Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive - Flood Resilience Review 05.14
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Die Post Event Review Capability (PERC) ist ein Bestandteil des «Zurich Flood Resilience Program» und widmet sich der Erforschung grosser Hochwasserereignisse, wobei unabhängige Reviews durchgeführt werden. Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen steht das Erkennen und Sammeln von bewährten Vorgehensweisen («best practices») für die Verbesserung der Hochwasserwider- standsfähigkeit, des Hochwasser-Risikomanagements und der Katastrophenintervention. Eine ebenso zentrale Aufgabe ist die Identifizierung konkreter Möglichkeiten für weitere Verbesserungen in diesen Themenbereichen. Seit 2013 hat PERC verschiedene Hochwasserereignisse analysiert. Im kontinuierlichen Dialog mit verschiedenen Experten und Behörden wird das gesammelte Wissen konsolidiert und der interessierten Öffentlichkeit frei zugänglich zur Verfügung gestellt. Inhaltsverzeichnis Vorwort 1 Executive Summary 2 Einleitung 5 Kapitel 1: Das Hochwasser 2013 7 Das Einzugsgebiet der Donau 11 Die Elbe und ihre Zuflüsse 15 Rhein 19 Kapitel 2: Vergleich des Hochwassers 2013 mit jenem von 2002 20 Kapitel 3: Was funktioniert hat und was nicht 27 3.1 Erfolgsgeschichten und bewährte Anwendungsbeispiele 28 3.2 Punkte, wo mehr getan werden kann 35 Kapitel 4: Empfehlungen 46 4.1 Steuerung des Hochwasser-Risikomanagements 48 4.2 H ochwasserrisiken durch natürlichen Rückhalt und baulichen Schutz reduzieren 50 4.3 Intervention – Massnahmen unmittelbar vor und während des Hochwasserereignisses 53 4.4 Massnahmen nach dem Ereignis 55 Kapitel 5: Wären wir bereit, wenn die nächste Jahrhundertflut im Jahr 2023 käme? 60 Jetzt ist der richtige Moment, um sich auf das nächste Katastrophenhochwasser vorzubereiten 61 Literatur 68 Über Zurich 71 Das Flood Resilience Program von Zurich 71 Über die Autoren 71 Danksagung 72 Titelbild: ein vom Elbe-Deichbruch in Fischbeck betroffener Standort im Juni 2013 Über Risk Nexus Risk Nexus ist eine Serie von Berichten und anderen Publikationen von Zurich im Zusammenhang mit Risiken. © Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG 2014. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Publikation darf in irgendeiner Form oder durch irgendwelche Mittel ohne schriftliche Genehmigung von Zurich reproduziert oder verbreitet werden. Ausnahmen gelten nur im Falle eines kurzen Zitates im Rahmen einer Veröffentlichung in Nachrichtenartikeln, Kritiken oder Reviews.
Vorwort Unsere Experten besuchten viele der Unser Dank geht an die Autoren dieser am stärksten von Schäden betroffenen Publikation: Michael Szönyi, Senior Flood Diese Publikation wurde anlässlich Regionen in Deutschland ein zweites Mal. Resilience Specialist im «Zurich Flood des ersten Jahrestages der in jüngster Einige waren bereits im Jahr 2002 von Resilience Program»1, Oliver Gywat, Senior Zeit wohl schwerwiegendsten Überschwemmungen ähnlichen Ausmasses Research Manager in Zurichs Abteilung Überschwemmungen Mitteleuropas betroffen. Unser Team sprach mit Government and Industry Affairs, und erstellt. Jubiläen sind in der Regel Einwohnern, Kunden, Vertretern von Achim Dohmen, Senior Claims Specialist freudige Ereignisse, doch dies kann Hochwasserschutzbehörden und anderen der Zurich. Wir danken auch Ian leider von den Überschwemmungen Ämtern, sowie Hochwasserexperten. McCallum vom Ecosystems Services im Juni 2013, dem global teuersten Auf diese Weise gewannen sie Einblicke and Management Program (ESM) und Katastrophenereignis des Jahres, in die gängige Praxis von Hochwasser- Reinhard Mechler, Deputy Director of nicht gesagt werden. Risikomanagement. Während Österreich, Risk, Policy and Vulnerability, beide von Deutschland und die Schweiz im IIASA in Laxenburg, Österreich. Ebenso Mittelpunkt der Untersuchungen standen, verdanken wir die Hilfe, Unterstützung beinhalteten die Nachforschungen auch und wertvolle Beiträge zahlreicher die Auswirkungen auf Mitteleuropa ganz Personen, für deren Erwähnung hier nicht allgemein. Das Team identifizierte genügend Platz zur Verfügung steht. ebenfalls Möglichkeiten zur Verbesserung Hochwasser betrifft global mehr Menschen der Hochwasser-Widerstandsfähigkeit als jede andere Naturgefahr. Wir glauben, sowie zur Verminderung von Schäden in dass ein offener Dialog, Aufklärungsarbeit einem zukünftigen Hochwasser. Einige und die Sensibilisierung der betroffenen Einsichten stammen unmittelbar aus dem Parteien wichtige Beiträge zur Erhöhung Hochwasserereignis 2013 und wurden der Hochwasserwiderstandsfähigkeit teilweise durch eine Überprüfung der leisten. Hochwasserschäden und Hochwasserschutzmassnahmen erhärtet, Informationen über das Hochwasserrisiko die nach dem Hochwasser 2002 ergriffen sollten öffentlich verfügbar sein, und wir worden sind. benötigen einen aktiven Dialog, der Wir haben diese Studien unternommen, Gemeinschaften und Ländern hilft, weil wir bei Zurich der Meinung sind, dass Hochwasser besser zu bewältigen. Durch unsere Expertise und unsere Fähigkeiten das Bündeln einiger Informationen in einen Beitrag zur Reduktion des dieser Publikation möchten wir einen Hochwasserrisikos leisten können. Im Jahr Beitrag an Gemeinschaften und weitere 2013 wurde ein auf fünf Jahre angelegtes Interessengruppen weltweit leisten, die Programm zur Hochwasserwiderstands- den persönlichen und wirtschaftlichen fähigkeit ins Leben gerufen. Wir Risiken von Hochwasser ausgesetzt sind. kooperieren in diesem Rahmen mit der Bekanntlich ist «nach einem Hochwasser» Internationalen Föderation der Rotkreuz- immer auch wieder «vor einem und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC), Hochwasser». Die Zeit drängt, und um der internationalen Entwicklungs- besser auf das nächste Hochwasser Nichtregierungsorganisation Practical vorbereitet zu sein, muss das Gelernte aus Action, sowie mit zwei Forschungspartnern, vergangenen Hochwassern auch umgesetzt dem Internationalen Institut für werden. So können Gemeinschaften ihre Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Hochwasserwiderstandsfähigkeit Österreich und dem Risk Management erhöhen, Leben retten und einen Beitrag and Decision Processes Center der zum künftigen Wohlergehen der vom Wharton Business School in den USA. Hochwasser betroffenen Menschen leisten. Gemeinsam mit diesen Partnerinstitutionen identifiziert und schliesst Zurich Wissenslücken zum Thema Hochwasser 1 er englische Begriff «resilience» umschreibt das Verhalten D und unterstützt Gemeinschaften, damit von Systemen oder von Gemeinschaften, mit einem Ereignis, diese widerstandsfähiger gegen zum Beispiel einer Hochwasserkatastrophe, umzugehen und danach die Folgen möglichst schnell vollständig zu Überschwemmungen werden. Mike Kerner, verarbeiten. Häufig verwendet man den Begriff CEO General Insurance, Zurich «Widerstandsfähigkeit», doch wir nutzen gleichwertig dazu in dieser Publikation auch Resilienz. Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG | Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive 1
Executive Summary Jedes Hochwasser ist einzigartig und Kapitel 1 beschreibt die dem Hochwasser bringt seine eigenen Herausforderungen vorausgehende Wetterlage. Schwere mit sich. Aus jedem Ereignis kann somit Niederschläge im Mai 2013 bereiteten auch Neues gelernt werden. Damit dieses wörtlich den Boden für die schweren Wissen erschlossen und nutzbar gemacht Überschwemmungen, die in Deutschland, werden kann, sollte es üblich sein, nach Österreich und der Tschechischen grossen Hochwasserereignissen eine Republik auftraten, 25 Menschen das tiefgehende «forensische» Analyse Leben kosteten und Tausende zur durchzuführen und die gewonnenen Evakuierung zwangen. Entlang hunderter Erkenntnisse zu publizieren und der Flusskilometer wurden die höchsten je Öffentlichkeit zugänglich zu machen. gemessenen Wasserstände verzeichnet. Das Ziel der vorliegenden PERC-Publikation Die Schätzungen für die gesamten ist es, einen Beitrag in diesem Sinne zu wirtschaftlichen Schäden, die durch dieses leisten. Sie wurde anlässlich des ersten Hochwasser verursacht wurden, reichen Jahrestages des verheerenden Hochwassers von 11,9 Milliarden EUR (16,5 Milliarden verfasst, das Mitteleuropa im Juni 2013 USD) bis zu 16 Milliarden EUR (22 heimgesucht hatte. Ein erster, kürzerer Milliarden USD). Die versicherten Schäden Bericht über dieses Ereignis wurde bereits werden dagegen auf zwischen 2,4 im August 2013 veröffentlicht. Milliarden EUR (3,3 Milliarden USD) und 3,8 Milliarden EUR (5,3 Milliarden USD) Der vorliegende Bericht vergleicht die geschätzt. In Deutschland alleine betragen grossen Hochwasserereignisse der Jahre die gesamten wirtschaftlichen Schäden rund 2013 und 2002 und die Folgen, die sie 10 Milliarden EUR und die versicherten für die Gemeinschaften hatten, mit Schäden etwa 2,4 Milliarden EUR. besonderem Augenmerk auf Deutschland, sowie teilweise auch Österreich und die Einer unserer Experten besuchte die Stadt Schweiz. Es werden Erkenntnisse und Passau in Bayern, die von den Ereignissen Schlussfolgerungen im Hinblick auf die im Jahr 2013 besonders schwer getroffen Wirksamkeit der Veränderungen im wurde. Bei Passau treffen drei Flüsse Hochwasserschutz nach 2002 aufgeführt, aufeinander, und Hochwasser sind dort und es wird gezeigt, wo noch Bedarf für keine Seltenheit. Die Verwundbarkeit weitergehende Veränderungen besteht. Passaus ist ein Sinnbild für den Bedarf nach tiefgreifenden Studien, die sich mit Risiken Viele der hier präsentierten Informationen und Faktoren, die Hochwasserereignisse wurden vor Ort von Hochwasserspezialisten mildern oder verschärfen können, befassen. von Zurich gesammelt. Letztere haben einige der am schlimmsten betroffenen Obwohl das Hochwasser 2013 schwere Ortschaften besucht und mit lokalen Schäden anrichtete, hätte es auch noch Experten, Vertretern von Wasserbehörden schlimmer kommen können. Wie 2002 und mit Kunden gesprochen. Sie trafen waren vorwiegend die Einzugsgebiete im Feld auch einige Menschen, die direkt der Donau und der Elbe betroffen. vom Hochwasser betroffen waren und Während es auch am Rhein lokal zu sich mit dem Aufräumen und dem Überschwemmungen kam, waren diese Wiederaufbau beschäftigen mussten, relativ gering. Ein schweres Hochwasser- damit das Leben wieder in geregelten ereignis, das alle drei grossen deutschen Bahnen verläuft. In einigen Fällen ist Flusseinzugsgebiete zugleich betrifft, hat dieser Prozess auch nach einem Jahr sich in jüngster Zeit glücklicherweise noch nicht abgeschlossen. nicht ereignet. 2 Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive | Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
Das bedeutet aber nicht, dass dieses höhung und Massnahmen zur Risiko- Unsicherheiten in der Wasserstands- Ereignis in Zukunft nicht eintreten könnte. reduktion entlang der Isar, vorgenommen Abfluss-Beziehung, der Kurve, die Es darf auch nicht vergessen werden, dass hat. Hochwasserentlastungen, die der Isar den Zusammenhang zwischen dem nur dank massiver Notfallinterventionen mehr Raum geben und ihrer Zerstörungs- Wasserstand und dem (Wasser-) Abfluss 2013 noch grössere Schäden verhindert kraft entgegenwirken, werden in Zeiten, an einem bestimmten Pegel darstellt, werden konnten. Das Glück wird aber in denen keine Fluten drohen, zu sollten angegangen werden. nicht immer auf der Seite derjenigen sein, parkähnlichen Flächen. Diese Erfolgs- Wir sollten auch unsere Einstellung zum die gegen Hochwasser ankämpfen. Nur geschichten zeigen, dass sich Hochwasser- Hochwasserschutz überdenken. Deiche knapp und mit etwas Glück konnte in schutz auch positiv auf die Lebensqualität bilden eine kritische Verteidigungslinie vielen Fällen Schlimmeres verhindert der Menschen auswirken kann. Eine weitere gegen das Hochwasser. Sie bringen aber werden. Dies zeigt weiteren Bedarf an Möglichkeit für wirksamen Hochwasser- auch neue Probleme mit sich. Unter Vorsorgeplanung auf, um kritische schutz besteht in der Schaffung von anderem gaukeln sie eine falsche Sicherheit Infrastruktur und lebenswichtige Poldern, das sind Flächen, die zur gezielten bei denjenigen vor, die hinter ihnen leben. Institutionen zu schützen. Überflutung entlang der Flüsse bereitgestellt Dass Deiche mit fatalen Konsequenzen werden. Die Entscheidung für das Bis 2002 waren sich viele Leute in brechen können, wurde in Fischbeck, Erstellen solcher Polder hängt häufig vom Mitteleuropa gar nicht erst bewusst, Deutschland, erneut aufgezeigt. Drei Willen der betroffenen Gemeinschaften dass Überschwemmungen auf einer Lastkähne mussten nach dem Deichbruch ab. In Brandenburg hat sich der Nutzen derart grossen Skala überhaupt möglich im Juni 2013 versenkt werden, um die der Polder 2013 einmal mehr erwiesen. sind. Kapitel 2 vergleicht die Lücke zu schliessen – ein verzweifeltes Dies gilt besonders für gesteuerte Polder, Hochwasserereignisse von 2013 und Manöver. Man kann auch noch viel von die dann eingesetzt werden können, 2002 aufgrund der im Feld gewonnenen anderen Ländern lernen was den Umgang wenn sie die Hochwasserspitze am Erkenntnisse. Wir beleuchten die mit Hochwasserrisiko und dem Einsatz effektivsten kappen können. Ähnlichkeiten und Unterschiede der von neuen Technologien zur Lösung von beiden Ereignisse, beginnend mit der Investitionen in Hochwasserwiderstands- Hochwasserproblemen, zum Beispiel bei meteorologischen Situation, führen dann fähigkeit zahlen sich ebenfalls aus, sofern Deichbrüchen, betrifft. die Hochwasserstände, die in den drei sie effizient vorgenommen werden. Es braucht politische Unterstützung und Haupteinzugsgebieten gemessen worden Obwohl in Salzburg, Österreich, beim den Einbezug der Gemeinschaften, um sind, auf und zeigen schliesslich eine Ereignis 2013 höhere Wasserstände als Hochwasserschutzprojekte zu initiieren Reihe von Karten, welche die 2002 gemessen wurden, hat sich der und um dauerhaften Wandel erfolgreich hauptsächlich betroffenen Gebiete der Einsatz von mobilen Hochwasserschutz- umzusetzen. Das beinhaltet einen zwei Hochwasserereignisse aufzeigen elementen ausgezahlt und half, Schäden besseren Informationsfluss und erweiterte sowie die Standorte, an welchen Deiche zu reduzieren. Kenntnisse. Einige der Massnahmen sind gebrochen sind. Dieses Kapitel zeigt auch Es muss noch mehr getan werden, um auf den ersten Blick scheinbar einfach eine Übersicht der ökonomischen und das Hochwasserrisiko anzugehen, dies umzusetzen. Zum Beispiel braucht es versicherten Schäden der zwei Ereignisse, beinhaltet auch eine konsequentere Verständnis für die Umsetzung von und wie sich diese aufgrund der Risikoanalyse. Bessere Vorhersagemodelle baulichen Auflagen bei den Menschen, Schutzmassnahmen, die seit 2002 sind dann nötig, wenn innerhalb von die in Hochwasserzonen leben. Dazu getroffen worden sind, verändert haben. Minuten wichtige Entscheidungen gehört der Schutz von Heizöltanks, die Kapitel 3 beschreibt, welche Hochwasser- getroffen werden müssen, die tausende andernfalls schwere Verunreinigungen schutzmassnahmen gut funktioniert haben, Menschen betreffen können. Die verursachen und dazu führen können, und welche nicht. München und Landshut meteorologischen Vorhersagemodelle dass Wohnhäuser bei einem Hochwasser blieben vor schweren Hochwasserschäden stellen heute nicht immer ausreichend einen Totalschaden erleiden. Hier fehlt oft verschont, weil der Freistaat Bayern Vorwarnzeit zur Verfügung. Messstationen das Verständnis oder die Bereitschaft zu Verbesserungen bei Hochwasserschutz- sollten mehr und bessere Daten liefern. handeln. Um das Bewusstsein bei massnahmen, darunter eine Staudammer- Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG | Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive 3
Hochwassermarken an einem Haus in Grimma, April 2014. politischen Entscheidungsträgern und Der beste Ansatz ist es, ausserhalb von bei Individuen zu erhöhen, braucht Hochwassergefahrenzonen zu bauen. es einen besseren Zugang zu Karten, Falls dies nicht möglich ist, stellt der die Hochwassergefahren darstellen. natürliche Wasserrückhalt einen Vorteil Hochwasserkarten sollten ausserdem gegenüber baulichen Massnahmen, wie verbessert und standardisiert werden. zum Beispiel Deichen, oder mobilen Schutzmassnahmen, dar. Des Weiteren ist Anreize zu proaktiver Risikoreduktion es entscheidend, Verwundbarkeiten zu können, beispielsweise für das Ergreifen reduzieren und konsequent zu planen, wie von Verbesserungsmassnahmen beim die Intervention im Notfall auszusehen hat. Wiederaufbau sowie, in Extremfällen, Sobald ein Hochwasser eingetreten ist, durch das Belohnen einer freiwilligen sollte man analysieren, was gut und was Umsiedlung, geschaffen werden. Der nicht funktioniert hat, und daraus auf durchschnittliche Haushaltsschaden Verbesserungsmassnahmen schliessen. bei Überschwemmungen beträgt in Betroffenen Gemeinschaften und Deutschland ungefähr EUR 50‘000. Für Einzelpersonen ist im Planungsprozess Flächenschutz, der ganzen Dörfern und eine Stimme einzuräumen, nicht erst im Gemeinschaften zugutekommt, ergibt Planfeststellungsverfahren.2 sich für das Nutzen-zu-Kosten-Verhältnis durchschnittlich ein Wert von vier zu eins, Dieser Bericht nutzt die Erkenntnisse und häufig liegt er sogar viel höher. unserer Forschung, um nützliche Empfehlungen, nicht nur für die Nicht nur Einzelpersonen, auch ganze Gemeinschaften in Deutschland, sondern Länder sollten ihre Ansätze gegenüber weltweit, bereitzustellen, um Risiken dem Hochwasserrisiko überdenken. und Hochwasserschäden zu mindern. Dies betrifft zum Beispiel zentralisierte In Zukunft könnten Hochwasserereignisse Entscheidungsfindungen. Eine nationale noch grösser und katastrophaler ausfallen, Behörde kann dabei helfen, den Prozess da unser Klima sich verändert und die zu einer einvernehmlichen Entscheidung Dichte der Sachwerte in Gefahrenzonen zwischen allen betroffenen Regionen, ansteigt. Daher müssen signifikante Parteien und Interessensgruppen zu Veränderungen stattfinden, um die beschleunigen und insbesondere Schwierig- Risiken im Falle des nächsten Hochwassers keiten bei Umsiedlungen, Entschädigungen anzugehen. Das Kapitel 5 bespricht ein für diejenigen, die Überflutungsflächen hypothetisches grosses Hochwasser- bereitstellen, und bei anderen Situationen ereignis in der Zukunft, das «Hochwasser zu überwinden. Zunehmend bedeutsam von 2023» und macht klar, dass wir wird ein besseres Verständnis der das Undenkbare denken müssen. Die Abhängigkeiten von Risiken zueinander, Hochwasserereignisse von 2002 und und wie Belastungen in einem Teil eines 2013 könnten trotz ihrer schon Systems zu Folgeeffekten führen können. schwerwiegenden Folgen von einem «Nach dem Hochwasser» ist auch «vor zukünftigen Ereignis noch in den Schatten dem nächsten Hochwasser». Kapitel 4 gestellt werden. Es gilt, nicht nur die gibt einen Überblick über allgemeine Einstellung zu verändern, dass «die Empfehlungen zum Management von nächste Jahrhundertflut nur einmal in Hochwasserrisiken. Dies beinhaltet auch 100 Jahren eintritt» (was offensichtlich Massnahmen, die anderswo nützlich sind, nicht zutreffend ist), sondern auch tätig abhängig von der jeweiligen Situation. zu werden, um für die Zukunft besser im Zugleich sollte bedacht werden, dass Umgang mit Hochwasserrisiken gerüstet Hochwassergefahren und das Management zu sein. von Hochwasserrisiken im Detail sehr situations- und standortabhängig sind. 2 wird in der Schweiz auch Vernehmlassung genannt. 4 Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive | Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
Einleitung Hochwasser betrifft mehr Menschen Erlauben wir uns einen Blick in die und richtet mehr Schaden weltweit an Zukunft. Obwohl es unmöglich ist als andere Naturgefahren. Die Ereignisse Hochwasser vorherzusagen, können wir im Juni 2013 in Mitteleuropa forderten doch Schäden reduzieren oder verhindern, 25 Todesopfer. Die Fluten waren das die in unseren Lebensräumen angerichtet teuerste globale Grossschadenereignis werden. Hochwasserwiderstandsfähigkeit jenes Jahres. Neben dem menschlichen hat sowohl universelle wie auch lokale Leid richtete das Hochwasser grosse Eigenschaften. Somit können Lehren aus Schäden an. Diese waren besonders gross einem Einzelfall teilweise auch woanders in Deutschland und in der Tschechischen gezogen werden. Noch immer lernen wir Republik, doch auch Österreich, die aus dem Ereignis des Sommers 2013. Schweiz und Ungarn hatten Schäden, Während wir lernen wird klar, dass einige in geringerem Ausmass zu tragen. Massnahmen zur Verbesserung von Hochwasserwiderstandsfähigkeit gut 2002 wurde Mitteleuropa bereits von einem funktioniert haben, andere versagt haben, Hochwasserereignis ähnlicher Grösse mit und wiederum andere unvorhersehbare vergleichbaren Schäden heimgesucht. Auswirkungen hatten. Der Begriff «Jahrhundertflut» wurde oft verwendet, um dieses Ereignis im Nachgang Dieser Bericht ist hauptsächlich auf zu beschreiben. Jedoch ist dieser Begriff Deutschland ausgerichtet, wobei das der Statistik entlehnt, und ohne den Hochwasser von 2013 analysiert und mit nötigen fachlichen Hintergrund kann demjenigen aus dem Jahr 2002 verglichen dieser irreführend sein. Obwohl seit 2002 wird. Wir versuchen ausserdem, den vieles verbessert wurde, waren viele universellen Charakter von Hochwasser- Menschen überrascht, dass nach nur widerstandsfähigkeit herauszustreichen, 11 Jahren schon wieder so ein Ereignis indem wir auch Erkenntnisse aus eintreten konnte. Jedoch werden Österreich, der Tschechischen Republik Hochwasserhäufigkeiten rückblickend, und der Schweiz aufführen. In Deutschland durch die Analyse der Vergangenheit, wurden Erkenntnisse durch Besuche in errechnet. Sie erlaubt uns nicht, eine betroffenen Gemeinden, Interviews mit Vorhersage über den Eintrittszeitpunkt örtlichen Fachpersonen und Behörden eines neuen Ereignisses in der Zukunft gesammelt, die in Bayern, Sachsen, vorzunehmen. Hochwasserstatistik beruht Sachsen-Anhalt, Brandenburg, ausserdem auf «Punktmessungen» und Niedersachsen und Schleswig-Holstein macht Aussagen über gewisse Standorte. im Einzugsgebiet der Donau und der Unser Geist ist gerne versucht, falschen Elbe beheimatet sind. Die Leitfragen Annahmen aufgrund solcher Statistiken der Forscher können wie folgt aufzusitzen. Um besser auf Hochwasser- zusammengefasst werden: Welche gefahren vorbereitet zu sein, ist es Massnahmen zur Verbesserung der wichtig, unsere subjektive Wahrnehmung Hochwasserwiderstandsfähigkeit wurden von Ereignishäufigkeiten zu verändern. nach 2002 erkannt? Welche wurden umgesetzt, welche nicht, und warum? Haben die umgesetzten Massnahmen die Sachlage im Jahre 2013 verbessert? Und was würde beispielsweise im Jahr 2023 passieren, sollte ein Hochwasser mit ähnlicher Grössenordnung wieder in Mitteleuropa auftreten? Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG | Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive 5
• Kapitel 1 gibt einen Überblick über das Hochwasser im Juni 2013. Das Ausmass und die Eintrittswahrscheinlichkeit werden hinsichtlich der betroffenen Regionen und Menschen und der finanziellen Schäden beleuchtet. • In Kapitel 2 vergleichen wir diese Katastrophe mit jener von 2002 und versuchen zu verstehen, was ähnlich und was unterschiedlich war und wie sich dies in den wirtschaftlichen und versicherten Schäden auswirkte. • Kapitel 3 zeigt die Erkenntnisse aus der Feldforschung auf, insbesondere die Erfolgsgeschichten, die wir angetroffenen haben, und die wunden Punkte, die Verbesserungspotential aufzeigen. • Kapitel 4 bietet eine Serie von Empfehlungen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes und Ideen für dessen zukünftige Umsetzung. Diese Empfehlungen geben wir in der Hoffnung, das Bewusstsein zu stärken, die Vorbereitung zu verbessern, Verwundbarkeiten zu verringern und Gemeinden dabei zu helfen, zunehmend widerstandsfähig zu werden. Sie können als grundlegender Leitfaden für Hochwassermanagement gelesen werden, auch unabhängig vom übrigen Dokument. • Kapitel 5 beschreibt ein künstliches Beispiel eines zukünftigen grossen Hochwasserereignisses, das «Hochwasser von 2023», und stellt Herausforderungen und mögliche Risiken sowie den Fortschritt dar, der nötig ist, um die allgemeine Hochwasserwiderstandsfähigkeit zu erhöhen. Die Karte auf den Seiten 24-25 zeigt die Ortschaften, die im Text erwähnt werden. Zurich unterstützt ihre Kunden, Risiken zu verbessern. Wir hoffen, dass dieser Bericht verstehen, sie richtig einzuschätzen, und einen Stimulus in der anhaltenden Diskussion sich bestmöglich dagegen zu schützen. zu Hochwasser-Risikomanagement und Dies macht deren Leben sicherer und hilft -Bewusstsein schafft. Hochwasserwider- ihnen, ihr Unternehmen unbeschwerter standsfähigkeit enthält kontroverse zu führen. Wir glauben, dass die Aspekte, und Hochwasserschutz ist mit Versicherungsindustrie beim Thema Kosten verbunden. Wir sind uns bewusst, Hochwasserrisiken eine Rolle jenseits von dass noch nicht alle Fragen in dieser Versicherungsdeckung wahrnehmen Diskussion beantwortet werden können, kann: Risikoreduktion im Rahmen von möchten aber dennoch dazu einladen, Ereignisanalysen, Forschung und die hier eingebrachten Punkte zu Wissensaustausch zu gut funktionierenden berücksichtigen. Diese sollten nicht als Beispielen. Mit dem Zurich Flood Resilience vollständiger Katalog betrachtet werden, Program möchten wir die Erkenntnisse sondern als Vertiefung der anhaltenden und den öffentlichen Dialog zu Diskussion im Hochwasser-Risiko- Hochwasserwiderstandsfähigkeit management. 6 Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive | Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
Kapitel 1 Das Hochwasser 2013 Die Flutmulde, ein Entlastungskanal, der durch Landshut fliesst, ist der ideale Ort für einen Spaziergang, solange kein Hochwasser droht. Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG | Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive 7
Das Hochwasser, das 2013 zahlreiche Gebiete in Mitteleuropa betroffen hat, begann mit heftigen Niederschlägen. Der Monat Mai war schon sehr nass gewesen und hatte die Böden grossflächig gesättigt. Als starker Regen einsetzte, führte dies zu grossvolumigem Oberflächenabfluss, der sich in Flüssen ansammelte und zu Hochwasser wurde, das sich über Zuflüsse in die Hauptflüsse bewegte und Gemeinschaften in Deutschland, Österreich und der Tschechischen Republik betraf, wie auch in anderen Ländern entlang der Elbe und der Donau sowie Teilen des Rheins. Die Forscher von Zurich haben direkt Schäden hinnehmen musste, schätzt nach dem Ereignis 2013 die am meisten den Schaden auf 1,3 Milliarden EUR, betroffenen Gebiete besucht. Als sie inklusive der rund EUR 110 Millionen im April 2014 zu vielen dieser Orte Schäden an staatseigener Infrastruktur im zurückkehrten, zeigte sich, dass zahlreiche Wasserbau (Deiche, Hochwasserwände, weitere Informationen verfügbar waren, Pumpwerke usw.). die zu neuen Erkenntnissen führten. Dieser Abschnitt gibt eine Übersicht des Wie das Hochwasser in Hochwassers 2013 und erweitert das Mitteleuropa entstand Wissen, das wir in unserem früheren Grosse Hochwasserereignisse in Mitteleuropa Bericht3 vom August 2013 bereitgestellt (1997, 2002, 2005) ereigneten sich hatten und das auf den damals aufgrund einer Grosswetterlage, die von verfügbaren Informationen basierte. Meteorologen mit der Bezeichnung «V-b» (sprich: Fünf-b, basierend auf der Hochwasserschäden 2013 Klassifikation des deutschen Meteorologen Die Fluten waren für 25 Tote in den van Bebber) bezeichnet wird. Die V-b betroffenen Ländern verantwortlich. Grosswetterlage funktioniert wie ein Alleine in Deutschland mussten 52‘500 grosses Transportband, bei dem ein Menschen entlang der Donau und der System an Tiefdruckgebieten grosse Elbe aus ihren Häusern fliehen (CEDIM, Mengen Feuchtigkeit aus dem Mittelmeer 2013). Die Hochwassermarken waren aufnimmt und in einer nordöstlich entlang hunderter Flusskilometer die ausgerichteten Zugbahn nach Mitteleuropa höchsten, die je gemessen wurden – gegen die Alpen verfrachtet. Dies führt zu dennoch gilt es zu bedenken, dass in starken Niederschlägen. Das vorherrschende der Vergangenheit noch grössere Fluten Wetter im Juni 2013 wies entsprechende eingetreten sind, allerdings bevor Merkmale auf. Messungen vorgenommen wurden. Die Wochen vor den Fluten in Mitteleuropa Schätzungen der gesamtwirtschaftlichen in 2013 waren sehr nass und an einigen Schäden aufgrund des Hochwassers Orten unsaisonal kalt. Den Mai über liegen zwischen EUR 11,9 Milliarden (USD erhielten viele Gebiete in Deutschland die 16,5 Milliarden) und EUR 16 Milliarden doppelte Menge des durchschnittlichen (USD 22 Milliarden). Die grosse Bandbreite Monatsniederschlags. In einem weiten der Schätzungen liegt zum Teil in den Bogen von Schleswig-Holstein im Norden unterschiedlichen Messmethoden, um die bis Bayern im Süden erreichten die Schäden zu berechnen.4 Die versicherten Gesamtniederschläge 250% der Schäden werden zwischen EUR 2,4 Durchschnittswerte, und an einigen Milliarden (USD 3,3 Milliarden) und deutschen Messstandorten sogar über EUR 3,8 Milliarden (USD 5,3 Milliarden) 300%. Der Boden war übersättigt – im Mai angegeben. In Deutschland alleine liegen wies rund 40% der Fläche Deutschlands die gesamtwirtschaftlichen Schäden bei Werte für die Bodensättigung auf, wie sie ca. EUR 10 Milliarden und die versicherten seit Messbeginn 1962 noch nie 3 Z urichs Studie, wie die Hochwasserwiderstandsfähigkeit in Schäden bei EUR 2,4 Milliarden. Das Land Europa verbessert werden kann, verfügbar auf http://www. festgestellt wurden. zurich.com/aboutus/corporateresponsibility/flood-resilience/ Bayern, das mitunter die schlimmsten flood-resilience.htm 4 ie Bandbreite beruht auf den publizierten Zahlen von Aon D Benfield (2014), MunichRe (2014) und SwissRe (2014). 8 Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive | Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
In den letzten Tagen des Mai 2013 und der Tschechischen Republik. An einigen den ersten Tagen des Junis gab es dann Stellen wurden sogar noch nie dagewesene Starkniederschläge in Mitteleuropa, Hochwasserstände6 gemessen, seit die von den drei Tiefdruckgebieten moderne Messungen erhoben werden. «Dominik», «Frederik» und «Günther» Nebst Deutschland, Österreich und der verursacht wurden. Letzteres nahm seinen Tschechischen Republik wurden auch in Ursprung in der nördlichen Adria und Teilen der Schweiz und Ungarn Hochwasser bewegte sich nordwestlich zum erfasst. In Budapest konnte die Donau mit Alpenbogen (ähnlich aber nicht identisch Sandsäcken zurückgehalten werden, aber mit einer V-b-Zugbahn). Zwischen dem in anderen Landesregionen mussten 28. Mai und dem 3. Juni brachten diese Hunderte fliehen. drei Tiefdrucksysteme ausserordentliche Niederschlagsmengen in einem Gebiet Hochwasserwarnung und mit Zentrum über Südostdeutschland. -vorhersage Das Bayerische Landesamt für Umwelt Frühzeitige Hochwasserwarnungen und (LfU 2013) berichtete, dass sowohl in entsprechende Vorkehrungen waren von einer 72-stündigen als auch in einer Anfang an erschwert. Es war schwierig 96-stündigen Beobachtungsperiode der vorherzusagen, wo genau die Gesamtniederschlag an der Wetterstation Niederschläge fallen würden, und welche Aschau-Stein (nahe Rosenheim) einem lokalen Gebiete wann von wie viel «500- bis 1‘000-jährlichen Ereignis»5 Niederschlag betroffen sein würden. entsprach. An 10 Stationen des Deutschen Die Schwierigkeiten, mit welchen die Wetterdienstes DWD erreichte oder übertraf meteorologischen Vorhersagen zu der Niederschlag die Wiederkehrperiode kämpfen hatten, limitierten auch die von 100 Jahren. In der Schweiz verursachte Qualität bei der Hochwasservorhersage. dieses grossflächige (synoptische) Wetter Nicht nur die Vorhersagen, auch die ebenfalls viel Niederschlag, obschon Abflussmodelle waren von Unsicherheiten weniger ausgeprägt (generell eine betroffen. Diese bezogen sich auf Wiederkehrperiode von 5 bis 10 Jahren). Flusspegel und auf Abflussmengen, Doch auch hier erreichten einzelne nachdem Deiche gebrochen waren. Es Stationen Rekordwerte. Weesen am war schwierig vorherzusagen, wie stark Walensee notierte den höchsten diese Deichbrüche die Abflussmengen absoluten Wert in diesem Ereignis mit flussabwärts verändern würden. 179 Millimetern Niederschlag in 48 Stunden. Dies entspricht einer statistischen Chronologie des Hochwassers in Jährlichkeit (Wiederkehrperiode) von rund den wichtigsten Flussgebieten 20 Jahren. St. Gallen in der Nähe des Auch wenn es schwer ist das Hochwasser Bodensees mass 136 Millimeter, ein sowohl chronologisch als auch Ereignis, das hier nur einmal in rund geographisch zu beschreiben, versuchen 50 bis 100 Jahren auftritt. wir in diesem Bericht, dem Hochwasser 5 ochwasserwahrscheinlichkeiten und das Auftreten von H 2013 anhand der grossen Flüsse zu Ereignissen werden oft mit einer Wiederkehrperiode Da es für die Starkniederschläge nun folgen. Wir besprechen Aspekte des (Jährlichkeit) angegeben, die ein statistisches Mittel über praktisch unmöglich war im Boden zu vergangene Ereignisse darstellt. Eine 100-jährliche Flut Hochwasser-Risikomanagements, welche hat demzufolge in jedem beliebigen Jahr eine versickern, bahnte sich ein massives die Risikoreduktion, Intervention, Wahrscheinlichkeit von 1%, einzutreten. Jedoch hat ein Hochwasser an. Wasser strömte über Haus in einer 100-jährlichen Hochwasserzone eine Aufräumarbeiten und Ereignisanalyse Wahrscheinlichkeit von 26%, innert einer Periode von Zuflüsse in die Hauptflüsse und führte umfassen. Die fettgedruckten Ortschaften 30 Jahren mindestens einmal von einem 100-jährlichen zu dem schlimmsten Hochwasser in Hochwasser betroffen zu sein, und eine Chance von 64% sind auf der Übersichtskarte, die das innert 100 Jahren mindestens einmal betroffen zu sein. mindestens einem Jahrzehnt in Süd- und Ausmass des Hochwassers 2013 darstellt, Daher sind auf ein Jahr berechnete Wahrscheinlichkeiten Ostdeutschland, Österreich, Ungarn und (z.B. eine Chance von 1%) manchmal besser geeignet, um zu finden (Seiten 24-25). das Risiko zu beschreiben. Da jedoch die Wiederkehrperiode bei Wetterereignissen eine weit verbreitete Kennzahl ist, verwenden wir in diesem Bericht z.B. eine 100-jährliche oder 500-jährliche Wiederkehrperiode. 6 er Hochwasserstand ist die Tiefe eines Flusses an einem D bestimmten Punkt. Er ist eine Funktion der durch den Flussquerschnitt durchfliessenden Wassermenge, zum Beispiel beim Messpunkt eines bestimmten Flusspegels. Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG | Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive 9
Stand der Reparaturarbeiten in Passau (oben) und Pirna (unten) im April 2014, 11 Monate nach dem Hochwasser. Beide Situationen sehen vergleichbar aus und zeigen, dass der Wiederaufbau noch lange nicht beendet ist. Passaus historische Altstadt im Zentrum befindet sich inmitten eines Überschwemmungsgebiets. Bei einigen Hochwasserereignissen stieg das Wasser bis zum zweiten Stock einzelner Gebäude. Die Altstadt ist ein wichtiges Touristenziel, nicht zuletzt aufgrund der Lage an der Mündung dreier Flüsse – der Donau, dem Inn und der Ilz. Die Schäden des Hochwassers von 2013 in der Innenstadt waren im April 2014 noch deutlich sichtbar. Viele Geschäfte waren wieder geöffnet. Einige konnten den Betrieb nur drei oder vier Tage nachdem das Wasser zurückgegangen war wieder aufnehmen, insbesondere Hotels und Restaurants, die kritische Einrichtungen in obere Stockwerke verlegten oder mobile Essgelegenheiten zur Verfügung stellten, falls das Restaurant zerstört worden war. Einige hatten auch ganze Restaurants und Terrassen schon wieder hergerichtet, um die wichtigen Sommergäste bedienen zu können. Aber die Flutschäden gehen über wirtschaftliche und versicherte Werte hinaus. Passaus Wasserversorgung wurde vom Inn und von der Donau überflutet und musste temporär abgeschaltet werden. Das Wasser musste bis in den Oktober hinein mit Chlor versetzt werden. Fast ein Jahr nach dem Hochwasser sind viele Gebäude noch immer feucht, was Tapeten und Anstriche abplatzen lässt und unter Umständen monatlich wiederkehrende Renovationen nötig macht. Die historischen Gebäude, insbesondere die massiven Mauern von jahrhundertealten Kirchen, haben grosse Mengen Wasser aufgesogen. Die Menschen müssen sich darauf einstellen, Weihnachten 2014 oder sogar 2015 in alternativen Räumlichkeiten zu feiern. 10 Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive | Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
Das Einzugsgebiet der Donau Entlang vieler Bereiche der Donau in Deutschland und Österreich resultierte das Hochwasser 2013 in den höchsten je gemessenen Wasserständen. Massive Deichbrüche ereigneten sich in Deutschland, fluteten Ortschaften bis zu zwei Meter tief und schnitten Hauptverkehrswege ab. Generell erging es den grossen Städten besser als kleineren Ortschaften, in denen schwere Schäden eintraten, wie beispielsweise in Deggendorf. Eine Erfolgsgeschichte bezüglich Flussseite von Deggendorf und nahe der Hochwasserschutz kommt aus dem Isarmündung in die Donau liegt, gering. Gebiet von München und Landshut Das fehlende Bewusstsein steht am Fluss Isar. Zuflüsse brachten grosse hauptsächlich im Zusammenhang mit Wassermengen mit sich. Das Hochwasser der Zuversicht, die den Donaudeichen nahm flussabwärts kontinuierlich zu und entgegengebracht wurde. Diese Dämme erreichte eine Jährlichkeit von 100 Jahren entsprechen einem 100-jährlichen nördlich von München. Die Isar fliesst Schutzgrad. Demgegenüber steht jedoch durch München, aber von dort wurden eine Schutzlücke an den Isardämmen, die keine Schäden berichtet, dies hauptsächlich sich in einem Naturschutzgebiet wenige dank der Schutzmassnahmen wie Kilometer von der Ortschaft entfernt beispielsweise eines Stausees. Die befinden. Der Hochwasserschutz an der Schutzmassnahmen zwischen München Isar entspricht zwischen München bis und dem Zusammenfluss mit der Donau nahe Deggendorf einem Niveau von 100 entsprechen oder übertreffen den Jahren. Direkt an der Isarmündung sind Standard von 100 Jahren – und eine die Dämme aber nur für ein Ereignis mit solche Jährlichkeit von 100 Jahren wurde 30 Jahren Wiederkehrperiode gerüstet. sowohl an der Isar als auch an der Die Möglichkeit eines Deichbruches an Flutmulde, einem Entlastungskanal in dieser Stelle wurde von den Bewohnern Landshut, erreicht. Die Isar hätte grosse Fischerdorfs offenbar nicht in Betracht Schäden verursachen können, wenn gezogen. Dennoch wurde ein Teil des es diese Schutzmassnahmen nicht Dammes am linken Ufer der Isar um mehr gegeben hätte. als einen Meter Wasserhöhe überströmt, sodass er am 4./5. Juni brach und Im Gegensatz zu diesem Beispiel war das Fischerdorf überschwemmt wurde Hochwasserbewusstsein in Fischerdorf an (siehe Abbildung 1). der Donau, das an der gegenüberliegenden Als unsere Forscher die Isardeiche im April 2014 besuchten, wurden Reparatur- arbeiten um den gebrochenen Deichabschnitt von über einem Kilometer Länge wiederherzustellen, gerade fertiggestellt. Diese Arbeiten umfassten den Deichkörper an sich sowie den Einbau einer Stützwand für Stabilität im Deichinneren. Zusätzlich wurden Deichverteidigungswege im Deichhinterbereich angelegt, um im Ereignisfall den Deich besser verteidigen zu können. Dennoch wird dadurch Fischerdorf von Hochwasser an der Isar nur bis zum 30-jährlichen Ereignisfall geschützt. Nun wird auf über 3,5 Kilometern Länge ein neuer Deich, rund 1,2 Meter höher, hinter dem alten Deich gebaut. Das Projekt ist bereits angelaufen, benötigt aber noch eine lange Zeit bis zum Abschluss. Wenn es fertiggestellt ist, wird dies endlich die letzte Lücke im 100-jährlichen Hochwasserschutz entlang der Isar schliessen. Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG | Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive 11
E53 E56 Abbildung 1: Umgebung von Fischerdorf und überschwemmte Gebiete U L DE FERINK E56 DONAU R DA ER DO M NA M U U RE DE FER CHT R DA ER DO M E53 NA M U FISCHERDORF E53 E53 ISAR R KE MM LINRDA AR E IS UF DER R TE M CH AM R REERD ISA E56 UF DER Die Illustration zeigt Fischerdorf am rechten Donauufer und das linke Ufer der Isar mit einem Naturschutzgebiet in der Nähe der Isarmündung in die Donau. Der Isardamm brach im Hochwasser 2013, da er einen geringeren Schutzgrad als die Donaudämme aufwies. Diese Lücke im Hochwasserschutz wird nun geschlossen. (Illustration: Zurich) Ein Erfolg wurde an der Donau Unklar ist, ob die Anwohner die Lücke flussaufwärts von Deggendorf vermeldet. im 100-jährlichen Hochwasserschutz am Ein bestehender Deich am rechten Ufer Zusammenfluss der Isar und der Donau bei Natternberg war vor kurzem kannten und sich des verbliebenen Risikos zurückversetzt worden, um zusätzlichen bewusst waren. Unklar bleibt auch, ob Schutz und mehr Hochwasserrückhalt zu mehr hätte getan werden können, um schaffen. Das Projekt wurde im Jahr 2012 die Bevölkerung vor dem bevorstehenden gestartet und verlegte den Deich auf einer Deichbruch zu warnen und um Schäden Länge von 2,5 Kilometern und verstärkte an Stellen, wo Deiche bruchanfällig sind ihn auf weiteren 1,2 Kilometern. Während und es eine Notsituation zu bestehen gilt, des Hochwassers 2013 funktionierte der zu reduzieren. Diesen Punkt greifen wir im Deich wie geplant, wurde aber auf sein Abschnitt zum Deichbruch bei Fischbeck 100-jährliches Schutzziel praktisch voll wieder auf (Seite 16). ausgelastet, mit fast keinem verbleibenden Passau befindet sich am Zusammenfluss Freibord. Diese Feststellung bestätigt der drei Flüsse Inn, Ilz und Donau. Der auch, dass die Donau ein 100-jährliches Hochwasserhöchststand wurde hier am Hochwasser führte, unter anderem auch 3. Juni mit 12,89 Metern erreicht. Dieses aufgrund starker Zuflüsse aus der Isar. Ereignis hat eine Jährlichkeit von rund 500 Weiter flussabwärts in Hofkirchen an Jahren, und der Inn hat hier entscheidend der Donau wurde eine Verringerung der dazu beigetragen. Bereits die Zuflüsse des Hochwasserspitze durch einen Deichbruch Inn in der Nähe von Rosenheim an der an der Donau in Deggendorf Auterwörth Grenze zu Österreich trugen grosse bemerkt. Die dortige Pegelstation Wassermengen ein. Am Fluss Mangfall mass nur ein 20-50-jährliches Ereignis. übertrafen die Wasserstände das Der Umstand, dass ein grosses 100-jährliche Ereignis. Hier waren Wasservolumen aus der Donau nach dem Hochwasserschutzmassnahmen gerade Deichbruch in die Überflutungsflächen fertiggestellt oder verbessert worden, austrat, hatte hier einen bemerkbaren und wurden an ihre Grenzen belastet. Einfluss, wie auch aus Abbildung 2 Deichbrüche bei Kolbermoor konnte man ersichtlich, die den in Hofkirchen gerade noch verhindern. Diese hätten zu gemessenen Abflussverlauf darstellt. einer katastrophalen Überschwemmung 12 Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive | Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
Abbildung 2: Wasserabfluss bei Hofkirchen Abfluss (m3/s) 4000 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 15.5.13 19.5.13 23.5.13 27.5.13 31.5.13 04.6.13 08.6.13 12.6.13 Abfluss in Kubikmetern pro Sekunde am Pegel Hofkirchen an der Donau. Deutlich zu erkennen ist die Spitze am 4. Juni 2013 und der scharfe Abfall des Durchflusses am Pegel (roter Kreis) nach dem Deichbruch an der Donau flussaufwärts bei Deggendorf Auterwörth. Reproduziert auf Basis der Daten von http://www.hnd.bayern.de. insbesondere in der Innenstadt von In Österreich wurden an Donaupegeln Rosenheim geführt. Dennoch gab es Stände aufgezeichnet, wie sie noch nie Überflutungen in bewohnten Gebieten in den vergangenen 200 Jahren von Rosenheim und Bad Aibling, westlich vorgekommen sind. von Rosenheim an der Mangfall gelegen. Insgesamt haben sich die Hochwasser- Gemäss den bayrischen Behörden haben schutzeinrichtungen in Österreich alle Schutzsysteme, die nach 2001 im bewährt. Sie haben die Schäden in vielen Rahmen eines grossen Hochwasser- Gegenden des Landes tief gehalten. Ein schutzprogrammes implementiert wurden, Beispiel ist der Ort Grein, der auf eine gut funktioniert und adäquaten Schutz Geschichte schwerer Hochwasser während des Hochwassers 2013 geboten. zurückblickt. Hier wurden Erfolge beim Die Behörden haben auch festgestellt, Machlanddamm verzeichnet, einem der dass sich Hochwasserstände und grössten derartigen Schutzbauten in entsprechende Szenarien mit der Zeit Europa. Er hat Grein geschützt – gerade verändern. Hochwassersysteme, die vor noch. Wie auf vielen deutschen Abschnitten 2001 gebaut wurden, müssen lokal eine der Donau stieg das Wasser hier so stark Verstärkung erfahren, um ihr Schutzniveau an, dass kaum ein Freibord verblieb, und beizubehalten. Das beinhaltet die rasche mit nur wenig zusätzlichem Wasser wären Vollendung des Donauausbaus, der die Deiche überströmt worden. Wien dringend nötig ist auf dem Abschnitt wurde von den Schutzmassnahmen, die von Straubing nach Vilshofen. auf ein 500-jährliches Ereignis ausgelegt sind und unterstützt vom Hochwasserkanal Österreich der «neuen Donau», gerettet. Dies hat die Entlang der Donau von Passau Schäden aus der Innenstadt abgewendet. flussabwärts bis weit nach Ungarn hinein Nur einige Geschäfte an der «Copa wurde dem Hochwasser, unter anderem Cagrana» an der Wasserfront der Donau vom Österreichischen Lebensministerium wurden überflutet, sowie in der leider (2013), eine Wiederkehrperiode von über zutreffend bezeichneten «Sunken City» 100 Jahren bescheinigt. Es hat in vielen mit ihren Restaurants und Bars. Doch diese Abschnitten die Flut von 2002 übertroffen. Gebiete liegen in bereits ausgewiesenen Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG | Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive 13
Historische Hochwassermarken am Rathaus von Passau Das Bild links wurde im April 2014 aufgenommen und zeigt die Wasserstände inklusive dem Wasserstand vom Juni 2013. Das rechte Bild wurde im Juni 2013 aufgenommen, bevor die Hochwassermarken neu «kalibriert» wurden: die historischen Aufzeichnungen wurden überprüft, und es wurde dabei festgestellt, dass das Ereignis von 1501 noch immer das grösste Hochwasser in Passaus verzeichneter Geschichte bleibt. Könnte ein zukünftiges Hochwasser diesen Stand noch übertreffen? (Siehe auch Seite 12) Hochwassergebieten. Wie wichtig die Rolle Eine bemerkenswerte und unglückliche der Rückhalteräume bei Hochwasser- Ausnahme ist die Stadt Melk in ereignissen ist, wurde flussaufwärts von Niederösterreich, in der die Arbeiten für Wien unter Beweis gestellt. Nur drei Mal die mobilen Hochwasserschutzwände wurde ein Durchfluss von über 10’000 nicht rechtzeitig beendet werden konnten Kubikmetern pro Sekunde in der Geschichte und das historische Stadtzentrum überflutet des Wiener Donaubeckens festgestellt – wurde. Glücklicherweise entging das 1899, 2002 und 2013, wobei 2013 den berühmte Kloster, das auf einer Anhöhe absoluten Rekord mit einem geschätzten über der Stadt gelegen ist, den Fluten. Durchfluss von über 11’000 Kubikmetern In Oberösterreich haben die Hochwasser- pro Sekunde darstellt. Wie geplant sind ereignisse 2013 zu einer Verstärkung der die Polder des Tullnerfeldes sowie jene Hochwasserprojekte geführt – die nordöstlich von Wien «angesprungen», Schutzziele werden erhöht und konsequent als die 7’000 Kubikmeter-pro-Sekunde- auf ein 100-jährliches Ereignis angepasst, Marke überschritten wurde, und die wo dies noch nicht geschehen ist. Das entsprechenden Flächen wurden Tiefland des Eferdinger Beckens, bei der kontrolliert überflutet. Ausserhalb des Ortschaft Eferding in Oberösterreich, Donaubeckens war das Hochwasser stand mehrere Tage unter Wasser. Teile ebenfalls ausserordentlich, aber war nicht davon sind äusserst schwierig zu schützen, so folgenreich bezüglich der Schäden was eine immense Aufgabe darstellt. Daher wie frühere. gibt es dort Pläne für eine Umsiedlung. 14 Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive | Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
Die Elbe und ihre Zuflüsse Viele Hochwasserereignisse im Einzugsgebiet der Elbe beginnen in der Moldau, dem längsten Fluss in der Tschechischen Republik. 2013 gab es zahlreiche grossflächige Überschwemmungen, und die Situation war an vielen Stellen entlang der mittleren Elbe zwischen Magdeburg und Wittenberge besonders kritisch, doch die Schäden, insbesondere in den grösseren Städten, waren weniger schlimm. Deichbrüche ereigneten sich an anderen Hochwasserschutzmassnahmen Stellen als 2002 und waren hauptsächlich grundsätzlich bewährt, und damit fielen durch die Überschneidung der die Schäden im Vergleich zu 2002 auch Hochwasserwelle der Elbe mit jenen deutlich geringer aus. aus den Zuflüssen der Saale und Mulde Das Land Sachsen-Anhalt musste verursacht. Ein gewaltiger Deichbruch dagegen vermelden, dass entlang von ereignete sich am rechtselbischen Ufer 250 Flusskilometern der Elbe die höchsten nahe Fischbeck und führte zur Hochwasserstände überhaupt aufgezeichnet Überschwemmung von hunderten wurden. Die linkselbischen Zuflüsse in Quadratkilometern von Land und einer Sachsen und Sachsen-Anhalt waren vom Vielzahl von kleinen Ortschaften. Hochwasser stark betroffen, insbesondere Die Moldau, ein Hauptzufluss der Elbe, die sächsische Mulde, wo 19 Deichbrüche fliesst durch das Stadtzentrum von Prag. verzeichnet wurden. Diese Zahl ist jedoch Die Moldau-Kaskaden, eine Serie von noch immer geringer als 2002, als es Stauseen und Reservoiren entlang des über 100 waren. An der Elbe in Sachsen Flusses oberhalb Prags, halfen die ereigneten sich 2013 fünf grosse Flutspitze tief zu halten, genauer gesagt Deichbrüche (siehe Karte auf Seite 24-25). unter einem 40-jährlichen Ereignis. Die hohen Wasserstände und Durchflüsse Ebenso halfen die baulichen und mobilen von Saale und Mulde führten zu extremen Hochwasserschutzmassnahmen in der Überflutungen bei Magdeburg und weiter Stadt Prag, die Schäden gering zu halten. flussabwärts. Am Elbpegel Aken, nahe Dennoch mussten über 3’000 Bewohner der Saalemündung, wurde ein Allzeithoch aus den Aussenbezirken Prags, kleineren von 7,91 Metern am 9. Juni festgestellt – Städten und aus Industriesiedlungen 2002 waren es 7,66 Meter gewesen. Der flussabwärts evakuiert werden. Durchfluss der Saale war der höchste seit Die Hochwasserwelle rollte weiter nach Beginn der Aufzeichnungen. Für die untere Deutschland und erreichte Dresden am Saale ergaben sich Wiederkehrperioden 6. Juni, wo der Pegelhöchststand mit zwischen 150 und 200 Jahren. Bei Halle 8,78 Metern rund 0,62 Meter unter dem stieg die Saale auf 8,11 Meter, 1,28 Meter Flutmaximum von 2002 lag und einem höher als 2002. Es gab grosse Deichversagen 50-bis 100-jährlichen Ereignis entspricht. entlang der Saale, besonders bei Klein Jedoch gab es einige Unsicherheiten Rosenburg im Elbe-Saale-Winkel, sowie bezüglich der Beziehung von Wasserstand einen weiteren Deichbruch bei Breitenhagen. und Durchfluss, welche die Qualität der Obwohl die Scheitelwelle der Saale zwei Messungen und damit die Vorhersagen des Tage vor dem Elbescheitel durchlief, Hochwasserverlaufs weiter flussabwärts erhöhten die vereinigten Hochwasser- beeinträchtigten. In der Lutherstadt scheitel aus Saale und Elbe die Wasserstände Wittenberg erreichte das Hochwasser unterhalb des Zusammenflusses. einen Höchststand von 7,91 Metern am 8. Juni, nur 0,15 Meter unter dem Ereignis von 2002. Hier haben sich die Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG | Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive 15
Die Hochwasserstände aus 2002 wurden in Dennoch wurden noch immer höchste Barby, Magdeburg und Tangermünde Hochwasserstände registriert, am Pegel signifikant übertroffen. Nachdem die Havelberg beispielsweise ein Rekordwert Wasserstände am 3. Juni die kritische von 4,52 Metern. Der Hochwasser- Das Land Sachsen-Anhalt musste Marke von 5,92 Metern an der Pegelstation höchststand in Tangerhütte war 8,38 dagegen vermelden, dass entlang Barby erreicht hatten, wurde das historische Meter, ebenfalls oberhalb des bisherigen von 250 Flusskilometern der Elbe Pretziener Wehr geöffnet, um bis zu einen Spitzenwertes, und in Wittenberge betrug die höchsten Hochwasserstände Viertel des Abflusses aus der Elbe in den so er 7,85 Meter, 0,51 Meter höher als 2002, überhaupt aufgezeichnet wurden.» genannten Umflutkanal umzuleiten, einen ebenfalls ein absoluter Rekordwert. Hochwasserkanal, der um Schönebeck Die Altstadt von Wittenberge wurde und Magdeburg angelegt ist. Das Wehr evakuiert, wurde aber von einer mobilen war über zwei Wochen lang geöffnet und Flutschutzmauer vor den Fluten geschützt. leitete so Hochwasser ab. Dennoch wurde Wie sich die Hochwasserwelle weiter am Pegel Magdeburg-Strombrücke ein flussabwärts bewegte, begann auch Rekordwert von 7,47 Metern gemessen, Hitzacker in Niedersachsen mit der 0,67 Meter über dem Spitzenwert von ansteigenden Elbe zu kämpfen. Das 2002. Zwar gibt es Unsicherheiten bei der schwere Hochwasser dort dauerte vom Berechnung der Wiederkehrperiode der 9. bis zum 12. Juni. Die Altstadt von gemessenen Wasserstände, doch geht Hitzacker musste evakuiert werden, doch man davon aus, dass diese im Bereich von dank des neuen, EUR 63 Millionen teuren 200 bis 500 Jahren liegt. Hochwasserschutzprojektes, das 2008 Fischbeck befindet sich am rechten abgeschlossen wurde, blieb eine Wieder- Elbufer und wurde von den Fluten schwer holung der Katastrophe von 2002 aus. in Mitleidenschaft gezogen, als am 10. Damals wurde die Altstadt fast vollständig Juni ein Deich brach. Es bildete sich auf überflutet. Die Hochwasserspitze wurde 50 Metern Länge eine Lücke, die sich mit 8,18 Metern gemessen, ein neuer rasch auf über 100 Meter ausweitete. Rekord, der auch die neue Schutzmauer Dies führte zur Überschwemmung des auf ihre Maximalauslegung belastete. Hinterlandes zwischen Stendal und Zu diesem Zeitpunkt war der Tangermünde auf einer Fläche von rund Hochwasserscheitel auf eine Länge von 200 Quadratkilometern, einer beinahe über 40 Kilometern angewachsen, der so grossen Fläche wie beim grössten in sich durch den unteren Teil der Mittelelbe Deutschland je festgestellten Flussdeichbruch quetschte, bevor zuletzt Lauenburg in in Dautzschen im Jahr 2002 (siehe Karte Schleswig-Holstein, rund 50 Kilometer auf Seite 40). Der Wasserfluss durch den flussaufwärts vor Hamburg, getroffen Bruch hinaus wurde auf 1’000 Kubikmeter wurde. Im Gegensatz zum Hochwasser pro Sekunde geschätzt, rund ein Fünftel 2002 musste die Altstadt von Lauenburg oder sogar ein Viertel des gesamten im Jahr 2013 evakuiert werden, und die Wasserflusses der Elbe an diesem Ort zu erste Häuserreihe am Ufer wurde kniehoch jener Zeit. Fischbeck, rund zwei Kilometer überschwemmt. Nur ein paar Kilometer entfernt, wurde deswegen innerhalb von flussabwärts, am Geesthachter Wehr, nahm Minuten überschwemmt (gemäss Jonkman die zerstörerische Elbeflut dann ein Ende. et al., 2013). Durch den Deichbruch bei Dieses Wehr limitiert den Tidenhub auf Fischbeck und ausserdem durch die den Abschnitt flussabwärts, die Untere kontrollierte Flutung der grossen Havelpolder Elbe, die viel breiter und tiefer ist, so dass auf einer ausgewiesenen Fläche von die Hochwasserstände unterhalb kritischer 10’000 Hektar wurde der Wasserstand Werte fielen und die Anlieger der Unteren weiter flussabwärts reduziert. Der Elbe von den Überschwemmungen Pegelstand bei Wittenberge sank verschont blieben. Die Stadt Hamburg war deshalb um geschätzte 0,40 Meter vom Hochwasser 2013 nicht betroffen. basierend auf Simulationen der Deutschen Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG). 16 Hochwasser 2013 in Mitteleuropa: eine Retrospektive | Zürich Versicherungs-Gesellschaft AG
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