STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW

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STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
Ansprechstellen im
                          Land NRW zur
                          Palliativversorgung,
                          Hospizarbeit und
                          Angehörigenbegleitung

Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen
Oktober 2018 Ausgabe 77

Schwerpunkt:
STERBEN, TOD UND TRAUER
IN DER KITA
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
2

    Editorial

              Liebe Leserinnen und Leser,
               in Kindertagesstätten kommt es immer
               wieder vor, dass Kinder, Eltern und
               Erzieherinnen und Erzieher mit Krankheit,
               Sterben und Tod konfrontiert werden. Wir
               nehmen wahr, dass die Mitarbeitenden in
               solchen Situationen häufig intuitiv genau
               das Richtige tun. Aber auch, wenn sie in
               dem akuten Augenblick eine gute und
    sehr angemessene Form des Umgangs finden,
    sind viele doch durch solche Situationen verun-
    sichert. Möglicherweise weil sie nicht wissen, ob
    das, was sie tun, richtig ist, oder weil sie selbst
    sehr berührt sind.
    Hier Sicherheit zu gewinnen und handlungsfähig
    zu sein, ist für viele Erzieherinnen und Erzieher ein
    Ziel, das sie auf unterschiedliche Weise erreichen
    können. Ein Weg besteht darin, Sterben, Tod und
    Trauer in der Kindertagesstätte wie eines der vie-
    len Themen, die die Kinder beschäftigen, aufzu-
    greifen. Auch kann es hilfreich sein, Unterstützung
    durch Hospizdienste zu erfragen. Im Schwerpunkt
    dieser Ausgabe sind einige Herangehensweisen
    beschrieben.

    Daneben finden sich im allgemeinen Teil Themen,
    die den Alltag der Hospiz- und Palliativversorgung
    intensiv berühren, wie die stationäre und die am-
    bulante Pflege und Begleitung. Die Formen und
    die Ressourcen, auf deren Basis pflegebedürftige
    Menschen am Ende ihres Weges umsorgt werden,
    werden uns weiterhin intensiv beschäftigen und
                                                            Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

    langfristig im Hospiz-Dialog NRW ihren Raum finden.

    Eine gute Lektüre wünscht Ihnen
    Ihre

    Dr. Gerlinde Dingerkus
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
Inhalt

                                                                                                      INFORMATION
                                                                                                      Sterben zuhause im Heim –
                                                                                                      Hospizkultur und Palliativkompetenz in der
                                                                                                      stationären Langzeitpflege
                                                                                                      Interview mit Werner Schneider                 4

                                                                                                      Für ein Sterben in Würde – Quartierspflege
                                                                                                      nach dem Modell der Buurtzorg
                                                                                                      Andreas Klein                                  7

                                                                                                      Hypnotherapeutische Ansätze in der
                                                                                                      Palliativversorgung
                                                                                                      Wolfgang Schulze                              10

                                      IMPRESSUM                                                       Emotionen positiv verändern durch Multisensorik
                                                                                                      Beat Grossenbacher                             13
                                      Herausgeber
                                      ALPHA - Ansprechstellen im Land Nordrhein-Westfalen zur
                                      Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung

                                      Redaktion
                                                                                                      SCHWERPUNKT
                                      Ansprechstelle im                                               STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA
                                      Land Nordrhein-Westfalen zur
                                      Palliativversorgung,
                                      Hospizarbeit und                                                „Du wärst jetzt mal tot“
                                      Angehörigenbegleitung
                                      im Landesteil Westfalen-Lippe
                                                                                                      Die Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und
                                      Sigrid Kießling                                                 Trauer als Bildungsauftrag
                                      Friedrich-Ebert-Straße 157-159, 48153 Münster
                                      Tel.: 02 51 - 23 08 48, Fax: 02 51 - 23 65 76
                                                                                                      Hilla Wedi und Claudia Kock                   15
                                      alpha@muenster.de, www.alpha-nrw.de
                                                                                                      Von Leben – Tod – und – Trauer
                                      Layout
                                      Art Applied, Hafenweg 26, 48155Münster                          Hospiz goes Kindergarten
                                                                                                      Sandra Schulz                                 19
                                      Druck
Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

                                      Buschmann, Münster
                                                                                                      Kinder trauern wie Pfützenspringer.
                                      Auflage
                                      2500
                                                                                                      Mal raus und mal rein!
                                                                                                      Petra Lühr und Astrid Hanning                 22

                                      Die im Hospiz-Dialog-NRW veröffentlichten Artikel geben nicht   Wenn Kinder Geheimnisse in sich tragen
                                      unbedingt die Auffassung der Redaktion und der Herausgeber      Gundula Göbel                                 24
                                      wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine
                                      Gewähr übernommen. Fotos der Autoren mit Zustimmung der
                                      abgebildeten Personen.                                          Veranstaltungen                               27
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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       STERBEN ZUHAUSE IM HEIM –
       HOSPIZKULTUR UND PALLIATIVKOMPETENZ
       IN DER STATIONÄREN LANGZEITPFLEGE
       Eine Studie

       INTERVIEW MIT WERNER SCHNEIDER

                          W
                                       erner Schneider         mangel – beim Thema hospizlich-palliative Ster-
                                       ist seit 2003 Pro-      bendenversorgung konzeptionell und praktisch
                                       fessor für Soziolo-     noch nicht so weit sind, wie sie eigentlich sein
                                       gie an der Univer-      wollen.
                          sität Augsburg und forscht
                          insbesondere zu den Themen           Sie unterscheiden zwischen dem Heim als
                          Familiensoziologie, Soziologie       Lebensort und dem Heim als Quasi-Hospiz und
                          der Lebensphasen und privaten        sprechen von einem Spannungsfeld zwischen
                          Lebensformen sowie Soziologie        aktivierenden Maßnahmen auf der einen und
                          des Lebensendes.                     der Betreuung des Sterbenden auf der anderen
                                                               Seite. Welche Bedeutung hat dies aus der Per-
                               Sie haben eine umfassende       spektive des Heimes bzw. für die Leitung und die
                               Studie zur Hospizkultur und     Mitarbeitenden?
    Prof. Dr. Werner Schneider
                               Palliativkompetenz in statio-   Das Heim als Ort des Lebens fungiert zum einen
                               nären Pflegeeinrichtungen       als Orientierungsmuster für die Pflegekräfte und
         umgesetzt. Können Sie uns einige Eckdaten             Heimleitungen, das deren professionelle Praxis lei-
         Ihrer Studie nennen?                                  tet: Den Bewohnern soll der Lebensabend so ge-
         Die Studie: „Sterben zuhause im Heim (SiH) –          staltet werden, dass sie ihn nach ihren Wünschen
         Hospizkultur und Palliativkompetenz in der statio-    und Bedürfnissen verleben können. Dafür bedarf
         nären Langzeitpflege“ wurde gefördert vom             es – aus Sicht der professionellen Praxis – einer
         Bundesministerium für Gesundheit. Wir haben am        aktivierenden Haltung der Mitarbeiterinnen und
         1.11.2015 begonnen, am 31.10.2017 endete die          Mitarbeiter bei der Versorgung der Bewohner, da
         Laufzeit. Beteiligte Institutionen waren das Zen-     Aktivität mit zum Leben gehört. Aus Sicht der Pro-
         trum für Interdisziplinäre Gesundheitsforschung       fessionellen lassen sich Sterben und Tod nur
         (ZIG) an der Universität Augsburg und Institut für    schwer in dieses Orientierungsmuster integrieren,
         Praxisforschung und Projektberatung (IPP)             und zwar dann bzw. deshalb, weil es nicht als Teil
         München. Im Rahmen der Studie wurden 24               des Lebens definiert wird. Dennoch müssen sich
         Experteninterviews, zehn Fallstudien und eine         die Heime heute zunehmend mit der Betreuung
         Onlinebefragung (adressiert an ca. 10.500 Heime)      Sterbender auseinandersetzen, schon allein auf-
         durchgeführt. Der Rücklauf der Onlinebefragung        grund des demographischen Wandels. Die Zahlen
         lag bei 15,4% (n=1.614).                              der Bewohnerinnen und Bewohner, die bereits
                                                               schwer oder mehrfach krank und hochaltrig gleich-
                                                                                                                     Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

       Die Problematik des Rücklaufs ist begründet durch       sam zum Sterben ins Heim kommen, steigen an.
       die generell zeitliche Ressourcenknappheit bei den      Mit diesem Wandel des Heims hin zu einem Ort des
       Einrichtungsleitungen, die generelle Überfrachtung      Lebens und des Sterbens sind ggf. Veränderungen
       der Heime mit Befragungsanfragen und das zeitli-        in der Haltung der Professionellen – Sterben gehört
       che Überschneiden der Studie mit der Umstellung         im Heim mit dazu – und damit auch der Praxis ver-
       von Pflegestufen auf Pflegegrade (PSG II). Manche       bunden: Aktivierung des Bewohners muss beim
       Heime scheuten sich auch, an der Befragung teil-        Sterbenden durch palliative Pflege ersetzt werden,
       zunehmen, weil sie – wiederum aus Ressourcen-           die durch Ruhe, Minimalität und radikale Bedarfs-
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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                                                                                           herrscht zum einen die Skepsis eines Mehrwerts
                                                                                           durch Externe und zum anderen Misstrauen, Unsi-
                                                                                           cherheit und Unverständnis bezüglich der Einbin-
                                                                                           dung „fremder“ Akteure vor. Deshalb gilt es, weiter
                                                                                           Informations- und Aufklärungsarbeit zu leisten und
                                                                                           die mögliche Rolle von hospizlichen Begleitern
                                                                                           möglichst präzise zu benennen und von den heim-
                                                                                           internen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichen
                                                                                           abzugrenzen. Zugleich bedarf es auch eines Ver-
                                                                                           trauensverhältnisses zwischen den Akteuren,
                                                                                           damit Ängste der Heime, „sich in die Karten schauen
                                                                                           lassen zu müssen“ abgemildert werden. Heime, die
                                                                                           für sich vorhandene Defizite im Bereich der Hospiz-
                                                                                           kultur und Palliativkompetenz (an)erkennen und
                                      orientierung gekennzeichnet ist, was unter Um-       Chancen für die Verbesserung der Betreuung Ster-
                                      ständen auch den Verzicht auf Nahrung bedeuten       bender in der Vernetzung bzw. Kooperation sehen,
                                      kann.                                                sind hier offener, allerdings bedarf es auch hier
                                                                                           eines kommunikativen, vertrauensvollen Verhält-
                                      Was bedeutet dies für die Bewohnerinnen und          nisses und die Anerkennung von Leistungen
                                      Bewohner?                                            und strukturellen Grenzen, die die Rahmenbedin-
                                      Wenn das Heim von morgen sich organisational,        gungen für die Versorgung Sterbender im Heim
                                      personell und kulturell auf das Sterben einstellt,   stellen.
                                      können die Bewohnerinnen und Bewohner dort
                                      einen Ort vorfinden, an dem sie gut betreut und      Wie stellt sich die Bedeutung der Angehörigen
                                      versorgt ihr Lebensende verbringen können –          nach Ihren Studienergebnissen dar?
                                      gleichsam als „demokratische“ Lösung einer „Ver-     „Die“ Angehörigen sind eine heterogene Gruppe.
                                      hospizlichung“ des Lebensendes. Voraussetzungen      Es gibt diejenigen, die sich intensiv um den Bewoh-
                                      sind hier allerdings insbesondere die entsprechen-   ner kümmern, manche kommen hin und wieder vor-
                                      de Ressourcenausstattung der Heime, damit aus-       bei und wieder andere sind gar nicht greifbar. Von
                                      reichend qualifiziertes Personal nicht nur für die   den Verfügbaren erweisen sich manche als Hilfe für
                                      Bewohner an sich, sondern vor allem auch für die     die Mitarbeitenden im Heim, da sie sich bei der
                                      Sterbenden mit ihren besonderen, zum Teil zeitauf-   Begleitung der sterbenden Bewohnerinnen und
                                      wändigen Bedürfnissen zur Verfügung steht. Gerade    Bewohner engagieren. Sie übernehmen dabei vor
                                      hospizliche und vor allem auch palliative Kompe-     allem die hospizlich konnotierte Aufgabe des
                                      tenz gelten als Voraussetzung eines „guten“ Ster-    (kommunikativen) Daseins. Andere werden eher
                                      bens. Ob sich das Heim also zu einem Quasi-Hospiz    als Störfaktoren gesehen, weil sie sich – aus Sicht
                                      oder einem Sterbeort zweiter Klasse entwickelt,      der Heime – unverhältnismäßig in die Versorgung
                                      hängt damit nicht zuletzt von politischen Weichen-   einmischen, was meist zwar als Ausdruck der Sor-
                                      stellungen ab.                                       gen um den Bewohner/die Bewohnerin verstanden
                                                                                           werden muss, aber für die Mitarbeitenden im Heim
                                      Sie verweisen in Ihrer Studie u. a. auf zwei wich-   belastend sein kann. Sind Angehörige beteiligt,
                                      tige Aspekte der Einbindung hospizlicher Arbeit:     zunächst unabhängig davon, wie sie vom Heim
                                      1) die Identität eines Heims, das immer schon        wahrgenommen werden, bedürfen sie mitunter
                                      Sterbende begleitet und Hinweise von außen als       ebenfalls einer Begleitung oder zumindest Anspra-
                                      Besserwisserei verstehen kann und 2) den             che, um das Sterben ihres Nahestehenden verar-
                                      Wunsch nach Austausch auf Augenhöhe, die den         beiten zu können. In der Hospiz- und Palliativpraxis
Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

                                      Rahmenbedingungen Rechnung tragen soll. Wie          wird hier von der unit-of-care gesprochen, die auch
                                      kann man Ihrer Meinung nach diesen Aspekten          im Heim relevant ist. Diese Begleitung der Ange-
                                      begegnen?                                            hörigen, also z. B. sich Zeit für Gespräche zu
                                      Findet sich in Heimen die Haltung „das machen wir    nehmen, erfordert jedoch zeitliche und personelle
                                      doch schon immer“, bezieht sich diese vor allem      Ressourcen des Heims, die in der Regel nicht
                                      auf die Frage der Erweiterung der eigenen Praxis     verfügbar sind. Das erzeugt Frust auf beiden Seiten
                                      durch hospizliche Akteure von außen, etwa in Form    – den Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern im Heim
                                      einer Kooperation mit Hospizdiensten. Hier           und den Angehörigen.
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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           Mit welchen Herangehensweisen könnte man                 Rolle, in der Zukunft wird es anders geprägte
           dieser Problematik langfristig begegnen?                 Biografien geben. Wirkt sich dies auch auf die
           Zum einen bedarf es einer Haltung der ganzheit-          Wünsche und Bedürfnisse im Sterbeprozess
           lichen Versorgung im Heim, die von der unit-of-care      aus?
           ausgeht und sich nicht allein auf den Bewohner           Zur Frage, welche konkreten Wünsche und Bedürf-
           bezieht. Nur dann werden auch die Angehörigen            nisse Sterbende haben, kann ich aus eigener For-
           als Adressaten betrachtet. Zum anderen muss diese        schung keine fundierten Aussagen machen. Was
                                                  Haltung auch      sich in verschiedenen Studien zeigt, ist die grund-
                                                  strukturell um-   sätzliche Bedeutung von würdevollem Sterben, das
»   Zeit für den und am Patienten gesetzt wer-                      vor allem gekennzeichnet ist durch Schmerzfreiheit
                                                  den. Und auch     und Selbstbestimmung. Was darüber hinaus kon-
    ist das, was am dringendsten hier muss, wie                     kret als Wunsch formuliert wird, hängt von der je-
    erforderlich ist.                             bereits ange-     weiligen Biographie ab: So mag für viele wichtig
                                                  deutet und so     sein, eventuelle Familienprobleme und Streitigkei-
                                                  banal es klin-    ten noch ausräumen zu können, andere möchten
           gen mag, wieder auf die Ausstattung der Heime mit        vielleicht noch ein bestimmtes Ereignis miterleben
           personellen Ressourcen geschaut werden. Eine gute        oder sich über ihr Leben austauschen können. Wie-
           Versorgung der unit-of-care, nicht nur, aber vor allem   der andere möchten einfach in Ruhe gelassen wer-
           im Sterben, erfordert auf der einen Seite Qualifika-     den. Über den Einzelfall hinaus spielen hier aber
           tion und Kompetenzen und auf der anderen Seite           freilich immer auch kulturelle Prägungen im Sinne
           schlicht und ergreifend Zeit. Beides kostet Geld.        von Modernisierungseffekten eine Rolle. Die
                                                                    zukünftig Sterbenden werden von Anbeginn an in
            Ein defizitäres Feld für die Einrichtungen ist das      einer individualisierten Gesellschaft aufgewachsen
            der Kooperation mit den Hausärzten. Wie stellt          und sozialisiert worden sein, deren Credo der Ein-
            sich diese Problematik differenziert dar?               zelne als Gestalter seines Lebens und Sterbens ist,
            Die Heime, die an unserer Studie teilgenommen           was die „Individualität“ der Wünsche und Bedürf-
            haben, haben unterschiedliche Erfahrungen mit           nisse weiter verstärkt. Zugleich wird die Gesell-
            Hausärzten. Diejenigen, die hier Probleme sehen,        schaft immer pluraler und heterogener, verstärkt
            sehen diese in der mangelnden Qualifikation von         etwa durch Menschen mit Migrationshintergrund.
            Hausärzten im Bereich Palliative Care, die sich auch    Was jeweils wichtig erscheint, muss erst heraus-
            in einer geringen Wertschätzung der palliativen         gefunden werden. Biographiearbeit wird damit für
            Kompetenz im Heim sowie der Zurückhaltung in            die Hospiz- und Palliativarbeit noch weiter aufge-
            der Verschreibung von schmerzlindernden Medika-         wertet, um dem gerecht zu werden, was der Ein-
            menten und/oder der Verordnung von SAPV äu-             zelne sich für sein Sterben wünscht.
            ßert. Vor allem aber wird die Kooperation Hausarzt-
            Heim problematisiert. Im benannten mangelnden           Was glauben Sie, würden wir erfahren, wenn Be-
            Zugang von Hausärzten zu Palliative Care, aber          wohnerinnen und Bewohner befragt würden?
            auch in strukturellen Faktoren, wie räumliche           Zur Frage, was sich Sterbende im Allgemeinen wün-
            Distanz, schlechte Erreichbarkeit und fehlende Zeit-    schen bzw. was sie am meisten bereuen, gibt es
            ressourcen für Heimbesuche, werden von Seiten der       auf dem Büchermarkt bereits verschiedene Werke.
            Heime Defizite gesehen. Auch die professionelle         Konkret bezogen auf die Wünsche von Heimbewoh-
            Distanz der Hausärzte gegenüber den Pflegekräf-
            ten behindert eine Zusammenarbeit „auf Augen-
            höhe“, die für die Heimmitarbeiter aber als
            Kriterium für gute Kooperation gesehen wird – ihre
            Kompetenz und Erfahrung sollen ernst genommen
                                                                                                                          Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

            werden.

            Die Generationen der Altenheimbewohner sind
            auf Grund ihrer auch historisch bedingten Bio-
            graphie unterschiedlich; Ansprüche, Wünsche
            oder Bedürfnisse verändern sich. In der heute
            sterbenden Generation spielt vielleicht die
            Kindheit im Krieg und in der Nachkriegszeit eine
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                                      nerinnen und Heimbewohnern gibt es lediglich ver-       2005, S. 7) – das Sterben soll zwar Thema sein,
                                      einzelte kleinere Feldstudien, die hierzu schlag-       aber keine allzu große Präsenz im Heimalltag be-
                                      lichtartige Hinweise geben (z. B. Brüll, 2005; Bremer   kommen. Ausgehend von solchen ersten interes-
                                      Heimstiftung, 2005). Neben einer ausreichenden          santen Hinweisen hielte ich eine breiter angelegte
                                      Schmerzversorgung als Sicherung körperlicher Lei-       soziologische Studie zu diesem Thema für durch-
                                      densfreiheit gehört zu einem „guten Sterben“ dem-       aus notwendig und wünschenswert, zumal sich ja
                                      nach auf der einen Seite vor allem persönliche An-      bereits abzeichnet, dass das, was Akteure im Feld
                                      sprache, Kontakt zu Angehörigen und gegebenen-          gut, weil würdevoll fänden, nicht unbedingt das ist,
                                      falls Gespräche mit Dritten, beispielsweise             was sich Heimbewohnerinnen und Heimbewohner
                                      ambulanten Hospizhelfern, die sich Zeit nehmen          wünschen. Wissen um solche Umstände sind die
                                      können, um für den Sterbenden da zu sein und bei        Grundlage für eine hospizlich-palliative „Lobbyar-
                                      denen der Bewohner nicht das Gefühl hat, den Pfle-      beit“ für Sterbende im Allgemeinen und Sterbende
                                      gekräften oder Angehörigen zur Last zu fallen. Auf      in Institutionen im Besonderen. Das gilt umso
                                      der anderen Seite ist den Bewohnerinnen und Be-         mehr, je individualisierter, pluraler und heterogener
                                      wohnern wichtig, dass ihre individuellen Wünsche        die deutsche „Sterbelandschaft“ in Zukunft wird.
                                      und Bedürfnisse respektiert werden, wozu unter
                                      anderem auch der freiwillige Verzicht auf Nahrung
                                      gehört. Neben solchen ja durchaus bekannten             Literatur
                                      Aspekten ist der Hinweis interessant, dass die Vor-     Brüll, H.-M. (2005). Sterbebegleitung im Heim. Eine qualitative
                                      stellungen aus dem Feld der Hospizarbeit, z. B. den         Erkundungsstudie zur Situation und zu Werteeinstellungen
                                                                                                  von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der stationären
                                      Sarg des Verstorbenen öffentlich, über den Haupt-           Altenhilfe (online verfügbar unter: https://hsbwgt.bsz-
                                      eingang, und damit würdig zu überführen, sich               bw.de/frontdoor/index/index/year/2005/docId/11).
                                      nicht ohne Weiteres mit den Wünschen der Bewoh-         Bremer Heimstiftung (Hrsg.) (2005): „Ich möchte einfach ein-
                                      nerinnen und Bewohner deckt, die in Teilen eher             schlafen. Kein Tamtam drum herum.“ Gedanken und Wün-
                                                                                                  sche zu Sterben und Tod. Eine Umfrage in der Bremer Heim-
                                      eine diskrete Verabschiedung des Verstorbenen               stiftung (online verfügbar unter: http://www.hospiz-
                                      präferieren würden (vgl. Bremer Heimstiftung,               horn.de/pdf_broschueren/umfrage_bhs.pdf ).

                                      FÜR EIN STERBEN IN WÜRDE –
                                      QUARTIERSPFLEGE NACH DEM MODELL
                                      DER BUURTZORG
                                      ANDREAS KLEIN

                                      A
                                                 kkordarbeit, das ist der ambulante Pfle-     dienst auch nur einigermaßen
                                                 gedienst derzeit. Geht Waschen, Essens-      wirtschaftlich arbeiten, muss er
Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

                                                 gabe und Spritzen in unter 20 Minuten?       die Mitarbeiter zu schneller
                                                 Dann aber schnell. Möglichst inklusive       Arbeit anhalten. Kommt zu
                                      An- und Abfahrt. Gehetzte Pflegekräfte verrichten       diesem Faktor auch noch als
                                      bloße Handgriffe an Patienten, für ein Gespräch         oberste Maxime die Gewinnma-
                                      fehlt die Zeit. Die pflegebedürftigen Menschen wer-     ximierung – wie das bei börsen-
                                      den reduziert auf Objekte, an denen Aufgaben er-        notierten Pflegekonzernen der
                                      ledigt werden. Schuld an diesem Umstand sind die        Fall ist – wird das System kom-
                                      knapp kalkulierten Fallpauschalen. Will ein Pflege-     plett unmenschlich. Der Faktor           Andreas Klein
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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    Zeit ist das bestimmende Element, vergleichbar mit
    einem Job am Fließband. Was aber, wenn der Pfle-
    gebedürftige genau das nicht mehr hat: Zeit? Was,
    wenn klar ist, dass er oder sie nicht mehr lange zu
    leben hat? Die Pflege reiht sich ein in unser großes
    System der Industrialisierung und Globalisierung.
    Es geht um permanentes Wachstum, denn nur so
    kann dieses System überleben. Kurzum, wir plün-
    dern und zerstören unseren gesamten Planeten
    und zwar ohne Rücksicht. Dem hat sich alles aus-
    nahmslos unterzuordnen, auch der Mensch. Und
    gerade der Mensch ist es, warum wir Pflegekräfte
    ursprünglich unseren Beruf gewählt haben: Wir
    wollen Menschen helfen. Und das gilt in besonde-
    rem Maße für Schwerstkranke.

    Anpacken und vernetzen:
    die Quartierspflege
    Vor zwei Jahren war ich, wie meine Kollegen, kurz
    davor hinzuschmeißen. Ich war es leid, das Resultat
    dieser entmenschlichten Arbeit im Dauerstress zu
    erleben. Ein Blick auf die hilfebedürftigen Men-
    schen zeigt ein ebenso deprimierendes Bild: Ver-
    einsamung und das Gefühl, nur eine Last zu sein.
    Das gilt in besonderem Maße für Sterbende. Sollte
    ich den Pflegedienst verkaufen und etwas ganz
    Anderes machen? Ich beschäftigte mich mit alter-
    nativen Zusammenarbeitsformen, stieß bei meinen        her. Die „Quartierspflege“ war geboren. Wir arbei-
    Recherchen auch auf Frédéric Lalouxs Buch „Rein-       ten seit einigen Monaten an einer neuen Struktur,
    venting Organziations“ und hier auf das niederlän-     einem neuen Arbeitsmodell, angelehnt an Buurt-
    dische Modell von Buurtzorg („Nachbarschaftshil-       zorg. Ganz übertragbar ist das System nicht, da die
    fe“). Dort bilden kleine, unabhängige Teams von        Niederlande nicht nach Fallpauschalen vergüten,
    Pflegekräften ein Netzwerk mit Verwandten, Ärzten,     sondern nach Zeit. Auch ist der Ausbildungsgrad
    Angehörigen und anderen Dienstleistern. Das hat        der Pflegekräfte höher als bei uns und die Quote
    mich beflügelt.                                        von Pflegekraft zu Pflegebedürftigen besser. Wo es
                                                           dort 1 zu 7 ist, kommt in Deutschland 1 Pflegekraft
    In den Niederlanden wird im Grunde die Charta zur      auf 14 Pflegebedürftige.
    Betreuung Schwerstkranker und sterbender Men-
    schen umgesetzt. Dort heißt                                               Aber das sollte uns nicht auf-
    es wörtlich: „Die Angehörigen                                             halten. Das erste Team findet
    und die ihm Nahestehenden » Die Betreuung in einem                        sich gerade zusammen in
    sind einzubeziehen und zu          Netzwerk von haupt- und                Düsseldorf-Urdenbach. Wir
    unterstützen. Die Betreuung                                               sind sozusagen noch im Beta-
    erfolgt durch haupt- und           ehrenamtlich     Tätigen               Stadium, dem Stadium des
    ehrenamtlich Tätige soweit         ermöglicht es, in dem                  Ausprobierens. In dem Team,
    wie möglich in dem vertrau-                                               das wir derzeit noch „Quar-
                                                                                                                 Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

                                       vertrauten Umfeld zu
    ten bzw. selbst gewählten                                                 tierspflege“ nennen, arbeiten
    Umfeld. Dazu müssen alle an        bleiben.                               zehn Pflegekräfte mit verschie-
    der Versorgung Beteiligten                                                denen Qualifikationen, Fähig-
    eng zusammenarbeiten.“                                                    keiten und in unterschiedlichen
                                                        Rollen. Es gibt keine hierarchischen Strukturen, wie
    Die ersten Schritte                                 eine Pflegedienstleitung. Wo diese bisher Schicht-
    Ich sagte mir, dass genug lamentiert wird, und fing pläne und bürokratische Aufgaben alleinig durch-
    an, etwas zu ändern. Eine andere Pflege musste      führte, werden ihre Aufgaben im Team verteilt. Die
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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                                      Dienstpläne werden zusammen erarbeitet. Eigen-         den. Die Lösung heißt Digitalisierung: Jedes Team-
                                      bestimmtes Arbeiten ist der Kern dieser neuen          mitglied hat ein 10‘-Tablet mit SIM-Karte und kann
                                      Organisationsform. Wir merken schon nach diesen        sich so mit den Teamkollegen und -kolleginnen auf
                                      wenigen Monaten, wie sich die Zufriedenheit der        verschiedenste Weise jederzeit austauschen.
                                      Kollegen signifikant gesteigert hat. Insbesondere      Gearbeitet wird in der Cloud, auf die alle Zugriff
                                      die Mitbestimmung an einer neuen Struktur begeis-      haben und in der sich auch das Intranet befindet.
                                      tert die Kollegen.                                     Neben der Zeitgewinnung und der verbesserten
                                                                                             Kommunikation hat die Einführung von digitalen
                                      Pflege verbindet Menschen – auch in der Pallia-        Prozessen noch einen Vorteil: Die Fehlerquote kann
                                      tivversorgung                                          minimiert werden, denn wie schnell ist ein Haken
                                      Die Versorgung und Pflege hilfebedürftiger Men-        im Abrechnungssystem falsch gesetzt? Die Lösung
                                      schen sollten wir als gemeinschaftliche Aufgabe        sind gezielte Rollenverteilungen im System.
                                      ansehen. Es gibt genügend
                                      Menschen in den jeweiligen
                                      Wohnquartieren, die Aufga-
                                      ben übernehmen würden,
                                      auch ehrenamtlich. Und ge-
                                      nau das ist der nächste Schritt
                                      in der Evolution der Quartiers-
                                      pflege, den wir anstreben: Wir
                                      vernetzen uns nicht nur mit
                                      Ärzten, Angehörigen, Freun-
                                      den und Nachbarn, sondern
                                      auch mit Dienstleistern, wie
                                      zum Beispiel Fußpflegern.
                                      Nicht zuletzt deswegen haben
                                      wir eines unserer Ziele ent-
                                      sprechend formuliert: „Pflege
                                      verbindet Menschen“.

                                      Schon jetzt stimmen wir uns
                                      jenseits des ersten Quartier-
                                      pflege-Teams insbesondere in
                                      der Paliativversorgung eng mit
                                      den betreuenden Ärzten, den
                                      Angehörigen und Einrichtun-
                                      gen wie dem Palliativ Care
                                      Team aus Düsseldorf ab, ganz
                                      im Sinne der Charta. Im Mittel-
                                      punkt stehen die Ziele, die wir
                                      gemeinsam mit dem Schwerstkranken festlegen.           Wir sind noch ganz am Anfang unserer Reise, die
                                      Dabei wünschen sich Patienten oft, zu ihren            Pflege wieder menschlicher zu gestalten. Stück für
                                      gewohnten Zeiten versorgt zu werden, insbesonde-       Stück. Sicherlich werden wir auf diesem Weg nicht
                                      re morgens. Genau hier ist ein Konflikt. Der Morgen    alles richtig machen, aber wir arbeiten an Lösungen.
                                      ist die Rushhour der Pflege. Unsere Erfahrung zeigt:
                                      Ein offenes Gespräch über diese Problematik mit
Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

                                      dem Patienten führt dazu, dass dieser Punkt keine                                        Andreas Klein
                                      Priorität mehr in den Zielen hat. Wichtiger ist ihm,                             a.klein@careservice.de
                                      ein großzügiges Zeitfenster zu bekommen.                                        www.careteam-pflege.de

                                      Wie also mehr Zeit gewinnen, haben wir uns ge-
                                      fragt. Neben den pflegerischen Tätigkeiten und Ab-
                                      stimmungen untereinander müssen die bürokrati-
                                      schen Aufgaben trotzdem weiterhin erledigt wer-
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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     HYPNOTHERAPEUTISCHE ANSÄTZE IN DER
     PALLIATIVVERSORGUNG
     WOLFGANG SCHULZE

     H
                ypnotherapie ist eine Therapieform, bei         nen und Patienten fühlen sich ihrer Situation oh-
                der Trancezustände zur Behandlung ge-           nehin bereits ausgeliefert, und das Ziel hypnothe-
                nutzt und berücksichtigt werden. Wir            rapeutischer Haltung oder Intervention ist, dem oft
                können davon ausgehen, dass Trance              erlebten Kontrollverlust entgegenzuwirken und
     ein universelles Phänomen ist, das jeder Mensch            Selbstwirksamkeit erlebbar zu machen.
     irgendwie kennt, zumindest als Tagtraum, einer fla-
     chen Form der Trance. Dieser Zustand beschreibt            Trance-Phänomene
     die Anwendung in der Palliativversorgung ganz gut,
     geht es doch ganz zentral um die inneren Bilder            Kognitive Veränderungen
     der Patientinnen und Patienten. Dies in wertschät-         1. Amnesien („Vergessen“):
     zender Haltung zu begleiten, ist das Anliegen der          Die Zeit bzw. die Zeitwahrnehmung kann kompri-
                                Anwendung hypnoti-              miert oder dilatiert sein (Zeitverzerrung).
                                scher Prozesse in der           Ein Beispiel:
                                Palliativversorgung.            Patient: „Ich warte jetzt eine halbe Stunde auf mein
                                                                Morphin!“ – Schwester: „Es waren aber nur 5 Mi-
                                    In manchen Lebenspha-       nuten, Herr …, wir haben doch auch noch andere
                                    sen fallen wir häufiger     Patienten, und ich habe nicht Kaffee getrunken …“
                                    spontan in Trance als zu    Was geschieht beim Patienten? Er denkt sich: „Es
                                    anderen Zeiten. Die         war doch eine halbe Stunde, die glauben mir nicht,
                                    Palliativsituation gehört   und ich bin wohl nicht so wichtig …“. Resultat: Der
                                    dazu. Es sollte also sehr   Kontakt reißt ab. – Bei Kenntnis der Zeitverzerrung
                                    hilfreich sein, sich mit    würde man z. B. formulieren: „Oh ja, tut mir leid,
                                    diesen Zuständen aus-       Sie haben lange warten müssen!“ – Der Patient
                                    zukennen, um unseren        fühlt sich verstanden, der Kontakt bleibt erhalten.
               Dr. Wolfgang Schulze
                                    Patientinnen und Patien-
     ten gerecht zu werden. Manches Verhalten und               „Vergessen“ der Grammatik: Jedes Wort wird für
     manches Kommunikationsproblem erschließt sich              sich, also ohne Zusammenhang, gehört und umge-
     uns erst dadurch!                                          hend in innere Bilder umgesetzt, mit möglicher-
     Zudem kann Hypnose sehr hilfreich sein, um un-             weise schlimmen Auswirkungen: „Sie werden keine
     willkürliche und unbewusste Prozesse, zu denen             – schlimmen – Schmerzen – leiden müssen – wenn
     auch Symptome zählen und denen wir uns ausge-              das Rippenfell – angestochen wird …“ oder: „Ich
     liefert fühlen, wirksam zu beeinflussen. So gelingt        erkläre Ihnen mal die Schmerzskala: Schmerzen
     durch Nutzung hypnotischer Phänomene (s. u.) ei-           der Stärke 5 sind wie, wenn der Finger in die Brot-
     ne günstige Beeinflussung gerade solcher Symp-             schneidemaschine gerät … und 6 sind … und 7 sind
     tome, die uns auch in der Palliativversorgung täg-         …“ … „Wie stark ist ihre Übelkeit/Atemnot von 0
     lich begegnen, wie Dyspnoe, Hustenreiz, Angst,             bis 10, soll ich ihnen erklären, was das heißt?“ ...
     Übelkeit, Erbrechen, Inappetenz, Juckreiz oder
                                                                „Vergessen“ der Naturgesetze: Widersprüchliches
                                                                                                                       Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

     (Durchbruch-)Schmerz. Auch psychische Sympto-
                                                                wird akzeptiert. Wir können gleichzeitig an zwei
     me wie Ängste, Depressionen, Traumatisierungen
                                                                Orten sein, können uns z.B. „von oben“ sehen
     sowie die sogenannte erschwerte Trauer können
                                                                (Dissoziation).
     mit Hypnotherapie gut behandelt werden.
                                                                2. Hypermnesien:
     Für alle, die durch das Einlassen auf die Hypnose          Das faszinierende Wiedererinnern von vergessenen
     einen Kontrollverlust befürchten: Bei der hypno-           Ereignissen. Diese werden als Ressourcen genutzt
     therapeutischen Behandlung soll das Gegenüber              und bereichern die Biographiearbeit auf berühren-
     gerade nicht die Kontrolle abgeben. Die Patientin-         de Weise.
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                                      © G. Achtermann

                                      Sensorische Phänomene                                noch in den Anfängen steckte: „… die Nutzung von
                                      Bei den sensorischen Phänomenen geht es um die       Hypnose bei Patienten, die in der Terminalphase
                                      Afferenzen auf allen Sinneskanälen: visuell, akus-   leiden. Bei der Behandlung solcher Patienten geht
                                      tisch, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch     es nicht darum, die Krankheit selbst zu
                                      (VAKOG). Die Aufmerksamkeit ist auf ein Ereignis     behandeln, wo doch der Patient bereits den Tod
                                      oder Thema fokussiert, alles andere wird ausge-      vor Augen hat und schmerzlich leidet. Die primäre
                                      blendet. So werden Sinneseindrücke zum Teil nicht    Aufgabe … ist, seinen persönlichen Anliegen und
                                      mehr wahrgenommen, wie wenn ein versunken            Bedürfnissen so weit als irgend möglich zu begeg-
                                      spielendes Kind die Mutter nicht mehr hört oder      nen …, was braucht der physische Körper und was
                                      das Grünwerden der Ampel beim Vor-sich-hin-Träu-     braucht der Patient als ganze Person und Persön-
                                      men nicht bemerkt wird, obwohl wir direkt darauf     lichkeit, wo kulturelle und individuelle psychologi-
                                      starren. So ist auch das Nicht-Wahrnehmen von        sche Implikationen von gleich großer oder größerer
                                      Schmerzreizen bei analgetischer Hypnose, z. B.       Wichtigkeit sind als die körperliche Erfahrung von
                                      beim Zahnarzt, zu erklären. Umgekehrt können         Schmerz …“
                                      Klänge und Bilder so lebendig wahrgenommen wer-
                                      den, als wäre man dort.                              Die Anwendung
                                                                                           Folgende Basisanwendung zur Besserung von
                                      Effektorische Phänomene                              Wohlbefinden und Symptomen ist ressourcenorien-
                                      Diese Phänomene beeinflussen sekretorische oder      tiert, steigert die Selbstwirksamkeit (Autonomie),
                                      motorische Efferenzen: Wenn wir uns auch nur vor-    kann wertvolle Erinnerungen reaktivieren und zur
                                      stellen, wir beißen in eine saure Zitrone, hat das   Akzeptanz der aktuellen Lebenssituation beitragen.
                                      sekretorische Auswirkungen auf die Speicheldrü-      Diese kann explizit in einer durch einen Hypnothe-
                                      sen. In Trance lassen sich auch andere exokrine      rapeuten eingeleiteten Hypnose erfolgen, aber
                                      oder endokrine Drüsen durch innere Bilder beein-     auch implizit im Rahmen eines hypnotherapeutisch
                                      flussen, z. B. die Stresshormonausschüttung durch    orientierten Gesprächs durch jeden in der Pallia-
                                      Imagination entweder eines Ruheortes oder z. B.      tivversorgung Tätigen, der über Empathie und
                                      eines Pferderennens. Und so wie sich die Muskel-     Selbstreflexion, eine palliative Haltung verfügt.
Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

                                      spannung der Arme durch Autogenes Training sen-
                                      ken lässt, indem wir uns Schwere vorstellen, so      Zunächst soll eine schöne Erinnerung (= Ressource)
                                      kann sich in hypnotischer Trance beispielsweise      gefunden werden. Besonders in quälenden Situa-
                                      ein Arm unwillkürlich anheben (Armlevitation).       tionen, in denen schon eine Spontantrance besteht,
                                                                                           kann das eingeleitet werden durch wirksame
                                      Hypnotherapie in der Palliativsituation              Schlüsselfragen: „Wo wären Sie jetzt lieber als
                                      Milton Erickson (1901-1980), Begründer der wissen-   hier?“ – „Wo war es besonders schön in Ihrem
                                      schaftlichen Hypnotherapie, schrieb bereits 1958,    Leben?“ – „Gehen Sie zurück in Ihrer Erinnerung,
                                      als die moderne Hospiz- und Palliativbewegung        wo die Luft gut ist, es appetitlich riecht, Sie vital
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     sind…“. Signalisiert der Patient, „angekommen“ zu       eine hypnotherapeutische Aus- oder Weiterbildung
     sein, gilt es, das Erleben auf allen Sinneskanälen      durchlaufen zu haben. Mit dieser Ausbildung
     mit interessierten Fragen zu aktivieren: „Wo finden     gelingt die Trance-Induktion wesentlich intensiver,
     Sie sich wieder? Drinnen oder draußen? Wie ist die      physische und psychische Symptome können bes-
     Temperatur, angenehm warm oder angenehm                 ser bearbeitet werden und es gelingen vertiefte
     frisch? Wie alt sind Sie? (besser als „wann war         Gespräche über die Spiritualität (Beispiele siehe
     das?“) … was ist zu hören, die Geräusche … die Stil-    Literaturangaben).
     le hören… Stimmen im Hintergrund …? Was ist zu
     sehen, in der Ferne, am Horizont …? Und was in der      Zusammenfassend ist die Nutzung hypnotherapeu-
     Nähe? … ganz vertraut … auf die Details achten …        tischer Erfahrungen eine wichtige Bereicherung der
     und der charakteristische Duft, der genau nur hier      Möglichkeiten in der Palliativversorgung, die
     so existiert? Wie sind Sie da, sitzend, liegend, lau-   bereits mit wenigen Kenntnissen beginnen, mit
     fend … wie ist der Untergrund? etc. Was sehen Sie       Ausbildung in Hypnotherapie aber eine enorme
     … in der Ferne … oder in der Nähe … schauen Sie         Erweiterung erfahren kann.
     auf die Details … wie mit einer Lupe, … ist es ganz
     vertraut … und vielleicht auch neu? … wie Sie es                                Dr. med. Wolfgang Schulze
     noch nie gesehen haben? Und die Geräusche – ver-             Facharzt für Strahlentherapie und Radiologie
     ändert sich etwas? Und der Duft … vertraut … wie           Zusatzqual. Palliativmedizin und Med. Hypnose
     fühlt sich die Kleidung an? Wie der Untergrund …?“                                                     M.E.G.
                                                                                                   Donaustr. 28b
     Die Wahrnehmung muss nicht ausgesprochen wer-                                               95445 Bayreuth
     den: „Wenn Sie möchten, können Sie darüber re-                                       Tel.: 01 71 - 5 23 46 65
     den, wenn Sie möchten, können Sie es auch bei                                wolfgang.schulze.dr@gmx.de
     sich behalten“ ist eine Formulierung, die auch das
     Verschweigen wertschätzt. Erzählen ist allerdings
     sehr hilfreich, weil wir dann spezifisch nachfragen     Literatur
     können: „Wie genau … ?“                                 Ebell, H. (2009). Krebserkrankungen. In: Revenstorf, D. & Peter,
                                                                 B. (Hrsg). Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und
                                                                 Medizin. Springer, Heidelberg, S. 673-691.
     Es ist unglaublich überraschend, welche Orte auf-       Erickson, MH. (1958). Hypnosis in Painful Terminal Illness. The
     gefunden und als beglückend empfunden werden,               Journal of the Arkansas Medical Society; und 1959 Ameri-
     viel besser als unsere Vorschläge (Suggestionen).           can Journal of Clinical Hypnosis, 1:3, 117-121.
     Die Patientinnen und Patienten erleben eben nicht       Kachler, R. (2017). Hypnosystemische Trauerbegleitung. Carl
                                                                 Auer Verlag Heidelberg.
     nur den Strand, die Wiese, den Wald – bei unseren       Muffler, E. (2009). Hypnosystemische Interventionen zur Symp-
     „Palliativ-Hypnosen“ waren es auch schon mal das            tomlinderung in der Onkologie. In: Isermann und Diegel-
     Zimmer der Großmutter, ein Boot, das Kinderzim-             mann: Ressourcenorientierte Psychoonkologie, Kohlham-
     mer, die Werkstatt, das Restaurant, die Kirche, das         mer.
                                                             Peter, B. (1994). Hypnotherapy with Cancer Patients: On Spea-
     Fußballfeld, der Skilift, das Entbindungszimmer             king about Death and Dying. Hypnos 21(4).
     oder sogar der Kasernenhof … Das ist sehr viel          Peter, B. (1996). Hypnosis in the Treatment of Cancer Pain. Hyp-
     besser, als von uns ausgehend – sozusagen pater-            nos 23: 99-108.
     nalistisch – eine fertige (Fantasie-) Geschichte zu     Rajasekaran, M, Edmonts, PM, Higginson, IL (2005). Syste-
                                                                 matic Review of Hypnotherapy for Treating Symptoms in
     erzählen oder vorzulesen.
                                                                 Terminal Ill Adult Cancer Patients. Palliative Medicine 19:
                                                                 418-426.
     Die Atmosphäre dieses im Patienten erlebten Ortes       Schulze, W. (2010). Hypnose in der Palliativmedizin. Hypnose
     oder Ereignisses wirkt dann auf das Wohlbefinden,           und Medizin. Hypnose-ZHH 2010; 5: 145-161.
     die Stimmungslage und die Symptomatik. Sie kann         Schulze, W. (2013). Hypnose und Hypnotherapie in der Pallia-
                                                                 tivmedizin – Symptombehandlung und spirituelle Beglei-
     beruhigend wirken, aktivierend (bei Fatigue), kann
                                                                                                                                Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

                                                                 tung. Z Palliativmed; 14: 59-72.
     den Atem ruhiger werden, die Atemnot, den               Schulze, W. (2015). Hypnotherapie in der Palliativmedizin. In:
     Schmerz oder die Übelkeit vergessen lassen oder             Muffler, Elvira (Hrsg). Kommunikation in der Psychoonko-
     den Appetit anregen. Häufig sucht sich das Unbe-            logie – Der hypnosystemische Ansatz, Carl Auer Verlag Hei-
                                                                 delberg.
     wusste der Patienten genau den Sehnsuchtsort, an        Schulze, W., Revenstorf, D. (2017). Hypnotherapie. In: Psycho-
     dem das erlebbar ist, was aktuell fehlt.                    therapeutische Methoden am Lebensende, Hrsg. Daniel
                                                                 Berthold, Jan Gramm, Manfred Gastpar, Ulf Sibelius, Van-
     Manche Patienten oder Patientinnen müssen dazu              denhoeck & Ruprecht.
                                                             Schulze, W. (2018). Hypnotherapie in der Palliativversorgung,
     besonders angeleitet werden. Dann ist es hilfreich,         in Kränzle, S.: Palliative Care, Springer Medizin Verlag.
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                                      EMOTIONEN POSITIV VERÄNDERN DURCH
                                      MULTISENSORIK
                                      BEAT GROSSENBACHER

                                      D
                                                  er Mensch empfindet Ängste, die ihren      Der Mensch als Gefangener seiner Umwelt und
                                                  Ursprung in Scham oder Ekel haben          der Überlebensstrategie
                                                  können. Diese Empfindungen sichern         Nach unseren Beobachtungen
                                                  uns Menschen das Überleben. Die Frage      im Centre d’ambiance (CDA)
                                      stellt sich nun, was hat das mit der Pflege zu tun?    glauben wir, noch weiter ge-
                                      Sei es in der allgemeinen Pflege, Hospiz- und Palli-   hen zu können, indem wir nur
                                      ativarbeit oder Demenzpflege, überall sollte der       zwei Gruppen von Emotionen
                                      Mensch im Mittelpunkt stehen, auch mit seiner          für relevant halten. Mit der
                                      Scham, seinem Ekel und seinen Ängsten, dem wir         Überlebensstrategie, die uns
                                      wiederum mit unserer eigenen Angst begegnen.           Menschen durch die Evolution
                                      Diese Erkenntnis führt dazu, dass das Verständnis      mitgegeben wurde, reagiert
                                      des Menschen mit seinen Emotionen im Kontext           der Mensch immer noch als
                                      der Umgebung und der „Lebenswillensstrategie“          emotionales Tier. Er verhält
                                      verstanden werden muss. Der renommierte ameri-         sich dabei nach dem Grund-
                                      kanische Hirnforscher Professor Dr. Paul D. MacLean    satz der zwei ganz unter-
                                      hat nachgewiesen, dass das menschliche Gehirn          schiedlichen emotionalen
                                      aus drei Bereichen besteht, die unterschiedliche       Stimmungen „Bedrohung“ Beat Grossenbacher
                                      Funktionen erfüllen (funktionale Struktur des          und „Freude“.
                                      Gehirns). Diese drei so verschiedenartigen Gehirne
                                      müssen dennoch im „drei-einigen Gehirn“ (Triune        Bedrohung
                                      Brain) zusammenarbeiten und sich miteinander           In unserem „Überlebensstrategie-Handbuch“ sind
                                      verständigen. Dabei behält aber jedes Gehirn seine     die Bedrohungen als wichtiger einzustufen als die
                                      ganz spezifischen Spielregeln bei.                     Freude. Wahrscheinlich gehören zu diesen Emotio-
                                                                                             nen die Ausdrücke von Angst, Ekel, Trauer, Wut
                                      Erst aus dem Zusammenwirken des gefühlsmäßig-          oder Überraschung dazu.
                                      instinktiven Stammhirns, des emotional-impulsiven      Bedrohungen lösen Reaktionen aus, die – je nach
                                      Zwischenhirns und des rational-kühlen Großhirns        Intensität, wie sie auf uns aufprallen und uns be-
                                      entsteht menschliches Verhalten.                       gegnen – in drei Stufen unterteilt werden (um dies
                                                                                             besser darstellen zu können, verwenden wir das
                                      Der Ausgangspunkt der Erforschung von Basise-          Beispiel der Atemluft):
                                      motionen entstammt der Arbeit „The Expression of       1 „Flucht“
                                      the Emotion in Man and Animal“ von Darwin (1872).          Riecht es für den Menschen unangenehm, so
                                      Er definierte die so genannten Basisemotionen als          wird er die Umgebung mit einer Fluchtbewe-
                                      Emotionen, die in ihrem Ausdruck universal und             gung eher verlassen.
                                      angeboren sind. Obwohl noch immer keine endgül-        2 „Aggression (Kampf )“
                                      tige Einigkeit darüber besteht, welche Emotionen           Mit der Intensität der schlecht riechenden Atem-
                                      zu den Basisemotionen zählen, hat die Mehrheit             luft nimmt auch das Potential des Aggressions-
Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

                                      der Forscher Überraschung, Angst, Ekel, Freude,            verhaltens des Menschen zu. Dazu gehören im
                                      Trauer und Wut als solche anerkannt (Ekman, 1973;          Konsens zum Arbeitsumfeld beispielsweise er-
                                      Fridlund, 1994; Izard, 1971). Alle anderen Emotio-         höhtes „Mobbing“ und vieles mehr.
                                      nen seien Untergruppen oder Mischungen der Basis-      3 „Schockstarre“
                                      emotionen.                                                 Wir halten den Atem an, sind wie gelähmt;
                                                                                                 Aktion erfolgt hier keine mehr. Wir können uns
                                                                                                 kaum mehr bewegen und sind nicht mehr Herr
                                                                                                 unserer Reaktion.
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     Freude                                               2 „Zusammengehörigkeitsgefühl“
     Im Sinne einer Überlebensstrategie ist die Freude      Intensivere positive Berührungen lösen ein Zu-
     wohl weniger bedeutsam. Das soll nicht bedeuten,       sammengehörigkeitsgefühl hervor nicht nur in
     dass diese Emotion weniger wichtig ist. Damit sich     der Familie, sondern auch in Politik oder Sport.
     der Mensch verstanden und geborgen fühlen kann,      3 „Bereitschaft, zu teilen“
     muss er Freude entwickeln können und dies in           Die Bereitschaft zu teilen steht im Zusammen-
     einem Umfeld, in dem sehr wenig Bedrohungsim-          hang mit dem Überleben der Art. Wenn Berüh-
     pulse auf ihn einwirken. Die Freude kann man in        rungen mit einem natürlichen Lächeln gekop-
     der Reaktion ebenfalls in drei Stufen unterteilen.     pelt sind, wird diese Bereitschaft zudem maß-
     Auch diese sind für das menschliche Überleben als      geblich erhöht.
     wichtig einzustufen.
                                                          Unsere Wahrnehmungen (Sinnesorgane) sind stän-
     1 „Zuneigung“                                        dig aktiv und können selbst im Schlaf nicht ausge-
       Ein kurzes Berühren kann in uns eine Zuneigung     schaltet werden. Beobachtungen zeigen, dass
       zum Gegenüber auslösen. Studien weisen nach,       Wachkomapatienten genauso auf Reize der Bedro-
       dass Menschen, die kurz berührt werden, zu         hung wie auf Reize der Freude reagieren. Reize, die
       dem Menschen, der berührt, eine Zuneigung          auf uns einwirken, werden in unserem Gehirn im-
       aufbauen, auch wenn die Berührung kaum             mer multisensorisch verarbeitet. Das heißt, das
       wahrnehmbar ist.                                   Empfinden wird immer im Konsens mit allen Reizen
                                                          (Sinneswahrnehmungen) beurteilt.

                                                          Hierzu hat die CDA eine Untersuchung durchge-
                                                          führt, zu der einführend und beispielhaft gesagt
                                                          sei: Wenn wir die Raumtemperatur beurteilen müs-
                                                          sen, so wirkt ein Duft in der Luft ebenso auf das
                                                          Temperaturempfinden, wie die Raumfarbe oder der
                                                          Klang der Raumumgebung. Beispielsweise erhöht
                                                          der Duft Zimt die empfundene Raumtemperatur
                                                          merklich. Kommt zusätzlich ein rötliches Licht hin-
                                                          zu, steigt die gefühlte Raumtemperatur nochmals
                                                          markant an, auch wenn die gemessene Temperatur
                                                          gleichbleibend ist.

                                                          Diese Erkenntnisse in der Pflege einzusetzen be-
                                                          deutet, dass hier das Blickfeld erheblich erweitert
                                                          werden muss. Es muss sich „multisensorisch“ öff-
                                                          nen. Wir wissen heute sehr viel über Farb-Therapie,
                                                          Duft-Therapie, Klang-Therapie, Berührungs-Thera-
                                                          pie usw. Nur, jedes dieser Felder wird zurzeit meist
                                                          zu isoliert angeschaut. Zaghafte Versuche, dies zu
                                                          ändern, kann man vereinzelt beobachten, wie zum
                                                          Beispiel beim „Snoezelen“ oder bei der „Basalen
                                                          Stimulation“. Leider finden die Versuche immer nur
                                                          im Kontakt zwischen Betreuer und Patient Einsatz.
                                                          Dass sich die Gruppenzugehörigen jedoch gegen-
                                                          seitig beeinflussen sowohl mit der Bedrohung als
                                                                                                                 Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

                                                          auch mit der Freude, wird dabei sehr oft von der
                                                          Betreuung nicht wahrgenommen. Dabei ist auch
                                                          das Personal nicht ausgeschlossen, denn oft wird
                                                          vergessen, dass sich selbst die Stimmung, die das
                                                          Pflegepersonal mit ins Haus hineinträgt, auf die
                                                          Stimmung der Gruppe auswirkt. Somit bringt z. B.
                                                          eine einzelne Therapie kaum etwas, wenn sich die
                                                          Gruppe im „Stressmodus“ befindet. Effizienter wä-
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA                      15

                                      re, wenn die ganze von der Umgebung betroffene            Neben den allgemeinen Elementen, die Pflege-
                                      Gruppe (Personal wie Bewohner oder Patient) ent-          institutionen normalerweise benötigen, werden
                                      schleunigt und entspannt wäre.                            bedarfsbezogen Klangwelten, Duftwelten oder
                                                                                                Bild- und Lichtwelten angeboten. Im palliativen
                                      Umgebungen multisensorisch gestalten                      Bereich können unter anderem Elemente einge-
                                      Die Arbeitsweise der Multisensorik beruht darauf,         setzt werden, die sich bei Schmerztherapien oder
                                      dass die Sinnesimpulse kongruent (gleich) abge-           Angstbewältigung gut in die Pflege einfügen.
                                      geben werden müssen, damit sie eine effektive Wir-        Modifizierte Tagesabläufe lassen den Pflegealltag
                                      kung erzielen können. Dabei sind die Faktoren der         ein wenig humaner erscheinen und können dem
                                      „Bedrohung“ wie die der „Freude“ mit einzubezie-          Bewohner/Patienten sogar ein Lächeln aufs Ge-
                                      hen. Die Arbeitsweise des CDA basiert auf einem           sicht zaubern.
                                      Verfahren, das es ermöglicht, die Raumatmosphäre
                                      merklich zu verändern. So kann zum Beispiel …
                                                                                                                               Beat Grossenbacher
                                      • der normalen Lichtumgebung farbliche Akzente                                             centre d’ambiance
                                        beigefügt werden,                                                                              Ferggerweg 5
                                      • der Raumakustik eine Klangstimmung zugefügt                                           3380 Wangen a/Aare
                                        werden,                                                                           Tel.: +41 - 32 - 5 10 50 80
                                      • in der Luft schlechter Geruch entfernt werden,                                     Fax: +41 - 32 - 6 31 11 85
                                        um keine Bedrohungssituation entstehen zu                                        bgrossenbacher@c-da.ch
                                        lassen,                                                                                         www.c-da.ch
                                      • durch Einbringen von natürlichen ätherischen
                                        Ölen aromatherapeutisch unterstützt werden.
                                      • Bildwelten über TV/Beamer und Lichtimpulse
                                        sind ebenso integrierbar, wie haptische Elemen-
                                        te oder Klangstimulanzien.

                                      „DU WÄRST JETZT MAL TOT“
                                      Die Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Trauer als Bildungsauftrag
                                      HILLA WEDI UND CLAUDIA KOCK

                                      D
                                                 er Erfahrungsschatz und die gemachten          „Sterben und Tod“ als ein wiederkehrendes The-
                                                 Erlebnisse sind über die Jahre recht reich-    ma in der Kita
                                                 haltig geworden, so dass uns ein Inne-         Das Thema Sterben und Tod begegnet uns im Alltag
                                                 halten, Reflektieren und Weiterbilden zu       so selten und häufig wie der Tod an sich. Altersbe-
                                      diesem Thema sehr angesprochen hat.                       dingte Todesfälle wie auch schwere Krankheitsbil-
                                      Die gemachten Erfahrungen beruhen auf subjekti-           der und -verläufe belasten Familien und machen
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                                      vem und intuitivem Erleben des Momentes der Kon-          das Leben im Miteinander in einer Kita aus. Kinder
                                      frontation mit dem Thema, so dass es Sinn macht,          leben im „Jetzt“, was für den Kita-Alltag bedeutet,
                                      das objektive Kita-Auge auf das Thema zu richten.         dass ein Thema, was die Kinder mitbringen oder
                                      Mit dem Wissen, mit einem guten Team und einem            anspricht, direkt in die Umsetzung und Ausein-
                                      verlässlichen Netzwerk kann es dann an die Arbeit         andersetzung geht. In einer offenen Atmosphäre
                                      des Verarbeitens und des Entwickelns von Hand-            findet das Erlebte Gehör. In akuten Situationen in-
                                      lungsmöglichkeiten und Strategien gehen.                  formieren uns die Familien oder Beauftragten der
                                                                                                Familien direkt über den Tod eines Familienmitglie-
16   SCHWERPUNKT

                       des. Die Familie geht dann vielleicht     Es begegnet uns darüber hinaus:
                       das erste Mal mit einem emotional
                       sehr persönlichen Erleben eines            Bei dem Anblick des Friedhofs oder der Kirche,
                       Verlustes in die Öffentlichkeit, in die     die auf dem Weg eines Ausflugs liegt,
                       Kita. Kinder haben in der Regel „das       beim Mittagessen, wenn es Fleisch gibt: „Muss-
                       Herzchen auf der Zunge“. Sie erzäh-         te da ein Tier für unser Essen sterben?“
                       len noch wertfrei von dem Erlebten
                       oder den Erzählungen zum Todesfall         durch Erzählungen von Verwandten, Freunden,
                       in der Familie oder aus ihrem nähe-         Nachbarn, Gemeinde, …
                       ren Umfeld. Diese Erzählungen sind
                                                                  beim Experimentieren mit Insekten, Regenwür-
                       inhaltlich so vielschichtig und per-
                                                                   mern, Kellerasseln oder
                       sönlich vielseitig wie die Menschen
          Hilla Wedi
                       an sich. Jede Geschichte ist indivi-       beim Auffinden von toten Tieren: Die Kinder ha-
                       duell geprägt und von persönlicher          ben z. B. ein totes Käuzchen im Kita-Keller ge-
                       Aussagekraft. Das kann ein kurzer           funden. Daraufhin entstand eine umfassende
                       Satz sein, aber auch eine Verlaufs-         Beerdigungszeremonie mit allen Riten, die die
                       oder Befindlichkeitserzählung. Kin-         Kinder geplant und durchgeführt haben.
                       der reagieren auf das Thema „Tod
                       und Sterben“ sehr unterschiedlich         Die Wahrnehmung der Kinder
                       und wechselhaft. Ironie und Tragik        Wenn wir über Sterben und Tod sprechen, erleben
                       wechseln sich in „Blitzlichtmomen-        wir die Kinder offen und wertfrei. Das Entwicklungs-
                       ten“ bei den Kindern ab. So passiert      alter der Kinder ist entscheidend für den Umgang
                       es häufig, dass wir direkt oder im        mit dem Thema: Ältere Kinder stellen Fragen, sowie
                       Nachhinein denken: Da ist es ja wie-      sie die Dinge erfassen können. Auch suchen und
                       der, das Thema. Der Tod eines Tie-        lieben ältere Kinder den „Prizzel“ in Geschichten/
                       res, welches wir auf der Straße bei       Märchen, sie gehen in den Spannungsbogen und spie-
                       einem Ausflugsgang sehen, löst bei        len mit Realität und Phantasie. Jüngere Kinder machen
                       den Kindern zum Beispiel Entset-          manchmal erste inhaltliche Erfahrung mit dem Thema
        Claudia Kock
                       zen, Ablehnung, Forschergeist,
                       vegetarische Essensphasen als auch
                       Lebensweisheiten aus.

     Abschiede, Trennungen, Beziehungsende oder
     Freundschaftskrisen sind Lebenserfahrungen, die
     unvermeidbar sind und in der Erfahrungswelt der
     Kinder mehr oder weniger Thema sind. Die Kita ist
     auch der Ort, an dem die Kinder im Miteinander ein
     Gesprächsforum haben, in dem es möglich ist, Ge-
     danken, Fakten, Fragen und Gefühle anzusprechen.

     Unser Hund ist tot
     Das Thema wird in vielen Situationen an uns her-
     angetragen, z. B. in der Morgenkreisrunde: „Unser
     Hund ist tot.“ … und in der erweiterten Gesprächs-
     runde werden weitere Tiere, Oma, Opa und Ver-
     wandte benannt und gehen dementsprechend in
                                                                                                                         Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

     die Aufzählung. Zwischen Mensch und Tier wird in
     der Wertigkeit zu Beginn des ersten Erlebens mit
     dem Tod kein großer Unterschied gemacht. Im wei-
     teren Gesprächsverlauf geht es ins Detail über ge-
     zieltes Nachfragen der Kinder beziehungsweise ge-
     setzte oder spontane Impulsfragen der/des beglei-
     tenden Erzieherin/Erziehers.
STERBEN, TOD UND TRAUER IN DER KITA                       17

                                      über Märchen wie zum Beispiel „Hänsel und Gretel“,       Wir erinnern uns noch recht gut daran, wie
                                      „Der Wolf und die sieben Geißlein“ etc.                  wir uns zum ersten Mal auf intensive Weise
                                      Sterben und Tod sind manchmal Inhalt im Rollen-          mit dem Thema konfrontiert sahen. Wir
                                      spiel mit dem Thema Tod („Du wärst jetzt mal tot“)       arbeiteten vor 20 Jahren zusammen in einer
                                      Darüber hinaus ist die Wahrnehmung der Kinder            Kindertagesstätte und erfuhren nach den
                                      durch folgende Merkmale gekennzeichnet:                  Sommerferien von einem tragischen Todes-
                                       Emotionale Wertung und Wissen sind im Gleich-          fall: Ein Elternteil hatte sich das Leben
                                        gewicht.                                               genommen. Zunächst waren wir geschockt
                                                                                               und sprachlos. Im Austausch mit dem Team
                                       Die Vorstellung über den Kreislauf des Lebens          und der Familie, die sehr offen mit uns in
                                        ist linear (alte Menschen sterben).                    Kontakt ging, konnten wir dem Kind über
                                                                                               feste Rituale und Alltagsstrukturen eine
                                       Kinder erleben die Reaktion und Erfahrung von          sichere Basis bieten. In weiteren Beratungs-
                                        Erwachsenen im Umgang mit dem Thema.                   gesprächen vermittelten wir die Angehörigen
                                                                                               an Fachstellen, um das Erlebte zu verarbeiten.
                                       Grundsätzlich sind Kinder neugierig und offen
                                        für das Thema, wobei es wie bei allen anderen
                                        Themen individuelle Ausnahmen gibt.
                                       Gesprächsvermeidung kommt vor, woraus für            che, Themen und Projekte, die mit Natürlichkeit
                                        uns eine besondere Herausforderung im Hin-           und Selbstverständlichkeit bearbeitet und gelebt
                                        blick auf die Verlustverarbeitung entsteht/Ab-       werden.
                                        warten und die „Gesprächstür“ offenhalten.
                                                                                             Prävention und Handlungsfähigkeit im Notfall
                                       Kinder wollen Erklärungen und suchen einen           Wir halten eine klare Haltung und Handlungsmög-
                                        Pädagogen, einen Zuhörer, der ihre Ideen und         lichkeiten (Alltagsbeispiele) im Konzept verschrift-
                                        Ängste annimmt.                                      licht für die Einrichtung für sehr sinnvoll. Im Trau-
                                                                                             erfall gibt es dem Team Sicherheit und bietet allen
                                      Der Blickwinkel der Familien                           die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Begleitung.
                                      So vielschichtig wie wir im Team mit dem Thema         Ein Akut-Plan ermöglicht einen Konsensprozess,
                                      umgehen, so unterschiedlich gehen die Familien         der das Team nicht nur sachlich, sondern auch emo-
                                      auch damit um. Wir sind davon überzeugt, wenn          tional näherbringt. Ein Leitfaden ermöglicht in einer
                                      wir dem Umgang mit Sterben, Tod und Trauer offen       gefühlsgeladenen Situation schnelles und profes-
                                      begegnen und Handlungsmöglichkeiten in unse-
                                      rem Konzept verankern, ver-
                                      deutlichen wir als Team eine
                                      transparente und klare Hal-
                                      tung. Eltern wissen es zu
                                      schätzen, wenn die Ausein-
                                      andersetzung mit Sterben,
                                      Tod und Trauer in der Einrich-
                                      tung eine Bedeutung hat be-
                                      ziehungsweise ernst genom-
                                      men wird und dort auch Aus-
                                      druck, Raum und Zeit in der
                                      Gemeinschaft findet.
Hospiz-Dialog NRW - Oktober 2018/77

                                      Im Hinblick auf das Thema:
                                      „Sterben Tod und Trauer“
                                      liegt es an uns, gemeinsam
                                      mit dem Team eine Kultur im
                                      Haus zu schaffen, die das
                                      Werden und das Vergehen
                                      auf eine Stufe stellt. So wie
                                      alle anderen Bildungsberei-
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