Strahlentherapie und Onkologie

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Strahlentherapie
und Onkologie                                                                                                    Literatur kommentiert

     Die Rolle der Gamma-Knife-Radiochirurgie bei der Behandlung von Hirn-
     metastasen maligner Melanome
Fragestellung: Die Pittsburgher Gamma-Knife-Gruppe [3] un-             86,2%. Patienten mit kontrolliertem systemischen Tumorleiden,
tersuchte retrospektiv ihre Serie von Patienten mit Hirnmetas-         singulärer Hirnmetastase und einem Karnofsky-Score von 90–100
tasen maligner Melanome auf das klinische Outcome und arbei-           wiesen signifikant bessere Überlebensraten auf. Dagegen waren
tete prognostische Faktoren für Überleben und Tumorkontrolle           das Fehlen einer systemischen Immuntherapie und multiple Hirn-
auf.                                                                   metastasen Prädiktoren für die rasche Ausbildung neuer Hirnme-
                                                                       tastasen, die bei 41,8% auftraten. Eine symptomatische Neuroto-
Patienten und Methodik: In diese Studie gingen 244 Patienten           xizität war bei 6,6% der beobachteten Patienten zu verzeichnen.
mit 754 Hirnmetastasen ein. Im Mittel wurden 2,6 Metastasen mit        Insgesamt blieben 71,4% nach der Radiochirurgie in stabilem
einem medianen Tumorvolumen von 4,4 cm3 mit dem Gamma-                 oder verbessertem Zustand.
Knife bestrahlt. Die umschließende Dosierung betrug 18 Gy bei
einem Dosismaximum von 32 Gy.                                          Schlussfolgerung: Die Autoren resümieren, dass die Radiochir-
                                                                       urgie mit dem Gamma-Knife eine sichere und effektive Behand-
Ergebnisse: Das mediane Überleben betrug 5,3 Monate nach               lung von Hirnmetastasen maligner Melanome darstellt und eine
Radiochirurgie (Range: 0,2–114,3 Monate), die Tumorkontrolle           hohe lokale Tumorkontrolle bietet.

          Kommentar
     Die Daten der Pittsburgher Autoren bezüglich des Überle-             pe, denn der Einfluss der Radiochirurgie auf die Häufig-
     bens stimmen im Wesentlichen mit der gegenwärtigen Li-               keit von intraläsionalen Tumorblutungen maligner Mela-
     teratur überein und sind somit hauptsächlich aufgrund der            nome ist noch nicht geklärt;
     großen Patientenzahl von Bedeutung. Ein interessanter             2. die Evaluation des Vorteils der Radiochirurgie bei Vorlie-
     Aspekt dieser Arbeit liegt aber in der Anzahl der Kompli-            gen multipler Hirnmetastasen im Vergleich zur alleinigen
     kationen mit 6,6% symptomatischer Toxizität, die meist mit           WBRT.
     Kortikosteroiden behandelt werden musste. Immerhin hat-                Abschließend besteht aber kein Zweifel an der wich-
     ten 22,3% der Patienten in der postinterventionellen Bildge-      tigen Rolle der Radiochirurgie bei der Behandlung von sin-
     bung eine Tumorblutung, die bei 58,7% dieser Patienten zu         gulären bzw. wenigen Hirnmetastasen maligner Melanome.
     einer neurologischen Verschlechterung führte. Bei 28% war         In unserer interdisziplinären Zusammenarbeit werden Pati-
     dann eine Kraniotomie notwendig, wobei fast 20% als Folge         enten mit mehr als fünf Hirnmetastasen eher einer WBRT
     der Blutung starben. Im Gegensatz dazu treten Tumorblu-           zugeführt, wenige kleine Metastasen werden radiochirur-
     tungen bei malignen Melanomen in anderen großen Serien            gisch behandelt.
     nur bei 3% der Patienten auf [1, 2, 4].
           Vor diesem Hintergrund muss ein zweiter Aspekt der
     Arbeit diskutiert werden, nämlich wie viele Hirnmetastasen            Literatur
                                                                       1. Buchsbaum JC, Suh JH, Lee SY, et al. Survival by radiation therapy on-
     eigentlich radiochirurgisch angegangen werden sollten. In
                                                                          cology group recursive partitioning analysis class and treatment mo-
     der Serie von Mathieu et al. belief sich der Anteil der Patien-      dality in patients with brain metastases from malignant melanoma: a
     ten mit vier bis sechs und sieben oder mehr Hirnmetastasen           retrospective study. Cancer 2002;94:2265–72.
     auf 25%. In der Gruppe mit vier bis sechs Metastasen lag          2. Conill C, Jorcano S, Domingo-Domenech J, et al. Whole brain irra-
     das mediane Überleben bei 3,2 Monaten, in der Gruppe mit             diation and temozolomide based chemotherapy in melanoma brain
                                                                          metastases. Clin Transl Oncol 2006,8:266–70.
     sieben oder mehr Metastasen bei 2,4 Monaten. Die Zahlen           3. Mathieu D, Kondziolka D, Cooper PB, et al. Gamma knife radiosurgery
     zeigen also keinen wesentlichen Überlebensvorteil für diese          in the management of malignant melanoma brain metastases. Neuro-
     Gruppe, verglichen mit den Daten, die wir von der Ganz-              surgery 2007;60:471–81.
     schädelbestrahlung (WBRT) kennen [2, 4]. Die wesentlichen         4. Sampson JH, Carter JH Jr, Friedman AH, et al. Demographics, progno-
                                                                          sis, and therapy in 702 patients with brain metastases from malignant
     Kritikpunkte an dieser Arbeit wären demnach:
                                                                          melanoma. J Neurosurg 1998;88:11–20.
     1. das Fehlen einer Analyse von Patientendaten, Tumorkon-
        figurationen und Bestrahlungsprotokoll in der Subgruppe
        von Tumorblutungen im Vergleich zu einer Kontrollgrup-                                                Oliver Ganslandt, Erlangen

Strahlenther Onkol 2008 · No. 5 © Urban & Vogel                                                                                                281
Literatur kommentiert

    Prognostischer Wert der quantitativen diffusionsgewichteten MRT bei malignen
    supratentoriellen Astrozytomen vor Operation und Strahlentherapie
Fragestellung: Ziel der retrospektiven Studie [2] war die Klärung    MR-Kontrastmittelverhalten des Tumors und minimalem ADC
der Frage, ob der prätherapeutisch im Rahmen der Schädel-MRT         (≤ 1,0 × 10–3 mm2/s vs. > 1,0 × 10–3 mm2/s) korreliert.
gemessene minimale apparente Diffusionskoeffizient (ADC)
einen prognostischen Faktor für das Überleben von Patienten mit      Ergebnisse: Glioblastome (WHO-Grad IV) wiesen signifikant
malignen supratentoriellen Astrozytomen darstellt.                   niedrigere minimale ADC-Werte auf als anaplastische Astrozy-
                                                                     tome (WHO-Grad III; p < 0,001). Die 2-Jahres-Überlebensra-
Patienten und Methodik: Bei 79 Patienten (44 männlich, 35 weib-      te von Glioblastompatienten lag mit 24% signifikant unter der
lich) mit einem supratentoriellen malignen Astrozytom wurde in       von Astrozytompatienten (86%; p < 0,001). Insgesamt betrug die
den diffusionsgewichteten MRT-Sequenzen im soliden Tumoran-          2-Jahres-Überlebensrate für niedrige minimale ADC-Werte
teil der minimale ADC ermittelt. Der ADC, der in aller Regel         (≤ 1,0 × 10–3 mm2/s) 14% und zeigte einen signifikanten Unter-
nach der Formel von Stejskal & Tanner [3] berechnet wird, ist pro-   schied zu hohen minimalen ADC-Werten (> 1,0 × 10–3 mm2/s),
portional zur Beweglichkeit von Wasserprotonen und umgekehrt         bei denen 84% der Patienten 2 Jahre überlebten (p < 0,001). Der
proportional zur Zelldichte in einem Gewebe [1, 4]. Sogenannte       minimale ADC war der wichtigste negative prognostische Faktor
ADC-Maps entstehen im Rahmen der Diffusionsbildgebung, für           für das Überleben von Patienten mit malignen Hirntumoren.
die die EPI-Aufnahmetechnik („echoplanar imaging“) Verwen-
dung findet. In der Studie wurde das Überleben der Patienten mit     Schlussfolgerung: Der minimale prätherapeutische ADC bei Pa-
verschiedenen Faktoren wie Alter, Vorhandensein und Dauer            tienten mit malignen supratentoriellen Astrozytomen repräsen-
von neurologischen Symptomen, Karnofsky-Index, histopatho-           tiert einen negativen prognostischen Faktor für das Patienten-
logischem Ergebnis, Ausmaß der chirurgischen Intervention,           überleben.

         Kommentar
    Die Diffusionsbildgebung in der MRT gewinnt in den letz-            auch zystische, nekrotische und eingeblutete Anteile vor,
    ten Jahren zunehmend an Bedeutung, da sich die Frage-               die den minimalen ADC verfälschen.
    stellungen von der rein morphologischen Darstellung auf          3. Die EPI-Bildgebung weist eine hohe Anfälligkeit für Sus-
    die Bestimmung der biologischen Aktivitäten von Zielge-             zeptibilität auf.
    weben ausweiten. Diffusionsbildgebung, die eine Form des              Fest steht, dass die Ermittlung des minimalen ADC bei
    „molecular imaging“ mittels MRT repräsentiert, ist heute         malignen supratentoriellen Astrozytomen als unabhängiger
    ein wichtiger Bestandteil der klinischen und investigativen      negativer prognostischer Faktor in der klinischen Routine
    Neuroradiologie und wird in zunehmendem Maße auch bei            künftig einen noch höheren Stellenwert erhalten sollte.
    einer Vielzahl von Tumoren außerhalb des zentralen Ner-
    vensystems auf ihre Wertigkeit hin überprüft. Responder
    und Nonresponder einer Therapie könnten anhand dieses                Literatur
                                                                     1. Lam WW, Poon WS, Metreveli C. Diffusion MR imaging in glioma: does
    Verfahrens frühzeitig erkannt werden. Die kommentierte
                                                                        it have any role in the pre-operation determination of grading of
    Arbeit stellt den minimalen ADC als unabhängigen, rich-             glioma? Clin Radiol 2002;57:219–25.
    tungweisenden prognostischen Faktor für das Management           2. Murakami R, Sugahara T, Nakamura H, et al. Malignant supratentorial
    von Patienten mit malignen Hirntumoren heraus. Folgende             astrocytoma treated with postoperative radiation therapy: prognostic
    Limitationen sind zu nennen:                                        value of pretreatment quantitative diffusion-weighted MR imaging.
                                                                        Radiology 2007;243:493–9.
    1. Der lokale Diffusionskoeffizient wird neben der Zelldichte    3. Stejskal EO, Tanner JE. Spin diffusion measurement: spin echoes
       und der Flüssigkeit im Interzellularraum auch durch Per-         in the presence of a time dependent field gradient. J Chem Phys
       fusion von Tumorgefäßen und verbliebene Myelinfasern             1965;42:288–92.
       beeinflusst.                                                  4. Yamasaki F, Kurisu K, Satoh K, et al. Apparent diffusion coefficient of
                                                                        human brain tumors at MR imaging. Radiology 2005;235:985–91.
    2. Maligne supratentorielle Astrozytome stellen sich äußerst
       inhomogen dar. Neben soliden Anteilen, welche aus-
       schließlich in die Studie eingeschlossen wurden, kommen                       Arnd-Oliver Schäfer, Mathias Langer, Freiburg

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Literatur kommentiert

     Anpassung der Grenzwerte von PSA und PSA-Anstiegsgeschwindigkeit
     an das Alter des Patienten
Fragestellung und Hintergrund: In den letzten Jahren haben sich      Patienten und Methodik: In ihrer Studie analysierten Moul et al.
als Entscheidungshilfen für die Indikation zur Stanzbiopsie bei      11 861 Männer der Datenbank des Duke Prostate Center, die zwi-
niedrigen PSA-Werten (prostataspezifisches Antigen) vor allem        schen 1988 und 2005 über ein Zeitintervall von 2 Jahren mindes-
die PSA-Velocity (Anstiegszeit > 0,75 ng/ml/Jahr) und der PSA-       tens an zwei verschiedenen PSA-Tests teilgenommen hatten. Die
Quotient (freies/gebundenes PSA < 20%) durchgesetzt [1, 2].          PSA-Kinetik der Patienten wurde drei Altersgruppen zugeteilt,
Altersangepasste Grenzwerte, die vor allem das Krebsrisiko jün-      und die o.g. fixen Grenzwerte wurden verschiedenen altersange-
gerer Männer widerspiegeln, fehlen bisher.                           passten PSA- und PSA-Velocity-Werten zugeordnet.
     Die zunehmende Bereitschaft auch jüngerer Männer, sich
einer PSA-Testung zu unterziehen, zeigt das zu begrüßende stei-      Ergebnisse: Die Prävalenz eines Prostatakarzinoms betrug auf
gende Gesundheitsbewusstsein von Männern, führt aber gleich-         dem Boden einer klassischen Sextantenbiopsie in der Altersgrup-
zeitig zu einem diagnostischen Dilemma für den behandelnden          pe von 50–59 Jahren 8%, in der Altersgruppe von 60–69 Jahren
Arzt. Wie eine jüngst veröffentlichte Kohortenstudie ergab,          14,9% und bei Männern ab 70 Jahren 17,9%. Die durchschnitt-
muss jedoch auch das Alter des Patienten Berücksichtigung fin-       lichen Werte für PSA und PSA-Velocity stiegen sowohl bei Män-
den [5].                                                             nern ohne als auch bei Männern mit Prostatakarzinom mit dem
     Moul et al. haben die Frage untersucht, ob die Grenzwerte       Alter an.
für PSA und PSA-Velocity bei jüngeren Männern nicht ange-
passt werden müssen. Frühere Untersuchungen legen nahe, dass         Schlussfolgerung: Um auch bei jüngeren Männern zwischen 50
eine Senkung der Grenzwerte zur Optimierung der Balance              und 59 Jahren eine Detektionsrate mit derselben Sensitivität und
zwischen Sensitivität und Spezifität einerseits sowie zu Detek-      Spezifität zu erreichen, fordern die Autoren nach eingehender
tionsraten und sicher negativen Biopsien andererseits beitragen      Analyse eine Senkung der Grenzwerte für PSA und PSA-Velocity
könnte.                                                              auf 2,0 ng/ml bzw. 0,4 ng/ml/Jahr.

          Kommentar
     Die beachtenswerte Studie legt einige zwar grundlegende         gibt es keine einheitlichen Empfehlungen zum Zeitintervall
     Fragen offen, dennoch muss sie in manchen Punkten kritisch      zwischen den beiden Messungen (Angaben zum Zeitinter-
     diskutiert werden. Zunächst einmal gibt es eine methodische     vall werden in der Studie nicht vorgelegt). Des Weiteren ist
     Limitierung der Untersuchung, weil hier eine Kohorte un-        davon auszugehen, dass bei bekannter Variabilität einzelner
     tersucht wurde, bei der die Indikation zur Biopsie entweder     PSA-Werte die Güte der Berechnung der Velocity sicher
     bei einem PSA-Wert > 4 ng/ml, einem suspekten Tastbefund        auch von der Anzahl der Messungen abhängen dürfte.
     oder einer positiven Familienanamnese gestellt wurde.                Trotz dieser Einschränkungen ist die vorliegende Studie
           Bei Anwendung der geforderten Grenzwerte auf eine         ausgesprochen wertvoll, stellt sie doch die provokante Frage,
     nicht selektierte Patientengruppe besteht die Möglichkeit,      ob der absolute PSA-Wert die Rolle spielt, die er in der Praxis
     dass der positive Vorhersagewert bei Senkung des Grenz-         bisher erhält. Eine Anpassung an die Biologie, reflektiert auch
     werts der PSA-Velocity deutlich niedriger ausfällt. Hierzu      durch das Alter der untersuchten Patienten, scheint dringend
     ist in einer Untersuchung von Loeb et al. [4] in einer ver-     erforderlich. Besonders im PSA-Bereich < 4,0 ng/ml bei jün-
     gleichbaren Population mit PSA-Werten zwischen 2,6 und          geren Männern sind gezielte validierte Untersuchungen wün-
     4,0 ng/ml ein niedrigerer positiver Vorhersagewert von < 14%    schenswert. Grundsätzlich unbeantwortet bleibt aber nach wie
     gegenüber einem Wert von 21% bei Zugrundelegung eines           vor die Frage, ob die frühere Entdeckung eines Prostatakar-
     Grenzwerts für die PSA-Velocity von 0,75 ng/ml/Jahr ermit-      zinoms auch mit einer Senkung der Letalität einhergeht [3].
     telt worden. In der vorliegenden Studie von Moul et al. war     Zweifelsohne wird der PSA-Velocity in Zukunft ein höherer
     der positive Vorhersagewert in der Altersgruppe der jünge-      Stellenwert zukommen, als er ihr bisher beigemessen wurde.
     ren Männer jedoch nur geringfügig auf 21,8% bzw. 25,8%
     reduziert, wenn rechnerisch durch die Senkung der Grenz-
     werte für PSA bzw. PSA-Velocity die Sensitivität gesteigert         Literatur
     wurde. Der wahre positive Vorhersagewert kann sicher nur        1. Carter HB, Kettermann A, Ferrucci L, et al. Prostate-specific anti-
     ermittelt werden, wenn in einer Studie die Ergebnisse der          gen velocity risk count assessment: a new concept for detection of
     Stanzbiopsien verglichen würden, denen ein Grenzwert von           life-threatening prostate cancer during window of curability. Urology
                                                                        2007;70:685–90.
     2,0 ng/ml zugrunde gelegt würde.                                2. Carter HB, Pearson JD, Metter EJ, et al. Longitudinal evaluation of
           Ein weiterer kritischer Punkt ist, dass der PSA-Veloci-      prostate-specific antigen levels in men with and without prostate
     ty lediglich zwei konsekutive Werte zugrunde liegen. Bisher        disease. JAMA 1992;267:2215–20.

Strahlenther Onkol 2008 · No. 5 © Urban & Vogel                                                                                             283
Literatur kommentiert

     3. Concato J, Wells CK, Horwitz RI, et al. The effectiveness of screening   5. Moul JW, Sun L, Hotaling JM, et al. Age adjusted prostate specific
        for prostate cancer: a nested case-control study. Arch Intern Med           antigen and prostate specific antigen velocity cut points in prostate
        2006;166:38–43.                                                             cancer screening. J Urol 2007;177:499–503.
     4. Loeb S, Roehl KA, Catalona WJ, et al. Prostate specific antigen ve-
        locity threshold for predicting prostate cancer in young men. J Urol
        2007;177:899–902.                                                                              Peter J. Goebell, Bernd Wullich, Erlangen

    Riskante Suche im World Wide Web: Gefährliche Internet-Informationen
    zur Komplementärmedizin

Fragestellung: Viele Patienten suchen im Internet nach Informa-                  am wahrscheinlichsten aufgesucht werden und die dort präsen-
tionen über komplementäre und alternative Medizin (KAM).                         tierte Information nach zuvor festgelegten Kriterien zu analy-
Wie ist die Qualität solcher Informationen? Birgt sie Gefahren?                  sieren.

Hintergrund: Das World Wide Web (www) wird von über 600                          Ergebnisse: In die Analyse wurden 32 Web-Seiten eingeschlos-
Millionen Menschen konsultiert. Etwa 36–55% der Internetbe-                      sen. Die Qualität dieser Seiten wurde nach einem Punktesystem
sucher suchen nach medizinischer Information, um Aussagen                        bewertet. Die Mehrzahl der Empfehlungen entbehrte jeder wis-
über Therapiemöglichkeiten zu gewinnen. Mit der steigenden                       senschaftlichen Evidenz. Drei Seiten enthielten sogar potenziell
Nutzerzahl wächst auch das Interesse an Informationen zu KAM.                    gefährliche Informationen. Die am häufigsten vorgestellten Opti-
Krebskranke sind in besonderem Maße gefährdet, Fehlinforma-                      onen waren Phytotherapeutika, Diäten und „Geist-Körper-The-
tionen zu übernehmen. Es war deshalb von großem Interesse, die                   rapien“.
Qualität der allgemein zugänglichen Informationen zu KAM bei
Krebserkrankungen zu überprüfen und die am häufigsten aufge-                     Schlussfolgerung: Die am häufigsten aufgesuchten Web-Seiten
suchten alternativmedizinischen Verfahren zu dokumentieren.                      zu KAM bei Krebserkrankungen bieten Informationen mit
                                                                                 sehr unterschiedlicher Qualität. Die meisten empfehlen wissen-
Methodik: Eingesetzt wurde eine zuvor validierte Strategie,                      schaftlich unbelegte Therapien, einige sogar hochgradig gefähr-
um die Web-Seiten zu identifizieren, die von Krebskranken                        liche.

          Kommentar
    Erschwerter Zugang zu als wichtig empfundenen Informationen,                 durch Phytotherapeutika oder Änderung der Lebensweise usw. eine
    sei es die Suche nach speziellen Produkten oder eben ärztlichem              Besserung zu erreichen und uns die hierfür notwendige Information
    Rat, zwingt den Zeitgenossen (das merke ich an mir selbst), das              ggf. selbst, d.h. ohne ärztliche Konsultation, besorgen. Aber selbst
    inzwischen „kinderleicht“ zu durchstöbernde Internet zu konsul-              hierbei ist schon vor Jahren wegen entsprechender Empfehlungen
    tieren. In dem Maße, wie dem Bürger der Zugang zur Ärzteschaft               deutscher Gesundheitspolitikerinnen von Ärztekammer und KV vor
    durch eine immer stringentere Rationierung erschwert wird, holt              den damit verbundenen Gefahren, insbesondere dem Verkennen
    auch Deutschland notgedrungen den in anderen Ländern der EU                  ernsthafter Symptome, gewarnt worden. Umso problematischer ist
    mit staatlichem Gesundheitssystemen längst üblichen Erkennt-                 der unkommentierte Zugang Krebskranker zu unkontrollierter In-
    nisgewinn durch Internetsurfen nach. Dabei ist die Klientel der              ternet-Information. Hierzu erwächst unseren wissenschaftlichen
    Internetnutzer (höhere Bildung, höheres Einkommen, weibliches                Gesellschaften eine neue und zunehmend bedeutungsvollere Auf-
    Geschlecht) [1] deckungsgleich mit der, die KAM zumindest er-                gabe: die Bereitstellung seriöser, wissenschaftlich gesicherter Da-
    gänzend zur naturwissenschaftlichen Medizin einsetzt: höhere                 ten zu Diagnostik und Therapie.
    Bildung und Sozialstatus, weibliches Geschlecht, gestörte famili-                  Dieser Aufgabe wird seit Anfang des neuen Jahrhunderts von
    äre Beziehung, Sorgen und Depressionen [3].                                  der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. und ihren Landesverbänden
         Die hier referierte Arbeit [4] deckt sich mit einer 2003 publi-         entsprochen, unterstützt von wissenschaftlichen Instituten, Tu-
    zierten Studie und zeigt, dass eine beunruhigende Menge an Fehl-             morzentren und Universitäten.
    informationen zu KAM im Internet verbreitet wird, und dies mit
    zunehmender Tendenz [2]. Natürlich ist es gut, wenn wir bei „Ge-             Fazit: Als Onkologen müssen wir unsere Patienten auch hin-
    sundheitsstörungen“ zunächst mit einfachen Mitteln versuchen,                sichtlich der KAM beraten und erfragen, ob Informationsbedarf

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Literatur kommentiert

     besteht. Bei dieser zeitraubenden Aufgabe können uns Kranken-          2. Matthews SC, Camacho A, Mills PJ, Dimsdale JE. The Internet for
     pflege, Arzthelferinnen, Diätberaterinnen sowie eine geschickte           medical information about cancer: help or hindrance? Psychosomat-
                                                                               ics 2003;44:100–3.
     Ambulanz- oder Praxisorganisation mit entsprechenden Fragebö-
                                                                            3. Muthny FA., Bertsch C. Why some cancer patients use unorthodox
     gen, Broschüren der Krebsgesellschaften usw. unterstützen, und            treatment and why others do not. Onkology 1997;20:320–5.
     die ärztliche Beratung vorbereiten und ergänzen. Dies ist Teil         4. Schmidt K, Ernst E. Assessing websites on complementary and alter-
     einer ganzheitlichen onkologischen Krankenversorgung, wobei es            native medicine for cancer. Ann Oncol 2004;15:733–42.
     auch gilt, unsere Patienten vor Schaden zu bewahren.
                                                                                                               Ulrich R. Kleeberg, Hamburg

         Literatur
     1. Fogel J, Albert SM, Schnabel F. Use of the internet by women with
        breast cancer. J Med Internet Res 2002;4:E9.                        Erstmals publiziert in In|Fo|Onkologie 2007;10:560–1 (No.8)

     Chemotherapie plus Bevacizumab bei metastasierenden Karzinomen:
     Die Kombination erhöht das Risiko arterieller Thromboembolien

Fragestellung und Hintergrund: Die Kombination von Chemo-                   rapie mit einem erhöhten Risiko einer arterielle Thromboembo-
therapie und Bevacizumab, einem monoklonalen Antikörper aus                 lie assoziiert (Hazard Ratio HR = 2,0; 95%-Konfidenzintervall
der Gruppe der Immunglobuline, verlängerte bei Patienten mit                (KI) = [1,05; 3,75]; p = 0,031), aber nicht für eine venöse Throm-
verschiedenen metastasierenden Karzinomen das Gesamtüberle-                 boembolie (HR = 0,89; 95%-KI = [0,66; 1,20]; p = 0,44). Die abso-
ben, erhöhte aber in einigen Studien das Risiko arterieller Throm-          lute Rate der arteriellen Thromboembolien lag bei 5,5 Ereignis-
boembolien. Die vorliegende Metaanalyse verglich das Throm-                 sen in der Bevacizumabgruppe im Vergleich zu 3,1 Ereignissen in
boembolierisiko bei Kombinationstherapie und bei alleiniger                 der Kontrollgruppe bei 100 Personenjahren (Ratio R = 1,8; 95%-
Chemotherapie. Da die niedrig dosierte Gabe von Acetylsalicyl-              KI = [0,94; 3,33]; p = 0,076).
säure (ASS ≤ 325 mg/Tag) in den einbezogenen Studien erlaubt                     Die Inzidenz venöser Thromboembolien Grad 3 und 4 war
war, wurde die Sicherheit dieser Medikation ebenfalls untersucht.           bei der Erstlinientherapie in der Bevacizumabgruppe 9,97%,
                                                                            95%-KI = [8,08; 11,86] und 9,85% in der Kontrollgruppe, 95%-
Material und Methodik: Fünf randomisierte Studien, die jeweils              KI = [7,76; 11,93].
eine Kombinationschemotherapie mit Bevacizumab (n = 782)                         In dem multivariaten proportionalen Cox-Hazard-Modell,
vs. alleinige Chemotherapie (Kontrollgruppe, n = 963) bei ver-              das den Zusammenhang von potenziellen Risikofaktoren und
schiedenen Karzinomen betrachteten, wurden in die Analyse                   dem Auftreten von arteriellen Thromboembolien analysiert,
eingeschlossen. Die Gruppeneinteilung bezog sich jeweils auf                waren drei Faktoren statistisch signifikant: ein vorangegangenes
die initiale Therapie.                                                      Thromboembolieereignis (p < 0,001), Alter ≥ 65 (p = 0,01) und die
      Als Indikatoren einer arteriellen Thromboembolie galten               Behandlung mit Bevacizumab (p = 0,04). Die Einnahme von ASS
Angina pectoris, arterielle Thrombose, ischämischer Schlagan-               vor oder während der Studie ging mit einem moderaten Anstieg
fall, zerebrale Ischämie, zerebrovaskuläre Störungen, Myokard-              von Grad-3- und -4-Blutungsereignissen in beiden Behandlungs-
infarkt und Myokardischämie. Indikatoren einer venösen Throm-               gruppen einher: von 3,6% auf 4,7% in der Bevacizumabgruppe
boembolie waren Thrombophlebitis (auch tiefe), Embolus (auch                und von 1,7% auf 2,2% in der Kontrollgruppe.
in Pulmonal- und oberen Extremitätengefäßen), Thrombose
(auch der Netzhaut), und Phlebitis. Die primären Endpunkte wa-              Schlussfolgerung: Die Kombinationsbehandlung von Bevaci-
ren progressionsfreies und Gesamt-Überleben.                                zumab und Chemotherapie im Vergleich mit alleiniger Che-
                                                                            motherapie ist mit einem erhöhten Risiko assoziiert, arterielle
Ergebnisse: Die Kombinationsbehandlung von Bevacizumab und                  Thromboembolien zu erleiden, nicht jedoch venöse Thrombo-
Chemotherapie war im Vergleich zu einer alleinigen Chemothe-                embolien.

          Kommentar
     Die in diese Metaanalyse [5] eingeschlossene Phase-3-Stu-              eindrucksvoll den statistisch signifikanten Vorteil beim Ge-
     die [1] zum metastasierten Kolonrektumkarzinom zeigte                  samtüberleben unter der Kombinationstherapie mit Beva-

Strahlenther Onkol 2008 · No. 5 © Urban & Vogel                                                                                                 285
Literatur kommentiert

    cizumab gegenüber alleiniger Chemotherapie (20,3 Monate         gerem Gesamtüberleben führt, ist das konkurrierende Risi-
    vs.15,6 Monate). Eine Ausnahme bildete die Subgruppe der        ko einer erneuten arteriellen Thromboembolie bei älteren,
    ≥ 65-Jährigen, die zuvor schon eine arterielle Thromboem-       vorgeschädigten Patienten zu berücksichtigen. Dies legt eine
    bolie erlitten hatten; aber auch hier zeigte sich ein Vorteil   individuelle Abwägung für Patienten dieser Gruppe nahe.
    für eine Bevacizumabtherapie. Die Inzidenzraten für alle        Bei gleichzeitiger ASS-Einnahme sollte zunächst die Wir-
    Patienten in der Metaanalyse, pro 100 Personenjahre ein ar-     kung hinsichtlich des Geschlechts noch genauer untersucht
    terielles Thromboembolie-Ereignis während der Studie zu         werden.
    erleiden, betrugen in der am meisten gefährdeten Subgruppe
    der ≥ 65-Jährigen mit früherer arterieller Thromboembolie
    3,6 in der Kontrollgruppe und 27 in der Bevacizumabgruppe.          Literatur
                                                                    1. Hurwitz H, Fehrenbacher L, Novotny W, et al. Bevacizumab plus irino-
    Ein vergleichbares Risiko beschrieben auch zwei aktuelle
                                                                       tecan, fluorouracil, and leucovorin for metastatic colorectal cancer.
    Studien [3, 4]. In einer Phase-3-Studie zum fortgeschrittenen      N Engl J Med. 2004;350:2335–42.
    NSCLC war das progressionsfreie Überleben unter einer           2. Manegold C, von Pawl J, Zatloukal P, et al. Randomised, double-blind
    Kombinationstherapie mit Bevacizumab signifikant länger            multicentre phase III study of bevacizumab in combination with
    als bei alleiniger Chemotherapie [2]; Daten zum Gesamt-            cisplatin and gemcitabine in chemotherapy-naive patients with ad-
                                                                       vanced or recurrent non-squamous non-small cell lung cancer. J Clin
    überleben fehlen aber noch.                                        Oncol 2007;25:967s.
         Die Aussage der vorliegenden Metaanalyse wird einge-       3. Merza T et al. J Clin Oncol 2007;25;18s/ASCO:18046.
    schränkt durch (a) die mögliche Überschätzung des Risikos       4. Raman AK et al. J Clin Oncol 2007;25;18s/ASCO:14546.
    in der Bevacizumabgruppe durch das spätere Einsetzen der        5. Scappaticci FA, Skillings JR, Holden SN et al. Arterial thromboembolic
                                                                       events in patients with metastatic carcinoma treated with chemo-
    Progression; (b) die Heterogenität der Tumoren und der
                                                                       therapy and bevacizumab.JNCI 2007;99:1232–9.
    Chemotherapeutika; (c) die wenigen mit ASS behandelten          6. Yerman T, Gan WQ, Sin DD. The influence of gender on the effects of as-
    Patienten (n = 20), wobei in dieser Subgruppe hinsichtlich         pirin in preventing myocardial infarction BMC Medicine 2007;5:29.
    des Geschlechts differenziert werden sollte [6].
                                                                                                             Lothar R. Pilz, Heidelberg
    Fazit: Bei der Nutzen-Risiko-Abwägung einer Kombina-
    tionstherapie mit Bevacizumab, die bei fortgeschrittenen
    Tumoren z.T. zu deutlich besseren Ansprechraten und län-        Erstmals publiziert in In|Fo|Onkologie 2007;10:566–7 (No. 8)

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                                          sind online verfügbar unter www.degro.org

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