TRAUER AM ARBEITSPLATZ - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW

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TRAUER AM ARBEITSPLATZ - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
Ansprechstellen im
                         Land NRW zur
                         Palliativversorgung,
                         Hospizarbeit und
                         Angehörigenbegleitung

Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen
Januar 2019 Ausgabe 78

Schwerpunkt:
TRAUER AM ARBEITSPLATZ
TRAUER AM ARBEITSPLATZ - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
2

    Editorial

              Liebe Leserinnen und Leser,
               Der Verlust eines nahestehenden
               Menschen, ob in jungem oder höherem
               Alter, ob plötzlich oder erwartet ist
               immer schmerzhaft. Sterben und Tod
               durchdringen alle Bereiche unseres
               Lebens. Überall denken wir an den
               Verstorbenen, an jedem Ort vermissen
               wir ihn, die Trauer begleitet uns für eine
    gewisse Zeit besonders intensiv. Und natürlich
    macht die Trauer vor der Bürotür nicht Halt. Auch
    dort kommen uns die Tränen, sind wir zeitweise
    nicht belastbar, können die an uns gestellten
    Erwartungen nicht immer erfüllen, möchten wir
    vielleicht unser Gesicht wahren und dennoch den
    Verstorbenen durch unsere Gedanken an ihn und
    unsere Trauer würdigen.

    Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz steht
    inzwischen sehr im Fokus: Bei der Gefährdungs-
    beurteilung eines Arbeitsplatzes wird dem
    psychischen Anteil eine immer größere Bedeutung
    beigemessen. Dabei muss es nicht immer um die
    durch die Arbeit ausgelösten Belastungen gehen.
    Ein Betrieb muss sich auch daran messen lassen,
    wie er mit der Trauer eines Mitarbeiters am
    Arbeitsplatz umgeht, welchen Raum er ihm
    einräumt, sei es von Seiten der Führungskräfte
    oder von Seiten der Kolleginnen und Kollegen.
    Im Schwerpunkt dieser Ausgabe des Hospiz-
    Dialogs wird diese Thematik aufgegriffen,
    während im allgemeinen Teil unter anderem die
    Rolle der Nahestehenden und der Mitbetroffenen
    auf unterschiedliche Weise beleuchtet wird .
                                                            Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

    Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre!

    Ihre

    Dr. Gerlinde Dingerkus
TRAUER AM ARBEITSPLATZ - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
Inhalt

                                                                                                   INFORMATION
                                                                                                   Scham- und Schulderleben am Lebensende
                                                                                                   Wie können Betroffene unterstützt werden?
                                                                                                   Johanna Marie Schröder                            4

                                                                                                   Kurzzeit-Intervention für Angehörige in der
                                                                                                   Palliativmedizin
                                                                                                   Martina Kühnel                                    6

                                                                                                   Wie konnte er mir das nur antun?
                                                                                                   Die Situation von Mitbetroffenen eines Suizids
                                                                                                   Franciska Illes                                   9

                                                                                                   Dying Matters
                                     IMPRESSUM                                                     Stephanie Owens                                  13

                                     Herausgeber
                                     ALPHA - Ansprechstellen im Land Nordrhein-Westfalen zur
                                     Palliativversorgung, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung   SCHWERPUNKT
                                     Redaktion                                                     TRAUER AM ARBEITSPLATZ
                                     Ansprechstelle im
                                     Land Nordrhein-Westfalen zur
                                     Palliativversorgung,
                                                                                                   Trauerbegleitung am Arbeitsplatz
                                     Hospizarbeit und                                              Herausforderung für Organisationskultur und
                                     Angehörigenbegleitung                                         universitäre Bildung
                                     im Landesteil Westfalen-Lippe
                                     Sigrid Kießling                                               Ursula Engelfried-Rave                           15
                                     Friedrich-Ebert-Straße 157-159, 48153 Münster
                                     Tel.: 02 51 - 23 08 48, Fax: 02 51 - 23 65 76
                                     alpha@muenster.de, www.alpha-nrw.de                           Trau deiner Hoffnung mehr als deiner
                                                                                                   Verzweiflung:
                                     Layout
                                     Art Applied, Hafenweg 26, 48155Münster                        Ein religionspädagogischer Ansatz
                                                                                                   Monika Marose                                    18
                                     Druck
                                     Buschmann, Münster
Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

                                                                                                   Trauer am Arbeitsplatz – Warum sollten sich
                                     Auflage                                                       Unternehmen damit beschäftigen?
                                     2500
                                                                                                   Interview mit Annika Schlichting                 22

                                     Die im Hospiz-Dialog-NRW veröffentlichten Artikel geben       Erfahrungen von Trauernden
                                     nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion und der Her-                         Auf den Seiten 17, 20, 22 und 25
                                     ausgeber wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte
                                     wird keine Gewähr übernommen. Fotos der Autoren mit Zu-
                                     stimmung der abgebildeten Personen.                           Veranstaltungen                                  27
TRAUER AM ARBEITSPLATZ - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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    SCHAM- UND SCHULDERLEBEN AM
    LEBENSENDE – WIE KÖNNEN BETROFFENE
    UNTERSTÜTZT WERDEN?
    JOHANNA MARIE SCHRÖDER

                          S
                                        cham und Schuld Wie stellen sich Erleben und Umgang mit Scham-
                                       sind     komplexe     und Schuldgefühlen in dieser Lebenssituation dar?
                                       Emotionen, denen      In einer Untersuchung des Instituts für Psychologie
                                       eine zentrale Rolle   der Technischen Universität Braunschweig haben
                             bei der Gestaltung zwischen-    wir hierzu acht Expertinnen und Experten aus den
                             menschlicher Beziehungen        Bereichen Pflege, Seelsorge und Palliativversor-
                             zukommt (Lammers, 2016).        gung befragt.
                             Sie werden als schmerzlich
                             erlebt, motivieren aber zur     In welchen Situationen werden Scham und
                             Verhaltensanpassung und         Schuld erlebt?
                             dienen als Wegweiser im so-     Schuldgefühle drehen sich überwiegend darum,
                             zialen Beziehungsgeflecht.      Angehörigen zur Last zu fallen oder sich naheste-
                             Beide Gefühle werden häufig     henden Personen gegenüber in der Vergangenheit
                             in einem Atemzug oder syno-     falsch verhalten zu haben. Sie kommen besonders
                             nym genannt. Aus psycho-        zum Vorschein, wenn Betroffene ihr Leben reflek-
      Johanna Marie Schröder
                             logischer Sicht beinhalten sie  tieren. Im hohen Alter oder bei schwerer Krankheit
    jedoch unterschiedliche Funktionen und Verhal-           sind oft die Möglichkeiten begrenzt, Schuldgefühle
    tenskonsequenzen: Schuld wird erlebt, wenn das           konstruktiv zu bearbeiten: Sie werden zur hohen
    eigene Verhalten in Frage gestellt wird („Ich habe       Belastung, wenn schwindende Kraft, verbleibende
    etwas Schlechtes ge-                                                            Lebenszeit oder gegenwärti-
    tan“). Sie motiviert zu                                                         ge Umstände eine Wieder-
    Verantwortungsübernah-                                                          gutmachung oder Ausspra-
    me und Wiedergutma-
                                    » Scham      bzw.   die Sorge     davor,        che verhindern. Dann sind
    chung. Scham entsteht,            Scham zu empfinden, führt zu Schuldgefühle häufig mit
    wenn jemand seine ge-             Vermeidung oder Verweige-                     Grübeln verbunden und dem
    samte Person abwertet
    („Ich bin schlecht“) oder
                                      rung pflegerischer Handlungen Wunsch,         chen.
                                                                                              darüber zu spre-

    sich bloßgestellt und ab-         oder dazu, diese apathisch                    Schamgefühle hängen häu-
    gelehnt fühlt. Scham              über sich ergehen zu lassen.                  fig mit Funktionseinschrän-
    kann zu sozialem Rück-                                                          kungen und körperlichen
    zug und Selbstzweifeln                                                          Veränderungen zusammen:
    oder Aggressionen und Feindseligkeit führen.             Betroffene schämen sich für Erkrankungen, Gerü-
                                                             che und das eigene Aussehen. Aktiviert werden
    Am Lebensende treffen eine Vielzahl potenzieller         Schamgefühle vor allem bei Untersuchungen und
                                                                                                                   Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

    Auslöser für Scham und Schuld zusammen: Durch            pflegerischen Vorgängen. Scham ist die tabuisier-
    Pflegebedürftigkeit und stationäre Aufenthalte           tere Emotion: Obwohl oft der Wunsch entsteht,
    nimmt die Abhängigkeit von anderen zu, im Lebens-        darüber zu sprechen, bleiben Gespräche heraus-
    rückblick werden Erlebnisse bilanziert, Erkrankun-       fordernd. Viele Betroffene reagieren auf Scham,
    gen oder Schwäche rauben Kraft und schränken             indem sie bestimmte Situationen von vornhinein
    das Verhalten und die Fähigkeiten zur Emotions-          vermeiden, sich zurückziehen, (Hilfs-)Angebote
    regulation ein.                                          nicht annehmen, Untersuchungen oder pflege-
                                                             rische Vorgänge verweigern oder apathisch über
TRAUER AM ARBEITSPLATZ - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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sich ergehen lassen. Kurzfristig sinkt durch diese     Scham und Schuld thematisieren
Vermeidungsstrategie die emotionale Belastung,         Eine konstruktive Bearbeitung der Gefühle braucht
langfristig ist Ausweichen aber nicht immer möglich    Raum für Gespräche. Dazu ist es wichtig, zuzuhören
und erfordert einen hohen Kraftaufwand. Durch po-      ohne wertend zu reagieren, Schuld oder Scham im
sitives Miteinander und signalisierte Offenheit pro-   Zweifelsfall direkt zu benennen und die Einstellun-
fessioneller Helferinnen und Helfer lassen sich Be-    gen Betroffener bei Bedarf zu hinterfragen. Beden-
troffene leichter auf Gespräche ein. Gemeinsam mit     ken, Betroffene direkt anzusprechen, da psychi-
Angehörigen, Pflegenden oder Begleitenden kön-         sche und gesundheitliche Folgen eines solchen
nen so Wege für einen guten Umgang mit scham-          Gesprächs unvorhersehbar sein können, werden
auslösenden Situationen gefunden werden. Dies          durch Beispiele aus den Interviews entkräftet: Be-
eröffnet Betroffenen die Möglichkeit, Scham zuzu-      troffene werden ermutigt, über ihre Gefühle zu
lassen und zu akzeptieren und führt zur psychi-        sprechen, diese zu bearbeiten, neue Sichtweisen
schen Entlastung und einer höheren Akzeptanz von       zu gewinnen und eigene Wünsche zu äußern. Im
Hilfe oder Pflege.                                     besten Fall können Grübeln und Selbstvorwürfe
                                                       aufgelöst werden.
Wie können Betroffene im Umgang mit Scham-
und Schuldgefühlen unterstützt werden?                 Schaminduktion vermeiden
Aus den Interviews mit den Expertinnen und Ex-         Scham steht eng mit Situationen in Zusammen-
perten lassen sich fünf Strategien ableiten, die Be-   hang, in denen sich Personen hilflos, ausgeliefert
troffene im Umgang mit Scham- und Schuldgefüh-         oder schwach fühlen. In der Betreuung Pflegebe-
len unterstützen können.                               dürftiger und Kranker gehören solche Situationen
                                                       zum Alltag. Ein erster Schritt ist es, schamauslö-
Die Person im biografischen Kontext sehen              sende Situationen aufgrund der eigenen Erfahrun-
Besonders hilfreich ist der Einbezug der Lebensge-     gen und der Beobachtung Betroffener zu identifi-
schichte (Alter, Rollenvorstellungen, kritische        zieren und zu vermeiden. Dies kann erreicht wer-
Lebensereignisse). Für viele ältere Menschen stelle    den, indem über pflegerische Vorgänge gesprochen
der Umgang mit negativen Emotionen eine große          wird und die Wünsche Betroffener berücksichtig
Herausforderung dar, weil sie, so sagte es ein         werden. Sind Schamgefühle unvermeidbar, helfen
Experte, „nicht gelernt haben, gewisse Dinge zu        unspezifische Strategien, um das Wohlbefinden zu
verbalisieren, Schuldgefühle überhaupt mal zu          stärken und Schamgefühle zu reduzieren: der Auf-
formulieren“. Das Sprechen über sich selbst und        bau einer positiven, vertrauensvollen Beziehung
vor allem über negatives Erleben galt viele Jahre      und Wertschätzung der Betroffenen. Durch eine
als sozial unerwünscht. Hinzu kommt, dass spezi-       ressourcenorientierte Stärkung des Selbstwerts
fische Erfahrungen, wie Gewalterfahrungen oder         werden Minderwertigkeits- und Hilflosigkeitsge-
sexueller Missbrauch, sowohl die Neigung, Scham        fühle verringert und die Akzeptanz der schwierigen
und Schuld zu empfinden beeinflussen, als auch         Situation gefördert.
die Bereitschaft darüber zu sprechen. Das Wissen
über solche Erfahrungen (z. B. durch die Befragung     Zwischen Betroffenen und Angehörigen vermitteln
Angehöriger) kann helfen, Betroffene besser zu ver-    Das Vermitteln zwischen Betroffenen und nahen
stehen und ihre Reaktionen einzuordnen.                Angehörigen, kann einen großen Beitrag zur
                                                       Bewältigung der Gefühle leisten. Ein Experte be-
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    schrieb die Wichtigkeit, die Rolle der Angehörigen  Für alle befragten Berufsgruppen ist der Umgang
    im Blick zu behalten, sie als Mit-Betroffene zu be- mit Scham und Schuld im Berufsalltag präsent und
    trachten und den Austausch zwischen ihnen und       herausfordernd. Jedoch lassen sich für die Praxis
    ihren Angehörigen zu fördern, damit Erwartungen     Strategien identifizieren, die einen guten Umgang
    und Befürchtungen transparent kommuniziert          mit den Gefühlen ermöglichen. Den wichtigen
    werden. Begleitende, pflegende und behandelnde      Ansatzpunkt der eigenen Haltung formulierte eine
    Personen sind häufig die ersten Ansprechpartner     Expertin folgendermaßen: „Meine Ausrichtung soll
    bei jeglicher Art von Proble-                                                      sein, dass sich mein
    men. Ihr Wissen kann dazu                                                          Gegenüber in der Arbeit
    dienen, Brücken zu bauen.         » Eine   vertrauensvolle      Bezie-             mit mir wohlfühlt. […] die
                                        hung und Wertschätzung                         Chance hat, mir Dinge zu
    Eigene Gefühle und Grenzen                                                         sagen, die ihm oder ihr
    achtsam registrieren                der Betroffenen hilft, die                     wichtig sind.“
    Behandelnde, Begleitende            Schamgefühle zu reduzieren.
    oder Pflegende sollten ihren                                                            M. Sc. Johanna Marie
    eigenen Gefühlen große Auf-                                                                           Schröder
    merksamkeit schenken und sich damit ausein-                         Technische Universität Braunschweig
    andersetzen. Hilfreiche Fragen sind: „Wann fühle                                     Institut für Psychologie
    ich mich schuldig oder habe mich in der Vergan-                                           Humboldtstraße 33
    genheit schuldig gefühlt?“, „In welchen Situationen                                      38106 Braunschweig
    schäme ich mich schneller oder stärker als andere                                      Tel.: 05 31 - 3 91-28 17
    Personen?“, „Mit welchen Situationen kann ich gut                       jo.schroeder@tu-braunschweig.de
    umgehen, in denen andere Personen sich schämen
    würden?“. Die Auseinandersetzung mit eigenen
    Scham- und Schulderfahrungen kann helfen,           Literatur
    Betroffene zu verstehen und zum Gespräch zu         Lammers, C. H. (2016). Emotionsbezogene Psychotherapie von
    ermutigen sowie die eigenen Stärken und Grenzen         Scham und Schuld. Stuttgart: Schattauer Verlag.
                                                        Immenschuh, U., Marks, S. (2017). Scham und Würde in der
    zu erkennen. Wenn möglich, können Aufgaben im           Pflege: Ein Ratgeber. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag.
    Team dementsprechend aufgeteilt oder gemeinsam
    vor- und nachbesprochen werden.

    KURZZEIT-INTERVENTION FÜR
    ANGEHÖRIGE IN DER PALLIATIVMEDIZIN
    MARTINA KÜHNEL

                             H
                                         intergrund           von Angehörigen möglich, aber auch wenn Patien-
                                         Angehörige stel-     ten in Klinik, Pflegeheim oder Hospiz versorgt
                                         len in der Pallia-   werden, übernehmen Angehörige oft Aufgaben, die
                                         tivmedizin einen     Patienten nicht mehr selbst erfüllen können.
                                                                                                                      Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

                                         wichtigen Teil der
                             Versorgung dar, da sie durch     Angehörige von Palliativpatienten können unter
                             ihre Unterstützung der Pa-       dieser Last an Aufgaben auch selbst zu „Patienten“
                             tientinnen und Patienten vie-    werden, denn sie haben ein höheres Risiko für psy-
                             le Versorgungssituationen        chische Erkrankungen als die Allgemeinbevölke-
                             erst möglich machen. Die         rung (Pitceathly & Maguire, 2003) und der Bedarf
                             Versorgung Zuhause ist oft       an Unterstützung des Angehörigen kann den des
            Martina Kühnel   nur mit großem Engagement        Patienten sogar übersteigen (Grande, Rowland, van
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                                     den Berg & Hanratty, 2018; Payne & Hudson, 2008).      geteilt. Die Interventionsgruppe erhielt zwei
                                     Aus diesen Gründen ist die Unterstützung der           Einzel-Gespräche mit einer in Achtsamkeit geschul-
                                     Familie gemäß der WHO-Definition auch Teil der         ten Psychologin. Der erste Termin beinhaltete eine
                                     Palliativmedizin (http://www.who.int/cancer/           Einführung in Achtsamkeit, während im zweiten
                                     palliative/definition/en/). Die Belastung von          Termin Ressourcen gestärkt werden sollten, wofür
                                     Angehörigen ist häufig eng mit dem Zustand des         eine Imaginationsübung eingesetzt wurde. Die
                                     Patienten verknüpft und so kann mit dem Fort-          Kontrollgruppe erhielt ebenso zwei Gespräche mit
                                     schreiten der Erkrankung auch die Belastung der        einer Psychologin, wobei es sich jeweils um
                                     Angehörigen steigen (Hodges, Humphris und              thematisch offene, unterstützende Gespräche
                                     Macfarlane, 2005).                                     handelte, die sich an der Therapie von Carl Rogers
                                                                                            orientierten und durch eine empathische,
                                     Um Angehörige besser zu unterstützen, werden           wertschätzende und authentische Haltung der
                                     immer mehr Interventionen entwickelt. Diese Pro-       Therapeutin charakterisiert waren.
                                     gramme können in randomisiert-kontrollierten
                                     Studien auf ihre Wirksamkeit getestet werden. In       Es wurden Daten zu vier Zeitpunkten vor und nach
                                     solchen Studien werden die Teilnehmer, je nach         der Intervention erhoben: Vor der Intervention wur-
                                     Aufbau der Studie, zufällig (randomisiert) in zwei     de ein Fragebo-
                                     oder mehrere Gruppen eingeteilt, um das neu-           gen ausgege-
                                     entwickelte Programm oder eine andere Art der          ben, nach der » Inhalte der Intervention sind
                                     Unterstützung zu bekommen.                             Intervention der      Aspekte der Achtsamkeit,
                                                                                            zweite; es folg-
                                     Vorgängerstudie                                        ten nach vier         Ressourcenaktivierung,
                                     2013 veröffentlichten Fegg und Kollegen (Fegg et       Wochen und            Sinnfindung, Selbstfürsorge
                                     al., 2013) die Ergebnisse der randomisiert-            nach      sechs       und Stressbewältigung
                                     kontrollierten Studie zur Existentiell Behavioralen    Monaten zwei
                                     Therapie (EBT), die an der Klinik und Poliklinik für   weitere Frage-        sowie die Beschäftigung mit
                                     Palliativmedizin des Klinikums der Universität         bögen, die den        persönlichen Werten.
                                     München von den Autoren entwickelt und getestet        Angehörigen per
                                     worden war. EBT wurde als Gruppen-Intervention         Post geschickt
                                     mit insgesamt 22 Stunden durchgeführt und be-          wurden. Es wurde unter anderem nach Symptomen
                                     inhaltete Übungen von Achtsamkeit, Ressourcen-         von Depression gefragt sowie Angst, Belastung,
                                     aktivierung, Sinnfindung, Selbstfürsorge, Stress-      Lebensqualität und Lebenszufriedenheit erhoben.
                                     bewältigungsstrategien und die Beschäftigung mit       Das Hauptaugenmerk lag darauf, zu testen, ob die
                                     persönlichen Werten. Es wurden mittlere bis große      Intervention einen Einfluss auf Depressionen hatte.
                                     Effekte der Intervention auf Angst und Lebens-
                                     qualität sowie mittlere Effekte auf Depression         Schwierigkeiten und Chancen von Studien mit
                                     gefunden.                                              Angehörigen von Palliativpatienten
                                                                                            Angehörige von Patienten einer Palliativstation als
                                     Aktuelle Studie                                        Teilnehmer von Studien zu gewinnen, kann eine
                                     Derzeit werden die Ergebnisse unserer neuen ran-       Herausforderung sein. Die Angehörigen befinden
                                     domisiert-kontrollierten Studie zur Unterstützung      sich in einer emotionalen Ausnahmesituation, in
                                     Angehöriger ausgewertet, die auf der EBT von Fegg      der sie zudem vielen Anforderungen gleichzeitig
                                     und Kollegen basiert. In der aktuellen Studie wurde    gerecht werden müssen. Neben der Übernahme
                                     jedoch statt einer Gruppenintervention eine Ein-       von finanziellen oder organisatorischen Aufgaben
                                     zel-Intervention durchgeführt. Das Einzelsetting       für den Patienten (z. B. Planung der Weiterversor-
                                     sollte eine schnellere Unterstützung von Angehö-       gung) versorgen viele Angehörige noch weitere
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                                     rigen ermöglichen, da Termine individuell mit der      Personen (z. B. eigene Kinder oder Kinder des
                                     Therapeutin vereinbart wurden und nicht auf das        Patienten). Möglicherweise müssen sie Wohnungs-
                                     Zustandekommen einer Gruppe gewartet werden            auflösungen regeln oder, in manchen Fällen, vorab
                                     musste. Die Kürzung auf nur zwei Termine sollte        die vom Patienten gewünschte Beerdigung oder
                                     die Teilnahme an der Intervention trotz vollen         Überführung ins Heimatland organisieren.
                                     Kalenders von Angehörigen ermöglichen. Die teil-
                                     nehmenden Angehörigen wurden zufällig in die           Viele jüngere Angehörige sind zudem berufstätig
                                     Interventionsgruppe oder die Kontrollgruppe ein-       und kommen am Abend oder am Wochenende auf
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                                                                                  Da es sich andererseits bei der ak-
                                                                                  tuellen Studie um eine kurze Inter-
                                                                                  vention handelt, dürften vor
                                                                                  allem Angehörige mit gut ausgepräg-
                                                                                  ten Selbsthilfefähigkeiten profitie-
                                                                                  ren, die auch selbständig die ange-
                                                                                  wendeten Methoden weiterführen
                                                                                  und in ihren Alltag implementieren
                                                                                  können.

                                                                             Insgesamt bietet die Forschung mit
                                                                             Angehörigen in der Palliativmedizin
                                                                             die Chance, mehr über die Situation
    die Station zu Besuch. Diese Besuchszeiten liegen           der Betroffenen zu erfahren und somit unterstüt-
    außerhalb der Arbeitszeiten des Studienteams.               zende Angebote besser auf ihre Bedürfnisse zu-
    Einen Telefontermin zu vereinbaren, kann hilfreich          schneiden zu können und wir hoffen, mit unserer
    sein, da sich Angehörige unserer Erfahrung nach             Studie dazu einen Beitrag zu leisten.
    beim Telefonat von Zuhause aus eher auf die an-
    gebotenen Unterstützungs-
    angebote einlassen können.                                                                      Martina Kühnel
    Möglicherweise wird ihnen » Forschung mit Angehörigen                                         Psychologin M.Sc.
    ihre eigene Belastung erst         hilft, die Angebote den                           Klinik und Poliklinik für
    nach Rückkehr von der Palli-                                                                    Palliativmedizin
    ativstation bewusst, während       Bedürfnissen anzupassen.                         Klinikum der Universität
    sie dem Patienten gegenüber                                                                             München
    in einem funktionalen Modus sind, der es ihnen                                                 Marchioninistr.15
    ermöglicht durchzuhalten und ihren Aufgaben und                                                 81377 München
    Verantwortungen gerecht zu werden.                              Martina.Kuehnel@med.uni-muenchen.de
                                                                           www.palliativmedizin-muenchen.de
    Angehörige nehmen in dieser belastenden Zeit der
    Palliativversorgung nur dann an wissenschaftlichen  Literatur
    Studien teil, wenn sie sich in der Lage sehen, in   Fegg, M. J., Brandstätter, M., Kögler, M., Hauke, G., Rechen-
    ihrer knapp bemessenen Zeit die Fragen von              berg Winter, P., Fensterer, V., . . . Borasio, G. D. (2013).
                                                            Existential Behavioural Therapy for Informal Caregivers of
    Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu            Palliative Patients: A Randomised Controlled Trial. Psycho-
    beantworten. Vermutlich ist die Belastung bei           Oncology, 22(9), 2079-2086. doi:10.1002/pon.3260.
    denjenigen Angehörigen am größten, die nicht an     Grande, G., Rowland, C., van den Berg, B., & Hanratty, B.
    Studien teilnehmen. Über diese Gruppe von Ange-         (2018). Psychological Morbidity and General Health among
                                                            Family Caregivers during End-of-life Cancer Care: A Retro-
    hörigen haben wir jedoch keine verwendbaren             spective Census Survey. Palliative Medicine, 32(10), 1605–
    Daten. Es könnte daher sein, dass wir die Belastung     1614. doi:10.1177/0269216318793286.
    von Angehörigen in jeder Studie etwas unter-        Hodges, L. J., Humphris, G. M., & Macfarlane, G. (2005). A
    schätzen.                                               Meta-analytic Investigation of the Relationship between
                                                                    the Psychological Distress of Cancer Patients and their Ca-
                                                                    rers. Social Science & Medicine, 60(1), 1-12. doi:10.1016/
    Ausblick                                                        j.socscimed.2004.04.018.
    Die Ergebnisse unserer Studie zur Kurzzeit-                 Payne, S., & Hudson, P. (2008). Assessing the Family and Ca-
    Intervention für Angehörige sollen 2019 veröffent-              regivers. In D. Walsh, A. T. Caraceni, & R. Fainsinger (Eds.),
                                                                    Palliative medicine: Expert Consult (1st ed.). New York: El-
    licht werden. Wir erwarten, dass das Angebot im
                                                                                                                                     Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

                                                                    sevier.
    Einzel-Setting besser angenommen wurde, als das             Pitceathly, C., & Maguire, P. (2003). The Psychological Impact
    Unterstützungs-Angebot der Vorgängerstudie im                   of Cancer on Patients’ Partners and other Key Relatives: A
    Rahmen einer Gruppe. Ein Gruppenangebot bedarf                  Review. European Journal of Cancer, 39(11), 1517-1524.
    einer längeren Vorlaufzeit von der Anmeldung bis
    zum Zustandekommen einer Gruppe, während
    Termine für Einzelgespräche individuell und kurz-
    fristig vereinbart werden und daher besser in die
    belastende Zeit der palliativen Versorgung passen.
TRAUER AM ARBEITSPLATZ - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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                                     WIE KONNTE ER MIR DAS NUR ANTUN?
                                     Die Situation von Mitbetroffenen eines Suizids
                                     FRANCISKA ILLES

                                     U
                                                 ngefähr 10.000 Suizidfälle werden jähr-     maß der Belastung spielen
                                                 lich in Deutschland erfasst. Im Jahr 2015   die Beziehung zu dem Sui-
                                                 verstarben fast dreimal so viele Men-       zidenten, die Qualität und
                                                 schen durch Suizid wie durch einen          Häufigkeit des Kontaktes
                                     Straßenverkehrsunfall (Statistisches Bundesamt,         sowie die Umstände und
                                     2015). Durch einen Suizid sind aber immer auch          Auswirkungen des Suizi-
                                     andere Menschen mitbetroffen. Man schätzt die           des auf die eigene Person
                                     Anzahl der Mitbetroffenen pro Suizid auf 6-135 Per-     eine entscheidende Rolle
                                     sonen (Cerel et al., 2018). Hierzu zählen in erster     (Andriessen, 2009). Insbe-
                                     Linie die nahestehenden Angehörigen sowie Freun-        sondere Suizide mit harten
                                     de oder Arbeitskollegen des Suizidenten (Mitchell       Methoden (z. B. Sprung
                                     et al., 2004). Auch professionelle Helfer wie Ärzte,    aus Höhe, Erhängen,
                                     Pflegekräfte, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter,        Schienensuizid) können
                                     Geistliche oder andere professionelle oder ehren-       starke emotionale Reaktio-
                                     amtliche Bezugspersonen, die mit suizidalen             nen bei Mitbetroffenen Dr. Franciska Illes
                                     Personen arbeiten, sowie Notärzte, Rettungskräfte       auslösen. Die Konfronta-
                                     oder diejenigen, die einen Suizidenten auffinden,       tion mit Bildern des Suizides, z. B. durch das Auf-
                                     können Mitbetroffene sein.                              finden der Leiche oder durch die Vorstellung des
                                                                                             Suizidhergangs, kann sehr belastend sein und die
                                     Mitbetroffene können unterschiedlich plötzlich mit      Betroffenen manchmal noch Jahre nach dem Todes-
                                     der Suizidalität einer anderen Person konfrontiert      fall begleiten (Wagner, 2014). Auch die Nachricht
                                     werden. Manche Mitbetroffene haben bereits vor          über einen Suizid kann mit einer hohen emotiona-
                                     dem Suizid eine Phase der Belastung erlebt, in der      len Belastung verbunden sein und unterschiedliche
                                     sie beträchtliche Anstrengungen unternommen ha-         Gefühle wie Schock, Resignation, Erleichterung
                                     ben, um den Suizid möglichst zu verhindern und
                                     mit dem Betroffenen gegen seine Erkrankung oder
                                     belastenden Lebensumstände gekämpft haben. Für
                                                                                              » Trauer nach Suizid ist assoziiert
                                     andere Mitbetroffene kann ein Suizid plötzlich und
                                     unerwartet eintreten, entweder weil ihnen zuvor            mit Gefühlen von Scham, weil
                                     die Suizidalität nicht bekannt war oder weil sie von       Suizid als Stigma erlebt wird.
                                     deren Verbesserung (z. B. nach einer begonnen Be-
                                     handlung) ausgegangen sind. Personen, die versu-
                                     chen einen anderen Menschen von einem Suizid            oder Ungläubigkeit auslösen. Manche Mitbetroffe-
                                     abzuhalten oder diejenigen waren, die den Verstor-      ne erleben auch Ärger oder Wut auf den Verstorbe-
                                     benen aufgefunden haben, werden sehr plötzlich          nen oder kämpfen mit Scham oder Schuldgefühlen.
                                     und unerwartet mit einer lebensentscheidenden
                                     Situation konfrontiert. Dies kann beispielsweise        Bislang gibt es keine eindeutigen Befunde, ob sich
                                     Rettungskräfte, Angehörige, professionelle Helfer,      die Trauer nach einem Suizid von der Trauer nach
Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

                                     aber auch Passanten betreffen.                          einem Todesfall aufgrund einer anderen Ursache
                                                                                             unterscheidet (McIntosh, 1996; Seibl et al., 2001).
                                     Auswirkungen von Suiziden auf Mitbetroffene             Einige Autoren sehen vor allem Gemeinsamkeiten
                                     Grundlegend ist zu beachten, dass die Reaktionen        hinsichtlich Dauer, Prozess, Bewältigung und The-
                                     auf einen Suizid sehr unterschiedlich sein können       men der Trauer (z. B. DeLeo et al., 2013; Sveen et
                                     und eine noch stärkere Variabilität aufweisen als       al., 2008). Andere Autoren betonen mehr die Unter-
                                     bei Hinterbliebenen von Verstorbenen mit anderen        schiede in der Trauer nach Suizid (z. B. Dunne et
                                     Todesursachen (Bailley et al., 1999). Für das Aus-      al., 2009; Jordan, 2001), wobei diese insbesondere
TRAUER AM ARBEITSPLATZ - Schwerpunkt: Hospiz-Dialog Nordrhein-Westfalen - ALPHA NRW
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     in den ersten zwei Jahren zu bestehen scheinen.     beigetragen hat. In der Verzweiflung und Hilflosig-
     Spezifisch für die Trauer nach Suizid scheinen dem- keit kann es auch zu Vorwürfen an andere Personen
     nach Gefühle von Schuld und Mitverantwortung am     kommen, weil diese vermeintlich nicht ausreichend
     Suizid zu sein. Aufgrund von Schamgefühlen und      aufgepasst haben oder in der Behandlung etwas
     weil der Suizid als Stigma erlebt wird, kommt es    übersehen haben. Insgesamt suchen Mitbetroffene
     oftmals zu einer Geheimhaltung der Todesumstände.   typischerweise nach Gründen für den Suizid. Sie
     Darüber hinaus wurden                                                       wollen verstehen, was den
     spezifische Auswirkungen                                                    Suizidenten zu seinem
     auf die Familienstruktur in » Bei Nahestehenden, aber auch                  Suizid bewogen hat, was
     Folge eines Suizides be-         bei den Behandlern, kann es                er in seinen letzten Stun-
     schrieben (Feigelman et          zu Selbstbeschuldigung oder                den des Lebens gedacht
     al., 2008; Wagner, 2014;                                                    oder erlebt hat, ob er
     McIntosh et al.,1992).           Gefühlen von Unzulänglichkeit gelitten hat und ob der
                                      kommen.                                    Suizid irgendwie hätte ver-
     Einige Mitbetroffene von                                                    hindert werden können.
     Suiziden fühlen sich von                                                    Diese Fragen stellen sich
     dem Verstorbenen zurückgewiesen oder haben das      nicht nur nahe Angehörige, sondern auch andere
     Empfinden, verlassen worden zu sein (Bailly et al., Personen im sozialen Umfeld sowie professionelle
     1999). Oft beschäftigt Mitbetroffene die Frage, ob  Helfer verschiedener Berufsgruppen. Auch bei den
     sie hätten etwas tun können oder müssen, um den     Behandlern kann es zu Reaktionen wie Selbstbe-
     Suizid zu verhindern. Manche Mitbetroffene          schuldigung, Gefühlen persönlicher Unzulänglich-
     fragen sich, ob sie etwas gesagt, getan oder ver-   keit und zu einem Gefühl der Verantwortung für
     säumt haben, das zu der suizidalen Entwicklung      den Tod des Patienten kommen.

                                                                                                               Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78
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                                     Manchmal entsteht bei Mitbetroffenen auch das          men Todesfällen oder Suizid zeichnet sich darüber
                                     Gefühl der Erleichterung, vor allem wenn dem           hinaus durch einen Schock und das Gefühl der
                                     Suizid eine lange und schwere (psychische) Erkran-     Unwirklichkeit aus. Bei Trauer nach gewaltsamen
                                     kungsphase vorausgegangen ist oder eine hoff-          Todesfällen oder Suizid haben die Betroffenen
                                     nungslose Situation bestand. Als erleichternd kann     möglicherweise ein Trauma erlebt, indem sie die
                                     es auch empfunden werden, wenn nach einem              Leiche eines Menschen, der an einer gewaltsamen
                                     längerfristigen Bemühen, den Suizid einer Person       Todesursache gestorben ist, gefunden oder gese-
                                     zu verhindern, letztlich die ständige Angst und der    hen haben. Ferner teilen sie die zerstörte Illusion
                                     hiermit verbundene Druck vorbei sind. Auch Ärger       der eigenen Un-
                                     auf den Suizidenten und die Frage „Wie konnte er       verwundbarkeit.
                                     mir das nur antun?“ sind nicht untypische Folgen.      Typisch für die » Ein Suizid ist häufig mit
                                     Manche Mitbetroffene berichten auch das Gefühl         Trauer nach Sui-     Geheimhaltung nach außen,
                                     von Scham in Folge des Suizides. Hierbei spielen       zid in Abgren-
                                     neben der eigenen Einstellung auch die Ansicht zu      zung zu allen        aber auch nach innen
                                     Suiziden in Kultur, Gesellschaft oder Religion sowie   anderen Arten        verbunden.
                                     die erwartete Einstellung wichtiger anderer Perso-     von Todesfällen
                                     nen eine entscheidende Rolle. In vielen Kulturen       ist der Ärger auf
                                     und Religionen ist der Suizid ein Tabu und berührt     den Verstorbenen, Wut sowie der Eindruck, zurück-
                                     grundlegende Fragen der Lebenseinstellung. Dies        gewiesen oder verlassen worden zu sein (Jordan et
                                     kann dazu führen, dass Mitbetroffene nicht offen       al., 2011).
                                     über die Ereignisse sprechen oder es ihnen schwer-
                                     fällt, sich Unterstützung zu holen. Befunde zeigen,    Unterstützungsangebote für Mitbetroffene
                                     dass Hinterbliebene nach Suizid weniger Unterstüt-     Welche Unterstützungsangebote von Mitbetroffe-
                                     zung erhalten als Hinterbliebene anderer Todesar-      nen benötigt werden, variiert in zeitlichem Abstand
                                     ten. Ferner sehen sie sich häufiger mit Ablehnung      zum Suizidereignis und in Abhängigkeit vom Aus-
                                     und Vorurteilen konfrontiert (Seibel et al., 2001;     maß der emotionalen Betroffenheit. Im Folgenden
                                     Winter et al., 2005).                                  sollen nur die Unterstützungsmöglichkeiten für die
                                                                                            Situation unmittelbar nach dem Erhalt der Todes-
                                     Familienangehörige von Suizidenten können län-         nachricht dargestellt werden. Diese ist von einem
                                     gerfristige Folgen durch den Suizid erfahren, weil     Schock gekennzeichnet. Mitbetroffene sind auf ge-
                                     das bisherige Familiengefüge ins Wanken gerät          danklicher und emotionaler Ebene stark durch das
                                     (Winter et al., 2005). In manchen Familien wird        Geschehen beeinflusst. Auch auf körperlicher
                                     nicht über den Verstorbenen gesprochen oder es         Ebene kommt es zu Stressreaktionen. Auf Hand-
                                     finden keine offenen Gespräche über den Suizid         lungsebene kommt es zu einer plötzlichen Unter-
                                     und dessen Folgen statt. Manchmal werden die To-       brechung der eigentlichen Abläufe und Tätigkeiten.
                                     desumstände auch gegenüber einzelnen Familien-         Es ist eine Situation, in der innerlich und äußerlich
                                     mitgliedern geheim gehalten, so dass der Suizid        Chaos und Alarmbereitschaft herrschen. Die
                                     als Familiengeheimnis behandelt wird (Pitman et        gewohnten Alltagsroutinen sind unterbrochen, eine
                                     al., 2014). Durch den Wegfall einer Person kommt       Ausnahmesituation liegt vor.
                                     es zu veränderten Rollenzuteilungen innerhalb der
                                     Familie und der Familienzusammenhalt kann sich         Eine Unterstützung in der Verarbeitung der Nach-
                                     ändern (Wagner, 2014).                                 richt und zur Reduktion des Stresses kann
                                                                                            beispielsweise in der Anwesenheit anderer Perso-
                                     In einem Modell hat man versucht, die Unterschiede     nen oder der gemeinsamen Durchführung von
                                     und Gemeinsamkeiten von Trauer nach verschie-          Ritualen liegen. Betroffene sollten über das
                                     denen Todesursachen zusammenzufassen.                  Geschehen sprechen dürfen, aber hierzu nicht
Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

                                     Verglichen wurden die Charakteristika von Trauer       gedrängt werden. Weiterhin kann es für Mitbetrof-
                                     insgesamt mit denen von Trauer nach unerwarteten       fene hilfreich sein, wenn man ihnen bei der Umor-
                                     Todesfällen, von Trauer nach gewaltsamen Todes-        ganisation von privaten oder beruflichen Aufgaben
                                     fällen sowie von Trauer nach einem Suizid. Der         und Terminen hilft und mit ihnen klärt, welche
                                     Trauer nach allen Arten von Todesfällen ist der        weiteren Unterstützungen sie benötigen. Beispiels-
                                     Schmerz, das Leid und die Sehnsucht, mit dem           weise könnten weitere Unterstützungen im Familien-,
                                     Verstorbenen wieder vereint zu sein, gemeinsam.        Freundes- oder Kollegenkreis organisiert werden,
                                     Trauer nach unerwarteten Todesfällen, gewaltsa-        damit der Mitbetroffene auch in den nächsten
12

     Tagen Ansprechpartner hat. Ferner könnte ein Arzt-                        Study. British Journal of Psychiatry, 170, 441-446.
     kontakt notwendig sein oder Gespräche mit Seel-                      DeLeo, D., Cimitan, A., Dyregrov, V., Grad, O., Andriessen, K.
                                                                               (Eds.). (2013). Bereavement after Traumatic Death. Helping
     sorgern oder einem Psychotherapeuten gewünscht                            the Survivors. Göttingen: Hogrefe.
     werden, die organisiert werden müssen (Illes et al.,                 Dunne, E.J., Dunne-Maxim, K. (2009). Why Suicide Loss is dif-
     2014; Teismann et al., 2016).                                             ferent for Survivors. In: D. Wasserman, C. Wasserman
                                                                               (Eds.). Oxford Textbook of Suicidology and Suicide Preven-
                                                                               tion. A Global Perspective (605-608). Oxford, UK: Oxford
     Die bisherigen Unterstützungsangebote für Ange-                           University Press.
     hörige beruhen größtenteils auf ehrenamtlicher Ar-                   Feigelman, W., Jordan, J.R., Gorman, B.S. (2008). How They
     beit. Die häufigste Form von Unterstützungsange-                          died, Time since Loss and Bereavement Outcomes, OMEGA-
     boten sind Selbsthilfegruppen für Suizidhinterblie-                       Journal of Death and Dying, 58, 251-273.
                                                                          Ilgen, M.A., Kleinberg, D., Ignacio, R.V., Bohnert, A.S.B., Va-
     bene. Adressen können beispielsweise über AGUS                            lenstein, M., McCarthy, J.D., Blow, F.C., Katz, I.R. (2013).
     e. V. (Angehörige um Suizid) bezogen werden                               Noncancer Pain Conditions and Risk of Suicide. Archives of
     (www.agus-selbsthilfe.de).                                                General Psychiatry, 70, 692-697.
                                                                          Illes, F., Jendreyschak, J., Armgart, C., Juckel, G. (2014). Suizide
                                                                               im beruflichen Kontext. Bewältigungsstrategien für Mitar-
     Mitbetroffene, die im beruflichen Kontext einen
                                                                               beiter im Gesundheitswesen und Rettungsdienst. Stuttgart.
     Suizid erleben, müssen in solchen Situationen                             Schattauer.
     trotzdem koordiniert handeln und relevante                           Jordan, J.R., McIntosh, J.L. (2011). Is Suicide Bereavement
     Aufgaben erledigen. Daher empfiehlt es sich in                            different? A Framework for Rethinking the Question. In JR
     beruflichen Bereichen, in denen häufiger Suizide                          Jordan & JL McIntosh (Eds.), Grief after Suicide (pp. 19-42).
                                                                               New York, NY: Routledge.
     auftreten, schon im Vorfeld Ablaufpläne und mög-                     Keiser, O., Spoerri, A., Brinkhof, M., Hasse, B., Gayet-Ageron,
     liche Unterstützungsangebote sowie Ansprechpart-                          A., Tissot, F. et al. (2010). Suicide in HIV-Infected Individuals
     ner zu definieren. Dies erleichtert die Abläufe in                        and the General Population in Switzerland, 1988-2008.
     der Akutsituation, da eine Vorgabe vorliegt, an der                       American Journal of Psychiatry, 167, 143-150.
                                                                          McIntosh, J.L., Kelly, L.D. (1992). Survivors‘ Reactions: Suicide
     man sich orientieren kann. In manchen Kliniken                            vs other Causes, Crisis, 13, 82-93.
     wurden beispielsweise Teams zur kollegialen Unter-                   McIntosh, J.L. (1996). Survivors of Suicide: A Comprehensive
     stützung etabliert und geschult, die für Kollegen                         Bibliography Update, 1986-1995. Omega, 33, 147-175.
     als Ansprechpartner in belastenden Situationen                       Mitchell, A.M., Kim, Y., Prigerson, H.G., Mortimer-Stephens,
                                                                               M. (2004). Complicated Grief in Survivors of Suicide. Crisis,
     dienen (Illes et al., 2014).                                              25, 12-18.
                                                                          Pitman, A., Osborn, D., King, M., Erlangsen, A. (2014). Effects
                                                                               of Suicide Bereavement on Mental Health and Suicide Risk.
                                        Dr. Franciska Illes                    Lancet Psychiatry, 3, 1-9.
                                                                          Seibl, R., Antretter, E., Haring, C. (2001). Konsequenzen eines
                     LWL-Universitätsklinik für Psychiatrie,
                                                                               Suizids für Personen im Umfeld des Suizidenten. Stand der
                     Psychotherapie und Präventivmedizin                       Forschung, offene Fragen und Aufgaben zukünftiger For-
                                      Alexandrinenstr. 1-3                     schung. Psychiatrische Praxis, 28, 316-322.
                                            44791 Bochum                  Statistisches Bundesamt (2015). Todesursachenstatistik, Zu-
                                                                               griff am 23.11.18 unter: https://www.destatis.de/DE/
                                                                               Publikationen/Thematisch/Gesundheit/Todesursachen/
                                                                               Todesursachen2120400157004.pdf?__blob=publicationFile.
     Literatur                                                            Sveen, C.A., Walby, F.A. (2008). Suicide Survivors’ Mental Health
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         atry, 4, 37.                                                     Teismann, T., Koban, C., Illes, F., Oermann, A. (2016). Psycho-
     Bailley, S.E., Kral, M.J., Dunham, K. (1999). Survivors of Suicide        therapie suizidaler Patienten. Therapeutischer Umgang mit
         do Grieve differently: Empirical Support for a Common Sen-            Suizidgedanken, Suizidversuchen und Suiziden. Göttingen:
         se Proposition. Suicide and Life-Threatening Behavior, 29             Hogrefe.
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         ning Behavior, 32, 1-9.                                               Hinterbliebener nach Suizid. Verhaltenstherapie, 15,
                                                                                                                                                   Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

     Brown, G.K., Beck, A.T., Steer, R.A., Grisham, J.R. (2000). Risk          47-53.
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         social and Psychiatric Risk Factors for Suicide; Case Control
13

                                     DYING MATTERS
                                     ODER STERBEN GEHT UNS ALLE AN
                                     Eine britische Initiative
                                     STEPHANIE OWENS

                                     D
                                                ying Matters ist eine Initiative, die im     als 500 Veranstaltungen
                                                Jahr 2009 ins Leben gerufen wurde mit        im ganzen Vereinigten Kö-
                                                dem Ziel, die Aufmerksamkeit für             nigreich und etwa 50 Er-
                                                Sterben, Tod und Trauer zu fördern. Zu       wähnungen in lokalen Zei-
                                     Beginn war sie Teil des „National Council for Pallia-   tungen. Dying Matters or-
                                     tive Care“. Seit Juli 2017 ist sie der Organisation     ganisiert dabei selbst
                                     „Hospice UK“ angegliedert.                              keine Veranstaltungen, un-
                                                                                             sere Mitarbeiter bemühen
                                     Einmal im Jahr findet eine Aktionswoche statt, die      sich jedoch, an so vielen
                                     unseren Unterstützern die Gelegenheit bietet, Ver-      Veranstaltungen wie mög-
                                     anstaltungen im Rahmen eines Themas durchzu-            lich teilzunehmen. Einer
                                     führen. In Vorbereitung auf das zehnjährige Jubi-       der diesjährigen Höhe-
                                     läum lautete das Thema der Aktionswoche in die-         punkte war für mich der
                                     sem Jahr: „Are We Ready?“ („Sind wir bereit?“). In      Besuch der Stadt Leices-                        Stephanie Owens
                                     diesem Rahmen werden Fragen danach gestellt,            ter, wo ich mit Menschen
                                     wie wir auf unseren eigenen Tod vorbereitet sind,       über Hospiz- und Palliativversorgung sprechen
                                     z. B. hinsichtlich der Bestattungsplanung, des Ad-      konnte. Es handelte sich um eine ganztägige Ver-
                                     vance Care Planning, der Testamentserstellung           anstaltung, einschließlich eines Informationsstan-
                                     oder der Organspende, oder ob wir bereit sind,          des, an dem sich die Bürgerinnen und Bürger in-
                                     anderen zu helfen, z. B. verbunden mit der Frage,       formieren und über die Möglichkeit, sich in ihrer
                                     wie wir Familie und Freunde in dieses Thema ein-        Gemeinde einzubringen, erkundigen konnten.
                                     beziehen.
                                                                                             Zu den im Verlauf einer Aktionswoche angespro-
                                     Ich persönlich habe in diesem Jahr zum vierten Mal      chenen Inhalten gehören das Thema „Sterben in
                                     an der Aktionswoche, die von Jahr zu Jahr Zuwachs                  verschiedenen Glaubensgemeinschaf-
                                     erfährt, teilgenommen. So gab es im                                ten und Kulturen“ oder die Fragen
                                     Jahr 2018 mehr                                                      „Wie spricht man mit Kindern über
                                                                                                         das Sterben?“ und „Wie geht man am
                                                                                                          Arbeitsplatz mit Trauer um?“ Wäh-
                                                                                                          rend diese Themen stets eine hohe
                                                                                                           Aufmerksamkeit erhalten, glaube
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     ich jedoch, dass es immer das Hauptanliegen von         gibt viele Möglichkeiten, sich rund um Dying
     Dying Matters sein wird, Menschen dazu zu               Matters zu engagieren und die damit verbundenen
     bewegen, den Tod als normalen Bestandteil des           Ziele zu unterstützen. Man kann ein „Death Café“
     Lebens zu sehen, der offener diskutiert werden sollte   oder einen Informationsstand organisieren, man
     als bisher. Denn während der Tod in der Vergan-         kann auf andere Weise kreativ werden oder einfach
     genheit häufiger zu Hause erlebt wurde und auch         mit einem Freund oder Angehörigen sprechen. Das
     die Pflege durch Angehörige stattfand, ist er in der    Wichtigste ist, dass wir über Sterben, Tod und
     Gegenwart zur vornehmlich medizinischen                 Trauer reden.
     Problemstellung gemacht worden, mit dem Kran-
     kenhaus als Hauptanlaufstelle.
                                                                                            Stephanie Owens
     Außerhalb der Aktionswoche versuchen wir, uns                                      34-44 Britannia Street
     ganzjährig für Dying Matters zu engagieren. Im                                     London, WC1X 9JG, UK
     Januar werden wir ein Seminar ausrichten, in dem                                 s.owens@hospiceuk.org
     wir erläutern wollen, wie man Veranstaltungen im                                   www.dyingmatters.org
     Rahmen von Dying Matters arrangieren kann. Es
                                                                                                                 Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78
TRAUER AM ARBEITSPLATZ                        15

                                     TRAUERBEGLEITUNG AM ARBEITSPLATZ –
                                     EINE HERAUSFORDERUNG FÜR
                                     ORGANISATIONSKULTUR UND
                                     UNIVERSITÄRE BILDUNG
                                     URSULA ENGELFRIED-RAVE

                                     T
                                               rauer am Arbeitsplatz zuzulassen, offen      und Einsamkeit genannt. Gera-
                                               mit dem Verlust umzugehen, auch wenn         de am Arbeitsplatz ist es aber
                                               man vermeintlich Schwäche zeigt, wäre        auch oft die zwischenmensch-
                                               eine Alternative zur stummen Ignoranz,       liche Kommunikation, die Trau-
                                     mit der Trauerfällen im Alltag häufig begegnet wird.   ernde als wenig hilfreich emp-
                                     (Roth 2011, S.: 173)                                   finden. Arbeit kann jedoch für
                                                                                            Trauernde eine Hilfe sein, den
                                     Ein Anliegen des inzwischen verstorbenen Bestat-       Tagesablauf zu strukturieren,
                                     ters und Trauerbegleiters Fritz Roth war die Ent-      sich abzulenken, soziale Kon-
                                     tabuisierung von Trauer. In seinem Buch „Das letzte    takte aufrechtzuerhalten und
                                     Hemd ist bunt“ plädiert er für einen offenen           an den alltäglichen Erfordernis-
                                     Umgang mit Trauer – auch am Arbeitsplatz. Trauer-      sen des Lebens teilzunehmen.
                                     situationen am Arbeitsplatz sind gegeben, wenn         Die betriebliche Mitarbeiterfür-
                                                                                                                                         Dr. Ursula Engelfried-Rave
                                     Vorgesetzte, Kollegen und Mitarbeiter plötzlich        sorge steht dann vor der Aufgabe,
                                     oder nach langem Leiden verstorben sind oder den       individuelle Unterstützungs-
                                     Tod eines nahestehenden Menschen erfahren              leistungen für Trauernde anzubieten.
                                     haben. Werden Trauernde im privaten Bereich noch
                                     weitgehend von Verwandten und Freundeskreis            Unternehmensleitungen befinden sich hier in einer
                                     aufgefangen, befinden sie sich am Arbeitsplatz in      Dilemma-Situation, gilt es doch, einerseits effizient
                                     einem öffentlichen Bereich, an dem sie funktionie-     zu arbeiten, andererseits Fürsorge für Mitarbeiter-
                                     ren müssen. Dies führt häufig dazu, dass Trauer-       innen und Mitarbeiter zu tragen. Bei Organisatio-
                                     gefühle bei den Trauernden unterdrückt werden          nen wie Polizei, Feuerwehr oder Verkehrsbetrieben
                                     oder Kollegen und Vorgesetzte die Problematik          sind die Mitarbeiter mit Suiziden, tödlichen
                                     ignorieren.                                            Unfällen, Gewalttaten oder Katastrophen konfron-
                                                                                            tiert. Während solche „katastrophenanfälligen“
                                                                                            Organisationen in der Regel über ein Notfallma-
                                          » Trauernde befinden sich am                      nagement für ihr Personal verfügen, ist es in vielen
                                            Arbeitsplatz in einem                           anderen Organisationen von der Organisationskul-
                                                                                            tur abhängig, wie Trauersituationen am Arbeits-
                                            öffentlichen Bereich, in dem
                                                                                            platz begegnet wird. Neben ethischen Aspekten,
                                            sie funktionieren müssen.                       wie der Wertschätzung den Mitarbeitern und Mit-
                                                                                            arbeiterinnen gegenüber, erfordern auch der Fach-
Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

                                     An der Arbeitsstelle kann es aber durch psychische     kräftemangel und zunehmender Fachkräftebedarf
                                     und physische Belastungen während des Trauer-          hier ein Umdenken in der Personalpolitik, um die
                                     prozesses zu Überforderungen und manchmal auch         Beschäftigungsfähigkeit (Employability) der Betrof-
                                     zu längeren Krankheitsausfällen kommen. So             fenen zu erhalten.
                                     klagen Trauernde häufig über Schlafprobleme,
                                     Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und Rückenpro-         Modelle und Initiativen, die sich dieser Thematik
                                     bleme. Als psychische Probleme werden Konzen-          annehmen, gibt es bereits. So plädiert das Modell
                                     trationsstörungen, Schuldgefühle, Angstzustände        der lebensphasenorientierten Personalpolitik von
16   SCHWERPUNKT

     Jutta Rump und Silke Eilers vom Institut für Be-    betrieblichen Mitarbeiterfürsorge zu etablieren.
     schäftigung und Employability IBE für eine gezielte Gegründet wurde die Initiative von dem Kardiolo-
     und individuelle Unterstützung des Personals in     gen und Palliativmediziner Martin Fuchs. In seinem
     kritischen Lebenssituationen. Eine gute Unterneh-   langen Berufsleben machte er die Erfahrung, dass
     menskultur zeigt sich nach Ansicht der beiden       Trauernde und ihre Probleme häufig nicht wahrge-
     Wissenschaftlerinnen                                                             nommen werden. Bei
     darin, dass es gelingt,                                                          Frau Barbara Koch,
     die Erfordernisse be- » In einer guten Unternehmens-                             Geschäftsführerin bei
     stimmter Lebensphasen         kultur gelingt es, die Erfordernisse der Handwerkskammer
     und kritischer Lebens-                                                           Koblenz, stieß die Idee
     ereignisse im Arbeitsle-      kritischer Lebensereignisse zu                     auf Interesse, da mittle-
     ben zu berücksichtigen        berücksichtigen.                                   re und kleinere Hand-
     und Unterstützung an-                                                            werksbetriebe oft nicht
     zubieten, ohne dabei die betrieblichen Erforder-    die formalen Unterstützungsfunktionen haben, um
     nisse zu vernachlässigen.                           Trauernde zu beraten. Wenig später konnte auch
                                                         das Institut für Soziologie der Universität Koblenz-
     Seit 2010 arbeitet die Initiative „Trauer und ihre  Landau, Campus Koblenz, für die wissenschaftliche
     Begleitung am Arbeitsplatz“ im institutionellen     Begleitung gewonnen werden.
     Rahmen der Handwerkskammer Koblenz kontinu-
     ierlich an der Umsetzung, Trauer als Aufgabe der    Die Initiative sieht ihre Arbeitsschwerpunkte in der
                                                         Betreuung eines Notfalltelefons, das offen ist für
                                                         alle Trauernden und Betriebe, auch außerhalb der
                                                         Handwerkerschaft. Ein interdisziplinäres Team
                                                         steht dann für die weitere Begleitung zur Verfü-
                                                         gung. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Öffentlich-
                                                         keitsarbeit, um Betriebe für die Situation von
                                                         Trauernden zu sensibilisieren. In diesem Rahmen
                                                         werden Vorträge, Fortbildungsveranstaltungen und
                                                         Ausstellungen angeboten. Außerdem werden
                                                         laufend Handreichungen für die unterschiedlichen
                                                         Zielgruppen, die von Trauer am Arbeitsplatz betrof-
                                                         fen sind, erarbeitet. Aktuell wird ein Netzwerk
                                                         „Trauerbegleitung am Arbeitsplatz“ gegründet, um
                                                         den ganz unterschiedlichen Trauerinitiativen ein
                                                         Forum zu bieten.

                                                           Neben der wissenschaftlichen Begleitung der Initi-
                                                           ative „Trauerbegleitung am Arbeitsplatz“ bietet
                                                           Dr. U. Engelfried-Rave auch Lehrveranstaltungen
                                                           an, um Studierende für die Problematik von
                                                           Sterben, Tod und Trauer in privaten und beruflichen
                                                           Kontexten zu sensibilisieren. Das Seminar
                                                           „Thanatosoziologie“ beschäftigt sich mit aktuellen
                                                           Diskursen dieser Spezialdisziplin wie dem gesell-
                                                           schaftlichen Umgang mit Sterbenden, Fragen der
                                                           Transmortalität und der Erinnerungskultur. Lehrfor-
                                                                                                                  Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

                                                           schungsprojekte zur Trauerbegleitung bieten Mög-
                                                           lichkeiten, vertiefte Kenntnisse zu erwerben. Neben
                                                           der Auseinandersetzung mit den Grundproblema-
                                                           tiken der Trauer erhalten die Studierenden auch
                                                           die Möglichkeit, in einem Wochenendseminar mit
                                                           einer ausgebildeten Trauerbegleiterin eigene Trau-
                                                           ererfahrungen zu reflektieren. Abgerundet werden
                                                           diese Seminare durch eigene Forschungsarbeiten
TRAUER AM ARBEITSPLATZ                         17

                                     der Studierenden im Berufsfeld Trauer- und Trau-      Literatur
                                     erbegleitung. Da die Problematik von Sterben, Tod     Engelfried-Rave, U., Fuchs, M., Koch, B. (2018). Trauerbeglei-
                                     und Trauer im Pädagogikstudium nur marginal the-          tung am Arbeitsplatz – ein Gewinn für alle Beteiligten. In:
                                                                                               Marose, Monika (Hrsg.). Sterben, Tod und Trauer im Reli-
                                     matisiert wird, haben Studierende im Bachelorstu-         gionsunterricht an berufsbildenden Schulen (BRU). Müns-
                                     diengang Pädagogik in einem Forschungsseminar             ter New York, S.: 37–47.
                                     pädagogische Konzepte für die Trauerbegleitung        Fässler-Weibel, P. (Hrsg.) (2005). Trauma und Tod am Arbeits-
                                     entwickelt.                                               platz. Paulusverlag, Freiburg Schweiz.
                                                                                           Offermann, F. (2016). Wenn Kollegen trauern. Wahrnehmen ver-
                                                                                               stehen helfen. Kösel-Verlag, München.
                                     Die Konzepte beinhalten Unterrichtseinheiten für      Roth, F. (2011). Das letzte Hemd ist bunt. Die neue Freiheit in
                                     Schulen, Workshops für Berufsanfänger, Bilderbü-          der Sterbekultur. Campus Verlag, Frankfurt.
                                     cher für Kindergartenkinder, Handreichungen für       Rump, J., Eilers, S. (2012). Facetten einer lebensphasen- oder
                                                                                               krisenorientierten Personalpolitik. Handlungsreich und
                                     Eltern zum Tod eines Haustieres und Materialien           maßgeschneidert. In: Leidfaden. Fachmagazin für Krisen,
                                     für die Erwachsenenbildung. Das starke Interesse          Leid und Trauer. Göttingen, S.: 8–12
                                     und Engagement der Studierenden in diesen Ver-        Wurth, K. (2017). Trennungsmanagement in Unternehmen.
                                     anstaltungen zeigt, dass sich junge Menschen der          Trennungsprozesse in Führung und Personalwesen fair und
                                                                                               transparent. Springer, Wiesbaden.
                                     Problematik von Sterben, Tod und Trauer stellen
                                     und für ihre Persönlichkeitsbildung und ihr künfti-
                                     ges berufliches Tätigkeitsfeld zu nutzen wissen.

                                                      Dr. phil. Ursula Engelfried-Rave
                                                 Institut für Soziologie der Universität
                                                    Koblenz-Landau, Campus Koblenz
                                                            engelfried@uni-koblenz.de
                                      Kooperation mit der Initiative „Trauerbegleitung
                                     am Arbeitsplatz“ der Handwerkskammer Koblenz,
                                                   vertreten durch Frau Barbara Koch,
                                               Geschäftsführerin und Personalleiterin.
                                                   trauerbegleitung@hwk-koblenz.de

                                       Ich arbeite als Grundschullehrerin und leitete, als mein Mann starb, ein zweites
                                       Schuljahr. Der intensive Kontakt mit den Kindern tat mir damals sehr gut. Ihr
                                       Fokus auf das Hier und Jetzt, ihre Freude, mich nach sieben Wochen wiederzu­
                                       sehen, gaben mir Kraft. Wenn mir auf dem Schulweg ein fröhliches „Guten
                                       Morgen Frau W.“ oder „Hallo Frau W.“ zugerufen wurde, tat das offene Zugehen
                                       auf mich einfach gut.

                                       Der Umgang zwischen den Kollegen und mir war teilweise durch viel Unsicher­
                                       heiten und Ängste, etwas Falsches zu sagen oder zu tun, geprägt. Bis auf wenige
                                       Ausnahmen wurde der Tod meines Mannes von den Kollegen tabuisiert. Die
                                       Kollegen fühlten sich unsicher und ich spürte, dass es ihnen unangenehm war,
Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

                                       mir zu begegnen. Der Umgang miteinander fand fast nur auf fachlicher Ebene
                                       statt. Ich habe es als tröstend erlebt, dass mich eine Kollegin einfach nur in den
                                       Arm genommen hat und mit mir geweint hat.
                                                                                                                A., 63 Jahre
18   SCHWERPUNKT

     TRAU DEINER HOFFNUNG MEHR ALS
     DEINER VERZWEIFLUNG
     Institut für berufsorientierte Religionspädagogik der Uni Bonn vermittelt
     Kompetenzen zu „Sterben, Tod und Trauer“ im Kontext der Arbeitswelt
     MONIKA MAROSE

     E
                 rfahrungen von Sterben, Tod und Trauer       staltungen der Kompetenzvermittlung zum
                bestimmen die Lebenswelt Arbeit in weit-      Themenfeld „Sterben, Tod und Trauer“. Das bibor
                aus höherem Maße als gemeinhin ange-          veröffentlicht Fachliteratur, Unterrichtsmaterialien
                nommen. Mittlerweile ist belegt, dass Kri-    und bietet Expertise im Rahmen von Veranstaltun-
     sen in Folge von Verlusterfahrungen Unternehmen          gen, Vorträgen und Workshops. Das Institut hat die
                        und Organisationen wirtschaftlich     Aufgabe, den Berufsschulreligionsunterricht (BRU)
                        erheblich beeinträchtigen können      in Nordrhein-Westfalen zu erforschen und zu
                        (vgl. z. B. Thelen, 2017, S. 1-14),   stärken, denn das Fach vermittelt wesentliche
                        mangelt es an Sensibilität im Um-     Kompetenzen für Ausbildung und Beruf. Die
                        gang mit betroffenen Mitarbeitern,    Bedeutsamkeit des Religionsunterrichts an berufs-
                        Vorgesetzten oder auch Kunden.        bildenden Schulen wird bei kaum einem Sujet so
                        Das im Jahr 2015 durch den Deut-      deutlich wie angesichts der Konfrontation mit
                        schen Bundestag verabschiedete        existentiellen Verlusterfahrungen.
                        Präventionsgesetz rekurriert u. a.
                        auf diesen Bereich und fordert und    Das komplexe Phänomen der Trauer erfordert
                        fördert präventives Handeln von       konzertierte Anstrengungen möglichst vielfältiger
                        Sozialversicherungsträgern, Län-      Partner. Das bibor kooperiert u. a. mit der Hand-
                        dern und Kommunen im Dienste der      werkskammer Koblenz, dem Institut für Soziologie
                        Gesundheitsförderung. Trauer-         der Universität Koblenz-Landau und dem Institut
                        ereignisse haben nicht nur Auswir-    für Politische Wissenschaft und Soziologie der Uni-
                        kungen auf das soziale Miteinander    versität Bonn. Die Handwerkskammer Koblenz
                        in Betrieben und Unternehmen,         zeichnet verantwortlich für das Projekt „Trauer-
                        sondern auch auf deren Produkti-      begleitung am Arbeitsplatz“. Vor acht Jahren wurde
     Dr. Monika Marose
                        vität. Insolvenzen aufgrund eines     es von Frau Barbara Koch, der Geschäftsführerin
                        unsachgemäßen Verfahrens im           der Handwerkskammer Koblenz, und dem Pallia-
     Trauerfall sind nicht selten. Kein Unternehmen           tivmediziner Herrn Dr. Martin Fuchs ins Leben
     heutzutage kann zudem den Verlust von Fachar-            gerufen. Wissenschaftlich begleitet wird das Pro-
     beiterinnen und -arbeitern riskieren, sollten diese      jekt durch Frau Dr. Ursula Engelfried-Rave vom
     sich aus Enttäuschung über unsensibles Auftreten         Institut für Soziologie der Universität Koblenz-
     von Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten               Landau; Initiator der Forschungen ist Prof. Clemens
     einem anderen Arbeitgeber zuwenden. Risiken und          Albrecht, der zwischenzeitlich einen Ruf auf den
     Nachteile, die aus Unkenntnis und Hilflosigkeit im       Lehrstuhl Kultursoziologie an der Universität Bonn
     Umgang mit Erfahrungen von Sterben, Tod und              erhielt.
                                                                                                                     Hospiz-Dialog NRW - Januar 2019/78

     Trauer in der Arbeitswelt erwachsen, sind zahlreich
     – und unbedingt vermeidbar.                              Proprium des (Berufsschul)Religionsunterrichts
                                                              Zahlreiche Unterrichtsfächer vermitteln wichtige
     Institut und Kooperationspartner                         Kompetenzen in der Auseinandersetzung mit dem
     Das „Evangelische Institut für berufsorientierte         Themenfeld. Soziologie, Pädagogik, (Praktische)
     Religionspädagogik“ (bibor) der Rheinischen              Philosophie, Sozial-, Erziehungslehre, Gesund-
     Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn widmet sich          heitserziehung, um nur einige zu nennen, klären
     seit Jahren in Projekten, Publikationen und Veran-       u. a. auf über Trauerprozesse und die Anatomie des
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