verfehlt hält. Das Nostalgische einer Ausstellung, wie es diese ist, braucht einen Magenbitter, um nicht schal zu schmecken. Andererseits erkennt der Besucher: Der satirische ›Tinten- fisch‹, der sich zwischen 1948 und 1953, zwischen offizieller Duldung und Mißbilligung, zwischen Geboten und Verboten – also zwischen Scylla und Charybdis eines vordemokratischen Staatsgebildes im Saarwasser durchschlängelte, war außen blau und etwas über DIN A4 groß. Wer als Nachkriegsgeborener heute die manchmal in den Zeichnungen von damals vor dem Argwohn der Beobachter versteckten wirklichen Pointen ver- stehen wollte, müßte zuvor alle Verwinkelungen, Verflechtun- gen und Verästelungen der ›Hoffmann-Ära‹ studiert haben. Wer aber wiederum als Zeitgenosse jener Jahre bestürzt oder amü- siert die Harmlosigkeit der meisten dieser Witzchen erkennt und sich dabei des Rufs erinnert, den der ›Tintenfisch‹ als Hecht im Karpfenteich der autonomen Saarlandzeit – sehr bald nach 1945! – hatte, erfährt etwas über die Relativitätstheorie: so we- nig Freiheit schien uns damals viel.« 192
NACHTRAG ZU JOHO (1997) ln Brigitte Steinles Erinnerungsbuch »Johannes Hoffmann – ein Leben«, das die Enkelin dem Opa schuldig zu sein glaubte, hieß es in meinem Text 1990 »... weil nicht alle Blütenträume reiften ...« u.a.: »Wir Älteren, Zeitgenossen seiner acht Jahre als Ministerpräsident des Saarlandes, scheiden uns in solche, die gegen den Joho waren und sol- che, die für ihn waren. Unter beiden Gruppen begann einige Zeit nach 55 eine Art Wählerwanderung. Sie geht bei den NElN-Sagern zumindest in Richtung einer positiveren Wertung des ›Dicken‹. Sie hat sicher damit zu Gilbert Grandval tun, daß milder stimmendes Alter die einstmals heftigen Ak- teure oder Passivisten ereilt hat. Oder das bessere Wis- sen. Nicht, daß der Dicke nun auf einmal im strahlendsten Weiß seines Lebens dastün- de – er hat, als wir ihn kriti- sierten, sein Fett oft genug zu Recht weggehabt. Aber Rückschau – und Synopsis vom Trümmerhaufen auch neuerer gesellschaftlicher Hoffnungen aus – sieht den Joho und seinen Weg heut Johannes Hoffmann in etwas anderem Licht.« 193
Und im Taschenbuch zur Landesausstellung »Von Spichern bis zur Kleinen Wiedervereinigung – 40 Jahre 23. Oktober 1955«, die ihren Beitrag zur da und dort noch nötigen Wund- pflege liefern sollte, gab es im Zusammenhang des Sommers 1955 mein Kapitel »Johos Tragik«: »Der Joho hat es schwer: Paris will die gute Beziehung zu Bonn, und Adenauer will diese gute Beziehung zur Freund- schaft machen. Um diesen Gang der Dinge nicht durch allzu deutliche Zugeständnisse an saarländische Wünsche nach mehr Unabhängigkeit zu stören, ist Paris bei den Wirtschaftsverhand- lungen dem Hoffmann gegenüber oft arg hartleibig. Um die saarländisch-französische Union aber nicht ins Gerede zu brin- gen, kann Hoffmann wiederum sich daheim nicht öffentlich über Paris beklagen. Bei Adenauer kann er sich auch nicht ausweinen – der hält deutlich Distanz zu ihm und will ihn nach Annahme des Statuts in der darauffolgenden Landtagswahl weggewählt sehen. Ade- nauer, der deswegen das JA zum Statut will, muß sich seinerseits über sein Gesamtdeutsches Ministerium ärgern. Dort finden die prodeutschen Parteien offene Türen, offene Ohren und ei- nen stets offenen Geldbeutel. Der Joho hat’s schwer. Seine Tragik aber – und die der meisten seiner Minister – ist, daß es ihm nicht gelingt, die Erfahrung seines Emigrations- schicksals in demokratische Politik umzusetzen. Eine große Zahl von Abgeordneten des 1. Saarländischen Landtages von 1947 war in der Emigration gewesen. Die mei- sten Mitglieder der ersten Hoffmann-Kabinette hatten – anders als die Minister in späteren Kabinetten anderer Bundesländer – ein Emigrationsschicksal hinter sich. Hoffmann und Straus, Braun und Kirn waren vor der Dikta- tur Hitlers geflohen. Nun waren sie zurückgekehrt, sicher vol- ler bester Absichten, und an der Macht. Nun hätte die Chance bestanden, ein Lehrstück ›So wird Demokratie gemacht!‹ zu praktizieren. Statt dessen verstricken sie sich, unter dem Zwang 194
Exilanten der NS-Zeit (v.li.): Emil Straus, Heinz Braun, Richard Kirn der Nachkriegsverhältnisse und bei latentem Mißtrauen in die demokratischen Befähigungen des deutschen Menschen an der Saar, unlösbar in eine Meinungsdiktatur. Politische Absicht und personale Gegebenheiten ergänzen einander. Die üblichen Mittel von Besatzungsmächten verfil- zen sich mit den nachfolgenden Methoden des Innenministers. Ob ›Spiegel‹, ›Neue Zeit‹, ›Tintenfisch‹ oder ›Le Monde‹ – jeder kommt mal dran mit Zeitungsverbot; mal paßt dem Grandval was nicht, mal seinem Hector, mal dem Joho. Die Summe von Auswei- sungen, Zeitungsverboten, Film- überwachung zwecks katholisch sauberer Leinwand, von Zensur- und Abhörmaßnahmen, von Be- spitzelung und Polizeiaktionen ohne richterliche Anordnung, von Einreiseverboten, Ausreisebeob- achtung, Versammlungsverbot, Par- teienverbot und das in Protesten nach erster Lesung untergegangene Der spätere Minister Hermann Trittelvitz, dem unter Hoffmann ›Maulkorbgesetz‹ von 1950 – die die saarländische Staatsan- Summe ergibt zusammen den Ne- gehörigkeit aberkannt wurde. gativ-Saldo der Rechnung. 195
Ob das Saarland, dieses vordemokratische Gebilde, ein Poli- zeistaat war? Heinrich Schneider, der schärfste Gegner des Hoffmann/Grandval-Staates von 1947 bis 1955, nannte ihn ›den totalen Staat in der Gestalt einer Diktatur‹ und den ›auf Unfreiheit aufgebauten Scheinstaat‹. ›Le Figaro‹ schrieb 1950 über die Saar: ›Mit Mitteln der Des- potie macht man keine Politik der Freiheit!‹« »Verstehen Sie, das ist nur mal ’ne Zwischenlösung – solange noch nichts los ist ...« 196
STETS IM ZENTRUM SAARLÄNDISCHER AUFMERKSAMKEIT: Léon Blum Aristide Briand Charles de Gaulle Jean Monnet Pierre Mendès-France Robert Schuman François Mitterand Jacques Delors Valéry Giscard d‘Estaing 197
SAARLÄNDISCHE MINISTERPRÄSIDENTEN Heinrich Welsch Hubert Ney Egon Reinert Franz Josef Röder Werner Zeyer Oskar Lafontaine Reinhard Klimmt Peter Müller 198
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