"Sempre in Giro - Immer unterwegs" - Europäische Asylrechtstagung in Palermo 24 - Oktober 2010
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„Sempre in Giro - Immer unterwegs“ 13. Europäische Asylrechtstagung in Palermo 24. - 28. Oktober 2010 1
Einleitung Die EU-Außengrenzen stehen im Fokus - immer wieder 5 Flüchtlingsdramen an der Südgrenze der EU (Pressemitteilung vom 25.10.2010 zur Eröffnung der Konferenz) 7 Grußworte Deutsche Botschaft 8 Mons. Francesco Montenegro 9 Wege nach Europa Sichtbare und unsichtbare Grenzen in Europa 12 Rückschiebungen nach Libyen 14 Like a Man on Earth 17 Besuch der Küstenwache in Palermo 18 Siziliens Hochseefischer zwischen Libyen und Italien 20 Aktuelle Entwicklungen in verschiedenen europäischen Ländern 22 Flüchtlingspolitik in Italien Italiens Politik lässt Flüchtlinge schutzlos 26 Borderline Sicilia Die Migrationsbeobachtungsstelle 28 Aufnahmebedingungen „Sempre in Giro“ – Flüchtlinge in Italien auf sich gestellt 32 Das CARA Zentrum in Trapani 36 CARA Caltanissetta – teuer, aber nicht liebenswürdig 38 SPRAR Aufnahme- und Unterbringungszentrum in Trapani 40 Zivilgesellschaftliche Unterstützung „Ein Zuhause, in das wir immer wieder gerne zurückkommen“ 44 “Emergency-Ambulatorio” 47 „Die Migranten, die in Sizilien bleiben, haben die Hoffnung verloren“ 49 Hoffnung & Nächstenliebe 50 Asylverfahren und rechtliche Bewertung Flüchtlingsschutz durch die „Lokale Kommission zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus“ und Ausreiseverfügungen durch die Prefectura 56 Erfahrungsaustausch mit Rechtsanwälten/-innen 58 3
Die Rolle der Medien Die öffentliche Wahrnehmung von Migration und Asyl aus der Sicht der Medien und die Rolle der Kirchen 62 Ausblick Flüchtlingsschutz Zusammenfassung und Ausblick der 13. Europäischen Asylrechtskonferenz in Palermo 66 Kirchen fordern einen effektiven Schutz für Flüchtlinge in Europa 68 Anhang Tagungsprogramm 72 Inhalt der Internet-Dokumentation 74 Nützliche Links 75 Pressemeldung „At Catania Migrants in Jail“ 76 Tanja Tricarico, Endstation Tripolis (EPD) 77 Telinehmende Verbände 78 Impressum 78 Kooperationspartner und Unterstützer 79 4
Die EU-Außengrenzen stehen im Fokus – immer wieder G anz aktuell erreichen uns in diesen Tagen 1998 fand in Paris die erste Europäische Asyl- die Bilder aus dem Norden Afrikas von rechtskonferenz statt, organisiert damals von den Demokratiebewegungen in Tunesi- der Evangelischen Kirche im Rheinland, der en, Ägypten und nun auch Libyen. Badischen Landeskirche und der CIMADE. Ein Ergebnis von damals war es, zu Nur mühsam finden die Europäer ihre Sprache erkennen, dass in der Flüchtlings- „... unser eigenes und begrüßen die Entwicklung, dass Menschen selbstbestimmt das Schicksal ihrer Länder in politik mehr und mehr auf euro- päischer Ebene agiert wird. Und menschliches die Hand nehmen. Weniger mühsam klingt die dass es nötig ist für alle in der Antlitz steht auf andere Antwort: Aufstockung der europäischen Flüchtlingsarbeit Engagierten, für Grenzschutzagentur Frontex und Verstärkung al- Kirchen, Diakonie und NGO`s, sich dem Spiel, wenn ler europäischen Bemühungen, Menschen, die auszutauschen und zu vernetzen. Menschenrechte ihre gewonnene Freiheit nutzen und nach Euro- Und dass es hilfreich ist, die spe- pa fliehen wollen, von diesem Wege abzuhalten. zielle Situation in den einzelnen bei Migrantin- Geradezu zynisch wirkt der Verweis der Bundes- kanzlerin, die Menschen würden ja alle beim Auf- Ländern in den Blick zu nehmen. So fanden nun jährlich Europäi- nen und Mig- bau der demokratischen Gesellschaften in ihren sche Asylrechtskonferenzen statt: ranten nicht ge- Heimatländern gebraucht. in Straßburg/Karlsruhe 1999, Rom 2000, Bratislava 2001, Brüssel achtet werden.“ Die Unterstützung der demokratischen Entwick- 2002, Berekfürö/Ungarn 2003, lung in den afrikanischen Staaten, der Aufbau Malaga 2004, Sarajewo 2005 und in der Türkei von Bildung und Gerechtigkeit dort, wo die Men- 2005, Casablanca 2006, Kiew 2007, Lesbos/ schen aufbrechen, um ihr Überleben zu sichern, Griechenland 2008, Malta 2009 und nun die 13. könnte vielleicht am ehesten dazu führen, dass Europäische Asylrechtskonferenz in Palermo. Menschen wieder Vertrauen schöpfen in das Le- ben ihrer Heimat. Gewachsen ist die Zahl der Kooperationspart- ner. Die Konferenz auf Sizilien wurde verantwor- Die gegenwärtige Entwicklung macht besonders tet von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe deutlich: die Kollaboration mit Unrechtsstaa- in Kooperation mit der Evangelischen Kirche im ten wie Libyen im Kampf gegen Migration und Rheinland, der Evangelischen Landeskirche in Flucht taugt nicht mehr als Antwort auf die He- Baden, der Evangelischen Kirche in Hessen- rausforderung, die durch Flucht und Migration Nassau, dem Diakonischen Werk Baden und entstehen. Immer deutlicher wird: unser eigenes dem Diakonischen Werk Württemberg sowie menschliches Antlitz steht auf dem Spiel, wenn der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Menschenrechte bei Migrantinnen und Migran- Diakonischen Werk der EKD, Caritasverband ten nicht geachtet werden. für die Erzdiözese Freiburg, La Cimade und der Churches Commission for Migrants in Europe Die Aufnahme von Schutzsuchenden muss mit Sitz in Brüssel. nach menschenrechtlichen Standards erfolgen, Schutzsuchende dürfen nicht abgewiesen wer- Insgesamt 41 Expertinnen und Experten ver- den und müssen Zugang haben zu einem fairen schiedener Kirchen und NGO`s, unter anderem Asylverfahren. Dies gilt nicht erst jetzt! aus Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien, Malta, Griechenland, der Türkei, Tschechien, Auch abseits der ganz aktuellen Entwicklung Ungarn, Polen, Schweden und Großbritannien erreichen uns seit vielen Jahren beinahe täglich waren fünf Tage zu Gast in der Chiesa Waldese bedrängende Bilder von Flüchtlingen auf dem di Palermo. Unser Experte aus Marokko konnte Weg nach Europa. leider nicht an der Tagung teilnehmen, weil sei- nem Visumantrag nicht rechtzeitig stattgegeben wurde. 5
Das Reflektieren und auf Solidarität beruhende Lastenverteilung inner- Diskutieren der Informati- halb der EU-Mitgliedsstaaten ist nötig. onen und Eindrücke aus erster Hand in diesem Wir danken allen, die die Tagung auf Sizilien fi- internationalen Kontext nanziell unterstützt haben. sowie die Einsicht in die Ein besonderer Dank gilt dem Vorbereitungsteam, Praxis der italienischen insbesondere Frau Karin Asboe (Diakonie Rhein- Flüchtlingspolitik und der land Westfalen Lippe), Herrn Jürgen Blechinger Flüchtlingsarbeit italieni- und Cecilia Baltieri (beide Evangelische Landes- scher Kirchen und NGO`s kirche in Baden), die unermüdlich und beharrlich auf den Exkursionen war bereichernd und führte das Gelingen dieser Tagung ermöglicht haben. allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Ta- gung einerseits die Notwendigkeit einer humanen Für die Redaktion der Dokumentation geht ein Flüchtlingspolitik in Italien wie auch andererseits herzlicher Dank an Frau Angelika von Loeper. einer gesamteuropäischen Strategie zur Durch- Viele Fakten und Eindrücke, wichtige Statements setzung von menschenrechtlichen Standards in und Berichte zur Konferenz auf Sizilien finden Sie der Asyl- und Flüchtlingspolitik vor Augen. Eine auf den folgenden Seiten. Rafael Nikodemus 6
Flüchtlingsdramen an der Südgrenze der EU M it der Forderung nach einem fairen Über die Zustände an der EU-Außengrenze be- Asylverfahren für Flüchtlinge in die EU richteten am ersten Konferenztag Expertinnen hat die 13. Europäische Asylrechtsta- und Experten aus Griechenland, der Türkei, gung in Palermo begonnen. Nahezu täglich kom- Malta, Spanien und Osteuropa. In men Menschen bei ihrem Versuch ums Leben, Griechenland gebe es nach wie Pressemitteilung über das Mittelmeer die Südküste der Europäi- vor kein funktionierendes Asylver- vom 25.10.2010 schen Union zu erreichen. „Statt wegzuschau- fahren, hieß es. Anträge würden en, müssten Wege gefunden werden, wie die nicht entgegengenommen, die zur Eröffnung Menschen Zugang zu einem fairen Asylverfah- Betroffenen blieben sich selbst der 13. Europäi- ren finden“, verlangte der Flüchtlingsbeauftragte überlassen. der Evangelischen Kirche im Rheinland, Rafael sche Asylrechts- Nikodemus. „Flüchtlinge in Staaten wie Libyen Am kommenden Donnerstag wird zurückzuschieben, ist mit der Genfer Flücht- das deutsche Bundesverfassungs- tagung in Paler- lingskonvention nicht zu vereinbaren“, betonte gericht darüber verhandeln, ob mo/Sizilien Jürgen Blechinger, Jurist im Bereich Migration angesichts dieser Zustände Asyl- der Evangelischen Landeskirche in Baden. bewerber von Deutschland zur Durchführung ih- res Asylverfahrens nach Griechenland überstellt Die Konferenz auf Sizilien wird verantwortet von werden dürfen. Von besonderer Brisanz sind die der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe in Ko- Rücküberstellungen von Griechenland in die Tür- operation mit den Evangelischen Landeskirchen kei. Dabei wendet die Türkei die Genfer Flücht- im Rheinland, in Baden und Württemberg, Hes- lingskonvention nach wie vor nur für Flüchtlinge sen-Nassau sowie der Evangelischen Kirche in an, die aus Europa kommen. In Malta werden Deutschland, dem Bundesverband der Diakonie Asylsuchende während des Verfahrens immer und der Churches Commission for Migrants in noch regelmäßig in Haft genommen. Europe mit Sitz in Brüssel. 41 Fachleute ver- schiedener Kirchen und Hilfsorganisationen, In Spanien gebe es zwischen den Kanaren und unter anderem aus Italien, Deutschland, Frank- der mauretanischen Küste gemeinsame Kon- reich, Spanien, Griechenland, der Türkei, Tsche- trollen der EU-Grenzschutzagentur Frontex mit chien, Rumänien, Ungarn, Schweden und Groß- mauretanischen und senegalesischen Regie- britannien befassen sich bis Donnerstag mit der rungsstellen. So soll verhindert werden, dass schwierigen Situation von Flüchtlingen in Italien. Flüchtlinge überhaupt die EU erreichen. Auch an der Ostgrenze der EU werden beispielweise In den vergangenen Jahren wurden etwa 9.000 tschetschenische Flüchtlinge häufig daran ge- ertrunkene Flüchtlinge an der Südküste der EU hindert, ein Schutzgesuch bei den zuständigen registriert, die Dunkelziffer dürfte wesentlich hö- EU-Behörden zu stellen. Das Problem Rück- her liegen. Statt Flüchtlingen einen Zugang zum schiebungen in Staaten östlich der EU sei dort Asylverfahren zu gewähren, werden Flüchtlings- ein großes Problem, hieß es auf der Tagung. boote von den EU-Mittelmeeranrainerstaaten Ebenso werden dort viele Asylbewerber in Haft zurückgeschickt. Italien schiebt seit Mai 2009 genommen. im Mittelmeer oder in den Häfen aufgegriffene Flüchtlinge systematisch nach Libyen zurück. Tägliche Tagungsberichte finden Sie unter:http:// Dort gibt es jedoch weder faire Asylverfahren, www.ekiba.de/referat-5, Stichworte: noch können die Zurückgeschobenen eine men- Migration/Europa schenwürdige Behandlung erwarten. Menschen- rechtsorganisation berichten über willkürliche Inhaftierung und Misshandlungen von Flüchtlin- gen in Libyen, die aus Kriegs- und Bürgerkriegs- gebieten in Afrika über dieses Land versuchen, nach Europa zu gelangen. 7
Grußwort der Deutschen Botschaft Rechtsanwalt Sehr geehrte Damen und Herren, Berthold Münch I aus Heidelberg verliest das m Namen der Deutschen Botschaft möchte Zwar ist die Zahl der Seeanlandungen im ver- Grußwort der Deutschen Bot- ich Sie sehr herzlich zur 13. Asylrechtskon- gangenen Jahr stark zurückgegangen; Lampe- schaft. ferenz begrüßen, die die evangelische Kirche dusa ist geschlossen. Polizeiliche Maßnahmen im Rheinland in einer Reihe von Konferenzen zu verhinderten eine weitere Massenbewegung. diesem Thema ausrichtet, dieses Jahr in Paler- Allen Beteiligten ist jedoch klar, dass sich der Mi- mo. grationsdruck damit nur verlagert, nicht jedoch aufgelöst hat. Die unmittelba- Die Konferenz widmet sich in einem fünftägigen Programm Aber noch immer schaffen es viele Flüchtlinge an re Anschauung der europäischen Immigrations- die europäischen Küsten. Vor der politischen und ist unerlässlich, und Asylrechtspolitik, diesmal rechtlichen Entscheidung über Asyl, Immigration mit Schwerpunkt Italien. Das und Verbleib steht die Aufnahme und Versorgung um die Notwen- Auswärtige Amt in Berlin fördert der Menschen. Hier kann die Konferenz einen digkeiten einer diese wie auch die vorangegan- genen Konferenzen zu diesem Einblick verschaffen, was getan werden muss, in Gesprächen mit Praktikern und Verantwortlichen „richtigen“ Mig- Thema. Es begrüßt den Focus der Beratungs- und Aufnahmezentren. Die un- der Konferenz und unterstützt sie mittelbare Anschauung ist unerlässlich, um die rationspolitik für im Rahmen der Projektförderung Notwendigkeiten einer „richtigen“ Migrationspo- Europa zu erken- zum Thema Menschenrechte litik für Europa zu erkennen. Die Teilnehmer die- auch finanziell. ser Konferenz kommen aus 16 verschiedenen nen. Staaten und können hier ihre verschiedenen Er- Italien, genauer Sizilien als diesjähriger Konfe- fahrungen zusammentragen. renzort ist ein Brennpunkt der Migration nach Europa. Neben Spaniens Südküste, Malta und Leider ist die Botschaft erst an den letzten bei- anderen Mittelmeeranrainern ist die Route nach den Tagen der Konferenz selbst vertreten, des- Süditalien einer der Hauptwege der sog. „Immi- halb erfolgt das Begrüßungswort in schriftlicher gration über den Seeweg“. Form. Wir werden jedoch am Mittwoch und Donnerstag noch Gelegenheit zu direktem Aus- Im Sommer 2008 erreichte die Zahl der in Ita- tausch haben. lien Gestrandeten ihren traurigen Höhepunkt: über 30.000 Bootsflüchtlinge begaben sich un- Ich danke den Veranstaltern und dem Kirchenrat ter Lebensgefahr von Nordafrika nach Italien. für diese Initiative und wünsche den Teilnehmern Die Mehrheit von ihnen stellte einen Asylantrag. eine erfolgreiche Konferenz. „Lampedusa“ ist zum Synonym geworden für ein Problem, auf das die betroffenen Staaten, dazu zählt Italien - wie auch die EU noch eine gemein- Simone Maassen-Krupke same Antwort suchen. Leiterin der Rechts- und Konsularabteilung der Deutschen Botschaft Rom 8
Monsignore Francesco Montenegro, Erzbischof der Diözese Agrigent W arum Menschen ihre Heimat verlas- Heute wo immer mehr Länder ihre Grenzen her- Monsignore Francesco sen, warum sie fliehen vor Kriegen, metisch abriegeln wollen, ist es notwendig, aus Montenegro, aus Hunger und aus Perspektivlosig- der Gesellschaft heraus Initiativen zu starten. Erzbischof der keit, diese grundlegende Frage greift Erzbischof Diözese Agrigent Montenegro in seinem Grußwort an die Teil- So hat die Caritas für den Mittelmeerraum eine nehmer der Konferenz auf. Gleichzeitig werden länderübergreifende Arbeitsgruppe gebildet, die überall in Europa die Bedingungen für Flüchtlin- sich dem Thema Einreise, Asyl und Menschen- ge verschärft. Die Europäische Union hat sich handel widmet und nach gemeinsamen Lö- auf ihren Konferenzen vorgenommen, gleiche sungswegen sucht. Standards für alle Flüchtlinge in Europa zu schaf- fen. Im Moment erleben wir jedoch eher, dass Als Erzbischof möchte ich Sie als „Die steigende viele Regelungen nur auf dem Hintergrund von Teilnehmer dieser Konferenz er- Sicherheitsüberlegungen und Flüchtlingsabwehr muntern, mit Nachdruck für die Zahl der Toten, ausprobiert werden. Insbesondere betrifft das Einhaltung der Menschenrechte die meisten un- auch die Situation an Italiens Grenzen und Küs- einzutreten. Es ist notwendig Netz- ten. Es gibt in der derzeitigen Situation keinen werke zu bilden, die diese politi- bekannt, sind eine Grund die Menschenrechte so mit Füßen zu tre- schen Vorhaben kritisch beobach- große Belastung ten, wie es geschieht. Hier an der Geburtsstätte ten und begleiten um rechtzeitig vieler Kulturen sind wir im Moment dabei, diese die Stimme zu erheben. für das Gewis- Grundlagen preiszugeben. Wir alle müssen die Frage der Flucht und der Flüchtlinge als gesell- Ich erlaube mir einen Appell an Sie sen derjenigen, schaftliche Aufgabe begreifen und nicht nur refl- zu richten: Lassen Sie uns zusam- die sich selbst als exhaft an Abwehr denken. menarbeiten um die Möglichkeiten von Interventionen zu verstärken zivilisierte Ge- Der Blick muss von allen auf die reale Situation und bestmögliche Ergebnisse für sellschaft bezeich- gerichtet werden, wie viele Menschen weltweit in die Menschen zu erzielen. Armut leben, ohne ihre Existenz mit einer Pers- nen.“ pektive versehen zu können. Die Menschen ha- ben ein Recht auf ein Leben in Sicherheit aber auch in Würde und Hoffnung. Dies ist bereits in der Enzyklika Nr. 66 „Gaudium et spes“ des zweiten vatikanischen Konzils zur zunehmenden Mobilität von Menschen so be- schrieben. 9
Wege nach Europa 11
Sichtbare und unsichtbare Grenzen in Europa M it dem Fall der Berliner Mauer 1989 Ständig verändern sich in der Not die Routen sind in ganz Europa Mauern gefallen. der Einreiseversuche – Schleuser wie die alba- Ohne den Eisernen Vorhang standen nische Mafia entwickeln dabei ungeahnte Verfei- plötzlich Räume offen, die vorher unpassierbar nerungskünste und Geschäftssinn. Flüchtlinge und deshalb auch undenkbar waren. „reisen“ in unverdächtigen Luxuslinern, versteckt in Lastwagen oder sogar in Kühlschränken. Dass auch für Italien eine Art „Eiserner Vorhang“ gefallen war, machte die Ankunft der ersten Gestern Lampedusa, das aufgrund des Abkom- 30.000 albanischen Flüchtlinge auf dem Seeweg mens mit Libyen nun fast vollständig als erste im Jahr 1991 klar: über das Meer „einwandern“ Anlandestelle für Flüchtlinge ausfällt, Malta, Si- würden künftig nicht mehr nur Algen, die die zilien, Apulien - heute Kalabrien, Sardinien oder Strände und damit den Tourismus bedrohten, Rom … Letztlich ist die illegale Einreise auf dem sondern Menschen auf der Flucht vor Krieg und Seeweg mit rund 10% der Einreisen nicht von Verfolgung. größerem Belang, denn 80% aller Einreisen er- folgen über den Luft- oder Landweg mit einem Eine „heimliche“, aber weniger spektakuläre Touristen-Visum. Dennoch werden keine An- Zuwanderung als die der albanischen Flüchtlin- strengungen gescheut, die Flüchtlinge im Mittel- ge hatte es in Italien auch schon in den Jahren meer nach Libyen zurückzubringen, selbst wenn zuvor gegeben. Sie war möglich vor allem über sie sich nur noch wenige Kilometer vor der sizi- die Einreise mit Touristen-Visa und über generell lianischen Küste befinden. Diese Politik Italiens noch durchlässigere Grenzen. Die Wege damals findet - mehr oder minder offen ausgesprochen führten über Frankreich, Deutschland und die – große Zustimmung in Europa und bestätigt auf Schweiz, vor dem Balkankrieg auch über Jugos- traurige Weise den Gesamteindruck von zumeist lawien – und natürlich über Malta, das über die unwillkommenen Flüchtlingen, die als Feinde be- Zwischenstation Libyen vor allem für Ägypter, trachtet werden. Palästinenser und Menschen aus Pakistan einen relativ kurzen und unproblematischen Weg zur Das Gefühl, mit 7.000 km Küstenlinie eine un- Einreise über Sizilien eröffnete. erreichbare „Insel der Glückseligen“ zu sein, hat sich in Italien total verändert. Flüchtlingspolitik Die großen Flüchtlingsbewegungen der 1990er wird deshalb nicht erst im Land gemacht, son- Jahre veränderten alles, nur nicht das Elend der dern bereits „ante portas“. Die verschiedenen Flüchtlinge. Diese kamen nun vorwiegend aus Zonen auf See bedeuten Geltungsbereiche von Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten - Albaner, Kur- verschiedenen Gesetzen, verschiedene Akteure den, Eritreer, Sudanesen, Somalier - alle auf der und unterschiedliche Kompetenzen - in einem Flucht vor Verfolgung und die meisten mit einem Mix von Streitkräften, Guardia Costiera, Guardia Rechtsanspruch auf Schutz und Asyl. di Finanza, Frontex … Auf Hoher See gilt das Völkerrecht, das nur in wenigen Ausnahmen wie Mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen Piraterie oder Selbstverteidigung ein Eingreifen wuchsen auch die Versuche sie abzuwehren: zu- rechtfertigt, die Verhinderung illegaler Einwande- erst zwangsweise Rückführungen, dann bereits rung fällt jedenfalls nicht darunter. durch das Verhindern ihrer Einreise mit der Folge menschlicher Tragödien auf See, der Abschluss Undurchsichtiger wird die Rechtslage in der so bilateraler Abkommen sowie das so genann- genannten Anschlusszone zu den nationalen te „Freundschaftsabkommen“ mit Libyen, und Gewässern. Überall gilt für Admiral Domenico zuletzt das Ansinnen, Asylverfahren für Europa Passaro, den Kommandanten der Küstenwa- gleich in den nordafrikanischen Grenzstaaten er- che in Palermo, dass ein Eingreifen, zumal mit ledigen zu lassen … Gewalt, verhältnismäßig sein müsse. Schüsse auf Fischerboote seien dies sicher nicht, betont der Kommandant. Aufgabe der Küstenwache ist 12
für ihn allein die Seenotrettung, nicht die Rück- Exkursionen wird klar: die Küstenwache wird schiebung von Flüchtlingen nach Libyen. In den dann aktiv, wenn es um die Seenotrettung geht, letzten Jahren sind 100.000 Menschen gerettet die Sicherung der Außengrenze übernehmen an- worden. Nicht immer verliefen alle Einsätze wie dere: vor allem die Guardia di Finanza und die gewünscht – Menschen fliehen in Panik selbst Libyer mit ihren von Italien finanzierten Booten vor Rettungsmaßnahmen und verunglücken da- mit teils italienischer Besatzung. bei, auch sind Menschen dabei schon ums Le- ben gekommen. Und ständig steht der Einsatz Der Umgang mit Flüchtlingen vor den Küsten Eu- der Küstenwache selbst unter Beschuss und ropas wirft neben allen politischen, juristischen, bedeutet einen permanenten Balanceakt: der formalen und operativen Aspekten zuallererst eine Offizier wird angeklagt wegen Beihilfe zur moralische Fragen auf, seine „erste und letzte illegalen Einreise, der andere wegen Verletzung Grenze“ ist die Ethik. des Rechts auf Asyl … Später im Rahmen der die Genfer Konvention hätten Wenn dein Sohn verlassen können, denn dieser dich morgen fragt … Staat garantiert Menschrechte Wenn dein Sohn nicht einmal für seine Bürgerin- nen und Bürger. dich morgen fragt ... 5. Mose 6,20 sage ihm nicht, du hättest 5. Mose 6,20 Wenn dein Sohn dich morgen fragt, was mit den nichts gewusst von den ent- Flüchtlingen im Mittelmeerraum vor Italien ge- setzlichen Bedingungen und schah … der inhumanen Behandlung der Flüchtlinge in den libyschen Lagern, denn sage ihm nicht, du hättest nichts gewusst, es gab immer einige Journalisten und Hilfsor- denn es gibt keinen Mangel an Informatio- ganisationen, die Zugang hatten und von den nen. skandalösen Zuständen in der Versorgung der Flüchtlinge berichteten. sage ihm nicht, dass niemand wusste, was auf den Booten auf dem Meer zwischen Liby- sage ihm nicht, du hättest nichts gewusst en und Italien wirklich geschah, denn die Ab- von den mehrstelligen Millionenbeträgen, mit wehr von Flüchtlingen schon vor der Einreise denen Europa Libyen für seine Dienste der war das erklärte politische Ziel. Flüchtlingsabwehr bezahlt hat, denn darüber wurde in Parlamenten verhandelt. sage ihm nicht, dass es lediglich um die Ver- hinderung illegaler Einreisen gegangen sei, sage ihm nicht, dass niemand verantwortlich denn letztlich wollte Europa überhaupt keine zu machen war, denn zu durchschaubar war Flüchtlinge. und ist das System der hin- und hergescho- benen Verantwortung zwischen den Beteilig- sage ihm nicht, dass Libyen als möglicher ten und Mächtigen. Kooperationspartner erschien, denn wie kann ein Staat ein zuverlässiger Partner im Flücht- sage ihm nicht, dass du hättest nichts tun lingsschutz sein, der sogar die Vertretung des können, denn es lassen sich immer Men- Hohen Flüchtlingkommissars der Vereinten schen ansprechen, die sich gemeinsam für Nationen zur Aufgabe ihres Büros zwingt? Menschenrechte und das Recht auf ein fai- res Asylverfahren stark machen - und es gibt sage ihm nicht, dass sich Flüchtlinge in Libyen immer Medien und eine Öffentlichkeit, die für auf die Einhaltung von Menschenrechten und die Wahrheit verpflichtet werden können. 13
Rückschiebungen nach Libyen „Ich wurde von der Polizei in Tripolis verhaftet gegen feierte der italienische Innenminister Ro- und nach Ganfuda geschickt. berto Maroni die Aktion als „historischen Tag ge- Ich hatte viele Probleme. Die Wachen schlugen gen die illegale Einwanderung“ und forderte die mich mit Stöcken, übrigen EU-Staaten auf, sich der erfolgreichen es gab kaum was zu essen und wir hatten Strategie anzuschließen und pries sie als „Modell praktisch kein Sonnenlicht – für Europa“. Nur eine Woche später kündigen Li- keine Chance. Wir waren fast immer in unseren byen und Italien gemeinsame Patrouillenfahrten Zellen.“ in libyschen und internationalen Gewässern an. Tesfaye* Die Zahl der Bootsflüchtlinge nimmt nun rasant ab, die Haftzentren auf Lampedusa leeren sich D as ist nur eines der vielen Zeugnisse von im Sommer 2009. „Wir werden mehr Gas und Flüchtlingen, die auf ihrem Weg durch Benzin aus Libyen bekommen und weniger ille- Libyen festgehalten, malträtiert und in gale Einwanderung“ war Berlusconis zuversicht- eines der vielen Haftzentren gesteckt wurden. liche Prognose kurz nach Beginn der gemeinsa- Aber auch wer den gefährlichen Weg durch Li- men Aktionen im Mittelmeer. byen hinter sich bringen konnte, ist vor Libyens Gefängnissen nicht sicher. 2004 und 2005 hat „Weiß die internationale Gemeinschaft, was hier Italien tausende Flüchtlinge direkt von der Insel passiert? Lampedusa nach Libyen abgeschoben. Ohne Das fragten wir uns immer wieder, als wir in ihre Schutzbedürftigkeit zu prüfen, lieferte Italien Libyen im Gefängnis saßen.“ die Zuflucht Suchenden einem unberechenbaren Asad* Regime aus. Eklatante Menschenrechtsverstöße Berlusconi: Mehr Gas, mehr Benzin Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen un- – weniger illegale Einwanderer ter ihnen Amnesty International, Human Rights Italien setzt sich mit Gaddafi an den Verhand- Watch, der Jesuiten Flüchtlingsdienst Malta ha- lungstisch. Der im August 2008 unterzeichnete ben die Menschenrechtsverletzungen an Migran- „Vertrag über Freundschaft, Partnerschaft und tInnen im Staat des Revolutionsführers Gaddafi Kooperation“ beinhaltet neben einer Entschul- dokumentiert. Schutzsuchende aus Eritrea sind digung für jegliche Verbrechen aus der Koloni- in ihren Verfolgerstaat abgeschoben worden. alzeit eine Kompensationszahlung von 5 Milliar- Amnesty International kritisiert im Jahresbericht den Dollar in Raten über 25 Jahre hinweg, die in 2010, die Abschiebepraxis von Italien nach Li- Infrastrukturprojekte in Libyen investiert werden byen komme einer Verletzung des Non-Refoule- sollen. Eine intensivierte Kooperation in der „Be- ment-Prinzips gleich. In einem Interview mit dem kämpfung von Terrorismus, organisiertem Ver- Europäischen Flüchtlingsrat ECRE betont der brechen, Drogenhandel und illegaler Migration“ Menschenrechtskommissar des Europarates ist ebenso Bestandteil des Vertrages. Der 6. Mai Thomas Hammarberg: „Ich habe meine Missbil- 2009 steht für ein neues Kapitel in der europä- ligung bilateraler oder multilateraler Übereinkom- ischen Flüchtlingspolitik: Italien beginnt, Boots- men zur Durchführung von Zwangsabschiebun- flüchtlinge auf hoher See aufzugreifen und nach gen irregulärer Migranten mit Staaten wie Libyen Libyen abzudrängen. Die italienische Küstenwa- – die über eine längst erwiesene Folterpraxis che hat bis Ende 2009 über 1.400 Bootsflücht- verfügen – klar geäußert.“ Laurence Hart, Re- linge in die »libysche Hölle« (O-Ton eritreische präsentant der IOM in Libyen meint aber, dass Flüchtlingsfrau) zurückgeschoben. Ein beteiligter „Verstöße gegen Menschenrechte in libyschen italienischer Beamter berichtet voller Scham: „Es Lagern für irreguläre Migranten, die von meh- waren schwangere Frauen und Kinder an Bord. reren internationalen Organisationen behauptet Viele waren gesundheitlich in kritischem Zustand. werden, […] keiner Strategie der libyschen Re- Wir mussten dem Befehl gehorchen, aber ich gierung [entsprechen], sondern […] in Zusam- schäme mich für das, was wir getan haben.“ Da- menhang mit der Überfüllung und der zeitweise 14
nicht sehr rationalen Verwaltung der Lager [ste- hen].“ Für die Betroffenen macht es die Situation allerdings nicht besser. Gaddafi verweist UNHCR außer Landes Nachdem Libyen am 8. Juni 2010 das Flücht- lingswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, zum Verlassen des Landes aufforderte, war von Seiten der EU-Kommission eine Woche später lediglich ein vages „Bedauern“ zu vernehmen. Das Euro- pa-Parlament hingegen forderte die EU-Mitglied- staaten und Frontex auf, die Abschiebungen und Zurückweisungen nach Libyen umgehend zu be- enden. In der Entschließung vom 17. Juni 2010 heißt es, dass es in den libyschen Auffanglagern „zu Misshandlungen, Folter und Ermordungen“ komme und dass „Flüchtlinge im menschenlee- ren Grenzgebiet zwischen Libyen und anderen afrikanischen Staaten ausgesetzt werden.“ Oh- nehin hat Libyen die Genfer Flüchtlinskonvention niemals unterzeichnet. Die Beteiligung der EU – Frontex ist mit im Boot Obwohl die Flüchtlingspolitik längst auf euro- päischer Ebene entschieden wird, bezeichnet EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström die Abschiebepolitik Italiens als „bilaterale Angele- genheiten“. Schon lange gilt Libyen als strate- gisch wichtiges Ziel im Vorfeld der Fluchtwege nach Europa. Die Kooperationsbemühungen der Europäischen Kommission hatten bereits im Mai 2003 begonnen. Im Anschluss an eine teneindringlingen“ sowie Patrouillenboote. Laut Roman Herzog berichtet über 2004 durchgeführte „technical mission“ wurde Delegationsbericht waren zu diesem Zeitpunkt die Lage der das europäische Engagement ganz konkret. 60.000 Flüchtlinge und Migranten in Libyen in- Flüchtlinge in Obwohl die Delegation in ihrem Bericht die Haft- haftiert. Dennoch äußerte der Vizedirektor von Libyen. bedingungen für Flüchtlinge und MigrantInnen Frontex, Gil Arias-Fernandez, den Wunsch nach in Libyen kritisierte, kam es zu einer Lieferung einer Beteiligung Libyens an der Operation Nau- unterschiedlichster Materialien, darunter auch tilus. Dem kam Libyen aber nicht nach. Bislang tausend Leichensäcke. Zugleich wurden erste findet eine Zusammenarbeit auf hoher See durch Schulungen für libysche Polizisten durchgeführt. Patrouillenfahrten alleine mit Italien statt. Bei einer weiteren Delegationsreise 2007 unter Leitung der Grenzagentur Frontex wurde von Millionen an Libyen für Grenzregime Libyen eine Wunschliste mit fehlendem Material Im Juli 2007 wurde schließlich ein „Memoran- angefordert. Darunter waren Kommandostän- dum of Understanding“ unterzeichnet, das Mi- de, Überwachungsradars, Nachtsichtgeräte, gration als Themenbereich von gemeinsamem Fingerabdruck- und Bilderkennungssysteme, Interesse identifizierte und den Weg für ein künf- satellitengestützte Kommunikation, Navigations- tiges Rahmenabkommen EU-Libyen bereiten geräte, Lastwagen „für die Entfernung von Wüs- soll. Die Zusammenarbeit mit Libyen lässt sich 15
Strategie der Vorverlagerung Durch Frontexpatrouillien, bilaterale Koopera- tions- und Rückübernahmeabkommen wollen die EU und ihre Mitgliedsstaaten MigrantInnen und Flüchtlinge von Europa fernhalten. „Erfolgs- meldungen“ gibt es bereits auf breiter Front. So hat Frontex Ende Mai 2010 eine Abnahme der irregulären Migration von Libyen nach Malta und Italien um 83% registriert. Die Anzahl der An- künfte von Bootsflüchtlingen hatte in Malta von die EU so einiges kosten. Die verschiedenen ca. 2.700 im Jahr 2008 auf 1.470 im Jahr 2009 Rahmenabkommen und thematischen Pro- und in Italien von 36.000 auf 8.700 im selben gramme lösen EU-Investitionen im hohen zwei- Zeitraum abgenommen. Innenminister Maroni stelligen Millionenbereich aus. Finanziert wer- kommentierte bei einer Pressekonferenz im April den damit Grenzsicherungssysteme, effiziente 2010: „Das italienische Modell der Bekämpfung Überwachungssysteme, die Verbesserung der illegaler Einwanderung hat zu außergewöhnli- Kapazitäten libyscher Behörden, Unterstützung chen Resultaten geführt und wir denken, dass für eine angemessene Registrierung, Aufnahme es von anderen europäischen Staaten kopiert und Behandlung irregulärer Migranten sowie die werden sollte.“ Dabei hatten im Jahr 2008 75% Förderung begleiteter freiwilliger Rückführungen der Bootsflüchtlinge einen Asylantrag gestellt, und Resettlement-Programme. Bislang ist die der in 50 % der Fälle positiv beschieden wurde. Unterzeichnung eines Rahmenabkommens an Die Zahl der Bootsflüchtlinge, die es bis an die den hohen Forderungen Libyens gescheitert. spanische Küste geschafft haben, ist ebenfalls Gaddafi will 5 Milliarden. Dennoch bestärkte der gesunken. Auf den Kanarischen Inseln wurden Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen 2009 nur noch 2.242 Flüchtlinge und Migran- am 29./30.10.2009 die Absicht, die Kooperation tInnen registriert, im Jahr 2006 waren es noch mit Transit- und Herkunftsländern in der Mittel- 31.600 gewesen. Auch dies darf, neben Polizei- meerregion zu stärken: Er „ruft den Vorsitz und kooperationen mit verschiedenen afrikanischen die Kommission auf, den Dialog mit Libyen über Staaten, den Einsätzen von Frontexpatrouillen die Steuerung der Migration und über die Be- zugerechnet werden. Sie haben die Bootsflücht- kämpfung der illegalen Einwanderung, der auch linge teilweise direkt vor der afrikanischen Küste die Zusammenarbeit auf See, die Grenzkontrolle aufgehalten und zurückgeleitet. Eine im August und die Rückübernahme einschließt, zu intensi- 2010 veröffentlichte Eurodac-Statistik belegt, vieren.“ Im November 2010 fordert der libysche dass die Zahl der so genannten irregulären Ein- Staatschef Muammar al-Gadaffi beim dritten reisen nach Europa 2009 um die Hälfte zurück- EU-Afrika-Gipfel von den Europäern fünf Milliar- gegangen ist. Auch dies eine Folge bilateraler den Euro zur Sicherung der Grenzen. Wenn Eu- Abkommen und von Frontexmissionen. Eine ropa nicht auf die Forderungen eingehe, müsse traurige Bilanz der europäischen Abschottung es sich „auf gewaltige Veränderungen gefasst sind die 14.714 MigrantInnen, die in der Zeit von machen. Europa wird schwarz werden“, warn- 1988 bis 2009 entlang der europäischen Gren- te Gadaffi. Der deutsche Außenminister Guido zen ums Leben gekommen sind. 6.344 Leichen Westerwelle verwies darauf, dass das vor kur- sind immer noch im Mittelmeer verschollen. zem geschlossene Rahmenabkommen der EU angemessen sei. Damit werden dem Land 50 * Zitate aus „Do they know?“ - Asylum Seekers testify to Life Mio. Euro für die Grenzsicherung zugesagt. in Libya. Jesuit Refugee Service Malta, Dec. 2009. 16
Like a Man on Earth I ndem er in ches Leid artikuliert, um anzuprangern, was wie Rom lebenden eine tragische politische und humanitäre Situati- äthiopischen on erscheint. Italien und Europa sind gleicherma- Flüchtlingen eine ßen für diese Situation verantwortlich und sollten Stimme verleiht, dafür zur Rechenschaft gezogen werden. liefert dieser Film einen direkten Einblick in die bru- tale Art und Wei- se, mit der Libyen Migrationsbewe- gungen von Afrika nach Europa mit- tels italienischer und europäischer Finanzierung kontrolliert. Dag studierte Jura in Addis Abeba, Äthiopien. Starken politischen Re- pressionen ausgesetzt, entscheidet er sich, das Land zu verlassen. Im Winter 2005 macht er sich auf einen schwierigen Weg durch die Wüste zwi- schen Sudan und Libyen. In Libyen angekommen sah er sich alsbald einem Netz von Gewalt und kriminellen Aktivitäten Schutzgeld erpressender Banden ausgeliefert, die die Routen durch das Mittelmeer überwachen. Er kam vom Regen in die Traufe und endete schließlich in den Hän- den der libyschen Polizei, die für eine Reihe von Verhaftungen und Massendeportationen verant- wortlich ist. Dag überlebt die Torturen in Libyen und schafft es schließlich, das Meer zu überque- ren und die italienische Küste zu erreichen. In Rom gelandet besucht er eine Sprachenschu- le. Diese wird von Asinitas Onlus, einem ersten Anlaufpunkt für afrikanische Migranten, geleitet und von Marco Carsetti und anderen Ehrenamt- lichen koordiniert. Hier besucht Dag einen Itali- enisch-Sprachkurs und erhält die Möglichkeit, grundlegende Filmtechniken zu erlernen. Diese Erfahrungen inspirieren ihn dazu, Zeugenaus- Italien 2008 – 60’ - miniDV italien. mit engl. Untertiteln Dagmawi Yimer mit: Fikirte Inghida, Dawit Seyum, Senait Tesfaye, Tighist Wolde, Tse- zur Situation in sagen seiner Landsleute zu sammeln, die seine gaye Nedda, Damallash Amtataw, Johannes Eyob, Tsegaye Tadesse, Libyen und über traumatischen Erfahrungen teilen. Er bricht das Negga Demitse seinen Film. von: Riccardo Biadene, Andrea Segre, Dagmawi Yimer Schweigen über das Schicksal, das afrikanische Regie: Andrea Segre, Dagmawi Yimer Migranten auf dem Weg durch Gaddafis Land in Zusammenarbeit mit: Riccardo Biadene Idee und Photographie: Andrea Segre erwartet. Schnitt: Luca Manes (OFF!CINE) in Zusammenarbeit mit: Sara Za- „Like a Man on Earth“ ist eine Reise voller varsie Schmerz und Würde, in der Dagmawi Yimer Co-Autor: Stefano Liberti Journalistische Beratung : Stefano Liberti und Gabriele Del Grande seine Erinnerungen an unvorstellbares menschli- Historische Beratung: Alessandro Triulz 17
Besuch der Küstenwache in Palermo D rei unterschiedliche italienische Behörden liegt in Palermo und wird von Herrn Admiral Do- sind in den Hoheitsgewässern Italiens, menico Pessaro geleitet. Der östliche Teil unter der Anschlusszone und der Hohen See Leitung von Herrn De Michele liegt in Catania. aktiv: Die italienische Küstenwache, der italieni- Auf dem Satellitenradar erhält die Küstenwache sche Zoll und die italienische Marine. Jede der alle zwei Stunden Signale von registrierten Schif- drei Behörden hat unterschiedliche Aufgabenbe- fen, die eine Länge von 15 Metern überschreiten. reiche und Handlungsfelder. Kleinere Boote sind nicht erkennbar. Die sizilianische Küstenwache han- Laut Admiral Pessaro gibt es kein „legales“ Sys- Die Angele- delt aufgrund der Bestimmungen tem, um kleine Boote mit Migranten zu erkennen, genheit illegaler des internationalen Übereinkom- die die SAR Zone ihrer Zuständigkeit erreichen. mens zum Schutz des menschli- Wahrscheinlich wird dazu ein anderes System Einwanderer, die chen Lebens auf See (SOLAS) und der italienischen Marine genutzt. Die Marine lässt in sizilianische der SAR Konvention aus dem Jahr 1979 zur Rettung von Menschen in täglich ein Kriegsschiff in der Seeregion zwi- schen Zypern und Italien patrouillieren. Es wird Küstengewässer Seenot. Die Küstenwachenopera- dabei von einem kleinen Flugzeug unterstützt , tionen sind grundsätzlich begrenzt das diese Umgebung mit einem mobilen Radar- kämen, müsse auf das Gebiet der SAR Zone (Safe- system überwacht. Jeder Mittelmeeranrainer hat politisch geklärt guard und Rescue Zone), die inter- ein unterschiedliches Kontrollsystem zum Küs- national festgelegt wird. tenschutz etabliert. werden. In Sizilien ist die Küstenwache in ei- Herrn Pessaro wurde die Frage gestellt, ob die nen östlichen und einen westlichen Küstenwache auch im Rahmen von Frontex-Be- Bezirk aufgeteilt. Der Hauptsitz stimmungen tätig wird. Er verneinte die Frage 18
und bestritt jede direkte Zusammenarbeit von nische Küstengewässer kämen, müsse politisch Frontex und der italienischen Küstenwache. Zur geklärt werden. Zeit sind zwei Liaison Beamte der italienischen Herr Pessaro überreichte den Teilnehmern einen Küstenwache bei der Frontex-Agentur in War- Bericht, der die Ereignisse irregulärer Einwande- schau angesiedelt. Herr Pessaro stellte fest, rung im Jahr 2010 verzeichnete. Generell ent- dass EU-Mitgliedsstaaten in der Interpretation stand der Eindruck, dass die meisten Push-Back von europäischem und internationalem See- Aktionen gegen Flüchtlinge und Schutzsuchen- recht zum Teil sehr weit auseinander gingen und de wahrscheinlich vom italienischen Zoll und der dass die originäre Aufgabe der Küstenwache in Marine ausgeführt werden. Diese Behörden han- der Seenotrettung Schiffbrüchiger bestehe. Die deln nach italienischem und nicht nach internati- Angelegenheit illegaler Einwanderer, die in sizilia- onalem Seerecht. 19
Siziliens Hochseefischer zwischen Libyen und Italien G egen 18:00 Uhr trifft dass nicht schon vielfach auf Schiffe und Boo- Kapitän Gaspare Mar- te geschossen wurde? Wie viele Flüchtlinge hat rone und seine Mann- man vielleicht schon versenkt, so wie in Marokko schaft im Golf von Sirte in und Griechenland geschehen? Vielleicht sind wir internationalen Gewässern gar nicht so weit entfernt von dieser Realität. auf eine libysche Einheit. Das Schiff kommt ihnen bekannt Vincenzo Asaro, Reeder und Besitzer der „Arie- vor: es sieht aus wie ein Boot te“, und sein Kapitän stellen klar: man hat nicht der italienischen Guardia di Fi- in libyschen Gewässern gefischt, zum Einen, nanza (italienischer Zoll), aber weil man eh auf Fahrt gewesen sei und die Net- es läuft unter libyscher Flagge. ze gar nicht draußen waren, zum Anderen, weil Sie werden in reinem Italie- sie sich zum Zeitpunkt der Schüsse zwar unweit nisch aufgefordert, beizudre- der libysch-tunesischen Grenze, aber in interna- hen. Marrone verweigert den tionalen Gewässern befunden haben. Der Ree- Vincenzo Asaro, Stopp – in internationalen Gewässern können der und der Kapitän werden gezwungen, sich Besitzer der „Ariete“ ihn die Libyer nicht einfach stoppen, er möch- auch noch gegen die Beschuss zu verteidigen, te einen italienischen Befehl sehen. Doch dieser als seien sie Schuld. Zwar äußert sich die italieni- kam nicht, auch wenn sich sechs italienische sche Opposition sofort, dass die libysch-italieni- Offiziere und Mitarbeiter der Guardia di Finanza schen Verträge überdacht werden müssen, aber an Bord des libyschen Schiffes befinden. Diese ob das große Schreien anhält ist fragwürdig. Die hatten sich sofort unter Deck zu begeben, wie Staatsanwaltschaft in Agrigento hat jedoch ein die Libyer anordneten. Und dann eröffneten sie Untersuchungsverfahren eingeleitet: Versuchter das Maschinengewehrfeuer auf die „Ariete“. Mord heißt es hier. Über fünf Stunden verfolgen die Libyer den si- zilianischen Fischer, der Richtung Lampedusa Marrone und sein Reeder haben Preise erhalten, fährt, feuern immer wieder auf das Schiff, bis sie Preise für die Rettung von Flüchtlingen auf See, endlich gegen 23 Uhr beidrehen. Die „Ariete“ ist die Schiffbruch erlitten hatten und ohne die Hilfe ein 32 m langer Fischkutter aus Metall, sie wird des Kommandanten ertrunken wären. Marrone in der gesamten Längsseite vielfach getroffen. ist ein bekannter Mann, ebenso wie einige seiner Es ist ein unglaubliches Glück für die Besatzung, dass sie nicht verletzt wird, dass die getroffenen Gasflaschen nicht explodieren. Die Italienische Regierung geht nach der Mel- dung Marrones über das Geschehen erst einmal in die Defensive: „Die haben wohl in libyschen Gewässern gefischt“, so Außenminister Frat- tini. „Die Libyer dachten wohl, da seien Illegale an Bord“, so Innenminister Maroni und Verteidi- gungsminister La Russa. Diese Aussage bedeu- tet im Umkehrschluss jedoch, wenn „Illegale“ an Bord sind, dann kann man schon mal schießen. Sind die Wünsche der Lega Nord, die schon vor Jahren riefen „schießt auf die Migrantenboote“, damit niemand mehr ankommt, also in Erfül- lung gegangen? La Russa redet sich in einem Nachrichteninterview des Senders RAI 3 raus, so habe man das nicht gemeint. Aber wer mag das glauben? Wer mag nun überhaupt glauben, Wurde für die Rettung von Migranten aus Seenot ausgezeichnet. 20
Kollegen aus Mazara del Vallo, die couragierten schreckliche Auf- Kapitäne, die trotz aller Drohungen, dass Pro- gabe, die einen zesse gegen sie eingeleitet werden, Flüchtlinge nachts nicht mehr gerettet haben. Die Libyer hatten die „Ariete“ schlafen lässt, längst identifiziert, als sie das Feuer eröffneten, zu Recht. Viele sie wussten also, auf wen sie da schießen. werden plötzlich krank, oder es Der Kapitän aus Mazara hat richtig gesehen, das gibt ein „techni- Schiff, dass sie beschossen hat, gehört zu den sches Problem“ sechs von Italien an Libyen übergebenen Schif- an Bord. Viele fen der Guardia di Finanza, die für die gemein- Flüchtlinge haben samen Patrouillen zur Eindämmung der illegalen Angst, dass wir Migration eingesetzt werden. Grundlage sind die sie nach Libyen libysch-italienischen Abkommen von 2007 (also zurück bringen, noch unter der alten Regierung) und von 2009. wenn wir sie an Bord nehmen. Sie drohen uns, Fischer aus Mazara, die Sie besagen, dass die beiden Länder gemein- sich umzubringen. Auch die Frauen, mit Kindern bereits viele sam Patrouillen fahren, wobei die Italiener jedoch auf den Armen, sie drohen, sich ins Meer zu Menschen nur technische Kontroll- und Beobachtungsauf- stürzen. Was machst du in einer solchen Situ- gerettet haben. gaben haben, das Kommando liegt allein bei den ation? Ich bin ein Militär, aber vor allem bin ich Libyern. Sie haben sich unter Deck zu begeben, ein Mensch, ein Vater. Und auch wenn sie mich wenn die Libyer einen Einsatz beginnen. bestrafen, ich werde das nie wieder machen. Ir- Das allein schon gefällt den italienischen Offizie- gendwann muss ich mich vor irgendjemanden ren auf den libyschen Einheiten wenig. In einem rechtfertigen, und ich möchte ein reines Gewis- Interview mit der Tageszeitung „La Repubblica“ sen haben.“ vom 15.9.2010 berichtet ein 45-jähriger Leut- Derweil lächelt Verteidigungsminister La Russa nant der Guardia di Finanza, dass den Kollegen siegessicher in die Kamera und meint, es sei gut, bei Beginn des Beschusses absolut die Hände dass die Libyer sich entschuldigt hätten. Hätte gebunden waren, sie konnten nur zuschauen. es Opfer gegeben, würde die Entschuldigung Die Kollegen versuchen, wenn sie eine Ahnung natürlich nicht reichen. Die Flüchtlinge, die auf- haben, es könnte ein kritischer Einsatz werden, grund der italienischen Zurückweisungen in den nicht an Bord zu gehen: „Genau um solche Epi- libyschen Gefängnissen inhaftiert werden, zählen soden wie am Sonntag zu vermeiden. Inzwischen allerdings nicht. kennen wir die libyschen Offiziere ein wenig und wir wissen, wenn es in eine bestimmte Richtung geht, gibt es Ärger. Und wenn wir da aus irgend- welchen Gründen Zweifel haben, weigern wir uns an Bord zu gehen. Dieses Mal hatten meine Kollegen keinerlei Verdacht geschöpft.“ Er spricht auch über die Einsätze bei den Zu- rückweisungen auf See nach Libyen, die die Guardia di Finanza durchführen: „Was sollen wir machen? Wenn wir sie nicht zurückweisen, gibt es Disziplinarverfahren. Wie also sollen wir aus dieser Zwickmühle rauskommen? Diese Zurück- weisungen sind eine der grausamsten unserer Aufgaben. Seit vielen Monaten verweigern immer mehr Kollegen aus den ligurischen und toskani- schen Häfen, uns abzulösen und den Dienst zu übernehmen. Unsere Kollegen verweigern diese 21
Aktuelle Entwicklungen in verschiedenen G anz im Vordergrund stand der Bericht Im Januar 2011 hat Deutschland Überstellungen aus Griechenland. In mehreren europäi- nach Griechenland offiziell für ein Jahr ausgesetzt schen Ländern wurden Abschiebungen und ist damit einer Grundsatzentscheidung des von Flüchtlingen in das „Erstasylland“ Griechen- Bundesverfassungsgerichtes zuvorgekommen. land vorläufig gestoppt, so auch in Deutschland. 22
europäischen Ländern Die griechische Konferenzteilnehmerin Eftha- ren sei allerdings, dass Flüchtlinge nach wie vor lia Pappas zitierte in ihrem Beitrag zustimmend in das Niemandsland an der algerischen Grenze den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten abgeschoben würden. Nationen (UNHCR), der jüngst von einer „hu- manitären Krise“ in Griechenland gesprochen Aus Polen berichtete Frau Gutkowska von einer hatte. Nach wie vor würden Flüchtlinge an der schleichenden Entwertung des internationa- Grenze abgewiesen und in großer Zahl z. B. in len Schutzes für Flüchtlinge. Nach Einführung die Türkei zurückgeschoben. Frau Pappas be- des sog. „subsidiären Schutzes“ aus dem eu- zeichnete die Lage als „extrem schwierig“. Auch ropäischen Recht sei zu beobachten, dass die auf griechischem Territorium sei der Zugang zu polnischen Behörden weniger die Flüchtlingsei- einem geregelten Asylverfahren kaum möglich: genschaft als vielmehr diesen geringwertigeren die Verfahren würden kursorisch betrieben, oft subsidiären Schutz gewährten. Problematisch ohne qualifizierte Dolmetscher und von hierzu seien auch Zurückschiebungen nach Weißruss- nicht qualifizierten Polizeibeamten. Für Flücht- land. linge gebe es fast keine Unterkünfte und kaum soziale Betreuung. Übereinstimmend beklagten Konferenzteilneh- mer aus Spanien, Polen, Rumänien, Griechen- Besonders irritiert zeigte sich Frau Pappas darü- land und Deutschland die Schwerfälligkeit der ber, dass die auf Bitten der griechischen Regie- Anerkennungsverfahren und die mangelnde rung bereits fertig formulierten Vorschläge einer Unterstützung besonders verletzlicher Personen Expertenkommission, der auch Frau Pappas an- wie unbegleitete Minderjährige und Opfer von gehört, immer noch nicht umgesetzt sind. Gewalt. Zur EU-Außengrenze im westlichen Mittelmeer Hoffnungsvoll nahm die Konferenz auf, dass in hatte Herr Daichai Poudiougo aus Marokko, der Spanien und in Rumänien offenbar die Rahmen- leider von den italienischen Behörden kein Visum bedingungen für sog. Resettlement-Programme für die Teilnahme an der Konferenz erhielt, einen geschaffen wurden. So hat Rumänien bereits 40 Vorbericht übermittelt. Danach ist für Marokko Flüchtlinge aus Myanmar von Drittländern über- als erfreuliche Tendenz zu berichten, dass die nommen und plant, weitere 80 Personen in den von UNHCR ausgegebenen Flüchtlingskarten nächsten zwei Jahren aufzunehmen. Schon lan- von den marokkanischen Behörden zwar noch ge setzen sich die Konferenzteilnehmer in ihren nicht vollständig anerkannt, wohl aber zuneh- Ländern dafür ein, ebenfalls Resettlement-Pro- mend respektiert würden. Besonders zu kritisie- gramme aufzulegen. 23
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Flüchtlings- politik in Italien 25
Italiens Politik lässt Flüchtlinge schutzlos I n Sizilien, wo in den vorangegangenen Jah- Sein Ziel war es, auf der Insel Lampedusa ein ren einige Tausend Migranten und Flüchtlinge großes Abschiebungsgefängnis einzurichten. angelandet sind, hat sich die Situation inzwi- Diejenigen, die keinen Asylantrag gestellt hatten, schen sehr verändert. sollten erst gar nicht auf das italienische Festland Kamen 2008 noch ca. 36.000 kommen, sondern sofort von dort wieder abge- Flüchtlinge an den Küsten Italiens schoben werden. Da aber ca. 75% der Ange- an, alleine 31.000 auf oder bei kommenen potentielle Asylsuchende waren und Lampedusa und an den siziliani- auch die anderen aufgrund mangelnder Papiere schen Küsten, so spricht das In- nicht sofort abgeschoben werden konnten, war nenministerium 2009 bereits von das Zentrum auf Lampedusa heillos überfüllt. einem Rückgang von über 88% Eine Möglichkeit zur Stellung eines Asylantrags der Ankünfte an italienischen Küs- war nicht garantiert. Im Dezember 2008 und im ten. Aber, auch wenn dies viel er- Januar 2009 befanden sich ca. 2.000 Menschen scheint, so fanden lediglich 10% in einem Lager, das eine Kapazität von 300, im Judith Gleitze, der nicht legalen Ankünfte über See statt. Die Notfall von 800 Aufnahmeplätzen hat. Es brach Borderline Europe meisten anderen Migranten und Flüchtlinge, die eine Revolte aus. Unter den so genannten “Gäs- sich irregulär in Italien aufhalten, sind so genann- ten”, aber auch unter den Einheimischen, die te Overstayer. Das sind Menschen, die mit einem aus ihrer Insel kein Alcatraz, keine Gefängnisinsel Visum eingereist und nach dessen Ablauf geblie- machen wollten. ben sind. Italiens Regierung versucht dennoch immer Freundschaftsvertrag mit Libyen – wieder, mittels der Medien Angst vor Migran- für Flüchtlinge verheerend ten und Flüchtlingen zu schüren - was natürlich Da dieses Vorhaben Maronis nicht funktioniert mit Bildern überfüllter Boote sehr viel einfacher hatte, bemühte sich die italienische Regierung ist. Trotzdem unterscheidet sich die italienische intensiv darum, endlich den Freundschaftsver- Anti-Immigrationspolitik, oder noch treffender trag mit Libyen und die nötigen Protokolle dafür Antischutzpolitik, nicht so sehr von der anderer unter Dach und Fach zu bekommen. Im März europäischer Staaten. Die geographische Lage 2009 unterschrieb Gaddafi die Protokolle des im lässt Italien – wie auch Griechenland, Spanien, August 2008 mit Italien geschlossenen Freund- Malta oder Polen – eine besondere Rolle zukom- schaftsvertrags. Hier wurden auch die Zurück- men: die Verteidigung der Außengrenzen der weisungen auf See festgelegt: Libyen erklärte EU. So wird die Abwehrpolitik in diesen Staaten sich bereit, die zurückgewiesenen Flüchtlinge umso härter gefahren, denn Europa will vor der wieder aufzunehmen. So endeten die Ankünfte „Invasion der Armen“ verteidigt werden. auf Lampedusa und an der sizilianischen Küste Leider vergessen wir dabei gern, dass auch Eur- schlagartig im Mai 2009, bis auf wenige Ausnah- opa aufgrund seiner Ausbeutungspolitik und Ko- men. Auf See aufgebrachte Flüchtlinge wurden lonialgeschichte für die Armut beispielsweise in von der Guardia di Finanza (eine spezialisierte afrikanischen Staaten eine große Verantwortung italienische Polizeieinheit) direkt nach Tripolis trägt. Ebenso vergessen wird, dass es noch ein zurückgebracht. Später dann wurden sie direkt existierendes völkerrechtliches Schutzsystem an libysche Einheiten auf See übergeben. Ohne für Flüchtlinge gibt. Faktisch wird dies allerdings jegliche Identifizierung, ohne die Möglichkeit, ei- nach und nach ausgelagert und ausgehebelt. nen Asylantrag zu stellen. Unter den zurückge- schobenen Flüchtlingen befanden sich sehr viele Die Überwachung der Grenzen wird auch Eritreer, Somalier und Äthiopier - alles Nationali- in Sizilien immer stärker spürbar täten, die eine gute Chance auf Flüchtlingsaner- 2008 hat Innenminister Roberto Maroni, Mitglied kennung in Italien gehabt hätten. der rechten Partei Lega Nord, beschlossen, Der Film “Come un uomo sulla terra“ (Like a Man dass man den “Zustrom” von Migranten und on Earth), von Andrea Segre und Dagmawi Yi- Flüchtlingen nun endlich eindämmen müsse. mer, ist ein eindrucksvolles Zeugnis über die Situ- 26
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