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LANDESARCHIV BADEN-WÜRTTEMBERG Nr. 52 / März 2016 ARCHIVNACHRICHTEN Europa vernetzt Ein Hohenzollernprinz auf dem rumänischen Thron Württemberg, das Haus Urach und Monaco Raubkunst im Archiv? Vom „Hundertmeterbau“ zum Grundbuchzentralarchiv
Inhalt KULTURGUT GESICHERT Verena Türck 3 || Editorial Marionela Wolf Alexandra Haas 22 || Migrationsnetzwerke – von Odessa 39 || Entdeckt und gesichert: Pläne und EUROPA VERNETZT über Strümpfelbach nach Montreal Zeichnungen aus der württembergischen Kirchenratsregistratur Clemens Rehm Claudia Wieland 4 || Grenzüberschreitung im Archiv 23 || Idyllisches Exil im Taubertal. Nadja Göhlich Der abgedankte portugiesische König 40 || Die Waffen der Restauratoren. Birgit Meyenberg Miguel I. de Braganza in Bronnbach Heute: Die Airbrushpistole und worauf 6 || Inkognito zum Thron. Pergamentrestauratoren abzielen Ein Hohenzollernprinz in Rumänien Eberhard Merk 24 || Württemberg, das Haus Urach Anna Haberditzl Franz-Josef Ziwes und Monaco 41 || DIN – EN – ISO. Normung für 9 || „Eine sociale Revolution“. Bestandserhaltung auf nationaler und Die Judenemanzipation in Rumänien Kai Naumann internationaler Ebene 26 || Das Künstlernetzwerk und sein Ioan Drăgan Speichergedächtnis ARCHIVE GEÖFFNET 10 || Carol I. von Rumänien. Die Heiratsprojekte eines Fürsten aus dem Susanne Laux / Christina Wolf Erwin Frauenknecht Hause Hohenzollern-Sigmaringen 28 || Forschungsprojekt „Von der Mo- 42 || Kaiser Karl IV. (1316–1378) und narchie zur Republik“ gestartet die Goldene Bulle. Ausstellung im Haupt- Birgit Meyenberg staatsarchiv Stuttgart 12 || Dichtung und Wirklichkeit. Peter Müller Zum 100. Todesjahr der ersten Königin 30 || Wider „die geistige Isolierung Konrad Krimm Rumäniens des Archivars und der Archive“. 70 Jahre 43 || War er wirklich wunschlos? Ein Südwestdeutscher Archivtag Ausstellungsprojekt des Generallandes- Peter Rückert archivs Karlsruhe zu Prinz Max von 14 || Margarethe von Savoyen (1420– Irene Brückle / Anna Haberditzl Baden 1479) und ihre Briefe 31 || Konservierung ohne Grenzen HÄUSER MIT GESCHICHTE Maria Magdalena Rückert ARCHIV AKTUELL 16 || Quellen zur europäischen Ver- Michael Aumüller netzung des Deutschen Ordens im Robert Kretzschmar 44 || Vom „Hundertmeterbau“ zum Staatsarchiv Ludwigsburg und im Netz 32 || Jahresbericht für 2015 Grundbuchzentralarchiv Maria Magdalena Rückert Lutz Bannert / Ulrike Vogl JUNGES ARCHIV 18 || Die Studienreisen des Ferdinand 35 || Raubkunst im Archiv? Geizkofler an die europäischen Höfe sei- Provenienzforschung im Generallandes- Lara A. Sauer ner Zeit archiv Karlsruhe 45 || Von der Hohenzollern-Prinzessin zur Königin von Portugal Thomas Fricke / Gabriele Löffler Thorsten Huthwelker 36 || Deutsches Kulturgut bei eBay Vincent Lenk 20 || Das Gemäldekabinett und die 46 || Ein Bibliotheksstudent auf Abwegen Korrespondenz der Markgräfin Karoline Thorsten Huthwelker Luise von Baden (1723–1783) gehen 37 || Theater trifft Archiv GESCHICHTE ORIGINAL: online QUELLEN FÜR DEN UNTERRICHT 51 QUELLEN GRIFFBEREIT Martina Heine Dieter Grupp 21 || Unterwegs in Europa. Adelsnetz- Peter Müller 47 || Europäische Vernetzung in der werke am Beispiel der katholischen Linie 38 || Reichsstädtische Urkunden im Frühen Neuzeit. Das Schicksal des der Löwenstein-Wertheimer Landesarchiv werden digitalisiert Christian Bantlen aus Heselwangen 2 Archivnachrichten 52 / 2016
Editorial Europa vernetzt – dies ist uns gegenwär- die Zusammenarbeit im Bereich der di- tig besonders präsent. Täglich erfahren gitalen Langzeitarchivierung geschlossen. wir über die Nachrichten, wie eng die Und seit dem Herbst wird das Archiv Verflechtungen auf politischer, sozialer des Landtags vom Landesarchiv fachlich und gesellschaftlicher Ebene in Europa betreut. mittlerweile sind. Das Thema Provenienzforschung be- Europa vernetzt – das galt aber auch schäftigt derzeit auch die Abteilungen schon in vergangenen Jahrhunderten. So des Landesarchivs. In Karlsruhe wird hier- wurde vor 150 Jahren Prinz Karl von zu ein Projekt zur Recherche von rele- Hohenzollern zum rumänischen Fürsten vanten Informationen in Archivbeständen erwählt. Ab 1881 regierte er als König durchgeführt. Und unsere Restauratoren Carol I. über Rumänien. Diese Verbin- entwickeln ihre Methoden ständig weiter dung zwischen Hohenzollern und Ru- und berichten diesmal über Airbrush- mänien ist für uns Anlass, dieses Heft der Pistolen im Archiv. Archivnachrichten der europäischen In diesem Frühjahr und Sommer lädt Vernetzung zu widmen. das Landesarchiv zu Ausstellungen über Nicht nur die Ereignisse in Rumänien Kaiser Karl IV. und Prinz Max von Baden beleuchten wir in unserem Schwerpunkt ein. Durch die Präsentationen werden Europa vernetzt ausführlich, sondern diese Persönlichkeiten im Kontext ihrer auch Briefnetzwerke, Studienreisen, Hei- jeweiligen Zeit gezeigt – auch hier wer- ratsverbindungen, Ordensnetzwerke und den adlige und grenzüberschreitende Ver- aktuelle Kooperationen im Archivwesen. netzungen sichtbar. In vielen Artikeln dieser Archivnachrich- Als Quellen für den Unterricht stellt ten beschäftigen sich die Autorinnen und Dieter Grupp das Schicksal des Christian Autoren mit adeligen Personen und Fa- Bantlen aus Heselwangen vor. Dessen milien. Dies ist kein Zufall, war doch der Weg auf der Suche nach Arbeit führte Adel in der Frühen Neuzeit in Europa die ihn im 18. Jahrhundert quer durch mobilste Bevölkerungsgruppe und un- Europa und ist ein Beispiel für europäi- tereinander durch politische und persön- sche Migrations- und Wanderungsbe- liche Beziehungen eng verbunden. Aber wegungen. auch die einfache Bevölkerung reiste Wie bereits in den letzten Archivnach- durch Europa – freilich oft aus anderen richten zu lesen war, hat sich in der Beweggründen. Gerade aus dem deut- Redaktion ein Wechsel vollzogen. Seit schen Südwesten wanderten im 17. bis mittlerweile einem Jahr bin ich in der ins 19. Jahrhundert viele Menschen aus Abteilung Fachprogramme und Bil- und suchten ihr Glück in der Ferne. dungsarbeit nun für die Archivnachrich- In der Rubrik Archiv aktuell finden Sie ten zuständig und freue mich über diese den Jahresbericht des Präsidenten Prof. abwechslungsreiche Aufgabe und auf Dr. Kretzschmar. Kooperationen und Ihre Rückmeldungen. Vernetzungen spielten auch im Jahr 2015 Eine gute Lektüre wünscht Ihnen wieder eine wichtige Rolle in der Arbeit des Landesarchivs. So wurden erste Ver- träge mit den kommunalen Rechenzen- Ihre tren und den Kommunalarchiven über Dr. Verena Türck Archivnachrichten 52 / 2016 3
1 Grenzüberschreitung im Archiv Der Liedermacher Reinhard Mey be- titätsstiftende historische Überlieferung Gegen-, Neben- und Miteinander. Keine schreibt 1970 in dem Lied Vertreterbe- gesichert und genutzt wird. Und in der Dokumentation von diplomatischen such, wie ihm ein Globus verkauft Tat werten seit dem 19. Jahrhundert un- Verhandlungen ohne Hinweise auf die werden soll. Doch den Kauf lehnt er als gezählte lokal- und regionalhistorisch Vorstellungen des Verhandlungspartners, unnötig ab, wenn die Mächtigen der Welt Interessierte die in Archiven verwahrten keine Gerichtsakte ohne mindestens die Grenzen wöchentlich neu ziehen. Dokumente, diesen einzigartigen Schatz, zwei unterschiedliche Auffassungen, Aber er ist nicht ganz ohne Hoffnung auf zur Erstellung von Ortsgeschichten, zur keine Kriegsberichterstattung ohne Geg- Einsicht und Frieden und vertröstet den Erarbeitung von biografischen Studien ner, kein Geschäftsabschluss ohne Käufer Vertreter: oder zur Vorbereitung von historischen und Verkäufer. Schriftlichkeit bedeutet Schreiben Sie in Ihr Notizbuch Ausstellungen aus. Kommunikation. Und es ist Kern bei der für das Jahr 2003: Selbstverständlich können dabei Ur- Auswertung archivischer Quellen, Dinge Nicht vergessen zu besuchen: kunden, Akten, Karten und Bilder zur auch immer mit den Augen der anderen Wegen Globus zu Herrn Mey! Legitimation eigener Vorstellungen her- betrachten zu können. Mehr als zehn Jahre nach der Jahrtau- angezogen und zur Bestätigung von Daher ist auch der Blick über den sendwende sind in Europa nach Zeiten (Vor-)Urteilen zitiert werden – auch das Tellerrand mit archivierten Unterlagen der Erleichterung bei Grenzübertritten eine Möglichkeit lokaler und regionaler selbstverständlich möglich und üblich. Grenzen wieder zum Thema geworden. Identitätsbildung und Abgrenzung. Beispielsweise wird im deutschen Süd- Abseits jeder Tagesaktualität lohnt in sol- Das ist aber nur die halbe Wirklichkeit. westen beim Thema Ein- und Auswande- chen Momenten ein Blick in die Archive; Denn unabhängig davon, ob die Ge- rung offenkundig, dass die Geschichte mit dem dort verwahrten Archivgut schichte von Herrscherfamilien oder der eines noch so kleinen Gemeindeteils wird menschliches Wollen, Wirken und kleinen Leute in den Blick genommen ohne eine grenzüberschreitende Perspek- Leiden über Jahrhunderte dokumentiert wird, unabhängig davon, ob die Aspekte tive unvollständig bleibt: Aus wirtschaft- und zugänglich gemacht. Politik, Wirtschaft oder Kultur im Zen- lichen oder religiösen Gründen verließen In vielen Festreden werden Archive als trum des Interesses stehen – stets finden Menschen den Ort – oder siedelten sich Institutionen gefeiert, in denen die iden- sich im Archiv Informationen zum an. 4 Archivnachrichten 52 / 2016 Europa vernetzt
2 Als historische Tatsache ist Grenzüber- ein Staat. Deren Gebiete haben sich aber lagen dort angesiedelter staatlicher Stel- schreitung fast in jedem Archiv greifbar. durch die Jahrhunderte immer wieder len befinden sich im Generallandesar- Die Archive sind sich dessen bewusst verändert; Grenzen wurden bis ins 20. chiv Karlsruhe, weil dieses Archiv seit der und haben in vielfältigen Aktivitäten die Jahrhundert neu gezogen, wie in Baden- Kreisreform für die staatlichen Unterla- Begrenztheit einer einseitigen Sicht Württemberg zuletzt bei der Gemeinde- gen des nordbadischen Regierungsbe- thematisiert. Zeitlich und räumlich gibt und Kreisreform in den 1970er Jahren. zirks zuständig ist, zu dem Freudenstadt es für das Thema Grenzen und Vernet- Wo kann nun ein interessierter Nutzer inzwischen gehört. zungen keine Einschränkungen. Doku- Unterlagen z.B. zu Freudenstadt finden – Die Zuständigkeit eines Archives de- mentiert sind mittelalterliche Handels- gegründet 1599 von Herzog Friedrich I. finiert sich also gerade nicht durch aktu- beziehungen ebenso wie neuzeitliche von Württemberg als befestigte Residenz, elle Grenzen, sondern durch historische Reisepässe, dynastische Verbindungen heute zum Regierungsbezirk Karlsruhe Entwicklungen. Wer heute die Ge- ebenso wie Verzeichnisse von durchrei- gehörig? Wie schlägt sich ein solcher schichte eines Ortes oder einer Region senden Fremden in Gemeindearchiven Prozess von Grenzveränderungen in den untersuchen will, muss zwangsläufig die- und selbstverständlich historische Kar- Archiven nieder? jenigen Archive aufsuchen, in denen die ten, auf denen die Zeitbedingtheit von Die Antwort der Archive lautet Prove- Unterlagen der verschiedenen histori- Grenzen offenkundig wird. nienzprinzip: Es bedeutet, dass Unterlagen schen Epochen jeweils gesichert sind. Er Aber neben diesen inhaltlichen Aspek- stets in ihren ursprünglichen Entste- muss damit selbst Grenzen überschrei- ten ist die Institution Archiv auch als hungszusammenhängen und den dafür ten, sonst bleibt sein Blick unvollständig. Fachbehörde beim Thema Grenzen ge- zuständigen Archiven gesichert werden. Archive waren und sind aufgrund ihrer fragt. Die Pläne für die württembergische Geschichte und ihrer Grundsätze Insti- Entstanden als Verwaltungsdokumen- Planstadt Freudenstadt von Heinrich tutionen der Grenzüberschreitung – eine tation von Herrschaften spiegelt sich in Schickhardt befinden sich im Hauptstaats- Chance, die zu nutzen sich lohnt. Archiven die historische Dimension archiv Stuttgart, weil dort die Unterlagen einer politischen Einheit, sei es eine Ge- des württembergischen Baumeisters meinde oder Stadt, ein Bundesland oder liegen. Die ab 1973 entstandenen Unter- Clemens Rehm 1 | Großherzoglich badisches Wappen auf einem Grenzstock für das Großherzogtum Baden aus dem 19. Jahrhundert. Vorlage: Landesarchiv GLAK J-K B 23 2 | Handels- und Schifffahrtsvertrag Badens mit der Ottomanischen Pforte vom 14. Mai 1862. Vorlage: Landesarchiv GLAK 48 Nr. 6641 Europa vernetzt Archivnachrichten 52 / 2016 5
1 Inkognito zum Thron Ein Hohenzollernprinz in Rumänien 2 Alter 26 Jahre Prinzen. Dieser war jedoch nicht auf auf die Reise. Dabei musste er alle, seine Größe 5 Fuß 7 ¼ Zoll dem Weg nach Odessa, sondern nach wahre Identität verratenden Dokumente Statur schlank Rumänien, wo er per Volksabstimmung zurücklassen und selbst sein Mono- Haare und Augenbrauen schwarz zum Fürsten gewählt worden war. Die gramm aus den Accessoires entfernen, Augen grau beiden Donaufürstentümer Moldau und um bei seiner Reise durch Österreich Nase spitzig Walachei waren 1859 von dem rumäni- und Ungarn nicht enttarnt zu werden. Mund mittler schen Fürsten Alexandru Ioan Cuza ver- Denn Österreich hatte sich gegen die Kinn rund einigt, Cuza jedoch bereits im Frühjahr Wahl des hohenzollerischen Prinzen Bart braun 1866 gestürzt worden. Um internen zum rumänischen Staatsoberhaupt aus- Gesicht länglich Machtkämpfen und Separationstenden- gesprochen. Kennzeichen: trägt eine Brille. zen vorzubeugen, sollte der nächste Um die Annahme der Wahl durch Fürst ein aus dem Ausland stammender den Prinzen zu verhindern, wurde jeder So lautet das Signalement des am15. Mai Prinz sein. Die Wahl des Prinzen Karl seiner Schritte bereits auf deutschem 1866 in der Schweiz auf den Namen von Hohenzollern war von Napoleon III., Boden argwöhnisch überwacht. Selbst Carl Hettingen, Partikulier von Thal, Bez. Kaiser der Franzosen, unterstützt wor- von seinen Eltern musste er heimlich Unterheinthal, zur Reise nach Odessa den, nachdem Graf Philipp von Flandern Abschied nehmen. Er vertauschte seine ausgestellten Passes. Tatsächlich jedoch die rumänische Fürstenkrone abgelehnt Uniform mit Zivilkleidung und reiste war dieser Pass für den Prinzen Karl von hatte. zunächst in die Schweiz und von dort Hohenzollern-Sigmaringen bestimmt. Prinz Karl suchte als preußischer Offi- per Bahn und Schiff nach Rumänien. Hettingen ist eine kleine Stadt im ehe- zier um Urlaub von der Truppe nach Um diese Reise ranken sich einige Anek- maligen Fürstentum Hohenzollern- und begab sich mit Duldung des preußi- doten. Sigmaringen und das dortige Schloss be- schen Königs Wilhelms I., des Ober- So war Prinz Karl in Österreich, wo fand sich im Eigentum der Familie des haupts des Gesamthauses Hohenzollern, sich am Vorabend des Deutsch-Deut- 6 Archivnachrichten 52 / 2016 Europa vernetzt
3 schen Krieges die Mobilmachung bereits erlassene rumänische Verfassung und schließlich eine autoritäre Verfassung durch erhöhte Militärpräsenz abzeich- begann sich den Problemen seines gegen die politischen Kräfte von Konser- nete, in ernsthafter Gefahr entdeckt und neuen Heimatlandes zu stellen. Eines vativen und Radikalliberalen durch- arretiert zu werden. Am Salzburger davon war die Suzeränität des Osmani- zusetzen suchte, scheiterte er. Äußerst Bahnhof soll er von einem Beamten schen Reiches über Rumänien. Deren kritisch beäugte die frankophile Ober- nach seinem Namen gefragt worden Folgen waren zwar nicht drückend, be- schicht Rumäniens ihren Herrscher sein. Aber gerade in diesem Augenblick deuteten jedoch für den jungen Staat während der französisch-preußischen war dem Prinzen das Pseudonym entfal- einen Prestigeverlust. Bei seinem An- Auseinandersetzungen. Aufgrund zu- len. Sein geistesgegenwärtiger Begleiter trittsbesuch in Konstantinopel meisterte nehmender innenpolitischer Probleme drängte sich in eigener Angelegenheit der junge Fürst die Situation souverän: und des Verlusts der fürstlichen Auto- dazwischen, so dass der Inkognito-Rei- Der Sultan empfing den Gast in einem rität, nicht zuletzt wegen der Affäre um sende genügend Zeit hatte, seinen Pass Raum seines Palastes, indem er ihm bis die rumänische Eisenbahn, trug sich herauszusuchen. zur Tür entgegenging. Für den Sultan Carol zu Beginn des Jahres 1871 mit Ab- Die Reise ging per Schiff weiter über stand in dem Raum ein Diwan bereit, dankungsgedanken. die Donau und bei Turnu Severin betrat daneben ein Sessel für den Gast, den Va- Nach dieser Krise änderte der Fürst Karl zum ersten Mal rumänischen sallen. Carol setzte sich aber nicht auf seine Amtsauffassung. Er lernte die ihm Boden. Dort wurde er vom liberalen Po- diesen, sondern direkt neben den Sultan, per Verfassung zugewiesene Rolle auszu- litiker Joan C. Brătianu, der ihm den um seine Gleichrangigkeit zu demon- füllen. Von seiner bisherigen autoritären Fürstenthron angeboten hatte, am strieren. Haltung abgekommen, suchte er nun 20. Mai 1866 empfangen. Begeistert be- Die ersten Regierungsjahre waren ge- häufiger den Konsens mit Parlament und grüßte die Bevölkerung den Prinzen prägt von Versuchen zur Modernisie- Regierung und war notfalls auch bereit in Bukarest. Karl leistete als Fürst Carol rung des Landes und der Stärkung der nachzugeben. Bei nationalen Problemen von Rumänien seinen Eid auf die neu eigenen Machtposition. Als Carol wie der Lage der Bauern oder der Juden- Europa vernetzt Archivnachrichten 52 / 2016 7
4 5 emanzipation hielt er sich zurück. seinen politischen Zenit. Eine der dun- 1 | Der Reisepass der Schweizerischen Eidgenossen- schaft des inkognito reisenden Fürsten, 1866. Durch seine veränderte innenpolitische kelsten Stunden erlebte er bei Ausbruch Vorlage: Rumänisches Nationalarchiv Bukarest Haltung und sein außenpolitisches des Ersten Weltkrieges. Er selbst, im C.R., Miscelanee ds. 4 Ansehen festigte sich seine Position er- Herzen immer noch preußischer Offi- heblich. zier, votierte im Kronrat für einen 2 | Der junge Prinz Karl von Hohenzollern-Sigma- Infolge des Russisch-Türkischen Krie- Kriegseintritt an der Seite der Mittel- ringen. ges (1877–1878) gelang es Rumänien mächte. Er wurde jedoch überstimmt Vorlage: Fürstlich Hohenzollernsche Sammlungen seine volle Souveränität zu gewinnen. und das Land blieb neutral. Am 10. Ok- Bei der Schlacht von Plewen waren rumä- tober 1914 verstarb der erste König von 3 | Ergebnis des Plebiszits nach der Proklamation nische Truppen an der Seite Russlands Rumänien. Zwei Jahre später trat Ru- des Prinzen Karl von Hohenzollern-Sigmaringen beteiligt. Dank der Neuorganisation der mänien unter seinem Nachfolger König zum Fürsten von Rumänien vom 30.3./11.4.1866: Armee durch Carol und seines militä- Ferdinand an der Seite der Entente in 685.969 Stimmen dafür, 224 Gegenstimmen. risch-strategischen Talents waren die ru- den Ersten Weltkrieg ein. Vorlage: Landesarchiv StAS FAS HS 1-80 T 1-6 R 53,1436 mänischen Truppen erfolgreich. Infolge dieses Krieges erlangte Rumänien seine Birgit Meyenberg Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich 4 | Briefkopf mit Abbildung von Schloss Peleş im Karpatengebirge. Carol ließ das Schloss als Sommer- und erklärte sich 1881 zum Königreich. residenz errichten. Die rumänische Königskrone wurde aus Vorlage: Landesarchiv StAS FAS HS 1-80 T 8 Nr. 622 einer vom osmanischen Heer in der Schlacht von Plewen erbeuteten Guss- 5 | „Auf der Reise nach der Wallachei“ im Mai stahlkanone hergestellt. 1866 – Tagebucheintragungen. Mit der Erlangung der Unabhängigkeit Vorlage: Rumänisches Nationalarchiv Bukarest seines Landes erreichte Carol sicherlich C.R., Personale, Carol I, Memorii.ds.III.26 8 Archivnachrichten 52 / 2016 Europa vernetzt
„Eine sociale Revolution“ Die Judenemanzipation in Rumänien in den Briefen des Fürsten Carol I. Brief des Fürsten Carol von Rumänien an seinen Bruder, den Erbprinzen Leopold von Hohenzollern, Juni 1879. Vorlage: Landesarchiv StAS FAS HS 1-80 T 8 Nr. 580 Der Berliner Vertrag vom Juli 1878 stellte dem Fürstentum Rumänien die lang- ersehnte internationale Anerkennung als unabhängigem Staat in Aussicht. Aller- dings waren zwei Bedingungen daran ge- knüpft: Zum einen musste Rumänien den südlichen Teil Bessarabiens wieder an Russland abtreten, zum anderen for- derten die Vertragsmächte die verfassungs- mäßig verankerte Gleichberechtigung der Juden in Rumänien. So verlangte der Artikel 44 des Vertragswerks: In Rumä- nien darf der Unterschied des religiösen Glaubens und der Bekenntnisse Niemandem gegenüber geltend gemacht Die sozialen Spannungen, erhebliche mig angelegten und damit nur schwer werden als ein Grund der Ausschließung antijüdische Ressentiments in einflussrei- entzifferbaren Briefzeilen beschwerte er oder der Unfähigkeit bezüglich des Genus- chen nationalistischen, konservativen sich über den schlechten Willen in den ses der bürgerlichen und politischen Rechte, und liberalen Kreisen sowie die ungedul- parlamentarischen Kammern und die der Zulassung zu öffentlichen Diensten, dige Haltung Bismarcks setzten auch den große Unentschlossenheit der rumäni- Ämtern und Ehren oder der Ausübung der Fürsten Carol erheblich unter Druck. schen Regierung. Er selbst habe die dro- verschiedenen Berufs- und Gewerbszweige, Ganz offen brachte er seine zwiespältige hende Gefahr einer Intervention vom Aus- an welchem Orte es auch sei. Haltung in der privaten Korrespondenz lande als Schreckensbild aufgestellt, und Damit waren in erster Linie natürlich mit seinem Bruder, dem Erbprinzen Leo- trotzdem sei die Aversion gegen die Juden die jüdischen Bewohner des jungen Fürs- pold von Hohenzollern zum Ausdruck. so bedeutend, dass man so wenig wie mög- tentums gemeint. Insbesondere in der Er schrieb von der Judenemanzipation lich geben werde. Carol selbst brachte den Moldau hatte deren Anteil an der Bevöl- als einer socialen Revolution, die tief ins Juden seines Landes durchaus Wohlwol- kerung durch Zuwanderung, vor allem Staatsleben einschneidet und eine natio- len entgegen. Zu einem konsequenten aber durch eine günstige demografische nale Gefahr birgt. Der Occident befinde Eintreten für deren Gleichberechtigung Entwicklung beachtlich zugenommen. sich in einer vollen Unkenntnis in dieser fehlten ihm jedoch Mut und Durchset- Die Einbürgerung blieb den Juden aller- Angelegenheit und verlange trotzdem, zungskraft. Dessen ungeachtet fand Ru- dings nach wie vor verwehrt. Allein dass das Unmögliche möglich gemacht mänien recht bald die internationale schon die öffentliche Diskussion der werde. Bismarck fahre fort, ihn zu drang- Anerkennung. Für Rumäniens Juden frei- Emanzipationsfrage in der Verfassung- salieren und übergehe seinen, also Carols lich sollten sich erst in den zwanziger gebenden Versammlung und in der Par- diplomatischen Vertreter in Berlin geflis- Jahren des nachfolgenden Jahrhunderts lamentskommission sollte gewalttätige sentlich. Es ist dies wieder ein Mal eine grundlegende Verbesserungen ergeben. Ausschreitungen gegen Juden zur Folge Brutalität à la B[ismarck] gegen welche man haben. nicht ankämpfen kann. In teils gitterför- Franz-Josef Ziwes Europa vernetzt Archivnachrichten 52 / 2016 9
Carol I. von Rumänien Die Heiratsprojekte eines Fürsten aus dem Hause Hohenzollern-Sigmaringen Am 10. Mai 1866 wurde Carol (Karl), herrscher war Prinz Karl in die Nichte ans, Maria Alexandrovna, die noch Sohn des Titularfürsten des Hauses Ho- von Kaiser Napoleon III., Prinzessin minderjährige Tochter des Zaren Alexan- henzollern-Sigmaringen, Karl Anton, Anna Murat, verliebt. Das Heiratsprojekt der II. – eine von Bismarck ins Gespräch nach einer Volksabstimmung vom Parla- scheiterte jedoch, ebenso wie eine weitere gebrachte Option, um Russland wohl- ment in Bukarest zum Herrscher von französische Option mit Margaret de Ne- zustimmen – die Prinzessinnen Marie Rumänien (rum. domnitor al României) mours, der Enkelin des von der Revolu- und Anne Sophie von Sachsen-Weimar, proklamiert. Er stützte sich auf die dis- tion abgesetzten Königs Louis Philippe I. Marie von Holland, Thyra von Däne- krete Zustimmung von Kaiser Napoleon III. d' Orléans. Während der Berufungsver- mark und Sophie von Bayern, die Schwe- und Reichskanzler Bismarck, sah sich handlungen und der Inthronisation ster von Elisabeth (Sissi), Kaiserin von aber auch mit der offenen Ablehnung scheinen die Heiratsprojekte vorüberge- Österreich und Königin von Ungarn. durch das Osmanische Reich, Österreich hend ins Stocken geraten zu sein. Dem Gegen Ende des Jahres 1868 reduzierte und Russland konfrontiert. Mit der Be- rumänischen Landesherrscher eröffneten der Vater des Fürsten die möglichen rufung eines ausländischen Herrschers sich nun diesbezüglich neue Perspekti- Heiratspartien auf drei: mit Thyra von verfolgten die führenden rumänischen ven. In einem Schreiben vom 14. Juni Dänemark, Elisabeth zu Wied – eine als Politiker die Konsolidierung der 1859 1866 bat der Vater den Sohn inständig, zweckdienlich erachtete Partie, wenn vollzogenen Einigung der beiden Donau- sich keinen weiblichen Versuchungen, die auch ihre Familie in Rumänien wenig fürstentümer Moldau und Walachei seiner Position als Herrscher abträglich bekannt war – und eine Anwärterin aus und die Anerkennung ihrer staatlichen wären, auszusetzen. Er empfahl, den Zeit- dem Hause Coburg. Eine ebenfalls in Er- Eigenständigkeit gegenüber dem Osma- punkt der Eheschließung noch hinaus- wägung gezogene Heirat mit Hermine nischen Reich. zuzögern. von Schaumburg-Lippe scheiterte aus Der junge Prinz setzte sich schon in In den nachfolgenden Monaten kam konfessionellen Gründen: Carol war ka- den ersten Tagen nach seiner Ankunft auch Karl Anton zu der Einsicht, dass die tholisch und die streng religiös erzogene mit aller Kraft für die innere und äußere von Abgesandten der rumänischen Prinzessin protestantisch, die Kinder Konsolidierung des jungen Staates ein. Regierung mit dem russischen Kanzler wiederum mussten laut Staatsverfassung Dabei nahm er auch die Unterstützung Gortschakow besprochene Heirat mit orthodox getauft werden. seiner Familie in Anspruch, vor allem Prinzessin Eugenie von Leuchtenberg, Am 21. April 1869 verlangte Karl Anton jene seines Vaters Karl Anton, dem die einer Enkelin des Zaren, die Position des von seinem Sohn die Einwilligung, Ver- Verleihung der rumänischen Staatsbür- teils weiterhin beanstandeten jungen handlungen um die Hand Elisabeths von gerschaft und ein Parlamentssitz in Aus- Fürsten im Lande stärken könnte. Im Ver- Wied einleiten zu können, obwohl andere sicht gestellt wurden. Bis zu seinem Tod gleich mit anderen Anwärterinnen aus heiratspolitische Optionen weiterhin im Jahre 1885 war der ehemalige preu- den Häusern Bourbon-Parma, Coburg, offen blieben. Ermutigt durch den preu- ßische Ministerpräsident der wichtigste Orléans und Bayern schien diese sowohl ßischen Kronprinzen machte Carol I. Berater des rumänischen Herrschers so- aus politischen und konfessionellen – während seiner ersten Auslandsreise nach wohl in privaten als auch in öffentlichen Eugenie war der griechisch-orthodoxen der Thronbesteigung im Herbst 1869 Belangen. Er war sein privater Botschafter Konfession des Landes zugehörig – Über- Elisabeth einen Heiratsantrag. Die reli- in Preußen und bei den europäischen legungen heraus, als auch hinsichtlich giöse Trauung fand am 15. November 1869 Höfen und Regierungen. Davon zeugen des Besitzstandes, die komfortabelste in Neuwied statt. Anschließend begab die ca. 250 Briefe an seinen Sohn aus Heiratspartie zu sein. Carols wichtigste sich das Fürstenpaar nach Bukarest. Die dem reichhaltigen Archiv der königlichen europäische Protektoren, Reichskanzler Heirat mit Elisabeth erbrachte dem Lan- Familie, das im Rumänischen National- Bismarck und Kaiser Napoleon III., desfürsten zwar moralische Vorteile, aber archiv Bukarest aufbewahrt wird. setzten sich für die letztlich gescheiterte aufgrund der geringen Erbanwartschaft Die Hochzeit des bei seiner Inthronisa- russische Partie ein. der Prinzessin keine materiellen. Die tion 27 Jahre alten Fürsten Carol war Am 5. April 1868 legte Karl Anton junge Fürstenfamilie sah sich genötigt, nicht nur eine Angelegenheit des Hauses seinem Sohn das Ergebnis seiner europa- ein bescheidenes und genügsames Hof- Hohenzollern, sondern gleichsam eine weiten Brautschau vor: Therese von leben zu führen. von staatspolitischer Tragweite. Vor sei- Oldenburg, Amalie von Sachsen-Coburg, ner Berufung zum rumänischen Landes- die Prinzessinnen aus dem Hause Orlé- Ioan Drăgan 10 Archivnachrichten 52 / 2016 Europa vernetzt
1 | Carol I. von Rumänien, Fürst von Hohenzollern- Sigmaringen (ohne Datum). Vorlage: Rumänisches Nationalarchiv Bukarest BU- F-01073-2-00001-1 2 | König Carol I. und Königin Elisabeth, Holzstich von J. Wach nach einer Zeichnung, 1890. Vorlage: Rumänisches Nationalarchiv Bukarest BU- F-01073-2-02970 3 | Fürst Carol I. und Fürstin Elisabeth auf der Suche nach einem geeigneten Standort für die Som- merresidenz Schloss Peleş in Sinaia, 1872. Vorlage: Rumänisches Nationalarchiv Bukarest BU- F-01073-1-17 Europa vernetzt Archivnachrichten 52 / 2016 11
Dichtung und Wirklichkeit Zum 100. Todesjahr der ersten Königin Rumäniens 1 Die Braut, die Fürst Carol von Rumänien Die Hochzeit fand in Neuwied, der Hei- Dem Paar wurde nur eine Tochter gebo- am 15. November 1869 zum Traualtar mat der Braut, statt und wurde sowohl ren, die im Kleinkindalter starb. Den führte, war beinahe 26 Jahre alt, für die nach evangelischem wie auch katholi- Verlust des einzigen Kindes und die zahl- damalige Zeit ein recht reifes Alter. Doch schem Ritus zelebriert. Allerdings war reichen erlittenen Fehlgeburten verarbei- beide Brautleute hatten zuvor schon ei- dabei von einer Trauungsaffäre die tete Elisabeth zu Wied, seit 1881 Königin nige Eheverbindungen in Aussicht ge- Rede. Denn der Neuwieder katholische von Rumänien, in einer Vielzahl von habt. Die Braut, Elisabeth zu Wied, war Pfarrer durfte auf Weisung seines Bi- Gedichten und literarischen Werken, die sogar im Gespräch als Gemahlin für den schofs die Trauung nicht vollziehen, da sie meist unter dem Pseudonym Carmen britischen Thronfolger Edward, danach gemäß der rumänischen Verfassung, die Sylva veröffentlichte. Für ihr literarisches für dessen Bruder Alfred gewesen. Auch der aus dem katholischen Fürstenhaus Werk erhielt sie internationale Anerken- für den jungen Fürsten von Rumänien Hohenzollern stammende Fürst unter- nung, für den Aphorismenband Les war es nicht leicht, eine standesgemäße zeichnet hatte, die zu erwartenden Kin- pensées d’une reine 1888 sogar den Prix Gattin zu finden. Denn der rumänische der im orthodoxen Glauben erzogen Botta der Académie française. Neben ei- Thron galt als ein unsicherer, war doch werden sollten. Die katholische Trauung genen Werken widmete sich die Königin Carols Vorgänger drei Jahre zuvor ge- zelebrierte schließlich ein Militärgeist- Übersetzungsarbeiten. Auf literarischem stürzt worden. licher. Gebiet verband sie eine Freundschaft zu 12 Archivnachrichten 52 / 2016 Europa vernetzt
3 2 „Freude ist das Leben durch einen Sonnenstrahl hindurch gesehen.“ Carmen Sylva alias Königin Elisabeth von Rumänien (1843–1916) Kaiserin Elisabeth von Österreich. Doch sogar die Verlobung der beiden. Aller- stellte die Königin ihre literarische Arbeit dings war verfassungsgemäß eine Ehe in den Dienst der rumänischen Monar- des Thronfolgers mit einem Landeskind chie und unterstützte damit die Ziele des nicht statthaft, und so löste Ferdinand Königs, das Land zu modernisieren. Ein die Verlobung. Zwischen Königin und 1 | Königin Elisabeth von Rumänien im Jahr 1894. immer wiederkehrendes Thema in ihrem König kam es deshalb zum Zerwürfnis. Lithographie von A. J. Falcoyano. Werk ist daher Pflicht. Sie zog renom- Elisabeth verließ für drei Jahre das Land. Vorlage: Landesarchiv StAS FAS Ef 82 G mierte Künstler wie Dora Hitz, August Erst 1894, im Jahr ihrer Silberhochzeit, 2 | Gedicht „Waldvogels Lied“ der Königin Elisa- Bungert oder Pierre Loti an ihren Hof kehrte sie in ihr geliebtes Rumänien zu- beth, das sie den deutschen Gesangsvereinen und förderte junge Talente wie George rück. Mit dem Tod Carols am 10. Oktober widmete. „Prinz Waldvogel“ heißt auch eines ihrer Märchen. Enescu. 1914 endete die nicht immer einfache Vorlage: Landesarchiv StAS FAS HS 1-80 T 13 Nachdem Carols Neffe Ferdinand von Beziehung zwischen dem nüchternen Nr. 63 Hohenzollern zum Kronprinzen ernannt Staatsmann und der romantischen Dich- und nach Rumänien übergesiedelt war, terin. Elisabeth verstarb am 2. März 3 | Schreiben der rumänischen Königin Elisabeth an ihre Schwiegermutter Fürstin Josephine von Ho- versuchte Elisabeth dessen Neigung zu 1916. Beide liegen in der Kathedrale in henzollern vom 17. Februar 1899. ihrer rumänischen Ehrendame Elena Curtea de Arge begraben. Vorlage: Landesarchiv StAS FAS HS 1-80 T 8 Văcărescu zu fördern und veranlasste Birgit Meyenberg Nr. 624 Europa vernetzt Archivnachrichten 52 / 2016 13
Margarethe von Savoyen (1420–1479) und ihre Briefe Schriftkultur in europäischer Vernetzung Die europäische Vernetzung des Hauses Schreiben – die ihre Bildung, Interessen Württemberg tritt im späteren Mittel- und Weltläufigkeit demonstrieren. In alter vor allem durch seine grenzüber- diesem Briefwechsel mit über 50 ver- schreitenden dynastischen Verbindungen schiedenen Personen und Persönlichkei- hervor. Margarethe von Savoyen (1420– ten aus dem In- und Ausland begegnet 1479) als Gemahlin Graf Ulrichs V. und man unterschiedlichen Gesellschafts- Barbara Gonzaga von Mantua (1455– schichten: Margarethes Briefpartner sind 1503), Frau Graf Eberhards V., sind ebenso hohe adelige und geistliche Her- dafür als namhafte Persönlichkeiten am ren aus ihrer Umgebung, Amtmänner württembergischen Hof bekannt. Sie ste- und Diener aus der württembergischen hen nicht allein für familiäre Netzwerke, Verwaltung, wie Künstler und Gelehrte sondern auch für nachhaltigen Kultur- aus dem weiteren Umkreis. Sie korres- transfer und politische Allianzen, gerade pondierte mit wichtigen Herrschaften über die Alpen nach Oberitalien. bzw. Fürstengenossen vor allem in Im Gegensatz zu den übrigen Gräfinnen Baden, Bayern und der Pfalz, aber auch im Hause Württemberg hat sich für in Frankreich, Burgund und den italieni- Margarethe von Savoyen ein umfangrei- schen Fürstentümern Mailand, Piemont cher Briefwechsel im Hauptstaatsarchiv und Savoyen, also mit ihrer eigenen Stuttgart erhalten, der einen großartigen Familie. Sie erhielt Briefe in Deutsch, Einblick in die Schriftkultur ihrer Zeit Latein, Französisch und Italienisch. Wir bietet (Bestand A 602 Nr. 260). Margare- erfahren anhand ihrer eigenen Briefent- the, die zuvor bereits mit Ludwig III. von würfe, dass sie diese nicht nur verstand, Anjou und Kurfürst Ludwig IV. von der sondern auch beantwortet bzw. provo- Pfalz verheiratet gewesen war, hatte 1453 ziert hat. die Ehe mit Graf Ulrich V. von Württem- Bislang ist der Briefwechsel von Marga- berg geschlossen, der ebenfalls bereits rethe von Savoyen noch kaum wissen- doppelt verwitwet war. Als Tochter Her- schaftlich ausgewertet, und auch nach zog Amadeus‘ VIII. von Savoyen, der der Gegenüberlieferung ihrer Korres- als Papst Felix V. (1439–1449) Furore pondenzpartner wurde noch nicht ge- machte, entstammte Margarethe feinsten fragt. Ein neues Erschließungsprojekt, fürstlichen Kreisen; sie war eine geistig ausgerichtet an mittelalterlichen Briefen, wie künstlerisch vielseitig begabte und soll im Landesarchiv Baden-Württem- interessierte Frau. Ihre Vorliebe für Bü- berg bald den wissenschaftlichen Zugang cher und Literatur fand in prachtvollen zu dieser großartigen Überlieferung Werken, die sie in Auftrag gab und die erleichtern, wie auch die historische An- ihre kostbare Bibliothek schmückten, näherung an eine besondere Frau, die prominenten Ausdruck. spätmittelalterliche Schriftkultur in ihrer Margarethes persönliche Vernetzung, europäischen Vernetzung ganz persön- Margarethe von Savoyen (1420–1479). Ausschnitt ihre intensiven Kontakte zur internatio- lich vermitteln kann. aus einer Altartafel von Ludwig Fries, um 1472/80. Vorlage: Landesmuseum Württemberg, Inv. Nr. nalen gelehrten Welt, spiegeln ihre fast 13721 150 Briefe – eingehende wie ausgehende Peter Rückert 14 Archivnachrichten 52 / 2016 Europa vernetzt
Das Online-Findmittel zum Bestand „Württembergische Regesten“ des Haupt- staatsarchivs Stuttgart mit den Digita- lisaten der Briefe von Margarethe von Sa- voyen (Bestand A 602 Nr. 260) siehe unter: http://www.landesarchiv-bw.de/ plink/?f=1-21969. Weiterführende Literatur: Briefe aus dem Spätmittelalter. Herrschaftliche Kor- Brief des berühmten Literaten und Arztes Dr. Lud- respondenz im deutschen Südwesten. wig Steinhöwel an Margarethe von Savoyen vom 27. Mai 1474. Hg. von Peter Rückert, Nicole Bickhoff, Vorlage: Landesarchiv HStAS A 602 Nr. 260 Mark Mersiowsky. Stuttgart 2015. Europa vernetzt Archivnachrichten 52 / 2016 15
Quellen zur europäischen Vernetzung des Deutschen Ordens im Staatsarchiv Ludwigs- burg und im Netz Der vor über 800 Jahren im Heiligen Land eint, die den Orden insgesamt von sei- festgehalten, um ihre Memoria begehen gegründete Deutsche Orden hat tiefe nen Anfängen im Mittelmeerraum bis zu können. Der Eintrag zum 20. März Spuren in der Geschichte Europas hinter- ins 19. Jahrhundert betreffen. Ihr kommt gilt dem bedeutenden Hochmeister Her- lassen. Dies zeigt sich an hinterlassenen eine besondere Bedeutung zu, da sie mann von Salza, einem engen Vertrauten Bauwerken von Königsberg bis Palermo auch Stücke umfasst, die nicht mehr im Kaiser Friedrichs II. (StAL B 279 II U 1). und in seiner schriftlichen Überlieferung, Original überliefert sind. Diese und weitere Stücke von überre- die über ganz Europa verteilt ist. Um die Erforschung der Geschichte gionaler Bedeutung, die die europäische Nach dem Verlust der preußischen des international vernetzten Deutschen Verflechtung des Deutschen Ordens vor Gebiete residierte der Hoch- und Deutsch- Ordens zu fördern, hat das Staatsarchiv Augen führen, sollen die Wanderausstel- meister in Mergentheim. Von dort aus Ludwigsburg nicht nur alle einschlägigen lung des Deutschordensmuseums Bad wurde der zentralistisch organisierte Findbücher, sondern auch herausra- Mergentheim ergänzen, die im Rahmen Orden gesteuert, bis Napoleon seine Auf- gende Archivalien im Internet zur Verfü- der Heimattage Baden-Württemberg im lösung in den Rheinbundstaaten ver- gung gestellt, wie etwa 2.000 Pergament- Staatsarchiv Ludwigsburg gezeigt werden fügte. Im Mergentheimer Hauptvertrag urkunden. Auf der von ICARUS be- wird. wurde 1815 das Schicksal des an Schät- triebenen Plattform monasterium.net zen überaus reichen Mergentheimer wurden sie mit Urkunden aus dem Maria Magdalena Rückert Deutschordenshauptarchivs besiegelt, Deutschordenszentralarchiv (DOZA) dessen Bestände nach dem territorialen Wien in einer Sammlung zusammenge- Pertinenzprinzip unter den Rechtsnach- führt, die sukzessive um Bestände ande- folgern des Ordens aufgeteilt wurden. rer europäischer Archive erweitert wird. Die heute im Staatsarchiv Ludwigsburg Online einsehbar sind hier auch die aufbewahrten Unterlagen des Deutschen Ahnenproben aus dem DOZA in Wien. Ordens (630 lfd. Meter) stellen im Diese können nun im Internet mit den Wesentlichen den auf Württemberg in Ludwigsburg lagernden Stammtafeln reduzierten Rest des ehemaligen Mergent- (StAL B 241 a) verknüpft werden. 1 | Chronik des Deutschen Ordens, 1525: Wappen heimer Hauptarchivs dar. Hinzukom- Ins Netz gestellt wurden weiter Karten des letzten Hochmeisters in Preußen, Albrecht von Brandenburg. men aber auch unteilbare Akten, die sich und Pläne des Deutschen Ordens, aber Vorlage: Landesarchiv StAL B 236 Bü 106, Fol. 251v auf den Gesamtorden beziehen. Zu nen- auch Einzelstücke, an denen die interna- nen sind etwa die in Abschrift überliefer- tionale Vernetzung der Ordensritter ten General- und Balleikapitelbeschlüsse, besonders deutlich wird. Erwähnt sei 2 | Ahnenprobe des Deutschordensritters Max Josef Richard von Lützelburg, 1742. die für die Zeit vom 14. bis ins 19. Jahr- eine Chronik von 1525 (StAL B 236 Bü Vorlage: Landesarchiv StAL B 241 a Bü 27 Qu. 1r hundert vorliegen, sowie umfangreiche 106), die kolorierte Wappen der Hoch- Serien von Rechnungen und Protokollen meister bis zu Albrecht von Brandenburg der Zentralbehörden, die im 16. Jahr- enthält, der 1525 zum Luthertum über- 3 | Ergänzung des Ordenswappens durch den fran- zösischen König Ludwig den Heiligen (1214 –1270), hundert einsetzen und weit über Franken trat und damit das Ende des Ordens in Kupferstich von 1790. und Württemberg hinausweisen. Nicht Preußen besiegelte. Ein weiteres Zeugnis Vorlage: Landesarchiv StAL JL 425 Bd. 1 Qu. 1 zu vergessen ist die noch in Mergent- für seine europaweite Dimension stellt heim entstandene Sammlung Breitenbach der älteste vollständig erhaltene Nekro- 4 | Sammlung Breitenbach: Bestätigung des Rechts (StAL JL 425), die Regesten und Ab- log des Deutschen Ordens aus dem Jahr der Gebietiger in Livland zur freien Wahl eines schriften, aber auch Ausfertigungen von 1346 dar. Hier wurden die Namen der Landmeisters vom 8. Juni 1528. bedeutenden Urkunden und Akten ver- verstorbenen Mitbrüder und Wohltäter Vorlage: Landesarchiv StAL JL 425 Bd 6 Qu. 17 16 Archivnachrichten 52 / 2016 Europa vernetzt
1 2 Ausstellung Lebendiger Orden mit großer Tradition. Die Geschichte des Deutschen Ordens 1190 bis heute Öffnungszeiten 22. April – 14. August 2016 Montag bis Donnerstag 9.00 – 16.30 Uhr Freitag 9.00 – 15.30 Uhr Sonderöffnungen an den Sonntagen 1.5., 5.6., 3.7., 7.8. jeweils 14.00 – 17.00 Uhr Informationen und Anmeldung zu Führungen Landesarchiv Baden-Württemberg - Staatsarchiv Ludwigsburg - Arsenalplatz 3 71638 Ludwigsburg Telefon: 07141/186310 E-Mail: staludwigsburg@la-bw.de Internet: www.landesarchiv-bw.de/stal 3 4 Europa vernetzt Archivnachrichten 52 / 2016 17
1 2 Die Studienreisen des Ferdinand Geizkofler an die europäischen Höfe seiner Zeit im Spiegel seiner mehrsprachigen Korrespondenz Der große Wert des Geizkoflerschen Ar- Stuttgart, wurde im Alter von 18 Jahren dienst vorbereitet werden sollte. Zu chivs im Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL auf Reisen geschickt, um an den europäi- seinen täglichen Studien gehörten neben B 90) für die allgemeine Reichs- bzw. schen Höfen seiner Zeit Kontakte zu den Sprachen Unterweisungen in Ge- Reichsfinanzgeschichte der ersten Hälfte knüpfen und diplomatische Umgangs- schichte, Jura und Festungsbau sowie des 17. Jahrhunderts ist gemeinhin be- formen und sprachliche Gewandtheit zu Übungen im Fechten. Vor allem aber kannt. Über die europäische Vernetzung erlernen. Um letztere unter Beweis zu gibt die Korrespondenz Einblicke in das der Familie des Zacharias Geizkofler stellen, schrieb er seinem Vater vom Leben an den verschiedenen europäi- geben jedoch nicht nur seine Geschäfts- 19. April 1611 bis zum 14. April 1612 schen Höfen aus der Perspektive des jun- bücher und Schriftwechsel mit Handels- wöchentlich Briefe, die er abwechselnd gen Reisenden. Sein Reiseweg führte ihn firmen, geistlichen und weltlichen in verschiedenen Sprachen abfassen von April bis Oktober 1611 über Stutt- Herrschaften von Warschau bis Venedig musste. Überliefert sind von ihm 24 la- gart, Heidelberg, Frankfurt und Köln an beredt Auskunft, sondern auch ein teinische, neun französische, acht italie- den Düsseldorfer Hof. Nach Abstechern Konvolut von 47 Briefen. Diese sandte nische und sechs spanische Briefe. Hin- nach Westfalen erreichte er am 19. Juni sein einziger Sohn von seinen Studien- gegen bediente sich sein Hofmeister und Amsterdam und bereiste zwei Wochen reisen an den Vater in Haunsheim. Lehrer Dominikus Orth nur der deut- lang die Niederlande. Anschließend trat Ferdinand Geizkofler (1592–1653), der schen Sprache. er nach wetterbedingten Verzögerungen spätere Hofkanzleidirektor und Statthal- Die Briefe beleuchten die Erziehung von Calais aus die sieben Stunden dau- ter des württembergischen Herzogs in des jungen Mannes, der auf den Staats- ernde Überfahrt nach England an. Nach 18 Archivnachrichten 52 / 2016 Europa vernetzt
3 5 4 einem einmonatigen Aufenthalt in Lon- Jagdleidenschaft des Sohnes der Maria 1–5 | Briefe Ferdinand Geizkoflers an seinen Vater don und Umgebung durfte er weiter Stuart – sondern auch über aktuelle Er- Zacharias Geizkofler. Alle Vorlagen: Landesarchiv StAL B 90 Bü 3552 nach Schottland reisen, wo er sich eines eignisse. So beschreibt er die Folgen des Dolmetschers bediente. Mitte Oktober Kalmarkrieges für den dänischen König war er zurück in Brüssel, um ein halbes oder die Landung von sechs Indienfah- Jahr lang seine Studien fortzusetzen. rern mit unermesslichen Reichtümern in Ausgestattet mit Empfehlungsschreiben den Niederlanden. Unterkunft boten nicht nur des Vaters, der mit zahlreichen in der Regel die Geschäftspartner des Va- Herrschern, wie z. B. Wolfgang Wilhelm ters, Handelsfirmen oder Bankhäuser, von Pfalz-Neuburg, Finanzgeschäfte bei denen auch die benötigten Reisemit- getätigt hatte, sprach Ferdinand an den tel hinterlegt wurden. Die nicht nur in jeweiligen Höfen, etwa bei König Jakob kulturgeschichtlicher Hinsicht interes- von England, vor und wurde direkt oder santen Briefe des Ferdinand Geizkofler Weiterführende Literatur: nach längeren Wartezeiten vorgelassen. (StAL B 90 Bü 3552–3553) zeigen auf Karl Otto Müller: Ferdinand Geizkoflers Er berichtet nicht nur über die Unter- eindrückliche Weise, wie die Netzwerke Studienreise nach den Niederlanden und schiede im Zeremoniell und in der Gast- des ehemaligen Reichspfennigmeisters England in den Jahren 1611/12. In: freundschaft – Austerität am Stuttgarter, über ganz Europa funktionierten. Besondere Beilage des Staats-Anzeigers für Überfluss am Heidelberger Hof oder die Maria Magdalena Rückert Württemberg 1 (1922) S. 1–14. Europa vernetzt Archivnachrichten 52 / 2016 19
Das Gemäldekabinett und die Korrespondenz der Markgräfin Karoline Luise von Baden (1723–1783) gehen online Die Markgräfin Karoline Luise von im Großherzoglichen Familienarchiv des luise.la-bw.de). Diese Präsentation ist auf Baden war womöglich die am besten in- Hauses Baden im Generallandesarchiv die wissenschaftlichen Bedürfnisse der formierte Fürstin des 18. Jahrhunderts – Karlsruhe liegt. Er enthält ungefähr Nutzer abgestimmt und wurde durch das zumindest auf dem Gebiet der Kunst. 10.000 Briefe, von und an Karoline Luise, Landesarchiv Baden-Württemberg pro- Sie unterhielt in ganz Europa ein Netz samt ihren Aufzeichnungen und ver- grammiert. Die Website bietet vielfältige von Agenten, die sie mit Katalogen von schiedenen gesammelten Schriftstücken. Zugriffsmöglichkeiten in übersichtlicher Sammlungen, Stichfolgen, kunstästhe- Dieses gesamte Konvolut konnte mit Form und eine sehr differenzierte Such- tischer Literatur und allerhand Informa- Geldern der Stiftung Kulturgut Baden- funktionalität. tionen zu Sammlern und deren Samm- Württemberg digitalisiert werden. Der schöne Nebeneffekt für Historiker lungen versorgten. Mit diesem reichen Alle Bände mit Schriftstücken, die mit jeglicher Couleur ist, dass gerade in der Wissensschatz ausgerüstet baute sie sich dem Kunstverständnis der Fürstin in Zu- Korrespondenz nicht nur kunsthistorische mithilfe ihrer Agenten innerhalb weniger sammenhang stehen, wurden in einer Themen traktiert, sondern auch viele Jahre ein aus 205 Gemälden bestehendes webbasierten Datenbankanwendung ver- andere Bereiche berührt werden. Beispiels- Malereikabinett auf. Dieses sollte später zeichnet und mit den Gemälden aus der weise finden sich darin auch die Brief- den Grundstock für die Staatliche Kunst- Kunsthalle in Beziehung gesetzt und wechsel mit solch illustren Gelehrten wie halle Karlsruhe bilden. verknüpft. Die aufgenommenen Perso- Voltaire (1694–1778), Carl von Linné Diesen Zusammenhängen widmete nen wurden auch durch Schlagworte (1707–1778) oder Johann Daniel Schöp- sich ein zweijähriges Forschungsprojekt – erfasst und diese – soweit möglich – mit flin (1694–1771). Die weiteren bereits eine Kooperation des Generallandes- den zugehörigen Nummern der Ge- gescannten Bände dieses so reichen archivs Karlsruhe, der Staatlichen Kunst- meinsamen Normdatei (GND) der Nachlasses sollen nach und nach in den halle Karlsruhe und der Università della Deutschen Nationalbibliothek versehen. Katalog des Landesarchivs eingespeist Svizzera italiana in Mendrisio, gefördert Unter dem Titel Karoline Luise von werden. von der VolkswagenStiftung in Hanno- Baden – Kunst und Korrespondenz wer- ver. Als Grundlage für die angestrengten den all diese Informationen in einer Forschungen diente der aus 154 Bänden Internetpräsentation der Öffentlichkeit Thomas Fricke bestehende Nachlass der Markgräfin, der zugänglich gemacht (www.karoline- Thorsten Huthwelker Johann Georg Wille (1715–1808): Beurteilung der Erwerbungswünsche aus der Sammlung des Comte de Vence, Autograf, 1760. Vorlage: Landesarchiv GLAK FA 5 A Corr 96, 78 (Eigentum des Hauses Baden) 20 Archivnachrichten 52 / 2016 Europa vernetzt
Unterwegs in Europa Adelsnetzwerke am Beispiel der katholischen Linie der Löwenstein-Wertheimer Schloss Fischhorn im Pinzgau/Österreich. Das Schloss aus dem Besitz der Gemahlin des Fürsten Karl Heinrich zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, Sophie geb. Prinzessin von und zu Liechtenstein wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im neugotischen Stil umgebaut. Nach einem Brand 1920 erfolgte sein Wiederaufbau in wesentlich schlichteren Formen. Vorlage: Landesarchiv StAWt-A 61 Nr. 726 Die Mobilität war vor allem beim Adel ren 1857/58 unternahm, bevor er die die der Zentralverwaltung in Wertheim schon früh stark ausgeprägt. Nur so Pflichten eines Fürsten übernahm. Vor unterstand. Jedoch schon im 18. Jahr- ließen sich die Besitzungen, die zum Teil allem in Rom, einem Drehpunkt der hundert gab es erste Bestrebungen, der in den unterschiedlichsten Gegenden damaligen besseren Gesellschaft, traf er anfänglichen Gutsverwaltung mehr Ver- Europas lagen, verwalten und beaufsich- Bekannte und lernte über sie wieder antwortung zu überlassen. Dies führte tigen. Im Mittelalter kam dazu die Not- neue Leute kennen. ab 1855/56 zur Einrichtung einer eige- wendigkeit, im Rahmen des Lehenswesens Auch für Verwandtschaftsbesuche nen Zentralverwaltung. Zusammen mit an den verschiedenen Feldzügen teil- begab man sich auf Reisen, die ins euro- deren Überlieferung blieben auch Akten zunehmen oder auch bei Gerichtstagen päische Ausland führten. Da gab es Ver- aus Wertheim bis 1945 in Haid. Nach anwesend zu sein. wandte in England, Österreich, Böhmen dem Kriegsende mussten die ehemaligen Als es im 18. Jahrhundert üblich wurde, und Frankreich zu besuchen. Diese Ver- Besitzer in Begleitung ihrer Bediensteten Bildungsreisen oder Kavaliersreisen zu bindungen waren meist durch Eheschlie- das Land verlassen. Das Schriftgut blieb unternehmen, waren auch Angehörige ßungen zustande gekommen. Die Nähe vor Ort und wurde nach Klattau, einer der Familie Löwenstein-Wertheim- der katholischen Linie zum Kaiserhof in Dependance des Staatsarchivs Pilsen ge- Rosenberg dabei. Vornehmlich die künf- Wien führte zu einer intensiven Reisetä- bracht. Über den dortigen Bestand Zen- tigen regierenden Grafen und Fürsten tigkeit vor allem in diese Richtung. Dort tralverwaltung der Löwensteinischen wurden an fremde Höfe in ganz Europa konnte man seinen Geschäften und Ver- Güter in Böhmen mit 125,4 lfd. Meter gesandt, um ihren Horizont zu erweitern gnügungen nachgehen. wurde im Jahr 1963 ein Inventar in und Bekanntschaften zu knüpfen, die Ein absolutes Muss waren allerdings tschechischer Sprache verfasst. sie später pflegen und weiter verwenden die Reisen zu den verschiedenen Gütern. Last but not least dürfen an dieser konnten. Eine reine Bildungsreise nach Diese lagen u.a. im heutigen Belgien, in Stelle nicht die europäischen und außer- Holland unternahm Erbprinz Constan- Frankreich, Österreich und dem heutigen europäischen Reisen vergessen werden, tin zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg Tschechien. Die in Böhmen liegenden die drei Generationen des Hauses Lö- im Jahr 1819 in Begleitung seines Vaters. Güter waren seit 1712 nach und nach wenstein im Rahmen ihres Engagements Von ihr liegt ein Tagebuch vor, das in durch Ankauf und Erbschaft in den Be- für den Laienkatholizismus unternahmen Form einer Edition nachgelesen werden sitz der Familie gelangt. Bleiben wir bei und die zu interessanten Verbindungen kann. Ebenfalls ein Reisetagebuch gibt es diesem Beispiel. Für die umfangreichen führten. von der Fahrt über Italien in den Orient, Güterkomplexe um Weseritz und Haid die sein Sohn Karl Heinrich in den Jah- gab es anfangs eine Lokalverwaltung, Martina Heine Europa vernetzt Archivnachrichten 52 / 2016 21
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