STAATSLEXIKON Recht Wirtschaft Gesellschaft Sechster Band Volk - Zweites Vatikanisches Konzil - Stiftung ...

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Herder StL_8b / p. 3 / 16.9.2021

              STAATSLEXIKON
              Recht · Wirtschaft · Gesellschaft

                                   Sechster Band
                              Volk –
                   Zweites Vatikanisches Konzil
                                   Abkürzungen
                                     Register
Herder StL_8b / p. 271 / 16.9.2021

      513                                                   Zentralasien                                                    514

      ne Gericht wird ausschließlich zur justiziellen Sicherung     und Ehrenschutz [ Ehre]): Die Durchsetzung der

                                                                                         →
      privater, d. h. nichtstaatlicher Belange tätig. Kon-          Schranken unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrund-
      sequenz: Wegen Klaus Manns Roman „Mephisto“                   satz ( Verhältnismäßigkeit) und der gerichtlichen

                                                                           →
      (1936) durfte unter dem GG (1968) sogar ein gericht-          Nachprüfung. Die wenig verfassungsästhetische Rede
      liches Publikationsverbot wegen Verletzung des post-          von Nachzensur sollte unterbleiben. Rechtsnachteile
      mortalen Persönlichkeitsrechts von Gustaf Gründgens           entstehen dadurch nicht. Das Verbot der Vorzensur
      ergehen (BVerfGE 30,173).                                     bleibt allemal unangetastet. Es wirkt absolut und ist ab-
         cc) Auch bei der Aufschlüsselung des Sammelbegriffs        wägungsresistent. Diese Direktive des GG gilt unmittel-
      Staat, dessen Z. ausgeschlossen sein soll, sind Differen-     bar. Sie bedarf nicht erst einer Umsetzung durch den
      zierungen notwendig. Staat ist nicht jeder öffentlich-        einfachen Gesetzgeber.
      rechtliche Funktionsträger. Für die politischen Partei-

                                                       →
      en kommt dies schon deshalb nicht in Frage, weil sie                                   Literatur
      ungeachtet einer gewissen Staatsnähe privatrechtlich          H. Bethge: Art. 5, in: M. Sachs (Hg.): GG, Komm., 82019,
      formierte Faktoren der gesellschaftlichen Sphäre sind.        Rdnr. 129–135d • H. D. Jarass: Art. 5, in: ders./B. Pieroth:
      Konsequenz: Parteiausschlüsse von radikalen Autoren           GG, 152018, 192–251 • C. Grabenwarter: Art. 5, in:
      scheitern nicht an Art. 5 Abs. 1 S. 3. Auch die öffent-       T. Maunz/G. Dürig (Hg.): GG, Komm., 2018, Art. 5 GG, 68.
                                                                    Erg.-Lfg., Stand Januar 2013, Rdnr. 115–119 • C. Gucht: Das
      lich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind wegen der
                                                                    Zensurverbot im Gefüge der grundrechtlichen Eingriffskaute-
      Staatsfreiheit des Mediums kein Teil der Staatsorganisa-      len, 2000.                            HERBERT BETHGE
      tion. Konsequenz: Die Absetzung einer Sendung durch
      den Intendanten ist von dessen staatsunabhängiger Pro-
      grammverantwortung legitimiert. Eine unzulässige
      Staats-Z. ist das nicht. Noch signifikanter ist die Sonder-                         Zentralasien
      stellung von Religionsgesellschaften. Sie sind zwar viel-
      fach mit dem rätselhaften Ehrentitel einer K.d.ö.R. aus-                        1. Begriffsentwicklung
      gestattet (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV). Sie     Als „Z.“ wird eine Region im Zentrum des eurasischen
      erfüllen indes keine Staatsaufgaben; sie sind nicht Teil      Kontinents bezeichnet, die keine klar umrissenen natur-
      der Staatsorganisation. Konsequenz: Die Verweigerung          räumlich-geografischen Grenzen aufweist und deren
      der Druckerlaubnis für die Schrift eines Kirchenbediens-      Konturen seit dem Aufkommen des Begriffs im frühen
      teten durch den vorgesetzten Bischof (sog.es nihil obs-       19. Jh. unterschiedlich weit gefasst wurden. Der Begriff
                                    →

      tat, d. h. die Verweigerung des Imprimatur) ist kein Fall     Z. selbst wurde von europäischen Forschungsreisenden
      einer von Art. 5 Abs. 1 S. 3 untersagten Staats-Z.            und Geografen geprägt und war zunächst an Gegeben-
         b) Nur die staatliche Vorzensur oder Präventiv-Z. ist      heiten der physischen Geografie orientiert. Der Geograf
      ausgeschlossen. Die Integrität der Meinungsfreiheit für       und Chinaforscher Ferdinand Freiherr von Richthofen
      den Bürger wie für Massenmedien hat Vorrang gegen-            fasste als Z. die ausgedehnten abflusslosen Räume zwi-
      über allen präventiven Kontrollmaßnahmen des Staates.         schen dem Hochland von Tibet und dem Altai, zwi-
      Das gilt auch dann, wenn die beabsichtigte Meinungs-          schen der Wasserscheide im Pamir und im Tienschan
      kundgabe inhaltlich nicht mit den Schranken des Art. 5        sowie dem Chingan-Gebirge. Neben dieser geogra-
      Abs. 2 GG übereinstimmt, also gegen die allg.en Ge-           fischen Bestimmung des als Z. bezeichneten Raumes,
      setze verstößt. Nachträgliche Kontrollsanktionen des          der die Mongolei und Teile Südsibiriens sowie West-
      Staates bleiben zulässig. Eine vollständige Freistellung      chinas, nicht aber Transoxanien, d. h. die Oasenkulturen
      von jeder Bindung genießt der zunächst vom präven-            zwischen Amu- und Syrdarja (in der antiken Geografie:
      tiven Z.-Verbot profitierende Akteur also nicht. Die          Oxus und Jaxartes) einschließt, entwickelte sich seit
      Kommunikationsgrundrechte sind wie jedes andere               dem 19. Jh. ein Z.-Begriff, der sich an den historisch-po-
      Freiheitsrecht in die staatliche Rechtsordnung einge-         litischen Entwicklungen orientiert. Vor dem Hinter-
      bunden. Kein Freiheitsrecht ist schrankenlos. Eine um-        grund der russisch-britischen Rivalität um den Zugang
      fassende Sanktionsimmunität der Medien würde gegen            zum Indischen Ozean und die daran geknüpfte Kontrol-
      die Maxime der privilegienfeindlichen Demokratie des          le des maritimen Handels gewannen die Gebiete östlich
      Verfassungsstaates verstoßen.                                 des Kaspischen Meeres im 19. Jh. strategische Bedeu-
         c) Ob man die nachträgliche („repressive“) Überprü-        tung für die Europäer. Im britisch-russischen Great
      fung einer Meinungskundgabe und ihre Beanstandung             Game um Handelsmonopole und politischen Einfluss
      als „Nachzensur“ bezeichnen sollte, ist keine Ge-             kam Afghanistan und den im Norden angrenzenden
      schmacksfrage. Der Begriff passt nicht. Mit der willkür-      Gebieten Transoxaniens eine Schlüsselrolle als Transit-
      lichen Vorgehensweise eines grundrechtsindifferenten          raum zu. Diese Konnotation Z.s als eines Raumes an der
      Obrigkeitsstaates hat die strikt gesetzlich determinierte     Peripherie der umliegenden Reiche, der, selbst ohne fes-
      nachträgliche Realisierung der Rechtsbindung nichts ge-       te Grenzen, den Hegemonialmächten als Korridor zur
      mein. Kontrollmaßstab ist schließlich allein die Schran-      Erschließung weiterer Räume dient, verdichtete sich zu
      kentrias des Art. 5 Abs. 2 GG (allg.e Gesetze, Jugend-        Beginn des 20. Jh. in der Heartland-Theorie des briti-
                                                      →
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        515                                                 Zentralasien                                                   516

        schen Geografen Halford John Mackinder ( Geopoli-            2. Geografische und kulturräumliche Besonderheiten

                                                     →
        tik). Dieser fasste den von Russland (später der UdSSR)     Z. erstreckt sich über eine Fläche von knapp 4 Mio. km2,
        beherrschten Teil des eurasischen Kontinents als strate-    von denen fast zwei Drittel auf Kasachstan entfallen.
        gischen Angelpunkt für die Herrschaft über den Globus       Gleichzeitig lebt nur rund 1 % der Weltbevölkerung in
        und seine Ressourcen. Diese geopolitische Konzeption        diesem Teil der Welt. Dies liegt maßgeblich an den geo-
        lebt als Folie für die Wahrnehmung Z.s bis heute fort       grafischen Besonderheiten der Region. Z. zählt zu den
        und hat im Zusammenhang mit der chinesischen Ex-            großen Trockenregionen der Welt, in denen Wasser eine
        pansionspolitik an Aktualität gewonnen.                     knappe und kostbare Ressource darstellt. Darüber hi-
           Für die Herausbildung des Z.-Begriffs in seiner heu-     naus ist es eine Binnenregion, die keinen Zugang zu
        tigen Verwendung ist v. a. die russische Kolonialpolitik    den Weltmeeren aufweist und deren Flüsse in Binnen-
        ( Kolonialismus) maßgeblich. Russland hatte seit dem        seen münden oder versanden. Das geografische Profil
        →

        16. Jh. an seinen südöstlichen Grenzen zwischen dem         ist durch ausgedehnte aride und semiaride Tiefland-
        Kaspischen Meer und dem Altaigebirge eine grob dem          und Gebirgsregionen bestimmt, die als Wärme- oder
        50. Breitengrad folgende Linie von Militärstützpunkten      Kältewüsten mit spärlicher Vegetation nur einge-
        errichtet und brachte im 18. Jh. die in Konföderationen     schränkte Besiedlung erlauben. Der nördliche Teil der
        („Horden“) organisierten kasachischen Pastoralnoma-         Region zählt zum eurasischen Steppengürtel, der sich
        den des Steppengürtels unter seine Herrschaft. Im Zuge      von Osteuropa über Kasachstan bis in die Mongolei er-
        der Erschließung neuer Handelswege dehnte Russland          streckt und eine geschlossene Grasdecke bildet, die ex-
        im 19. Jh. sein Einflussgebiet auch auf die stärker zen-    tensive Weidewirtschaft (Pastoralismus) ermöglicht. Al-
        tralisierten Stadtstaaten des transoxanischen Zwei-         pine Weiden finden sich in den niederen und mittleren
        stromlandes aus. Zur Bezeichnung dieses Gebiets hatte       Lagen der Gebirge und werden für die Fernweidewirt-
        sich im 19. Jh. der Begriff Turkestan etabliert, nach der   schaft (Transhumanz) genutzt. Im südlichen Tiefland da-
        persischen Bezeichnung für die mehrheitlich von tür-        gegen haben sich an den Gebirgsaustritten von Flüssen,
        kischsprechenden Gruppen bewohnten Länder nördlich          die den Hochgebirgsgletschern des Pamir und Tien-
        des Amudarja. Da sich der von ethnisch-linguistischen       schan entspringen und zahlreiche kleinere Flüsse spei-
        Kriterien geprägte Begriff Turkestan auch auf chinesische   sen, schon früh, d. h. seit dem 3. Jahrtausend v. Chr., Oa-
        Herrschaftsgebiete erstreckte, wurde zwischen West-         senstädte mit künstlicher Bewässerung und intensiver
        bzw. Russisch-Turkestan und Ost- bzw. Chinesisch-Tur-       Landwirtschaft entwickelt, die auch den Anbau von
        kestan unterschieden. In der administrativen Glie-          Baumwolle einschloss. Die Koexistenz und gegenseitige
        derung der von der russischen Kolonialmacht be-             Durchdringung von städtischer Oasenwirtschaft und
        anspruchten Territorien wurde der Begriff Turkestan bis     Pastoralismus und die oft konflikthafte Interaktion von
        zur Gründung der UdSSR verwendet, danach jedoch             Nomaden und Sesshaften spielt in der Gegenwart keine
        aufgegeben, da er von der politischen Bewegung der          Rolle mehr, hat aber die historische Dynamik in Z. we-
        Pantürken, die für eine Autonomie Turkestans eintrat,       sentlich geprägt. Der transkontinentale Fernhandel, der
        in Anspruch genommen wurde. Stattdessen etablierte          bis zur Entdeckung des Seeweges nach Indien über die
        sich im russischen Schrifttum die Bezeichnung Mittel-       durch Z. führenden Routen der sog.en Seidenstraße und
        asien. Sie umfasste die Sowjetrepubliken Kirgistan, Usbe-   der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden „Pelzstraße“
        kistan, Turkmenistan und Tadschikistan, die zwischen        führte, war in Z. über komplexe Austauschbeziehungen
        1924 und 1929 aus dem vormaligen Generalgouver-             zwischen den urbanen Zentren der Oasen und den mo-
        nement Turkestan hervorgegangen waren. Die Sowjet-          bilen Viehhirten der Steppenzone organisiert.
        republik Kasachstan, die aus Teilen des seit 1882 beste-       Für die Entwicklung Z.s in der Moderne ist eine an-
        henden Generalgouvernements der Steppe hervor-              dere naturräumliche Besonderheit bestimmend: der
        gegangen war, wurde nicht zu Mittelasien im engeren         Reichtum an natürlichen Rohstoffen, v. a. fossilen
        Sinne gezählt, aber auch nicht zu Z. gerechnet. Unter       Brennstoffen sowie Mineralien und Metallen, die seit
        diesem Begriff wurden vielmehr die Mongolei, Tibet          dem 20. Jh. systematisch ausgebeutet werden. Kasachs-
        und Westchina (Ost-Turkestan) subsumiert. Im deut-          tan, Usbekistan und Turkmenistan verfügen über rund
        schen und französischen Sprachraum wurde diese Be-          4 bzw. 6 % der global nachgewiesenen und förderbaren
        griffsverwendung übernommen und bis zur Auflösung           Bestände an Erdöl bzw. Erdgas. Für alle drei Länder ist
        der UdSSR (1991) beibehalten. Die englischsprachige         der Export dieser Rohstoffe heute die wichtigste Ein-
        Tradition dagegen übernahm diese Begriffsdifferenzie-       nahmequelle. Darüber hinaus weisen v. a. Usbekistan
        rung nicht, sondern bezog den Begriff Z. auf alle fünf      und Kasachstan bedeutende Gold- und Uranvorkom-
        Sowjetrepubliken – eine Konvention, die sich seit 1991      men auf. Bei der Produktion von Natururan steht
        allg. durchgesetzt hat. Die heutige Begriffsverwendung      Kasachstan weltweit an erster Stelle, Usbekistan ist
        ist somit eine genuin politische, die sich an staatlichen   ebenfalls unter den zehn größten Produzenten des
        Grenzen als Grundlage für das Konstrukt einer räum-         Schwermetalls. Da die Staaten der Region infolge der
        lichen Einheit der Region orientiert.                       Binnenlage keinen direkten Zugang zu den Weltmärk-
                                                                    ten haben, ist der Export der Rohstoffe aufwändig und
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      kostspielig. Die erforderliche Infrastruktur – Pipelines,     weiteres Mal wurden diese Herrschaftsgebiete im aus-
      Überlandstraßen und Schienenwege – wird erst seit Be-         gehenden 14. Jh. unter dem turko-mongolischen War-
      ginn des 21. Jh. mit Hilfe ausländischer Investoren sys-      lord Timur (Tamerlan) zu einem Imperium zusammen-
      tematisch ausgebaut.                                          geführt. Samarkand, die Kapitale des Timuridenreichs
                                                                    und andere Städte im heutigen Usbekistan waren archi-
                       3. Vorkoloniale Geschichte                   tektonisch bis in die Gegenwart von dieser Epoche ge-
      Bis ins 6. Jh. v. Chr. dominierten in Z. Sprecher indo-ira-   prägt. Unter Timur und seinen Nachfolgern gewann da-
      nischer (sogdischer) Idiome. Die ersten städtischen           rüber hinaus der Sufismus in Z. an Bedeutung, der eine
      Siedlungen am Südrand der Region gehen auf solche             wichtige Rolle bei der Islamisierung der nördlichen
      Gruppen zurück, ebenso wie die Domestikation des              Steppengebiete spielte. Die Herrschaft in Transoxanien
      Pferdes. Diese Kulturleistung hat nicht nur die Heraus-       übernahmen am Ende des 15. Jh. die Usbeken (Özbek)
      bildung der großräumig-mobilen Weidewirtschaft als            und andere aus der mongolischen Aristokratie hervor-
      spezialisierter Lebensform ermöglicht, sondern ab dem         gegangene Dynastien. Im Steppengürtel dominierten
      1. Jahrtausend v. Chr. auch die Kriegführung revolutio-       die mobilen Stammesverbände der Kasachen, die sich
      niert. Das Reiterkriegertum und die damit in Zusam-           nur temporär zu zentralisierten militärisch-politischen
      menhang stehenden technologischen Innovationen                Einheiten (Khanaten) zusammenschlossen und deren
      (Waffen und Kampftechniken) stellten bis in die Neu-          Weidegebiete sich im Südosten mit denen der Kirgisen
      zeit eine Herausforderung für die agrarisch geprägten         überlappten.
      Reiche an den Rändern Z.s – China, Persien, Russland
      – dar. Im 8. Jh. leitete die Eroberung Transoxaniens                  4. Russische und sowjetische Herrschaft
      durch die Araber eine Epochenwende ein, indem sie             Die russische Eroberung Z.s ab dem 18. Jh. bedeutete
      die Grundlage für die Islamisierung der Region legte,         nach der arabischen Eroberung die zweite große histori-
      der chinesischen Westexpansion für viele Jahrhunderte         sche Zäsur. In der Folge etablierte sich nicht nur die rus-
      ein Ende setzte und das Kalifat mit der Hauptstadt Bag-       sische Sprache als lingua franca in Z.; die russische Kolo-
      dad zum politischen Bezugspunkt der lokalen Eliten            nisation, v. a. aber die Integration Z.s in die UdSSR
      machte. In der Folge etablierten sich islamisierte lokale     beeinflusste Z.s Kultur nachhaltig und legte den Grund-
      Dynastien im Zweistromland, darunter die Samaniden,           stein für die heutige politische Gliederung der Region
      deren Verwaltungsgebiet (mit der Hauptstadt Buchara)          und die Herausbildung der modernen Nationalstaaten.
      auch Teile Irans umfasste. Während der bis 999 dauern-
      den Herrschaft der Samaniden und in den folgenden                               4.1 Zaristische Politik
      vier Jahrhunderten entwickelte sich das Zweistromland         Die russische Kolonisation begann mit der Eroberung
      zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum der         der Steppe und ihrer Eingliederung in die zaristische
      islamischen Welt, von dem bedeutende Impulse für die          Territorialverwaltung. Auch Transoxanien („Turkestan“)
      Entwicklung des islamischen Rechts (hanafitische              wurde sukzessive Teil des russischen Herrschafts-
      Rechtsschule), der Philosophie (Avicenna), der Natur-         bereichs, der Ende des 19. Jh. bis an die Grenze Afgha-
      wissenschaften (Abū Nasr Muhammad al-Fārābī, Abu              nistans reichte. Anders als die Steppengebiete, die direkt
      r-Raihan Muhammad ibn Ahmad al-Bīrūnī) und der                der Befehlsgewalt russischer Militärbeamter (General-
      neupersischen Sprache und Literatur ausgingen. Die            gouverneure) unterstellt wurden, blieben die zentral re-
      Weidegebiete des zentralasiatischen Steppengürtels teil-      gierten Oasenstaaten (Khanate, Emirate) des Zwei-
      ten sich türkische Verbände, die im Zuge einer Ost-           stromlandes nominell unabhängig, wurden aber de
      West-Migration seit dem 10. Jh. in die Region vor-            facto zu russischen Protektoraten. Die zaristische Macht
      gedrungen waren und für die der Zwischenhandel, über          verfolgte in Z. vorwiegend ökonomische Interessen.
      den der Warenverkehr quer durch den eurasischen Kon-          Zum einen ging es darum, die handels- und militärstra-
      tinent organisiert war, eine bedeutende ökonomische           tegisch wichtige Region für den russischen Markt zu er-
      Ressource bildete.                                            schließen, zum anderen um die Nutzung Z.s als Liefe-
         Die mongolische Eroberung im 13. Jh. integrierte Z.        rant von Baumwolle, deren Kultivierung ab dem
      in ein Landimperium, das während seiner größten Aus-          ausgehenden 19. Jh. durch die Einführung für die indus-
      dehnung in der ersten Hälfte des 13. Jh. von China bis        trielle Produktion geeigneter amerikanischer Sorten sys-
      nach Osteuropa und von Anatolien bis zum Indus reich-         tematisch ausgeweitet wurde. Rohbaumwolle aus Z. ver-
      te. Die Pax Mongolica etablierte nicht nur ein neues Mi-      sorgte die russische Textilindustrie zu Beginn des ersten
      litär-, Verwaltungs- und Rechtssystem, sondern ermög-         Weltkrieges mit der Hälfte des Gesamtbedarfes. Der
      lichte erstmals auch direkte Kontakte zwischen Europa         Transport des Rohstoffs nach Russland wurde durch
      und dem Fernen Osten. In den nach dem Tod des                 den Ausbau des Eisenbahnnetzes ermöglicht, das Ende
      Reichsgründers (Dschingis Khan) von dessen Nachkom-           des 19. Jh. Taschkent und das Ferganatal einschloss und
      men regierten Herrschaftsbereichen differenzierten sich       zur Gründung industrieller Betriebe führte. Die Expan-
      jene politischen Entitäten aus, die für die Usbeken und       sion der Baumwollwirtschaft und die damit einher-
      Kasachen der Gegenwart namengebend wurden. Ein                gehende Integration Z.s in die imperiale Ökonomie des
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        519                                                Zentralasien                                                 520

        Russischen Reiches veränderten das Wirtschaftsleben in     logie der KPdSU zu ersetzen, wurden wie überall in der
        Z. nachhaltig. Sie führten in den Oasen des Ferganatals    UdSSR die Künste (v. a. das Theater), neuartige Rituale
        zu einer Verdrängung des Getreideanbaus und zu einer       und nicht zuletzt die Wissenschaften genutzt. Auch
        Abhängigkeit von russischen Importen. Der massenhaf-       Städteplanung und Architektur dienten als Mittel der
        te, von St. Petersburg ermutigte Zustrom russischer        Formung eines neuen Typs von Gesellschaft. Dadurch
        Siedler und (während des Ersten Weltkriegs) von            veränderten sich die Städte Z.s nachhaltig. Dennoch ge-
        Kriegsflüchtlingen zog die Erschließung immer neuer        lang es nicht, die neue Ideologie vollständig in Z. zu

                                                                                           →
        Anbaugebiete durch den Ausbau der künstlichen Be-          verankern. Zum einen beruhte die Politik der Indigeni-
        wässerung und die Enteignung von Land und Weide-           sierung auf klar definierten nationalen Identitäten,

                                                                                                              →
        gründen nach sich. Dies führte zu sozialen Konflikten      die im Zuge der Konstruktion von Nationalhistorien,
        mit den Einheimischen und wiederholten Revolten ge-        Nationalsprachen und Nationalkulturen geschaffen
        gen die zaristischen Machthaber, die sich häuften, als     wurden und die die Konservierung vorsowjetischer kul-
        Russland begann, die Bevölkerung der Kolonien zum          tureller Traditionen begünstigten; zum anderen wurde

                                                                          →
        Erhalt kriegsnotwendiger Infrastruktur heranzuziehen.      während des Zweiten Weltkrieges die Religionspolitik
        V. a. das Jahr 1916 war von Gewalt geprägt, die zu einem   modifiziert und mit der Einrichtung einer Geistlichen
        Exodus Hunderttausender Zentralasiaten nach Afgha-         Verwaltung der Muslime in Zentralasien und Kasachstan
        nistan, Persien und China führte.                          eine Struktur geschaffen, die religiöse Aktivität in einem
                                                                   kontrollierten Rahmen ermöglichte. Muslimische Ritu-
                       4.2 Sowjetische Herrschaft                  alpraxis und damit verbundene Verhaltensnormen wur-
        Nachdem im Oktober 1917 die Bolschewiki in Tasch-          den so in den privaten Raum abgedrängt, jedoch ihres
        kent die Macht übernommen hatten, riefen muslimische       intellektuellen Fundaments weitgehend beraubt.
        Reformer im Ferganatal eine Provisorische Regierung des       Als „rückständig“ galt auch der Nomadismus, dessen
        Autonomen Turkestan aus, die jedoch schon im Frühjahr      Mobilität die Grundlagen moderner Staatlichkeit in-
        1918 von der Roten Armee niedergeschlagen wurde. In        frage stellt. Die Kollektivierung der Landwirtschaft, die
        den Folgejahren festigten die Bolschewiki ihre Herr-       eine rasche Industrialisierung ermöglichen und die da-
        schaft in Z. durch die systematische Einbindung lokaler    für nötigen Ressourcen bereitstellen sollte, und die da-
        Kader in die Verwaltungsstrukturen (Indigenisierung)       mit verbundene Sesshaftmachung der kirgisischen und
        und die Nutzung nationalistischer Rhetorik zur Mobili-     kasachischen Nomaden führten unter letzteren Ende
        sierung der Bevölkerung für die Politik der neuen          1932/33 zu einer Hungersnot sowie zu einer neuerli-
        Machthaber. Die administrative Neugliederung der Re-       chen Fluchtbewegung nach China. Die Kasachen wur-
        gion nach linguistischen und (vielfach konstruierten)      den in diesen Jahren um etwa die Hälfte auf rund zwei
        ethnischen Gesichtspunkten mündete zwischen 1924           Mio. Menschen dezimiert und das Titularvolk zu einer
        und 1929 in die Gründung der fünf zentralasiatischen       Minderheit in der Republik, der Massendeportationen
        Sowjetrepubliken, deren territoriale Delimitation weit-    und Zwangsumsiedlungen (u. a. der Wolgadeutschen)
        gehend den heutigen Grenzen entspricht.                    während des Zweiten Weltkriegs ein multiethnisches
           Die Etablierung der Sowjetmacht und die damit ein-      Gepräge verliehen. Nach dem Krieg begann man die ka-
        hergehende Modernisierung und ökonomische Er-              sachische Steppe im Zuge der Neulandgewinnung für
                    →

        schließung des zentralasiatischen Hinterlands waren        den Getreideanbau und zur Gewinnung energiewirt-
        von Terror und Chaos überschattet. Die Einführung          schaftlicher Rohstoffe (u. a. Erdöl, Steinkohle) zu er-
              →

        der neuen Ordnung begann 1926 mit der Zerschlagung         schließen und zu industrialisieren. In den südlichen Re-
        der traditionellen Bildungsstrukturen. Die höheren isla-   publiken (Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan)
        mischen Lehranstalten (Medressen) wurden geschlossen,      setzten die Sowjets auf die Ausweitung der künstlichen
        Moscheen zerstört oder umfunktioniert, das religiöse       Bewässerung zur maximalen Ausweitung des Baum-
        Personal in die Verbannung geschickt oder ermordet         wollanbaus. Der Bau von großangelegten Bewässe-
        und damit eine jahrhundertealte Tradition der Erzeu-       rungsprojekten (Kanäle, Staudämme), der von wieder-
        gung und Weitergabe von Wissen zerstört. Stattdessen       kehrenden Politikwechseln begleitet war, ermöglichte
        wurden ein säkulares Schulwesen nach russischem Vor-       schließlich die industrielle Produktion von Baumwolle,
        bild aufgebaut und (in den 1930ern) angepasste kyril-      die im Wesentlichen auf Zwangsarbeit beruhte. Die in
        lische Alphabete für die zuvor in persischen Lettern ge-   immer ausgedehnteren Monokulturen angebaute cash
        schriebenen und im Zuge der Indigenisierung zu             crop wurde nicht vor Ort verarbeitet, sondern in den eu-
        Nationalsprachen erhobenen Idiome Z.s eingeführt.          ropäischen Teil der UdSSR exportiert. Die südlichen
        Einen zentralen Angriffspunkt der Kulturrevolution bil-    Republiken blieben daher agrarisch geprägt. Im Aus-
        deten gewohnheitsrechtlich verankerte Praktiken wie        tausch für die Lieferung von Rohstoffen unterstützte
        Zwangsverheiratung und Polygamie sowie die traditio-       Moskau die Republiken Z.s durch Subventionen und
        nelle Geschlechtertrennung und die daran geknüpfte         Steuererleichterungen. Vor Ort wurden die Ressourcen-
        weibliche Körperverhüllung. Um die religiösen und tra-     ströme durch informelle Netzwerke innerhalb des
        ditionalen Bindungen durch das Bekenntnis zur Ideo-        Staats- und Parteiapparats kontrolliert, die dadurch sta-
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      521                                                   Zentralasien                                                 522

      bile Machtstrukturen aufbauen konnten. Dies gilt bes.         dierte autoritäre Systeme herausgebildet, die sich ledig-
      für die Zeit nach 1960. Die unter Nikita Sergejewitsch        lich graduell unterscheiden. Dass die in Usbekistan seit
      Chruschtschow in Z. eingesetzten Parteichefs behielten        2016 umgesetzten Reformen eine Trendumkehr einlei-
      ihre Ämter bis in die Ära Michail Sergejewitsch Gorba-        ten, ist unwahrscheinlich. In Kirgistan wurde die Festi-
      tschows, dessen Antikorruptionskampagnen im Zuge              gung des Autoritarismus 2005 durch eine Revolte unter-
      der Perestroika in Z. nationalistischen Stimmungen            brochen, die zum Sturz des Präsidenten führte; doch
      ( Nationalismus) Auftrieb gaben.                              setzte dessen Nachfolger den autoritären Kurs mit umso
       →

                                                                    größerer Härte fort. Eine weitere Revolte führte 2010 zu
                       5. Zentralasien seit 1991                    einem neuerlichen Regierungswechsel und zu einer Ver-
                               5.1 Politik                          fassungsänderung. Als einziges Land in Z. ist Kirgistan
      Als sich nach dem gescheiterten Putsch gegen M. S.            seither eine parlamentarische Republik ( Parlament,

                                                                                                               →
      Gorbatschow im August 1991 das Ende der UdSSR ab-             Parlamentarismus), in der kompetitive Wahlen durch-
      zeichnete, erklärten die zentralasiatischen Republiken        geführt werden. Doch auch hier ist der Staatsapparat
      ihre Unabhängigkeit. Noch im selben Jahr wurden in            weitgehend unter der Kontrolle der jeweils regierenden
      Kirgistan, Kasachstan und Usbekistan, 1992 auch in            Partei und informeller Netzwerke in deren Umfeld.
      Turkmenistan, formale Präsidentschaftswahlen durch-
      geführt, die die bisherigen Parteivorsitzenden bzw. (seit                      5.2 Wirtschaft, Ökologie
      1990) Präsidenten der Unionsrepubliken im Amt be-             Die politischen Ökonomien der Staaten Z.s sind maß-
      stätigten. In Tadschikistan, wo in den 1980er Jahren sä-      geblich von der Rohstoffausstattung geprägt. In den res-
      kulare Intellektuelle und religiös-konservative Kräfte        sourcenreichen Staaten Kasachstan, Usbekistan und
      politisch erstarkt waren, mündete der Machtkampf zwi-         Turkmenistan verdankt sich die Wirtschaftsleistung im
      schen der nun Vereinigten Tadschikischen Opposition und       Wesentlichen der rohstoffbasierten Produktion und den
      den Postkommunisten in einen Bürgerkrieg, der erst            aus dem Export fossiler und mineralischer sowie land-
                                        →

      1997 beendet wurde und auch hier einem Vertreter des          wirtschaftlicher Ressourcen gewonnenen Einkünften. In
      ehemaligen kommunistischen Lagers ins Präsidenten-            Kasachstan und Usbekistan kontrollieren oligarchisch
      amt verhalf. Die in den fünf Republiken zwischen 1992         strukturierte Eliten die strategischen Sektoren der
                                                                                 →

      und 1995 verabschiedeten Verfassungen bekennen sich           Wirtschaft, in Turkmenistan (und Tadschikistan) ist es
      zu Säkularismus, Rechtsstaatlichkeit ( Rechtsstaat) und       die führende Familie. Wichtigster Abnehmer der Roh-
                                             →

        Gewaltenteilung sowie zu Parteienpluralismus und            stoffe ist mittlerweile China. Chinesische Staatsunter-
      →

      freien Wahlen. Doch räumen sie den Präsidenten um-            nehmen investierten seit der Jahrtausendwende massiv
            →

      fängliche Kontroll- und Leitungsbefugnisse für alle           in den Bau von Pipelines, die den heimischen Markt mit
      staatlichen Funktionen ein. Durch diese unumschränkte         Erdöl und Erdgas aus Z. beliefern; in Tadschikistan hat
      Machtfülle der zentralen Führungsinstanz wird das             sich China die Schürfrechte im Gold- und Silberbergbau
      Prinzip der Gewaltenteilung ad absurdum geführt. Eine         gesichert. Mit Ausnahme Kasachstans und Kirgistans
      unabhängige Gerichtsbarkeit existiert nirgendwo, die          haben die zentralasiatischen Staaten nach dem Zerfall
      Parlamente fungieren als ausführende Organe zur Um-           der UdSSR wesentliche Elemente der Planwirtschaft
      setzung von Vorgaben der Exekutive.                           ( Zentralverwaltungswirtschaft) beibehalten. Auch in
                                                                    →

         Während sich in Kirgistan und Kasachstan anfänglich        Kasachstan, das bereits in den 1990er Jahren zu libera-
      parteipolitischer Wettbewerb entfalten konnte, bestan-        len Wirtschaftsreformen überging, wurde ausländisches
      den solche Spielräume in Usbekistan und Turkmenistan          Investitionskapital überwiegend in die Exploration von
      nicht. Dort war von Anfang an nur eine Partei zuge-           Erdölfeldern und mineralischen Ressourcen gesteckt.
      lassen, in Usbekistan wurden oppositionelle Gruppie-          Die Diversifizierung der Wirtschaft wurde dem gegen-
      rungen, darunter auch islamistische Akteure ( Islamis-        über vernachlässigt, so dass die Wirtschaft stark an den
                                                      →

      mus), ab 1992 ausgeschaltet und verlagerten ihre              Ölpreis gebunden bleibt und entspr. krisenanfällig ist.
      Aktivitäten ins Ausland. Dort radikalisierte sich die isla-   Usbekistan, das seit 2017 seine Wirtschaftspolitik neu
                                                                                                   →

      mistische Opposition und verübte wiederholt Anschläge         ausrichtet und sich marktwirtschaftlichen Reformen öff-
      in Usbekistan, zuletzt 2004. Allein in Tadschikistan          net, sucht mit Hilfe in- und ausländischer Investoren
      konnte sich infolge des Friedensabkommens von 1997            eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur aufzubauen
      eine echte Oppositionspartei, die Partei der Islamischen      und, ebenso wie Kasachstan, den Anteil der industriel-
      Wiedergeburt, bis 2015 legal betätigen. Ab Mitte der          len Produktion am Export zu stärken. Die ressourcen-
      1990er Jahre festigen die amtierenden Präsidenten in          armen Staaten Kirgistan und Tadschikistan sind seit der
      den zentralasiatischen Republiken ihre Macht, indem           Auflösung der UdSSR weitgehend von ausländischen
      sie Referenden durchführen ließen, die es ihnen ermög-        Unterstützungsleistungen abhängig: Diese tragen zur
      lichen, sich beliebig oft zur Wiederwahl zu stellen. Poli-    staatlichen Stabilisierung bei, bedeuten aber eine enor-
      tische Freiheiten wurden immer weiter beschnitten und         me Auslandsverschuldung. Der wichtigste Kreditor ist
      oppositionelle Kräfte an den Rand gedrängt oder ver-          China. In Tadschikistan machten die Auslandsschulden
      boten. Auf diese Weise haben sich in ganz Z. konsoli-         Anfang 2019 fast 40 % des BIP aus, etwa die Hälfte da-
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        523                                                Zentralasien                                                 524

        von schuldet das Land China. Die Erzeugung und der         chen Teilhabe ( Partizipation). Mit Ausnahme Ka-

                                                                                   →
        Export von Elektrizität aus Wasserkraft haben aller-       sachstans ist die Arbeitslosigkeit, v. a. unter Jugend-
        dings seit der Jahrtausendwende in beiden Ländern zu-      lichen, hoch; ein großer Teil der Bevölkerung ist prekär
        genommen; die Mittel für die Bereitstellung der dafür      beschäftigt, vielfach als Saisonarbeiter im Ausland. Mit
        nötigen Infrastruktur kommen v. a. von russischen, aber    Ausnahme Kasachstans bestehen gravierende Defizite
        auch von westlichen Gebern sowie Entwicklungsban-          im Bildungswesen, v. a. in Turkmenistan, Tadschikistan
        ken. Mit Ausnahme Kasachstans ist die Wirtschaft in        und Kirgistan. Das Gesundheitssystem ist überall unter-
        Z. nach wie vor stark agrarisch geprägt. In Usbekistan,    finanziert, vielfach fehlt es an qualifiziertem Personal.
        Kirgistan und Tadschikistan wird ein hoher Anteil am
        BIP durch die saisonale Arbeitsmigration (v. a. in Russ-                      5.4 Identitätspolitik
        land) erwirtschaftet; bes. in Tadschikistan besteht eine   Die Verfassungen der Staaten Z.s bekennen sich grund-
        ausgeprägte Abhängigkeit von den Rücküberweisungen         sätzlich zum Prinzip einer staatsbürgerlichen Identi-
        der Gastarbeiter. Große Bedeutung für die wirtschaftli-    fikation. Gleichzeitig ist das historische und kulturelle
        che Modernisierung wird überall der Digitalisierung
                                              →                    Selbstverständnis der zentralasiatischen Staaten maß-
        beigemessen. China ist dabei neben Russland der wich-      geblich durch die von den Sowjets vorgenommene Auf-
        tigste Investor und Kooperationspartner. In Kasachstan,    teilung der Region in nationale Republiken und die
        Usbekistan und Kirgistan soll künftig verstärkt in den     damit einhergehende Kompilation von National-
        Ausbau erneuerbarer Energien investiert werden. Zu         geschichten nach ethno-kulturellen Kriterien geprägt.
        den Kooperationspartnern zählt dabei auch die EU,          Historische Persönlichkeiten aus vorsowjetischen Epo-
                                                         →

        die diesen Sektor in den einschlägigen Regionalstrate-     chen, die auf dem Gebiet der heutigen Nationalstaaten
        gien stark gewichtet.                                      wirkten, wurden zu Gründungs- und Symbolfiguren der
           Die Entwicklung von Green Energy ist für Z. nicht zu-   modernen Staaten stilisiert, deren Nationalkulturen
        letzt vor dem Hintergrund der ökologischen Problema-       durch die jeweilige Titularmehrheit repräsentiert sind
        tik relevant. Die groß angelegte Erschließung der hydro-   (die Kasachen haben diesen Status erst 1999 aufgrund
        energetischen Ressourcen während der Sowjetzeit und        der Abwanderung von Russen und Ukrainern seit 1991
        die Exploration der fossilen und mineralischen Energie-    und der Rückholung von Kasachen aus China erlangt).
        träger, darunter der Kohle- und Uranbergbau, haben         Dadurch werden Identitätsbildungen anhand sub-staat-
        enorme Folgeschäden hinterlassen. Die für die großflä-     licher, ethnischer und linguistischer Kriterien in den
        chige Kultivierung von Baumwolle erforderliche inten-      multinational zusammengesetzten Staaten festgeschrie-
        sive Bewässerung hat v. a. in den südlichen Republiken     ben. Konflikte, etwa um die Nutzung von Land und
        zur Austrocknung von Flüssen und zur Versalzung von        Wasser, entladen sich deshalb oft in inter-ethnischer Ge-
        Böden geführt, die zudem durch den Einsatz von Pesti-      walt ( Ethnische Konflikte), v. a. in den dicht besiedel-
                                                                          →

        ziden und Düngemitteln verseucht wurden. Wasser hat        ten Gebieten und Grenzregionen des Ferganatals.
        sich dadurch in den ariden Regionen zusätzlich ver-        Gleichzeitig ist das Verhältnis zur russischen Kolonial-
        knappt. Sichtbarste Folge des ökologischen Raubbaus        zeit und zur sowjetischen Epoche durchwegs ambiva-
        ist die Austrocknung des Aralsees. Maßnahmen zu Ret-       lent. Zwar wurden Gedächtnisorte umgewidmet und
        tung des Sees sind bisher an der unzureichenden Ko-        sowjetische Toponyme durch solche aus der jeweiligen
        operation der Anrainer gescheitert.                        Nationalkultur ersetzt, doch eine kritische Aufarbeitung
                                                                   der russischen und sowjetischen Fremdherrschaft und
                    5.3 Sozialstrukturelle Indikatoren             der an ihrer Ausübung beteiligten und mit ihr identifi-
        Die Bevölkerung Z.s ist seit 1991 um fast 25 Mio. auf      zierten indigenen Kader ist bisher ausgeblieben.
        knapp 74,5 Mio. Einwohner gestiegen, fast die Hälfte          Eine höchste ambivalente Rolle spielt der Islam im
                                                                                                                →

        davon siedelt in Städten. Bei einem jährlichen Durch-      Selbstverständnis der zentralasiatischen Staaten, deren
        schnittswachstum um 1,8 % werden 2050 über 100 Mio.        Bevölkerungen mehrheitlich sunnitische Muslime sind.
        Menschen in Z. leben. Für das Wachstum sind neben          Die kulturellen Leistungen muslimischer Gelehrter des
        der gestiegenen Lebenserwartung hohe Geburtenraten         Mittelalters gelten als bedeutender Teil des historischen
        in Tadschikistan und Usbekistan verantwortlich; nur in     Erbes, doch der gelebte Islam der Gegenwart stellt für
        Kasachstan stagnieren die Zahlen. Rund 30 % der Be-        die Regierungen in Z. ein Problem dar. Seit 1991 er-
        völkerung sind jünger als 15 Jahre, das Durchschnitts-     starkten überall Akteure, die muslimischen Ordnungs-
        alter beträgt 27,6 Jahre. Der Lebensstandard hat, nach     und Wertvorstellungen stärkere, auch politische Gel-
        einem anfänglichen Einbruch in der ersten Dekade nach      tung verschaffen wollen. Das Spektrum dieser Akteure
        der Unabhängigkeit, kontinuierlich zugenommen, v. a.       reicht von pazifistischen Missionsgesellschaften bis hin
        seit 2000 haben sich die Bedingungen, gemessen an          zu radikalen, international vernetzten dschihadistischen
        den Indikatoren des HDI, stark verbessert. Beim Pro-       Gruppen. Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung ein
        Kopf-Einkommen liegt Z. aber deutlich hinter Russland      Bedürfnis nach religiöser Orientierung. Die staatliche
        und der Ukraine. Ausgeprägte Ungleichheiten bestehen       Religionspolitik sucht der Herausforderungen durch
        bei der Verteilung des Reichtums und der gesellschaftli-   gezieltes Monitoring der religiösen Landschaft zu be-
Herder StL_8b / p. 277 / 16.9.2021

      525                                                 Zentralasien                                                 526

      gegnen und einen staatskonformen Islamdiskurs durch-        tan), schließt aber auch innenpolitische Aspekte ein, die
      zusetzen, ohne jedoch das Feld vollständig kontrollieren    russische Interessen berühren. Eine bedeutende Funk-
      zu können.                                                  tion kommt dabei den von Russland ins Leben gerufe-
                                                                  nen Regionalorganisationen zu, die v. a. der Wahrung
             6. Zentralasien in der internationalen Politik       des russischen Einflusses dienen. Die traditionelle Be-
                         6.1 USA und Europa                       deutung Russlands wird zunehmend durch China infra-
      Z. rückte erst nach 1991 in den Fokus der internatio-       ge gestellt, das seine Beziehungen mit den zentralasiati-
      nalen Politik. Dies war zum einen durch die reichen         schen Staaten unter dem konzeptionellen Dach der 2013
      Rohstoffreserven bedingt, an deren Ausbeutung sich          ins Leben gerufenen „neuen Seidenstraße“ (Belt and
      zahlreiche ausländische Konzerne beteiligen. Auch mit-      Road Initiative) erheblich ausgebaut hat. In diesem Kon-
      telständische Unternehmen aus Europa, den USA und           zept fungiert Z. als strategischer Korridor nach Europa
      dem Nahen Osten entdeckten Z. als Produktionsstand-         und Westasien, aber auch als Absatzmarkt für chinesi-
      ort und Absatzmarkt. Zum anderen war den Westmäch-          sches Kapital sowie Waren und Arbeitskräfte. Auch chi-
      ten nach dem Ende der UdSSR daran gelegen, Z. in die        nesische Investitionen in die digitalen Infrastrukturen
      euro-atlantische Welt einzubinden und einer demokra-        und die Implementierung von Überwachungstechnolo-
      tischen Entwicklung den Weg zu bereiten. Große Be-          gien aus China festigen die Bindungen zwischen Z. und
      deutung kommt dabei der OSZE zu, der die zentral-           China, das dort auch politisch zunehmend selbst-
                                 →

      asiatischen Republiken als Nachfolgestaaten der UdSSR       bewusst auftritt.
      seit der Überführung der KSZE in die OSZE im Jahr
      1995 ebenfalls angehören. Als wichtigstes Instrument             6.3 Regionale Zusammenarbeit und Bündnisse
      der Demokratieförderung gelten die Wahlbeobachtun-          Die regionale Kooperation ist maßgeblich durch die Ein-
      gen des Office for Democratic Institutions and Human        bindung in von Russland dominierte multilaterale For-
      Rights der OSZE. Mit Beginn des in Afghanistan geführ-      mate bestimmt. Während die GUS im Zuge der politi-

                                                                                               →
      ten Krieges der USA gegen die al-Qāida (ab Oktober          schen Fragmentierung des postsowjetischen Raumes an
      2001) rückte Z. auch sicherheitspolitisch ins Blickfeld     Gestaltungskraft verloren hat, ist die 2002 gegründete
      des Westens. Militärbasen in Kirgistan und Usbekistan       Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit
      waren in die Versorgungslogistik der von der NATO           (OVKS) weiterhin das wichtigste Format für die militär-
                                                     →

      gestellten Unterstützungstruppe ISAF integriert, von        und sicherheitspolitische Zusammenarbeit Russlands
      strategischer Bedeutung war (und ist) aufgrund seiner       mit den zentralasiatischen Mitgliedstaaten Kasachstan,
      langen Grenze mit Afghanistan auch Tadschikistan.           Kirgistan und Tadschikistan (sowie Armenien und
      Der Bedeutungszuwachs von Z. für Europa mündete             Weißrussland). Kasachstan und Kirgistan sind (neben
      2007 in einer Z.-Strategie der EU (neu aufgelegt 2019),     Armenien und Weißrussland) auch in die 2015 gegrün-
      die seit 1999 Partnerschafts- und Kooperationsabkom-        dete EWU eingebunden. Usbekistan, das zeitweise
                                                                         →

      men mit den Staaten Z.s unterhält. Die Stoßrichtung ist     der OVKS angehörte, hat die Organisation 2012 verlas-
      v. a. eine ökonomische, die Abkommen beinhalten aber        sen, ist jedoch der EWU 2020 als Beobachter beigetre-
      auch eine politische (Förderung von Rechtsstaatlichkeit     ten. Turkmenistan, das 1995 seine permanente Neu-
                                                                                                                   →
      und Zivilgesellschaft als Elemente demokratischer           tralität in der Verfassung festgeschrieben hat, gehört
            →

      Entwicklung) und neuerdings auch eine klimapolitische       keiner dieser Regionalorganisationen an. Im Gegensatz
      Dimension (Green Energy). Das westliche Engagement          zu seinen zentralasiatischen Nachbarn ist Turkmenistan
      kam den Staaten Z.s ökonomisch wie politisch zugute         auch kein Mitglied der SCO (gegr. 1996 bzw. 2001), die
      und bestärkte sie in ihrer „multivektoralen“ Außenpoli-     den wohl wichtigsten Mechanismus zur Wahrung eines
                                                 →

      tik, die auf eine strategische Balance abzielt, möglichst   strategischen Gleichgewichts zwischen China und Russ-
      große Spielräume offenhält und ein breites Spektrum         land auf dem eurasischen Kontinent darstellt.
      von Partnerschaften ermöglicht.                                Bis vor kurzem war die regionale Zusammenarbeit
                                                                  der Staaten Z.s von ausgeprägten Interessensgegensät-
                      6.2 Russland und China                      zen überschattet. Diese betrafen v. a. umstrittene Grenz-
      Diese außenpolitische Haltung resultiert nicht zuletzt      verläufe und die Nutzung der Wasserressourcen durch
      aus der strategischen Bedeutung, die Z. für Russland        die Ober- und Unterlieger der großen Ströme Amudarja
      und China besitzt. Für beide Regionalmächte steht da-       und Syrdarja, die für die Stromerzeugung bzw. Land-
      bei der Zugang zu Rohstoffen, Märkten und Handels-          wirtschaft der einzelnen Staaten von vitaler Relevanz
      wegen im Vordergrund. Russland, das neben China der         sind. Zudem begünstigten die der Region von externen
      wichtigste Wirtschaftsakteur in der Region ist, be-         Akteuren zugeschriebene Relevanz und das damit ver-
      ansprucht seit Wladimir Wladimirowitsch Putins              bundene monetäre Engagement in Z. unilaterale und
      Machtübernahme 2000 eine privilegierte Position in Z.       konfrontative Politikstile. Anreize zu einer verstärkten
      Dies bezieht sich neben der wirtschaftlichen Zusam-         regionalen Zusammenarbeit, gar zur Gründung eines
      menarbeit v. a. auf die Militär- und Sicherheitspolitik     genuin zentralasiatischen Kooperationsformats, wurden
                                          →

      (Nutzung von Militärbasen in Kirgistan und Tadschikis-      nicht zuletzt durch die Einbindungspolitik Russlands
Herder StL_8b / p. 278 / 16.9.2021

        527                                                     Zentralasien                                                  528

        unterminiert. Mit dem Politikwechsel in Usbekistan              1976) der regelmäßigen Konsultation beider und ist ein
        2016 und den von Taschkent ausgehenden außenpoliti-             ernstzunehmender Ort innerkirchlicher sowie kirchen-
        schen Initiativen ist jedoch ein Prozess in Gang gekom-         politischer Meinungs- und Willensbildung.
        men, der eine problemlösungsorientierte regionale Zu-               In Geschichte und Gestalt des ZdK spiegeln sich
        sammenarbeit in Z. in den Bereich des Möglichen rückt.          Selbstverständnis des Katholizismus bzw. Aufgaben

                                                                                               →
                                                                        des Laienapostolats als Teil politischen, gesellschaft-
                                 Literatur                              lichen und kirchlichen Wandels in Deutschland seit
        A. Schmitz: Die Transformation Usbekistans: SWP-Studie 13       dem 19. Jh. wider. Die Anfänge gehen auf die von deut-
        (2020) • M. Russell: The EU’s new Central Asia Strategy •       schen Katholiken getragene Petitionsbewegung zurück,
        P. Sartori: Of Saints, Shrines, and Tractors. Untangling the    die 1848/49 die Freiheit der Kirche von staatlicher He-
        Meaning of Islam in Soviet Central Asia, in: JIS 30/3 (2019),   gemonie einforderte. Die 1848 gewährte Vereins- und
        367–405 • J. Reeves: China’s Silk Road Economic Belt Initia-
                                                                           Versammlungsfreiheit führte dazu, dass die Struktu-

                                                                        →
        tive. Network and Influence Formation in Central Asia, in:
        JCC 27/112 (2018), 502–518 • C. Teichmann: Macht der Un-
                                                                        ren eines deutschlandweit organisierten Katholizismus
        ordnung. Stalins Herrschaft in Zentralasien 1920–1950, 2016     auf der Grundlage weltlichen Vereinsrechts entstanden
        • R. Kindler: Stalins Nomaden. Herrschaft und Hunger in Ka-     und rasch anwuchsen. Dessen gesetzliche Beschränkun-
        sachstan, 2014 • S. N. Cummings: Understanding Central          gen nach 1850 erforderten, die alljährlichen, später
        Asia. Politics and Contested Transformations, 2012 • J. Paul:   unter dem Namen Deutsche Katholikentage bekannt
        Neue Fischer Weltgeschichte, Bd. 10, 2012 • M. Sapper/          werdenden Generalversammlungen (GV) entspr. an-
        V. Weichsel/A. Huterer (Hg.): Machtmosaik Zentralasien,         zupassen (1848: GV des katholischen Vereins Deutsch-
        Osteuropa 8–9 (2007) • J. Stadelbauer: Mittelasien – Zentral-   lands, 1858: GV der katholischen Vereine Deutschlands,
        asien. Raumbegriffe zwischen wissenschaftlicher Strukturie-
                                                                        1872: GV der Katholiken Deutschlands).
        rung und politischer Konstruktion, in: PGM 147/5 (2003),
                                                                            Dem 1868 errichteten ZdK (Central-Komitee der katho-
        58–63.                                ANDREA SCHMITZ
                                                                        lischen Vereine Deutschlands) fiel die Doppelaufgabe zu,
                                                                        das Potential der auf den GV vertretenen Einzelvereine
                                                                        durch straffere Koordination zu bündeln und ohne Ver-
           Zentralkomitee der deutschen Katholiken                      stoß gegen die politisch restriktive Vereinsgesetzgebung
                            (ZdK)                                       zu mobilisieren. Unter dem Eindruck von Reichsgrün-
                                                                        dung und einsetzendem Kulturkampf übernahm seit
        Das ZdK ist ein Zusammenschluss von Männern und                                            →
                                                                        1872 anstelle des ZdK ein Commissär der Generalver-
        Frauen aus katholischen Laienorganisationen und -rä-            sammlung die Verantwortung für Organisation und
        ten sowie Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und        Durchführung der alljährlichen Zusammenkünfte. Die-
        Wissenschaft in Deutschland. Als eingetragener Ver-             se kommissariatsgebundene Gestalt, welche die Be-
                                                             →

        ein vertritt es die Anliegen der Katholiken in allen ge-        handlung kirchenpolitischer Grundfragen ermöglichte,
        sellschaftlichen, staatlichen und kirchlichen Angelegen-        blieb weit über die Kulturkampfjahre hinaus bestehen
        heiten. Die Vorbereitung und Durchführung der                   und wurde erst 1898 durch die Wiedereinsetzung eines
        zweijährlich stattfindenden Deutschen Katholikenta-             ZdK (Central-Komitee für die Generalversammmlung der
                                      →

        ge sind sichtbarer Ausdruck dieses Gestaltungswillens.          Katholiken Deutschlands) abgelöst.
        Als höchstes Organ des ZdK fasst die Vollversammlung                Einflussreiche katholische Adlige bestimmten die
        aus gewähltem Präsidium und Delegierten ( katho-                von außerordentlich großer Loyalität gegenüber Papst
                                                           →

                                                                                                                          →

        lischer Organisationen und Verbände, von Laienräten             und Kirche getragene Arbeit des Kommissariats bzw.
        der Diözesen, katholischen Einrichtungen und geist-             des ZdK. Namentlich die Fürsten zu Löwenstein-Wert-
        lichen Gemeinschaften sowie berufenen Einzelpersön-             heim-Rosenberg übten in drei aufeinanderfolgenden
        lichkeiten) seine Beschlüsse in eigener Verantwortung           Generationen (1868–1898: Karl-Heinrich, 1920–1948:
        und unabhängig von anderen Gremien. Diese werden                Aloys, 1948–1968: Karl) das Ehrenamt des ZdK-Prä-
        von einem Generalsekretär gemeinsam mit dem in                  sidenten aus. Seit 1906 stand ihnen zusätzlich ein Geist-
        Bonn (demnächst Berlin) ansässigen Generalsekretariat           licher als Generalsekretär zur Seite (1906–1921: Adolf
        umgesetzt.                                                      Donders, 1921–1927: Gustav Raps, 1927–1947: Theo-
           Die Deutsche Bischofskonferenz anerkennt das ZdK             dor Legge, 1947–1952: Franz Hengsbach, anschließend
        als dem Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über           als Geistlicher Assistent).
        das Apostolat der Laien (Apostolicam Actuositatem 26)               An der Schnittstelle zum politischen Katholizismus
        entspr.es Organ, das die Kräfte des Laienapostolats ko-         der Zentrumspartei ( Zentrum) bewegte sich das ZdK
                                                                                             →

        ordiniert und die apostolische Tätigkeit der Kirche för-        permanent in einem Spannungsfeld zwischen reichswei-
        dert (Statut § 1, Abs. 2). Ein von der Bischofskonferenz        ter Institutionalisierung des vielgestaltigen Vereins- und
        aus ihren Reihen bestellter Geistlicher Assistent berät         Verbandskatholizismus einerseits und der auf Pfarrei
        das ZdK in geistlichen und theologischen Fragen. Die            und Diözese ausgerichteten Zuständigkeit der Bischö-
                                                                                                                       →

        Gemeinsame Konferenz von je zehn Mitgliedern der                fe andererseits. Nach dem europaweiten Zusammen-
        Deutschen Bischofskonferenz und des ZdK dient (seit             bruch der alten Herrschaftsordnung stellte sich die
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