Stadtentwicklung lesen - ein Stadtplan überliefert Geschichte
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11 2 Stadtentwicklung lesen – ein Stadtplan überliefert Geschichte Gabriele M. Knoll 2.1 Wirtschaftsgeschichte aus dem Kölner Stadtplan geholt – 12 2.2 Stadtwachstum zu Füßen des Heidelberger Schlosses – 13 2.3 Nahezu unveränderliche Kennzeichen einer mittelalterlichen Stadt über die Jahrhunderte hinweg – 18 2.4 Rothenburg ob der Tauber als Paradebeispiel einer mittelalterlichen Stadt und Destination des internationalen Tourismus – 19 2.5 Die Mozart- und Festivalstadt Salzburg – Tourismus aus Sicht der Bereisten – 21 2.6 Historic Highlights of Germany – ein Netzwerk zur internationalen Vermarktung 13 altehrwürdiger Städte – 22 Literatur – 22 G. M. Knoll, Landschaften geographisch verstehen und touristisch erschließen, DOI 10.1007/978-3-642-55426-1_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
12 Kapitel 2 • Stadtentwicklung lesen – ein Stadtplan überliefert Geschichte Ein aktueller oder historischer Stadtgrundriss, ein alter – wie schon zur Römerzeit – der Rhein einen 1 moderner Stadtplan, ein Ausschnitt aus einer amt- europäischen Haupttransportweg darstellte, stand lichen Grundkarte und erst recht ein detaillierter bzw. steht noch immer ein Stapelhausnahe am 2 Plan mit den Namen von Straßen, Plätzen, Gassen Wasser. Die Kölner profitierten von einem inter- und Gebäuden lassen sich wie ein Geschichtsbuch nationalen Warenangebot in ihrer Stadt, denn fast zur Stadtentwicklung lesen. Wo begann das Wachs- alle Waren mussten hier gestapelt, d. h. ausgeladen 3 tum der Siedlung, die schließlich in den Rang einer und zum Verkauf angeboten, werden (vgl. Ennen Stadt erhoben wurde? An welchen Details kann man 1975, S. 179): Käse, Speck, Schinken, Öl, Getreide, 4 erkennen, dass es sich um eine „richtige“ Stadt han- Meeresfische, Salz, lebendes Vieh, Honig, Wein, Ei- delte? Wer hatte hier einst das Sagen? Ist die Stadt sen, Stahl, Blei, Bauholz, Steine, Tuche, Leinwand, 5 ohne Plan entstanden oder auf dem Reißbrett? Wel- Wolle, Waid und manches mehr. Damit man der che Rolle spielt die Landschaft, in der sie angelegt anspruchsvollen Kundschaft nichts vorenthalten wurde? Wie sah das städtische Wirtschaftsleben in konnte, gab es für den reisenden Kaufmann noch 6 vergangenen Zeiten aus? Wie verteilt es sich über den Zwang, seine übrig gebliebenen Waren für die die Stadtfläche? Welche Wachstumsphasen lassen Weiterfahrt in ein anderes Schiff zu laden. Köln 7 sich über die Jahrhunderte hinweg beobachten? sollte sich somit zu einem führenden Handelsplatz Oder, was der Tourist auf seiner individuellen am gesamten Rheinlauf entwickeln. Entdeckungstour sucht: Wo befinden sich die viel- Vom Wohlstand und einer großen betuchten 8 leicht interessantesten Straßen und Gassen der Alt- Klientel innerhalb der Stadtmauern künden auch stadt, die man gesehen haben sollte, die eventuell Straßenbezeichnungen wie „Unter Goldschmied“, 9 nicht im Reiseführer stehen? Der Geheimtipp ab- „Unter Seidenmacher“,„Seidmacherinnengässchen“ seits der ausgetretenen Touristenpfade zum Selber- oder die „Pelzergasse“. Für solcherlei Luxusgüter 10 finden oder aus einer anderen Position betrachtet: und Statussymbole waren vor allem die zahlreichen eine kleine neue Attraktion als Alleinstellungsmerk- Stifte und Kirchen im „Rom des Nordens“ gute mal fürs lokale Tourismusmarketing? Auftraggeber, aber auch die hervorragende Ver- 11 kehrslage und die wirtschaftlichen Verflechtungen des Klerus sorgten für einen weiträumigen Absatz 12 2.1 Wirtschaftsgeschichte von Kunst und Kunsthandwerk. aus dem Kölner Stadtplan In die profane Geschichte führen Straßennamen geholt wie beispielsweise die Fleischmengergasse und der 13 Buttermarkt. Das letztgenannte Beispiel macht Einige Blicke auf den Plan der Kölner Altstadt er- deutlich, dass ein Markt nicht unbedingt als Platz 14 lauben zahllose Rückschlüsse auf das Wirtschafts- angelegt sein muss, sondern auch eine Gasse oder leben vergangener Zeiten. Beginnen wir am Rhein. eine Straße sein kann. Bürgeralltag zeigt sich auch 15 Straßennamen wie „Holzwerft“ und „Franken- mit einer Hutmachergasse und einer Taschenma- werft“, die auf den Schiffsbau hinweisen, verwun- chergasse. Ähnlich, wie man es heutzutage noch dern nicht bei einer Stadt am Strom. Tiefer dringt von den Basaren der arabischen Welt kennt, konn- 16 man schon „Am Leystapel“ in ihre Geschichte ein. ten sich die Werkstätten und Wohnhäuser einer Am 7. Mai 1259 bekamen die Kölner Bürger end- Branche, einer Zunft oft in direkter Nachbarschaft 17 lich nach rund einem Jahrhundert Bemühen das in einer Straße oder Gasse befinden. Angst vor Kon- Privileg des Stapelrechtes vom Erzbischof Kon- kurrenz war nicht unbedingt ein Thema! rad von Hochstaden. Das bedeutete, dass jeder An großen Marktplätzen fehlt es in der Kölner 18 fremde Kaufmann aus Ungarn, Böhmen, Polen, Altstadt auch nicht. Die Lage des „Alter Markts“ Sachsen, Thüringen, Schwaben, Hessen, Flandern und des „Heumarkts“ an diesen Standorten ist kein 19 oder Brabant auf seiner Handelsreise in Köln ei- Zufall. Sie erlaubt sogar Rückschlüsse auf den Un- nen Stopp einlegen und seine Waren den Kölnern tergrund, denn auf diesem sumpfigen Gelände, das 20 zum Verkauf anbieten musste. Da auch im Mittel- zur Römerzeit noch von einem Rheinarm durch-
2.2 • Stadtwachstum zu Füßen des Heidelberger Schlosses 13 2 flossen wurde, vermied man es noch in der Mitte auf trockenem Grund an einem Bach und konnten des 12. Jahrhunderts, Häuser zu bauen. Östlich mitten in der Altstadt auch keine Windmühlen sein! dieser Linie zum Rhein hin befand sich eine von Es handelte sich dabei um acht Schiffmühlen, die den Römern mit Hafengebäuden genutzte Insel, aus die Strömung des Rheins vor der Gasse antrieb (En- der die mittelalterliche Rheinvorstadt um Groß St. nen 1975, S. 139). Trotz dieses eher seltenen, wenn Martin werden sollte. Die schmalsten und kleins- auch nicht so ungewöhnlichen Standortes verraten ten Gassen der Altstadt befinden sich in diesem Ortsbezeichnungen rund um Mühlen vieles über Bereich. die einstige Wirtschaft und oftmals versteckt sich Feinheiten zur Topographie des Kölner Unter- dahinter noch ein Baudenkmal. grunds und der Wirtschaftsgeschichte bietet der Kaum ein Zweifel besteht bis in unserer Tage Straßenzug „Rotgerberbach“, „Blaubach“ – in der über die Ausdehnung einer mittelalterlichen Stadt, Nähe von „Waidmarkt“, „Mühlenbach“ und „Fil- denn die Befestigung mit Mauer, Wall und Graben zengraben“. Schon die Namen weisen auf einen legte eine unmissverständliche Grenzlinie fest. Köln nicht mehr sichtbaren Bach hin, den Duffesbach, kann mit seinem dritten Mauergürtel, der zwischen der einst die Südgrenze der Colonia Claudia Ara 1180 und 1259 errichtet wurde, sogar die größte Agrippinensium darstellte. Noch im 12. Jahrhun- Stadtbefestigung im Heiligen Römischen Reich dert markierte der geschwungene Bachlauf die Deutscher Nation bieten. 7,5 km lang, mit zwölf mo- Stadtgrenze. Im Jahr 1164 sollte sich ein kleiner numentalen Torburgen (Teile der Eigelsteintorburg, Zugang in der Nachbarschaft der Kirche St. Ma- des Hahnentores, der Ulrepforte sowie des Severins- ria im Kapitol – „Kapitol“ erinnert daran, dass tores sind noch erhalten), zwölf kleineren Toren auf hier zur Römerzeit der gleichnamige Tempel der Rheinseite und 52 Wehrtürmen versehen zog sie stand – zu einem wichtigen Meilenstein in der sich im Halbkreis um die Stadt. Dieser Halbkreis ist Wirtschaftsgeschichte entwickeln. Durch das in jedem noch so abstrahierten Stadtplan auszuma- „Dreikönigen-Pförtchen“ kamen die Gebeine der chen! Natürlich spiegeln Straßennamen den Verlauf Heiligen Drei Könige in die Stadt, und der Beginn wider, so die Wallstraßen („Thürmchenswall“, „Ge- des Aufstiegs Kölns zu einem der großen Pilger- reonswall“, „Friesenwall“, „Mauritiuswall“, „Panta- ziele der Christenheit begann. Diese Attraktion leonswall“, „Kartäuserwall“, „Severinswall“) auf der sollte nachhaltig die Wirtschaft beflügeln, die Stadtseite der Mauer und die „Ringe“ („Ubierring“, Bedeutung und den Reichtum der Stadt mehren. „Karolingerring“, „Sachsenring“, „Salierring“, „Ho- Eine Mühle am einstigen Lauf des Duffesbaches henstaufenring“, „Habsburgerring“, „Hohenzollern- existiert heute noch in der Nachfolge einer 1572 ring“, „Kaiser-Wilhelm-Ring“, „Hansaring“, „Theo- erbauten städtischen Malzmühle: Es ist die Haus- dor-Heuss-Ring“) auf der Feldseite. 1881 wurde die brauerei „Malzmühle“, die 1858 als „Bier- und Mal- Stadtbefestigung aufgegeben und die erste Bresche zextrakt-Dampfbrauerei Hubert Koch“ gegründet geschlagen: Man schuf Platz für die Anforderungen wurde. Ob Hubert Koch bei seiner Gründung und Wünsche der „modernen“ Zeit. noch auf das Wasser des Duffesbaches vertraute, bleibt offen, doch als zweiter Standortfaktor darf für sein Unternehmen die Nähe zum Kornhandel 2.2 Stadtwachstum zu Füßen auf dem Heumarkt gelten. Am südlichen Rand des des Heidelberger Schlosses „Heumarktes“ und nahe bei den kurzen Straßen- abschnitten „über“ dem einstigen Duffesbach „An Eine andere typische Variante einer Stadtentwick- der Malzmühle“ und „Am Malzbüchel“ betreiben lung im Mittelalter, die sich nicht minder deutlich seine Nachfahren die Brauerei. in Stadtplänen ablesen lässt, zeigt das Beispiel Hei- Die „Mühlengasse“, die vom Nordende des delberg. In diesem Fall ist eine Burg – auch wenn „Alter Markts“ zum Rhein führt, lässt vermuten, buchstäblich alle Welt vom Heidelberger „Schloss“ dass sich hier diverse Mühlen aneinanderreihten. spricht – der Ausgangspunkt der Siedlungsentwick- Doch die dazu gehörenden Mühlen standen nicht lung. 1225 wird eine Burg erstmals erwähnt.
14 Kapitel 2 • Stadtentwicklung lesen – ein Stadtplan überliefert Geschichte verstärkt und erhöht sein kann, ein besonders 1 gesichertes Burgtor und Türme, von denen aus sich die Ringmauer verteidigen ließ. Am stärks- 2 ten befestigt war der Bergfried, der auch als letzter Rückzugsort der Burgbewohner im Falle eines Angriffs diente. Als Wohn- und Amtssitz 3 des Burgherrn erbaute man den Palas, der den größten Wohnkomfort jener Zeit aufwies (Glas- 4 fenster, beheizbare Räume, Kemenaten, Abort erker). Zur Lebensgemeinschaft auf einer Burg 5 gehörten auch Wirtschafts- und Lagergebäude, Unterkünfte für das Gesinde sowie Ställe, die oft als Holzgebäude an die Ringmauer ange- 6 lehnt oder in der Vorburg errichtet wurden. 7 Schloss 8 Bei einem Schloss (. Abb. 2.2) spielt im Gegen- satz zur Burg der wehrhafte Aspekt keine Rolle 9 mehr, da die Weiterentwicklung in der Waffen- technik einem einzelnen Gebäude – außer einer 10 Festungsanlage – keinen praktikablen Schutz mehr bieten kann. Das unbefestigte Schloss dient dem Adel als repräsentativer Wohn- und 11 .. Abb. 2.1 Heute nennt man die Burg, die die Grafen von Amtssitz. Der Schlossbau beginnt in der Zeit Diez im 11. Jh. auf einem Felsen über der Lahn errichteten der Renaissance und erlebt seinen Höhepunkt zwar „Grafenschloss“, doch die Wehrhaftigkeit der Anlage als 12 das entscheidende Merkmal einer Burg ist immer noch unver- mit dem Barock und Rokoko. Für Deutschland kennbar: Zum einen ist es der Standort der Höhenburg, zum umfasst dies grob einen Zeitraum von der Mitte anderen die abweisende Architektur. Ein solch großzügiger des 16. bis zum späten 18. Jahrhundert. 13 Umgang mit dem Begriff „Schloss“ ist häufig anzutreffen! Da sich ein Schlossbau in der Regel nicht (Gabriele M. Knoll) an Besonderheiten des Geländes anpassen 14 muss, können die Baumeister ihre Ideale Burg verwirklichen: eine symmetrische möglichst 15 Eine Burg ist eine wehrhafte Anlage (. Abb. 2.1), die dies auch schon durch ihren dreiflügelige Anlage um einen Ehrenhof (Cour d’honneur) zur Stadt. Das Hauptgeschoss Standort deutlich macht: als Höhenburg oder des Schlosses, die Beletage – meist das erste 16 Hangburg auf schwer zugänglichen und damit Geschoss – besitzt in seiner Mitte den Audienz- geschützteren Lagen am Berg sowie in der bzw. Festsaal, daran anschließend die Kabi- 17 Ebene als Niederburg, die in der Regel von nette und Wohnräume des Hausherrn in der einem Wassergraben (Wasserburg) umgeben einen Richtung und diejenigen der Dame des wurde. Diese befestigten Wohn- und Amtssitze Hauses in der anderen Hälfte des Hauptgebäu- 18 von Feudalherren entwickelten sich ab dem des (Corps de logis). Ein wichtiger Bauteil des Ende des 9. Jahrhunderts und wurden bis ins Corps de logis und bedeutend für das Hofzere- 19 15. Jahrhundert ausgebaut und genutzt. moniell ist das repräsentative Treppenhaus. Zu den wichtigsten Merkmalen einer Burg Der Schlossgarten und der sich daran anschlie- 20 gehören die Ringmauer, die an der Seite der größten Gefährdung zu einer Schildmauer ßende Park machen deutlich, wie sehr die Re- präsentation und nicht die Wehrhaftigkeit zu
2.2 • Stadtwachstum zu Füßen des Heidelberger Schlosses 15 2 .. Abb. 2.2 Hier am Beispiel des Rastätter Schlosses ist gut zu erkennen, dass Repräsentation die oberste Aufgabe eines Schlossbaus ist. Die langen Fensterfolgen machen dies deutlich, diejenige im ersten Obergeschoss, der Beletage, wird durch Bauschmuck noch besonders herausgehoben. Zu einem barocken Schloss gehören auch ein Schlossgarten und Park, die in ih- rer Gestaltung auf das Schloss ausgerichtet sind. Hinter der Gartenseite des Rastätter Schlosses sind an den beiden turmartigen Aufbauten die beiden Seitenflügel zu erahnen, die den zur Stadt orientierten Ehrenhof bilden (Gabriele M. Knoll) einem Schloss gehören. Zum absolutistischen Das „Rückgrat“ der Stadt im Neckartal ist Weltbild gehört es zu beweisen, dass sich die die Hauptstraße. An ihrem langen Verlauf vom Natur dem Menschen unterzuordnen hat; dies Bismarckplatz bis zum Karlstor, der damit die ge- zeigt sich in der kunstvollen Gestaltung der samte Altstadt durchzieht, lassen sich zwei unter- schlossnahen Gartenanlagen. schiedliche Hälften unterscheiden. Im östlichen Teil sind viele Seitengassen zu finden, aber auch kleinere Parallelstraßen zur Hauptstraße. Im westlichen Teil An dem Zugang zu der Hangburg entstand unter- der Altstadt stößt man auf ein großzügiger angeleg- halb ein Burgweiler auf dem weitgehend hochwas- tes Straßennetz. sersicheren Schwemmkegel des Klingenbaches rund Stellt sich die Frage, welche der Hälften die ältere um die Peterskirche und an der Straße zwischen ist, so lässt sich dies schon aus dem Stadtplan ablei- diesem Siedlungskern und der Burg die Burgman- ten. Es muss die östliche sein, weil sie mehr oder we- nensiedlung, in der die Hofbediensteten wohnten. niger unterhalb der Burg liegt. Ein Stadtherr hatte Diesen Anfängen Heidelbergs mit dem durch das seine Untertanen gerne im Blick und dafür oftmals Gelände unregelmäßigen Straßenverlauf steht eine gute Gründe. Häufig – und so auch in Heidelberg, Altstadt entgegen, die durch ein auffallend recht- wie es das berühmte Merian-Panorama aus dem winkliges Straßennetz gekennzeichnet ist. Solch ein Jahr 1620 veranschaulicht – vereinten sich Burg- Stadtgrundriss verrät mittelalterliche Stadtplanung, und Stadtbefestigung zu einer gemeinsamen Wehr- die ein Landesherr initiiert hat. anlage. Die gotische Heiliggeistkirche (. Abb. 2.3)
16 Kapitel 2 • Stadtentwicklung lesen – ein Stadtplan überliefert Geschichte 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 .. Abb. 2.3 Der Blick vom Heidelberger Schloss hinunter zeigt den Kern der Altstadt um die Heiliggeistkirche. Östlich der Kirche – an ihren Chor anschließend – sind Marktplätze zu erkennen, die einst in den Mittelpunkt einer Stadt gehörten. 11 Verkehrsgünstig lag die Altstadt auch, da über die Alte Brücke der gesamte Verkehr auf dem rechten Ufer des Oberrheins, beispielsweise von der Messestadt Frankfurt nach Süden, in hochwassersicherer Lage über die Bergstraße, hier das Neckartal verlief. Von der Burg bzw. dem späteren Schloss ließ sich dies bestens überwachen (Gabriele M. Knoll) 12 als älteste Pfarrkirche im östlichen Bereich, der das Städtchen zwischen der Burg und der Alten Brü- große Marktplatz und kleinere Marktplätze in der cke nicht mehr aus, und Ruprecht I. bis Ruprecht III. 13 Nachbarschaft der Kirche wie das engmaschige Gas- ließen an einer größeren Residenzstadt arbeiten, die sennetz sind Hinweise auf das höhere Alter dieses sich bis zum heutigen Bismarckplatz ausdehnt. Ru- 14 Teiles der Stadt. Auch die Alte Brücke ist trotz ihres precht III. sorgte auch dafür, dass die Burg und die neueren Namens Karl-Theodor-Brücke ein Indiz für neue Vorstadt durch gemeinsame Befestigungsmau- 15 die zeitliche Reihenfolge. Für Jahrhunderte war dies ern zu einer Einheit zusammengefasst wurden. der einzige Neckarübergang nahe der Mündung des Unter seinen Nachfolgern im 16. Jahrhundert Flusses in den Rhein. An einem Straßennamen lässt sollte sich die Burg zu einem Schloss wandeln. Ge- 16 sich auch zweifelsfrei die Grenze zwischen dem älte- bäude der mittelalterlichen Anlage wurden durch ren und jüngeren Teil der Altstadt ausmachen: Die neue repräsentative im Stil der Renaissance ersetzt, 17 „Grabengasse“, die den heutigen Universitätsplatz wie der Friedrichsbau und der Ottheinrichsbau. auf seiner Westseite tangiert, erinnert an die mittel- Große Fensterfronten machen deutlich, dass man alterliche Befestigung. Abwehr und Sicherheit nicht mehr für nötig hielt. 18 Die östliche Hälfte der Heidelberger Altstadt Die Umgestaltung der östlichen Befestigungsanla- wird auch als die staufische Kernstadt bezeichnet. gen in den legendären hortus palatinus, den Pfälzi- 19 Konrad von Staufen beabsichtigte mit dieser Grün- schen Garten, ab 1614 rächte sich schon für seinen dung ab 1170/80, der Pfalzgrafschaft bei Rhein ein Auftraggeber Friedrich V. Im Dreißigjährigen Krieg 20 Zentrum zu geben. Als 1356 die Pfalzgrafen in den lieferte er den Angreifern beste Ausgangspositio- Rang von Kurfürsten erhoben wurden, reichte ihnen nen. Trotz seiner bewegten Geschichte und der teil-
2.2 • Stadtwachstum zu Füßen des Heidelberger Schlosses 17 2 Aus der Tourismuspraxis Wie viele Facetten einer Stadtge- Die vier Jahreszeiten „Schöne Brücke hast mich oft getra- schichte sich in ein touristisches „Es brennt!!!“ gen …“ – Literat(o)ur in der Altstadt Produkt – eine Stadtführung – Frauen in Heidelberg Stadt am Fluss – der Neckar, Le- verwandeln lassen, zeigt die lange bensader der Stadt Frauen-Tees und Männerbünde – Liste der Themenführungen des Stätten der Exzellenz – die Universi- Salonkultur in Heidelberg Stadtmarketing Heidelberg. Im Jahr tätsinstitute in der Altstadt sowie im 2012 wurden rund 100.000 Gäste Gassenhauer und Rausschmeißer Neuenheimer Feld durch die Altstadt geführt. Für die Goethe in Heidelberg The Wedding – eine königliche Touristiker stellt sich jedoch weniger Heidelberger Kuriositäten Hochzeit die Frage, welche Aspekte der Alt- Heidelberger Leben im 18. Jahr- stadt lassen sich noch vermarkten, Von Tilman Riemenschneider bis hundert als vielmehr, welche Zielgruppen Klaus Staeck – Kunst und Künstler in Heidelberg im Abendlicht – durch Heidelberg sind zu bedienen, mit welchen Er- die Altstadt zum Schloss wartungen und Wünschen kommen „Wissen-schafft-STADT“/Altstadt Heidelberg im Barock sie. Für die Heidelberger Altstadt „Wissen-schafft-STADT“/Bahnstadt sind es vorrangig drei Zielgruppen, Heidelberg – Tradition und „Wissen-schafft-STADT“/Bergheim die das Stadtmarketing im Blick Moderne. Von der Bürgerschule zur Stadt der Wissenschaft und „Wissen-schafft-STADT“/Neuenhei- hat: die „klassischen“ Touristen, die mer Feld Kongress- und Tagungsteilnehmer Forschung und die Bürger Heidelbergs, die Heidelberg und die Revolution „Sonderführungen“ jeweils die Altstadt unterschiedlich 1848/49 für Gruppen: wahrnehmen und nutzen. Die Fülle Heidelberg von seiner schönsten Altstadtführung mit Schifffahrt des Angebots an Spezialführungen Seite – der berühmte Philosophen- Das Neckartal – mit Schiff und Bus entspricht nicht unbedingt der weg bis Bad Wimpfen Nachfrage, gibt man zu. Ein sehr Heidelberg zur Zeit der Romantik – Familienführung aktiver Verein von Gästeführerinnen „In einem kühlen Grunde, da geht Führung „Köstliches Heidelberg“ und Gästeführern entfaltet hier seine ein Mühlenrad …“ Kreativität. Der „klassische“ Gast, vor Geführte Radtour durch Heidelberg Heiligenberg – eine Wanderung zu und seine Stadtteile allem bei seinem ersten Besuch in seinen Kultstätten Heidelberg, möchte einen Überblick Heidelberg im Nationalsozialismus Hexen, Schinder, arme Sünder: Aus in ca. zwei Stunden bekommen, Kann denn Liebe Sünde sein der Rechtsgeschichte Heidelbergs lautet die Erfahrung. Das Interesse Klangerlebnis in der Heilig-Geist-Kir- am Detail motiviert eher den Wieder- Historischer Spaziergang durch das che mit Orgelkonzert holungsgast oder aber den Bürger alte Handschuhsheim – seit über 100 Jahren Stadtteil Heidelbergs Kostümführung „Der Studenten- der Stadt. Für den Kongress- und prinz“ – die Geschichte von Prinz Tagungsgast steht eher das Erleben Hortus Palatinus – ein Garten für Karl-Franz und Käthi der Gastronomie im Vordergrund, eine Königstochter Kostümführung „Die Wahrheit über Führung und Kulinarisches sind nach Jüdisches Leben in Heidelberg Heidelberg“ – ein unterhaltsamer einem Kongresstag gefragt. Kinder- und Schülerführung Rundgang von und mit Mark Twain Themenführungen Liselotte von der Pfalz – ein Frauen- Krimiführung „Student in Heidelberg für Gruppen von A bis Z: schicksal am Heidelberger Hof tot aufgefunden.“ Zeitreise zu einem Adelshöfe und Bürgerhäuser in der Macht des Glaubens – 450 Jahre ungelösten Mordfall Vor-Altstadt Heidelberger Katechismus Krimiführung „Tod an der Universi- Am Anfang war der Durst Mit der „Bürgersfrau“ unterwegs im tät“ – Heidelberger Mord mit Biss Auf den Spuren von Mark Twain alten Heidelberg Luther-Tour Ärzte, Heiler, Apotheker – eine Chro- Mittelalterliches Heidelberg Mit dem Nachtwächter durch die nik der Heilkunde in Heidelberg, Musikleben in Heidelberg dunklen Gassen Heidelbergs dargestellt an den Denkmälern der Mythos Heidelberg – internationally Stadtrallye Heidelberg für Erwach- Altstadt beloved sene Bänkelsängerführung „Nun sag, wie hast du’s mit der Stadtrallye Heidelberg für Schüler Die Räuber kommen! Religion?“ Kirchen und mehr in Weihnachtsmarktführung Die Universität Heidelberg – Magis- Heidelbergs Altstadt ter, Philister und Scholare ▶ www.heidelberg-marketing.de Russen in Heidelberg
18 Kapitel 2 • Stadtentwicklung lesen – ein Stadtplan überliefert Geschichte 1 Aus der Tourismuspraxis Innovative Gästeführungen der Kaiserthermen spielt, und im ten „Erlebnisbausteinen“ wie einer im Städtetourismus nachfolgenden Jahr wurde das römi- „Gladiatorenschule“ oder einer 2 Die „klassische“ Stadtführung – das sche Stadttor, die Porta Nigra, zum „Togaführung“, bei der der Stadtfüh- Abhaken der wichtigsten Sehens- Theater für die Erlebnisführung „Das rer in eine römische Toga gehüllt 3 würdigkeiten – in der Gruppe hat starke Konkurrenz bekommen: Geheimnis der Porta Nigra“. Hierbei wird nicht allein der Auftritt von vier ist und „in authentischem Erzählstil einen Eindruck von der Römerstadt Erlebnis- oder Schauspielführungen Schauspielern geboten, sondern, Augusta Treverorum vermittelt“. 4 wollen mehr als nur unterhaltsam die Fakten zur Architektur- oder da es die Räumlichkeiten erlauben, auch der Einsatz von Ton und Licht, Die Nachfrage nach den römischen Führungen in den ersten Jahren hat Stadtgeschichte vermitteln; nach um weitere Illusionen zu schaffen. Widmann (a. a. O., S. 271) ermittelt 5 Möglichkeit soll aus diesem Lernpro- zess in der Freizeit noch ein Event Mit der Führung „Der Teufel in Trier“ ist man mittlerweile in und kommt zu dem Ergebnis: „Die hohe Auslastung und die Nachfrage werden. der Geschichte des Mittelalters nach Sondervorstellungen machen 6 Widmann (2007) hat die Erlebnisfüh- rungen der Stadt Trier untersucht, angekommen, die im Gegensatz zu den römischen Erlebnistouren deutlich, dass dieses Produkt saisonunabhängig ist. Somit ist eine die von der Tourist-Information mit jeweils einer „Bühne“ auf vier stärkere Bewerbung der Nebensai- 7 Trier angeboten werden. Die älteste Standorten in der Stadt verteilt son durchaus möglich, so dass in Ne- Stadt Deutschlands besitzt mit ihren werden. „Nach dem Untergang benzeiten auch verstärkt auswärtige römischen Bauten, die zum Welt- Roms beginnt auch in Trier die Zeit Gäste angezogen werden“. Nicht nur 8 kulturerbe der UNESCO gehören, des mystischen Mittelalters – eine für die Saisonverlängerung, auch als eine ausgezeichnete historische Epoche voll dunkler Mythen und der Produkt für den Incentivemarkt sind Grundlage. Die Alltagsgeschichte Angst vor der magischen Macht des solche Angebote interessant. Finan- 9 in der ehemaligen römischen Teufels. Ausgerechnet im from- ziell scheinen die Erlebnisführungen Provinz bekommt auf diese Weise men Trier versucht der Höllenfürst erfolgreich zu sein – „… bereits im mit den Ruinen eine authentische die Herrschaft über die Seelen zu Jahr 2005 [konnte (Anm. d. V.)] eine 10 Kulisse. Seit dem Jahr 2000 werden erlangen – mit tausend Tricks und Kostendeckung bei der Produktion mit professionellen Schauspielern Verführungskünsten. Ja selbst beim erreicht werden, und für die Zukunft 11 und eigens für diese Führungen ▶ ( www.erlebnisfuehrungen.de) Bau des Doms mischt er munter mit. Besessene Nonnen, verwegene rechnet die Tourist-Information Trier mit schwarzen Zahlen. Jedoch geschriebenen Rollen Aspekte der Kreuzritter, Hexenzauber und ein handelt es sich bei der Erlebnis- 12 römischen Geschichte lebendig gemacht. Da wird im Amphitheater rätselhafter Bischofsmord entführen die Zuschauer in die dunkle, sagen- führung/Schauspielführung für die Tourist-Information Trier hauptsäch- die Geschichte des freigelassenen hafte Welt des Mittelalters in Trier“ lich um ein Marketinginstrument zur 13 Sklaven und Gladiator Valerius ▶ ( http://www.erlebnisfuehrungen. weiteren Positionierung der Stadt als erzählt, 2004 kam das Stück „Der de/teufel/). Angeboten werden hochwertiges touristisches Produkt, Tribun Mallobaudes“ – inzwischen alle Führungen für Einzelgäste wie so dass das vorrangige wirtschaftli- 14 als „Verrat in den Kaiserthermen“ umbenannt – hinzu, das in der Ruine Gruppen, sie sind kombinierbar mit Themenstadtführungen, sogenann- che Ziel eine kostendeckende Arbeit bleibt“ (a. a. O., S. 271f ). 15 weisen Zerstörungen sind am Heidelberger Schloss der Nähe stellen früher wie heute den Mittelpunkt 16 die Elemente einer Burg und eines Schlosses heute des historischen Stadtkernes dar. An diesem Platz noch gut zu unterscheiden. treffen sich die alten Hauptstraßen – historische 17 Handelswege, die heute oft das Kernstück der Fuß- gängerzonen sind. 2.3 Nahezu unveränderliche Gassen und die unregelmäßigsten Verläufe 18 Kennzeichen einer schmaler Straßen gehören ebenso in den mittelal- mittelalterlichen Stadt terlichen Stadtkern wie die schmalsten Parzellen 19 über die Jahrhunderte hinweg und Häuser. Die größte Dichte an Kirchen, die sich durch Pfarrkirchen, Kloster- und Stiftskirchen er- 20 Der größte Marktplatz mit dem Rathaus und oft- gibt, ist ein weiteres Indiz. Da Stifts- und Klosterkir- mals auch noch die größte wie älteste Kirche in chen in der Regel nur für die entsprechenden „ge-
2.4 • Rothenburg ob der Tauber als Paradebeispiel 19 2 .. Tab. 2.1 Straßennamen erinnern – einige Beispiele An der Bleiche/Bleichstraße Auf feuchtem Gelände, auf die Wiesen in Bach- und Flussauen wurde das Leinen (als Stoffbahnen oder als Kleidungsstücke) zum Bleichen, für das strahlende Weiß gelegt. Hellweg Straße als Teilstück der Fernhandelsstraße Hellweg Jakobsstraße Straße als Teilstück des Jakobsweges Leinpfad Auf diesen Wegen an den Flussufern gingen die Pferde, Ochsen und sogar auch Menschen, die Kähne und Segelschiffe stromaufwärts zogen. Wingert Die Bezeichnung erinnert an Weingärten, Weinbau auch in Städten und Regionen, in denen heute kein Winzer mehr arbeitet. schlossenen“ Gesellschaften offenstanden, mussten 2.4 Rothenburg ob der Tauber die Bürger ihre eigenen Gotteshäuser, die Pfarrkir- als Paradebeispiel chen, bauen. Manchmal haben sich bis heute „Kir- einer mittelalterlichen Stadt chen-Paare“ für die unterschiedlichen Zielgruppen und Destination erhalten. des internationalen Tourismus Der Ring der mittelalterlichen Befestigung lässt sich, auch wenn er vielleicht gänzlich geschleift Der Inbegriff einer mittelalterlichen Stadt, einer wurde, immer noch ausmachen. Zum einen ist es vermeintlichen Idylle, eines Ortes der Sehnsucht, ein Ring oder Oval aus breiteren Straßen als das ist Rothenburg ob der Tauber (. Abb. 2.4) Dies gilt Gros derjenigen im historischen Zentrum, zum an- nicht nur für deutsche Touristen: Rothenburg ob der deren verbirgt sich häufig in einem anschließenden Tauber ist weltweit ein Begriff, eine Marke, wie es Grüngürtel, manchmal auch noch mit Wasserflä- geschätzte 2 Mio. Tagesgäste pro Jahr innerhalb der chen, die an den einstigen nassen Stadtgraben er- Stadtmauern belegen. Exakte Angaben bieten die innern, ein Teil der einstigen Befestigungsanlagen. Übernachtungszahlen, die 2012 mit 499.146 Über- Auch Namen und Endungen, wie „-graben“, „-wall“, nachtungen einen neuen Spitzenwert in der frän- „-ring“ weisen auf die verschiedenen Teile einer kischen Kleinstadt mit ca. 11.000 Einwohnern Wehranlage hin. erreichten. Davon entfielen 53 % bzw. 265.703 Über- Namen erzählen ebenso viele große und kleine nachtungen auf ausländische Gäste. Einen solch Kapitel einer Stadtgeschichte (. Tab. 2.1). In der hohen Prozentsatz erreicht keine andere deutsche mittelalterlichen Stadt erinnern sie an Berufe (z. B. Stadt (München und Frankfurt jeweils 43 %, Berlin „Glockengießerstraße“, „Fleischhauerstraße“, „Fi- 36 % – vgl. Statistisches Bundesamt 2012, S. 103). schergasse“, „Schuster-“ oder „Schmiedstraße“, Rund 74.000 Übernachtungen in Rothenburg ob „Gerbergasse“), an Handelsgüter („Salzgasse“, der Tauber im Jahr 2012 sind auf japanische Gäste „Fischmarkt“, „Weinlände“, „Holzlände“), an den zurückzuführen, ca. 50.000 auf amerikanische. Bis Rang („Herrengasse“), den Glauben („Judengasse“, zum Jahr 1990 nahmen die Amerikaner die Spit- „Augustinerstraße“, „Klosterstraße“, „Kapuziner- zenposition bei den ausländischen Gästeübernach- gasse“, „Minoritenweg“, „Brüderstraße“) einstiger tungen ein. Bewohner oder sie bestimmen ihre Lage in der Dies lässt sich mit den Anfängen und Intentio- Stadt („An der Mauer“, „Burgstraße“, „Neugasse“, nen der Romantischen Straße, an der Rothenburg „Neumarkt“, „Alter Stadtgraben“, „Wallstraße“). Die ob der Tauber liegt, erklärt. Die Ferienstraße wurde Bezeichnung „Steingasse“ hebt oft die Straße heraus, 1950 in der amerikanischen Besatzungszone der die im Gegensatz zu den meist unbefestigten schon jungen Bundesrepublik Deutschland eröffnet, um über eine Art Straßenpflaster verfügte und damit als das Deutschlandbild aus der Zeit der Naziherr- ein Abschnitt der wichtigsten Straßenverbindung schaft und des Zweiten Weltkrieges zu revidieren. ganzjährig in einem relativ gut nutzbaren Zustand „Man wollte sehr bewußt nicht nur US-Amerika- sein konnte. nern, sondern ausländischen Urlaubern insgesamt
20 Kapitel 2 • Stadtentwicklung lesen – ein Stadtplan überliefert Geschichte 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 .. Abb. 2.4 Die Anlage der Stadt Rothenburg in sicherer Höhe ist heute noch erkennbar, aber auch die Stadtmauern ziehen die mittelalterliche Stadtgrenze unverändert nach. Mit geübtem Blick lässt sich auch nachvollziehen, dass es innerhalb der mittelal- 12 terlichen Stadt einen älteren Stadtkern gibt, der ebenfalls ummauert war. Der Straßenverlauf und eine Linie von traufständigen Häusern machen dies deutlich, unübersehbar ist es auch an dem aus dem Dächermeer herausragenden Weißen Turm am rechten oberen Bildrand – einem Stadtturm scheinbar „mitten“ in der Stadt (Happy Ballooning Ballonfahrten) 13 mit den mittelalterlichen Reichsstädten entlang der Den Wert des ungewöhnlich gut erhaltenen 14 Romantischen Straße ein anderes, lebensfreundli- historischen Stadtbildes hatte man schon im frü- ches und vielfältig in der europäischen Geschichte hen 19. Jahrhundert erkannt, denn 1826 wurde ein 15 vernetztes Deutschland-Bild zeigen.“ (▶ www.ro- königliches Dekret für den Erhalt der Bausubstanz mantischestrasse.de) Zu der rund 350 km langen – insbesondere der aus dem Mittelalter stammen- Ferienstraße zwischen Würzburg und Füssen, dem den – erlassen. Touristisch wird das Städtchen mit 16 Main und den Alpen, die ursprünglich für den Au- seiner kompletten Stadtmauer, den engen Gassen tofahrer und einen touristischen Linienbus ange- und alten Häusern Ende des 19. Jahrhunderts ent- 17 legt wurde, sind inzwischen ein Radfernweg und ein deckt. Die Gemälde von Carl Spitzweg (1808–1885) Weitwanderweg hinzugekommen. mausern sich unter anderem als die Werbebilder auf Am Beispiel von Rothenburg ob der Tauber der Suche nach der vermeintlich guten alten Zeit in 18 lässt sich auch belegen, wie sehr die „Erfindung“ einer Kulisse, für die Rothenburg als Vorlage gedient der Romantischen Straße den Tourismus beflügelte: haben könnte. 1902 wird eine Ortssatzung erstellt, 19 Während für das Jahr 1913 immerhin schon rund in der das historische Ensemble als Gesamtdenkmal 30.000 Übernachtungen gezählt werden können, bewahrt werden soll. 20 sind es 1957 bereits 155.000, mehr als 220.000 im Im Zweiten Weltkrieg hat die Stadt schwere Jahr 1970 und 1986 rund 310.000. Bombenschäden erlitten, rund 40 % der Gebäude,
2.5 • Die Mozart- und Festivalstadt Salzburg – Tourismus aus Sicht der Bereisten 21 2 vor allem Teile des östlichen Stadtkernes, wurden kollidieren mit diesen beim Schaufensterbummel, zerstört. Maßstabsgerecht, das heißt in den ur- beim Einkauf, in Restaurants und Cafés und sie er- sprünglichen Dimensionen der mittelalterlichen leben das subjektive Gefühl von Überfüllung, von Bebauung, wurden die betroffenen Häuser wieder zu hoher sozialer Dichte, so dass sie den Innenstadt- aufgebaut. Dabei errichteten die Rothenburger erst bereich im Sommer lieber meiden […]. In ihren die Fassaden der Geschäftshäuser, der Wohnkom- Augen ist die Durchlaufgeschwindigkeit der Gäste fort in ihren Häusern kam erst an zweiter Stelle. Mit einfach zu hoch: während der Hochsaison im Som- dem geretteten bzw. wiederhergestellten Stadtbild mer gehören Fußgängerstaus in den gepflasterten hatte man wieder seine touristische Anziehungs- Gassen zum alltäglichen Erscheinungsbild. Aber der kraft gewonnen und die wirtschaftlichen Grund- Tourismus bietet 6400 Arbeitsplätze und erreichte lagen – auch für nachfolgende Generationen – ge- 2001 einen Umsatz von rund 300 Mio. Euro. Damit schaffen. Die aktuellen Tourismuszahlen geben den erwirtschaftete der Tourismus etwa ein Viertel des Rothenburgern Recht. Bruttosozialprodukts der Stadt“ (Luger und Köst- ler-Schruf 2003, S. 84). Diese internationalen Besucherströme treffen 2.5 Die Mozart- und Festivalstadt in der Altstadt auf eine einheimische Bevölkerung Salzburg – Tourismus aus Sicht von 936 Einwohnern (am 1.1.2000), die sich in ih- der Bereisten rer Altersstruktur nicht von den übrigen Salzbur- gern (144.247 Gesamtbevölkerung) unterscheiden Die Altstadt zwischen dem Berg mit der Festung (Kraft et al. 2003, S. 140f). Aus den Resultaten der Hohensalzburg und dem linken Ufer der Salzach, 1999 durchgeführten persönlichen Befragung von die 1997 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt 43 Altstadtbewohnern und einem Katalog von wurde, umfasst die mittelalterliche Bürgerstadt mit 52 Fragen ergeben sich u. a. diese Aspekte (a. a. O., der berühmtesten Straße, der Getreidegasse, an der Mozarts Geburtshaus steht, sowie die im 17. Jahr- hundert – zum Teil auf Kosten der älteren Bür- gerstadt – entstandene Residenzstadt der Salzburger - S. 146): „74 % sehen im Tourismus eine Bereicherung (auch durchaus wörtlich), 28 % eine Verar- mung, 9 % sind ambivalent, 5 % meinen, die Erzbischöfe mit dem 1628 geweihten, frühbarocken Stadt wäre ja abhängig vom Tourismus (Mehr- Dom, den Palästen und Plätzen. „Das sind jene Orte, auf denen sich die durch - fachnennungen)“. Die als touristisch bewerteten Orte, allen voran die linksseitige Bürgerstadt geschleusten touris- tischen Ströme wieder ausbreiten und verlieren können“ (Bachleitner et al. 2003, S. 61). „Tagestou- risten in sind erster Linie Deutsche, Österreicher, - die Getreidegasse, meiden 63 %. „Positive Begegnungen mit Touristen schildern 49 %, Konflikte 23 %. Konfliktthemen sind (ne- gatives) Verhalten, Abfall/Verschmutzungen US-Amerikaner, in wachsendem Ausmaß auch Tou- risten aus dem Fernen Osten, die sich individuell oder in Gruppen die Sehenswürdigkeiten der Stadt - und Verkehr/Parken.“ „Bringt Ihnen als Altstadtbewohner der Tourismus Vorteile? 77 % sagen ‚nein‘, 21 % ‚ja‘ aneignen. Rd. 860.000 Personen besuchten 2001 die Festung oberhalb der Stadt, […] 320.000 durcheil- ten Mozarts Geburtshaus, Hunderttausende auch die Museen und Kirchen der Stadt. Sie sind Akteure - (v. a. wirtschaftlich), 2 % ‚kaum‘.“ „79 % besuchten Aufführungen der Salzburger Festspiele (die es ohne Tourismus nicht geben würde, vergleiche Vorfrage), 19 % nicht.“ in Ritualen, die Trampelpfade durch das Barock treten und dazu relativ wenig Geld für Käufe aus- Allgemein wurden die Aspekte Einkauf, Infra- geben. Die Rundtour durch die Altstadt, die ganz struktur, Soziales und Veranstaltungen negativ be- dem Tourismus und dem Konsum gewidmete Fuß- urteilt, auch den Eindruck einer „sterbenden Alt- gängerzone, empfinden die flanierenden Massen – stadt“ haben 63 % der Befragten. Zur „Belebung“ an Spitzentagen 25.000 Tagestouristen – als Erho- der Altstadt wünschen sich 47 % mehr Geschäfte, lungsausflug aus der Moderne. Die Einheimischen wobei besonders Läden für Lebensmittel und Ei-
22 Kapitel 2 • Stadtentwicklung lesen – ein Stadtplan überliefert Geschichte senwaren vermisst werden. 37 % der Befragten sind Unter dem Motto History Up Your Life! werden 1 der Meinung, dass noch mehr Feste und Events der zum einen die 13 Städte einzeln vorgestellt, zum an- Altstadt gut tun würden. deren aber auch an Themen orientiert ihre beson- 2 Die Studie von Bachleitner (a. a. O., S. 74) för- deren Attraktionen. In Germany’s finest selection of derte als „vordringlichste Anliegen“ der Salzburger architecture wird der Bogen über die wichtigsten Sti- Altstadtbewohner zutage: „Stopp der Musealisie- lepochen von der römischen Antike über Romanik, 3 rung, günstige Nahversorger einrichten, mehr Le- Gotik, Barock und Rokoko, Klassizismus, Jugendstil ben in die Altstadt bringen, Autoverkehr regeln, zur Moderne und zeitgenössischen Architektur ge- 4 mehr Sauberkeit, erweiterte Parkmöglichkeiten, spannt. Auf Spurensuche zu deutschen Dichtern und Ausgleich Bewohner – Touristen, Platz für Kinder Denkern, Komponisten, zu den wichtigsten Aspek- 5 und Jugendliche, weniger Touristen, mehr Polizei, ten des religiösen Lebens in Deutschland – von den günstigere Miete, Parkplatzgestaltung, Kultur erhal- Anfängen des Christentums bis zum Holocaust – ten, mehr Sitzgelegenheiten und mehr Grün.“ werden aus den 13 Städten die dazu gehörenden Ge- 6 bäude und Orte herausgestellt. Weihnachtsmärkte, aber auch Kalter Krieg und die DDR sind Themen. 7 2.6 Historic Highlights of Germany Bei den Vorschlägen zu See & Do finden sich Hin- – ein Netzwerk zur weise auf Festivals, Kulturleben, Museen, die 37 Stät- internationalen Vermarktung ten des UNESCO-Weltkulturerbes in Deutschland 8 13 altehrwürdiger Städte und Anregungen zum Einkaufen von „Souvenirs“ jenseits des üblichen Verständnisses solcher Erinne- 9 Dreizehn geschichtsträchtige deutsche Städte haben rungsstücke (▶ www.historicgermany.travel). sich 1976 zu den „Historic Highlights of Germany“ 10 zusammengeschlossen. Dies sind Augsburg, Erfurt, Literatur Freiburg, Heidelberg, Koblenz, Mainz, Münster, Os- nabrück, Potsdam, Rostock, Trier, Wiesbaden und 11 Würzburg. Historic Highlights of Germany would like Bachleitner R, Haas H, Weichbold M (2003) Städtische Lebens- welten und ihr Wandel durch Tourismus am Beispiel Salz- to help travelers get to destinations off the beaten tra- burg. In: Kagelmann HJ (Hrsg) Tourismuswissenschaftliche 12 vel paths. Thirteen historic cities have been carefully Manuskripte. Kultur/Städte/Tourismus, Bd. 11. Profil, Mün- selected and suggest tours with a rich cultural expe- chen, S 61–77 rience, friendly environment and a relaxing time, so 13 auf der Website zu lesen. Dehio G (1979) Bayern I. Franken. Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Deutscher Kunstverlag, München Dehio G (2005) Nordrhein‐Westfalen I Rheinland. Handbuch Vorrangiges Ziel dieser touristischen Werbege- 14 meinschaft ist es, sich mit gebündelten Mitteln als der Deutschen Kunstdenkmäler. Deutscher Kunstverlag, München Top-Destinationen in den Zielmärkten USA, Japan, Dehio G (2011) Nordrhein‐Westfalen II Westfalen. Handbuch 15 China, Großbritannien und Italien zu positionie- der Deutschen Kunstdenkmäler. Deutscher Kunstverlag, München ren. Gerade die kostenintensiven Werbeauftritte in Deutsches Nationalkomitee für das Europäische Denkmal- Übersee lassen sich so preiswerter gestalten, und 16 auch die Aufmerksamkeit für eine Gruppe von Städ- schutzjahr (1975) Historische Städte – Städte für morgen. Erarb. von den Mitgliedern des Arbeitskreises Historische ten ist leichter zu gewinnen als für eine einzelne. Stadtkerne der Deutschen UNESCO‐Kommission, Köln. 17 Our specialists will work together to create a http://www.unesco.de/6556.html custom-tailored travel program designed to meet in- Eberle J, Eitel B, Blümel WD, Wittmann P (2010) Deutsch- lands Süden vom Erdmittelalter zur Gegenwart. 4. Aufl., terests, needs and travel style of your customers. His- 18 toric Highlights of Germany cooperates with travel Spektrum, Heidelberg Ennen E (1975) Kölner Wirtschaft im Früh‐ und Hochmittelal- experts of the 13 cities, strong partners such as the ter. In: Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, Bd. 1. Greven, 19 German National Tourist Board, Lufthansa, Deut- Köln, S 87–215 (Hrsg im Auftrag des Rheinisch‐Westfäli- sche Bahn, German Wine Institute and AVIS and schen Wirtschaftsarchivs zu Köln) Irsigler F (1975) Kölner Wirtschaft im Spätmittelalter. In: Kellen- 20 is the contact for all providers of travels throughout benz H (Hrsg) Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, Bd. 1. Germany.
Literatur 23 2 Greven, Köln, S 217–319 (Hrsg im Auftrag des Rheinisch‐ Westfälischen Wirtschaftsarchivs zu Köln) Isenmann E (2012) Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150– 1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kir- che, Gesellschaft, Wirtschaft. Böhlau, Köln Kraft T, Keul A, Feierle R (2003) Leben in historischen Altstädten – Salzburg, Österreich und Pavia, Italien. In: Kagelmann HJ (Hrsg) Tourismuswissenschaftliche Manuskripte. Kultur/ Städte/Tourismus, Bd. 11. Profil, München Wien, S 139–155 Luger K, Köstler-Schruf B (2003) Kulturerlebnis Salzburg. In: Kagelmann HJ (Hrsg) Tourismuswissenschaftliche Manu- skripte. Kultur/Städte/Tourismus, Bd. 11. Profil, München, S 79–92 Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz (Hrsg) (1980) Köln III Exkursionen: Südliche Innenstadt und Vororte. Führer zu vor‐ und frühgeschichtlichen Denkmälern Bd. 39. Von Zabern, Mainz Statistisches Bundesamt (2012) Tourismus in Zahlen. Statisti- sches Bundesamt, Wiesbaden Widmann T (2007) Von der Gästeführung zur Erlebnisführung – Gladiator Valerius, der Tribun Mallobaudes und das Ge- heimnis der Porta Nigra. In: Schmude J, Schaarschmidt K (Hrsg) Tegernseer Tourismus Tage 2006, Beiträge zur Wirt- schaftsgeographie Regensburg. Wirtschaftsgeographie und Tourismusforschung. Der neue Kopierer, Regensburg, S 267–276 www.deutsche‐kulturlandschaft.de www.romantischestrasse.de www.historische‐ortskerne‐nrw.de
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