STELLUNGNAHME BUND FREIBERUFLICHER HEBAMMEN DEUTSCHLANDS (BFHD) E.V.
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1 Stellungnahme Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD) e.V. zum Referentenentwurf „Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege“ (Versorgungsverbesserungsgesetz – GPVG) Der BfHD vertritt die wirtschafts- und berufspolitischen Interessen von rd. 1.000 freiberuflich tätigen Hebammen in Deutschland. Er ist „maßgeblicher Berufsverband der Hebammen“ nach § 134a SGB V. Er fühlt sich insbesondere der außerklinischen Geburtshilfe und der 1:1-Betreuung von Schwangeren und Müttern verpflichtet. Der BfHD ist politisch, weltanschaulich und konfessionell neutral. Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands e.V. Kasseler Str. 1a 60486 Frankfurt Telefon: 069/79 53 49 71 E-Mail: geschaeftsstelle@bfhd.de Internet: www.bfhd.de
2 A. Vorbemerkung Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unternimmt einen neuen Anlauf für ein Förderprogramm für Hebammenstellen im klinischen Bereich. Schon im Juni dieses Jahres hatte der Bundesgesundheitsminister überraschend ein Förderprogramm als fachfremden Änderungsantrag zum „Intensivpflege- und Rehabilitationsgesetz“ eingebracht, diesen dann aber nur Tage später und kurz vor der 1. Lesung im Bundestag nach massiver Kritik wieder zurückgezogen. Dessen ungeachtet, weist die jetzt vorgelegte Neufassung im Referenten- entwurf vom 06.08.2020, eingebettet im Artikel-Gesetz „Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege“, nur wenige Veränderungen auf. Hintergrund der Gesetzesinitiative ist ein vom BMG in Auftrag gegebenes IGES-Gutachten aus 2019, das erhebliche Engpässe bei der Hebammenversorgung insbesondere in städtischen Ballungsräumen aufzeigte. IGES hatte u.a. kaum planbare Dienste an Wochenenden, an Feiertagen und nachts festgestellt. Ferner, dass Hebammen viele fachfremde Aufgaben zu erledigen haben und dass die gezahlten Gehälter die hohe Arbeitsbelastung nicht widerspiegeln. Kritisiert wurde auch, dass ein Viertel aller Hebammen bis zu vier Schwangere gleichzeitig im Kreißsaal betreuen muss. Gemäß der IGES-Studie haben 57 Prozent der Kliniken Vakanzen von im Schnitt 18 Prozent der Planstellen. Die Hälfte dieser Kliniken hat über Schwierigkeiten berichtet, die Stellen zu besetzen. Auch die Suche nach ärztlichem Personal für die klinische Geburtshilfe gestaltet sich laut Gutachten für knapp 60 Prozent der Kliniken schwierig. B. Anwendungsbereich des Referentenentwurfs Der BfHD vertritt die berufspolitischen Interessen freiberuflicher Hebammen. Viele freiberufliche Hebammen arbeiten „hybrid“, d.h. sie sind neben ihrer freiberuflichen Berufsausübung zudem auch angestellt tätig. Freiberufliche Hebammen arbeiten in eigener Praxis, im Geburtshaus, als Familienhebamme, im öffentlichen Gesundheitswesen oder als sog. Beleg-Hebamme in einer Klinik. Beleg-Hebammen sind freiberuflich arbeitende Hebammen, die in zwei unterschiedlichen Ausprägungen tätig sein können: - Begleit-Beleg-Hebammen, die mit einer oder mehreren Geburtskliniken einen Belegvertrag abgeschlossen haben. Diese Beleg-Hebammen bieten schwangeren Frauen i.d.R. eine Geburtsbegleitung von Anfang bis Ende in derjenigen Klinik an, in der sie vertraglich mit Belegbetten und teilweiser Nutzung der dortigen Infrastruktur tätig werden dürfen. - Dienst-Beleg-Hebammen, die in einem Krankenhaus mit Belegsystem arbeiten. Diese Beleg-Hebammen arbeiten i.d.R. im Schichtdienst der klinischen Geburtsabteilung, ähnlich wie angestellte Hebammen.
3 Im seinerzeitigen Änderungsantrag war für Beleg-Hebammen expressis verbis keine Förderung vorgesehen. Im jetzigen Referentenentwurf werden Beleg-Hebammen nicht mehr explizit erwähnt, sodass der BfHD prima facie davon ausgeht, dass diese grundsätzlich in die Förderung einbezogen sind. C. Kernpunkte der geplanten Neuregelung Der Referentenentwurf „Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege“ ist ein Artikel-Gesetz. Nur der Art. 2 „Änderung des Krankenhausentgeltgesetzes“ mit Ergänzungen des dortigen § 4 Abs. 10 betrifft die klinische Förderung von Hebammen- stellen und ist Gegenstand der vorliegenden Stellungnahme. Zur Verbesserung der Schwangerenversorgung in der klinischen Geburtshilfe und zur Entlastung der dortigen Hebammen soll ein dreijähriges Hebammenstellen- Förderprogramm für die Jahre 2021 bis 2023 aufgelegt werden. Damit sollen den Kliniken zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, mit denen sie Neueinstellungen und Aufstockungen vorhandener Teilzeitstellen von Hebammen und von assistierendem medizinischem Fachpersonal (Medizinische Fachangestellte und Pflegefachkräfte) vornehmen können. Ziel des Gesetzgebers ist es, dass eine Hebamme nicht mehr als zwei Frauen gleichzeitig betreut, perspektivisch wird eine 1:1 Betreuung angestrebt. Die Neueinstellung/Aufstockung soll gefördert werden, indem diese bis zu einem Umfang von 0,5 Vollzeitstellen pro 500 Geburten finanziert werden. Die Anzahl der Geburten soll klinik-individuell auf Grundlage des Durchschnitts an Geburten in den Jahren 2017 bis 2019 bemessen sein. Die Gesamtzahl der geförderten assistierenden Personalstellen soll begrenzt werden auf maximal 10% der zum 01.01.2020 klinik-individuell beschäftigten Hebammen, umgerechnet in Vollzeit. D. Kritische Würdigung Der jetzt vorgelegte Referentenentwurf unterscheidet sich nur unwesentlich vom im Juni zurückgezogenen Änderungsantrag. Neu im Referentenentwurf gegenüber dem seinerzeitigen Änderungsantrag sind, soweit ersichtlich, lediglich vier Punkte, die aber allesamt nicht den Kernbereich der Gesetzesinitiative betreffen: o Die Förderfähigkeit von maximal 0,5 Vollzeitstellen pro 500 Geburten soll an die durchschnittliche Anzahl von Geburten in den Jahren 2017 bis 2019 geknüpft werden. Im Änderungsantrag fehlte der zeitliche Rahmen. Die Neuregelung glättet Schwankungen, verkompliziert allerdings auch die Beantragung der Fördermittel. o Nicht im Gesetzestext selber, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung ist jetzt festgelegt, dass nur die „Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütung“ förderfähig sein soll. Diese Begrenzung erscheint zwar nachvollziehbar, engt aber den Handlungsspielraum der Kliniken zur
4 Stellenbesetzung ein. In jedem Falle empfiehlt der BfHD diese Restriktion mit nicht unerheblicher praktischer Bedeutung im Gesetz selbst zu verankern, da Gesetzesbegründungen nicht originärer Bestandteil eines Gesetzes sind. o Nicht mehr expressis verbis von der finanziellen Förderung ausgeschlossen - siehe oben -sind freiberufliche Beleg-Hebammen. Unklar erscheint aber, ob in den Anwendungsbereich des Gesetzes beide Typen von Beleg-Hebammen fallen sollen und damit auch solche mit „nur“ Belegvertrag. Der Gesetzgeber sollte diesbezüglich eine Klarstellung vornehmen. o Verzichtet wurde im Referentenentwurf gegenüber Änderungsantrag auf die Zielvorgabe der Schaffung von 600 zu refinanzierenden Stellen. Diese Zahl an Neubesetzungen, unterstellt sie wäre zu erreichen, würde auch bei Weitem nicht ausreichen. Das lässt sich überschlägig leicht belegen: Multipliziert man den von IGES ermittelten Anteil von 18% nicht zu besetzender Planstellen (siehe oben) mit vom Statistischen Bundesamt für 2017 ausgewiesenen 9.400 festangestellten klinischen Hebammen, so ergibt sich eine rechnerische Vakanz von 1.692 Stellen. Die geplante Förderung von zusätzlichen 0,5 Vollzeit-Hebammenstellen pro 500 Geburten würde im Übrigen auch den aktuellen Betreuungsschlüssel nicht wesentlich verbessern und wäre noch weit entfernt von der angestrebten 1:2- Betreung, geschweige denn der langfristig vom BMG angestrebten 1:1-Betreuung, die in der außerklinischen Geburtshilfe der Regelfall ist. Wie schon der Änderungsantrag vom Juni kann nach alledem auch der veränderte Referentenentwurf den in der IGES-Studie festgestellten Personalmangel in der klinischen Geburtshilfe mit all seinen Folgeerscheinungen nicht signifikant beheben. Wesentliche Ursache der von nahezu allen Fachleuten vorausgesagten Zielverfehlung ist, dass das BMG von der irrigen Annahme geleitet wird, es bestehe ein Mangel an freien Stellen, dem durch finanzielle Förderung neuer Stellen oder zeitlicher Aufstockung vorhandener Stellen begegnet werden kann. Richtig ist vielmehr, dass der akute Hebammenmangel in der klinischen Geburtshilfe nicht auf einem Mangel an freien Stellen beruht, sondern dass ein Großteil vorhandener Stellen nicht besetzt werden kann. Zusätzliche durch den GKV-SV zu finanzierende Stellen würden daher ganz überwiegend nicht die Zahl der Hebammen in der Klinik erhöhen, sondern nur die Zahl der dort freien Stellen. Eben diese Fehleinschätzung hatten alle Experten bereits in ihrer Kritik am Änderungsantrag reklamiert. Es erscheint rätselhaft, wie das BMG begründen will, sich neuerlich über alle Kritik der Fachwelt hinwegzusetzen. Es zielt in nahezu grotesker Weise ins Leere, Gelder in die Schaffung neuer Hebammenstellen investieren zu wollen, obwohl diese durch Einstellungszuschüsse gar nicht zu besetzen sind. Der Hebammen-Stellenmarkt ist nahezu „leergefegt“, d.h. arbeitslose Hebammen gibt es so gut wie nicht. Das bedeutet, dass ohne ein Mehr an aktiv tätigen Hebammen die finanzielle Förderung von Hebammenstellen, so wie vorgesehen, im Wesentlichen lediglich ein
5 gegenseitiges Abwerben (auch aus dem außerklinischen Bereich heraus) zur Folge hätte, was letztlich nur eine „Umschichtung“ des Mangels bedeuten würde. Eine im Sinne der Zielerreichung geeignete Politik sollte nach Auffassung des BfHD - neben gesteigerter Ausbildungszahlen – vor allem auf die Mobilisierung der beträchtlichen Zahl von Hebammen zielen, die ihren Beruf aktuell nicht (mehr) ausübt. Aus Sicht des BfHD sind, und dies im Einklang mit den IGES-Feststellungen, insbesondere zwei Punkte zu nennen, die viele Hebammen die Arbeit im Kreißsaal als unattraktiv erleben lassen, die der Referentenentwurf jedoch nicht aufgreift: o Eine als zu gering empfundene tarifliche Vergütung in Relation zur anspruchsvollen Tätigkeit. Die Frage der zu geringen Vergütung wird in Zukunft noch deutlich mehr Gewicht erfahren durch die Akademisierung der Hebammenausbildung. Eine höhere Qualifikation muss sich auch in einer höheren Vergütung niederschlagen. o Schlechte bis unzumutbare Arbeitsbedingungen, hervorgerufen durch Arbeitsverdichtung infolge Kolleginnenmangel. Hinzu kommt der Druck, fachfremde Arbeiten, wie z.B. Putzdienste, übernehmen zu müssen wegen Fehlens von Personal in anderen Klinik- Bereichen. Für die Entlastung von fachfremden Tätigkeiten und ggf. solchen, die nicht in engem Zusammenhang mit der originären Geburtshilfe stehen, könnte der Referentenentwurf tatsächlich, aber in Grenzen, Positives bewirken. Die Neuregelung könnte auch anfällig für Mitnahme-Effekte sein. Nicht auszuschließen, aber „förderungslegitim“, erscheint z.B. die Freisetzung von Hebammen mit nachfolgender Neubesetzung der Stellen durch ebendiese oder anderen Hebammen. Auch ein „Ringtausch“ mit anderen Kliniken oder im Klinikverbund dürfte förderungsunschädlich sein. Sicherstellen muss der Gesetzgeber daher, dass die finanzielle Förderung nicht allein auf die Zahl der Neueinstellungen/zeitlichen Aufstockungen abstellt, sondern auch darauf, dass tatsächlich und saldiert ein mit der Förderung korrespondierender Beschäftigungsaufbau stattfindet. Abschließend sei noch angemerkt, dass das BMG ungeachtet mehrfacher Hinweise auch des BfHD immer noch den Begriff „Entbindungspfleger“ verwendet, obwohl seit dem HebRefG auch männliche Berufsangehörige „Hebammen“ sind. E. Fazit Einen nennenswert positiven Beitrag könnte der vorliegende Referentenentwurf allenfalls in der Entlastung der klinischen Hebammen von fachfremden Arbeiten durch medizinische Fachangestellte und Pflegefachkräfte liefern. Für die Besetzung freier Hebammenstellen oder zeitlicher Aufstockung von Teilzeitstellen wird der vorliegende Referentenentwurf aller Voraussicht hingegen keine nennenswerten Impulse bringen. Es steht somit zu befürchten, dass die vom BMG veranschlagten und vom GKV-Spitzenverband zu tragenden Förderkosten
6 in Höhe von rd. 200 Mio. Euro entweder gar nicht abgerufen oder aber weitgehend nutzlos in die Aufblähung ohnehin nicht zu besetzender Planstellen fließen werden. Die Mini-Reformen der vergangenen Jahre haben sich allesamt als wenig zielführend erwiesen. Angezeigt ist eine grundlegende Neuordnung der Geburtshilfe, eingebettet in ein umfassendes Geburtshilfe-Stärkungsgesetz, dass auch die außerklinische Geburtshilfe einschließt, einschließlich einem Paradigmenwechsel in Berufshaftpflicht und Vergütung. Frankfurt, der 21.08.2020 Ilona Strache (Vorsitzende des BfHD)
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