Stress, Stressbewältigung und HIV - Medizinische Informationen zu HIV und AIDS
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Medizinische Informationen zu HIV und AIDS Ausgabe 58 Dezember 2006 Stress, Stressbewältigung und HIV Zu dieser Ausgabe Stress kann sich auf vielerlei Weisen auswirken: innere Unruhe, Konzent- rationsschwierigkeiten, permanente Verspannungen oder Depressionen. Nicht immer ist klar, woher er eigentlich kommt. Es können die Sorgen um die eigene Gesundheit, Konflikte in der Partnerschaft oder beruf- liche Überforderung sein, die das Gefühl „gestresst zu sein“ auslösen. Manchmal sind es auch „nur“ die kleinen täglichen Ärgernisse, die dafür verantwortlich sind. Diese MED-INFO-Ausgabe soll in leicht verständlicher Sprache dem Phänomen Stress auf den Grund gehen. Es wird erläutert, was Stress ist, ab wann er gesundheitlich problematisch wird und was jeder selbst dagegen tun kann.
2 Was ist Stress? Früher wurde Stress definiert als eine Alarmreakti- Lagerfeuer entspannen und Kräfte sammeln für on von Tieren und Menschen auf Bedrohung oder das nächste Abenteuer. (siehe Abb. 1, positiver Belastung. Heute geht man davon aus, dass Stress Verlauf einer Stressreaktion). Das „Stress-System“ nicht alleine von der Intensität der Stressauslöser des Menschen stellt in diesem Sinne einen natür- abhängt, sondern, ob ein Mensch seine Situation lichen Schutzmechanismus dar, der den Körper als kontrollierbar erlebt. Nimmt er einen Stress- mobilisiert und zusätzliche Energien bereitstellt. faktor als halbwegs lösbare Herausforderung an, braucht der Körper keine Alarmreaktion. Stres- Das Wissen um die HIV-Infektion stellt jedoch eine sauslöser können äußere Einflüsse wie Lärm oder Bedrohung dar, die weitaus weniger sichtbar und Hitze sein, aber auch persönliche Empfindungen beeinflussbar erscheint. Sie lässt sich weder durch wie berufliche Über- oder Unterforderung, Ein- Angriff noch durch Fluchtverhalten langfristig be- samkeit, ungelöste soziale Konflikte oder chroni- wältigen. Ähnliches gilt für andere existentielle sche Erkrankungen, wie die HIV-Infektion. Bedrohungen, wie lang anhaltende Arbeitslosig- keit oder der Verlust des Partners oder anderer Stress als Notfallreaktion des Körpers enger Bezugspersonen. Im Körper jedoch laufen die selben Vorgänge ab, wie schon zu Zeiten un- Stress ist prinzipiell kein Phänomen unserer neu- serer Vorfahren. eren Zeit. Stressreaktionen sind sehr alte und le- benswichtige Reaktionen. Stressreaktionen sind Guter Stress, schlechter Stress. Ab wann macht menschheitsgeschichtlich biologisch sehr alte Stress krank? und lebenswichtige Reaktionen auf die Wahrneh- mung einer Gefahr oder einer besonderen Anfor- Dass wir immer wieder in Situationen geraten, derung. Sah ein Steinzeitmensch zum Beispiel ein in denen unser Körper durch die Stressreaktion wildes Tier in seiner Umgebung, bekam er einen mobilisiert wird, ist normal. Stress lässt sich nicht Schreck und der Körper wurde blitzschnell für vermeiden: Mal ist es die Aufregung vor einem Verteidigung oder Flucht mobilisiert. Durch die- wichtigen Gespräch oder einem Arztbesuch, mal se noch heute so funktionierende Alarmreaktion ist es die schnippische Bemerkung eines Arbeits- wird dem Organismus Energie zur Verfügung ge- kollegen. Der Stress kann dabei helfen, sich ganz stellt. Die Wahrnehmung und Konzentration wird auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. für den Moment der Bedrohung enorm geschärft. Ist die „stressige“ Situation bewältigt, entsteht Im darauf folgenden Kampf oder in der Flucht oft große Erleichterung und nach einer gewis- wird diese Energie dann in Bewegung umgesetzt sen Zeit das Bedürfnis nach Erholung. (Erschöp- und abgebaut. Wenn alles gut ging, konnte sich fungsphase). Wird die Erholung dann ausreichend unser Vorfahr anschließend beim Spießbraten am umgesetzt, entspannt man sich und Körper und
3 Geist pendeln sich wieder in ein gesundes Gleich- Dauerstress kann sich auch auf den Verlauf der gewicht ein (siehe Abb. 1). Stresserfahrungen wie HIV-Infektion auswirken. In verschiedenen Studi- diese werden von den meisten Menschen als po- en wurde nachgewiesen, dass andauernder Stress sitiv erlebt. und Depressionen (auch zeitweilige) unter ande- rem zu einem Absinken der Helferzellen führen Negativer Stress hingegen entsteht durch nicht kann. Daher kann der Verlauf einer unbehandel- ausreichend bewältigte Erlebnisse. Häufen sich ten HIV-Infektion durch Stress schneller fortschrei- belastende Alltagserfahrungen, insbesondere ten. Aber auch unter einer HIV-Therapie kann sich auf dem Hintergrund eines „chronischen Stress- Stress negativ auswirken. Oft werden Tabletten faktor“, wie z.B. schlecht beeinflussbare Medika- oder ärztliche Anordnungen vergessen oder Arzt- mentennebenwirkungen oder andauernde Kon- besuche „verschoben“. So steigt die Gefahr, dass flikte mit dem Partner oder dem Vorgesetzten, die HIV-Infektion nicht mehr optimal behandelt kann sich dieser Stress zum krank machenden wird und sich der Krankheitsverlauf verschlech- Dauerstress aufschaukeln. (Abb. 2) tert. Zu den bekanntesten Stresserkrankungen zählen: Stressreaktionen sind normal und für den Kör- hoher Blutdruck, Herz- Kreislauf-Erkrankungen, per nicht schädlich. Stress wird erst dann zum Stoffwechselstörungen und Magen-Darm-Erkran- gesundheitlichen Problem, wenn er nicht rich- kungen sowie eine Vielzahl an psychosomatischen tig abgebaut wird und sich über eine lange Zeit Beschwerden. Außerdem kann es zur Entwicklung zum Dauerstress entwickelt. von Depressionen oder chronischen Angstzustän- den kommen.
4 Welche körperlichen Vorgänge laufen in einer Stresssituation ab? Wenn unser Organismus durch eine Alarmreaktion Zeitlich etwas verzögert kommt es über die Ne- mobilisiert wird, werden körpereigene Hormone bennierenrinde zur Ausschüttung von Cortisol. wie Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet. Dieses Hormon verstärkt die Wirkung von Adre- Diese lösen in unserem Körper viele verschiedene nalin und Noradrenalin und vermittelt eine ver- Reaktionen aus, zum Beispiel: mehrte Bereitstellung von Blutzucker. Um dem • Beschleunigter Herzschlag Körper vermehrt Energie zur Verfügung zu stel- • Anstieg des Blutdrucks len, werden Fettreserven und Proteine abgebaut • Verstärkte Durchblutung der Skelettmuskulatur und umgewandelt. Während Adrenalin und Nor- • Verminderte Durchblutung von Magen, Darm adrenalin in der akuten Stressreaktion die Immun- und Haut abwehr eher mobilisieren, kommt es bei länger • Starkes Schwitzen andauerndem Stress durch die Einwirkung von • Beschleunigung des Atems (oft schnell und Cortisol zu einer Hemmung der Produktion und flach) Funktion von unterschiedlichen Abwehrzellen des • Hemmung des Speichelflusses („trockener Immunsystems, so dass die Anfälligkeit für Infek- Hals“) tionserkrankungen steigt. • Hemmung der sexuellen Funktionsfähigkeit • Hemmung der Magen-Darmtätigkeit Was sind „verdeckte“ Stresssymptome? Als zivilisierte Menschen reagieren wir beim von Skelett- oder Haltungsmuskulatur, vermehrter Warten auf dem Sozialamt oder vor einem me- Aktivität von Darm und Drüsen, zu einer Vermin- dizinischen Eingriff, bei hoher Arbeitsbelastung derung der Herz- und Atemtätigkeit sowie zu ei- oder beim Stau im Auto natürlich meist nicht mit ner allgemeinen Reduktion der körperlichen Ener- Kampf oder Flucht. Möglicherweise versuchen gie. In einer akuten Bedrohungssituation ist auch wir die unangenehme Situation zu beeinflussen, dieser Schreckreflex zunächst sinnvoll, da er den lenken uns zum Beispiel mit Lesen ab oder un- Organismus für einen kurzen Moment zur Ruhe terhalten uns mit anderen. Doch oft reichen die- bringt, so dass der „Gestresste“ eine Lösung für se kurzfristigen Versuche der Stressbewältigung die bedrohliche Situation zu entwickeln kann. Er nicht aus. Die Folge: Der Organismus verbleibt im ist in der normalen Stressreaktion der Aktivierung Spannungszustand, Stresshormone werden nicht vorgeschaltet und dauert nur wenige Momente. oder nur ungenügend abgebaut. Es gibt jedoch Menschen, die bei Stress in dieser Die körperlichen Stressreaktionen des modernen Reaktionsweise verbleiben. Bei ihnen sind Ge- Menschen sind verdeckter. Neben den bereits fühle von Angst und starker Hilflosigkeit vorherr- geschilderten akuten Stressreaktionen zeigen sich schend. Menschen mit einer Neigung zu dieser vielgestaltige Veränderungen der Muskeltätigkeit, Reaktionsweise, bleiben in der Schreckreaktion des Verhaltens, der Gefühle und Gedanken. wie gelähmt stecken und kommen nicht zu einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Stressauslö- Eine besondere Form der Stressreaktion stellt der ser. Typische Stresserkrankungen“ sind hier Ma- sogenannte Schreck- oder Todstellreflex dar. An- gen-Darmerkrankungen (z.B. Gastritis), Bronchial- ders als bei der klassischen Stressreaktion, bei der asthma sowie depressive Zustände. der Körper gewissermaßen in Alarmbereitschaft versetzt wird, kommt es hier zu einer Erschlaffung
5 Oft sind aber auch beide Reaktionsweisen ver- • Schulter-, Nackenschmerzen mischt, so dass eine klare Trennung von aktiver • Völlegefühl, Sodbrennen und passiver Stressreaktionen nicht ganz leicht • Atemnot, Brustenge fällt. Die Symptome von Stress können deshalb • Übermäßiges Schlafbedürfnis auch sehr vielgestaltig und zum Teil auch wider- • Kopfschmerzen sprüchlich sein. Verstopfung und Durchfälle kön- • Verstopfung, Durchfälle, Blähungen nen sich abwechseln Verspannungen im Schulter- bereich schließen keine Muskelschlaffheit in den Gedanken Armen aus, Menschen mit ständigem übermäßi- • „Das schaffe ich nie!“ gen Schlafbedürfnis können trotzdem an innerer • „Das wird alles noch böse ausgehen“ Unruhe leiden. • „Das kann nicht gut gehen“ Die Symptome des Stresses sind von der Persön- Gefühle/Empfindungen lichkeit des einzelnen/der einzelnen abhängig • Angst/Panik sowie von der Art und Dauer des Stresses und • Nervosität seiner Bewältigung. Viele Menschen entdecken • Ärger, Wut mit der Zeit bei sich „typische Reaktionsmuster“, • Gereiztheit die dann helfen, Stressreaktionen klarer zuordnen zu können. Verhalten • Hektisches Herumlaufen Körper • Schnelles Essen • Müdigkeit und/oder Schlaflosigkeit • verlangsamte Bewegungen und vermehrtes • Rückenschmerzen Schlafen Welche Stressauslöser gibt es bei HIV? Mit der HIV-Infektion sind eine Vielzahl an Situati- wirkungen zeigt. Vielen hilft es, in diesen Phasen onen verbunden, die Gefühle von Angst und Be- mit Freunden oder anderen Betroffenen über die drohtheit auslösen können. Am Anfang ist es für eigenen Ängste zu sprechen und zu erleben, dass die meisten die Mitteilung des positiven Tester- sie mit ihren Gefühlen nicht alleine da stehen. gebnisses, die starke Stressreaktionen verursacht: Ängste können auch durch Malen, Schreiben oder Innere Unruhe, Schlaflosigkeit, ständiges Grübeln Tanz und Bewegung verarbeitet werden — eine verbinden sich mit Gefühlen wie Angst, Wut oder Erkenntnis, die die Kunsttherapie und Körperori- Trauer. Wie stark solche Reaktionen ausfallen, ist entierte Psychotherapie nutzen. von Mensch zu Mensch unterschiedlich und von einer Vielzahl an Faktoren abhängig. Ist die Diag- Neben den gesundheitlichen Sorgen gibt es noch nose überraschend, oder habe ich ohnehin damit viele zusätzliche Belastungen: Wen informiere ich gerechnet? Weiß ich, wie oder bei wem ich mich über meine HIV-Infektion? Wie gehen andere mit infiziert habe? Kenne ich andere, die infiziert sind? dieser Information um? Schaffe ich meinen Job Wie schätze ich die Behandlungsmöglichkeiten noch? Was sind meine Lebensziele mit und trotz der HIV-Infektion ein? HIV? Nach der ersten Schockphase helfen oft Verdrän- HIV „stresst“ somit auf zweierlei Weisen: Als eine gungsmechanismen, den Alltag wieder zu bewäl- chronische Erkrankung und als eine Infektion, die tigen, zumal die HIV-Infektion ja oft noch keine nach wie vor zur sozialen Ausgrenzung führen Symptome zeigt. kann. Nicht jede(r) schafft es, diese zweifache Herausforderung über Jahre aus eigener Kraft zu Die HIV-Infektion steht wieder im Mittelpunkt, bewältigen. Hier können Beratungseinrichtungen wenn erste Krankheitszeichen auftauchen, die wie Aidshilfen wertvolle Hilfe leisten. Dort besteht Blutwerte sich verschlechtern, der Beginn der auch die Möglichkeit, sich mit anderen Positiven HIV-Therapie ansteht oder diese schwere Neben- auszutauschen.
6 HIV-bedingte Stressauslöser • Mitteilung des positiven Testergebnisses • Schwierigkeiten im Beruf • Gespräche mit (Sex-)Partnern über die eigene HIV-Infektion (Angst vor Ablehnung) • Gesundheitliche Verschlechterung • Beginn der HIV-Therapie • Finanzielle Sorgen (zum Beispiel bei Arbeitslosigkeit, Berufsunfähigkeit) Welches sind „natürliche“ Schutzfaktoren gegen Stress? Auch wenn unser Alltag voll mit Ereignissen ist, zudem, eigene Probleme zu relativieren und Ab- die uns Stress machen können, reagiert nicht lenkung zu finden. jeder Mensch in gleicher Weise auf belastende Ereignisse. Eine Frau, die in einem Bewerbungs- Verhältnis zum Arzt. Wie fit ist mein HIV-Schwer- gespräch entspannt bleibt, ist bei einem Auffahr- punktarzt? Kann ich ihm vertrauen oder bin ich unfall möglicherweise „völlig neben der Spur“. mit der Behandlung und Beratung unzufrieden? Ein Mann, der mit Nebenwirkungen der HIV-The- rapie relativ gelassen umgehen kann, gerät durch Ausgleich. Gibt es Lebensbereiche außerhalb eine unachtsame Bemerkung seines Partners total der Erkrankung, die mir gut tun? (Hobbys, Sport, „aus dem Häuschen“. Woher kommen diese Un- Partnerschaft, Spiritualität …) terschiede? Umgang mit negativen Gedanken. Wie gut bin Jeder bewertet herausfordernde Lebenssituatio- ich in der Lage, aufkommende Ängste und Grü- nen aufgrund seiner bisherigen Erfahrung. Kommt beleien zu stoppen und mit positiven Gedanken er zu dem Urteil, dass alles halb so schlimm ist, da entgegenzuwirken? Denn Grübeleien und sich er schon ähnliche Situationen gut bewältigt hat, wiederholende, sorgenvolle Gedanken dienen gibt es keine oder nur eine sehr milde Stressreak- eher als Stressverstärker. Sie sind in den wenigs- tion. Kommt er allerdings zu dem Urteil, dass er ten Fällen geeignet, ein Problem zu lösen. sich gerade in einer ganz besonders schwierigen und kaum lösbaren Lebenssituation befinde, wird Optimistische Grundeinstellung. Menschen, die er „gestresst“ reagieren. mit einem vielleicht auch unberechtigten Opti- mismus dem Leben begegnen, scheinen Stress Wie stark diese Stressreaktion nun ausfällt, ist zum besser verarbeiten zu können, als Menschen, die Beispiel abhängig von: sich auf alle eventuell eintretenden Ereignisse sor- genvoll vorbereiten. Es ist sicherlich sinnvoll , sich Unterstützung durch Freunde und Familie. Zwi- konkrete Gedanken, zum Beispiel über Fragen schenmenschliche Unterstützung stellt einen der Absicherung im Alter oder Berufsunfähigkeit wichtigen Schutz gegen Stress dar. Doch wie er- zu machen. Dabei soll man versuchen, konstruktiv lebe ich mein soziales Umfeld? Gibt es Menschen an Lösungen heranzugehen, statt sich von negati- mit denen ich über das sprechen kann, was mich ven Angstbildern leiten zu lassen. bewegt? Oder erlebe ich eher Distanz oder sogar Ausgrenzungen? Das Gefühl, in schwierigen Pha- Kontrollfähigkeit. Je stärker man das Gefühl hat, sen nicht alleine zu sein sowie die eigenen Ge- auf seine Umwelt Einfluss nehmen zu können, um fühle offen aussprechen zu können, hilft, Ängste so geringer erlebt man in der Regel Belastungen. zu reduzieren und Stressreaktionen abzumildern. Der Verlauf der HIV-Infektion kann vom Einzelnen Gespräche und gemeinsame Aktivitäten helfen zwar nur gering beeinflusst werden. Eine Teilkon- trolle kann jedoch zum Beispiel durch die Wahl
7 eines geeigneten Arztes, die regelmäßige Me- Distanzierungsfähigkeit. Wie stark „Stressgedan- dikamenteneinnahme oder das Vermeiden von ken“ den Alltag bestimmen, ist auch wesentlich weiteren Gesundheitsrisiken ausgeübt werden. von der Fähigkeit abhängig, sich ablenken zu Natürlich ist die Kontrollierbarkeit der Umwelt können. Jeder hat hier andere Strategien: Eine immer nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Fahrradtour am Wochenende, ein spannendes Doch selbst bei schwerer Erkrankung gibt es oft Buch, die Pflege der Balkonpflanzen, ein Kino- noch Lebensbereiche, die beeinflussbar sind. Dies oder Kneipenbesuch oder Gespräche mit Freun- können zum Beispiel die intensive Beschäftigung den. Die Fähigkeit, das Leben zu genießen oder mit Hobbys, die Hinwendung zu spirituellen Er- in schwierigen Zeiten auch mal über sich selbst fahrungen oder das Vertiefen und Klären beste- lachen zu können, hilft Stress abzubauen. hender zwischenmenschlicher Beziehungen sein. Stress oder Gelassenheit? – Die Bewertung macht's Erst wenn ein Ereignis – bewusst oder unbewusst Die Nachricht des Arztes, hier als möglicher Stres- – als Bedrohung oder Angriff interpretiert wird, sauslöser bezeichnet, kann verschiedene Bewer- reagiert der Körper mit Stress. tungen bei der HIV-positiven Frau hervorrufen: Beispiel: Nach der routinemäßigen Blutuntersu- Das Modell zeigt, dass eine körperliche Stressre- chung auf Viruslast und Helferzellen einer bisher aktion erst dann einsetzt, wenn die Situation tat- unbehandelten HIV-positiven Frau sagt der Arzt: sächlich auch als bedrohlich eingestuft wird (t „Die Viruslast ist etwas angestiegen. Noch nichts Bewertung). Eine moderate Bewertung r wird dramatisches. Wir müssen mal beobachten, wie schon eine wesentliche geringere Reaktion aus- sich das weiter entwickelt.“ lösen, eine positive Bewertung e löst gar keine Stressreaktion aus. Natürlich werden in unserem Beispiel neben der fachlichen Information auch eine Vielzahl an ande- ren Informationen aufgenommen: die Betonung, in der der Arzt die Diagnose mitteilt, seine Kör- perhaltung, Gestik und Mimik etc. All diese Ein- drücke werden in Sekundenschnelle verarbeitet und tragen dazu bei, wie eine Situation bewertet wird. Ob ein Mensch in einer Belastungssituation eher stressbezogen oder gelassen reagiert, hängt in hohem Maße von gelernten Denkweisen ab. Diese Denkweisen werden in der Regel schon als Kind gelernt und haben viel mit dem generellen Selbstverständnis zu tun, mit dem wir auf die Welt blicken. Auch wenn die Art und Weise, wie dramatisch oder gelassen wir auf Stressauslöser reagieren eine lange persönliche Geschichte hat, können Selbstvertrauen und Gelassenheit auch im Erwachsenenalter erworben und weiterent- wickelt werden. Durch gezieltes Training können pessimistische Gedankensysteme aufgedeckt und neue Betrachtungsweisen erprobt werden.
8 Welche Möglichkeiten der Stressbewältigung gibt es? So unterschiedlich Menschen auf Stress reagieren, anzugehen und somit Probleme auch nachhaltig so unterschiedlich sind auch die Versuche, Stress zu lösen. zu bewältigen. Die eine lädt ihren Stress beim Telefonat mit der besten Freundin ab, der ande- Stressauslöser vermeiden – Probleme gezielt re zieht sich zurück und hört Musik oder stemmt angehen Hanteln im Fitnessstudio. Stress gehört zu unserem Leben und Stressauslö- Doch nicht immer bringen die gewohnten Tech- ser sind nicht immer vermeidbar. Trotzdem gibt es niken einen Erfolg. Hilft Musikhören oder ein län- Möglichkeiten, den Einfluss von stressauslösen- gerer Spaziergang vielleicht gut, den Stress mit den Belastungen zu verringern. Lärm-Stress durch einem unfreundlichen Sachbearbeiter abzubau- ein zu lautes Wohnumfeld kann gegebenenfalls en, reichen diese Strategien bei auftauchenden durch Lärmschutzfenster oder einen Umzug nach- Existenzängsten höchstwahrscheinlich nicht aus. haltig abgestellt werden. Doch nicht immer lassen Viele Menschen sind jedoch nicht imstande, ihr sich Stressauslöser so leicht abstellen. Dann hilft Stressbewältigungsverhalten den Stressauslösern es zunächst einmal das Problem und die eigenen anzupassen, sondern verhalten sich in Belastungs- (Stress-)Reaktionen genauer zu untersuchen. situationen immer ähnlich. Stressanalyse: Zunächst sollte man möglichst Folgende Fragen können helfen zu erkennen, genau die Situationen beobachten, in denen das welches Stressbewältigungsverhalten ange- Stress auftritt, und die eigene Reaktion darauf. bracht ist und welches nicht: • Was tue ich gewöhnlich bei Stress, damit es Beispiel: Seit drei Jahren nimmt Klaus HIV-Medi- mir besser geht? kamente. Dabei fällt es ihm nicht immer leicht, • Wann und wie helfen mir diese Strategien? die Medikamente regelmäßig, zweimal am Tag, • In welchen Situationen sind meine Bewälti- einzunehmen. Insbesondere am Wochenende, gungsstrategien eher nutzlos? wenn er auf Partys geht oder er bei einer neuen • Was gibt es noch für Möglichkeiten, mit Stress Bekanntschaft übernachtet, vergisst er schon ein- umzugehen, die ich kenne, aber selten nutze? mal die Tabletteneinnahme. Am Montag kommt dann ein ungutes Gefühl auf: Hoffentlich hat sich Stressbewältigung und Drogen dass nicht auf die Wirksamkeit der Therapie aus- gewirkt … „Entspannen kann ich mich am Besten bei ein, zwei Gläsern Rotwein oder einem Joint“, mag der Ideen-Sammlung (Brainstorming): Der nächste eine oder andere denken. Die weit verbreitete Schritt ist, möglichst viele unterschiedliche Ideen Strategie, Entspannung durch Alkohol, Zigaretten zu sammeln, wie die Situation zu bewältigen wäre. und andere Drogen zu suchen ist verlockend und Dabei sollten erst einmal alle Ideen, auch wenn in der Tat zunächst wirksam. Viele Drogen helfen sie noch so abwegig erscheinen oder schon mal durch ihre entspannende Wirkung, Abstand vom ausprobiert wurden, aufgeschrieben werden. Es Alltag zu bekommen. Die langfristigen gesund- kann auch helfen, Freunde, Bekannte, Kollegen heitlichen Folgen sind bekannterweise weniger zu fragen, wie sie das Problem angehen würden. erfreulich. Hinzu kommt, dass durch häufigen Alkoholkonsum die natürliche Fähigkeit, sich zu Lösungsideen für das oben beschriebene Bei- entspannen, weiter abnimmt. Außerdem muss spiel: die Menge an Drogen, die benötigt wird, um die • Den Arzt fragen, welche Folgen für seine HIV- gewünschte Wirkung zu erzeugen kontinuierlich Infektion das Auslassen der Medikamente hat. gesteigert werden. Vernachlässigt wird dabei, • Mit dem Arzt besprechen, ob eine Umstellung die Möglichkeit, die Ursache des Stresses aktiv auf Medikamente, die nur einmal täglich ge- nommen werden müssen, in Frage kommt.
9 • Merkzettel machen Planung gegen Zeit- und Terminstress • Neutrale Pillendose besorgen und immer zwei Tabletten-Rationen dabei haben. Ein hoher beeinflussbarer Stressfaktor ist für viele • Sich mit anderen Positiven über dieses Pro- Menschen der Zeit- und Terminstress. Häufig sind blem austauschen. es mehrere Faktoren, die Zeitstress verursachen: • Überlegen, wie das Thema HIV und Medika- menteneinnahme mit neuen Partnern ange- Innere Antreiber. Zeitstress entsteht, wenn zu vie- sprochen werden kann. le Aufgaben in zu wenig Zeit umgesetzt werden. Manchmal sind es Glaubenssätze, die wie eine Für eine Lösung entscheiden: Es empfiehlt sich, innere Stimme antreiben, mehr zu tun, als gut tut. unvoreingenommen an die einzelnen Vorschläge „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“— „Das heranzugehen und Ideen nicht zu verwerfen, weil kannst du doch nebenbei erledigen!“ — „Andere sie vielleicht als zu kompliziert erscheinen. schaffen doch auch so viel!“ — Sätze, die oftmals von Eltern oder anderen Erziehungspersonen mit Klaus entscheidet sich auf den Weg gegeben wurden. a) sich mit anderen Positiven über das Problem „Innere Antreiber“ sollten enttarnt und gegen auszutauschen neue Glaubenssätze ausgetauscht werden. Zum Beispiel: b) mit dem Arzt über eine Therapieumstellung auf Einmaldosis zu sprechen „ alles braucht seine Zeit!“ oder „eile mit Weile.“ Konkrete Schritte planen: Bei der praktischen Unrealistische Zeitplanung. Wenn viele Aufgaben Umsetzung der Lösungsvorschläge ist es wichtig, anstehen, ist es wichtig, eine feste Zeit für die die Schritte genau zu planen. Zeitplanung einzurichten. Am Abend vorher oder • Arzttermin vereinbaren (noch heute für nächs- am morgen sollten zehn Minuten eingeplant wer- te Woche) den, um alle Aufgaben für den Tag inklusive ihrer • Fragezettel für den Arzttermin schreiben Dauer und Dringlichkeit aufzulisten. • Termine für die Treffen der Positivengruppe bei der Aids-Hilfe erfragen und nächstmögli- Viele Menschen neigen dazu die Dauer von Auf- chen Termin wahrnehmen (unter Umständen gaben zu unterschätzen. Um nicht zu viele Aufga- andere Termine dafür verschieben) ben in einen Tag zu packen, sollte stets Zeit für Pausen und für Unvorhergesehenes eingeplant Umsetzen des Plans und danach Bilanz ziehen: werden. War die Problemlösung erfolgreich? Falls nicht: Waren die konkreten Schritte genau genug ge- Keine klaren Ziele. Für viele Menschen verändert plant? Was für Schwierigkeiten sind aufgetreten die Diagnose der HIV-Infektion den Blick auf die und wie können diese beseitigt werden, damit die Zukunft. Dies führt zuweilen dazu, dass zur Ver- Lösungsidee doch noch umgesetzt werden kann. meidung von Enttäuschungen ganz auf die For- Gegebenenfalls sollten andere Ideen der „Brain- mulierung von Lebenszielen verzichtet wird. Ohne storming“-Liste ausprobiert werden. persönliche Ziele können jedoch keine Pläne ge- macht werden. Gefühle von Enttäuschung und Gelingt es nicht, das Problem alleine zu lösen, Selbstzweifel nehmen zu. Auch wenn die Zukunft sollte professionelle Hilfe in Anspruch genom- ungewiss scheint, sollten Träume und Wünsche men werden. Haben sich Belastungen über eine verfolgt und auf eine Zielplanung nicht verzichtet sehr lange Zeit aufgestaut, entstehen mitunter werden. chronische Zustände von Angst, Lustlosigkeit, Antriebsarmut und Niedergeschlagenheit. Diese Beruhigende Gedanken Symptome können Hinweise auf eine sich entwi- ckelnde, ernst zu nehmende Depression sein. Oft Wie bereits gezeigt, kann die innere Einstellung werden Depressionen von Ärzten nicht erkannt. zu einer Situation zu Stress führen oder auch nicht. Wenn Symptome einer Depression wahrgenom- Stressverstärkende Gedanken können durch posi- men werden, sollte man den Arzt direkt darauf tivere Einstellungen ersetzt werden. ansprechen.
10 Beispiele für Stress verstärkende Gedanken • Gezielt die Gedanken auf Freunde, Verwandte, „Das schaffe ich nie!“ professionelle Helfer lenken, die mit Rat und „Mir gelingt auch nichts richtig.“ Tat beiseite stehen könnten („Was würde ein „Ich bin vom Pech verfolgt.“ guter Freund jetzt wohl zu mir sagen?“). „Jetzt bloß nicht die Kontrolle verlieren.“ • An ähnliche Situationen erinnern(„ich habe „Was wohl die anderen von mir denken.“ schon andere, schwierige Situationen ge- meistert, also werde ich auch diese Situation Stress vermindernde Gedanken bewältigen“). „Fehler können jedem passieren.“ • Relativieren („Wie werde ich diese Situation „Das habe ich schon einmal durchgestanden.“ wohl in einem Jahr beurteilen?“, „Was kann „Wird alles nicht so heiß gegessen wie gekocht.“ schlimmstenfalls passieren?“). „Wie wichtig ist diese Sache wirklich für mich?“ • An ein positives Erlebnis von Stärke und/oder Freude denken, das in der Situation Mut und Wer sich in einer Stresssituation in einer negati- Sicherheit gibt (Urlaub, Erfolgserlebnis). ven „Gedankenspirale“ bewegt, kann aktiv ge- gensteuern: Welche Entspannungs- verfahren gibt es? Entspannungsverfahren helfen in Zeiten, in denen und lösen einen angenehmen, ganzkörperlichen Stress, innere Unruhe oder Zeitnot nicht oder Tiefenentspannungszustand aus. kaum zulassen, sich spontan zu entspannen. Spe- zielle Verfahren, wie das Autogene Training oder Die Wirkungen des Autogenen Trainings sind die Progressive Muskelentspannung, ermöglichen vielfältig. Es kann allgemein zur besseren Ent- geübten Personen einen sekunden- bis minuten- spannung, Stressbewältigung und Leistungsstei- schnellen Wechsel von Anspannung zu tiefer kör- gerung angewendet werden. Es kann aber auch perlicher und seelischer Entspannung. Durch das konkrete Beschwerden, wie Schlafstörungen, „Auftanken“ in der Entspannungsphase erhöht Ängste, Schmerzen, Verspannungen oder psycho- sich die persönliche Leistungsfähigkeit und nach somatische Erkrankungen lindern. und nach auch die Resistenz gegenüber Stress. Progressive Muskelentspannung/ Jacobson- Beispielhaft sollen hier vier der in Deutschland am Training (PMR) häufigsten angewendeten Verfahren vorgestellt werden. Bei der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson handelt es sich um eine Selbstentspan- Autogenes Training nungstechnik auf der Grundlage von bewusster An- und Entspannung. Im Kern geht es darum, Das Autogene Training wurde in den zwanziger nacheinander verschiedene Muskelgruppen an- Jahren vom Berliner Nervenarzt Prof. Johann zuspannen und wieder zu entspannen und sich Schultz (1884 – 1970) entwickelt. Der Begriff dabei auf die Wahrnehmung der Unterschiede „Autogenes Training“ bedeutet aus dem Selbst zwischen den beiden Zuständen zu konzentrie- (griech. = autos) entstehendes (griech. = genos) ren. Ziel ist, wie beim Autogenem Training, das Üben (=Training) Durch Autosuggestion, eine Art Erzeugen eines ganzkörperlichen Entspannungs- der Selbsthypnose, wird beim Autogenen Training zustandes. Der Blutdruck sinkt leicht, Herzschlag der Zustand von Entspannung in der eigenen Vor- und Atmung werden langsamer. PMR wird bei stellung vorweggenommen. Dies wird erreicht, in Schlafstörungen, Bluthochdruck, Spannungskopf- dem man sich entspannte Körperempfindungen, schmerz, Angst- und Spannungsgefühlen sowie wie Schwere, Wärme oder ruhiger Atem, inner- verschiedenen körperlichen Beschwerden, die lich vorstellt . Nach einer gewissen Übungszeit mit Anspannung und Schmerzen verbunden sind, werden diese Vorstellungen allmählich Realität angewendet.
11 Yoga (Hatha-Yoga) nen, auch bei Stress-Situationen, Schmerzen oder Krankheit bewusst achtsam zu handeln, anstatt Das klassische Yoga ist eine jahrtausende alte, in automatisch „gestresst“ zu reagieren der indischen Kultur verwurzelte, spirituelle Lehre. Ziel ist die Selbstvervollkommnung. Bei uns wird Stressabbau durch Sport Yoga meist in der Form des Hatha-Yoga unterrich- tet. Beim Hatha-Yoga soll ein inneres Gleichge- Sport hilft Stresshormone abzubauen, erhöht wicht durch die Umsetzung von bestimmten Hal- die körperliche Fitness und verbessert die psy- tungen (Asanas), Bewegungs-Reinigungsübungen chische Befindlichkeit. Wichtig ist, sich nicht zu (Kriyas), Körper- und Handgesten (Mudras) sowie überfordern und den Sport regelmäßig (etwa 2 Atemübungen (Pranayama) erreicht werden. Ein – 3 mal pro Woche) zu betreiben. Gesundheitlich weiterer wichtiger Bestandteil vom Hatha-Yoga besonders wertvoll sind Ausdauersportarten, wie sind Entspannungsphasen und meditative Tech- Laufen, Schwimmen oder Walking. Neben dem niken. Durch das bewusste Atmen und die Kör- Abbau von überschüssiger Energie aus Stressre- perübungen können körperliche Stressreaktionen aktionen, scheinen Sportler auch generell weni- abgebaut und vorgebeugt werden. ger anfällig gegenüber Stress zu sein. Dauerlauf, so neuere Studien, hilft sogar bei milden Formen Atemtechniken, Meditation und Achtsamkeit von Depressionen. Durch Atemübungen können Stressreaktionen oft Wer Schwierigkeiten hat regelmäßig Sport aus- sehr wirksam beeinflusst werden. Ziel der meis- zuüben, sollte überlegen, ob es andere Mög- ten Atemtechniken ist es, den Atem zu vertiefen lichkeiten gibt, mehr Bewegung in den Alltag und so der mit Stress oft einhergehenden flachen einzubauen: Täglich ein Spaziergang (am besten Atmung entgegenzuwirken. Ein tiefer und lang- in angenehmer Umgebung), häufiger das Fahrrad samer Atem führt zur körperlichen Entspannung. anstatt Bus oder Bahn zu nutzen oder am Wo- Bekannteste Form des Atemtrainings ist die chenende im Club auch mal tanzen, anstatt nur an Atemtherapie nach Middendorf. („Erfahrbarer der Theke zu stehen. Atem“) Körper-Psychotherapien Von gezielter Atemgymnastik abzugrenzen sind meditative Atemübungen. Hierbei geht es dar- Einige Menschen leiden, als Folge von nicht um, den Atem einfach nur wahrzunehmen. Dies verarbeiteten Konflikten, an körperlichen Dau- geschieht z.B. an der Nasenspitze, im Brust- oder erstresssymptomen, wie chronischen Muskelver- Bauchbereich. Der Atem wird dabei willentlich spannungen, Atemblockaden („Brustpanzer“), nicht verändert. Durch die Konzentration auf den unklaren Schmerzzuständen oder Magen-Darm- Atem wird der Geist dabei unterstützt, sich nicht Störungen. mit anderen Dingen zu beschäftigen. Gedanken an Vergangenheit und Zukunft, Pläne oder sor- Hinter so geheimnisvoll klingenden Begriffen, genvolles Grübeln sollen immer wieder losgelas- wie Bioenergetik, Biodynamik oder Biosynthese sen werden. Mit der Zeit können sich Körper und stecken Methoden der körperorientierten Psy- Geist zunehmend entspannen. chotherapie, die insbesondere für Menschen mit psychosomatischen Beschwerden Hilfe bieten Meditative Übungen sind auch Bestandteil des können. Diese Methoden verbinden die Arbeit Stressbewältigungsprogramms MBSR (Mindful- am Körper mit der Lösung von seelischen Pro- ness Based Stress Reduction) in Deutschland auch blemen. Durch besondere Körper- und Atemü- „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ genannt. bungen werden die körperlichen Symptome er- Entwickelt wurde es von dem Verhaltensmedizi- forscht und versucht, die zur Blockade führenden ner Jon Kabat-Zinn in der Stress Reduction Clinic Ursachen zu ergründen. Hinter schmerzhaften an der Universität von Massachusetts. Achtsam- Muskelverspannungen im Schulterbereich steckt keit bedeutet in diesem Zusammenhang, die möglicherweise nicht ausgedrückter Ärger, hinter Aufmerksamkeit in den gegenwärtigen Moment Nacken- oder Kopfschmerzen eine festsitzende zu bringen und die innere und äußere Wirklich- Trauer. Die Körper- und Atemübungen ermögli- keit direkt wahrzunehmen, ohne sie zu bewerten. chen diese Gefühle im therapeutischen Zusam- Durch das Training sollen die Kursteilnehmer ler- menhang angemessen auszudrücken und somit
12 die körperlichen Spannungszustände zu lösen. hungen haben, Krisen und Krankheiten besser Im anschließenden, psychotherapeutischem Ge- bewältigen als Andere. Für sie entsteht das Ge- spräch werden die (wieder)erlebten Gefühle mit fühl, nicht alleine dazustehen und „im Falle eines dem ursächlichen Problem in Verbindung ge- Falles“ Unterstützung erhalten zu können. Die bracht und Problemlösungen angeregt. Unterstützungsfunktion durch Partner, Freunde und Familie sind vielfältig, egal ob “man sich mal Ablenkung und Ausgleich schaffen richtig aussprechen“, sich durch Erlebnisse mit anderen ablenken oder finanzielle Unterstützung Viele Menschen vernachlässigen in Stresszeiten bekommen möchte. Insbesondere bei der Bewäl- ihre Hobbys und (außerberuflichen) Interessen. tigung chronischer Belastungen, wie z.B. bei der Doch gerade in belastenden Lebensphasen ist es HIV-Infektion, wird der sozialen Unterstützung wichtig, sich immer wieder auch kleine „Auszei- eine Schlüsselrolle eingeräumt. ten“ und Ablenkungen zu organisieren wie zum Beispiel Kino, Theater, Schwimmen oder Shoppen Viele Menschen neigen jedoch in Stressphasen oder Tanzen gehen … Sollten Sie merken, dass dazu, sich eher zurückzuziehen und Beziehungen Sie schon lange nichts unternommen haben, was zu vernachlässigen. Durch den selbstgewählten ihnen Spaß macht, lohnt es eine Liste mit mögli- Rückzug können negative Gefühle von Ausweg- chen, interessanten Aktivitäten anzulegen. Fallen losigkeit verstärkt werden. Ein stabiles soziales Ihnen spontan keine Dinge ein, versuchen sie sich Netz hilft nicht nur bei der Krisenbewältigung, an früher zu erinnern. Möglicherweise gibt es sondern erhöht Selbstwertempfinden sowie die Dinge, die sie gerne gemacht haben, aber schon allgemeine Lebenszufriedenheit. Gestärkt durch lange, aus Zeitgründen, aufgegeben haben. einen „sozialen Rückhalt“ können auch neu ent- stehende Probleme aktiver und sicherer angegan- Soziale Kontakte gen werden. Es ist nachgewiesen, dass Menschen, die in Part- nerschaften leben oder andere stabile Bezie- Was bieten die Krankenkassen an? Einige der vorgestellten Stressbewältigungsme- Während einige Kassen, wie die AOK, Kurse für thoden werden in Kursen vermittelt, die von vie- Autogenes Training, Progressive Muskelentspan- len Krankenkassen gefördert werden. Dies sind nung oder Stressbewältigung selber anbieten, zum Beispiel: haben die meisten anderen Krankenkassen ein Er- • Autogenes Training stattungsprinzip. Die Kurse werden in Beratungs- • Progressive Muskelentspannung stellen, Volkshochschulen oder Praxen angeboten • Yoga und müssen zunächst voll bezahlt werden. Nach • Qi Gong Abschluss des Kurses werden dann etwa 80 % der Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen Es werden auch Kurse angeboten, die sich sehr zurückerstattet. Da nicht jeder Anbieter von Ent- ausführlich mit dem Thema Stress beschäftigen. spannungskursen die von den Kassen geforderten So werden zum Beispiel im Kursprogramm „Ge- Qualifikationen hat, sollte man sich vor Kursbe- lassen und Sicher im Stress“ Methoden vermittelt, ginn bei dem Kursanbieter und seiner Kranken- die das Stressgeschehen auf mehreren Ebenen kasse erkundigen, ob der Kurs erstattungsfähig angehen. Der Kurs unterstützt die Teilnehmer/ ist. innen dabei, langfristig einen anderen Umgang mit Stress zu entwickeln. Viele der in diesem Heft beschriebenen Strategien sind Bestandteil dieses 10-wöchigen Kursprogramms.
13 Wie finde ich Beratung & Psychotherapie? Wenn Stressphasen sehr lange andauern und sich Auch bei einer medikamentösen Behandelung kein Ausweg abzeichnet, kann es sinnvoll sein der psychischen Verstimmungen sollte – wenn professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die sie länger andauern – über eine Psychotherapie meisten Aidshilfen bieten regelmäßige Termine nachgedacht werden. Aidshilfen, insbesondere in für psychosoziale Beratungen an. Eine aktuelle den größeren Städten, können mit Empfehlungen Adresse aller regionalen Aidshilfen in Deutschland für Psychotherapeuten weiterhelfen, die Erfah- findet sich im Internet unter: www.aidshilfe.de. rung mit HIV, Schwulsein oder Drogengebrauch haben. Ängste und Depressionen könne eine Folge von unbewältigten Belastungssituationen sein. Sie können jedoch auch Auswirkungen der HIV-Infek- tion oder der Nebenwirkungen der Therapie sein. In jedem Fall sollten psychische Veränderungen dem HIV-behandelnden Arzt mitgeteilt und gege- benenfalls ein Facharzt hinzugezogen werden. Anhang Selbsttest Neben krankheitsbedingten Stressauslösern gibt es natürlich auch eine Menge an „Alltags- Stressauslöser“, die belastend wirken können. Mit der nachfolgenden Auflistung von typischen Stressauslösern kann ein persönliches Stressprofil erstellt werden. Die aufgeführten Stressaus- löser sind quasi „die Klassiker“. In der Regel hat jedoch jeder Mensch weitere, ganz persönliche Stressauslöser. Diese können in die freien Felder eingefügt werden. Welche der folgenden Stressauslöser sind Ihnen bekannt. Wie stark erleben Sie diese Stressaus- löser?
14 Intensität der Stressbelastung sehr belastend belastend wenig belastend gar nicht Ausbildung und Beruf Zeitdruck unklare Anforderungen und Arbeitsaufträge ungerechtfertigte Kritik Ärger mit Kollegen Mangelnde Wertschätzung Arbeitslosigkeit Freizeit und Privat Autofahren im Stau Konflikte in der Partnerschaft Konflikte mit der Herkunftsfamilie Unbefriedigende Wohnsituation Lärmeinflüsse
15 Intensität der Stressbelastung sehr belastend belastend wenig belastend gar nicht Körperliche Stressauslöser wenig Schlaf zu wenig Bewegung Schmerzen Sonstiges Ärger mit Ämtern Geldsorgen Zukunftsängste
16 IMPRESSUM Bestellnummer dieser Ausgabe: 140058 MED-INFO, Medizinische Informationenzu HIV und AIDS Folgende Ausgaben der MED-INFO-Reihe sind aktuell: herausgegeben von der Nr. 32: PCP AIDS-Hilfe Köln e.V. Beethovenstraße 1 Nr. 33: Toxoplasmose Tel.: 0221 / 20 20 30 Nr. 34: Kaposi-Sarkom in Zusammenarbeit mit der Nr. 35: Zytomegalie (CMV) Deutschen AIDS-Hilfe Berlin e.V. Nr. 36: Therapiepausen Text: Nr. 37: Lymphome (Bestellnummer: 140001) Steffen Taubert, Berlin Nr. 38: Sexuelle Störungen (Bestellnummer: 140002) Grafik: Nr. 39: Resistenzen (Bestellnummer: 140003) CHECK UP, Köln Nr. 40: Magen-Darm-Beschwerden Redaktionsgruppe (Bestellnummer: 140004) Neuauflage 2004! Leitung: Nr. 41: Haut und HIV (Bestellnummer: 140005) Carlos Stemmerich Nr. 42: Feigwarzen, HPV und AIDS (Bestellnummer: 140007) Ehrenamtliche Mitarbeit: Nr. 43: HIV-Therapie (Bestellnummer: 140010) Andrea Czekanski Christoph Feldmann Nr. 44: HIV und Hepatitis B (Bestellnummer: 140009) Eckhard Grützediek Nr. 45: Fettstoffwechselstörungen Daniela Kleiner (Bestellnummer: 140011) Rebecca Poage Nr. 46: HIV und Depressionen (Bestellnummer: 140012) Christine Schilha Nr. 47: Neurologische Erkrankungen V.i.S.d.P.: (Bestellnummer: 140013) Carlos Stemmerich Nr. 48: Lipodystrophie (Bestellnummer: 140014) Gesamtherstellung: Nr. 49: Medikamentenstudien (Bestellnummer: 140015) Prima Print, Köln Nr. 50: Laborwerte (Bestellnummer: 140016) Auflage: Nr. 51: HIV und Hepatitis C (Bestellnummer: 140017) 4000 Nr. 52: HIV und Niere (Bestellnummer: 140018) Hinweis: Nr. 53: Compliance – Umgang mit der HIV-Therapie Das MED-INFO (Bestellnummer: 140019) ist bei der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. zu bestellen Nr. 54: HIV und Reisen (Bestellnummer 140020) Tel: 030 / 69 00 87-0 Nr. 55: HIV und Immunsystem (Bestellnummer 140055) Fax: 030 / 69 00 87-42 www.Aidshilfe.de Nr. 56: Wechselwirkungen der HIV-Therapie mit freiver- käuflichen Medikamenten (Bestellnummer 140056) Nr. 57: HIV und Kopfschmerz (Bestellnummer 140057) Das MED-INFO dient der persönlichen Information und ersetzt nicht das Gespräch mit einem Arzt des Vertrauens. Nr. 58: Stress und Stressbewältigung bei HIV Geschützte Warennamen, Warenzeichen sind aus Gründen (Bestellnummer 140058) der besseren Lesbarkeit nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einen Alle MED-INFO-Broschüren sind auf der freien Warennamen handelt. Wie jede Wissenschaft neuen Homepage: ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Alle Angaben in dieser Ausgabe entsprechen dem www.HIV-MED-INFO.de Wissensstand bei Fertigstellung des Heftes. einzusehen und als PDF-Datei runterzuladen.
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