Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo

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Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo
3 | 2015
 Das Schweizer Logistikmagazin

CEO-Talk:
Bernhard Bihr,
Bosch
                                    Zukunft
Engineering S. 18
                                    Schiene
                                 Vom intelligenten Güterwagen
                                    zum digital vernetzten
                                       Transportsystem.
Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo
Cargo 3 / 2015

                                                  4     Automatisierung bei SBB Cargo
                               7                        Nächster Halt:
                                                        intelligenter Güterwagen

                                                  7     Stefano Riboni, Logistikdozent in Lausanne
                                                        «Für mich ist Wertschöpfung
                                                        der zentrale Punkt»

                                                  10    Schwerpunkt
                                                        Big Data für das Big Business

                                                  17    SpeedyShop
                                                        Schneller einkaufen dank
                                                        Migros, Post und SBB

                                                  18    CEO-Talk
                                                        Bernhard Bihr, CEO Bosch Engineering

                                                  22    Zoll-Reportage
                                                        Grenzerfahrung mit
                                                        Computer und Papiertiger

                                                  26    Fokus Gotthard
                                                        ETCS 2 – schneller, sicherer
                                                        und wirtschaftlicher
           22                                     28    Schotter
                                                        Unterwegs mit neuen Technologien

                                                  29    Das Objekt
                                                        Gut verkuppelt

                                                  30    Meine Logistik
                                                        Anita Jehli, Musikerin und Dirigentin

                                                  Impressum

                                                  Das Logistikmagazin von SBB Cargo erscheint dreimal pro Jahr in Deutsch,
                                                  Französisch und Italienisch.

                                                  Gesamtauflage: 7800 Exemplare Redaktion SBB Cargo: Pavo Prskalo (Leitung),
                                                  Miriam Wassmer, Matthias Widmer Redaktion Crafft: Roy Spring (Leitung),
                                                  Kristina Morf, Pirmin Schilliger, Susanne Wagner, Robert Wildi Konzept, Gestaltung
                                                  und Realisation: Crafft Kommunikation AG, Zürich Übersetzungen: Traductor,
                                                  Basel Lithografie und Druck: Neidhart + Schön AG, Zürich Redaktionsadresse:
                                                  SBB Cargo, «Redaktion Logistikmagazin cargo», Bahnhofstrasse 12, 4600 Olten,
                                                  cargomagazin@sbbcargo.com.

                                                  Das Copyright liegt bei SBB Cargo. Der Abdruck von Artikeln ist
                                                  mit Quellenangabe erlaubt. Bitte schicken Sie uns ein Belegexemplar.

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Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo
Editorial

                                                                             Daten, Daten, Daten
                                                                             K       ilobytes, Megabytes, Gigabytes,
                                                                                     Tera­bytes, Petabytes – die Welt von
                                                                                     heute steckt voller Informationen.
                                                                             Schier unvorstellbare Massen von Daten
                                                                             werden täglich gesammelt. Im Vorteil ist,
                                                                                                                             D       ass die Digitalisierung noch nicht
                                                                                                                                     ganz alle Bereiche durchdrungen
                                                                                                                                     hat, zeigt unsere Reportage vom
                                                                                                                             Rangierbahnhof Limmattal in Dietikon, wo
                                                                                                                             jeden Tag ein Containerzug verzollt wird
                                                                             wer sie schnell aufbereiten und effizient       (Seite 22). Kaum zu glauben: Hier spielen
                                                                             nutzen kann. Das Schlagwort unserer Zeit:       Sammelmappen, Stempel und Papierstapel
                                                                             Big Data.                                       nach wie vor eine zentrale Rolle.

                                                                            W           as hat das mit Schienengüter­
                                                                                        verkehr zu tun? SBB Cargo
                                                                                        arbeitet daran, die Logistik auf
                                                                             der Schiene zu digitalisieren und zu
                                                                             ein­em vernetzten Transportsystem auszu-
                                                                                                                             Ich wünsche Ihnen viel Spass bei der
                                                                                                                             Lektüre.

                                                                                                                             Pavo Prskalo
                                                                                                                             Leiter Kommunikation a. i.
                                                                             bauen. Wie genau wir den «intelligenten         pavo.prskalo@sbbcargo.com
                                                                             Güterwagen» schaffen wollen, lesen Sie ab
                                                                             Seite 4. Und im CEO-Talk (Seite 18) dis­
                                                                             kutieren SBB-Cargo-Chef Nicolas Perrin
                                                                             und Bosch-Engineering-Chef Bernhard
                                                                             Bihr über die Zukunft der Mobilität.

                                                                            W            enn sich das Jahr dem Ende
                                                                                         nähert, herrscht in der Logistik-
                                                                                         branche Hochsaison. Welche
Cover: Jürg Waldmeier / Fotos: Lea Kloos; Marvin Zilm; Crafft

                                                                             enormen Herausforderungen dann gemeis-
                                                                             tert werden, erfahren Sie in der Titelge-
                                                                             schichte «Big Data für das Big Business»
                                                                             (Seite 10). Unter anderem haben wir das
                                                                             hochmoderne Verteilzentrum von Manor
                                                                             in Hochdorf LU besucht, wo das Unter­
                                                                             nehmen täglich mittels Computer- und
                                                                             Robotertechnologie bis zu 90 000 Bestel-
                                                                             lungen verarbeitet und ausliefert.

                                                                SBB Cargo 3 | 2015                                                                                               3
Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo
Aktuell

        Position
               Position

Türkontakt                                         Erschütterung
      Türkontakt                                         Erschütterung

        Bremse                               Feuchtigkeit
              Bremse                                Feuchtigkeit

                                Nächster
                          Temperatur
                                Temperatur

                            Halt: intelligenter
                              Güterwagen
                         SBB Cargo erprobt in einer Automatisierungsoffensive
                   den Schienengüterverkehr der Zukunft. Eine zentrale Rolle spielt der
                       «intelligente Güterwagen», der eines Tages vielleicht sogar
                                       selbstständig unterwegs ist.
                                                                     Text: Pirmin Schilliger
                                                                       Illustration: 1kilo

4                                                                                             SBB Cargo 3 | 2015
Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo
befindet», so Anja-Maria Sonntag, «und er schlägt bei
                                                                         einem unvorhergesehenen Ereignis sofort Alarm.» Mit
                                                                         der implementierten Sensorik wird der Güterwagen
                                                                         also zum digitalen und intelligenten Transportvehikel,
                                                                         zum virtuellen Kommunikator und Botschafter.

                                                                         Komplette Nachverfolgbarkeit der Waren
                                                                         Im Moment ist das Zukunftsmusik. SBB Cargo spielt
                                                                         das Szenario derzeit im Rahmen des Projekts «Intelli-
                                                                         genter Güterwagen» durch, zusammen mit verschie-
                                                                         denen Systemanbietern, unter anderem Bosch Engi-
                                                                         neering und PJM. «In der aktuellen Pilotphase geht es
                                                                         darum, die Vor- und Nachteile der einzelnen Systeme
                                                                         zu vergleichen und die Möglichkeiten auszuloten, die
                                                                         sich aus der neuen Technik für den Schienengüterver-
                                                                         kehr ergeben», sagt Christian Schmidt, Asset Intelli-
                                                                         gence SBB Cargo. Neben dem oben skizzierten Bei-
                                                                         spiel mit der Kontrolle der Kühlkette sind vom
                                                                         intelligenten Güterwagen allerhand weitere Leistun-

            E
                                                                         gen zu erwarten. «Ein wichtiges Ziel ist es, dass
                       in Kühlwagen rollt mit einer Ladung Lebens-       wir das Bedürfnis unserer Kunden nach umfassender
                       mittel von Antwerpen in die Schweiz. Unter-       Information abdecken können», sagt Anja-Maria
                       wegs versagt plötzlich das Kühlsystem. Der        Sonntag. Ein wesentlicher Wunsch der Kunden sei es
                       Ausfall wird erst bei der Ankunft am Bestim-      etwa, jederzeit zu wissen, wo sich ihre Warensendung
             mungsort entdeckt. Verdorbene Ware also! Dieses             gerade befindet und ob sie pünktlich ankommt.
             Schadenszenario ist zum Glück selten. Bald einmal           Diese Nachverfolgbarkeit bietet SBB Cargo zwar
             dürfte es sogar definitiv passé sein – dank intelligenter   bereits heute an. «Allerdings werden die für
             Güterwagen. «Derzeit rüsten wir bei SBB Cargo 150           dieses Track & Trace notwendigen Informationen
             Kühlwagen entsprechend auf», sagt Anja-Maria Sonn-          bislang vergleichsweise umständlich über Dritte er-
             tag, Projektleiterin Automation bei SBB Cargo. Jeder        zeugt und nicht vom Güterwagen selbst geliefert»,
             einzelne Wagen wird mit Sensoren und einem GPS be-          sagt Schmidt.
             stückt. Die In­strumente ermitteln Temperatur, Feuch-           Es ist kein Geheimnis, dass der Schienengüterver-
             tigkeit, Erschütterung und Position des Wagens. Über        kehrs betreffend Automation und Digitalisierung ge-
             Mobilfunk senden sie die Daten an einen zentralen Ser-      genüber den bereits gut vernetzten LKWs stark unter
             ver. Von dort können die Messreihen analysiert, ausge-      Zugzwang geraten ist. «Ohne intelligente Güter­wagen
             wertet und mittels Algorithmen in nützliche Informa­        können wir künftig am Markt nicht bestehen», sagt
             tionen verwandelt werden. Diese stehen dann für             Schmidt. Klar ist auch, dass sich damit für den Schie-
             verschiedene Arbeitsprozesse entlang der Logistik­kette     nengüterverkehr viele neue Möglichkeiten eröffnen.
                   via Internetportal oder Apps zur Verfügung. Mit       Mittels Automation werden die langen und schweren
                         vielfältigem Nutzen: «Zum Beispiel lässt        Züge beweglicher und klüger – und somit zukunfts­
                               sich der Güterwagen so ständig über-      fähig und fit für den Wettbewerb. Patrick Sorg, Asset
                                    wachen, egal, wo er sich gerade      Intelligence SBB Cargo, nennt weitere Vorteile: >

SBB Cargo 3 | 2015                                                                                                               5
Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo
Aktuell

          «Die Stosssensoren registrieren ruppige Rangierma-         tisch auf die Schliche kommen», sagt Patrick Sorg.
          növer und melden uns heftige Erschütterungen, die          Sensorik und Kameras sollen in Zukunft auch
          Wagen oder Ladung beschädigen könnten.» Ausser-            sicherheitsrelevante Daten erfassen und so die Arbeit
          dem liessen sich mit Hilfe von Wiege­sensoren, die am      der technischen Kontrolleure unterstützen und den
          Drehgestell gemessen werden, Überladungen verhin-          Schienengüterverkehr ständig überwachen.
          dern. «Die Wagen können so optimaler ausgelastet                Ein drittes Projekt im Team Automation läuft un-
          werden», so Sorg, «die Bedingung ist allerdings, dass      ter dem Stichwort «Mobile Devices». Es knüpft beim
          die Informationen in die gesamte computergesteuerte        Umstand an, dass sämtliche Mitarbeitenden von SBB
          Logistikkette einfliessen.»                                Cargo und auch der gesamten SBB bereits heute mit
              Die im Güterwagen erfassten Daten zu Tempe­            mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets aus-
          ratur, Laufleistung oder Beladungszustand erlauben         gerüstet sind. Damit konnten Arbeitsschritte digita­
          es also, Schienentransporte über die kommunizieren-        lisiert werden, die zuvor auf Papier stattfanden. Eine
          den Systeme nahtlos zu verfolgen und zu überwa-            Vision lautet, die Transportkette so zu vernetzen,
          chen. Überdies lassen sich viele Zusatzinformationen       dass in Zukunft alle mit allen kommunizieren kön-
          ableiten, die zum Beispiel für eine kilometer- und zu-     nen: der Disponent mit dem Lokführer, der Lokführer
          standsabhängige Planung der Wartung, für allfällige        mit dem Rangierarbeiter, der Rangierarbeiter mit
          Schadenabrechnungen oder für zusätzliche techni-           dem Güterwagen, der Güterwagen mit dem Dis­
          sche Kontrollen nützlich sind. Was der intelligente        ponenten. Die Voraussetzung ist, die ungezähmte
          Güterwagen eines Tages vielleicht sonst noch alles zu      Datenflut in attraktive Informationen zu verwandeln,
          leisten vermag, ist offen. In der aktuellen Projekt- und   sinnvolle Ereignisse abzuleiten und praktische An-
          Studienphase wird ausgiebig experimentiert und             wendungen zu entwickeln.
          getestet. Das Ziel jedoch ist klar definiert: Der Schie-        Ein weiteres Projekt betrifft die Modernisierung
          nengüterverkehr soll effizienter werden.                   des Rangierbetriebs, zum Beispiel mittels automati-
                                                                     scher Bremsprobe und Kupplung. Ein erster Pilot­
          Digitalisierung und Automation                             betrieb der automatischen Bremsprobe konnte bereits
          Der «intelligente Güterwagen» ist nur eines von fünf       erfolgreich absolviert werden.
          Teilprojekten einer bereichsübergreifenden Automa-              Anja-Maria Sonntag räumt ein, dass im Moment
          tisierungsoffensive von SBB Cargo. Ein weiteres Pro-       im Rahmen des Projekts Automation viele Ideen
          jekt betrifft die «wegseitige Intelligenz». Hierbei wer-   einfach einmal ausprobiert würden. «Was wir dann
          den Rangierbahnhöfe mit Kameras ausgestattet, die          definitiv umsetzen, wird sich im Praxistest heraus-
          unter anderem die Zugnummer erkennen und eine              kristallisieren.» Sicher ist, dass die systematische Da-
          visuelle Kontrolle der Fahrzeuge ermöglichen. Auch         tenauswertung Prozessoptimierungen und Effizienz-
          die umfassenden Daten, die bereits heute von den           steigerungen ermöglicht. Dies wiederum verspricht
          Zugskontrolleinrichtungen entlang der Strecken er-         Wettbewerbsvorteile und neue Erkenntnisse über die
          fasst werden, können zukünftig noch intelligenter ge-      Funktionsweise von Logistikketten. «Unsere Trans-
          nutzt werden. So sollen Schäden und Pannen unter-          porte werden garantiert schneller, pünktlicher und
          wegs künftig noch besser und schneller detektiert          zuverlässiger», sagt Anja-Maria Sonntag.
          werden. «Wir wollen den Zwischenfällen, die unsere
          technischen Kontrolleure heute noch mittels aufwen-
          diger Inspektion vor Ort aufdecken, künftig automa-

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Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo
Interview

             «Für mich ist
             Wertschöpfung der
             zentrale Punkt»
             Alle reden von Big Data. Viele Unternehmen haben Angst,
             den Trend zu verschlafen. Welchen Nutzen kann die
             Transport- und Logistikbranche aus Massendaten ziehen?
             Antworten von Stefano Riboni, Lehrbeauftragter
             am Management- und Logistikinstitut (IML) in Lausanne.
             Text: Hans Müller
             Fotografie: Lea Kloos

SBB Cargo 3 | 2015                                                            7
Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo
Interviewk

                                                    Die vier «V» von Big Data
                                              Im Zusammenhang mit Big Data ist oft vom
                                                 «3V-Model» die Rede. Am Lausanner
                                               Management- und Logistikinstitut (IML)
                                               kommt ein viertes «V» dazu. Nachfolgend
                                                  die Bedeutung der Erfolgsfaktoren.
Herr Riboni, Big Data ist das Schlag­                                                      vor, die aus Informationen besteht, die das
wort der 2010er Jahre. Um was geht es                                                      Unternehmen seit unterdessen 15 Jahren
genau?                                                            V                        intensiv über seine Kunden sammelt.
Gegen Ende des 20. und zu Beginn des                 Volume — die Datenmenge:
21. Jahrhunderts hatten die meisten Un-       Bis 2020 werden voraussichtlich 40 Zetta-    Mit Amazon ist der Versandhändler
ternehmen das Problem, dass sie eigent-           bytes (43 Trillionen Gigabytes) an       selbst zum Logistiker und Spediteur
lich über zu wenig Informationen verfüg-       neuen Daten erfasst – 300 Mal mehr als      geworden. Ist der Onlinehändler ein
ten. Der Trend entwickelte sich daher in        in den letzten 10 Jahren! Viele Unter­     Pionier auf dem Gebiet von Big Data?
Richtung Datensammeln. Dazu wurde mit           nehmen verfügen bereits über grosse        Tatsächlich waren die ersten Unterneh-
Strichcodes, RFID-Lesegeräten und Com-        Mengen an archivierten Daten, sind aber      men, die im grossen Stil Daten sammel-
puterprogrammen ein ständig wachsen-           nicht in der Lage, sie gezielt zu nutzen.   ten, grosse Handelsunternehmen. Die
des Volumen an Daten erfasst. Seit einigen                                                 Vorreiterrolle nimmt hier allerdings die
Jahren sieht die Lage jedoch anders aus:                                                   US-Supermarktkette Walmart ein, die be-
Aufgrund der Möglichkeiten, die das In-                           V                        reits Ende der siebziger Jahre seine Ge-
ternet und die IT-Systeme heute bieten,            Velocity — die Geschwindigkeit:         schäfte mit elektronischen Kassen aus-
ist der Datenbestand so stark angewach-           Unternehmen, die Informationen           stattete. Die Analyse der Kassenzettel gab
sen, dass statt Informationsmangel schon      schneller analysieren können als die Kon-    unter anderem Aufschluss darüber, wel-
fast ein Datenüberfluss besteht. Jetzt ste-      kurrenz, haben einen Wettbewerbs-         che Waren die Kunden, die zum Beispiel
hen wir vor dem Problem, wie wir diese          vorteil. Im Zeitalter des Internets und    Milch kauften, sonst noch in den Ein-
Datenmengen nutzbar machen und zur             der zunehmenden Mobilität gewinnt die       kaufswagen legten. Mit anderen Worten:
Wertschöpfung verwenden können.                  Geschwindigkeit, mit welcher Daten        Die Datenflut an der Kasse erlaubte es, das
                                               erfasst und ausgewertet werden, immer       Kaufverhalten der Kunden zu analysieren.
Wo liegt das Problem?                                     mehr an Bedeutung.
Big Data wird in der Wissenschaft häufig                                                   Wo liegt der Unterschied zwischen
mit dem «3V-Model» charakterisiert. Die                                                    Big Data und den früher genutzten
drei «V» stehen dabei für «Volume», die                           V                        Strategien?
Datenmenge; für «Velocity», die Ge-                     Variety — die Vielfalt:            Die EDV-Instrumente sind im Prinzip
schwindigkeit, mit der die Daten erfasst       Ein Merkmal von Big Data ist, dass die      dieselben geblieben, sie sind nur immer
und verfügbar gemacht werden; und für           Quelldaten zunächst chaotisch sind.        leistungsfähiger geworden. Walmart war
«Variety», die grosse Bandbreite an unter-       Sie stammen von unterschiedlicher         auch das erste Unternehmen, das bereits
schiedlichen Daten. Manche fügen ein          Software, aus sozialen Netzwerken, von       Ende der achtziger Jahre ein «Data
viertes «V» hinzu, nämlich «Value», das          Kameras oder von Messgeräten. Je          Warehouse» einrichtete; diese Datenbank
für den Wert von Big Data steht. Für mich     effizienter sie in strukturierte Informa­    wurde vor allem für das Berichtswesen
ist die Wertschöpfung der zentrale Punkt.     tionen umgesetzt werden können, desto        und die Geschäftsanalyse benutzt. In den
Die Datenerfassung an sich hat noch gar          grosser ist der Vorteil von Big Data.     1990er Jahren hiess das «Business Intelli-
keinen Wert; erst die Verarbeitung der                                                     gence» – und heute nennt man es «Big
Informationen und die Transformation in                                                    Data».
Wissen erlaubt es, die Prozesse im Unter-                         V
nehmen zu planen und zu optimieren.                  Value — die Wertschöpfung             Bei Handelsunternehmen leuchtet das
                                                Zusätzlich zu den «3V» geht es immer       ein. Doch nehmen wir einen multi­
Neu ist also die aktive Nutzung               mehr darum, welche konkreten Ziele das       nationalen Speditionskonzern wie DHL
der gesammelten Daten?                            Unternehmen mit der Analyse von          oder ein Schweizer Transportunter­
Ja, genau. Für viele Unternehmen gehört       Massendaten anstrebt. Mit zunehmender        nehmen wie SBB Cargo: Welchen Wert
heute die kommerzielle Nutzung von Mas-         Wertschöpfung steigt die Bedeutung         haben Massendaten bei Industrie-,
sendaten zum Geschäftsmodell. Zum Bei-        von Big Data – und die einstige IT-Diszip-   Logistik- oder Transportunternehmen?
spiel Facebook: Der immense Wert, den           lin wird zur Chefsache auf operativer      Alle Global Player wie DHL oder Fedex,
das soziale Netzwerk heute hat, basiert           Ebene (Front Office Digitization).       die Transport- und Logistikdienstleistun-
ausschliesslich auf den gesammelten                                                        gen aus einer Hand anbieten, stehen vor
Daten seiner Nutzer. Oder wer heute die                                                    dem Problem, dass das Volumen der ihnen
Website von Amazon besucht, findet eine                                                    zur Verfügung stehenden Daten extrem
hochgradig personalisierte Umgebung                                                        schnell wächst. Zudem liegen die Daten

8                                                                                                                    SBB Cargo 3 | 2015
Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo
                                                                                                                                                Rubrik

                                                                                                       Art der Ladung, die sie transportieren.
                                                                                                       Das erlaubt es, die Ladekapazität besser
                                                                                                       auszunutzen. Die bereits archivierten
                                                                                                       Daten geben Antwort auf Fragen wie: Wo
                                                                                                       befinden sich unsere Kunden, welche Art
                                                                                                       von Gütern transportieren wir für sie,
                                                                                                       welches sind die Ausgangs- und Endpunk-
                                                                                                       te der Transporte, und mit welcher Häu-
                                                                                                       figkeit erfolgen sie? Die archivierten Daten
                                                                                                       erlauben auch eine Analyse von «Custo-
                                                                                                       mer Experience» oder «Customer Satis-
                                                                                                       faction»: Mit welchen Verspätungen
                                                                                                       mussten Kunden im Schnitt rechnen? Ver-
                                                                                                       lieren wir Kunden aus bestimmten Bran-
Odyssea-Gebäude, Sitz des Management- und Logistikinstituts (IML) auf dem Campus der Eidgenössischen   chen oder an bestimmten Standorten?
Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL).
                                                                                                       Haben sich das Sendungsaufkommen und
                                                                                                       die Güterkategorie geändert? Die Antwort
                                                                                                       auf diese Fragen ermöglicht es, die Dienst-
                                                                                                       leistung permanent an die Kundenbedürf-
selbst in immer vielfältigeren Formen vor.          Ansätze der Datensammlung                          nisse anzupassen.
Alle LKW und bald auch die «intelligenten           und -analyse notwendig werden?
Güterwagen» verfügen über eine Mobil­-              Wie bereits erwähnt sehe ich keine klar            Wohin wird uns Big Data in den
funkanbindung, über die eine Fülle unter-           definierte Grenze zwischen Big Data und            ­nächsten Jahren führen?
schiedlicher Daten in Echtzeit an die Zen-          etwa Business Intelligence. Das Problem             Die Verlässlichkeit von Prognosen ist ein
tralen übermittelt werden. Zwei Aspekte             war und ist immer dasselbe: Wie nutze ich           Hauptanliegen. Big Data ermöglicht es,
spielen dabei eine Rolle: erstens die ope­          grosse unstrukturierte Datenmengen, die             genau diesen Aspekt zu verbessern. Doch
rationellen Informationen wie die Loka­-            sich zudem schnell verändern, für ein               da Prognosen ja immer Prognosen blei-
lisierung von Fahrzeugen, Waggons, Pa-              besseres Verständnis meines Geschäfts?              ben, muss die Reaktionsfähigkeit in den
letten oder Kunden. In diesem Bereich                                                                   Unternehmen ebenfalls verbessert wer-
haben die Unternehmen in den letzten 15             Wo sehen Sie Ansätze, wie ein Trans­                den: Ein Unternehmen muss so schnell
Jahren gewaltige Fortschritte gemacht.              port- und Logistikanbieter von Big Data             wie möglich reagieren können, wenn die
Zweitens der Blick in die Zukunft, der es           profitieren kann?                                   Prognosen von der Wirklichkeit abwei-
ermöglicht, die zukünftigen Kunden­                 Ich habe den Eindruck, dass die Datennut-           chen. Vorhersage und Reaktionsfähigkeit
bedürfnisse besser abzuschätzen und die             zung in dieser Branche oft noch auf einer           werden sich also immer in einem Span-
notwendigen technischen und personel-               sehr operativen Ebene erfolgt. Eine Analy-          nungsfeld befinden.
len Voraussetzungen zu ihrer Befriedi-              se bereits vorhandener Informationen wie
gung zu schaffen. Eine Untersuchung, die            auch der Daten, die Auskunft über Kun-
von Capgemini Consulting durchgeführt               denbedürfnisse und die Effizienz der Be-
wurde, belegt aber, dass heute erst 30              triebsabläufe geben, könnte helfen, einen
Prozent der Transportunternehmen – von              besseren Überblick über den Ist-Zustand
der einfachen Spedition bis zum firmen­             sowie präzisere Prognosen über die Ge-
externen Logistikanbieter – Big-Data-               schäftsentwicklung zu erhalten.
Technologien nutzen oder dabei sind, sie
zu implementieren. Immerhin sind 50                 An welche Art von Informationen
                                                                                                       Stefano Riboni unterrichtet seit 15 Jahren am
Prozent dabei, Überlegungen anzustellen,            und Daten denken Sie dabei?
                                                                                                       Management- und Logistikinstitut (IML) an
welchen Nutzen sie generell aus Big Data            Zu unterscheiden sind Daten, die in Echt-          der Eidgenössischen Technischen Hochschule in
ziehen könnten.                                     zeit erhoben werden können, und solche,            Lausanne (EPFL). Daneben hat er einen Lehr­-
                                                    die bereits archiviert sind. Um beim Bei-          auftrag an der Hochschule für Ingenieurwesen
                                                                                                       und Betriebswirtschaft des Kantons Waadt
Gibt es einen Punkt, an dem die her­                spiel von SBB Cargo zu bleiben: Zu den
                                                                                                       (HEIG-VD) in Yverdon. Als unabhängiger Berater
kömmlichen IT-Strukturen nicht mehr                 Ersteren gehören die Aufenthaltsorte der           ist er zudem Ansprechpartner für Firmen,
ausreichen und somit völlig neue                    Waggons, ihr Beladungsszustand oder die            die ihre Informa­tionssysteme optimieren wollen.

SBB Cargo 3 | 2015                                                                                                                                       9
Zukunft Schiene CEO-Talk: Bernhard Bihr, Bosch - Engineering S. 18 - SBB Cargo
Foto: Hans Musterann
Schwerpunkt

         Nur dank Automatisierung und Digitalisierung
         ist es möglich, den wachsenden Ansprüchen
         des Markts an den Warenfluss auch unter
         Extrembedingungen gerecht zu werden. Ein
         Bericht über die Hauptsaison am Jahresende.

                         Big Data für
                       das Big Business                       Text: Robi Wildi
                                                       Illustrationen: David & Paul

Von links naht Nummer 61 – plötzlich       übersehbar. 82 Roboter auf Rädern sind        Kommis­sionierplätze – nach Rayon oder
biegt sie rechtwinklig ab. Nummer 18       hier am Werk. Jede Bewegung ihrer Cho-        Warengruppe getrennt, bereit für die
stoppt gerade noch rechtzeitig und         reografie scheint präzise einstudiert. Wie    ter­min­gerechte Auslieferung in eine von
düst nach hinten weg. Um ein Haar          Figuren auf einem dreidimen­       sionalen   schweizweit 64 Manor-Filialen.
hätte es geknallt, glaubt der Besucher.    Schachbrett verschieben sie sich emsig in
«Keine Angst», beruhigt Oliver Koch,       alle Himmelsrichtungen. Und anders als         «Minions» oder Lego?
    Leiter Manor Verteilzentrale           Auto­scooter auf einer Chilbi kommen sie      Sieben Millionen Franken hat der gröss­-
          Hochdorf, «ein Crash ist aus-    stets elegant aneinander vorbei.              te Schweizer Warenhauskonzern vergan­
          geschlossen.» Seine Faszina-         Die nummerierten künstlichen Ge­          genes Jahr in die Autostore-Lösung der
          tion für das vollauto­matische   hirne, die auf der riesigen Anlage hin und    Herstellerfirma Swisslog investiert. Mit
          Kleinteile­
                    lager im Logistik-     her manövrieren, koordinieren nicht we-       dieser Anlage werden die Flexibilität und
          und Verteilzentrum der Ma-       niger als 28 000 Behälter. Jedes einzelne     die Wettbewerbsfähigkeit der Manor
          nor AG in Hochdorf ist un-       Produkt landet an einem der neun              Supply Chain weiter erhöht und wird >

         SBB Cargo 3 | 2015                                                                                                   11
Schwerpunkt

der Standort Hochdorf nachhaltig ge-                                                         damit es in der Hochsaison nicht zu Eng-
stärkt. Die Inbetriebnahme ist im vierten                                                    pässen kommt. «Bis am 1. November soll-
Quartal 2014 erfolgt.                                                                        ten uns alle Kunden jeweils auf elektro-
    «Der immer knapper werdende Raum                                                         nischem Weg über ihre Bedürf­      nisse
kann optimaler genutzt werden. Mit dieser                                                    informieren», sagt Thomas Schneider, zu-
skalierbaren Anlage können zudem in der                                                      ständiger Solution-Manager bei SBB Car-
Zukunft weitere potenzielle Warenflüsse                                                      go. Innerhalb eines Monats werden die
von Direktlieferanten über die Verteilzent-                                                  Daten verarbeitet und ab Anfang Dezem-
rale Hochdorf abgewickelt werden, was zu-                                                    ber die entsprechenden Trassen, Loks und
sätzliche Optimierungen betrieblicher Ab-                                                    das Lokpersonal gebucht. «Kurzfristige
läufe ermöglicht», re­sümiert Koch.                                                          Anpassungen und Spezialwünsche ge­
    Die Perfektionierung der Wertschöp-                                                      hören vor allem in den zwei Wochen vor
fungs- und Lieferkette (Supply Chain) ge-            Oliver Koch, Leiter Manor               den Festtagen zum Standard», erklärt
hört für Manor zum Kerngeschäft. Nicht               Verteilzentrale Hochdorf                Schneider.
weniger als eine Million verschiedener Ar-
tikel von mehr als 6000 Lieferanten müs-                                                     Tischbomben für die Silvesterparty
sen Tag für Tag in der bestellten Menge           «Der immer knapper                         Zum Kreis der Kunden gehören auch Lo-
und zum bestimmten Zeitpunkt im richti-             werdende Raum                            gistikanbieter und Transporteure wie die
gen Verkaufsregal stehen.                                                                    Teilhaber der Cargo Domizil AG (CDS).
    Der Einkauf erfolgt stets über das Ma-       kann optimaler genutzt                      «In den Wochen vor Weihnachten erhal-
nor-Headquarter in Basel, wo Planungs-                  werden.»                             ten wir neben dem Volumen unserer
profis die erforderlichen Mengen jedes                                                       Stammkunden auch Transportaufträge
Produkts ordern und je nach Absatz­                                                          von Lieferanten, die wegen zu geringer
erwartung an die Verteilzentren in Hoch-      auf eine der Plattformen in Fernost liefert.   Eigenressourcen auf uns zurückgreifen»,
dorf und Möhlin liefern. Die Krux dabei       Mit Hilfe der Speditionspartnerin Panal-       erklärt CDS-Geschäftsführer Ueli Re-
ist, dass sich oft erst kurzfristig heraus-   pina kann Manor alle sensiblen und             mund. Es komme in dieser Phase nicht
stellt, was in der Hauptsaison der Renner     relevanten Daten auf der gesamten Liefer-      selten vor, dass man von SBB Cargo innert
sein wird: Sind es etwa die neuen             kette online verfolgen.                        ein bis zwei Stunden zusätzliches Rollma-
«Minions»-Figuren des weltweit erfolg-            Damit sämtliche Produkte termin­           terial benötige.
reichen Trickfilms, ein Mini-Elektro-         gerecht im Verkaufsregal stehen, ist eine          Im normalen Tages­geschäft verarbei-
fahrzeug oder doch die neuste Star-Wars-      reibungslos funktionierende Transport-         ten die Cargo Domizil Partner in ihren
Kollektion von Lego?                          logistik notwendig. Bei Manor in Hoch-         schweizweit über 20 Bahnzentren durch-
                                              dorf werden 40 bis 45 Prozent der zwi-         schnittlich rund 300 Bahnwagen pro
Per Bahn in die Lagerhalle                    schengelagerten Artikel per Bahn verteilt.     Nacht. In der Vorweihnachtszeit sind es
Wird – wie im Fall von Manor – der Auto-      Die Regionen Tessin, Ostschweiz, Grau-         fünf bis zehn Prozent mehr. Viele dieser
matisierungsgrad erhöht, bleibt das nicht     bünden, Wallis und Winterthur werden           zusätzlichen Frachten sind gefüllt mit Un-
ohne Auswirkungen auf die gesamte Lie-        mit Rollmaterial von SBB Cargo bedient.        terhaltungselektronik, Wein und Süssig-
ferkette. Im konkreten Beispiel konnten       Zwei Schienenanschlüsse führen in Hoch-        keiten, aber auch mit Feuerwerk und
die Warenlager des Detailhändlers mar-        dorf direkt in die Lagerhalle. Für das         Tischbomben für die Silvesterparty. Ein-
kant verkleinert werden. Dies wiederum        Weihnachtsgeschäft vereinbaren Manor           fach mit allem, ausser lebenden Tieren,
hat dazu geführt, dass die Lieferanten den    und SBB Cargo jeweils schon Monate im          Kühl- und Tiefkühlgut oder Gütern, die
Lagerbestand immer häufiger selbst steu-      Voraus einen genauen Tourenplan. Dieser        wegen Transportvorschriften nicht auf
ern; im Fachjargon spricht man von Ven-       beinhaltet – für den Fall der Fälle – auch     Bahnwagen transportiert werden dürfen.
dor Managed Inventory (VMI). So sind          die Bereitstellung von Zusatzkapazitäten.          Den Trend, Warenlager heute bedarfs­
zum Beispiel Firmen wie Lego, Mattel, Ra-     «Besonders im Vorfeld der Sonntagsver-         abhängig von den Lieferanten zu bewirt-
vensburg oder Playmobil laufend elektro-      käufe im Dezember darf hinsichtlich            schaften, beobachtet Remund bei fast al-
nisch über die Verkaufszahlen von Manor       Transportvolumen nichts schieflaufen»,         len Kunden der Cargo-Domizil-Partner.
informiert und können so proaktiv kalku-      so Koch.                                       «Als Folge des Vendor Managed Inventory
lieren. Dabei behält Manor jederzeit den                                                     müssen wir viel mehr kleinere Sendungen
Überblick. Das beginnt schon, wenn zum        Spezialwünsche sind Standard                   durchführen und die Ware just in time
Beispiel ein chinesischer Lieferant Ware      Eine frühzeitige Planung ist entscheidend,     ausliefern», sagt er. Dazu sei eine per- >

12                                                                                                                    SBB Cargo 3 | 2015
70 000 Tonnen Schokolade werden
                                             in der Schweiz j­ährlich ­abgesetzt.

                                                                    CARGO DOMIZIL AG

                                                                «Grössere­
                                                          ­Verkehrsaufkommen
                                                             auf der Schiene»

                                                              Welches ist die grösste
                                                          ­Herausforderung der Logistik
                                                                im Cargo-Geschäft?
                                                            Ueli Remund: «Die Einhaltung
                                                         der Fahrpläne bei immer grösserem
                                                             Verkehrsaufkommen auf der
                                                                      Schiene.»

                                                           Welches ist für Sie die Vision
                                                                 für die Logistik?
                                                            «Intelligente Bahn­wagen und
                                                                  führerlose Loks.»

                                                            Wie lautet Ihr persönliches
                                                                      Motto?
                                                            «Jeder Tag ist neu, mach das
                                                                  Beste aus ihm.»

                                                          Ueli Remund, Geschäftsführer
Foto: Hans Musterann

                                                                 Cargo Domizil AG
                                                          «Falls bei einem Kunden Produk­
                                                         tionsprobleme auftreten, kommt es
                                                           sehr schnell zu Terminverzöge­
                                                         rungen innerhalb der Lieferkette.»

                       SBB Cargo 3 | 2015                                                    13
14 000 Produkte bietet Möbel Pfister
in seinem Online-Shop an.

14                                    SBB Cargo 3 | 2015
Schwerpunkt

manente Kommunikation nötig, die eine           portkette eingehalten wurde», sagt Re-                MÖBEL PFISTER AG
vollständige Transparenz da­r über gewähr-      mund. Solche Güter werden aber durch
leiste, wo und wann wie viel von welcher        die Cargo-Domizil-Partner mit speziellen      «Optimale Verzahnung
Ware bei welcher Temperatur bewegt wer-         Fahrzeugen auf der Strasse ausgeführt.
den muss.                                           Den Weg der kontinuierlichen Digitali-      der Distributions-
                                                sierung der Lieferkette geht auch Möbel       und Kommunikations-
Digitale Aufrüstung                             Pfister AG. Der Möbelhändler bildet seine
Die Kehrseite der bedarfsoptimierten Pro-       Geschäftsprozesse vom Einkauf über das               kanäle»
duktions- und Lieferlogistik ist ihre hohe      Liefer- und Transportwesen bis hin zum
Anfälligkeit bei unvorhersehbaren Ausfäl-       Verkauf seit Jahren mit einem ERP-System
len. «Falls bei einem Kunden Produktions-       von SAP ab. ERP steht für «Enterprise
probleme auftreten, kommt es sehr schnell       Resource Planning» und ist ein gross ange-         Welches ist die grösste
zu Terminverzögerungen, die sich inner-         legtes Computersystem, das verschiedene        ­Herausforderung der Logistik
halb der Lieferkette direkt auf unsere                                                               im Möbelgeschäft?
Dienstleistung auswirken», erklärt Ueli                                                          Thomas Zeder: «Die optimale
Remund. Cargo Domizil müsse dann mit              Dank technologischer                        Verzahnung der Distributions- und
noch schnelleren Lieferfrequenzen kom-
pensieren, was wiederum den Bedarf an
                                                Fortschritte erwarten viele                   Kommunikationskanäle im Rahmen
                                                                                                 der Umsetzung unserer Cross-
kurzfristig verfügbarem Rollmaterial er-            Kunden eine genaue                                Channel-Strategie.»
höhe. Dies erhöhe wiederum den Druck               ­Sendungsverfolgung.
auf SBB Cargo. Remund: «Ereignet sich bei                                                       Welches ist für Sie die Vision
SBB Cargo eine Panne, sind die Auswir-                                                                für die Logistik?
     kungen auf unser Tagesgeschäft auf-        IT-Anwendungen miteinander verknüpft                «Logistics on demand –
          grund der eng getakteten Fahr-        und in einer zentralen Datenbank spei-        optimal vernetzte Kanäle, massge-
              pläne viel grösser als noch       chert. «In Kombination mit dem angebun-         schneidert, flexibel und schnell.
              vor fünf bis zehn Jahren.»        denen Lagerverwaltungssystem ist unser        Der Einsatz von Technologie sichert
                  Um einerseits die Fehler­     ERP-System die Basis für eine hohe Integ-       die Wettbewerbsfähigkeit durch
              quote zu minimieren und an-       ration sämtlicher Unternehmensprozesse»,       konsequente Effizienzsteigerung.»
              derseits den steigenden An-       sagt Thomas Zeder, Leiter Logistik und
              sprüchen der Kundschaft in        Mitglied der Geschäftsleitung bei Pfister.      Wie lautet Ihr persönliches
              Bezug auf eine intelligente       Für den Datenaustausch mit den Lieferan-                  Motto?
              Supply Chain gerecht zu           ten hat das Unternehmen vor rund zehn          «‹Carpe diem› – nutze den Tag.»
              werden, haben die Cargo-          Jahren ein eigenes Lieferantenpor­        -
              Domizil-Partner in den ver-       tal entwickelt, das ebenfalls über Schnitt-
              gan­genen Jahren sehr viel in     stellen zum ERP verfügt.
              die digitale Aufrüstung ihrer
              Transportlogistik investiert.     Pionier im kombinierten Verkehr
              Dank technologischer Fort-        Auch bei Pfister sind die logistischen Her-
              schritte erwarten viele Kun-      ausforderungen in Spitzenzeiten wie der
              den mittlerweile eine ge-         Gartensaison, bei allgemeinen Sortiments-
              naue Sendungsverfolgung           wechseln oder im Weihnachtsgeschäft be-
              vom Abgangsort bis zum Em-        sonders anspruchsvoll. «Die Verkaufs- und
              pfänger, das sogenannte Tra-      Liefermengen weichen in solchen Perioden
              cking. «Gerade wenn es um         rund zehn Prozent vom Alltagsgeschäft
              hei­k le Transportgüter geht,     ab», sagt Zeder. Als Pionier im kombinier-
              die einen gewissen Tempera­       ten Verkehr nutzt Pfister bereits seit 1974    Thomas Zeder, Leiter Logistik
              turbereich nicht über- oder       das Bahn-Container-System zur Beliefe-                Möbel Pfister AG
              unterschreiten dürfen, will der   rung von dezentralen Logistikstützpunk-        «Die Verkaufs- und Liefermengen
              Kunde jederzeit sicher sein,      ten. Es werden Wagen eingesetzt, die               weichen in Spitzenzeiten
              dass dieser Tem­pe­raturbereich   mit speziellen Aufnahmesystemen für die       um rund zehn Prozent vom Alltags-
              während der ganzen Trans-         Pfister-Container aus­gerüstet sind.      >              geschäft ab.»

SBB Cargo 3 | 2015                                                                                                                 15
Schwerpunkt

                  MANOR AG
                                            Gerade im Endjahresgeschäft wird die           cremes oder Jasskartensets bepackt wer-
                                            Aufgabe auch für den Transportpartner          den. Bei Manor ist man von der Anlage so
            Topmoderne                      SBB Cargo höchst anspruchsvoll und hei-        begeistert, dass 2016 das gleiche Modell,
                                            kel. «Im Vergleich zu anderen Kunden           sogar noch etwas grösser, auch im zweiten
           Verteilzentrale                  mit kleineren Produkten hält sich die An-      Verteilzentrum im aargauischen Möhlin
            in Hochdorf                     zahl unserer Vorweihnachtslieferungen          installiert wird.
                                            für Pfister einigermassen in Grenzen», er-
                                                                                           tiny.cc/manor
                                            klärt Thomas Zeder. Umso wichtiger sei         Video: Einblick in die Manor-Verteilzentrale
                                            es, die Transporte von Sofas, Bücher­    -
               Facts & Figures:             gestellen und Glastischen trotz generell
          Mit ihren 64 Warenhäusern         hoher Festtagsbelastung mit einer Top­
        beschäftigt die Manor AG in der     qualität und ohne Beschädigungen durch-
      Schweiz rund 10 400 Mitarbeitende.    zuführen. Falls doch etwas kaputtgehe,
       Im Bereich Supply Chain sind 600     seien gerade im hochpreisigen Möbel­
      Mitarbeitende dafür verantwortlich,   bereich die Einbussen in dieser Periode
         dass über eine Million Artikel     immens, weil vor Weihnachten kaum
         (Textil, Hardgoods, Food) von      Ersatzwagen zur rechtzeitigen Ausliefe-
      weltweit mehr als 6000 Lieferanten    rung der nachbestellten Ware zur Verfü-
      ihren Weg in die Regale der Manor-    gung stünden.
             Warenhäuser finden.
                                            Mehr Roboter
            Inbetriebnahme der              Wie Pfister will auch Manor in der Trans-
         Verteilanlage in Hochdorf:         portlogistik künftig sogar noch stärker
                  Ende 2014                 auf die Schiene setzen. «Es ist Teil unserer
                                            Strategie, tendenziell immer mehr
       Gesamtkosten der Investition:        Güter mit der Bahn zu tran­      s­
           7 Millionen Franken              portie­ren»,    erklärt   Rainer
                                                                                                                  430 Millionen Franken
                                            Deutschmann, Direktor
                                                                                                                  beträgt der Jahresumsatz
                Lagerfläche:                Sup­ply Chain und Mitglied                                            der Parfümbranche in der
            80 000 Quadratmeter             der Geschäftsleitung bei                                              Schweiz.
                                            der Warenhauskette. Allein
       Anteil Schienengüterverkehr:         im Rahmen der diesjähri-
       40 bis 45 Prozent der gelagerten     gen Weihnachtspromotio-
       Artikel werden per Bahn verteilt.    nen Baumschmuck, Par-
                                            füm und Spielwaren
                 Personal:                  rollen aus den Manor-
           200 Festangestellte und          Verteilzentren 160
         50 temporäre Mitarbeitende         Bahnwagen, gefüllt
                                            mit rund 5500 Pa-
                                            letten, in Rich-
                                            tung der Filialen.
                                                Mit an Bord
                                            sind in Hochdorf
                                            auch die vielen
                                            tausend Behälter,
                                            die seit gut einem
                                            Jahr von den Robo-
                                            tern durch das voll-
                                            automa­tische Kleinteile­
                                            lager geschleust und dort
                                            mit Radiergummis, Hand-

16                                                                                                                          SBB Cargo 3 | 2015
INNOVATION                                                                                  Ist der SpeedyShop Spitzenzeiten wie
                                                                                                                      Rushhours und Feiertagen gewachsen?
                          «SpeedyShop»: Schneller einkaufen                                                           Wir haben entsprechende Lasttests mit
                                                                                                                      umfangreichen Testszenarien auf der
                          dank Migros, Post und SBB                                                                   E-Commerce-Plattform durchgeführt. So
                                                                                                                      konnten bereits Optimierungen vorge-
                          Interview: Robi Wildi                                                                       nommen werden, die den SpeedyShop
                                                                                                                      für jegliche Situation wappnen. Als zusätz­
                                                                                                                      liches Steuerungselement für den Notfall
                                                                                                                      kann Migros Bestellungen in kürzeren
                                                                                                                     ­Abständen bearbeiten.

                                                                                                                     Die Pilotphase dauert neun Monate.
                                                                                                                     Was kommt dann?
                                                                                                                     Den Testlauf führen wir mit Lebensmit-
                                                                                                                     teln, Haushaltsprodukten und Hygiene­
                                                                                                                     artikeln von Migros und den My-Post-
                                                                                                                     24-Automaten der Post durch. In weiteren
                                                                                                                     Testphasen ist die Einbindung von zusätz-
                                                                                                                     lichen Dienstleistungen rund um den
                                                                                                                     Bahnhof wie z. B. Park & Rail geplant. Es
                                                                                                                     sollen auch innovative Abholarten wie
                                                                                                                     ein Kofferraumservice oder neue Zah-
                                                                                                                     lungsoptionen dazukommen. Das Ziel al-
                                                                                                                     ler Partner lautet, so viele Erkenntnisse
                                                                                                                     wie möglich zu erlangen, um den SBB
                                                                                                                     SpeedyShop auch an weiteren Bahnhöfen
                                                                                                                     an­bieten zu können.

                          SpeedyShop im Hauptbahnhof Zürich.

                          Wann ist die Idee für den SpeedyShop         Entscheidend ist die Kommunikation zwi-
                          entstanden?                                  schen der E-Commerce-Plattform SBB
                          Die Idee «Click and Collect» war bei SBB     SpeedyShop und dem Lagerhaltungssys-
                          Immobilien schon vor etwa zehn Jahren        tem der Migros. Ebenso wichtig ist die
                          im Gespräch. 2013 wurden erste Abklä-        konsequente Überprüfung der Verfügbar-
                          rungen zu einer möglichen Umsetzung          keit der Abholfächer von My Post 24. Der
                          getätigt. Mit der Kombination aus elektro-   Standort der Ware respektive ein mög-
                          nischer Einkaufsplattform und physischer     lichst kurzer Anlieferweg vom Lager zum
                          Abholung nutzen wir das Wachstums­           Abholungsort ist eine weitere Erfolgs­
                          potenzial im digitalen Handel und verei-     komponente.
                          nen langfristig die Leistungen und Ange-
                          bote rund um den Bahnhof on- und offline.    Wo liegen die Schnittstellen bei Daten­
                                                                       fluss und Logistik?
                          Welches waren die Knackpunkte?               Sobald der Kunde beim SpeedyShop seine
                          Die grösste Herausforderung liegt in der     Bestellung getätigt hat, wird ein Rüstauf-
                          Komplexität der verschiedenen IT-Sys­        trag an das System der Migros gesendet.
                          teme. Diese mussten so harmonisiert wer-     Parallel dazu werden ein oder mehrere
                          den, dass zwischen Bestellung und Ab­        Fächer im System My Post 24 für den ge-
                          holung durch den Kunden nicht mehr als       wählten Abholzeitraum reserviert. Der
                          30 Minuten verstreichen. Wir haben diese     Migros-Mitarbeitende rüstet die Ware
                          logistischen und technischen Herausfor-      und legt die Bestellung ein. Sobald dies
            Hofer / NZZ
      Hans Musterann

                          derungen gemeistert und konnten wie ge-      erfolgt ist, wird der Kunde informiert. Zu-
                          plant am 1. September 2015 starten.          dem werden bei jeder Bestellung Stamm-
                                                                                                                     Sabine Deinhofer (39) ist seit Anfang 2015
                                                                       und Logistik­daten zwischen den Syste-
Foto: Karin

                                                                                                                     Projektleiterin E-Commerce und Innovations­
                          Worauf kommt es an, damit der Kunde          men der SBB, der Migros und der Post          management bei der SBB in Bern. Sie ist die
                          nicht vor einer leeren Box steht?            ausgetauscht.                                 Gesamtleiterin des Projekts SBB SpeedyShop.

                          SBB Cargo 3 | 2015                                                                                                                      17
CEO-Talk

                        «Wir sind unterwegs
                         zum elektrifizierten,
                        automatisierten und
Bernhard Bihr
                         vernetzten Fahren.»

                «Die Eisenbahn
                braucht dringend
                Impulse für den
                Schritt ins digitale
                Zeitalter.»
                                                                                Nicolas Perrin

                    Intelligente Güterwagen und selbstfahrende Rangierloks:
            Welche Chancen bieten neue Technologien für den Schienengüterverkehr?
                  Gespräch zwischen Bosch-Engineering-Chef Bernhard Bihr
                                                                                                    Foto: Hans Musterann

             und Nicolas Perrin, CEO von SBB Cargo, über die Mobilität der Zukunft.
                                          Interview: Roy Spring

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Herr Perrin, sind Sie ein Internet-                                                           unseren Kunden möglichst früh die Vor-
                       Junkie?                                                                                       teile bringen. Zum Beispiel, dass sie mit
                       NICOLAS PERRIN: Junkie nicht, aber Hea-                                                       dem Güterwagen direkt über die Beladung
                       vy User. Ich arbeite seit einiger Zeit ohne                                                   oder den Standort kommunizieren kön-
                       Büro und Papier, dafür mit dem iPad. Ge-                                                      nen. Das schafft Mehrwert. Unsere Kun-
                       schäftlich wie privat geht ohne Internet
                                                                               «Automatisierung                      den haben sich offen gezeigt, dies im Preis
                       gar nichts mehr. Aber wie jedes Werkzeug               kann die Effizienz                     zu berücksichtigen.
                       muss man es auch mal weglegen können.
                       Ein Förster läuft ja in seiner Freizeit auch
                                                                              deutlich steigern.»                    Vor wenigen Wochen sorgte der erste
                       nicht dauernd mit der Kettensäge herum.                                                       selbstlenkende LKW für Schlagzeilen.
                                                                                                                     Müssen wir uns so die Zukunft im
                       Herr Bihr, wie stark hat die Digitalisie­                                                     Verkehr vorstellen?
                       rung der letzten Jahre Ihr Leben               dem Weg zum automatisierten Fahren             BIHR: Ich glaube schon. Speziell im Bereich
                       beruflich und auch privat beeinflusst?         liegt die Fahrerassistenz. Damit schaffen      Nutzfahrzeuge, in dem Lenkzeiten und
                       BERNHARD BIHR: Die Digitalisierung hat         wir den Übergang vom teil- zum hochauto-       die Sicherheit eine grosse Rolle spielen, er-
                       in den letzten Jahren zu einer extremen        matisierten Fahren. Das steigert den Kom-      höht bereits eine Teilautomatisierung so-
                       Beschleunigung aller Vorgänge geführt.         fort und vor allem die Sicherheit. Vernetz-    wohl den Komfort als auch die Sicherheit.
                       Wo früher ein Brief verschickt wurde und       tes Fahren bedeutet, dass jede Komponente
                       eine Antwort mehrere Tage oder Wochen          im Fahrzeug eine eigene Internetadresse
                       dauerte, geht heute alles innerhalb von        bekommt, denn für die Entwicklung der
                       Minuten. Ständig erreichbar zu sein, sehe      Mobilität von morgen ist das Internet eine       «Was noch fehlt, ist
                       ich dabei nicht als Belastung. Wenn ich        wesentliche Voraussetzung und führt zu
                       nicht erreichbar sein möchte, liegt das        einem wachsenden Servicegeschäft. Dazu           die Innovationskraft
                       Handy in der Schublade. Gerade privat          gehören Dienstleistungen für das Flotten-        der Branche.»
                       schätze ich es, für meine drei Kinder, die     management und die Vernetzung von ver-
                       nicht mehr zu Hause wohnen, jederzeit er-      schiedenen Verkehrsträgern – vom Pkw bis
                       reichbar zu sein. Wir kommunizieren di-        hin zu Bahnanwendungen.
                       rekter und spontaner. Das gefällt mir.                                                        Wo sehen Sie die grössten Probleme im
                                                                      Was war die Motivation für die Koope­          Verkehr – insbesondere beim Güterver­
                       In Ihren internationalen Projektbüros          ration von SBB Cargo mit Bosch Engi­           kehr?
                       wird an der Zukunft der Mobilität              neering?                                       PERRIN: Weil die Ansprüche an die Le-
                       getüftelt. Welches sind die wesentlichen       PERRIN: Die Eisenbahn braucht dringend         bensqualität steigen, wird man das Haupt-
                       Trends, die uns bevorstehen?                   Impulse für den Schritt ins digitale Zeital-   verkehrsnetz in den Ballungsräumen in
                                                                      ter. Im Gegensatz zur Strasse kommt die        den nächsten Jahrzehnten nicht mehr we-
                                                                      Initiative leider nicht von der Zulieferin-    sentlich ausbauen können. Dies obwohl
                                                                      dustrie. Wir haben deshalb die Sache           die Nachfrage weiter wächst. Das heisst,
                         «Wir kommunizieren                           selbst an die Hand genommen und Part-          wir müssen die bestehenden Verkehrsträ-
                                                                      ner ausserhalb der Bahnwelt gesucht. Da-       ger besser nutzen. Der Wettbewerbsvor-
                         direkter und sponta-                         bei hatten wir das Glück, auf einen ande-      teil liegt bei dem System, das die Kapazi-
                         ner. Das gefällt mir.»                       ren Suchenden zu treffen. Bosch hat            tät rascher erhöhen kann. Die Bahn hat
                                                                      Technologien, ist aber im Bahngeschäft         hier physische Vorteile, da sie spurgeführt
                                                                      nicht verankert. So entstehen konstrukti-      ist. Was aber noch fehlt, ist die Innova­
                                                                      ve Partnerschaften!                            tionskraft der Branche.
                       BIHR:   Bosch ist auf drei Entwicklungspfa-                                                   BIHR: Das Hauptproblem sehe ich in der
                       den unterwegs zum elektrifizierten, auto-      Was bringt die Digitalisierung den             Verkehrsdichte und bei der Menge an
Foto: Hans Musterann

                       matisierten und vernetzten Fahren. Elek­       Kunden? Sind sie bereit, für innovative        Lkws. Man hat heute auf der Autobahn oft
                       trifiziert bedeutet dabei nicht nur            Zusatzleistungen einen höheren                 den Eindruck, die rechte Spur sei ein Gü-
                       elektrische Antriebe, sondern im Zusam-        Transportpreis zu bezahlen?                    terzug – nur eben nicht auf Schienen. Bei
                       menspiel mit der Elektromobilität wird der     PERRIN: Die Digitalisierung ist ein indus­     weiter steigendem Verkehrsaufkommen
                       Verbrennungsmotor noch effizienter. Auf        trieller Entwicklungsschritt. Wir wollen       wäre es eine Lösung, wenn insbeson- >

                       SBB Cargo 3 | 2015                                                                                                                     19
CEO-Talk

dere längere Distanzen auf der Schiene
zurückgelegt würden, um die Strassen zu       BOSCH ENGINEERING
entlasten. Eine Automatisierung kann
hier die Effizienz deutlich steigern.
                                              Bosch Engineering mit Sitz in Abstatt bei Stuttgart ist Teil
                                              der global tätigen Bosch-Gruppe, die mit ihren rund 440
Handarbeit und Wagenschmiere sind
aber bei der Bahn noch immer Alltag.          Tochter- und Regionalgesellschaften rund 360 000 Mitarbeiten-
Muss man sich vom nostalgischen Bild          de in 60 Ländern beschäftigt.
der Eisenbähnler verabschieden?
PERRIN: Vom Eisenbahner werden wir            Über 2000 Mitarbeitende an 14 Standorten in 9 Ländern,
uns nicht verabschieden, unbedingt aber       darunter Japan, Nordamerika, Frankreich, Österreich, China,
vom nostalgischen Eindruck. Der intelli-      Brasilien, Grossbritannien und Italien, machen Bosch
gente Güterwagen und die autonom fah-
                                              Engineering zum führenden Entwicklungsdienstleister der
rende Rangierlok werden unsere Prozesse
                                              Mobilitätsindustrie.
stark verändern. Das ist eine spannende
Entwicklung, bei der wir vorne mit dabei
sein wollen.                                  Mehr als 800 Kundenprojekte setzt Bosch Engineering als
                                              Experte für intelligente Fort­bewegung pro Jahr um – sei es für
Bosch Engineering ist mit Entwicklun­         Bagger, Schiffe, Flugzeuge oder Schienenfahrzeuge.
gen für die globale Automobilindustrie
und auch im Motorsport tätig. Die             1400 Entwickler der zentralen Forschungsabteilung sowie
Eisenbahn gilt hingegen nicht unbedingt
                                              unzählige weitere Kollegen innerhalb des Gesamtkonzerns
als das fortschrittlichste Verkehrsmittel.
                                              arbeiten eng vernetzt mit Bosch Engineering zusammen.
Was reizt Sie daran?
BIHR: In ihren Anfängen war die Eisen-
bahn das fortschrittlichste Verkehrsmittel
überhaupt, und heute hat sie ein enormes
Entwicklungspotenzial. Die Digitalisie-
rung bietet eine grosse Chance, sowohl
ihre Effizienz als auch ihre Attraktivität
deutlich zu erhöhen.

Wo sehen Sie die grössten Entwicklungs­
potenziale?
PERRIN: Sicher beim Güterwagen. Hier
wurden Entwicklungen verpasst, teilweise
auch wegen der Uneinigkeit in der europä-
ischen Zusammenarbeit. Wenn ich mit
Herrn Bihr und seinem Team spreche, be-
stätigt sich, dass wir dank Digitalisierung
etliche Entwicklungsschritte übersprin-
gen können. Automatisierung, Telematik
                                              Digitalisierung auf der Schiene: Der Güterwagen wird zum vernetzten und intelligenten
und Big Data: das sind grosse Chancen, um
                                              Transportmittel.
effizierter zu werden und sowohl die Si-
cherheit als auch die Qualität zu steigern.
BIHR: Mit Innovationen aus der Automo-
biltechnik können auch auf der Schiene
Unfälle verhindert oder zumindest in ih-
rer Schwere reduziert werden. Ich denke
                                                                                                                                                  Foto: Bosch

dabei etwa an Bahnübergänge oder an
Gleisbaustellen, wo Menschen arbeiten,

20                                                                                                                          SBB Cargo 3 | 2015
oder an Bahnen im dichten innerstädti-                                                         noch Neuland, und ich sehe mich selbst
schen Verkehr. Im Bereich Vernetzung                                                           nicht als Eisenbahnexperten. Daher ein
sehe ich das Potenzial, dass mit automobi-                                                     Denkanstoss: So wie die Einführung des
ler Technik ausgestattete Züge den Güter-                                                      Containers in den 1950er Jahren eine Re-
verkehr und die Logistikprozesse effizien-                                                     volution im Gütertransport bedeutete,
ter machen – und dabei gleichzeitig die                                                        weil Waren fortan in einem genormten
Transportkosten senken.                          «So entstehen                                 System verkehrsträgerübergreifend trans-
                                                 konstruktive                                  portiert werden konnten, so sollten auch
Der heutige Güterwagen verfügt noch                                                            heute Schiff, Schiene und Strasse inte­
nicht einmal über eine eigene Stromver­          Partnerschaften!»                             griert betrachtet werden. Jeder Verkehrs-
sorgung. Was genau kann der intelligen­          Interviewpartner Bihr (l.)                    träger hat individuelle Vorteile, und bei
te Güterwagen von morgen besser?                 und Perrin.                                   einer gesamtheitlichen Betrachtungswei-
PERRIN: Er kommuniziert, fügt sich auto-                                                       se kann das System im Ganzen optimiert
matisch in der Zugverband ein und kon­                                                         werden.
trolliert sich selbst. So misst er zum Bei-
spiel bei der Beladung die Belastung jedes                                                     Wenn Sie einen Wunsch frei hätten:
einzelnen Rades, übermittelt dem Kunden         BIHR:  Bosch Engineering findet genügend       Welchen Zukunftstraum würden Sie
die klimatischen Bedingungen oder über-         Talente. Das liegt daran, dass wir kontinu-    verwirklichen?
wacht sicherheitsrelevante Bauteile wie         ierlich dazu beitragen, junge Menschen         PERRIN: Mit einer genialen Geschäftsidee
das Achslager. Auf dem Areal unserer            von der Technik zu begeistern und Studien­-    die Digitalisierung für die Eisenbahn als
Kunden kann er sich auch mal selbst be-         abgänger zu motivieren, bei uns anzu­          starker Logistikpartner zu nutzen! Aber
wegen oder entladen.                            fangen.                                        für solche Ideen braucht es bekanntlich
                                                PERRIN: Wir brauchen einen guten Mix           den richtigen Moment – und die richtigen
                                                von Mobilitätsprofis und Innovationstrei-      Menschen.
                                                bern. Das Thema ist so spannend, dass
  «Der Wille zum                                auch wir gute Leute finden. Ich bin mir aber
                                                bewusst, dass wir in einem harten Wett-
  Wandel ist die halbe                          bewerb um die besten Talente kämpfen.
  Miete.»
                                                Welche Auswirkungen hat es für die
                                                Firmenkultur, wenn IT-Systeme eine
                                                immer grössere Rolle spielen?
Statt Visionen prägen vor allem Ener­           PERRIN: Das wichtigste ist die Klarheit im
gieverbrauch, Lärm- und Schadstoff­             Führungsteam und die Erkenntnis, dass
emissionen die Diskussion in den Medien         die heutigen Prozesse für die Zukunft
und in der Politik. Haben die Menschen          nicht genügen. Wir wollen diese Riesen-
den Glauben an den technologischen              chance nicht verpassen, sondern mitprä-
                                                                                               Bernhard Bihr, 57, ist seit 2004 Geschäftsführer
Fortschritt verloren?                           gen. Der Wille zum Wandel ist die halbe        der Bosch Engineering GmbH, einer 100-prozentigen
BIHR: Keinesfalls. Ich denke dabei an die In-   Miete. In der Umsetzung wollen wir eine        Tochtergesellschaft der Robert Bosch GmbH.
nenstädte, wo man immer mehr Menschen           offene Innovationskultur fördern. Parallel     Das Unternehmen bietet als Systementwicklungs-
                                                                                               partner seit 1999 Entwicklungsdienstleistungen
mit einem Smartphone in der Hand sieht.         dazu braucht es erfolgreiche Use Cases.
                                                                                               für den Antriebsstrang, Sicherheits-, Komfort- und
Die Menschen nutzen Technologien, die           Da habe ich konkrete Erwartungen, zum          E/E-Systeme auf Basis erprobter Bosch-Gross-
einfach zu bedienen sind und die in ihrem       Beispiel im Bereich Wagen oder bei der         serientechnik. Zuvor war Bihr in verschiedenen
Leben einen Mehrwert bedeuten. Es liegt         Zugbildung.                                    Führungspositionen in der Entwicklung, Applikation
                                                                                               und im Vertrieb in der Bosch-Gruppe. Bihr
an den Unternehmen, Produkte zu entwi-
                                                                                               studierte Ingenieurwesen mit dem Schwerpunkt
ckeln, die zum technologischen Fortschritt      Welchen Ratschlag geben Sie der                Maschinenbau an der Technischen Universität
beitragen und die Menschen begeistern.          Eisenbahnbranche mit auf den Weg,              München.
                                                damit sie im Güterverkehr konkurrenz­
                                                                                               Nicolas Perrin, 56, ist seit 2008 CEO von
Finden Sie genügend Talente, die sich           fähig bleiben kann?
                                                                                               SBB Cargo und Mitglied der Konzernleitung der
für die Mobilität der Zukunft einsetzen         BIHR: Eine schwierige Frage, denn für          SBB. Er hat an der ETH Zürich Bauingenieur-
wollen?                                         Bosch Engineering ist die Bahnbranche          wesen studiert.

SBB Cargo 3 | 2015                                                                                                                            21
Reportage

             Grenzerfahrung
              mit Computer
             und Papiertiger
                    Dicke Mappen, Stempel und Papierstapel:
               Bei der Verzollung von Waren auf der Schiene im
                  Rangierbahnhof Limmattal hält Tradition der
            Digitalisierung stand. Das kann sich schon bald ändern.
                                 Text: Susanne Wagner
                                 Fotografie: Marvin Zilm

                                                8.50 Uhr
                                                Übergabe der
                                                Warendokumente
                                                Langsam fährt der Güterzug rückwärts
                                                auf dem Gleis ein. Auf dem ersten Wagen
                                                steht Rangiermitarbeiter Bernhard Egli
                                                mit dem Funkgerät, das ihn mit dem Lok-
                                                führer verbindet. Kaum steht der Zug,
                                                springt Egli ab und übergibt dem am
                                                Gleis bereitstehenden Wagenmanager
                                                Martin Vollenweider eine prall gefüllte
                                                Ledermappe. Darin sind die Dokumente
                                                aller Waren der Zugskomposition.

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9.00 Uhr
                      Abgleich mit                                 Bis die Ware korrekt verzollt ist, arbeiten

                      Frachtbriefen
                                                                   ab jetzt mehrere Akteure an verschiede-
                                                                   nen Orten Hand in Hand – ein eingespiel-
                                                                   tes Team. Den Kunden entsteht dabei kein
                      Zurück im Büro sieht der Wagenmanager        Aufwand, denn SBB Cargo nimmt ihnen
                      konzentriert die Papiere durch und gleicht   die Zollformalitäten rund um den Bahn-
                      sie mit den Frachtbriefen ab. Zwar hat der   betrieb ab. Die Bahn profitiert heute noch
                      Zug aus Wels in Österreich bereits am frü-   von vereinfachten Zolltransitverfahren in
                      hen Morgen in Buchs SG die Grenze über-      Papierform. Dabei gilt der standardisierte
                      schritten. Aber die Verzollung der Waren     CIM-Frachtbrief gleichzeitig als Zolldoku-
                      – in diesem Fall Glasflaschen, Möbelteile    ment. Das wird sich in Zukunft ändern
                      und Kunststoffgranulat – findet im Ran-      (siehe Artikel auf Seite 25).
                      gierbahnhof Limmattal statt. SBB Cargo
                      ist hier zugelassener Empfänger.

                                            9.15 Uhr
                                            Elektronische
                                            Daten ans
                                            Zollinspektorat
                                            Beim Eintreffen des Zuges am Terminal
                                            mailt Martin Vollenweider die Ankunfts-
                                            meldung ans Verzollungszentrum von
                                            SBB Cargo in Olten. Dort ist SBB-Cargo-
                                            Zolldeklarant Zoran Lujic bereits im Bild:
                                            Er hat die Zugliste und die eingescannten
                                            Frachtbriefe bereits elektronisch vom
                                            Grenzteam in Buchs erhalten. Lujic stellt
                                            die Dokumente zusammen und schickt
                                            die Zolldeklarationen des Zuges über das
                                            elektronische Verzollungssystem «e-dec»
                                            an das Zollinspektorat Zürich-Altstetten.
                                            In der Deklaration sind alle Details der
                                            Sendung aufgeführt: Importeur, Empfän-
                                            ger, Warengattung, Gewicht, Wert und
                                            Ursprungszeugnis der Ware.

SBB Cargo 3 | 2015                                                                                        23
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