Schiffbruch Schicksale Constantin Naidin kommt nach Deutschland, um auf einer Werft zu arbeiten - Alternativer Medienpreis
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Wirtschaft Schiffbruch Schicksale Constantin Naidin kommt nach Deutschland, um auf einer Werft zu arbeiten. Der Rumäne baut Kreuzfahrtschiffe, schuftet ohne Pause. Lange will er nicht wahrhaben, dass er ausgebeutet wird. Die Geschichte einer Enttäuschung. NORBERT ENKER / DER SPIEGEL Arbeiter Naidin am Gelände der Meyer-Werft in Papenburg: »Wie ein Gefangener auf Ausgang« S ein Leben in Deutschland hat sagen. Fünfeinhalb Jahre, in denen er be- Adiletten und führt seinen Dackel aus. Constantin Naidin in eine gelbe, handelt wurde wie ein Mitarbeiter ohne »Deutsche Wertarbeit«, sagt er und nickt abgegriffene Plastiktüte gepackt. Rechte, wie ein Mensch zweiter, oft auch Naidin zu, der einen Kopf kleiner, aber ein »Danke für Ihren Einkauf«, steht dritter Klasse. Fünfeinhalb Jahre, in denen gutes Stück breiter ist. Der Rumäne lächelt. auf Rumänisch darauf. Fünfeinhalb Jahre sein Traum von Deutschland zerstob. Die Wertarbeit entstand ja unter seiner in einer Tüte – Lohnabrechnungen, Kas- Nun steht er zum letzten Mal vor dem Tor Mitwirkung. Das Jucken der Mineralwolle, senzettel, Kontoauszüge. Und ein kleines der Meyer-Werft, wo im November 2012 mit der er die stählernen Rumpfteile silbernes Notizbuch. alles begonnen hatte. Bald soll der Bus kom- dämmte, kann er noch spüren. Das Wuch- »Mit Unterlagen«, sagt Naidin, »ist man men, der ihn zurück nach Rumänien brin- ten der Bleche, mit denen er die Verscha- am sichersten.« gen wird. 33 Stunden wird die Fahrt dauern. lung der Kabinen baute, es sitzt ihm noch In das silberne Büchlein hat er die Sta- Neben ihm wartet ein Wohnmobilbesit- im Kreuz. Und wenn er seit Oktober nicht tionen seines Arbeitslebens in Deutschland zer aus Altenburg auf das Auslaufen eines mehr zu Hause bei seiner Frau und den notiert. Eines Lebens als Arbeiter auf der Schiffs, eines 20 Stockwerke hohen, blau Kindern war, dann nur wegen dieser Rie- Papenburger Meyer-Werft. Als »Fremd- lackierten Berges, der aus dem braungrü- senpötte. Made in Germany, das war auch arbeiter«, wie sie in Papenburg heute noch nen Wasser der Ems ragt. Der Mann trägt das Werk von ihm, von Constantin Naidin, 70 DER SPIEGEL Nr. 14 / 31. 3. 2018
48 Jahre alt, aus der Nähe von Craiova im Süden Rumäniens. Doch nun ist er nicht mehr dabei. Nai- din flog raus, am 7. März dieses Jahres. Er hatte irgendwann angefangen, nicht mehr bloß zu malochen, sondern Fragen zu stel- len. Nach dem Zustandekommen des Lohns, das ihm komisch vorkam, und nach Urlaubsgeld. Er tat das leise, wie es seine Art ist. Dennoch war er zum Risiko gewor- den. Er müsse »sofort weg«, erinnert er die Worte seines Chefs. Beim Erzählen fängt Naidin leicht zu zittern an, er wischt ein paar Tränen in den Ärmel der schwar- zen Kunstlederjacke. Eigentlich, sagt er, NORBERT ENKER / DER SPIEGEL fühle er sich schon lange nur noch »wie ein Gefangener auf Ausgang«. Im Oktober 2014 notierte Naidin in sein silbernes Notizbuch: »Wir wurden ge- zwungen, 15 Stunden täglich zu arbeiten, auch sonntags.« Mitte August 2016, so Nai- din, verlangte sein Boss von ihm und eini- gen Kollegen die Karten ihrer kurz zuvor Unterwegs nach Rumänien: Menschen, die lautlos neben uns herleben bei der Deutschen Bank eröffneten Kon- ten. Ein paar Transfers müsse er machen, hieß es, Naidin bekomme sein Geld in bar. 19 Uhr wartet. In der Facebook-Werbung 1985 baute Meyer das erste Kreuzfahrt- Für den Oktober 2016 hielt Naidin in einer des rumänischen Busunternehmers war schiff. Tabelle seine Arbeitszeit fest: 292 Stun- noch von Fünfsternequalität die Rede, nun Über 20 000 direkte und indirekte Ar- den – 132 mehr als in der offiziellen Ver- sieht es nicht mehr ganz so gut aus: Der ab- beitsplätze hängen von der Werft ab, sagt dienstabrechnung. getakelte Mercedes-Sprinter mit litauischem eine Frau von Papenburg Marketing, die Damit wäre der Mindestlohn de facto Kennzeichen liegt in der Hand zweier mol- durchs Besucherzentrum führt. Dann be- ausgehebelt. Mit Glück kam Naidin auf dauischer Fahrer, die ihrem russischen Na- schreibt sie die Farbenlehre auf der Werft. etwa sechs Euro pro Stunde, trotz ständi- vigationsgerät auch nach stundenlangen »Die 3300 Leute der Stammbelegschaft ger Samstagsarbeit selten über 1300 Euro Umwegen noch artig folgen werden. Sie tragen die gelben Helme.« Die Arbeiter im Monat. werden Kette rauchen und nach jeder Ziga- der Fremdfirmen hätten andere Farben, Die Notizen passten nicht so recht zu rette auf einen kleinen Parfumflakon drü- »und die Schwarzarbeiter tragen schwarze seiner Vorstellung von Deutschland. Ka- cken, der die Luft noch beißender macht. Helme«. Sie kichert. putt machen lassen wollte er sie sich aber Naidin stellt seine kleine schwarze Seit 2010 flossen der Werft vom Bund nicht. Jedenfalls nicht durch ein paar Über- Sporttasche in den Gepäckraum. Der In- rund 35 Millionen Euro Subventionen aus stunden. Die Schikanen tat er lange als halt besteht im Wesentlichen aus ein paar dem Programm »Innovativer Schiffbau Schönheitsfehler ab. Seine Nachsicht war Rumkugeln, einem metallisch glänzenden sichert wettbewerbsfähige Arbeitsplätze« groß. Das nächtliche Röcheln der Asthma- Trainingsanzug, etwas Unterwäsche und zu, wovon in erster Linie die Stammbeleg- tiker im schimmligen Dachzimmer, wo sie der gelben Plastiktüte. Das war’s. schaft profitiert. zu acht wohnten? Geschenkt. Das Zigaret- Am selben Tag erscheint in der »Frank- Um die Schwerstarbeit auf der Werft tengeld, das man auch ihm, dem Nichtrau- furter Allgemeinen Sonntagszeitung« ein kümmert sich allerdings längst eine Schat- cher, vom Lohn abzog? Nicht der Rede großes Interview mit dem Besitzer der Pa- tenarmee, die nicht finanziell gestützt wert. Dass sein Chef ihm die Bankkarte penburger Werft, Bernard Meyer. Nach wird. Männer wie Naidin. »Menschen, die für das Lohnkonto wegnahm? War ver- den 2000 Arbeitsnomaden, die sich bei Sub- lautlos neben uns herleben, deren Sorgen mutlich normal. unternehmen für die Werft abrackern, wird man kaum kennt und die kein Deutsch Auch als sein neuer Boss begann, sie als er nicht gefragt. Meyer spricht über Kart- können, weil sie abends zu platt sind, um »behinderte Bauern« zu beschimpfen, hör- bahnen, Riesenrutschen und Theaterbüh- in den Sprachkurs zu gehen«, wie ein ehe- te Naidin lange weg. Er blieb bescheiden, nen, die sie in die Schiffe einbauen würden. maliger Betriebsrat sagt. beklagte sich nicht. Der Meyer-Clan ist eine Macht in Pa- Für ihre Arbeitgeber sind diese Wander- Erst als Vorarbeiter anfingen, handgreif- penburg und Umgebung. Der größte Ar- arbeiter mit den Werkverträgen Austausch- lich zu werden, und als einige seiner Freun- beitgeber der Region, ein wichtiger Steu- ware, und Meyer bekommt durch die Kon- de und Kollegen nach Rumänien zurück- erzahler, die bekannteste Familie. Nach struktion eine Art Sorglospaket: Es macht geschickt wurden, wagte Naidin es zum Meyer kommt lange nichts – und irgend- es möglich, Arbeiter zu beschäftigen, ohne ersten Mal, sich zu »erkundigen«, wie er wann die Schnapsbrenner Berentzen. sie anzustellen. sagt. Der Kontakt zu Gewerkschaften sei Von 23 Bootsbauern in der einst moras- Für Diskussionen sorgt diese Schatten- ihm verboten worden, aber nun wollte er tigen Torfregion sind die Meyers die Einzi- wirtschaft nur kurzfristig – wenn etwas wissen, ob es üblich sei, dass ein Chef von gen, die übrig blieben. Früh hat die Fami- passiert. Wenn ein griechischer Lackierer seinen Mitarbeitern das Urlaubs- und lie von Holz- auf Stahlbau umgestellt. Es in den Tod stürzt, wie im November. Krankengeld einkassiere. Er machte sich gibt amüsante Unternehmensgeschichten Wenn zwei rumänische Arbeiter in einer Sorgen um sein Konto, bei dem er nicht wie die von der Fähre, die 1913 in 5000 Kis- der klaustrophobisch engen Unterkünfte überblickte, was damit passierte. ten nach Tansania verschifft und dort zusam- verbrennen, wie im Sommer 2013. Solche Um 22.30 Uhr am Abend seiner Abreise mengesetzt wurde und bis heute auf dem Arbeitsverhältnisse gibt es nicht nur im trifft der Kleinbus ein, auf den Naidin seit Tanganjika-See ihren Dienst tut. Schiffbau. Gut 10 000 Wanderarbeiter aus 71
Wirtschaft Südosteuropa sind heute allein in Nieder- Hause, wie er konnte, kam aber selbst in vernetzt: Auf einer Raststätte eilt ein sachsen im Einsatz. Deutschland irgendwie nicht vom Fleck. Schrauber mit seiner mobilen Werkstatt her- Nach fünf Stunden Fahrt hat es Naidins Aus Papenburg schaffte er es nicht hinaus, bei. Bis Craiova sind es noch 15 Stunden. Bus gerade mal bis nördlich von Bremen im Kino war er kein einziges Mal. Er hatte Naidin unterschrieb im März 2016 bei geschafft. Ein liegen gebliebenes Fahrzeug einen Job. Ein Leben hatte er nicht. Isofonics den Arbeitsvertrag. Da war er erst eines Kollegen der Fahrer muss abge- Naidin spricht nicht schlecht über die mal glücklich. Ein Job in Deutschland mit schleppt werden. In Rostock werden zwei Werft. Sein Stolz, an großen Schiffen mit- 9,50 Euro pro Stunde und Urlaub. Wie lan- weitere Arbeiter eingesammelt, am Mor- gebaut zu haben, ist nicht verschwunden, ge hatte er darauf gewartet? Und was für gen kommen in Berlin ein paar Wäsche- vielleicht etwas eingetrübt. »Die Herren ein Vergleich zu den Anfängen, als ihn der säcke und ein Kühlschrank einer mol- der Werft konnten nichts dafür«, sagt er. Boss seiner ersten Firma Ende 2012 mit ei- dauischen Kundin hinzu. Naidin schläft Die seien sauber. nem Pulk von Kollegen auf das Gemeinde- ein bisschen. Craiova lässt auf sich warten. Zumindest tun sie einiges dafür, sauber amt mitnahm, Zettel unterschrieben ließ – Viele der Werftarbeiter in Papenburg dazustehen. Tatsächlich ist das Netz der und sie erst Monate später an den Nach- kommen aus derselben Gegend wie Nai- Meyer-Firmen mit ihren Standorten in Pa- zahlungsaufforderungen merkten, dass sie din. Kleine Walachei wurde die Ecke frü- penburg, Rostock und Turku schwer zu ein eigenes Gewerbe angemeldet hatten. her genannt, weitab vom Schuss liegt sie heu- entwirren. Aber es gibt eine Verbindung Mit Isofonics sah es für Naidin so aus, te noch. Nach Mindestlohn fragt dort keiner. zum Subunternehmen, für das auch Naidin als wäre er endlich in Deutschland ange- Als die aufgeblähte sozialistische Wirt- arbeitete. Und diese Verbindung führt nach kommen, so, als würde er »die deutschen schaft implodierte, erwischte es auch Nai- Luxemburg. Dorthin hatte Bernard Meyer Rechte bekommen«, wie er sagt. din, den gelernten Klempner: Erst verlor 2015 seine Dachgesellschaft verlegt – auch Naidin ist mit seiner Geschichte jetzt an er seine Arbeit im großen Donauwasser- um die Gründung eines Aufsichtsrats zu einem wichtigen Punkt angekommen, werk, dann den Job im Kohlekraftwerk. vermeiden, den er in Deutschland hätte denn jetzt trennen sich zwei Welten, zwei Im Sommer 2012, als absehbar war, dass einrichten müssen. Von der Dachgesell- Welten mitten in Deutschland. die beiden Kinder bald mit der Ausbildung schaft aus geht es über zwei Meyer-Firmen Dem einen Deutschland, in dem Werft- beginnen würden, erzählte ihm ein Freund in Rostock zur Meyer-Tochter ND Coa- eigner Bernard Meyer sogar eine Sozial- von einer Werft in Deutschland, die Kreuz- tings in Papenburg – der Drehscheibe für charta unterschrieb, die »gesundheits- fahrtschiffe baue und Leute brauche. den Einsatz von Subunternehmern. gerechte« Beschäftigung verspricht und Für Naidin hörte sich das an wie ein Sech- ND Coatings organisiert viel von dem, alle »Nachunternehmer« auf Zahlung des ser im Lotto. Er sah eine Zukunft aufblitzen was die Werft früher mit eigenen Monteu- Mindestlohns verpflichtet. Zur Überprü- mit einem kleinen Haus in Deutschland, in ren, Lackierern und Schiffszimmerern als fung der Firmen heuerte die Werft sogar das er seine Familie nachholen wollte. Er Generalunternehmer selbst besorgt hatte. den TÜV Rheinland an. ertappte sich sogar dabei, wie er an eine Und hier kam irgendwann George-Cristian Und dem anderen Deutschland, das Nai- Kreuzfahrt dachte. Seine Hoffnung trübte Toader ins Spiel, ein Mann, der einst selbst din und ein halbes Dutzend weiterer Iso- sich etwas, als er feststellte, dass der Weg auf der Werft gearbeitet hatte und sich dann fonics-Arbeiter erlebten, deren Unterlagen zur Werft immer nur über Firmen lief, die mit seiner Isofonics GmbH zum Unterneh- dem SPIEGEL vorliegen. Es ist eine Ge- Radoja oder Intelcon Electro Construct hie- mer aufschwang. Inzwischen arbeiten etwa schichte systematischen Betrugs. Und völ- ßen. Oder Isofonics, wo er 2016 landete. 150 Leute auf der Werft für ihn. liger Hilflosigkeit, die im Sommer 2016 in Geschont hat er sich deshalb nicht. Er Der Kleinbus mit Naidin ist inzwischen bizarre Ausbeutung umschlägt. Damals, war fleißig, gehörte zu denjenigen Arbei- bis in die Nähe von Brünn in Tschechien erzählen die Betroffenen, sammelte Toa- tern, die unter Zeitdruck noch auf den gekommen. Es gibt Probleme mit dem rech- der die Bankkarten ein. In der Folgezeit, Schiffen rumwerkelten, wenn diese sich be- ten Vorderlicht, dessen Gehäuse sich aus so ist an Auszügen zu sehen, werden die reits auf der engen Ems Richtung Nordsee der Halterung löst. Naidin nimmt es gelas- Konten mit teils fünfstelligen Summen ge- zwängten. Er schickte so viel Geld nach sen, die moldauischen Fahrer scheinen gut füllt, die kurz darauf wieder abfließen, of- fensichtlich an Verwandte von Toader. Auf die Fragen des SPIEGEL, so Toader, werde man nicht antworten. Für den Isofonics-Chef lief es gut. Viel- leicht etwas zu gut. Fast 300 000 Euro Ge- winnvortrag wies seine Firma für 2016 aus – ein ziemliches Kunststück bei nur 1,2 Millionen Euro Bilanzsumme. Womöglich lag das daran, dass bei To- ader ganz eigene Gesetze galten: Statt Lohnfortzahlung hieß es Lohnrückzah- lung im Krankheitsfall. Auch Urlaubsgeld habe er sich erstatten lassen. Arbeitern wie Naidin, die ihren Lohn in bar abhol- ten, zahlte man diese Lohnbestandteile erst gar nicht aus. NORBERT ENKER / DER SPIEGEL Wer es wagte, die Zahlungsmodalitäten infrage zu stellen, sei in der Firmenhalle in Papenburg vor versammelter Mann- schaft fertiggemacht worden, berichten Ar- beiter. Diese Meetings hätten den Charak- ter von »Gehirnwäsche« gehabt. Gerade- zu hysterisch habe der Firmenchef auf den Posten an der ungarisch-rumänischen Grenze: Craiova lässt auf sich warten Namen Daniela Reim reagiert. »Ihre Tele- 72
fonnummer könnt ihr gern haben, aber gleichzeitig auch eure Kündigung.« Reim, 45, leitet seit vier Jahren die Be- ratungsstelle für Mobile Beschäftigte in Ol- denburg, eine Art Ersatzbetriebsrat für Entrechtete. Reim ist Rumänin, gelernte Lehrerin und stört mit ihrer resoluten Freundlichkeit das eingespielte Gefüge zwischen den Meyers und ihren Subunter- nehmen. »Engel« wird sie von manchen Arbeitern genannt. Der litauisch-moldauische Kleinbus hat sich inzwischen durch den südlichen Kar- patenbogen geschlängelt. Die Sonne scheint, es ist nicht mehr weit bis Craiova. In Naidin NORBERT ENKER / DER SPIEGEL kommt Leben. Eine weite Tiefebene tut sich auf, mit viel Brachland. Naidin zeigt mit ei- nigem Stolz auf die Ford-Fabrik, etwas wei- ter liege der Raketenabwehrschild der US- Armee. Wirtschaftlich war es das schon fast, die Geschichte vom alten Kohlenmeiler und dem kaputten Lokomotivenwerk möchte Naidin nicht vertiefen. Heimkehrer Naidin, Ehefrau Madalina: »Die Herren der Werft konnten nichts dafür« Unter den Hunderten Fällen von Lohn- betrug, die Reim und ihre Kollegin bear- beiten, ist auch der von Marian Pirva*, der Solche Lohntricksereien setzen den ihnen auf der Bank erschien, erinnert sich zusammen mit seiner Frau und seiner Sozialsystemen mächtig zu: Das Wirt- Christian, sei er empfangen worden »wie Tochter in einer Art renoviertem Schup- schafts- und Sozialwissenschaftliche Insti- ein alter Bekannter«. Er selbst habe dann pen am Rand von Papenburg wohnt. tut der Hans-Böckler-Stiftung beziffert die einige Formulare unterschreiben müssen, »Im September hat er eine Woche Ur- Einbußen durch Lohnbetrug für 2016 auf »das schien normal«. Es folgten Briefe zum laub genommen für die Taufe seiner Toch- 9,9 Milliarden Euro. Telefonbanking, obwohl er kaum ein Wort ter«, sagt Reim. Das Urlaubsgeld sei ihm Ein Sprecher der Werft sagt, über die Deutsch sprach. Auch Constantin Naidin zwar überwiesen worden, »aber für Herrn Sozialcharta sichere man ab, »alle Regeln« bekam Unterlagen für das Onlinebanking, Toader waren das Schulden, die er eintrei- zur Entlohnung einzuhalten. Im Übrigen »obwohl ich keine Ahnung davon hatte«. ben wollte«. Um den Druck zu erhöhen, verweist er an Isofonics. Die Reaktion, Wie einige andere Arbeiter hat auch behielt Isofonics den Januarlohn ein. Pirva sagt der Ex-Betriebsrat, sei »eine ziem- Naidin Kontoauszüge aufbewahrt und geriet mit den Raten für den Fernseher liche Verrenkung«. Meyer selbst habe sich nicht vernichtet, wie angeordnet wurde. und den Gebrauchtwagen in Verzug. Er doch Subunternehmen wie Isofonics »her- Bleibt die Frage der teils fünfstelligen Be- kündigte. »Ich habe das Klima der Angst angezüchtet«. Und wenn mal einer von träge, die da munter hin- und herbewegt nicht mehr ertragen.« denen hochgehe, kämen drei neue. wurden und am Ende wohl in Toaders Um- Als Reim sich an Toader wandte, antwor- »Ein Blick auf die Torerfassung der feld versickerten. »Für mich sieht das nach tete dessen Assistentin per E-Mail, Reim Werft hätte einen Hinweis geben können, Geldwäsche aus«, sagt Daniela Reim. müsse sich Gedanken machen, ob sie ihr was läuft«, sagt Wentingmann, die seit Jah- Die Deutsche Bank sagt, Kontoeröffnun- Amt so »rumänisch destruktiv« weiterfüh- ren Meyer bearbeitet. »Jeder Arbeiter gen könnten auch dann erfolgen, wenn der ren wolle. Eine Kopie des Schreibens ging loggt sich am Eingang mit seiner Chipkarte Kontoinhaber »die deutsche Sprache nicht an die Geschäftsführung der Meyer-Toch- ein.« Der Werftsprecher behauptet, eine perfekt beherrscht«. Kein Wort zur Frage terfirma ND Coatings. Arbeitszeitkontrolle gehe aus »daten- nach Geldwäsche. Aus dem Umfeld der Bei Pirva lief es wie bei vielen anderen: schutzrechtlichen« Gründen nicht. Bank ist aber zu erfahren, dass man dort Er bekam eine Lohnabrechnung, die sau- Dass bei Isofonics mit den Lohnabrech- hellhörig wurde, rechtliche Schritte einlei- ber wirkte – 160 Stunden à 9,50 Euro. Tat- nungen etwas nicht stimmt, wusste man tete und betroffene Konten kündigte. Der sächlich arbeitete er oft 100 Stunden mehr bei der Meyer-Tochter ND Coatings schon Werftsprecher meldet sich noch mal. Isofo- im Monat – unbezahlt. Auf den Mindest- seit Sommer 2016. Zwei Arbeitern, die nics, sagt er, sei dreimal erfolgreich geprüft lohn von 8,84 Euro kam er nie. sich beschwerten, wurde sogar eine Abfin- worden. Beim aktuellen Audit gebe es aller- Ursula Wentingmann von der IG Metall dung gezahlt, damit sie Ruhe gaben. Der dings »Abweichungen«. in Leer hat nachgerechnet, dass Pirva von ND-Coatings-Geschäftsführer, sagt der Naidins Neffe Christian kommt gut zu- Februar 2017 bis Januar 2018 exakt Sprecher, habe »zum Teil« davon gewusst. recht in England. Für ihn ist Deutschland 11 754,56 Euro vorenthalten wurden. Das Und dann? Wurde geschwiegen. erst mal durch. Naidin selbst würde trotz hieße: Sozialversicherungsbetrug, Verstoß Constantin Naidin ist angekommen. Er allem gern zurück auf die Werft, es müsse gegen Arbeitszeitgesetze, Verstoß gegen steigt aus dem Bus. In einem Café wartet nur »etwas mehr Ehrlichkeit« geben. den Mindestlohn und womöglich Sitten- sein Neffe Christian auf ihn. Auch Chris- Nach 33 Stunden Fahrt steht er vor sei- widrigkeit: Viele Werkvertragsarbeiter wa- tian arbeitete früher auf der Meyer-Werft, nem kleinen Haus. Hinten im Garten, an ren als Fachkräfte angestellt und müssten auch er für Toader. Inzwischen hat er ei- der verrosteten Hollywoodschaukel, wartet mindestens zwei Drittel des Tariflohns be- nen Job auf einer Obstfarm in England. seine Frau. Naidin läuft den Weg hoch. Toto, kommen. »Und der liegt in ganz anderen Ganz abnabeln von Deutschland konnte sein alter Mischlingshund, bellt ihn an wie Bereichen«, sagt Wentingmann. er sich nicht. »Ich hab ja noch mein Konto einen Fremden. Er hat Naidin nicht erkannt. da, bei der Deutschen Bank.« Die Karte da- Nils Klawitter * Name geändert. für musste auch er abgeben. Als Toader mit DER SPIEGEL Nr. 14 / 31. 3. 2018 73
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