Studie Quantentechnologie: Implikationen für Sicherheit und Verteidigung - Nr. 25 | Mai 2021
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Studie Quantentechnologie: Implikationen für Sicherheit und Verteidigung Nr. 25 | Mai 2021 Metis Studien geben die Meinung der Autor*innen wieder. Sie stellen nicht den Standpunkt der Bundeswehr, des Bundesministeriums der Verteidigung oder der Universität der Bundeswehr München dar. Metis Studien richten sich an die politische Praxis. Sie werten Fachliteratur, Reports, Pressetexte sowie Hintergrundgespräche mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Ministerien und Denkfabriken aus. Auf Referenzen wird verzichtet. Rückfragen zu Quellen können per Email an die Autor*innen gerichtet werden.
Metis Studie | Nr. 25 Quantentechnologie: Implikationen für Sicherheit und Verteidigung Zusammenfassung D er Fortschritt bei der Manipulation quanten mechanischer Prozesse erlaubt es, deren besondere – aus alltäglicher Sicht bizarr anmutenden, aber in der Quantenphysik seit über hundert Jahren bekannten – Eigenschaften zunehmend Die damit verbundenen Hoffnungen sind groß, die Erfolgsaussichten jedoch noch ungewiss. Die vor liegende Studie stellt den Stand der Forschung in vier quantentechnologischen Bereichen vor, bewertet vorausschauend sicherheitspolitische und militärische für technische Anwendungen nutzbar zu machen. Implikationen und leitet Handlungsempfehlungen ab. Alles Quanten oder was? Richtig ist aber auch, dass Durchbrüche bei quanten- Bringen schon bald mit Quantensensoren bestück- basierten Rechnern, Sensoren und Verschlüsselungsver- te Waffensysteme, die quantenverschlüsselt über ein fahren in der Tat einen erheblichen Fähigkeitsgewinn Quanteninternet mit Quantencomputern kommunizie- mit weitreichenden sicherheitspolitischen Implikationen ren den militärischen Quanten(vor)sprung? Spätestens nach sich ziehen könnten und Gegenmaßnahmen teilwei- mit Googles Ankündigung im Oktober 2019, erfolgreich se erst theoretisch erörtert werden. »Quantenüberlegenheit« (siehe unten) gegenüber klas- In Summe erscheint es daher geboten, das Feld der sischen Supercomputern demonstriert zu haben, erhielt Quantentechnologie aus einem sicherheitspolitischen die bereits zuvor schwelende sicherheitspolitische Dis- Blickwinkel heraus nicht nur vorausschauend und unauf- kussion um das disruptive Potenzial militärisch genutzter geregt zu beobachten, sondern für einzelne Felder bereits Quantentechnologie erneuten Auftrieb. Seither machen jetzt Aktivmaßnahmen ins Auge zu fassen. 2 zahlreiche neue Wortkompositionen mit dem »Quanten«- Präfix die Runde. Warum Quantencomputer? Richtig ist zunächst, dass im Zeitraum bis 2030 eine Der Siegeszug des klassischen Computers beruht auf Ver- sicherheitspolitische Revolution durch Quantentechnolo- kleinerung. Produktionskosten wurden gesenkt, die Leis- gie eher unwahrscheinlich sein dürfte. Dies legen zumin- tungsfähigkeit zeitgleich erhöht. Doch inzwischen kommt dest Expert*innenbefragungen aus dem Jahr 2020 nahe, eine physikalische Barriere in Sicht. nach denen zahlreiche andere, weiter gereifte „emerging Gegenwärtiger Industriestandard sind Prozessoren, and disruptive technologies“ der Quantentechnologie mit deren kleinste Komponenten Kantenlängen von um die Blick auf ihre militärstrategische Bedeutung noch klar den 7 Nanometern (nm) – also 7 Milliardstel Meter – aufweisen. Rang ablaufen (Abb. 1). 1 Das ist etwa zwölf Mal kleiner als ein einzelnes Corona- virus, 1 200 Mal kleiner als ein rotes Blutkörperchen und 12 000 Mal kleiner als ein menschliches Haar. Für kommen- de Chipgenerationen sind Komponenten mit Struktur- breiten von 2nm geplant. 1 Die für diese Expert*innenbefragungen von Marina Favaro genutzte, von der RAND Corporation entwickelte Systematic Tech- nology Reconnaissance, Evaluation, and Adoption Methodology (STREAM) dient dazu, aktuelle und zukünftige Technologien anhand einer Reihe von Auswirkungen und Umsetzungskriterien zu syste- 2 Siehe „Großmächte und Digitalisierung – welche Folgen für matisieren, zu priorisieren und zu bewerten. unsere Weltordnung?“, Metis Studie Nr. 8 (Oktober 2018). 3 / 12
Metis Studie | Nr. 25 Quantentechnologie: Implikationen für Sicherheit und Verteidigung Die bislang äußerst erfolgreich angewandte Strate- Effekte den auf klassischer Physik beruhenden Funktions- gie der Verkleinerung bei klassischen Computern lässt prinzipien bisheriger Computer entgegen. sich allerdings theoretisch nur so lange fortsetzen, bis Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wächst seit den die kleinsten Funktionskomponenten auf einem Chip 1990er Jahren das Interesse an Quantencomputern. Inzwi- schlussendlich aus nur noch einem einzelnen Atom be- schen sind sie aus der theoretischen Forschung über die stehen. Danach dürfte ihr Design – zumindest nach heu- experimentelle Praxis bis in die Rechenzentren und die tigem Kenntnisstand – an eine harte Grenze stoßen. Denn Cloud für begrenzte, kommerziell verfügbare Probean- im subatomaren Bereich stehen quantenmechanische wendungen vorgedrungen. Zwar waren quantenmechanische Er- kenntnisse bereits grundlegend für die Entwicklung moderner Technologien des 20. Jahrhunderts, wie etwa Mikroelektro- Abb. 1 Neue Technologien, per STREAM geordnet nach ihrem Potenzial, die nik oder Laser. Diese nutzten aber – wie globale strategische Stabilität zu beeinträchtigen. | Quelle: Marina Favaro, in: The 2020 UK PONI Papers, Royal United Services Institute. im Falle der Computerchips gesehen – makrophysikalische Phänomene. Dem- gegenüber setzt Quantentechnologie AI-trained offensive cyberattacks gezielt auf die physikalischen Effekte im Größenbereich von einzelnen Atomen Hypersonic missiles und darunter. Quantencomputer führen also das Prinzip der Verkleinerung auf der Rendezvous and proximity operations (RPO) nächst-niedrigeren Stufe fort, indem sie die dort geltenden, fundamental ande- Direct ascent anti-satellite weapons ren physikalischen Gesetzmäßigkeiten für Rechenoperationen nutzbar machen. Satellite jamming systems Superposition ist das erste dafür verwendete Phänomen (Abb. 4): Es be- Direct-energy weapons schreibt eine Überlagerung von Zustän- Unmanned aerial vehicles den. Konkret nutzen Quantencomputer Superposition in Quantenbits (Qubits), AI for Intelligence, Surveillance and die, anders als klassische Bits mit ihren Reconnaissance (ISR) nur zwei diskreten Zuständen (1 oder 0), Space robotics and autonomous systems alle zwischen 1 und 0 liegenden Zustände zeitgleich annehmen können. Quanten- AI-powered autonomous response to cybersecurity threats computer bieten also eine im Vergleich zu klassischen Computern gigantische Cyberattacks on biotechnology Parallel-Rechenleistung. Sie skalieren auch besser – zumindest in der Theorie. Quantum computing Denn idealiter verdoppelt jedes zusätz- AI for missile defence liche Qubit die Rechenleistung. Ihre Leis- tungsfähigkeit wächst also exponentiell. Quantum cryptography Bei Rechenaufgaben mit exponentiell zunehmender Komplexität erschließen Smallsats for Intelligence, Surveillance Quantencomputer dort schnell (in Sekun- and Reconnaissance (ISR) den oder Minuten) Lösungen, wo selbst Smallsats for Positioning, Navigation and Timing (PNT) die größten klassischen Supercomputer zu lang (zehntausende Jahre) benötigen Reusable launch system würden. Das ist es, was Google 2019 an- Smallsat-enabled space based hand eines rein akademischen, speziell internet infrastructure auf die Stärken von Quantencompu- Space for quantum tern zugeschnittenen Rechenproblems communications (QC) mit seinem 53 Qubit- Quantenprozessor Edge computing to enable Sycamore nach eigenen Angaben military autonomy demonstrieren konnte – und was ge- Quantum sensors meinhin unter dem Begriff der »Quanten- überlegenheit« verstanden wird. 4 / 12
Metis Studie | Nr. 25 Quantentechnologie: Implikationen für Sicherheit und Verteidigung Verschränkung ist das zweite genutzte Phänomen auf dem Weg hin zur Entwicklung weniger verrausch- (Abb. 5). Es besagt, dass zwei oder mehrere Teilchen mit- ter Rechner mit mehr Qubits, die dem Quantenrechnen einander verknüpft sein, also – auch über große Distan- endlich breitere, wirklich praxisrelevante Anwendungs- zen hinweg – den gleichen Zustand annehmen können. gebiete erschließen sollen. Aus aktueller Sicht scheinen Die zahlreichen Möglichkeiten zur flexiblen Manipu- dafür wohl bis zu 1 Millionen Qubits nötig. IBM peilt ak- lation solcher miteinander verschränkten Qubits trägt tuell bis 2023 das Überschreiten der 1 000 Qubit-Marke zur Geschwindigkeit bei, mit der Quantencomputer die an. Der Weg ist also noch sehr lang. besagten komplexen Rechenprobleme zu bewältigen Erschwerend kommt hinzu, dass die beiden aktu- imstande sind. ell dominierenden Designs – Schaltkreise aus supra- Allerdings produzieren Quantencomputer große leitenden Metallen (genutzt u. a. von Google, IBM und Datenmengen mit hohen Fehlerraten – letzteres auch Rigetti Computing) sowie Ionenfallen (genutzt u. a. von deswegen, weil zum Beispiel bereits kleinste Tempera- Honeywell und IONQ) – in der Praxis schlecht skalieren. turschwankungen die Qubits in ihren delikaten quanten- Grund sind die Kontrollsysteme für die fragilen, streng mechanischen Zuständen stören. Die Herausforderung abgeschirmten Qubits. Das auf Supraleitung beruhende liegt somit darin, Anzahl und Langlebigkeit der Qubits Design (Abb. 2) nutzt Mikrowellen zur Programmierung, zu erhöhen sowie zeitgleich effektivere Fehlerkorrektur- muss all seine Qubits aber mit großem Aufwand bis nahe mechanismen zu implementieren, um das gewünschte an den absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad Celsius Rechenergebnis zu extrahieren, also das richtige Signal heruntergekühlt halten. Systeme mit Qubits aus im Va- aus dem lauten »Datenrauschen« des Quantencom- kuum von Magnetfeldern in der Schwebe gehaltenen, puters »herauszuhören«. Die Noisy Intermediate-Scale geladenen Atomen funktionieren demgegenüber zwar Quantum (NISQ)-Technologie für Quantencomputer bei Raumtemperatur, benötigen aber nicht beliebig zu mit 50 bis 100 Qubits gilt aktuell als Übergangslösung verkleinernde Lasersysteme zur Programmierung. Analog Elektronischer Konverter Elektrische Binäre Daten Signale Kühlmittel Quibit-Signal- verstärker Kühlung Supraleiter 300 Kelvin (K) [27° Celsius] Daten 50 K [-223° Celsius] Vakuum 3K [-270° Celsius] Strahlenab- schirmung 0,01 K [-273° Celsius] Elektro- magnetische Abschirmung Rechenzentrum Quantum Prozessor Kühleinheit Abb. 2 Schematische Darstellung eines auf Supraleitung basierenden Quantencomputers. | Quelle der Vorlage: VectorMine auf shutterstock.com 5 / 12
Metis Studie | Nr. 25 Quantentechnologie: Implikationen für Sicherheit und Verteidigung Abb. 3 Wissenschaftlerin in IBM Quantum Labor. | Quelle: flickr.com/photos/ibm_research_zurich/; Credit: Connie Zhou für IBM 6 / 12
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Metis Studie | Nr. 25 Quantentechnologie: Implikationen für Sicherheit und Verteidigung 1 Norden 1 1 Qubit Superposition Koordinaten Klassiches Bit Zwei Zustände 1 0 Ergebnis 0 oder 1 1 AN 0 Beide Zustände 1 AUS 0 0 und 1 Süden Messung 0 0 0 Abb. 4 Schematische Darstellung vom Rechnen mit Qubits. | Quelle der Vorlage: VectorMine auf shutterstock.com Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der be- und Aufklärung könnte berührt werden. Konkret im Raum reits jetzt anlaufende Parallelbetrieb von klassischen stehen Aussichten auf gesteigerte Präzision, Effizienz, und Computern und auf hochspezielle Probeanwendungen be- Automatisierung. grenzten Quantencomputern auf absehbare Zeit erhalten bleiben wird, weil bis zur breiten Nutzbarmachung letzterer Kryptokommunikation (durch Verkleinerung massenproduktionsfähiger Architek- Das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung turen) noch zahlreiche hohe Hürden zu nehmen sind. Es ist kann zum Verschlüsseln von Kommunikation genutzt gut möglich, dass dabei keines der beiden oben skizzierten werden. Häufig ist hierbei davon die Rede, dass quanten- Designs das Rennen macht und sich stattdessen eine der verschränkte Verbindungen unmöglich ohne eine sofort zahlreichen in der Entwicklung befindlichen Alternativen erkennbare Störung abzuhören seien, wodurch ein unbe- als Hardwareplattform für Quantencomputer durchsetzt. merktes Mitlauschen naturgesetzlich ausgeschlossen sei. Skeptiker*innen merken an, dass Quantencomputern auch Das klingt gut und ist in der Theorie nicht falsch. das gleiche Schicksal wie der Kernfusion drohen könnte: Doch die Umsetzung ist knifflig und die Technik noch Jahrzehnt für Jahrzehnt wird der Technologie der Durch- nicht in der Breite einsatzreif. Bisherige Demonstrations- bruch vorhergesagt. Aber er scheint sich nie zu realisieren. projekte funktionieren entweder nur über kurze Glasfaser- leitungen oder benötigen eine große Zahl an Repeatern Sicherheitspolitische Implikationen (wofür in der Forschung Satellitenkonstellationen als effizi- Die Triebfedern hinter der Entwicklung von Quantentech- enteste Lösung diskutiert werden). Darüber hinaus erweist nologie sind wissenschaftliche und kommerzielle. Aber sich auch quantenverschlüsselte Kommunikation anfällig Durchbrüche im Feld könnten zukünftig auch weitreichen- für „side-channel attacks“, bei denen nicht das kryptogra- de sicherheits- und verteidigungspolitische Implikationen phische Verfahren selbst, sondern seine praktische Imple- entfalten – nicht in Form eines singulären Ereignisses wie mentierung in einer Anwendungsumgebung angegriffen im Falle der Entwicklung der Atombombe, sondern durch wird – um die Information eben doch unbemerkt über Sei- ihre Breitenwirkung. Die Rolle von Quantentechnologie tenkanäle abzuzapfen. wäre – so sich ihre Versprechen denn tatsächlich reali- Selbst wenn zeitnah, also gen Ende dieses Jahrzehnts, sieren – die eines massiven Trendverstärkers mit Blick auf ein Durchbruch in der Breitenanwendung quantenver- das Streben nach Informationsüberlegenheit. Das gesam- schlüsselter Verbindungen gelänge, so wären – zumindest te Spektrum von Führung, Information, Kommunikation, aus einer sicherheitspolitisch eng verstandenen, also militä- Computersystemen, Nachrichtenwesen, Überwachung rischen Sicht – die Implikationen überschaubar. 8 / 12
Metis Studie | Nr. 25 Quantentechnologie: Implikationen für Sicherheit und Verteidigung Sensorik Stealth-Technologie obsolet machen könnte, lassen sich Sensorik ist das quantentechnologische Feld mit den (zumindest auf Basis offen zugänglicher Quellen) nicht er- meisten konkreten, bereits nutzbaren Anwendungen. An- härten. Das unterstrich jüngst erneut das Defense Science ders als Quantencomputer benötigen Quantensensoren Board des Pentagon. keine großen Zahlen miteinander verschränkter Teilchen- Das breite Feld der Quantensensorik nähert sich einer paare; auch das für genaue Messungen natürlich hinder- militärischen Nutzung am schnellsten an. Aber es ist nicht liche »Rauschen« hat die Forschung in den letzten zwei seriös vorhersagbar, welche Sensortechnologie wann Se- Jahrzehnten durch erhebliche Fortschritte beim Herstel- rienreife erreichen und ihren Weg ins Feld der Sicherheit len und Manipulieren der Quantenzustände von Teilchen und Verteidigung finden wird. Da Sensorik zudem etliche besser im Griff. Ähnlich wie im Feld der Computer wird Anwendungsbereiche tangieren könnte, ist die Vielzahl außerdem auch hier die Nutzung verschiedener physikali- möglicher Implikationen im Rahmen dieser Studie nicht scher Prinzipien und Designs gleichzeitig vorangetrieben. abschätzbar. Messungen von Masse, Zeit, Ort, Geschwindigkeit, Be- schleunigung oder elektromagnetischer Feldstärken kön- Kryptoanalyse nen mit Quantensensoren um Größenordnungen präziser Etablierte kryptographische Verfahren machen sich den stattfinden als mit klassischen Sensoren. Räumliche Auf- Umstand zunutze, dass bestimmte mathematische Pro- lösungen im Nanometerbereich sind möglich. Quanten- bleme durch klassische Computer nicht in einem über- uhren ermöglichen präzise Synchronisation von Abläufen. schaubaren Zeitrahmen berechnet werden können. Quantengyroskope für Trägheitsnavigationssysteme oder Quantencomputer haben, wie oben gesehen, das Poten- Quantensensoren für Erdmagnetfeldmessungen können zial, hier einen Paradigmenwechsel einzuleiten, also nach autonome Fortbewegung unabhängig von GPS oder bisherigen Standards sicher verschlüsselte Datenbestän- anderen Satellitennavigationssystemen ermöglichen. de in kürzester Zeit zu entschlüsseln. Auch eingelagerte, Kompakte und bei Raumtemperatur funktionierende bis dato nicht zu entschlüsselnde Datenbestände könnten Quantenmagnetometer sind in der Entwicklung. Ihr mög- jäh offengelegt werden. licher Anwendungsbereich erstreckt sich von der U-Boot- Noch ist dies ein theoretisches Szenario. Trotzdem hat Ortung bis hin zu Gehirn-Computer-Schnittstellen. 3 das Nachdenken über quantencomputerresistente Ver- Spekulationen zu einem leistungsfähigen chinesi- schlüsselungsverfahren für die Welt der klassischen Com- schen Quantenradar, das, so fürchteten vor einigen Jahren puter und des Internets längst begonnen. Das National sicherheitspolitische Kreise in Washington, schon bald die Institute for Standards and Technology (NIST) in den USA hat beispielsweise bereits 2016 einen Prozess ins Leben gerufen, um solche Verfahren zu entwickeln, zu standar- disieren und zur Verfügung zu stellen. Erste Ergebnisse für 3 Siehe „Konventionelle Rüstungskontrolle und neue Technolo- solche gegenüber Quantencomputern sichere Verschlüs- gien“, Metis Studie Nr. 20 (September 2020). selungen werden 2022 / 2023 erwartet. Laser Manipulation 1 2 3 4 5 6 Qubits können beliebigen Beide Qubits in Auslesen im Zustand beider Quibits Zwei Quibits Verschränkung Abstand zueinander unbestimmtem Zustand Quantencomputer wird bestimmt einnehmen Abb. 5 Schematische Darstellung der Verschränkung von Qubits. | Quelle der Vorlage: VectorMine auf shutterstock.com 9 / 12
Metis Studie | Nr. 25 Quantentechnologie: Implikationen für Sicherheit und Verteidigung Es ist nicht gänzlich ausgeschlossen, dass die oben ge- • Quantencomputerresistente Kryptographie wird zum nannten Skeptiker*innen Recht behalten und einige der Standard werden. Das Bundesverteidigungsministe- mit Quantencomputern verbundenen Versprechungen rium sollte jetzt planen und abschätzen, wie lange das länger – oder gar für immer – auf sich warten lassen wer- Implementieren entsprechender Verschlüsselungsver- den. Aber angesichts der in nur knapp drei Jahrzehnten fahren in seinem Geschäftsbereich dauern würde. Tritt gemachten Fortschritte, der bereits existierenden Proto- ein Durchbruch bei Quantencomputern – und somit typen und Spezialanwendungen, der Investitionen und das Ende der klassischen Verschlüsselung – vor dem nicht zuletzt dem weltweiten Aufwand von Talent und Abschluss dieses Prozesses ein, dann hat dies desast- Zeit scheint die hier im Raum stehende Frage doch eher röse Auswirkungen auf eingestufte Informationen. Zu eine des »Wann«, nicht des »Ob« zu sein. bedenken ist dabei: Auch bis dato womöglich bereits Legt man diese Annahme zugrunde, ergeben sich im von der Gegenseite gesammelte, wenn auch noch ver- Falle der Kryptoanalyse weitreichende sicherheitspoli- schlüsselte Daten müssten fortan als kompromittiert tische Ableitungen. Sämtliche sensible Kommunikation gelten. müsste dann flächendeckend und so schnell wie möglich durch die Umstellung auf quantencomputerresistente • Mittelfristig sollte die Bundeswehr – in nationalem Rah- Verschlüsselungsverfahren geschützt werden. men, aber auch mit Partnern in EU und NATO sowie mit Einrichtungen für angewandte Forschung und der Fazit und Handlungsempfehlungen Industrie – systematisch durchspielen, was Durchbrü- Die USA, China, Großbritannien und Indien haben För- che im Feld der Sensorik militärisch konkret bedeuten derprogramme für Quantentechnologie aufgelegt; die könnten. Welche neuen Fähigkeiten wären mit einzel- EU betreibt ein »Flaggschiffprojekt« und will Mittel in nen Anwendungen für einen potenziellen Gegner ver- Höhe von bis zu einer Milliarde Euro bereitstellen. Die bunden, welche eigenen würden womöglich obsolet? Bundesregierung beschloss, auch um sich der durch die Was wären die Implikationen für Planung, Beschaffung Covid-19-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise ent- und Interoperabilität? Welche rüstungskontroll- und gegenzustemmen, im Juni 2020 ein Konjunkturprogramm, exportpolitischen Hebel könnten entwickelt werden? in welchem ebenfalls Quantentechnologie gezielt geför- Szenario-Workshops bieten ein mögliches Format für dert wird. Allein in der laufenden Legislaturperiode sind solche Überlegungen. 650 Millionen Euro vorgesehen. Die Forschung in Europa und insbesondere Deutschland kann – dank der staat- • Langfristig und in breitem gesellschaftlichem Rahmen lichen Förderung, traditionell guter wissenschaftlicher sollte darüber nachgedacht werden, was ein Durch- Ausbildung und zahlreichen bereits bestehenden techno- bruch im Bereich des Quantencomputers mensch- logischen Schwerpunktzentren – bisher mit der Weltspit- heitsgeschichtlich bedeuten würde. Das Ende der ze mithalten. klassischen Verschlüsselung ist, wie oben gesehen, nur Im Sicherheits- und Verteidigungsbereich wird sich der eine mögliche Konsequenz. Auch Pharmazie und Mate- eingangs skizzierte Hype um Quantentechnologie, das rialwissenschaften könnten durch die Verfügbarkeit von legen zumindest Erfahrungen mit anderen neuen Techno- Quantencomputern revolutioniert werden, um nur zwei logien nahe, bald fürs Erste wieder legen. Und da soziale weitere Beispiele zu nennen. Insbesondere aber der und politische Faktoren wie Kultur und Regulierung mit Fortschritt im aktuell dank maschinellem Lernen bereits Technologieentwicklung und -anwendung stets in Wech- boomenden Feld der Künstlichen Intelligenz 4 dürfte selwirkung stehen, ist ohnehin keine lineare Entwicklung weiter beschleunigt werden, was leistungsfähige Simu- zu erwarten. lationen und die Optimierung zahlloser Verfahren erlau- Zugleich hat aber diese Studie gezeigt, dass Abwarten ben würde. In der internationalen Forschergemeinde keine Option ist und wichtige Fragen schon jetzt adres- ist vor diesem Hintergrund bereits eine Diskussion um siert werden müssen. Daraus ergeben sich drei Empfeh- »Quantenethik« in Gang gekommen: Welcher recht- lungen für das kurz-, mittel- und langfristige Ausloten von lichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen Handlungsoptionen. bedarf es, um den womöglich existenziellen Risiken des Quantenzeitalters zu begegnen? 4 Unter Künstlicher Intelligenz wird hier die Vielzahl unterschied- licher computerbasierter Techniken und Verfahren zur Automa- tisierung von Aufgaben verstanden, die bisher die Anwendung menschlicher Intelligenz erforderten. 10 / 12
IMPRESSUM Herausgeber Metis Institut für Strategie und Vorausschau Universität der Bundeswehr München metis.unibw.de Autor Dr. Frank Sauer metis@unibw.de Creative Director Christoph Ph. Nick, M. A. c-studios.net Bildnachweis Titel: IBM Q Quantum Computer. | Quelle: flickr.com/photos/ibm_research_zurich/; Credit: Graham Carlow ISSN-2627 – 0587 Dieses Werk ist unter einer Creative Commons Lizenz vom Typ Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International zugänglich.
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