STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Ansprechstellen im Land NRW zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen Oktober 2018 Ausgabe 77 Schwerpunkt: STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA
2 Editorial Liebe Leserinnen und Leser, in Kindertagesstätten kommt es immer wieder vor, dass Kinder, Eltern und Erzieherinnen und Erzieher mit Krankheit, Sterben und Tod konfrontiert werden. Wir nehmen wahr, dass die Mitarbeitenden in solchen Situationen häufig intuitiv genau das Richtige tun. Aber auch, wenn sie in dem akuten Augenblick eine gute und sehr angemessene Form des Umgangs finden, sind viele doch durch solche Situationen verun- sichert. Möglicherweise weil sie nicht wissen, ob das, was sie tun, richtig ist, oder weil sie selbst sehr berührt sind. Hier Sicherheit zu gewinnen und handlungsfähig zu sein, ist für viele Erzieherinnen und Erzieher ein Ziel, das sie auf unterschiedliche Weise erreichen können. Ein Weg besteht darin, Sterben, Tod und Trauer in der Kindertagesstätte wie eines der vie- len Themen, die die Kinder beschäftigen, aufzu- greifen. Auch kann es hilfreich sein, Unterstützung durch Hospizdienste zu erfragen. Im Schwerpunkt dieser Ausgabe sind einige Herangehensweisen beschrieben. Daneben finden sich im allgemeinen Teil Themen, die den Alltag der Hospiz- und Palliativversorgung intensiv berühren, wie die stationäre und die am- bulante Pflege und Begleitung. Die Formen und die Ressourcen, auf deren Basis pflegebedürftige Menschen am Ende ihres Weges umsorgt werden, werden uns weiterhin intensiv beschäftigen und Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 langfristig im Hospiz-Dialog NRW ihren Raum finden. Eine gute Lektüre wünscht Ihnen Ihre Dr. Gerlinde Dingerkus
Inhalt INFORMATION Sterben zuhause im Heim – Hospizkultur und Palliativkompetenz in der stationären Langzeitpflege Interview mit Werner Schneider 4 Für ein Sterben in Würde – Quartierspflege nach dem Modell der Buurtzorg Andreas Klein 7 Hypnotherapeutische Ansätze in der Palliativversorgung Wolfgang Schulze 10 IMPRESSUM Emotionen positiv verändern durch Multisensorik Beat Grossenbacher 13 Herausgeber ALPHA - Ansprechstellen im Land Nordrhein-Westfalen zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung Redaktion SCHWERPUNKT Ansprechstelle im STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA Land Nordrhein-Westfalen zur Palliativversorgung, Hospizarbeit und „Du wärst jetzt mal tot“ Angehörigenbegleitung im Landesteil Westfalen-Lippe Die Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Sigrid Kießling Trauer als Bildungsauftrag Friedrich-Ebert-Straße 157-159, 48153 Münster Tel.: 02 51 - 23 08 48, Fax: 02 51 - 23 65 76 Hilla Wedi und Claudia Kock 15 alpha@muenster.de, www.alpha-nrw.de Von Leben – Tod – und – Trauer Layout Art Applied, Hafenweg 26, 48155Münster Hospiz goes Kindergarten Sandra Schulz 19 Druck Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 Buschmann, Münster Kinder trauern wie Pfützenspringer. Auflage 2500 Mal raus und mal rein! Petra Lühr und Astrid Hanning 22 Die im Hospiz-Dialog-NRW veröffentlichten Artikel geben nicht Wenn Kinder Geheimnisse in sich tragen unbedingt die Auffassung der Redaktion und der Herausgeber Gundula Göbel 24 wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen. Fotos der Autoren mit Zustimmung der abgebildeten Personen. Veranstaltungen 27
4 STERBEN ZUHAUSE IM HEIM – HOSPIZKULTUR UND PALLIATIVKOMPETENZ IN DER STATIONÄREN LANGZEITPFLEGE Eine Studie INTERVIEW MIT WERNER SCHNEIDER W erner Schneider mangel – beim Thema hospizlich-palliative Ster- ist seit 2003 Pro- bendenversorgung konzeptionell und praktisch fessor für Soziolo- noch nicht so weit sind, wie sie eigentlich sein gie an der Univer- wollen. sität Augsburg und forscht insbesondere zu den Themen Sie unterscheiden zwischen dem Heim als Familiensoziologie, Soziologie Lebensort und dem Heim als Quasi-Hospiz und der Lebensphasen und privaten sprechen von einem Spannungsfeld zwischen Lebensformen sowie Soziologie aktivierenden Maßnahmen auf der einen und des Lebensendes. der Betreuung des Sterbenden auf der anderen Seite. Welche Bedeutung hat dies aus der Per- Sie haben eine umfassende spektive des Heimes bzw. für die Leitung und die Studie zur Hospizkultur und Mitarbeitenden? Prof. Dr. Werner Schneider Palliativkompetenz in statio- Das Heim als Ort des Lebens fungiert zum einen nären Pflegeeinrichtungen als Orientierungsmuster für die Pflegekräfte und umgesetzt. Können Sie uns einige Eckdaten Heimleitungen, das deren professionelle Praxis lei- Ihrer Studie nennen? tet: Den Bewohnern soll der Lebensabend so ge- Die Studie: „Sterben zuhause im Heim (SiH) – staltet werden, dass sie ihn nach ihren Wünschen Hospizkultur und Palliativkompetenz in der statio- und Bedürfnissen verleben können. Dafür bedarf nären Langzeitpflege“ wurde gefördert vom es – aus Sicht der professionellen Praxis – einer Bundesministerium für Gesundheit. Wir haben am aktivierenden Haltung der Mitarbeiterinnen und 1.11.2015 begonnen, am 31.10.2017 endete die Mitarbeiter bei der Versorgung der Bewohner, da Laufzeit. Beteiligte Institutionen waren das Zen- Aktivität mit zum Leben gehört. Aus Sicht der Pro- trum für Interdisziplinäre Gesundheitsforschung fessionellen lassen sich Sterben und Tod nur (ZIG) an der Universität Augsburg und Institut für schwer in dieses Orientierungsmuster integrieren, Praxisforschung und Projektberatung (IPP) und zwar dann bzw. deshalb, weil es nicht als Teil München. Im Rahmen der Studie wurden 24 des Lebens definiert wird. Dennoch müssen sich Experteninterviews, zehn Fallstudien und eine die Heime heute zunehmend mit der Betreuung Onlinebefragung (adressiert an ca. 10.500 Heime) Sterbender auseinandersetzen, schon allein auf- durchgeführt. Der Rücklauf der Onlinebefragung grund des demographischen Wandels. Die Zahlen lag bei 15,4% (n=1.614). der Bewohnerinnen und Bewohner, die bereits schwer oder mehrfach krank und hochaltrig gleich- Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 Die Problematik des Rücklaufs ist begründet durch sam zum Sterben ins Heim kommen, steigen an. die generell zeitliche Ressourcenknappheit bei den Mit diesem Wandel des Heims hin zu einem Ort des Einrichtungsleitungen, die generelle Überfrachtung Lebens und des Sterbens sind ggf. Veränderungen der Heime mit Befragungsanfragen und das zeitli- in der Haltung der Professionellen – Sterben gehört che Überschneiden der Studie mit der Umstellung im Heim mit dazu – und damit auch der Praxis ver- von Pflegestufen auf Pflegegrade (PSG II). Manche bunden: Aktivierung des Bewohners muss beim Heime scheuten sich auch, an der Befragung teil- Sterbenden durch palliative Pflege ersetzt werden, zunehmen, weil sie – wiederum aus Ressourcen- die durch Ruhe, Minimalität und radikale Bedarfs-
5 herrscht zum einen die Skepsis eines Mehrwerts durch Externe und zum anderen Misstrauen, Unsi- cherheit und Unverständnis bezüglich der Einbin- dung „fremder“ Akteure vor. Deshalb gilt es, weiter Informations- und Aufklärungsarbeit zu leisten und die mögliche Rolle von hospizlichen Begleitern möglichst präzise zu benennen und von den heim- internen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichen abzugrenzen. Zugleich bedarf es auch eines Ver- trauensverhältnisses zwischen den Akteuren, damit Ängste der Heime, „sich in die Karten schauen lassen zu müssen“ abgemildert werden. Heime, die für sich vorhandene Defizite im Bereich der Hospiz- kultur und Palliativkompetenz (an)erkennen und orientierung gekennzeichnet ist, was unter Um- Chancen für die Verbesserung der Betreuung Ster- ständen auch den Verzicht auf Nahrung bedeuten bender in der Vernetzung bzw. Kooperation sehen, kann. sind hier offener, allerdings bedarf es auch hier eines kommunikativen, vertrauensvollen Verhält- Was bedeutet dies für die Bewohnerinnen und nisses und die Anerkennung von Leistungen Bewohner? und strukturellen Grenzen, die die Rahmenbedin- Wenn das Heim von morgen sich organisational, gungen für die Versorgung Sterbender im Heim personell und kulturell auf das Sterben einstellt, stellen. können die Bewohnerinnen und Bewohner dort einen Ort vorfinden, an dem sie gut betreut und Wie stellt sich die Bedeutung der Angehörigen versorgt ihr Lebensende verbringen können – nach Ihren Studienergebnissen dar? gleichsam als „demokratische“ Lösung einer „Ver- „Die“ Angehörigen sind eine heterogene Gruppe. hospizlichung“ des Lebensendes. Voraussetzungen Es gibt diejenigen, die sich intensiv um den Bewoh- sind hier allerdings insbesondere die entsprechen- ner kümmern, manche kommen hin und wieder vor- de Ressourcenausstattung der Heime, damit aus- bei und wieder andere sind gar nicht greifbar. Von reichend qualifiziertes Personal nicht nur für die den Verfügbaren erweisen sich manche als Hilfe für Bewohner an sich, sondern vor allem auch für die die Mitarbeitenden im Heim, da sie sich bei der Sterbenden mit ihren besonderen, zum Teil zeitauf- Begleitung der sterbenden Bewohnerinnen und wändigen Bedürfnissen zur Verfügung steht. Gerade Bewohner engagieren. Sie übernehmen dabei vor hospizliche und vor allem auch palliative Kompe- allem die hospizlich konnotierte Aufgabe des tenz gelten als Voraussetzung eines „guten“ Ster- (kommunikativen) Daseins. Andere werden eher bens. Ob sich das Heim also zu einem Quasi-Hospiz als Störfaktoren gesehen, weil sie sich – aus Sicht oder einem Sterbeort zweiter Klasse entwickelt, der Heime – unverhältnismäßig in die Versorgung hängt damit nicht zuletzt von politischen Weichen- einmischen, was meist zwar als Ausdruck der Sor- stellungen ab. gen um den Bewohner/die Bewohnerin verstanden werden muss, aber für die Mitarbeitenden im Heim Sie verweisen in Ihrer Studie u. a. auf zwei wich- belastend sein kann. Sind Angehörige beteiligt, tige Aspekte der Einbindung hospizlicher Arbeit: zunächst unabhängig davon, wie sie vom Heim 1) die Identität eines Heims, das immer schon wahrgenommen werden, bedürfen sie mitunter Sterbende begleitet und Hinweise von außen als ebenfalls einer Begleitung oder zumindest Anspra- Besserwisserei verstehen kann und 2) den che, um das Sterben ihres Nahestehenden verar- Wunsch nach Austausch auf Augenhöhe, die den beiten zu können. In der Hospiz- und Palliativpraxis Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 Rahmenbedingungen Rechnung tragen soll. Wie wird hier von der unit-of-care gesprochen, die auch kann man Ihrer Meinung nach diesen Aspekten im Heim relevant ist. Diese Begleitung der Ange- begegnen? hörigen, also z. B. sich Zeit für Gespräche zu Findet sich in Heimen die Haltung „das machen wir nehmen, erfordert jedoch zeitliche und personelle doch schon immer“, bezieht sich diese vor allem Ressourcen des Heims, die in der Regel nicht auf die Frage der Erweiterung der eigenen Praxis verfügbar sind. Das erzeugt Frust auf beiden Seiten durch hospizliche Akteure von außen, etwa in Form – den Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern im Heim einer Kooperation mit Hospizdiensten. Hier und den Angehörigen.
6 Mit welchen Herangehensweisen könnte man Rolle, in der Zukunft wird es anders geprägte dieser Problematik langfristig begegnen? Biografien geben. Wirkt sich dies auch auf die Zum einen bedarf es einer Haltung der ganzheit- Wünsche und Bedürfnisse im Sterbeprozess lichen Versorgung im Heim, die von der unit-of-care aus? ausgeht und sich nicht allein auf den Bewohner Zur Frage, welche konkreten Wünsche und Bedürf- bezieht. Nur dann werden auch die Angehörigen nisse Sterbende haben, kann ich aus eigener For- als Adressaten betrachtet. Zum anderen muss diese schung keine fundierten Aussagen machen. Was Haltung auch sich in verschiedenen Studien zeigt, ist die grund- strukturell um- sätzliche Bedeutung von würdevollem Sterben, das » Zeit für den und am Patienten gesetzt wer- vor allem gekennzeichnet ist durch Schmerzfreiheit den. Und auch und Selbstbestimmung. Was darüber hinaus kon- ist das, was am dringendsten hier muss, wie kret als Wunsch formuliert wird, hängt von der je- erforderlich ist. bereits ange- weiligen Biographie ab: So mag für viele wichtig deutet und so sein, eventuelle Familienprobleme und Streitigkei- banal es klin- ten noch ausräumen zu können, andere möchten gen mag, wieder auf die Ausstattung der Heime mit vielleicht noch ein bestimmtes Ereignis miterleben personellen Ressourcen geschaut werden. Eine gute oder sich über ihr Leben austauschen können. Wie- Versorgung der unit-of-care, nicht nur, aber vor allem der andere möchten einfach in Ruhe gelassen wer- im Sterben, erfordert auf der einen Seite Qualifika- den. Über den Einzelfall hinaus spielen hier aber tion und Kompetenzen und auf der anderen Seite freilich immer auch kulturelle Prägungen im Sinne schlicht und ergreifend Zeit. Beides kostet Geld. von Modernisierungseffekten eine Rolle. Die zukünftig Sterbenden werden von Anbeginn an in Ein defizitäres Feld für die Einrichtungen ist das einer individualisierten Gesellschaft aufgewachsen der Kooperation mit den Hausärzten. Wie stellt und sozialisiert worden sein, deren Credo der Ein- sich diese Problematik differenziert dar? zelne als Gestalter seines Lebens und Sterbens ist, Die Heime, die an unserer Studie teilgenommen was die „Individualität“ der Wünsche und Bedürf- haben, haben unterschiedliche Erfahrungen mit nisse weiter verstärkt. Zugleich wird die Gesell- Hausärzten. Diejenigen, die hier Probleme sehen, schaft immer pluraler und heterogener, verstärkt sehen diese in der mangelnden Qualifikation von etwa durch Menschen mit Migrationshintergrund. Hausärzten im Bereich Palliative Care, die sich auch Was jeweils wichtig erscheint, muss erst heraus- in einer geringen Wertschätzung der palliativen gefunden werden. Biographiearbeit wird damit für Kompetenz im Heim sowie der Zurückhaltung in die Hospiz- und Palliativarbeit noch weiter aufge- der Verschreibung von schmerzlindernden Medika- wertet, um dem gerecht zu werden, was der Ein- menten und/oder der Verordnung von SAPV äu- zelne sich für sein Sterben wünscht. ßert. Vor allem aber wird die Kooperation Hausarzt- Heim problematisiert. Im benannten mangelnden Was glauben Sie, würden wir erfahren, wenn Be- Zugang von Hausärzten zu Palliative Care, aber wohnerinnen und Bewohner befragt würden? auch in strukturellen Faktoren, wie räumliche Zur Frage, was sich Sterbende im Allgemeinen wün- Distanz, schlechte Erreichbarkeit und fehlende Zeit- schen bzw. was sie am meisten bereuen, gibt es ressourcen für Heimbesuche, werden von Seiten der auf dem Büchermarkt bereits verschiedene Werke. Heime Defizite gesehen. Auch die professionelle Konkret bezogen auf die Wünsche von Heimbewoh- Distanz der Hausärzte gegenüber den Pflegekräf- ten behindert eine Zusammenarbeit „auf Augen- höhe“, die für die Heimmitarbeiter aber als Kriterium für gute Kooperation gesehen wird – ihre Kompetenz und Erfahrung sollen ernst genommen Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 werden. Die Generationen der Altenheimbewohner sind auf Grund ihrer auch historisch bedingten Bio- graphie unterschiedlich; Ansprüche, Wünsche oder Bedürfnisse verändern sich. In der heute sterbenden Generation spielt vielleicht die Kindheit im Krieg und in der Nachkriegszeit eine
7 nerinnen und Heimbewohnern gibt es lediglich ver- 2005, S. 7) – das Sterben soll zwar Thema sein, einzelte kleinere Feldstudien, die hierzu schlag- aber keine allzu große Präsenz im Heimalltag be- lichtartige Hinweise geben (z. B. Brüll, 2005; Bremer kommen. Ausgehend von solchen ersten interes- Heimstiftung, 2005). Neben einer ausreichenden santen Hinweisen hielte ich eine breiter angelegte Schmerzversorgung als Sicherung körperlicher Lei- soziologische Studie zu diesem Thema für durch- densfreiheit gehört zu einem „guten Sterben“ dem- aus notwendig und wünschenswert, zumal sich ja nach auf der einen Seite vor allem persönliche An- bereits abzeichnet, dass das, was Akteure im Feld sprache, Kontakt zu Angehörigen und gegebenen- gut, weil würdevoll fänden, nicht unbedingt das ist, falls Gespräche mit Dritten, beispielsweise was sich Heimbewohnerinnen und Heimbewohner ambulanten Hospizhelfern, die sich Zeit nehmen wünschen. Wissen um solche Umstände sind die können, um für den Sterbenden da zu sein und bei Grundlage für eine hospizlich-palliative „Lobbyar- denen der Bewohner nicht das Gefühl hat, den Pfle- beit“ für Sterbende im Allgemeinen und Sterbende gekräften oder Angehörigen zur Last zu fallen. Auf in Institutionen im Besonderen. Das gilt umso der anderen Seite ist den Bewohnerinnen und Be- mehr, je individualisierter, pluraler und heterogener wohnern wichtig, dass ihre individuellen Wünsche die deutsche „Sterbelandschaft“ in Zukunft wird. und Bedürfnisse respektiert werden, wozu unter anderem auch der freiwillige Verzicht auf Nahrung gehört. Neben solchen ja durchaus bekannten Literatur Aspekten ist der Hinweis interessant, dass die Vor- Brüll, H.-M. (2005). Sterbebegleitung im Heim. Eine qualitative stellungen aus dem Feld der Hospizarbeit, z. B. den Erkundungsstudie zur Situation und zu Werteeinstellungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der stationären Sarg des Verstorbenen öffentlich, über den Haupt- Altenhilfe (online verfügbar unter: https://hsbwgt.bsz- eingang, und damit würdig zu überführen, sich bw.de/frontdoor/index/index/year/2005/docId/11). nicht ohne Weiteres mit den Wünschen der Bewoh- Bremer Heimstiftung (Hrsg.) (2005): „Ich möchte einfach ein- nerinnen und Bewohner deckt, die in Teilen eher schlafen. Kein Tamtam drum herum.“ Gedanken und Wün- sche zu Sterben und Tod. Eine Umfrage in der Bremer Heim- eine diskrete Verabschiedung des Verstorbenen stiftung (online verfügbar unter: http://www.hospiz- präferieren würden (vgl. Bremer Heimstiftung, horn.de/pdf_broschueren/umfrage_bhs.pdf ). FÜR EIN STERBEN IN WÜRDE – QUARTIERSPFLEGE NACH DEM MODELL DER BUURTZORG ANDREAS KLEIN A kkordarbeit, das ist der ambulante Pfle- dienst auch nur einigermaßen gedienst derzeit. Geht Waschen, Essens- wirtschaftlich arbeiten, muss er Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 gabe und Spritzen in unter 20 Minuten? die Mitarbeiter zu schneller Dann aber schnell. Möglichst inklusive Arbeit anhalten. Kommt zu An- und Abfahrt. Gehetzte Pflegekräfte verrichten diesem Faktor auch noch als bloße Handgriffe an Patienten, für ein Gespräch oberste Maxime die Gewinnma- fehlt die Zeit. Die pflegebedürftigen Menschen wer- ximierung – wie das bei börsen- den reduziert auf Objekte, an denen Aufgaben er- notierten Pflegekonzernen der ledigt werden. Schuld an diesem Umstand sind die Fall ist – wird das System kom- knapp kalkulierten Fallpauschalen. Will ein Pflege- plett unmenschlich. Der Faktor Andreas Klein
8 Zeit ist das bestimmende Element, vergleichbar mit einem Job am Fließband. Was aber, wenn der Pfle- gebedürftige genau das nicht mehr hat: Zeit? Was, wenn klar ist, dass er oder sie nicht mehr lange zu leben hat? Die Pflege reiht sich ein in unser großes System der Industrialisierung und Globalisierung. Es geht um permanentes Wachstum, denn nur so kann dieses System überleben. Kurzum, wir plün- dern und zerstören unseren gesamten Planeten und zwar ohne Rücksicht. Dem hat sich alles aus- nahmslos unterzuordnen, auch der Mensch. Und gerade der Mensch ist es, warum wir Pflegekräfte ursprünglich unseren Beruf gewählt haben: Wir wollen Menschen helfen. Und das gilt in besonde- rem Maße für Schwerstkranke. Anpacken und vernetzen: die Quartierspflege Vor zwei Jahren war ich, wie meine Kollegen, kurz davor hinzuschmeißen. Ich war es leid, das Resultat dieser entmenschlichten Arbeit im Dauerstress zu erleben. Ein Blick auf die hilfebedürftigen Men- schen zeigt ein ebenso deprimierendes Bild: Ver- einsamung und das Gefühl, nur eine Last zu sein. Das gilt in besonderem Maße für Sterbende. Sollte ich den Pflegedienst verkaufen und etwas ganz Anderes machen? Ich beschäftigte mich mit alter- nativen Zusammenarbeitsformen, stieß bei meinen her. Die „Quartierspflege“ war geboren. Wir arbei- Recherchen auch auf Frédéric Lalouxs Buch „Rein- ten seit einigen Monaten an einer neuen Struktur, venting Organziations“ und hier auf das niederlän- einem neuen Arbeitsmodell, angelehnt an Buurt- dische Modell von Buurtzorg („Nachbarschaftshil- zorg. Ganz übertragbar ist das System nicht, da die fe“). Dort bilden kleine, unabhängige Teams von Niederlande nicht nach Fallpauschalen vergüten, Pflegekräften ein Netzwerk mit Verwandten, Ärzten, sondern nach Zeit. Auch ist der Ausbildungsgrad Angehörigen und anderen Dienstleistern. Das hat der Pflegekräfte höher als bei uns und die Quote mich beflügelt. von Pflegekraft zu Pflegebedürftigen besser. Wo es dort 1 zu 7 ist, kommt in Deutschland 1 Pflegekraft In den Niederlanden wird im Grunde die Charta zur auf 14 Pflegebedürftige. Betreuung Schwerstkranker und sterbender Men- schen umgesetzt. Dort heißt Aber das sollte uns nicht auf- es wörtlich: „Die Angehörigen halten. Das erste Team findet und die ihm Nahestehenden » Die Betreuung in einem sich gerade zusammen in sind einzubeziehen und zu Netzwerk von haupt- und Düsseldorf-Urdenbach. Wir unterstützen. Die Betreuung sind sozusagen noch im Beta- erfolgt durch haupt- und ehrenamtlich Tätigen Stadium, dem Stadium des ehrenamtlich Tätige soweit ermöglicht es, in dem Ausprobierens. In dem Team, wie möglich in dem vertrau- das wir derzeit noch „Quar- Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 vertrauten Umfeld zu ten bzw. selbst gewählten tierspflege“ nennen, arbeiten Umfeld. Dazu müssen alle an bleiben. zehn Pflegekräfte mit verschie- der Versorgung Beteiligten denen Qualifikationen, Fähig- eng zusammenarbeiten.“ keiten und in unterschiedlichen Rollen. Es gibt keine hierarchischen Strukturen, wie Die ersten Schritte eine Pflegedienstleitung. Wo diese bisher Schicht- Ich sagte mir, dass genug lamentiert wird, und fing pläne und bürokratische Aufgaben alleinig durch- an, etwas zu ändern. Eine andere Pflege musste führte, werden ihre Aufgaben im Team verteilt. Die
9 Dienstpläne werden zusammen erarbeitet. Eigen- den. Die Lösung heißt Digitalisierung: Jedes Team- bestimmtes Arbeiten ist der Kern dieser neuen mitglied hat ein 10‘-Tablet mit SIM-Karte und kann Organisationsform. Wir merken schon nach diesen sich so mit den Teamkollegen und -kolleginnen auf wenigen Monaten, wie sich die Zufriedenheit der verschiedenste Weise jederzeit austauschen. Kollegen signifikant gesteigert hat. Insbesondere Gearbeitet wird in der Cloud, auf die alle Zugriff die Mitbestimmung an einer neuen Struktur begeis- haben und in der sich auch das Intranet befindet. tert die Kollegen. Neben der Zeitgewinnung und der verbesserten Kommunikation hat die Einführung von digitalen Pflege verbindet Menschen – auch in der Pallia- Prozessen noch einen Vorteil: Die Fehlerquote kann tivversorgung minimiert werden, denn wie schnell ist ein Haken Die Versorgung und Pflege hilfebedürftiger Men- im Abrechnungssystem falsch gesetzt? Die Lösung schen sollten wir als gemeinschaftliche Aufgabe sind gezielte Rollenverteilungen im System. ansehen. Es gibt genügend Menschen in den jeweiligen Wohnquartieren, die Aufga- ben übernehmen würden, auch ehrenamtlich. Und ge- nau das ist der nächste Schritt in der Evolution der Quartiers- pflege, den wir anstreben: Wir vernetzen uns nicht nur mit Ärzten, Angehörigen, Freun- den und Nachbarn, sondern auch mit Dienstleistern, wie zum Beispiel Fußpflegern. Nicht zuletzt deswegen haben wir eines unserer Ziele ent- sprechend formuliert: „Pflege verbindet Menschen“. Schon jetzt stimmen wir uns jenseits des ersten Quartier- pflege-Teams insbesondere in der Paliativversorgung eng mit den betreuenden Ärzten, den Angehörigen und Einrichtun- gen wie dem Palliativ Care Team aus Düsseldorf ab, ganz im Sinne der Charta. Im Mittel- punkt stehen die Ziele, die wir gemeinsam mit dem Schwerstkranken festlegen. Wir sind noch ganz am Anfang unserer Reise, die Dabei wünschen sich Patienten oft, zu ihren Pflege wieder menschlicher zu gestalten. Stück für gewohnten Zeiten versorgt zu werden, insbesonde- Stück. Sicherlich werden wir auf diesem Weg nicht re morgens. Genau hier ist ein Konflikt. Der Morgen alles richtig machen, aber wir arbeiten an Lösungen. ist die Rushhour der Pflege. Unsere Erfahrung zeigt: Ein offenes Gespräch über diese Problematik mit Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 dem Patienten führt dazu, dass dieser Punkt keine Andreas Klein Priorität mehr in den Zielen hat. Wichtiger ist ihm, a.klein@careservice.de ein großzügiges Zeitfenster zu bekommen. www.careteam-pflege.de Wie also mehr Zeit gewinnen, haben wir uns ge- fragt. Neben den pflegerischen Tätigkeiten und Ab- stimmungen untereinander müssen die bürokrati- schen Aufgaben trotzdem weiterhin erledigt wer-
10 HYPNOTHERAPEUTISCHE ANSÄTZE IN DER PALLIATIVVERSORGUNG WOLFGANG SCHULZE H ypnotherapie ist eine Therapieform, bei nen und Patienten fühlen sich ihrer Situation oh- der Trancezustände zur Behandlung ge- nehin bereits ausgeliefert, und das Ziel hypnothe- nutzt und berücksichtigt werden. Wir rapeutischer Haltung oder Intervention ist, dem oft können davon ausgehen, dass Trance erlebten Kontrollverlust entgegenzuwirken und ein universelles Phänomen ist, das jeder Mensch Selbstwirksamkeit erlebbar zu machen. irgendwie kennt, zumindest als Tagtraum, einer fla- chen Form der Trance. Dieser Zustand beschreibt Trance-Phänomene die Anwendung in der Palliativversorgung ganz gut, geht es doch ganz zentral um die inneren Bilder Kognitive Veränderungen der Patientinnen und Patienten. Dies in wertschät- 1. Amnesien („Vergessen“): zender Haltung zu begleiten, ist das Anliegen der Die Zeit bzw. die Zeitwahrnehmung kann kompri- Anwendung hypnoti- miert oder dilatiert sein (Zeitverzerrung). scher Prozesse in der Ein Beispiel: Palliativversorgung. Patient: „Ich warte jetzt eine halbe Stunde auf mein Morphin!“ – Schwester: „Es waren aber nur 5 Mi- In manchen Lebenspha- nuten, Herr …, wir haben doch auch noch andere sen fallen wir häufiger Patienten, und ich habe nicht Kaffee getrunken …“ spontan in Trance als zu Was geschieht beim Patienten? Er denkt sich: „Es anderen Zeiten. Die war doch eine halbe Stunde, die glauben mir nicht, Palliativsituation gehört und ich bin wohl nicht so wichtig …“. Resultat: Der dazu. Es sollte also sehr Kontakt reißt ab. – Bei Kenntnis der Zeitverzerrung hilfreich sein, sich mit würde man z. B. formulieren: „Oh ja, tut mir leid, diesen Zuständen aus- Sie haben lange warten müssen!“ – Der Patient zukennen, um unseren fühlt sich verstanden, der Kontakt bleibt erhalten. Dr. Wolfgang Schulze Patientinnen und Patien- ten gerecht zu werden. Manches Verhalten und „Vergessen“ der Grammatik: Jedes Wort wird für manches Kommunikationsproblem erschließt sich sich, also ohne Zusammenhang, gehört und umge- uns erst dadurch! hend in innere Bilder umgesetzt, mit möglicher- Zudem kann Hypnose sehr hilfreich sein, um un- weise schlimmen Auswirkungen: „Sie werden keine willkürliche und unbewusste Prozesse, zu denen – schlimmen – Schmerzen – leiden müssen – wenn auch Symptome zählen und denen wir uns ausge- das Rippenfell – angestochen wird …“ oder: „Ich liefert fühlen, wirksam zu beeinflussen. So gelingt erkläre Ihnen mal die Schmerzskala: Schmerzen durch Nutzung hypnotischer Phänomene (s. u.) ei- der Stärke 5 sind wie, wenn der Finger in die Brot- ne günstige Beeinflussung gerade solcher Symp- schneidemaschine gerät … und 6 sind … und 7 sind tome, die uns auch in der Palliativversorgung täg- …“ … „Wie stark ist ihre Übelkeit/Atemnot von 0 lich begegnen, wie Dyspnoe, Hustenreiz, Angst, bis 10, soll ich ihnen erklären, was das heißt?“ ... Übelkeit, Erbrechen, Inappetenz, Juckreiz oder „Vergessen“ der Naturgesetze: Widersprüchliches Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 (Durchbruch-)Schmerz. Auch psychische Sympto- wird akzeptiert. Wir können gleichzeitig an zwei me wie Ängste, Depressionen, Traumatisierungen Orten sein, können uns z.B. „von oben“ sehen sowie die sogenannte erschwerte Trauer können (Dissoziation). mit Hypnotherapie gut behandelt werden. 2. Hypermnesien: Für alle, die durch das Einlassen auf die Hypnose Das faszinierende Wiedererinnern von vergessenen einen Kontrollverlust befürchten: Bei der hypno- Ereignissen. Diese werden als Ressourcen genutzt therapeutischen Behandlung soll das Gegenüber und bereichern die Biographiearbeit auf berühren- gerade nicht die Kontrolle abgeben. Die Patientin- de Weise.
11 © G. Achtermann Sensorische Phänomene noch in den Anfängen steckte: „… die Nutzung von Bei den sensorischen Phänomenen geht es um die Hypnose bei Patienten, die in der Terminalphase Afferenzen auf allen Sinneskanälen: visuell, akus- leiden. Bei der Behandlung solcher Patienten geht tisch, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch es nicht darum, die Krankheit selbst zu (VAKOG). Die Aufmerksamkeit ist auf ein Ereignis behandeln, wo doch der Patient bereits den Tod oder Thema fokussiert, alles andere wird ausge- vor Augen hat und schmerzlich leidet. Die primäre blendet. So werden Sinneseindrücke zum Teil nicht Aufgabe … ist, seinen persönlichen Anliegen und mehr wahrgenommen, wie wenn ein versunken Bedürfnissen so weit als irgend möglich zu begeg- spielendes Kind die Mutter nicht mehr hört oder nen …, was braucht der physische Körper und was das Grünwerden der Ampel beim Vor-sich-hin-Träu- braucht der Patient als ganze Person und Persön- men nicht bemerkt wird, obwohl wir direkt darauf lichkeit, wo kulturelle und individuelle psychologi- starren. So ist auch das Nicht-Wahrnehmen von sche Implikationen von gleich großer oder größerer Schmerzreizen bei analgetischer Hypnose, z. B. Wichtigkeit sind als die körperliche Erfahrung von beim Zahnarzt, zu erklären. Umgekehrt können Schmerz …“ Klänge und Bilder so lebendig wahrgenommen wer- den, als wäre man dort. Die Anwendung Folgende Basisanwendung zur Besserung von Effektorische Phänomene Wohlbefinden und Symptomen ist ressourcenorien- Diese Phänomene beeinflussen sekretorische oder tiert, steigert die Selbstwirksamkeit (Autonomie), motorische Efferenzen: Wenn wir uns auch nur vor- kann wertvolle Erinnerungen reaktivieren und zur stellen, wir beißen in eine saure Zitrone, hat das Akzeptanz der aktuellen Lebenssituation beitragen. sekretorische Auswirkungen auf die Speicheldrü- Diese kann explizit in einer durch einen Hypnothe- sen. In Trance lassen sich auch andere exokrine rapeuten eingeleiteten Hypnose erfolgen, aber oder endokrine Drüsen durch innere Bilder beein- auch implizit im Rahmen eines hypnotherapeutisch flussen, z. B. die Stresshormonausschüttung durch orientierten Gesprächs durch jeden in der Pallia- Imagination entweder eines Ruheortes oder z. B. tivversorgung Tätigen, der über Empathie und eines Pferderennens. Und so wie sich die Muskel- Selbstreflexion, eine palliative Haltung verfügt. Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 spannung der Arme durch Autogenes Training sen- ken lässt, indem wir uns Schwere vorstellen, so Zunächst soll eine schöne Erinnerung (= Ressource) kann sich in hypnotischer Trance beispielsweise gefunden werden. Besonders in quälenden Situa- ein Arm unwillkürlich anheben (Armlevitation). tionen, in denen schon eine Spontantrance besteht, kann das eingeleitet werden durch wirksame Hypnotherapie in der Palliativsituation Schlüsselfragen: „Wo wären Sie jetzt lieber als Milton Erickson (1901-1980), Begründer der wissen- hier?“ – „Wo war es besonders schön in Ihrem schaftlichen Hypnotherapie, schrieb bereits 1958, Leben?“ – „Gehen Sie zurück in Ihrer Erinnerung, als die moderne Hospiz- und Palliativbewegung wo die Luft gut ist, es appetitlich riecht, Sie vital
12 sind…“. Signalisiert der Patient, „angekommen“ zu eine hypnotherapeutische Aus- oder Weiterbildung sein, gilt es, das Erleben auf allen Sinneskanälen durchlaufen zu haben. Mit dieser Ausbildung mit interessierten Fragen zu aktivieren: „Wo finden gelingt die Trance-Induktion wesentlich intensiver, Sie sich wieder? Drinnen oder draußen? Wie ist die physische und psychische Symptome können bes- Temperatur, angenehm warm oder angenehm ser bearbeitet werden und es gelingen vertiefte frisch? Wie alt sind Sie? (besser als „wann war Gespräche über die Spiritualität (Beispiele siehe das?“) … was ist zu hören, die Geräusche … die Stil- Literaturangaben). le hören… Stimmen im Hintergrund …? Was ist zu sehen, in der Ferne, am Horizont …? Und was in der Zusammenfassend ist die Nutzung hypnotherapeu- Nähe? … ganz vertraut … auf die Details achten … tischer Erfahrungen eine wichtige Bereicherung der und der charakteristische Duft, der genau nur hier Möglichkeiten in der Palliativversorgung, die so existiert? Wie sind Sie da, sitzend, liegend, lau- bereits mit wenigen Kenntnissen beginnen, mit fend … wie ist der Untergrund? etc. Was sehen Sie Ausbildung in Hypnotherapie aber eine enorme … in der Ferne … oder in der Nähe … schauen Sie Erweiterung erfahren kann. auf die Details … wie mit einer Lupe, … ist es ganz vertraut … und vielleicht auch neu? … wie Sie es Dr. med. Wolfgang Schulze noch nie gesehen haben? Und die Geräusche – ver- Facharzt für Strahlentherapie und Radiologie ändert sich etwas? Und der Duft … vertraut … wie Zusatzqual. Palliativmedizin und Med. Hypnose fühlt sich die Kleidung an? Wie der Untergrund …?“ M.E.G. Donaustr. 28b Die Wahrnehmung muss nicht ausgesprochen wer- 95445 Bayreuth den: „Wenn Sie möchten, können Sie darüber re- Tel.: 01 71 - 5 23 46 65 den, wenn Sie möchten, können Sie es auch bei wolfgang.schulze.dr@gmx.de sich behalten“ ist eine Formulierung, die auch das Verschweigen wertschätzt. Erzählen ist allerdings sehr hilfreich, weil wir dann spezifisch nachfragen Literatur können: „Wie genau … ?“ Ebell, H. (2009). Krebserkrankungen. In: Revenstorf, D. & Peter, B. (Hrsg). Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. Springer, Heidelberg, S. 673-691. Es ist unglaublich überraschend, welche Orte auf- Erickson, MH. (1958). Hypnosis in Painful Terminal Illness. The gefunden und als beglückend empfunden werden, Journal of the Arkansas Medical Society; und 1959 Ameri- viel besser als unsere Vorschläge (Suggestionen). can Journal of Clinical Hypnosis, 1:3, 117-121. Die Patientinnen und Patienten erleben eben nicht Kachler, R. (2017). Hypnosystemische Trauerbegleitung. Carl Auer Verlag Heidelberg. nur den Strand, die Wiese, den Wald – bei unseren Muffler, E. (2009). Hypnosystemische Interventionen zur Symp- „Palliativ-Hypnosen“ waren es auch schon mal das tomlinderung in der Onkologie. In: Isermann und Diegel- Zimmer der Großmutter, ein Boot, das Kinderzim- mann: Ressourcenorientierte Psychoonkologie, Kohlham- mer, die Werkstatt, das Restaurant, die Kirche, das mer. Peter, B. (1994). Hypnotherapy with Cancer Patients: On Spea- Fußballfeld, der Skilift, das Entbindungszimmer king about Death and Dying. Hypnos 21(4). oder sogar der Kasernenhof … Das ist sehr viel Peter, B. (1996). Hypnosis in the Treatment of Cancer Pain. Hyp- besser, als von uns ausgehend – sozusagen pater- nos 23: 99-108. nalistisch – eine fertige (Fantasie-) Geschichte zu Rajasekaran, M, Edmonts, PM, Higginson, IL (2005). Syste- matic Review of Hypnotherapy for Treating Symptoms in erzählen oder vorzulesen. Terminal Ill Adult Cancer Patients. Palliative Medicine 19: 418-426. Die Atmosphäre dieses im Patienten erlebten Ortes Schulze, W. (2010). Hypnose in der Palliativmedizin. Hypnose oder Ereignisses wirkt dann auf das Wohlbefinden, und Medizin. Hypnose-ZHH 2010; 5: 145-161. die Stimmungslage und die Symptomatik. Sie kann Schulze, W. (2013). Hypnose und Hypnotherapie in der Pallia- tivmedizin – Symptombehandlung und spirituelle Beglei- beruhigend wirken, aktivierend (bei Fatigue), kann Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 tung. Z Palliativmed; 14: 59-72. den Atem ruhiger werden, die Atemnot, den Schulze, W. (2015). Hypnotherapie in der Palliativmedizin. In: Schmerz oder die Übelkeit vergessen lassen oder Muffler, Elvira (Hrsg). Kommunikation in der Psychoonko- den Appetit anregen. Häufig sucht sich das Unbe- logie – Der hypnosystemische Ansatz, Carl Auer Verlag Hei- delberg. wusste der Patienten genau den Sehnsuchtsort, an Schulze, W., Revenstorf, D. (2017). Hypnotherapie. In: Psycho- dem das erlebbar ist, was aktuell fehlt. therapeutische Methoden am Lebensende, Hrsg. Daniel Berthold, Jan Gramm, Manfred Gastpar, Ulf Sibelius, Van- Manche Patienten oder Patientinnen müssen dazu denhoeck & Ruprecht. Schulze, W. (2018). Hypnotherapie in der Palliativversorgung, besonders angeleitet werden. Dann ist es hilfreich, in Kränzle, S.: Palliative Care, Springer Medizin Verlag.
13 EMOTIONEN POSITIV VERÄNDERN DURCH MULTISENSORIK BEAT GROSSENBACHER D er Mensch empfindet Ängste, die ihren Der Mensch als Gefangener seiner Umwelt und Ursprung in Scham oder Ekel haben der Überlebensstrategie können. Diese Empfindungen sichern Nach unseren Beobachtungen uns Menschen das Überleben. Die Frage im Centre d’ambiance (CDA) stellt sich nun, was hat das mit der Pflege zu tun? glauben wir, noch weiter ge- Sei es in der allgemeinen Pflege, Hospiz- und Palli- hen zu können, indem wir nur ativarbeit oder Demenzpflege, überall sollte der zwei Gruppen von Emotionen Mensch im Mittelpunkt stehen, auch mit seiner für relevant halten. Mit der Scham, seinem Ekel und seinen Ängsten, dem wir Überlebensstrategie, die uns wiederum mit unserer eigenen Angst begegnen. Menschen durch die Evolution Diese Erkenntnis führt dazu, dass das Verständnis mitgegeben wurde, reagiert des Menschen mit seinen Emotionen im Kontext der Mensch immer noch als der Umgebung und der „Lebenswillensstrategie“ emotionales Tier. Er verhält verstanden werden muss. Der renommierte ameri- sich dabei nach dem Grund- kanische Hirnforscher Professor Dr. Paul D. MacLean satz der zwei ganz unter- hat nachgewiesen, dass das menschliche Gehirn schiedlichen emotionalen aus drei Bereichen besteht, die unterschiedliche Stimmungen „Bedrohung“ Beat Grossenbacher Funktionen erfüllen (funktionale Struktur des und „Freude“. Gehirns). Diese drei so verschiedenartigen Gehirne müssen dennoch im „drei-einigen Gehirn“ (Triune Bedrohung Brain) zusammenarbeiten und sich miteinander In unserem „Überlebensstrategie-Handbuch“ sind verständigen. Dabei behält aber jedes Gehirn seine die Bedrohungen als wichtiger einzustufen als die ganz spezifischen Spielregeln bei. Freude. Wahrscheinlich gehören zu diesen Emotio- nen die Ausdrücke von Angst, Ekel, Trauer, Wut Erst aus dem Zusammenwirken des gefühlsmäßig- oder Überraschung dazu. instinktiven Stammhirns, des emotional-impulsiven Bedrohungen lösen Reaktionen aus, die – je nach Zwischenhirns und des rational-kühlen Großhirns Intensität, wie sie auf uns aufprallen und uns be- entsteht menschliches Verhalten. gegnen – in drei Stufen unterteilt werden (um dies besser darstellen zu können, verwenden wir das Der Ausgangspunkt der Erforschung von Basise- Beispiel der Atemluft): motionen entstammt der Arbeit „The Expression of 1 „Flucht“ the Emotion in Man and Animal“ von Darwin (1872). Riecht es für den Menschen unangenehm, so Er definierte die so genannten Basisemotionen als wird er die Umgebung mit einer Fluchtbewe- Emotionen, die in ihrem Ausdruck universal und gung eher verlassen. angeboren sind. Obwohl noch immer keine endgül- 2 „Aggression (Kampf )“ tige Einigkeit darüber besteht, welche Emotionen Mit der Intensität der schlecht riechenden Atem- zu den Basisemotionen zählen, hat die Mehrheit luft nimmt auch das Potential des Aggressions- Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 der Forscher Überraschung, Angst, Ekel, Freude, verhaltens des Menschen zu. Dazu gehören im Trauer und Wut als solche anerkannt (Ekman, 1973; Konsens zum Arbeitsumfeld beispielsweise er- Fridlund, 1994; Izard, 1971). Alle anderen Emotio- höhtes „Mobbing“ und vieles mehr. nen seien Untergruppen oder Mischungen der Basis- 3 „Schockstarre“ emotionen. Wir halten den Atem an, sind wie gelähmt; Aktion erfolgt hier keine mehr. Wir können uns kaum mehr bewegen und sind nicht mehr Herr unserer Reaktion.
14 Freude 2 „Zusammengehörigkeitsgefühl“ Im Sinne einer Überlebensstrategie ist die Freude Intensivere positive Berührungen lösen ein Zu- wohl weniger bedeutsam. Das soll nicht bedeuten, sammengehörigkeitsgefühl hervor nicht nur in dass diese Emotion weniger wichtig ist. Damit sich der Familie, sondern auch in Politik oder Sport. der Mensch verstanden und geborgen fühlen kann, 3 „Bereitschaft, zu teilen“ muss er Freude entwickeln können und dies in Die Bereitschaft zu teilen steht im Zusammen- einem Umfeld, in dem sehr wenig Bedrohungsim- hang mit dem Überleben der Art. Wenn Berüh- pulse auf ihn einwirken. Die Freude kann man in rungen mit einem natürlichen Lächeln gekop- der Reaktion ebenfalls in drei Stufen unterteilen. pelt sind, wird diese Bereitschaft zudem maß- Auch diese sind für das menschliche Überleben als geblich erhöht. wichtig einzustufen. Unsere Wahrnehmungen (Sinnesorgane) sind stän- 1 „Zuneigung“ dig aktiv und können selbst im Schlaf nicht ausge- Ein kurzes Berühren kann in uns eine Zuneigung schaltet werden. Beobachtungen zeigen, dass zum Gegenüber auslösen. Studien weisen nach, Wachkomapatienten genauso auf Reize der Bedro- dass Menschen, die kurz berührt werden, zu hung wie auf Reize der Freude reagieren. Reize, die dem Menschen, der berührt, eine Zuneigung auf uns einwirken, werden in unserem Gehirn im- aufbauen, auch wenn die Berührung kaum mer multisensorisch verarbeitet. Das heißt, das wahrnehmbar ist. Empfinden wird immer im Konsens mit allen Reizen (Sinneswahrnehmungen) beurteilt. Hierzu hat die CDA eine Untersuchung durchge- führt, zu der einführend und beispielhaft gesagt sei: Wenn wir die Raumtemperatur beurteilen müs- sen, so wirkt ein Duft in der Luft ebenso auf das Temperaturempfinden, wie die Raumfarbe oder der Klang der Raumumgebung. Beispielsweise erhöht der Duft Zimt die empfundene Raumtemperatur merklich. Kommt zusätzlich ein rötliches Licht hin- zu, steigt die gefühlte Raumtemperatur nochmals markant an, auch wenn die gemessene Temperatur gleichbleibend ist. Diese Erkenntnisse in der Pflege einzusetzen be- deutet, dass hier das Blickfeld erheblich erweitert werden muss. Es muss sich „multisensorisch“ öff- nen. Wir wissen heute sehr viel über Farb-Therapie, Duft-Therapie, Klang-Therapie, Berührungs-Thera- pie usw. Nur, jedes dieser Felder wird zurzeit meist zu isoliert angeschaut. Zaghafte Versuche, dies zu ändern, kann man vereinzelt beobachten, wie zum Beispiel beim „Snoezelen“ oder bei der „Basalen Stimulation“. Leider finden die Versuche immer nur im Kontakt zwischen Betreuer und Patient Einsatz. Dass sich die Gruppenzugehörigen jedoch gegen- seitig beeinflussen sowohl mit der Bedrohung als Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 auch mit der Freude, wird dabei sehr oft von der Betreuung nicht wahrgenommen. Dabei ist auch das Personal nicht ausgeschlossen, denn oft wird vergessen, dass sich selbst die Stimmung, die das Pflegepersonal mit ins Haus hineinträgt, auf die Stimmung der Gruppe auswirkt. Somit bringt z. B. eine einzelne Therapie kaum etwas, wenn sich die Gruppe im „Stressmodus“ befindet. Effizienter wä-
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA 15 re, wenn die ganze von der Umgebung betroffene Neben den allgemeinen Elementen, die Pflege- Gruppe (Personal wie Bewohner oder Patient) ent- institutionen normalerweise benötigen, werden schleunigt und entspannt wäre. bedarfsbezogen Klangwelten, Duftwelten oder Bild- und Lichtwelten angeboten. Im palliativen Umgebungen multisensorisch gestalten Bereich können unter anderem Elemente einge- Die Arbeitsweise der Multisensorik beruht darauf, setzt werden, die sich bei Schmerztherapien oder dass die Sinnesimpulse kongruent (gleich) abge- Angstbewältigung gut in die Pflege einfügen. geben werden müssen, damit sie eine effektive Wir- Modifizierte Tagesabläufe lassen den Pflegealltag kung erzielen können. Dabei sind die Faktoren der ein wenig humaner erscheinen und können dem „Bedrohung“ wie die der „Freude“ mit einzubezie- Bewohner/Patienten sogar ein Lächeln aufs Ge- hen. Die Arbeitsweise des CDA basiert auf einem sicht zaubern. Verfahren, das es ermöglicht, die Raumatmosphäre merklich zu verändern. So kann zum Beispiel … Beat Grossenbacher • der normalen Lichtumgebung farbliche Akzente centre d’ambiance beigefügt werden, Ferggerweg 5 • der Raumakustik eine Klangstimmung zugefügt 3380 Wangen a/Aare werden, Tel.: +41 - 32 - 5 10 50 80 • in der Luft schlechter Geruch entfernt werden, Fax: +41 - 32 - 6 31 11 85 um keine Bedrohungssituation entstehen zu bgrossenbacher@c-da.ch lassen, www.c-da.ch • durch Einbringen von natürlichen ätherischen Ölen aromatherapeutisch unterstützt werden. • Bildwelten über TV/Beamer und Lichtimpulse sind ebenso integrierbar, wie haptische Elemen- te oder Klangstimulanzien. „DU WÄRST JETZT MAL TOT“ Die Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Trauer als Bildungsauftrag HILLA WEDI UND CLAUDIA KOCK D er Erfahrungsschatz und die gemachten „Sterben und Tod“ als ein wiederkehrendes The- Erlebnisse sind über die Jahre recht reich- ma in der Kita haltig geworden, so dass uns ein Inne- Das Thema Sterben und Tod begegnet uns im Alltag halten, Reflektieren und Weiterbilden zu so selten und häufig wie der Tod an sich. Altersbe- diesem Thema sehr angesprochen hat. dingte Todesfälle wie auch schwere Krankheitsbil- Die gemachten Erfahrungen beruhen auf subjekti- der und -verläufe belasten Familien und machen Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 vem und intuitivem Erleben des Momentes der Kon- das Leben im Miteinander in einer Kita aus. Kinder frontation mit dem Thema, so dass es Sinn macht, leben im „Jetzt“, was für den Kita-Alltag bedeutet, das objektive Kita-Auge auf das Thema zu richten. dass ein Thema, was die Kinder mitbringen oder Mit dem Wissen, mit einem guten Team und einem anspricht, direkt in die Umsetzung und Ausein- verlässlichen Netzwerk kann es dann an die Arbeit andersetzung geht. In einer offenen Atmosphäre des Verarbeitens und des Entwickelns von Hand- findet das Erlebte Gehör. In akuten Situationen in- lungsmöglichkeiten und Strategien gehen. formieren uns die Familien oder Beauftragten der Familien direkt über den Tod eines Familienmitglie-
16 SCHWERPUNKT des. Die Familie geht dann vielleicht Es begegnet uns darüber hinaus: das erste Mal mit einem emotional sehr persönlichen Erleben eines Bei dem Anblick des Friedhofs oder der Kirche, Verlustes in die Öffentlichkeit, in die die auf dem Weg eines Ausflugs liegt, Kita. Kinder haben in der Regel „das beim Mittagessen, wenn es Fleisch gibt: „Muss- Herzchen auf der Zunge“. Sie erzäh- te da ein Tier für unser Essen sterben?“ len noch wertfrei von dem Erlebten oder den Erzählungen zum Todesfall durch Erzählungen von Verwandten, Freunden, in der Familie oder aus ihrem nähe- Nachbarn, Gemeinde, … ren Umfeld. Diese Erzählungen sind beim Experimentieren mit Insekten, Regenwür- inhaltlich so vielschichtig und per- mern, Kellerasseln oder sönlich vielseitig wie die Menschen Hilla Wedi an sich. Jede Geschichte ist indivi- beim Auffinden von toten Tieren: Die Kinder ha- duell geprägt und von persönlicher ben z. B. ein totes Käuzchen im Kita-Keller ge- Aussagekraft. Das kann ein kurzer funden. Daraufhin entstand eine umfassende Satz sein, aber auch eine Verlaufs- Beerdigungszeremonie mit allen Riten, die die oder Befindlichkeitserzählung. Kin- Kinder geplant und durchgeführt haben. der reagieren auf das Thema „Tod und Sterben“ sehr unterschiedlich Die Wahrnehmung der Kinder und wechselhaft. Ironie und Tragik Wenn wir über Sterben und Tod sprechen, erleben wechseln sich in „Blitzlichtmomen- wir die Kinder offen und wertfrei. Das Entwicklungs- ten“ bei den Kindern ab. So passiert alter der Kinder ist entscheidend für den Umgang es häufig, dass wir direkt oder im mit dem Thema: Ältere Kinder stellen Fragen, sowie Nachhinein denken: Da ist es ja wie- sie die Dinge erfassen können. Auch suchen und der, das Thema. Der Tod eines Tie- lieben ältere Kinder den „Prizzel“ in Geschichten/ res, welches wir auf der Straße bei Märchen, sie gehen in den Spannungsbogen und spie- einem Ausflugsgang sehen, löst bei len mit Realität und Phantasie. Jüngere Kinder machen den Kindern zum Beispiel Entset- manchmal erste inhaltliche Erfahrung mit dem Thema Claudia Kock zen, Ablehnung, Forschergeist, vegetarische Essensphasen als auch Lebensweisheiten aus. Abschiede, Trennungen, Beziehungsende oder Freundschaftskrisen sind Lebenserfahrungen, die unvermeidbar sind und in der Erfahrungswelt der Kinder mehr oder weniger Thema sind. Die Kita ist auch der Ort, an dem die Kinder im Miteinander ein Gesprächsforum haben, in dem es möglich ist, Ge- danken, Fakten, Fragen und Gefühle anzusprechen. Unser Hund ist tot Das Thema wird in vielen Situationen an uns her- angetragen, z. B. in der Morgenkreisrunde: „Unser Hund ist tot.“ … und in der erweiterten Gesprächs- runde werden weitere Tiere, Oma, Opa und Ver- wandte benannt und gehen dementsprechend in Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 die Aufzählung. Zwischen Mensch und Tier wird in der Wertigkeit zu Beginn des ersten Erlebens mit dem Tod kein großer Unterschied gemacht. Im wei- teren Gesprächsverlauf geht es ins Detail über ge- zieltes Nachfragen der Kinder beziehungsweise ge- setzte oder spontane Impulsfragen der/des beglei- tenden Erzieherin/Erziehers.
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA 17 über Märchen wie zum Beispiel „Hänsel und Gretel“, Wir erinnern uns noch recht gut daran, wie „Der Wolf und die sieben Geißlein“ etc. wir uns zum ersten Mal auf intensive Weise Sterben und Tod sind manchmal Inhalt im Rollen- mit dem Thema konfrontiert sahen. Wir spiel mit dem Thema Tod („Du wärst jetzt mal tot“) arbeiteten vor 20 Jahren zusammen in einer Darüber hinaus ist die Wahrnehmung der Kinder Kindertagesstätte und erfuhren nach den durch folgende Merkmale gekennzeichnet: Sommerferien von einem tragischen Todes- Emotionale Wertung und Wissen sind im Gleich- fall: Ein Elternteil hatte sich das Leben gewicht. genommen. Zunächst waren wir geschockt und sprachlos. Im Austausch mit dem Team Die Vorstellung über den Kreislauf des Lebens und der Familie, die sehr offen mit uns in ist linear (alte Menschen sterben). Kontakt ging, konnten wir dem Kind über feste Rituale und Alltagsstrukturen eine Kinder erleben die Reaktion und Erfahrung von sichere Basis bieten. In weiteren Beratungs- Erwachsenen im Umgang mit dem Thema. gesprächen vermittelten wir die Angehörigen an Fachstellen, um das Erlebte zu verarbeiten. Grundsätzlich sind Kinder neugierig und offen für das Thema, wobei es wie bei allen anderen Themen individuelle Ausnahmen gibt. Gesprächsvermeidung kommt vor, woraus für che, Themen und Projekte, die mit Natürlichkeit uns eine besondere Herausforderung im Hin- und Selbstverständlichkeit bearbeitet und gelebt blick auf die Verlustverarbeitung entsteht/Ab- werden. warten und die „Gesprächstür“ offenhalten. Prävention und Handlungsfähigkeit im Notfall Kinder wollen Erklärungen und suchen einen Wir halten eine klare Haltung und Handlungsmög- Pädagogen, einen Zuhörer, der ihre Ideen und lichkeiten (Alltagsbeispiele) im Konzept verschrift- Ängste annimmt. licht für die Einrichtung für sehr sinnvoll. Im Trau- erfall gibt es dem Team Sicherheit und bietet allen Der Blickwinkel der Familien die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Begleitung. So vielschichtig wie wir im Team mit dem Thema Ein Akut-Plan ermöglicht einen Konsensprozess, umgehen, so unterschiedlich gehen die Familien der das Team nicht nur sachlich, sondern auch emo- auch damit um. Wir sind davon überzeugt, wenn tional näherbringt. Ein Leitfaden ermöglicht in einer wir dem Umgang mit Sterben, Tod und Trauer offen gefühlsgeladenen Situation schnelles und profes- begegnen und Handlungsmöglichkeiten in unse- rem Konzept verankern, ver- deutlichen wir als Team eine transparente und klare Hal- tung. Eltern wissen es zu schätzen, wenn die Ausein- andersetzung mit Sterben, Tod und Trauer in der Einrich- tung eine Bedeutung hat be- ziehungsweise ernst genom- men wird und dort auch Aus- druck, Raum und Zeit in der Gemeinschaft findet. Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77 Im Hinblick auf das Thema: „Sterben Tod und Trauer“ liegt es an uns, gemeinsam mit dem Team eine Kultur im Haus zu schaffen, die das Werden und das Vergehen auf eine Stufe stellt. So wie alle anderen Bildungsberei-
Sie können auch lesen