SCHEIN ODER SEIN DER BÜRGER AUF DER BÜHNE DES 19. JAHRHUNDERTS - März bis 8. September 2019 - Kulturhaus ...

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SCHEIN ODER SEIN DER BÜRGER AUF DER BÜHNE DES 19. JAHRHUNDERTS - März bis 8. September 2019 - Kulturhaus ...
SCHEIN
ODER SEIN
    DER BÜRGER AUF
     DER BÜHNE DES
   19. JAHRHUNDERTS
      30. März bis 8. September 2019

 MUSEUM FÜR KUNST UND           UNSER KULTURPARTNER   IN KOOPERATION MIT
 TECHNIK DES 19. JAHRHUNDERTS
 Lichtentaler Allee 8
 76530 Baden-Baden
 www.museum.la8.de

                        PRESSEMAPPE
SCHEIN ODER SEIN DER BÜRGER AUF DER BÜHNE DES 19. JAHRHUNDERTS - März bis 8. September 2019 - Kulturhaus ...
MUSEUM LA8
Museum für Kunst und Technik des
19. Jahrhunderts, Baden-Baden

PRESSEMITTEILUNG:
SCHEIN ODER SEIN.
Der Bürger auf der Bühne des 19. Jahrhunderts
30. März bis 8. September 2019

                                                                                  MUSEUM LA8
                                                                                  Museum für Kunst
                                                                                  und Technik des
                                                                                  19. Jahrhunderts
                                                                                  Lichtentaler Allee 8
                                                                                  76530 Baden-Baden
                                                                                  Tel.: 07221 – 50 07 96-0
                                                                                  info@museum.la8.de
                                                                                  www.museum.la8.de

                                                                                  Direktor:
                                                                                  Prof. Dr. Matthias Winzen
                                                                                  Kuratorin: Dr. Irene
                                                                                  Haberland

                                                                                  PRESSE/PR:
                                                                                  Kristina Helena Pavićević
                                                                                  Tel.: 040 – 51 90 59 20
                                                                                  kpavicevic@museum.la8.de
                                                                                  www.museum.la8.de/presse

 Emil Bieber (1878---1962),               Photoatelier E. Lange,                  ÖFFNUNGSZEITEN:
 Adalbert Matkowsky (1858---1903)         Carte-de-visite, um 1865, Fotografie,   Di. bis So.: 11.00 – 18.00 Uhr
 als Hamlet in William                    Kopenhagen,                             Geöffnet an allen Feiertagen
 Shakespeares Hamlet, um 1900,            Foto: Henrik Elburn
 Fotografie, Universitätsbibliothek                                               EINTRITT:
 Johann Christian Senckenberg,                                                    Erwachsene: 7,- €
 Frankfurt a. M.                                                                  Ermäßigt: 5,- €

                                                                                  KATALOG ZUR
Am Freitag, den 29. März um 19 Uhr eröffnet das Museum für Kunst und Technik      AUSSTELLUNG:
                                                                                  Athena Verlag, 19,- €
des 19. Jahrhunderts die Ausstellung „SCHEIN ODER SEIN. Der Bürger auf der
                                                                                  FÜHRUNGEN:
Bühne des 19. Jahrhunderts“. In Kooperation mit dem Theater Baden-Baden           Öffentliche Führungen:
                                                                                  Sonntags um 15 Uhr
erzählt die Schau die Entwicklung des Hoftheaters zum Stadttheater. Der Stifter   2,– € zzgl. Eintritt
                                                                                  Familienführungen:
des LA8, Wolfgang Grenke sowie Theaterintendantin Nicola May werden die           Jeden ersten Sonntag
Veranstaltung feierlich eröffnen: der Museumsneubau innerhalb des historischen    im Monat um 14 Uhr
                                                                                  Gruppenführungen
Gebäudekomplexes feiert sein 10-jähriges Bestehen. Im Untergeschoß werden         (max. 25 Pers. pro Gruppe):
                                                                                  Di. bis Fr.: 70,– € /
die Arbeiten der Kinder und Jugendlichen aus zehn Jahren Kinderzeit und den       Sa. & So.: 75,– € zzgl. Eintritt
                                                                                  melburn@museum.la8.de
museumspädagogischen Workshops in einer eigenen Präsentation gezeigt.             Tel.: 07221 – 50 07 96-32
SCHEIN ODER SEIN DER BÜRGER AUF DER BÜHNE DES 19. JAHRHUNDERTS - März bis 8. September 2019 - Kulturhaus ...
Die Ausstellung zeigt die Kunst und Technik des eindrucksvollen Auftritts im 19.
Jahrhunderts. Die Besucher gehen durch einen Ausstellungsrundgang, der sie
vor, auf und hinter die Bühne führt. Zu sehen sind historische Bühnenbilder aus
Zuschauersicht. Dann wieder gelangen die Besucher auf eine Bühne, als seien sie
selbst die Schauspieler. Oder sie finden sich hinter den Kulissen wieder, wo
Geräuschmaschinen und verborgene Spezialeffekte auf ihren dramatischen
Einsatz lauern. Die fließenden Übergänge von Zuschauer- und Bühnenraum
machen für die Museumsbesucher räumlich erlebbar, wie alltägliches Sein und
theatralischer Schein sich seit dem frühen 19. Jahrhundert zunehmend
vermischten und es heute noch tun.
Schein oder Sein - die leistungsstarke Performerin in der Firma, der unermüdliche
Selfie-Poser im Netz, die prominente Selbstvermarktung von allem Privaten –
viele heutige Alltagserscheinungen der Selbstdarstellung nehmen ihren Anfang in
der Phase des historischen Übergangs von der höfischen Bühne zum
Bürgertheater im frühen 19. Jahrhundert. Dem Aufstieg des bürgerlichen Theaters
stand die zunehmende Theatralisierung des bürgerlichen Alltags gegenüber. Aus
dem festen Gefüge der alten Ständeordnung mit ihren vorgegebenen
Lebensbahnen entlassen, musste der Bürger nun etwas aus sich machen und
wurde zum Darsteller seiner selbst. Denn seine innovativen Leistungen in
Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft musste der Bürger nicht nur erbringen.
Er musste sie in Konkurrenz zu vielen anderen, ebenfalls fleißigen Individuen
gebührend in Szene setzen. So begann, was viele Alltags- und Berufsfelder bis
heute prägt: Mach es nicht nur gut, sondern sprich auch darüber.
Die Fotografien von normalen Bürgern auf ihren „Carte de visite“ begannen
damals, den Aufnahmen von Schauspielern in ihren Bühnenrollen zu ähneln,
private   Inneneinrichtungen     glichen   imposanten      Bühnenbildentwürfen,
großbürgerliche Villen sahen nun aus wie Palastarchitekturen aus der Oper.
Malerei und Karikatur zeigten die Spannung von alltäglicher Realität und
dramatischer Fiktion, wirkmächtig in den Gemälden von Anselm Feuerbach (1829–
1880) und Carl Gehrts (1853–1898). Behütete Bürgertöchter konnten sich in
solcher Malerei als „Julia“, brave Verwaltungsbeamte als „Minnesänger“
wiedererkennen. Spöttisch kommentieren die Karikaturen von Honoré Daumier
(1808–1879), wie der bürgerliche Alltag sich zunehmend theatralisierte, während
die routiniert deklamierten Klassiker auf den Bühnen immer alltäglicher und
banaler wirkten.
Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit der Kuratorin Dr. Irene
Haberland, Bonn. Ein umfangreicher Katalog mit 360 Seiten, Essays und
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zahlreichen Abbildungen erscheint im Athena Verlag und begleitet die
Ausstellung.

                                        (48 Zeilen à 71,2 Anschläge, 3418 Zeichen
                                                              ohne Überschriften)

KURZTEXT:
Am Freitag, den 29. März um 19 Uhr eröffnet das Museum für Kunst und Technik
des 19. Jahrhunderts die Ausstellung „SCHEIN ODER SEIN. Der Bürger auf der
Bühne des 19. Jahrhunderts“. In Kooperation mit dem Theater Baden-Baden
erzählt die Schau die Entwicklung des Hoftheaters zum Stadttheater. Der Stifter
des LA8, Wolfgang Grenke sowie Theaterintendantin Nicola May werden die
Veranstaltung feierlich eröffnen: der Museumsneubau innerhalb des historischen
Gebäudekomplexes feiert sein 10-jähriges Bestehen. Im Untergeschoß werden
die Arbeiten der Kinder und Jugendlichen aus zehn Jahren Kinderzeit und den
museumspädagogischen Workshops in einer eigenen Präsentation gezeigt.
Die Ausstellung zeigt die Kunst und Technik des eindrucksvollen Auftritts im 19.
Jahrhunderts. Die Besucher gehen durch einen Ausstellungsrundgang, der sie
vor, auf und hinter die Bühne führt. Die fließenden Übergänge von Zuschauer- und
Bühnenraum machen für die Museumsbesucher räumlich erlebbar, wie
alltägliches Sein und theatralischer Schein sich seit dem frühen 19. Jahrhundert
zunehmend vermischten und es heute noch tun.

                                        (15 Zeilen à 73,4 Anschläge, 1101 Zeichen
                                                             ohne Überschriften)

 Ein Projekt der                   In Kooperation mit                               Unser Kulturpartner

 Umfangreiches Text- und Bildmaterial finden Sie auf unserer Presseseite
   unter www.museum.la8.de/presse oder können Sie auch jederzeit gerne
                                                     persönlich erfragen:
             Kristina Helena Pavićević, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,
                                            kpavicevic@museum.la8.de,
                                              Tel. +49 – 40 – 51 90 59 20
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MUSEUM LA8
Museum für Kunst und Technik des
19. Jahrhunderts, Baden-Baden
30. März bis 8. September 2019

BILDAUSWAHL
SCHEIN ODER SEIN.
Der Bürger auf der Bühne des 19. Jahrhunderts

                                                                       MUSEUM LA8
                                                                       Museum für Kunst
                                                                       und Technik des
                                                                       19. Jahrhunderts
                                                                       Lichtentaler Allee 8
                                                                       76530 Baden-Baden
                                                                       07221 – 50 07 96-0
                                                                       info@museum.la8.de
                                                                       www.museum.la8.de

                                                                       Direktor:
                                                                       Prof. Dr. Matthias Winzen
                                                                       Kuratorin:
                                                                       Dr. Irene Haberland

                                                                       PRESSE/PR:
                                                                       Kristina Helena Pavićević
                                                                       Tel.: 040 – 51 90 59 20
                                                                       kpavicevic@museum.la8.de
                                                                       www.museum.la8.de/presse
 Emil Bieber (1878–1962),           Photoatelier E. Lange,
 Adalbert Matkowsky (1858---        Carte-de-visite, um 1865,
 1903) als Hamlet in William        Fotografie, Kopenhagen,
 Shakespeares Hamlet, um            Foto: Henrik Elburn
 1900, Fotografie,
 Universitätsbibliothek
 Johann Christian
 Senckenberg,
 Frankfurt a. M.

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Die Veröffentlichung ist nur in Zusammenhang mit der Ausstellung
gestattet. Bei Veröffentlichung bitten wir die Bildunterschriften zu
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Georg E. Hansen (1833–1891),           Unbekannter Fotograf, Adelina Patti
unbekanntes Modell, o. J., Carte-de-   (1843–1919) als Juliette in Charles Gounods
visite, Kopenhagen, Privatbesitz,      Roméo et Juliette, 1849, Fotografie,
Foto: Henrik Elburn                    Kabinettformat, Universitätsbibliothek Johann
                                       Christian Senckenberg, Frankfurt a. M.

Carl Teufel (1845–1912),               Carl Teufel (1845–1912),
Künstleratelier von Gustav Krausche    Künstleratelier von Franz von Lenbach
(1850–1917), um 1890, Fotografie,      (1836–1904), Fotografie,
Bildarchiv Foto Marburg                Bildarchiv Foto Marburg
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Carl Gehrts (1853–1898),                  Anton Radl (1874–1852) nach Giorgio Fuentes
Minnesänger in einer bürgerlichen         (1756–1821), Bühnendekoration der Oper
Familie/Der Hofnarr, 1878, Öl auf         Palmira, Prinzessin von Persien, um 1810,
Leinwand, Hamburger Kunsthalle, Foto:     kolorierte Aquatinta, Freies Deutsches
Elke Walford                              Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum, Foto:
                                          David Hall

Anselm Feuerbach (1829–1880),             Honoré Daumier (1808–1879), Monsieur
Romeo und Julia, 1864, Öl auf Leinwand,   Colimard, wenn Sie nicht aufhören,
Thüringer Museum Eisenach, Stiftung       die Tänzerinnen in so unverschämter Art zu
Curt Elschner-Galerie, Foto: AKG Images   beäugen, gehen wir vor Schluss des Stückes
                                          nach Hause,1864, Lithografie, Daumier
                                          Gesellschaft

Honoré Daumier (1808–1879),
Betörend und jung bricht er alle
Herzen; Göttlich ist er, nicht fühlend
der Liebe Schmerzen, (Phèdre,
Tragödie in fünf Akten von Jean
Racine), 1839, Lithografie,
Honoré-Daumier-Gesellschaft,
Foto: Henrik Elburn
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TEXTAUSZÜGE
aus dem Katalog zur Ausstellung: SCHEIN ODER SEIN. Der Bürger auf der Bühne
des 19. Jahrhunderts

Erschienen im Athena Verlag: ISBN 978-3-7455-1059-1; Mit Beiträgen Johannes Bilstein (Erzie-
hungswissenschaftler, Kunstakademie Düsseldorf), Lutz Ellrich (Medienwissenschaftler, Univer-
sität Köln), Ines Heisig (Dipl. Kulturwissenschaftlerin, Saarbrücken), Nicola May (Intendantin
Theater Baden-Baden), Solveig Palm (Ludwig van B., Netzwerk Junge Bonner Klassik e. V.), Sabine
Schroyen (Künstlerverein Malkasten, Archiv, Düsseldorf), Horst Weber (Musikwissenschaftler,
Berlin/Baden-Baden), Matthias Winzen (Direktor Museum LA8, Hrsg.), Lisa Wolfson (Theater- und
Medienwissenschaftlerin, Universität Bochum)

Katalogbeitrag von Matthias Winzen: „Ohne Schein kein Sein“ (Auszüge):

Das 19. Jahrhundert wurde und wird als das Jahrhundert des Bürgertums beschrieben […]. Der
Hauptakteur und -profiteur der politischen, kulturellen und technologischen Umbrüche war der sich
emanzipativ bildende, der befreit wirtschaftende Bürger. Der epochale Wandel vollzog sich auf viele
Weisen in den verschiedensten Institutionen und Arbeitswelten der damaligen Gesellschaft. Der
Schauspielerberuf zum Beispiel verlagerte sich im frühen 19. Jahrhundert vom adeligen Hoftheater
zunehmend ins bürgerliche Stadttheater, vom Schloss in die urbane Öffentlichkeit. […]

Während das Theater sich institutionell, inhaltlich und stilistisch verbürgerlichte, theatralisierte
sich das tägliche Leben des Bürgertums. Nach dem Ende der alten Ständeordnung mit ihren
vorgegebenen Lebensbahnen musste der Bürger seine innovativen Leistungen in Verwaltung,
Wirtschaft und Wissenschaft nicht nur erbringen. In freier Konkurrenz zu vielen anderen, ebenfalls
fleißigen Individuen musste er sein berufliches Können und seinen sozialen Aufstieg auch
gebührend in Szene setzen. In der historischen Phase, in der der Bürger als freies und
authentisches Individuum endlich zu sich selbst zu kommen schien, war er darauf verwiesen, zum
Darsteller seiner selbst zu werden. Die leistungsstarke Performerin in der Firma, der unermüdliche
Selfie-Poser im Netz, die prominente Selbstvermarktung von allem Persönlichen – viele heutige
Alltagserscheinungen des Performativen nehmen ihren Anfang in der Phase des historischen
Übergangs vom Hof- zum Stadttheater. […]

Die reale Wirkmacht des Idealbildes des Bürgers von sich selbst konnte […] die ebenso realen
Produktions-, Besitz- und Ausbeutungsverhältnisse des nun von bürgerlichem Fleiß und
Gewinnstreben angetriebenen Kapitalismus nicht in Luft auflösen. […] Sigmund Freud stellte dem
SCHEIN ODER SEIN DER BÜRGER AUF DER BÜHNE DES 19. JAHRHUNDERTS - März bis 8. September 2019 - Kulturhaus ...
stolzen Bürger, der geglaubt hatte, nur auf sich selbst zu hören und sein Selbst besitzen zu können,
1917 die Diagnose aus, dass in Wirklichkeit „das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus“. […]

Für unseren Zusammenhang soll es beim Schauspieler um sein berufliches Tun, um seine
professionelle Kompetenz gehen. So wie es zur Berufsrolle des Postboten gehört, Briefe zu
bringen, und zur der des Rechtsanwalts, die Interessen des Mandanten zu vertreten, müssen
Schauspieler ihre eigene Stimme, ihre innersten Emotionen und ihre persönliche Präsenz
aktivieren, um jemand ganz anderen auf der Bühne authentisch zu verkörpern. […] Diese
schauspielerische Grundkompetenz ist auf der Bühne berufspraktische Selbstverständlichkeit und
doch eine identitätstheoretische Paradoxie. […]

Nach und nach kommt Kleist der Problematik und so auch der Wahrheit des angeblich vernünftig-
einheitlichen, mit sich selbst identischen Ich künstlerisch auf die Spur. Der aus großem
Rechtsempfinden zum Terroristen und Marodeur werdende Michael Kohlhaas (1810), Pentesilea
(1808), die denjenigen buchstäblich auffrisst, den sie eigentlich liebt, der gehorsame
Befehlsverweigerer Prinz von Homburg (1809/10) – viele von Kleists literarischen Figuren zeigen
sich zutiefst ambivalent, wenn es darum geht, wer sie jeweils wirklich sind. In der berühmt
gewordenen essayistischen Erzählung Über das Marionettentheater (1810) […] verknüpft Kleist das
Wissen über die konstitutive Gespaltenheit des vernunftbürgerlichen Ichs mit der Sphäre der
Schauspielerei. Es ist kein Zufall, dass Kleists Erzähler die Unmöglichkeit des Individuums, volle
Ich-Identität zu empfinden, im Gespräch mit einem Bühnenkünstler entfaltet. Als jemand, der in
seiner Bühnenrolle eine Figur verkörpert, tritt der Tänzer bei Kleist als Experte dafür auf, zugleich
Ich und ein Anderer zu sein. Solches Erfahrungswissen gehört zur professionellen
Bühnenkompetenz, ohne die kein Tänzer, noch weniger ein Schauspieler seinen Beruf ausüben
kann. […]

Im 20. Jahrhundert haben psychoanalytische, entwicklungspsychologische, rollentheoretische,
phänomenologische und sozialphilosophische Auseinandersetzungen mit dem Selbst und der Ich-
Identität paradigmatische Umwertungen erbracht, exemplarisch anzudeuten etwa mit The
presentation of self in everyday life (1959) von Erving Goffman (1922–1987), auf Deutsch: Wir alle
spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag (1969). […] Solche späteren Einsichten konnten
dem Bürger des 19. Jahrhunderts noch nicht zu Gebote stehen, auch dem Bildungsbürger nicht.
Bemerkenswert ist allerdings, dass mit der Kulturtechnik des Schauspiels, also der professionellen
Bühnenkompetenz, zugleich Ich und ein Anderer zu sein, schon seit den Hochzeiten des
idealistisch überhöhten Staatsbürger-Ichs ein weniger neurotisierendes Verhaltensmodell zur
Debatte hätte stehen können. […] Was den Bürgern im 19. Jahrhundert unvereinbar mit ihrem
normativen Idealbild eines Vernunft-Ichs erschien, fiel den Schauspielern berufsbedingt ganz
leicht. Dem kunstpraktisch erlernten Schauspielerwissen von der konstitutiven Paradoxie von Ich-
Identität kam Kleist nicht philosophisch, sondern künstlerisch auf die Spur. Er bewerkstelligte […]
den Übergang von abstrahierender, starrer, theoretischer Begrifflichkeit zu anschaulich
erfahrbarer, lebendiger Bildlichkeit, von der Festschreibung einer identitätspolitischen
Grundgrammatik zum Mitschreiben real beobachtbarer Entzweiung als unausweichlicher Dynamik
individueller Ich-Entwicklung. […]

In heutigen Sozialisationstheorien wird die seelische Gesundheit des Individuums unter anderem
anhand von Kriterien wie Ambiguitätstoleranz, Frustrationstoleranz und Rollendistanz beschrieben.
Dem liegt die Vorstellung zugrunde, das Individuum möge möglichst gekonnt zugleich als
Schauspieler und als Regisseur seiner selbst agieren, um mit Hilfe dieser performativen
Zweideutigkeit in allen möglichen, unterschiedlichen Situationen eine Einheitlichkeit des eigenen
Ichs empfinden zu können […]: ohne Schein kein Sein.
SCHEIN ODER SEIN DER BÜRGER AUF DER BÜHNE DES 19. JAHRHUNDERTS - März bis 8. September 2019 - Kulturhaus ...
Katalogbeitrag von Nicola May: „Theater! Theater!“ (Auszüge)

Das größte Theater-Erbe des 19. Jahrhunderts ist unser heutiges Stadttheatersystem. Jeder Hof,
der etwas auf sich hielt, unterhielt ein Theater zur eigenen Unterhaltung und für seine Gäste. Aus
diesen Hoftheatern entstanden die Stadttheater, wie wir sie heute kennen. Das erstarkte bürger-
liche Selbstbewusstsein machte sich die ehemaligen Hoftheater zu eigen. Aus dem Statussymbol
der Duodezfürsten wurde ein Standortfaktor für die Städte. Und da es in der Kleinstaaterei des 18.
Jahrhunderts jede Menge dieser Hoftheater gab, hat Deutschland heute die höchste Theaterdichte
der Welt. […]

Mit dem Übergang in die öffentliche Hand veränderte sich auch der Auftrag des Theaters. Es sollte
nun nicht mehr nur der Unterhaltung dienen, sondern auch Ort der Bildung und der Weiterent-
wicklung von theatralischer Kunst in ihren vielfaltigen Ausformungen sein. Und die öffentliche
Trägerschaft sichert bis heute die Zugänglichkeit für den Bürger durch moderate Eintrittspreise.
Dieses Theater-System wirkt immer noch fort, allerdings wird in den letzten Jahren der Theater-
betrieb selber als feudalistisches System mit einem allmächtigen Intendanten oder einer Inten-
dantin wieder diskutiert und in Frage gestellt. Nicht unbedingt vom Bürger, also vom Zuschauer,
sondern von den Mitarbeitenden. Auch hier, innerhalb des künstlerischen Kleinkosmos, bilden sich
eine gesellschaftliche Strömung und ein neues Demokratie- und Selbstverständnis ab. Die Gestal-
tung von Leben und Arbeit soll nicht mehr nur an einen gewählten Vertreter abgegeben bleiben,
sondern die/der Einzelne will seine Meinung gehört und seine Bedürfnisse befriedigt sehen. [...]

Der Bürger hat nun also sich selbst das Theater erobert, die Trägerschaft übernommen. Drängte der
Bürger auf die Bühne? In der Literatur ja, als Akteur durchaus im Zuschauerraum und in den Foyers,
aber nicht als Darsteller auf der Bühne. [...] Dass Bürger als Protagonisten eines Theaterstückes
auftreten konnten und auch ernsthafte Inhalte verhandeln, begann bereits Ende des 18. Jahrhun-
derts. Es ist Frucht und Folge der französischen Revolution und dem Fall der Stande. In der dra-
matischen Literatur gilt Miss Sarah Sampson (1751) von Gotthold Ephraim Lessing als erstes
bürgerliches Trauerspiel. Populärer sind heute Emilia Galotti oder Kabale und Liebe von Schiller
(1784). Das wirklich Revolutionäre daran war, dass Bürger vorher nur in Komödien und Hans-
wurstiaden auftraten und die hohe Kunst der Tragödie dem Adel vorbehalten war. Später dann im
Laufe des 19. Jahrhunderts verschwindet die höfische Welt mehr und mehr aus den Stücken. Der
Bürger hat sich sozusagen das Recht auf eigene Probleme und Gefühle erobert, es gibt nicht mehr
unbedingt Reibungen mit dem Adel, wenngleich das Sich-Wehren gegenüber Höhergestellten
natürlich immer ein Thema in der Literatur bleiben wird und soziale Themen in Zeiten gesellschaft-
licher Umbrüche besonders auf die Bühne drangen. Im 19. Jahrhundert ist dies später besonders
mit Beginn der Industrialisierung zu beobachten. Berühmtes Beispiel hierfür ist Gerhart Haupt-
manns Die Weber über den Weber-Aufstand gegen Fabrikbesitzer und die Obrigkeit – aber bis dahin
dauert es noch eine Weile: Zwischen Kabale und Liebe und der Uraufführung von Die Weber (1894)
liegen immerhin 110 Jahre. [...].

Und der Bürger? Die Spezies, von der doch die Ausstellung handeln soll? Sie erweitert die thea-
tralen Formen durch ihr Expertentum und ihre Authentizität. An vielen Orten sprießen Bürger-
bühnen aus dem Boden, bei uns in Baden-Baden hat zuletzt ein Bürgerchor an der Aufführung von
Biedermann und die Brandstifter teilgenommen. Wir erleben heute in vielen, fast allen Lebens-
bereichen die Durchmischung von Autoren und Rezipienten, von Experten und Kommentatoren,
von Schöpfern und Usern. Das hat mit der Gleichzeitigkeit von Ereignissen und der Zugänglichkeit
von Informationen zu tun. Jeder kann alles wissen und manchmal hat man auch das Gefühl, jeder
kann überhaupt alles. Und vielleicht wird der Bürger auch eines Tages die Bühnen der von ihm
gegründeten Theater erklimmen, wie es der Theatermann Stephan Kaegi von Rimini Protokoll als
seine Vision beschreibt:
≫Ins Theater gehen hieß lange, sich vom Alltag verabschieden, den Mantel in der Garderobe
eintauschen gegen ein Recht auf Passivität. Sich in einen dunklen Zuschauerraum setzen und nach
vorne schauen, wo virtuose Genies das Leben abbildeten, so gut das eben ging. Aber seither sind
neue Vorstellungen von Repräsentation entstanden, neue Öffentlichkeiten, neue Schauplätze.
Neue Sprachen wurden entwickelt, neue Zeichen, neue Bedürfnisse von Teilhabe. Eine ganze
Generation ist mittlerweile mit sozialen Netzwerken aufgewachsen, in denen Erfahrungen geteilt
statt von oben herab mitgeteilt werden. Heute kommt Welt-Interpretation nicht mehr in gedruckter
Form in den Briefkasten oder als Einweg-Kommunikation aus dem Fernseher. In dieser Welt sollte
auch Theater mehr sein als eine hell erleuchtete Bühne, von der herab in den Zuschauerraum
gepredigt wird. […]

Ich persönlich glaube fest an die Beständigkeit und an die Wandelbarkeit des Theaters. An die
Verzauberung durch die starke Darstellung einer Schauspielerin wie an die Kraft der Überraschung
und manchmal auch der Provokation. Das Theater bleibt eine Welt der Fragen, also der Frage-
zeichen, und eine Welt der Postulate, der Ausrufezeichen. […]
Katalogbeitrag von Solveig Palm: „»Hier wo mein Wähnen Frieden fand« – Richard Wagners
mythische Wohnzimmer in Festspielhaus und Villa Wahnfried“ (Auszüge)

≫Der Bürger auf der Bühne des 19. Jahrhunderts≪ war Richard Wagner (1813–1883) höchst selbst
– als Vollblut-Künstler, der ja nicht nur als Komponist, Librettist, Musikschriftsteller und bedeu-
tender Kapellmeister eine Laufbahn vorzuweisen hatte, sondern der als Erster sein eigenes
Festspielhaus – also viel mehr als nur ein Theater – errichtete, und hier selbst auch nicht nur diri-
gierte, sondern alles: Buhnenbilder, Inszenierung, Rollenauffassung, Gesang mit seinen Protago-
nisten einstudierte. Er sang ihnen alles vor, auch Brünnhilde und Isolde, er kroch wie Kundry über
den Bretterboden, er umarmte und küsste seinen Tristan, wie Isolde es tun sollte. Als jemand, der
sich in Sachen Gesamtkunstwerk omnipotent fühlte, war er sich für nichts zu schade. Zugleich aber
baute er sich quasi zu Füßen seines Festspielhauses auch die erste Künstlervilla [...]

In Wagners 19. Jahrhundert drängt sich der marxistische Klassenbegriff in die soziologische
Betrachtung der Gesellschaft. Der Bürger war nun nicht mehr das selbstbewusste Individuum als
Teil eines sich aus dem Kleinststaaten-Feudalismus emanzipierenden Volkes, sondern der
≫Bourgeois≪, der sich an etwas klammert, das ihm nicht zusteht, nämlich die ≫Produktions-
mittel≪, und der damit die Ungleichheit der Klassen erzeugt. Der ≫Großbürger≪ war nach dieser
Lesart derjenige, der seine Machtstellung durch Bildung und Wohlstand befestigen und ausbauen
kann, und dies zu Lasten der ≫zu erlösenden≪ Klasse, dem eigentlichen ≫nackten≪ Mensch,
dem ausgebeutete, geknechtete Proletarier.
Soweit das, zugegeben verkürzte, marxistische Menschen- und Gesellschaftsbild, dem Wagner
zumindest vorübergehend sehr zugeneigt war. Wagners Ziel allerdings war keineswegs die Diktatur
des Proletariats, sondern die Vereinigung der Massen in der Kunst. [...]

Auch wenn vieles wegen Wagners wortreich verschachtelter Diktion schwer lesbar ist, so erfährt
man doch Aufschlussreiches über seine künstlerische Selbst- und Welt-Reflektion. Wagner liebte
den Diskurs und regte weit über sein Jahrhundert hinaus nicht nur künstlerische Partner und
Kritiker, sondern auch Philosophen vom Format eines Nietzsche und Adorno zu gesellschafts-
theoretischer Auseinandersetzung über die Frage an, wie menschliche Wahrnehmung, Musik und
Politik miteinander verzahnt sind. In Wagners enzyklopädischem Bildungshorizont geht es um die
Rolle der Kunst in Geschichte, Politik, Philosophie und last but not least um Religion. Er selbst war
ein Bildungsbürger par excellence, wobei der Umfang seiner gesammelten Schriften es leicht mit
dem Werk Schillers oder Nietzsches aufnehmen kann. Hier beglaubigen viele gescheite Ideen und
Aussagen Wagners ungeheure Belesenheit und eine gedankliche und ästhetische Durchdringung
seiner an zwei Händen abzahlbaren Hauptwerke. [...]
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