Stabile Angina pectoris - Leitsymptome, Diagnostik und Therapie

Die Seite wird erstellt Lennard Westphal
 
WEITER LESEN
FORTBILDUNG

Stabile Angina pectoris
Leitsymptome, Diagnostik und Therapie

Eine stabile Angina pectoris ist Ausdruck einer hoch-           Dieses Krankheitsgeschehen wird stabile Angina pectoris ge-
                                                                nannt. Das Beschwerdebild ist reproduzierbar und über einen
gradigen Koronarstenose und muss von einer instabi-             längeren Zeitraum berechenbar.
                                                                Eine Plaque kann jederzeit einreissen, es entsteht unmittelbar
len Angina pectoris und natürlich von einem Herz -              eine Plättchenaggregation, die das verbleibende Restlumen
                                                                partiell oder vollständig verlegt. Gerade cholesterinreiche Pla-
infarkt abgegrenzt werden. Bei der Therapie kommt               ques im frühen Stadium der Arteriosklerose zeigen diese Nei-
                                                                gung zur Plaqueruptur. Dieses Phänomen mag erklären,
es zum einen darauf an, die Grunderkrankung zu                  warum eine Angina-pectoris-Symptomatik plötzlich ohne Vor-
                                                                warnung und unabhängig von Belastungen auftreten kann.
behandeln (vasoprotektive Therapie), zum anderen,
                                                                Dieses Szenario wird akutes Koronarsyndrom, die damit ver-
die Beschwerden zu lindern. Zudem drängen neue                  bundenen Brustbeschwerden werden instabile Angina pectoris
                                                                genannt. Bei einem kompletten Koronarverschluss sterben
Medikamente auf den Markt, die die Sauerstoffver -              nach etwa 30 Minuten die nicht mehr durchbluteten Herzmus-
                                                                kelzellen ab, der irreversible Untergang von Herzmuskel-
sorgung verbessern sollen.                                      gewebe wird als akuter Herzinfarkt definiert.
                                                                Verdächtig für das Vorliegen einer instabilen Angina pectoris
                                                                sind folgende Umstände:
                  A N D R E AS M Ü G G E                        ■ neu auftretende Brustbeschwerden im Sinne einer Angina
                                                                   pectoris
Angina pectoris (Brustbeklemmung) ist das Leitsymptom der       ■ plötzliche Zunahme der Intensität oder Dauer von Angina-
koronaren Herzkrankheit (KHK). Diese ist Folge eines chro-         pectoris-Beschwerden
nischen Entzündungsprozesses, der in Abhängigkeit vom           ■ in Ruhe auftretende Angina-pectoris-Beschwerden.
Vorhandensein kardiovaskulärer Risikofaktoren (männliches
Geschlecht, Nikotinabusus, Diabetes mellitus, Hypertonie,
Fettstoffwechselstörungen) und familiärer Vorbelastung indi-
viduell unterschiedlich rasch verläuft.
                                                                                                          Merksätze
Plaquebildung und Plaqueruptur
Der Erkrankungsprozess führt zu einer Plaquebildung, die        ■   Bei Einengung einer Koronararterie um mehr als 50 Prozent kommt
über Jahrzehnte klinisch stumm verlaufen kann. Zunächst             es bei Belastung zur Angina pectoris, bei mehr als 90 Prozent stellen
wird die Plaquebildung durch eine Zunahme des Gefässdurch-          sich die Beschwerden bereits unter Ruhebedingungen ein.
messers kompensiert («Remodeling»). Erst im Verlauf er-
                                                                ■   Die antianginöse Therapie besteht aus Nitraten, Betablockern oder
schöpft sich dieser Kompensationsmechanismus, und es bildet
                                                                    lang wirksamen Kalziumantagonisten, allein oder in Kombination.
sich eine Stenose (Abbildung 1).
                                                                ■   Die Wirkung der neuen Medikamente zur Therapie der stabilen An-
Instabile und stabile Angina pectoris                               gina pectoris beruht vor allem auf einer metabolischen Steigerung
Wird das Koronargefässlumen durch eine unversehrte Plaque           der Belastbarkeit des Herzens.
um mehr als 50 Prozent eingeengt, kommt es unter körperli-      ■   Für Patienten mit refraktärer Angina pectoris steht ein neues
cher Belastung zu Durchblutungsstörungen. Diese erzeugen            schmerztherapeutisches Verfahren, die Spinal-Cord-Stimulation,
ein «Missempfinden» – die Angina pectoris. Ist das Herzkranz-       zur Verfügung.
gefäss um mehr als 90 Prozent eingeengt, stellen sich Angina-
pectoris-Beschwerden bereits unter Ruhebedingungen ein.

                                                                                                                ARS MEDICI 12 ■ 2009   491
FORTBILDUNG

                                                                                         Basismassnahmen bei stabiler Angina pectoris
                                    Intima/Plaque
   Media                                                                                 Die Therapie verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: Symptom-
                                                                                         freiheit und Verbesserung der Prognose durch Behandlung der
                                                                                         Grunderkrankung. Uns steht ein ganzes Arsenal an Möglich-
                                                                                         keiten zur Verfügung (Abbildung 3). Bevor dieses Arsenal aber
                                                                                         geöffnet wird, sollten Begleiterkrankungen, die eine Angina-
                                                                                         pectoris-Symptomatik erschweren können, erkannt und be-
                                       Lumen
                                                                                         handelt werden. Dazu gehören in erster Linie die Anämie, der
                                                                                         schlecht kontrollierte Blutdruck und eine Hyperthyreose.
   Normal                          «Remodeling»                        Stenose

                                                                                         Antianginöse Therapie
Abbildung 1: Plaques führen anfänglich nicht zu einer Einengung des Lumens, sondern es
                                                                                         Basis der antianginösen Therapie ist eine Therapie mit Nitra-
kommt zu einer Zunahme des Gefässdurchmessers («Remodeling»). Erst wenn dieser
Mechanismus versagt, entsteht eine Stenose.                                              ten, Betablockern oder lang wirksamen Kalziumantagonisten,
                                                                                         allein oder in Kombination. Metaanalysen von über 90 rando-
Bei Verdacht auf eine instabile Angina pectoris muss ohne Zeit-                          misierten Studien lassen keinen Vorteil der Betablocker über
verlust eine Abklärung in einem Krankenhaus, am besten mit                               die Kalziumantagonisten erkennen, vergleichende Studien mit
einer spezialisierten Einrichtung wie einer Chest-Pain-Unit                              Nitraten gibt es zu wenige, um gegenüber Nitraten einen
(Herzschmerz-Ambulanz), erfolgen. In der Regel wird rasch                                Unterschied nachzuweisen. Die amerikanischen und euro-
koronarangiografiert, um Hochrisikopatienten zu identifizie-                             päischen Fachgesellschaften favorisieren – auch ohne Evidenz –
ren und gegebenenfalls einen drohenden Infarkt abzuwenden.                               Betablocker als First-Line-Medikamente in der Behandlung der
                                                                                         stabilen Angina pectoris.
Symptomenspektrum
Die Angina pectoris kann sich sehr variabel präsentieren (Ab-
bildung 2). Viele Betroffene klagen nicht über Schmerzen, son-
                                                                                                                               Unterkiefer 10%
dern zum Beispiel über ein Beklemmungsgefühl, Brustenge,
                                                                                                                                     Hals 10%
Brennen, starken Druck oder einen Reif um den Brustkorb. Die
                                                                                                                                               Rücken 10%
Beschwerden sind nicht punktuell, sondern eher «flächig», sie
können nicht durch Druck auf die Rippen ausgelöst werden.                                                                               linke Schulter 20%
Häufig geht die Angina pectoris mit einem Angstgefühl und
                                                                                                                                        retrosternal 70%
vagalen Begleitsymptomen wie Übelkeit, Erbrechen und
Schweissausbruch einher oder mit Luftnot.                                                                                                  links thorakal 40%
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zum Herzinfarkt ist,
dass die stabile Angina pectoris unter Ruhebedingungen oder                                                                                       epigastrisch 20–30%
nach Gabe von nitrohaltigen Medikamenten (Nitrospray oder
Nitrokapseln) innerhalb von wenigen Minuten vollständig re-
                                                                                                                                                   linker Arm 30%
versibel ist. Dauern Angina-pectoris-Beschwerden länger als
20 Minuten an, muss an einen Herzinfarkt gedacht werden.
Als klinisch brauchbar hat sich eine Klassifikation der Angina                           Abbildung 2: Mögliche Lokalisationen von Beschwerden bei Angina pectoris.
pectoris in «typisch», «atypisch» und «nicht kardial» erwiesen.

Typische Angina pectoris                                                                 Ein Wort zur Verträglichkeit von Betablockern: Erkrankungen
■ retrosternales Druck- oder Engegefühl                                                  wie COPD oder pAVK stellen keine Kontraindikationen dar,
■ unter körperlichem oder emotionalem Stress auftretend                                  eine antianginöse Therapie mit Betablockern wird bei diesen
■ vollständig reversibel unter Ruhe oder innerhalb von Mi-                               Patienten in der Regel besser vertragen als vielleicht erwartet.
  nuten nach Gabe von Nitrospray/-kapseln.                                               Betablocker sollten aber mit Kalziumantagonisten vom Diltia-
                                                                                         zem- und Verapamiltyp nicht kombiniert werden.
Atypische Angina pectoris                                                                Die Nitrate unterscheiden sich im Wirkbeginn und in der Wirk-
■ nur zwei der Kriterien treffen zu.                                                     dauer (Tabelle). Der beste Weg, eine Nitrattoleranz zu verhin-
                                                                                         dern, ist eine intermittierende Gabe von Nitraten mit nächt-
Verdacht auf nicht kardialen Brustschmerz                                                lichen Pausen. Nitrate sollten nicht gleichzeitig mit selektiven
■ nur ein oder kein Kriterium trifft zu.                                                 Phosphodiesterase-5-Hemmern wie Sildenafil (Viagra®) einge-
                                                                                         nommen werden, der zeitliche Abstand sollte bei mindestens
Eine atypische Angina pectoris ist bei einzelnen Patienten-                              24 Stunden liegen. Nehmen KHK-Patienten regelmässig PDE-5-
gruppen gehäuft zu beobachten, zum Beispiel bei Frauen oder                              Hemmer ein, sollte die antianginöse Therapie gänzlich auf
bei Patienten mit diabetischer Neuropathie.                                              Betablocker und Kalziumantagonisten umgestellt werden.

492     ARS MEDICI 12 ■ 2009
S TA B I L E A N G I N A P E C T O R I S

        Antiischämische Therapie                         Korrektur von                               Neue Medikamente
        ■ Nitrate                                        Begleiterkrankungen                         ■ Ranolazin
        ■ Betablocker                                    ■ Anämie (Hb > 10 g/dl)                     ■ Trimetazidin
        ■ Kalziumantagonisten                            ■ Hypertonie                                ■ Nicorandil
                                                         ■ Hyperthyreose                             ■ Fasudil
                                                                                                     ■ Ivabradin
                                                                                                     ■ Molsidomin

                                                           p li   kationsfreihe
               PTCA1 /ACVB2                            Kom                          it                           PICVA3 /PICAB4

        Vasoprotektive Therapie                                                                      Spezialtherapie
                                                       Be s
        ■
        ■
          ASS
          Statine
                                                           chwerdefreiheit                           ■ Spinal-Cord-Stimulation
                                                                                                     ■ Counterpulsation
        ■ ACE-Hemmer                                                                                 ■ Gentherapie
        ■ Lebensstil                                                                                 ■ Zelltherapie
        ■ Risikofaktoren                                                                             ■ Endosk. Sympathektomie
                                                                                                     ■ TMR-/PMR-Laser

    1                                                                                            3
        PTCA = perkutane, transluminale Angioplastie                                                 PICVA = percutaneous in situ coronary venous arterialisation
    2                                                                                            4
        ACVB = aorto-koronare Venen-Bypass-Operation                                                 PICAB = percutaneous in situ coronary artery bypass

Abbildung 3: Therapie der stabilen Angina pectoris

Vasoprotektive Therapie                                                   nimmt. Nicht überraschend konzentriert sich daher die Vermark-
Ein wesentlicher Eckpfeiler in der Behandlung der Angina                  tung von Ranolazin auf Diabetespatienten mit Angina pectoris.
pectoris sind Massnahmen, die die Progression der Grund-                  Trimetazidin (nicht im CH-Kompendium) wirkt nur metabo-
erkrankung verhindern (Abbildung 3).                                      lisch, der Energiestoffwechsel des Herzens wird von einer Fett-
Das LDL-Cholesterin bei KHK-Patienten mit stabiler Angina                 säuren- zu einer Glukosemetabolisierung verändert, dadurch
pectoris sollte unter 100 mg/dl liegen, bei multiplen Risikofak-          schöpft das Herz mehr ATP pro Sauerstoffeinheit. In mehr als
toren unter 70 mg/dl.                                                     23 Studien wurde gezeigt, dass diese Substanz allein oder in
Zwei Studien – EUROPA und HOPE – belegen einen vaskulo-                   Kombination die Belastbarkeit erhöht und Angina-pectoris-An-
protektiven Benefit einer ACE-Hemmertherapie. Die euro-                   fälle reduziert. Nebenwirkungen wie bei Ranolazin (Übelkeit
päischen Leitlinien von 2006 empfehlen eine ACE-Hemmer-                   und Schwindel) treten weniger auf.
therapie bei Zustand nach Myokardinfarkt, Hypertonie, LV-                 Nicorandil (Dancor®) verfügt über zwei Wirkmechanismen:
Dysfunktion, Diabetes oder Nierenfunktionsstörung.                        Es hat Nitrateigenschaften, zusätzlich öffnet es die ATP-ab-
                                                                          hängigen Kaliumkanäle am Herzen. Der letztere Punkt ist
Neue Medikamente                                                          interessant, denn über diese Kanäle wird das Phänomen der
Zusätzlich zu diesen Basismedikamenten sind eine ganze                    ischämischen Präkonditionierung vermittelt, das heisst, dass
Reihe von neuen Substanzen entwickelt worden, die teilweise               wiederholte Episoden von kurzen Ischämien die Toleranz des
auch bereits im Handel verfügbar sind. Summarisch lässt sich              Herzens für folgende Ischämien erhöhen. Im IONA-Trial senkte
anmerken, dass die neuen Substanzen im Wesentlichen von                   Nicorandil kardiovaskuläre Endpunkte wie Tod und Myokar-
einer metabolischen, weniger hämodynamischen Seite her die                dinfarkt. Dies ist insofern bemerkenswert, da keine andere an-
Belastbarkeit des Herzens erhöhen und Angina-pectoris-                    tianginöse Substanz bisher diesen prognostischen Endpunkt
Anfälle reduzieren.                                                       positiv beeinflussen konnte.
Ranolazin (Ranexa®, nicht im CH-Kompendium) erhöht die                    Ivabradin (Procoralan®) hemmt If-Kaliumkanäle im Sinus-
Glukosemetabolisierung des Herzens, die Hauptwirkung ist                  knoten und senkt darüber hinaus die Herzfrequenz. Bei über
eine Hemmung von Natriumkanälen, dadurch wird eine Kal-                   5000 Patienten konnte gezeigt werden, dass sich die Belastbar-
ziumüberladung der Herzzelle verhindert (Zelle verarmt an                 keit und die Symptomatik von Patienten mit stabiler Angina
Natrium, der Natrium-Kalzium-Transporter sorgt für eine Ver-              pectoris bessern liessen. Die Hauptindikation wird für KHK-
meidung eines Kalzium-Overloads). In der ERICA-Studie konnte              Patienten gesehen, die einen Betablocker nicht oder nur ein-
der zusätzliche Nutzen dieses Therapieprinzips demonstriert               geschränkt tolerieren. In der im Jahr 2008 publizierten
werden. Unklar ist, ob diese Substanz nur symptomatisch hilft             BEAUTIFUL-Studie verbesserte eine Herzfrequenzreduktion
oder auch prognostisch einen Benefit hat. Ein interessanter               mit Ivabradin jedoch nicht die Prognose von Patienten mit
Nebeneffekt ist, dass bei Diabetespatienten der HbA1c-Wert ab-            einer KHK und reduzierter LV-Funktion.

                                                                                                                                ARS MEDICI 12 ■ 2009                493
FORTBILDUNG

                                                                                              am Herzen korrigiert und damit typische
   Tabelle: Am häufigsten verwendete Nitrate in der Schweiz                                   Beschwerden gelindert werden können,
                                                                                              aber dass mit diesem Eingriff nicht die
Organische Nitrate                         Darreichungsform   Wirkbeginn     Wirkdauer        Grunderkrankung beherrscht wird oder
                                                                 min             h            Komplikationen der Grunderkrankung wie
Glyceroltrinitrat (GNT)                         Spray             1              0,5          Myokardinfarkt verhindert werden.
(Nitroderm®,  Nitroglycerin Streuli®,          Tablette          2—5             1—2
Nitrolingual, Trinitrin Simplex Laleuf®)                                                      Koronarangiografie: Ja oder Nein?
                                                Patch            5—10           4—8           An die Frage nach einer Intervention ist
Isosorbiddinitrat                              Tablette          1—2               1          auch die Frage nach einer diagnostischen
(Isoket®, Sorbidilat®)                       Slow Release       10—30            8—12         Koronarangiografie gekoppelt. Die natio-
                                                                                              nalen Leitlinien sehen eine Klasse-IA-Indi-
                                                Spray           10—20            4—6
                                                                                              kation, wenn eine Angina pectoris auf
Isosorbid-5-Mononitrat                         Tablette         10—30             1—2         niedrigem Belastungsniveau unter Medi-
(Corangin®)                                                                                   kation besteht beziehungsweise neu auf-
                                                                                              tritt oder bei Hochrisikopatienten mit posi-
                                                                                              tiven Stresstests, die grosse Perfusionsde-
                                                                                              fekte vermuten lassen. Generell lässt sich
Fasudil ist ein Hemmer der rho-Kinase, ein kleines Molekül,                anmerken, dass es bei einer typischen Angina-pectoris-Sym-
das in der Signalkaskade für die Relaxation der glatten Gefäss-            ptomatik weniger darauf ankommt, die zugrunde liegende
muskulatur von Bedeutung ist. Fasudil kann die Belastungs-                 KHK nachzuweisen, als anhand der Komorbidität, der Belast-
dauer bis zum Auftreten von ST-Senkungen verlängern, es ist                barkeit, des Ausmasses der Grösse der Minderperfusion, der
jedoch noch nicht geklärt, ob damit auch die Angina-pectoris-              linksventrikulären Pumpfunktion und des aktuellen Koronar-
Symptomatik zu behandeln ist.                                              status (Hauptstammstenose, proximal gelegene Läsionen,
Molsidomin (Corvaton®) ist ein NO-Donor und benötigt keine                 dominante Gefässe) Hochrisikopatienten zu identifizieren.
Biotransformation wie die Nitrate, um Gefässe zu relaxieren.
Es wird in Deutschland anstelle von Nitraten, aber auch in                 Neue Techniken
Kombination mit Nitraten verabreicht und ist ebenso wie Ni-                Zurzeit erforscht werden weitere Interventionstechniken, bei
trate in der Lage, die Belastungsdauer zu verbessern und die               denen perkutan von einem Koronargefäss aus ein künstlicher
Anzahl von Angina-pectoris-Anfällen zu reduzieren. Schwierig               Shunt in eine Koronarvene geschaffen wird und eine Region
einzuschätzen ist mit der NO-Freisetzung die gleichzeitige                 des Herzens sozusagen retrograd über die Koronarvenen per-
Freisetzung von Sauerstoffradikalen. Ob dieses (biochemi-                  fundiert wird (PICVA = percutaneous in situ coronary venous
sche) Phänomen von klinischer Relevanz ist, ist unklar.                    arterialisation). In einem anderen Ansatz wird ein Shunt vor
                                                                           und nach einer Koronarstenose künstlich erzeugt, sodass das
Interventionen                                                             Blut an der Stenose vorbei «gebypasst» wird (PICAB = percu-
Kann medikamentös keine Beschwerdefreiheit erreicht wer-                   taneous in situ coronary artery bypass). Diese Verfahren sind
den, sind Interventionen hilfreich und auch erst dann indiziert.           noch klinisch experimentell, die Komplikationsraten sind
Wir verfügen über die Möglichkeit einer perkutanen trans-                  hoch, sodass es noch nicht absehbar ist, ob diese Techniken in
luminalen Angioplastie (PTCA, Ballonkatheter) und über die                 den klinischen Alltag Einzug halten werden.
aorto-koronare Venen-Bypass-Operation (ACVB). Patienten mit                Andere Techniken haben jedoch das experimentelle Stadium
einer koronaren Ein- oder Zwei-Gefäss-Krankheit (d.h. eines                bereits verlassen und wurden mehr oder weniger unter klini-
oder zwei der grossen Koronargefässe sind erkrankt) werden in              schen Bedingungen erprobt. Diese Verfahren reichen von der
der Regel mittels einer PTCA im Herzkatheterlabor behandelt,               endoskopischen Sympathektomie, externen Counterpulsation
solche mit einer Drei-Gefäss-Krankheit oder Läsionen am lin-               bis hin zur intrakoronaren Applikation von Stammzellen oder
ken Hauptstamm werden in der Regel einer ACVB-Operation                    Wachstumsfaktoren oder zur transmyokardialen (TMR) bezie-
unterzogen. Der wichtigste diagnostische Schritt vor einer                 hungsweise perkutanen Laser-(PMR-)Revaskularisation. TMR
geplanten Koronarintervention ist die Klärung der Frage, ob die            und PMR werden inzwischen weltweit nur noch in Einzelfäl-
zur Revaskularisierung (sei es PTCA oder ACVB-Op.) vorgese-                len verfolgt. Andere Methoden, wie die Enhanced External
henen Stenosen überhaupt das klinische Beschwerdebild ver-                 Counterpulsation (EECP), die über pneumatische Kompressen
ursachen. Die vielerorts zu beobachtende Praxis, im Zweifels-              an den Beinen einen verstärkten Rückstrom zum Herzen in der
fall zunächst zu dilatieren und dann klinisch abzuwarten, ob               Diastole fördert, werden derzeit weiter klinisch untersucht.
dieser Eingriff auch helfen wird, ist meines Erachtens nicht mit           Ein relativ neues Verfahren findet jedoch schon jetzt Anwen-
einem hohen Qualitätsstandard vereinbar.                                   dung für Patienten, bei denen eine refraktäre Angina pectoris
Man muss sich darüber im Klaren sein, dass mit der PTCA be-                vorliegt. Damit sind Patienten gemeint, bei denen alle bisheri-
ziehungsweise ACVB-Operation die regionale Minderperfusion                 gen Therapien zu keiner Beschwerdefreiheit führen. In der

494     ARS MEDICI 12 ■ 2009
FORTBILDUNG

                                                                                                                                   eines Herzinfarkts. Diagnostisch hilfreich
      Platzierung Elektrode epidural in Höhe von Th1-C7 (gelber Pfeil)                                                             ist die Klassifikation in eine typische, aty-
      Generator links abdominal                                                                                                    pische oder nicht kardiale Angina-pectoris-
      Stimulation 1 h/Tag bzw. selbst durch den Patienten                                                                          Symptomatik. Atypische Formen einer An-
                                                                                                         Hübe Nitro/Tag
                                                                                                                                   gina pectoris sind häufiger bei Frauen und
                                                                     10                                            10
                                                                                                                                   Diabetikern. Eine neu aufgetretene Angina
                                                                      9            Schmerzintensität                9
                                                                                   Nitrohübe                                       pectoris oder eine Angina pectoris auf
                                                                     8                                              8
                                                                                                                                   einem niedrigen Belastungsniveau erfor-
                                                                      7               Stimulation                   7

                                                                      6                                             6
                                                                                                                                   dert eine rasche invasive Abklärung.
                                                                                                                                   Die Behandlung der stabilen Angina pecto-

                                                           NRS
                                                                      5                                             5

                                                                     4                                              4              ris ist multimodal. Neben der Korrektur
                                                                      3                                             3              von Begleiterkrankungen (Anämie, Hyper-
                                                                      2                                             2
                                                                                                                                   tonie und Hyperthyreose) ist die Behand-
                                                                      1                                             1
                                                                                                                                   lung der Grunderkrankung («vasoproktek-
                                                                      0                                             0
                                                                         1   2    3    4   5   6     7    8    9                   tive Therapie») ein Eckpfeiler. Die Basis der
                                                                                  Behandlungsmonate
                                                                                                                                   antianginösen Therapie sind Betablocker,
                                                                                                                                   Nitrate und/oder lang wirksame Kalzium-
Abbildung 4: Spinal-Cord-Stimulation: Der Patient kann einen in der Bauchhaut implantierten Schrittmacher selbstständig
                                                                                                                                   antagonisten. Neue Medikamente drängen
aktivieren, der Impulse an eine Elektrode im Rückenmarksraum abgibt (Pfeil).
                                                                                                                                   auf den Markt, die metabolisch die Sauer-
                                                                                                                                   stoffverwertung verbessern sollen.
Regel sind dies Patienten mit einer langen KHK-Vorgeschichte,                                        Lässt sich medikamentös keine Beschwerdefreiheit erreichen,
die schon mehrfach Interventionen wie ACVB-Operation                                                 besteht die Indikation für eine Revaskularisierung. Dies gilt
und/oder PTCA unterzogen wurden. Schliesslich wird ein                                               auch für einzelne Hochrisikopatienten. Die Wahl der Revasku-
Punkt erreicht, an dem keine weitere Intervention mehr sinn-                                         larisierung (PTCA, ACVB-Op.) hängt von individuellen Fakto-
voll erscheint und trotz umfangreicher Medikation der Patient                                        ren ab, unter anderem auch von lokalen Begebenheiten, ver-
hochsymptomatisch auf kleinstem Belastungsniveau leben                                               bindliche Vorgaben existieren nicht.
muss. In solchen Fällen kann ein schmerztherapeutisches Kon-                                         Im Fall einer refraktären Angina pectoris werden neue Tech-
zept mit einer Spinal-Cord-Stimulation weiterhelfen. Es wird                                         niken klinisch erprobt. Vielversprechend ist die Spinal-Cord-
eine Elektrode in den Rückenmarkskanal in Höhe C7-Th1 ein-                                           Stimulation, ein schmerztherapeutischer Ansatz, der den Pa-
geführt und an einen Schrittmacher angeschlossen, der im                                             tienten erlaubt, über einen Spezialschrittmacher die Wahrneh-
Bauchraum unter der Haut implantiert wird und selbstständig                                          mung des Angina-pectoris-Schmerzes zu modulieren.                          ■
durch den Patienten aktiviert werden kann (Abbildung 4).
Mit Aufnahme der täglichen Stimulation reduziert sich schlag-                                        Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de/downloads

artig die Anzahl an therapiebedürftigen Angina-pectoris-Epi-
soden, der Verbrauch an Nitrospray nimmt drastisch ab. Diese                                                                                       Prof. Dr. med. Andreas Mügge
Technik wird in Deutschland an einzelnen Zentren angeboten,                                            Herzzentrum der Kliniken der Ruhr-Universität Bochum,
die Erfahrung ist jedoch noch begrenzt, typische Komplikatio-                                                         Direktor an den Standorten Bergmannsheil und
nen sind Infektionen, die mit einer Häufigkeit von etwa 1 Pro-                                                                                                  St. Josef-Hospital
zent in der Literatur angegeben werden.                                                                                                                         D-44791 Bochum

Fazit für die Praxis
Der Angina pectoris liegt in der Regel eine weit fortgeschrittene                           Interessenkonflikte: keine
KHK mit einer oder mehreren hochgradigen Koronarstenosen
zugrunde. Klinisch relevant ist die Unterscheidung in eine sta-
bile und eine instabile Angina pectoris. Jederzeit kann eine sta-                           Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 4/2009.
bile in eine instabile Angina pectoris übergehen mit der Gefahr                             Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.

496      ARS MEDICI 12 ■ 2009
Sie können auch lesen