Sturmtief voraus? Wo Unternehmen trotz guter Konjunktur mit sektoralen Krisen rechnen müssen - Mai 2018 - Roland Berger
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Mai 2018 Sturmtief voraus? Wo Unternehmen trotz guter Konjunktur mit sektoralen Krisen rechnen müssen
2 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? Management Summary Sturmtief voraus ...? So könnte man die Grundfrage un- serer diesjährigen Umfrage unter Restrukturierungs- und Transformationsexperten zusammenfassen. Die deutsche Wirtschaft erweist sich zwar als stabiler Motor und aktuelle Wirtschaftsdaten geben Anlass, optimis- tisch zu sein. Dennoch mehren sich die Stimmen – dar- unter die des renommierten Ökonomen Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup –, dass die glänzende Fassade der deutschen Wirtschaft schon bald ein paar Kratzer bekommen könnte. Weil sich die Notwendigkeit zur Anpassung als Erstes in einzelnen Branchen zeigt, bevor sie gesamt- wirtschaftlich durchschlägt, wird der Anpassungsbedarf oft unterschätzt. Woran liegt das? Unsere Studienteil- nehmer glauben, es fehlt in guten Zeiten in vielen Unter- nehmen am nötigen Druck, umfassende Veränderun- gen anzustoßen. Sensibilität für diese ständige Bereitschaft zur Transformation zu schaffen und sie zu verwirklichen, diese Aufgabe wurde in den Studien der vergangenen Jahre bereits als neues Betätigungsfeld deutscher Chief Restructuring Officers und Chief Trans- formation Officers (CROs und CTOs) identifiziert. Denn wenn Unternehmen in unsicheren Zeiten Management- fehler machen, ist das oft der Grund, dass der Verände- rungsbedarf sich zu einer handfesten Krise auswächst, sagen unsere Befragten. Nicht alle Branchen sind glei- chermaßen betroffen. Deswegen schauen wir genauer hin und beleuchten die Situation in deutschen Schlüs- selindustrien und arbeiten heraus, was zu tun ist, damit die Transformation gelingt.
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 3 Inhalt 1. Warum eine gut laufende Konjunktur nötige Anpassungen in Deutschland verzögert ........................................................................................................... 4 Kratzer im Lack. Ein Kommentar von Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup 2. Strukturwandel und sektorale Krisen – ausgewählte Branchen unter der Lupe ................................................................................................................................. 10 Automobilindustrie: Im Strudel des Jahrhundert-Wandels Energiewirtschaft: Neue Geschäftsmodelle gesucht Maschinenbau: Die nächste industrielle Transformation stemmen Banken: Mehr Spezialisierung wagen Konsumgüter und Handel: Im Sog von Wertewandel und Digitalisierung Gesundheitswesen: Warten auf den großen Sturm Titelbild: Ozgur Donmaz / Getty Images
4 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? Kapitel 1: Warum eine gut laufende Konjunktur nötige An- passungen in Deutschland verzögert Ergebnisse der CRO/CTO-Befragung 2018
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 5 Unternehmen in Deutschland blicken optimistisch in die Zukunft. Einer der Indikatoren dafür ist der Ifo-Ge- A: Unternehmen investieren immer mehr schäftsklimaindex. Er befindet sich im Höhenflug. Investitionen [in % des BIP] Auch haben der internationale Währungsfonds und an- dere Institutionen die Wachstumsprognose für Deutschland angehoben. Die Auftragsbücher der deut- 19,6 schen Unternehmen sind voll. Gerade die in Deutsch- 19,4 land vertretenen starken Exporteure profitieren vom 19,1 19,2 schwachen Euro und von einem anziehenden Welthan- del. Auch um die Arbeitslosigkeit muss sich Deutsch- land keine Sorgen machen. Sie ist mit 3,7% im europä- ischen Vergleich auf einem Rekordtief. Davon dürfte der private Konsum in den kommenden Jahren profitie- ren. Das derzeit niedrige Zinsniveau und die niedrige Inflation ermutigen Unternehmen zu investieren. Und das tun sie auch. Die Investitionstätigkeit steigt seit drei Jahren kontinuierlich: Von 19,1% wird sie sich auf voraussichtlich 19,6% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erhöhen. A/B Wir haben Restrukturierungsexperten dazu befragt, ob deutsche Unternehmen darauf vertrauen können, dass dieser Erfolg sie in die Zukunft trägt. Darüber hinaus wollten wir wie in den vergangenen Jahren erfahren, ob sich die Situation der CROs und CTOs in diesem Kon- text verändert (Ergebnisse siehe Einleger) und es stand die Frage im Mittelpunkt, wie die Restrukturierer die aktuelle konjunkturelle Situation einschätzen, ob und wo sie künftig Anpassungsbedarf für Unternehmen vermuten. Die Befragten warnen davor, sich durch die aktuellen Zahlen zu sehr in Sicherheit zu wiegen. Branchenspe- zifischer Strukturwandel ist gerade in der Hochkon- junktur ein wesentlicher Treiber für Anpassungen, so die Meinung vieler Antwortgeber. Die Einschätzung von Konjunkturaussichten beruht in der Regel auf ag- gregierten, rückwärtsgerichteten Indikatoren. Sie 2015 2016 2017 2018p kann nicht mehr als eine punktuelle Bestandsaufnah- me darstellen. Diese Daten eignen sich deshalb nur Quelle: Roland Berger
6 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? bedingt, um mögliche zukünftige Herausforderungen B: Arbeitslosigkeit – ein Problem von gestern? zu identifizieren. Nach der Erfahrung unserer Exper- Arbeitslosenquote [in %] ten verführen gut laufende Geschäfte sogar dazu, trä- ge und unaufmerksam zu werden. Denn wo es gut läuft, besteht kein Leidensdruck, und genau der ist oft ein Treiber nötiger Veränderung in Unternehmen. 4,6 Es ist wichtig, noch in guten Zeiten gegenzusteuern. Deutsche Vorzeigebranchen wie Automobil oder Ma- 4,2 schinenbau mögen derzeit noch florieren, müssen aber jetzt handeln, um sich für zukünftige Entwick- lungen zu wappnen. Die großen deutschen Automo- 3,8 bilhersteller haben das größtenteils erkannt und re- 3,7 agieren entsprechend, der Rest der Branche wird folgen müssen. DIE HERAUSFORDERUNGEN VON HEUTE SIND DIE KRISEN VON MORGEN Denn die nächsten Herausforderungen stehen bereits vor der Tür. Die globalen Märkte befinden sich im Um- bruch, das politische Klima ist instabil. Eine neue, pro- tektionistische Haltung der USA wirkt sich auf den Handel sowie die Wertschöpfungs- und Kostenstruktu- ren aus; China bewegt sich immer weiter weg von einer politischen Öffnung, was Auswirkungen auf den Han- del und die Geschäfte westlicher Firmen – allen voran Deutschland – haben könnte. Der Kampf um die digi- tale Vorherrschaft ist im vollen Gange: So wurde auch die Digitalisierung von den Befragten in unserer Stu- die weiterhin als wesentliche Disruptionskraft ge- nannt. Technologien wie künstliche Intelligenz entwi- ckeln sich rasant weiter und finden zunehmend Anwendung in den unterschiedlichsten Geschäftsmo- dellen. Auf diese Weise verändert sich das Spiel: Markt- eintrittsbarrieren für neue Wettbewerber aus anderen Branchen sinken, Plattformbetreiber dominieren das 2015 2016 2017 2018p Geschäft – wie z.B. der Einzelhandel bereits schmerz- lich erfahren musste. C/D Quelle: Roland Berger
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 7 C: Ein Blick in einzelne Branchen lohnt sich Welche Phänomene sorgen für Anpassungsbedarf trotz guter Konjunktur? [% der Kategorien mit der höchsten Zustimmung] Branchenspezifischer Strukturwandel 88,1% Technologischer Wandel 85,7% Globaler Wettbewerb 75,0% Nachfrageverschiebungen 61,5% War for talent 51,7% Regulatorische Herausforderungen 42,3% Demografischer Wandel 33,3% D: Transformation braucht bessere Führung Was sind die Gründe für branchenspezifische Herausforderungen? Managementfehler 90,2% Wettbewerb durch neue Anbieter 77,8% Digitalisierung und disruptive 74,3% Technologien Wettbewerb durch Produktsubstitute 59,3% Veränderungen von Kunden- 54,5% präferenzen Kostendruck in anderen Bereichen 53,6% (z.B. Einkauf) Nachwuchs- und Talentsorgen 27,3% Gewerkschaftlicher Kostendruck 21,4% "Andere" nicht mit aufgeführt Quelle: Roland Berger
8 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? deutschen Wirtschaft weiter an Fahrt gewinnt, wird sich dieser Mangel noch verschärfen. Infrastrukturprojekte "Sektorale Krisen und Investitionen in Bildung wurden verschleppt. Die Innovationskraft unserer mittelgroßen Unternehmen entstehen oft durch lässt nach, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) jüngst herausgefunden hat. Die Momentaufnahme den Einfluss der der Gesamtwirtschaft darf also nicht darüber hinweg- täuschen, dass in vielen Branchen ein teilweise längst Digitalisierung, fälliger Strukturwandel ansteht, auf den viele Unterneh- men – gerade aufgrund der guten aktuellen Lage – nicht Angebotsalternativen ausreichend vorbereitet sind. Wir betrachten exemplarisch sechs strategisch wichtige aus anderen Feldern Branchen und Branchencluster in Deutschland: Auto- mobilindustrie, Energiewirtschaft, Maschinenbau, Ban- und mangelnde ken, Konsumgüter/Handel und Unternehmen im Ge- sundheitswesen. Wo kommt es bereits heute oder Wandlungsfähigkeit absehbar zu sektoralen Krisen? Was sind die Treiber für Anpassungsbedarf in verschiedenen Branchen? In wel- von Unternehmen." chem Stadium befinden sich die Unternehmen im Hin- blick auf diesen Anpassungsbedarf? Welche Wege schla- TEILNEHMER DER STUDIE gen die Beweglichen ein und was droht den Unbeweg- lichen? Die Veränderungen im Portfolio unserer Perfor- mance-Improvement- und Restrukturierungsfälle zei- gen uns, wo auch in Zeiten guter allgemeiner Konjunk- RUHE VOR DEM STURM? tur Gefahr droht. Wir haben das zum Anlass genommen, Womöglich wird es nicht die nächste Zinserhöhung den strukturellen Handlungsbedarf in ausgewählten sein, die deutsche Unternehmen flächendeckend in eine Branchen zu umreißen. Es ist besonders in disruptiven schwierige Situation bringt. Während wir scheinbar von Zeiten gefährlich, seine Geschäftsmodelle nicht regel- einem Rekordhoch zum nächsten gehen, zeichnen sich mäßig zu hinterfragen. Unsere Befragten sehen Ma- schon verschiedene Warnsignale ab: Wir befinden uns nagementfehler als wesentlichen Grund dafür an, dass in der längsten Boomphase seit dem Zweiten Weltkrieg. Unternehmen in Krisen geraten. Es gilt mehr denn je, Gleichzeitig verzeichnen wir von 2016 auf 2017 den das Geschäft rechtzeitig anzupassen. höchsten Zuwachs an Kreditvergaben seit 70 Jahren. Engpässe treten auf, und zwar da, wo es für ein wissens- getriebenes Wirtschaftsmodell am gefährlichsten ist: bei den Köpfen. In der Industrie wird bereits seit Jahren über Fachkräftemangel geklagt. Mehr als eine Million Stellen sind unbesetzt. Wenn die Digitalisierung in der
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 9 Kratzer im Lack Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup Präsident des Handelsblatt Research Institute, langjähriges Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrates US-Präsident Donald Trump stellt gerade mit seiner "Ame- > Als Nebenwirkung der ultraleichten Geldpolitik der EZB sind rica First"-Parole und seiner Isolationspolitik die Zukunft in einer Reihe von Euroländern "Zombie-Unternehmen" ent- des freien Welthandels infrage. China macht sich gezielt standen, die bei einer Zinswende zur Gefahr für die jeweilige daran, mit einer "Made in China 2025"-Strategie die west- Volkswirtschaft werden können, insbesondere wenn es sich lichen Industrienationen zu attackieren. Da hilft es mögli- um Banken oder Versicherungen handelt. Doch auch Zom- cherweise auch nicht viel, wenn in Deutschland die Steuer- bie-Unternehmen anderer Branchen schaden der Volks- einnahmen weiter so kräftig sprudeln, dass gleichzeitig wirtschaft. Da sie nur dank der sehr niedrigen Zinsen nicht neue Ausgabenprogramme finanziert werden können, ohne Konkurs anmelden müssen, verzögern sie den produktivi- die alsbaldige Rückführung der Schuldenstandquote unter tätsfördernden Strukturwandel. die in den Europäischen Verträgen festgelegten 60% zu Die EZB ist nicht die Nachfolgerin der Deutschen Bundesbank. hinterfragen. Sie würde ihrem Auftrag nicht gerecht, wenn sie – wie auch Dennoch gibt es auf der – auf den ersten Blick – glänzenden von renommierten deutschen Ökonomen gefordert – ihre Poli- Fassade der deutschen Ökonomie ein paar hässliche Kratzer, die tik an den Erfordernissen der deutschen Volkswirtschaft aus- in der aktuellen Diskussion beflissentlich übersehen werden: richten würde. Das Direktorium dieser Notenbank mag den > So ist die deutsche Volkswirtschaft im anerkannten "World Auftrag, die Inflationsrate "nahe, aber unter 2% zu verankern" Competitiveness Ranking" des Lausanner International Ins- extensiv ausgelegt haben, doch von einer mandatswidrigen Po- titute for Management Development (IMD) vom 6. Platz im litik kann keine Rede sein. Für Deutschland geht die Bundes- Jahr 2014 auf den nunmehr 14. Rang heruntergestuft wor- bank davon aus, dass der Anteil solcher nur dank der Geldpolitik den. Hinsichtlich der digitalen Wettbewerbsfähigkeit liegt noch nicht aus dem Markt ausgeschiedenen Unternehmen je das Land sogar nur auf Platz 17. nach Abgrenzung bei nicht mehr als 5 bzw. 2,2% liegt. Doch > Als Folge der beschlossenen Senkung der Unternehmens- ungeachtet dessen gab und gibt es auch in Deutschland eine besteuerung in den USA sowie in einer Reihe wichtiger eu- ganze Reihe von Unternehmen, die sich durch die Niedrigzins- ropäischer Länder sinkt die Attraktivität des Investitions- politik veranlasst sahen, Investitionen mit einer geringen inter- standorts Deutschland weiter. nen Verzinsung zu tätigen. Bei einem schnellen geldpolitischen > Seit fast zehn Jahren liegt die jährliche Zunahme der Arbeits- Kurswechsel könnten sich diese Investments als Fehlinvestiti- produktivität bei bescheidenen 0,6%. Und das Wachstum onen erweisen. Die Folge wäre dann kein Soft-Landing der der Totalen Faktorproduktivität (TFP) liegt derzeit nur bei deutschen Konjunktur, sondern eine Rezession. Dies jedenfalls 0,4% pro Jahr. Die TFP steht für gesamtwirtschaft- befürchten Ökonomen des Kieler IfW und weisen damit auf liche Effizienzgewinne, also mögliche Produktionsauswei- einen weiteren Kratzer auf der vermeintlich glänzenden Fassa- tungen ohne höheren Einsatz von Arbeit oder Kapital. de der deutschen Ökonomie hin.
10 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? Kapitel 2: Strukturwandel und sektorale Krisen – Ausgewählte Branchen unter der Lupe Wo Restrukturierungsexperten sektorale Krisen erwarten
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 11 Wir wollten von unseren Restrukturierungs- und Transformationsexperten wissen, in welchen Branchen E: Strukturwandel in Sicht sie den größten Anpassungsbedarf sehen. Deshalb ba- Top 10 Nennungen der Restrukturierungsexperten ten wir sie im Rahmen unserer Studie um ihre Ein- schätzung. Roland Berger Branchenverantwortliche beschreiben die jeweilige Situation in den folgenden 1. Automobilzulieferer Kapiteln genauer und sagen, wie Unternehmen reagie- 94,4% ren können. Beim Handel und Großhandel ist der Umbruch augen- 2. Anlagenbau fällig und schon seit Längerem im Gange. Disruptive 86,7% Entwicklungen durch die Digitalisierung haben insbe- sondere die Geschäftsmodelle klassischer Händler ero- 3. Handel/Großhandel diert. Sie müssen schnell gegensteuern, um im Wett- 83,9% lauf um die Kunden nicht den Anschluss zu verlieren. Der Markt für Energieerzeuger und Banken befindet 4. Automotive Aftermarket sich ebenfalls schon länger im Umbruch. Während zu- 83,3% mindest die großen Energieerzeuger ihre Organisatio- nen und ihr Geschäftsmodell mittlerweile umfassend 5. Energieerzeuger umgebaut haben, suchen die traditionellen deutschen 81,3% Banken immer noch nach einer geeigneten Antwort auf künftige Herausforderungen. Aber auch bei den deutschen Vorzeigebranchen wie 6. Maschinenbau 81,3% dem Anlagen- und Maschinenbau, bei den Automobil- zulieferern sowie dem Automotive Aftermarket lohnt es sich nach Ansicht der Befragten, genauer hinzuse- 7. Banken 74,1% hen. Bei vielen dieser Unternehmen ist die aktuelle Lage derzeit noch zu gut, um sich über Anpassungsbe- darf in der Zukunft Gedanken zu machen. 8. Konsumgüter Für den Healthcare-Sektor sind sich die Befragten un- 52,4% eins: Nur rund die Hälfte erwartet signifikante Verwer- fungen. Weniger akut ist die Lage in den Bereichen 9. Gesundheitswesen Pharma, Chemie und Software sowie Telekommunikati- 51,9% on, so die Meinung der Befragten. Die Dynamik dieser Märkte bietet viele Chancen. Unsere Experten sehen 10. Versicherungen deutsche Unternehmen offenbar als gut positioniert, 45,5% um diese Entwicklungen aktiv mitzugestalten. E Quelle: Roland Berger
12 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? Automobilindustrie IM STRUDEL DES JAHRHUNDERT-WANDELS im Rahmen des Dieselskandals – verleiht dem Markt (Norbert Dressler) nun eine unerwartete Dynamik. 12% der Modelle deutscher Hersteller fahren bereits mit Elektroantrieb Seit der Erfindung des Automobils hat sich die Branche (gegenüber 9% in 2015). Kommt es kurzfristig zu lange Zeit weitgehend linear weiterentwickelt. In den Fahrverboten in Städten, entsteht ein zusätzlicher An- vergangenen zwei Jahren konnten wir jedoch beobach- reiz für deutsche Käufer, über alternative Antriebe ten, wie sich – getrieben durch vier Trends – ein massiver nachzudenken. F Wandel ankündigte und teilweise auch schon vollzog. Gerade die Zulieferer verspüren bei EBIT-Margen von Das hat Auswirkungen auf Automobilhersteller, Zuliefe- 7,5% bislang noch wenig Handlungsdruck. Doch diese rer und den Aftermarket. Sicherheit ist trügerisch, wenn man bedenkt, dass der- zeit z.B. kein einziger deutscher Anbieter unter den füh- renden Entwicklern für Batterien ist. Der Umstieg von TRENDS Verbrennungs- auf Elektromotoren ist ein großer Schritt 1. Alternative Antriebsformen: Die Entwicklung des Marktes in Bezug auf die gesamte Wertschöpfungskette. Auch hin zur E-Mobilität veränderte substanziell das gesamte wenn die Ladeinfrastruktur sich noch schleppend ent- Ökosystem, bestehend aus Zulieferern, Herstellern und wickelt, müssen Automobilhersteller heute schon mas- Aftermarket. siv investieren, um startbereit zu sein. Auch vor dem 2. Mobilität statt Autofahren: Autofahrer haben bereits heute Hintergrund der gesättigten Heimatmärkte müssen die Option, zahlreiche neue Mobilitätskonzepte wie Carsha- sich Automobilhersteller immer stärker auf Wachstum ring oder Taxihailing als Alternativen zum eigenen Auto zu in Schwellenländern konzentrieren. Die Anforderungen nutzen – zumindest in städtischen Gebieten. der Kunden in diesen Märkten unterscheiden sich z.T. 3. Autonomes Fahren: Vor allem die Zulieferer erleben einen wesentlich von denen westlicher Kunden (Beispiel: massiven Umbruch. Die Unternehmen haben bereits und Volvo wird nach dem Einstieg eines chinesischen Inves- werden weiter in Entwicklung investieren müssen, um tors künftig nur noch Elektroautos neu entwerfen, weil neuen Anforderungen zum Beispiel an Innenraumgestal- die chinesische Regierung rigide gegen Luftverschmut- tung, Sensorik oder Vernetzung gerecht zu werden. zung vorgeht und damit Elektroautos in China ein enor- 4. Digitalisierung: Sie könnte die Art und Weise, wie Autos mes Potenzial haben). verkauft werden, relativ schnell massiv verändern und Die Batterie ist einer der technologischen Differenzie- auch das Geschäft im Aftermarket disruptieren. rungsfaktoren. In diesem Feld werden asiatische und auch branchenfremde Zulieferer mit ihren Kompeten- zen punkten. Elektromotoren kommen mit 25% weni- UNERWARTETE BESCHLEUNIGER ger Komponenten aus. Die Hersteller von Komponenten Die Anpassung des regulatorischen Rahmens macht für traditionelle Antriebe verzeichnen deutliche Rück- derzeit die Veränderung von Antriebsformen in gänge in ihren Margen. Sie stehen vor der Herausforde- Deutschland zum Treiber des Strukturwandels. Be- rung, schnell genug in neue Geschäftsfelder zu investie- reits 2011 gab die Bundesregierung das Ziel aus, bis ren, wenn sie weiterhin am Markt präsent sein wollen. 2020 eine Million E-Autos auf die Straße zu bringen. Neue Chancen ergeben sich z.B. im Bereich von intelli- Die Notwendigkeit, Emissionen zu reduzieren – auch genten Charging-Lösungen im B2B- und im B2C-Seg-
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 13 ment. Und die Elektromobilität ist nur ein erster Schritt F: Wo die Musik spielt in Richtung eines autonomen Robotaxis. Auf diesem Investitionen in zukünftige Mobilität Weg werden noch viel erheblichere Investitionen in ganz neue Geschäftsfelder und Technologien notwendig WAGNISKAPITAL FÜR MOBILITÄT UND sein. Denn Mobilitätsservices, die wir heute kennen, KÜNSTLICHE INTELLIGENZ [USD MRD.] werden sich sehr schnell noch weiter ausdifferenzieren. Sie werden sich mit anderen Transportformen vernet- zen. Die großen Automobilhersteller sind dabei, sich in diesem Geschäft zu positionieren. Sie stehen aber vor allem im Plattformgeschäft im Wettbewerb mit bran- chenfremden Unternehmen. 21,4 3,2 MOBILITÄT DER ZUKUNFT Fahrzeuge werden auch morgen noch gebaut, aber die Entwicklungen im Markt für Mobilität werden eine sehr umfassende Transformation erfordern. Sie muss heute beginnen, wenn deutsche Unternehmen morgen in einer guten Startposition sein wollen. Das Kernge- schäft gehört auf den Prüfstand. Es muss noch besser und effizienter aufgestellt werden, damit genügend +130% +107% Spielraum für die notwendigen Investitionen verbleibt. Es ist wichtig, alte, an physischen Fahrzeugen ausge- richtete Geschäftsmodelle mit neuen datengetriebe- nen Geschäftsmodellen zu verknüpfen. OEMs müssen mehr über ihre Kunden erfahren. Sie brauchen Daten, die über die reine Fahrzeugnutzung hinausgehen: wie sie parken, welche anderen Mobilitätsformen sie nut- zen, wo sie unterwegs sind, welche Aftermarket-Leis- 9,3 1,6 tungen sie benötigen. Diese Informationen helfen, die Kundenbeziehung neu zu definieren und in einer sinn- vollen Multichannel-Architektur abzubilden. Unter- nehmen in der Automobilindustrie müssen darüber Mobilität Künstliche hinaus neue Organisationsformen und Führungs- Intelligenz modelle finden, um diese Transformation zu leben 2016 2017 und geeignete Mitarbeiter an sich zu binden. Kurz: Es 1 Inklusive Investitionen in Smart Cars. KI in Technologien für Transport, gilt, die Kultur in OEMs und bei Zulieferern in jeder autonome Fahrzeuge und KI-Infrastruktur Hinsicht: für eine neue Generation von Mobilitätsnut- Quelle: Roland Berger zern zu öffnen.
14 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? Energiewirtschaft NEUE GESCHÄFTSMODELLE GESUCHT EIN NEUES SPIEL? (Torsten Henzelmann) Die ersten beiden Treiber – Dezentralisierung und De- karbonisierung – wirken kurz- und mittelfristig am Die deutschen Energieversorger leben traditionell von stärksten. Der Anpassungsdruck betrifft alle Geschäfts- der Erzeugung und vom Handel mit Energie – Strom, bereiche. Besonders augenfällig ist der Rückgang der Gas, Wärme – für Geschäfts- und Privatkunden. Sie ver- Margen im Erzeugungsgeschäft, das sich in den ver- dienen ihr Geld außerdem mit ihren Netzen, zuneh- gangenen Jahren massiv gewandelt hat: Kraftwerksbe- mend auch mit ihrem Servicegeschäft. Die Branche hat treiber haben sich auf die noch vor wenigen Jahren bereits durch strategische Neuorientierung und eine geltende Gesetzeslage verlassen. Durch die Energie- zweite Konsolidierungswelle auf den Anpassungsbe- wende, aber auch die verschärften internationalen Ver- darf reagiert. Wenige große Unternehmen dominieren einbarungen zu CO2-Emissionen sehen sie sich nun den Markt, sie haben bereits nicht zukunftsträchtige mit einer faktischen Enteignung konfrontiert: Im Ver- Teile abgespalten oder Geschäfte aufgegeben, wie z.B. trauen an einen Cashflow für die nächsten 25 Jahre ha- den B2B-Vertrieb. Der übrige Markt ist stark fragmen- ben sie langfristig investiert und ihr Kapital gebunden. tiert – kommunale und städtische Energieversorgungs- Beim Handel mit Energie haben sich ebenfalls qua Ge- unternehmen charakterisieren die Landschaft. Vier setz starke Verschiebungen ergeben: Da Ökostrom bei Treiber sorgen für weiteren Anpassungsdruck. der Einspeisung immer Vorrang hat, sinkt der Energie- preis für Unternehmen, die in Kraftwerke investiert haben, ihre Renditen brechen ein. Mit festgelegten TRENDS Netznutzungsentgelten lässt sich nur bedingt gegen- 1. D ezentralisierung: In der Gesellschaft geht der Trend zur steuern, diese werden vom Regulator festgelegt. Der Eigenversorgung, z.B. über erneuerbare Energieträger wie definierte Basiszinssatz für die Fremdkapitalrendite die Fotovoltaik. Es entstehen individuelle Blockheizkraft- der Netze beträgt knapp über 1%. Um sich in diesem werke, Fotovoltaik- und Windkraftanlagen. Marktumfeld mit langfristig niedrigem Margenniveau 2. Dekarbonisierung: Die Abkehr von fossilen Brennstoffen erfolgreich zu positionieren und den operativen Auf- wird forciert durch die Energiewende und durch transnati- wand des Netzbetriebs systematisch zu senken, müs- onale Vereinbarungen wie das Paris-Abkommen. Deutsch- sen Energieversorger deshalb praktikable Strategien land ist als Industrieland Vorbild und deswegen besonders entwickeln. in der Pflicht, schnell Lösungen zu finden. Die Transparenz über Konditionen hat im Zuge der Di- 3. V eränderung der Nutzergewohnheiten durch Digitalisie- gitalisierung zugenommen. Kunden reagieren immer rung an der Kundenschnittstelle: Schon jetzt ist der Wech- häufiger preissensitiv. Verbraucherportale ermögli- sel des Anbieters mit wenigen Klicks möglich. chen ihnen, mit nur einem Klick den günstigsten An- 4. S ektorenkopplung: Strom und Wärme, Mobilität und bieter auszuwählen. Bisher wird dieses Potenzial noch Strom oder Telekommunikation und Strom, Power2Heat wenig genutzt, die Wechselquote liegt bei 25%. Da aber etc. sind einige Beispiele für die zukünftig verstärkt zu fin- die Digital Natives zunehmend über die Wahl des dende Kopplung der heute häufig singulär agierenden Sek- Stromanbieters entscheiden, könnte die Wechselbe- toren. reitschaft weiter steigen. Die Folge für Vertrieb und Service von Energieanbietern: B2C- und B2B-Verträge
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 15 bieten durch die höheren Kosten für die Akquise von G: 120 Unternehmen haben keine Kredit- Neukunden immer geringere Margen. Den meisten Un- würdigkeit mehr ternehmen der Branche fällt es schwer, ihr Geschäfts- Durchschnittliches operatives Betriebsergebnis modell und ihre Strukturen so schnell anzupassen, wie nach Geschäftsmodell es der Markt verlangt. EBITDA1-Marge [%] DIE LUFT WIRD DÜNNER 22 Ungefähr 20% der Unternehmen entsprechen nicht mehr Investment Grade. Bewegte sich die EBITDA-Mar- ge der Energieversorger vor zehn Jahren noch bei über 20%, liegt sie heute nur noch bei 6%. Der Verschul- dungsgrad vieler Versorger ist mit über 3,5 bereits beun- 20 ruhigend hoch. Die Eigenkapitalquoten der Unterneh- men liegen teilweise bei unter 30%, was für ein Asset- intensives Geschäft kritisch ist. Insolvenzen sind bei Geschäftsmodell Versorgern, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, 18 OHNE KONVENTIONELLE in der Regel keine Option. Schwinden ihre Profite, zei- ERZEUGUNG gen sich die Auswirkungen an anderer Stelle: Ohne ihre Erträge lassen sich klassisch defizitäre kommunale oder städtische Betriebe wie Schwimmbäder etc. nicht mehr quersubventionieren. G 16 Anpassungsmöglichkeiten bestehen darin, rechtzeitig in angrenzende Geschäftsfelder zu investieren: Unter- nehmen, die Infrastruktur besitzen, haben mehrere Möglichkeiten. Hier sind vor allem smarte Infrastruktu- 14 ren im Fokus wie z.B. Breitbandversorgung, 5G oder Ge- schäftsmodelle mit Plattformcharakter wie z.B. intermo- Geschäftsmodell daler Verkehr, Ladeinfrastruktur oder dezentrale MIT KONVENTIONELLER Erzeugungstechniken. ERZEUGUNG Weitere Optionen für Netzbetreiber sind leitungs-, 12 rohr- oder datengebundene konventionelle und smarte Technologien oder Commodities wie z.B. Strom, Gas, Wärme. Weiterhin können Energieversorger auf Kon- nektivität in smarter und dezentraler Form setzen oder 10 auf Plattformen wie z.B. Peer2Peer-Netzwerke, Mobili- 2004 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 tätsplattformen und Discount-Stromvertrieb. 1 Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen Quelle: Roland Berger
16 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? Maschinenbau DIE NÄCHSTE INDUSTRIELLE TRANSFORMATION in die Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft investieren. STEMMEN (Sven Siepen) Kein Maschinenbau-Unternehmen kann es sich erlau- ben, diese Themen zu verschlafen. Denn das hätte exis- Für Maschinen- und Anlagenbau ist Deutschland welt- tenzielle Folgen. Vor allem die Digitalisierung muss weit renommiert. Den zahlreichen Hidden Champions zum Topmanagement-Thema avancieren. Empfehlens- ist es gelungen, sich relativ unbeschadet über die Krisen wert ist die Einführung einer CDO-Position, unter- der Vergangenheit zu retten. Auch im aktuell schwieri- stützt von einem schlanken Kernteam aus Digitalisie- gen politischen und wirtschaftlichen Umfeld (Brexit, rungs- und Software-Experten sowie funktionalen Vertrauenskrise in Europa und Deutschland, Trump als Experten (Vertrieb, Logistik, Service). Ein solches Team US-Präsident) behauptet sich der deutsche Maschinen- kann zum Beispiel eine digitale Strategie "end-to-end" bau weiter. Die Auftragslage entwickelt sich im Vergleich definieren und zukunftsträchtige Projekte relativ zum Vorjahr sehr gut und lässt für 2018 auf ein reales schnell operativ vorantreiben. H Wachstum hoffen. Das Geschäft mit neuen Maschinen gerät zunehmend un- ter Druck, unter anderem deshalb, weil Schlüsselbran- chen wie die Automobilindustrie langfristig weniger Ka- TRENDS pazitäten brauchen. Außerdem setzen die Abnehmer 1. Digitalisierung: Industrie 4.0 bzw. digitale Transformation zunehmend Additive Manufacturing ein. Darüber hinaus erfordert die Stärkung von Softwarekompetenzen produ- drängen chinesische Hersteller in den Markt. Zusätzliche zierender Unternehmen. Angebote in Service und Aftersales können eine Differen- 2. N eue Wettbewerber: Im Zusammenhang mit der Digitali- zierung schaffen und damit Umsatz und Marge steigern. sierung und digitalen Geschäftsmodellen treten neue Diese Potenziale liegen oft noch brach. Marktteilnehmer auf den Plan (IIoT-Plattformanbieter) und Für eine weitere Professionalisierung im Service wie die definieren das Spielfeld neu. Digitalisierung insgesamt ist es entscheidend, vor allem 3. A dditive Manufacturing: Etabliert sich auch bei höheren eines zu haben: gute Daten, z.B. Stücklisten, Stamm- und Stückzahlen zunehmend über das Prototyping hinaus und ge- Bewegungsdaten, Kundendaten und Daten bestehender winnt gegenüber konventionellen Verfahren an Marktanteil. Anlagen etc. Viele Maschinenbauer haben gerade hier 4. Chinesische Wettbewerber: Sie investieren strategisch, große Defizite. Für Datenbereinigung, -integration und stärken das eigene Know-how und setzen deutsche Ma- -analyse müssen sie so schnell wie möglich die notwendi- schinenbauer und deren China-Exportgeschäft stark unter gen Ressourcen aufbauen. Druck. Weitere Kompetenzen brauchen Maschinenbauer, um neue Märkte und Wachstumschancen zu erschließen. Besitzen sie einen starken Fokus auf eine spezifische FIT FÜR DIE ZUKUNFT? Branche, z.B. die Herstellung von Teilen für den konven- Die Trends bergen neben Chancen auch Risiken für tionellen Antriebsstrang in der Automobilindustrie, den Maschinenbau. Unternehmen müssen diese so müssen sie rechtzeitig neue Anwendungsfelder für ihre schnell wie möglich angehen. Denn der Anpassungs- Technologien suchen, z.B. in den Bereichen Medizin- und Veränderungsdruck nimmt weiter zu. Für die Fir- technik, Luft- und Raumfahrt. Es empfiehlt sich ein In- men heißt das ganz konkret: Sie müssen bereits heute novationsansatz, der gezielt nach strategischen Kunden
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 17 in neuen Märkten Ausschau hält, die bereit sind, Ent- um zu wirken. Somit ist man gut beraten, ein entspre- wicklungskosten und -risiken mit ihnen zu teilen ("Lead chendes Programm noch zu lancieren, solange es dem Customers"). Unternehmen gut geht. Sinnvoll sind z.B. die Bereini- gung des Produktportfolios verbunden mit einer Stan- FREIRAUM SCHAFFEN dardisierung, verbesserten Projektierung und Vermei- Es ist sinnvoll, parallel (und möglichst früh) eine Per- dung von Preiserosionen, die Optimierung von Einkauf formance-Steigerung einzuleiten, um sich möglichst und Fertigung, Entscheidungen über die eigene Wert- großen Handlungsspielraum zu sichern. Erfahrungsge- schöpfungstiefe ("make or buy") sowie Personalum- mäß braucht ein solches Programm zwei bis drei Jahre, schulungen und -training. H: Wenig Veränderungsdruck Entwicklung der deutschen Maschinenproduktion REALE VERÄNDERUNG GEGENÜBER DEM VORJAHR [%] 12,7 9,3 3,0 3,0 1,2 1,1 0,8 -0,3 Schätzung Prognose -1,2 -24,7 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Quelle: Statistisches Bundesamt, VDMA
18 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? Banken MEHR SPEZIALISIERUNG WAGEN Als Konsequenz gehen Erträge zurück. Gleichzeitig stei- (Klaus Juchem) gen die Kosten z.B. durch den Zwang zur Investition in IT-Systeme, die den neuen regulatorischen Anforderun- Das deutsche Bankensystem gilt derzeit als wenig profita- gen genügen. Dass es Zeit ist zu handeln, haben die deut- bel und wenig progressiv. In Sachen Digitalisierung be- schen Banken erkannt. Aktuell sind sie dabei, ihre (Pro- steht Nachholbedarf. Die Landschaft ist zersplittert in visions-)Erträge zu steigern, z.B. durch neue Konto- relativ kleine Einheiten von geringer internationaler Be- Preismodelle, Kosten zu senken und Digitalisierungsin- deutung. Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 wirkt itiativen anzustoßen. Dabei ist das Thema Digitalisie- bei den traditionellen Instituten immer noch nach. Sie rung im Privatkundengeschäft schon deutlich weiter vo- fesselt die Banken in einer dauerhaften Transformation: rangeschritten als im Firmenkundengeschäft, denn bei Bilanz- und Stresstests binden Kapazitäten, strengere re- den Privatkunden sind die Prozesse standardisierbar gulatorische Anforderungen und Auflagen sind zu meis- und die Produkte weniger komplex. Dank technologi- tern und verursachen weitere Kosten. Zudem steigen die scher Entwicklungen wie künstlicher Intelligenz lassen Anforderungen von Kunden insbesondere an das digitale sich aber zunehmend auch andere Bereiche digitalisie- Angebot. Gleichzeitig sinkt ihre Zahlungsbereitschaft für ren – und bis zu einem gewissen Grad automatisieren. Finanzdienstleistungen – unter anderem auch wegen der höheren Kostentransparenz, z.B. durch Plattformen. Dies GESUCHT: MUTIGE TRANSFORMIERER bildet die Grundlage für die Herausforderungen, vor de- Banken brauchen echte Innovation, um ihre traditionel- nen deutsche Banken stehen. len Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln und neue Er- tragsquellen zu erschließen. Wer über Digitalisierung nachdenkt, muss die gesamte Wertschöpfungskette aus TRENDS der Perspektive des Kunden neu denken. Eine solche 1. Intensiver Wettbewerb: Eine Vielzahl von Banken sowie Neuausrichtung greift in weite Teile des Bankgeschäfts neue Marktteilnehmer – FinTechs, Technologieunterneh- ein. Produkte müssen modular gestaltet werden und di- men – wollen sich attraktive Teile der Wertschöpfungs- gitalisierbar sein. Es gilt, Prozesse "end-to-end" zu opti- kette sichern. mieren und die gesamte Organisation schneller und 2. Margendruck: Laut eines aktuellen Diskussionspapiers der flexibler zu machen. Dafür brauchen Banken eine zu- Bundesbank könnte ein anhaltendes Niedrigzinsumfeld die kunftsfähige Personalstrategie. Sie müssen relevante Zinsmarge der Banken in Deutschland in vier Jahren um Kompetenzen auf- und bestehende Fähigkeiten ausbau- weitere 16% verringern. en. Unternehmen sollten über den eigenen Tellerrand 3. Steigende regulatorische Anforderungen: Hohe Einmal- schauen. Sie können neue banknahe (z.B. Versicherun- kosten sowie laufende Zusatzkosten für regulatorische gen) und bankferne (z.B. Maklerservices) Angebote Anforderungen (z.B. MiFID2) belasten die Ergebnisse der durch Plattformen, Open Architecture oder die Integra- Banken. tion von Partnern über ein Ökosystem in die Kunden- 4. Modernisierungsdruck: Die IT-Infrastruktur ist häufig in wertschöpfung integrieren. die Jahre gekommen. Banken müssen hier mit hohen In- Diese Veränderungen müssen einer stimmigen Ge- vestitionskosten rechnen. samtstrategie folgen. So muss z.B. künftig nicht mehr jede Bank alles leisten. Wichtig ist es, ein Alleinstel-
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 19 lungsmerkmal zu entwickeln. Banken müssen neue nologieführer. Während Kundenbeziehungsexperten Schwerpunkte setzen und daraus Mehrwert schöpfen, Erlöse vor allem über Beratung generieren, würden Pro- anstatt alle Kategorien durchschnittlich zu bedienen. duktexperten auf Zinserlöse und Technologieführer auf Schnittstellen beispielsweise zu Kunden, anderen Lizenzgebühren oder Provisionen setzen. Eine solche Marktteilnehmern wie FinTechs oder Technologieunter- übergreifende Transformation konsequent anzugehen, nehmen, müssen anders, d.h. zunehmend digital defi- fällt Banken schwer. Insbesondere die Bewältigung von niert und Vertriebsaktivitäten reorganisiert werden. Herausforderungen für die Personalstruktur, insgesamt Künftig können sich Banken über drei grundlegende weniger Ressourcen mit neuen bzw. anderen Qualifika- Kernkompetenzen positionieren: Über die Kundenbe- tionen, benötigt Zeit und Mut. I ziehung, über die Produktbereitstellung oder als Tech- I: Neue Schwerpunkte setzen Zukünftige Positionierungsmodelle für Banken RELATIONSHIP- PRODUKT- TECHNOLOGY SERVICE EXPERTE EXPERTE PROVIDER Kundenfokus Kundenfokus Kundenfokus Technologie- Produkt- Technologie- Produkt- Technologie- Produkt- fokus fokus fokus fokus fokus fokus Positionierung an der Schnittstelle Positionierung als Spezialist/Anbieter Positionierung nah an den technischen zum Kunden von ausgewählten Produkten und Systemen des Kunden Dienstleistungen Fokus auf Kundenbetreuung und Fokus auf Bereitstellung der Identifikation von Kundenbedarf Fokus auf Erstellung und Infrastruktur Bereitstellung von Produkten und Angebot fremder Dienstleistungen/ Dienstleistungen Standards setzen und Plattformen Produkte nutzen Quelle: Roland Berger
20 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? Konsumgüter und Handel IM SOG VON WERTEWANDEL UND NAHTLOS ÜBER ALLE KANÄLE DIGITALISIERUNG Um diesem Wandel zu begegnen, müssen Konsumgü- (Matthias Hanke) terhersteller ihr Sortiment überprüfen und die Ver- triebs- und Distributionswege neu ausrichten. Dabei Kaum jemals zuvor haben die Sektoren Konsumgüter bauen sie zunehmend selbst Kontakte zu Endkunden und Handel einen größeren Strukturwandel erlebt als auf, z.B. über eine Vertikalisierung im Rahmen von heute. Eine neue Generation von Käufern wirbelt mit Flagship Stores oder die Online-Ansprache des Konsu- ihrem Wertesystem und ihrem veränderten Einkaufs- menten. Für das Einkaufen hat darüber hinaus das Be- verhalten die Branche durcheinander. Bisher funktio- dürfnis nach Bequemlichkeit ("Convenience") stark an nierende Wertschöpfungsketten werden neu definiert, Bedeutung gewonnen. Konsumenten sind heute nicht Profit Pools verlagern sich. Die Auswirkungen lassen mehr bereit, weite Wege auf sich zu nehmen, wenn sie sich kaum noch mit Effizienzsteigerungsprogrammen im Vergleich zur Online-Bestellung keinen Mehrwert bei alleine bewältigen. einem Kauf im Geschäft haben. Am Ende wollen Kun- den häufig das eine tun und das andere nicht lassen – z.B. Modeartikel in angenehmer Atmosphäre anprobie- TRENDS ren und sie dann später online kaufen. Unternehmen 1. Wertewandel: Eine neue Käufergeneration tritt auf den stehen also vor der Herausforderung, ein Multi-Chan- Plan. Für Generation Y sind Statussymbole, Besitz und ma- nel-Erlebnis ohne Brüche zu schaffen. Zum einen gilt es, terielle Sicherheit nicht so wichtig. Dieser Wertewandel den stationären Handel nahtlos mit Online zu verzah- manifestiert sich in neuen Anforderungen an Konsumgüter: nen. Aber auch die Gewohnheit der Konsumenten, Pro- Umweltverträglichkeit, Sharing, Fähigkeit zur Vernetzung, dukte auf einem Mobilgerät zu suchen und den Kauf auf Vereinbarkeit mit Gesundheit und Wellness, Bedürfnis nach einem anderen Gerät abzuschließen, muss abgebildet Markenwelten. werden. Zudem ist die schnelle Verfügbarkeit für Kun- 2. Veränderte Konsumentengewohnheiten: Der Käufer kann den ein Thema. Sie möchten Produkte in einem immer heute auf vielen Wegen direkt mit Herstellern von Konsum- kürzeren Zeitraum geliefert bekommen. Eine Lieferung gütern in Kontakt kommen. Das hat den herkömmlichen am gleichen Tag ist mittlerweile machbar, im Food- oder Prozess "Produzent – Händler – Konsument" massiv durch- Pharmabereich geht der Trend sogar zur Lieferung in- einandergewirbelt. Wertschöpfungsketten haben sich ver- nerhalb weniger Stunden. J kürzt oder verlagert. Auch der Handel befindet sich bereits mitten in einem 3. Mächtige neue Spieler: Online Händler sowie Anbieter von massiven Umbruch: Kunden erwarten, dass Einzelhänd- Online-Marktplätzen nutzen den technologischen Fort- ler ihre Bedürfnisse kennen – unabhängig von der Pro- schritt, den die Digitalisierung bietet. Sie verleiben sich das duktkategorie. Werden sie mit für sie nicht relevanten Geschäft der traditionellen Anbieter in atemberaubendem Angeboten behelligt, empfinden sie das zunehmend als Tempo ein, weil sie sehr schnell Antworten auf den Wandel Belästigung und wenden sich ab. Umgekehrt verspricht der Konsumentengewohnheiten finden. Die großen E-Com- zielgerichtete Kundenansprache signifikantes Umsatz- merce-Plattformen haben in kurzer Zeit ein Umsatzvolumen potenzial. Kompetenz in der Analyse von Kundendaten erzielt, für das traditionelle Retailer Jahrzehnte brauchten. und Personalisierung in der (digitalen) Kundenanspra- che sind deshalb ein Muss. Dazu müssen Handelsunter-
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 21 J: Unaufhaltsamer Siegeszug? Prognose der Umsätze im E-Commerce weltweit bis 2022 [Mrd. USD] 2.579 +65,3% 2.427 2.231 2.015 1.787 1.560 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Quelle: Statista weltweiter Digital Market Outlook (ausgewählte Region), Oktober 2017, bezieht sich auf physische Produkte im B2C-Set-up, nicht eingeschlossen sind Dienstleistungen, Media Streaming sowie B2B- und C2C-Geschäfte
22 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? nehmen ihre digitalen Technologien ständig weiterent- DAS UNTERNEHMEN BEWEGLICH HALTEN wickeln. Angebote im M-Commerce sind inzwischen Viele Konsumgüterhersteller und Händler fahren Effi- Standard. Die nächsten "heißen" Themen sind augmen- zienzsteigerungsprogramme. Diese verschaffen ledig- ted und virtuelle Realität sowie Spracherkennung. Beide lich Zeit, bilden für sich genommen aber keine nach- Technologien helfen dabei, auf innovative Art und Weise haltige Lösung. Geschäftsmodelle von Konsumgüter- mit Kunden zu interagieren. Spracherkennungstechno- herstellern und Retailern sind grundsätzlich zu über- logien werden das Einkaufen revolutionieren, da sie im prüfen und gegebenenfalls neu zu definieren. Sie kön- Vergleich zur Eingabe über eine Tastatur eine native nen z.B. Sortimente neu ausrichten, ihre Wertschöp- Mensch-Maschine-Kommunikation ermöglichen. Studi- fung vertikalisieren oder in neue Regionen expandieren. en zufolge wird z.B. die "Voice-Search" zunehmend das Wachstum versprechen die Märkte China und Indien, Eintippen von Suchbegriffen in verschiedene Devices aber auch Südostasien und Lateinamerika. ablösen. Bis 2020 soll sie einen Anteil von etwa 50% im Nachfolgend ist das jeweilige Operating Model an die Online-Handel einnehmen. Geschäftsmodelle anzupassen. Es gilt, insbesondere die Lieferkette und die Vertriebsstrategie zu überprü- DAS ERLEBNIS ZÄHLT fen. Untrennbar damit verbunden ist die konsequente Wo stationärer Handel noch stattfindet, müssen Anbie- Digitalisierung der Kundenansprache bis hin zur Aus- ter massiv in das Einkaufserlebnis ihrer Kunden inves- lieferung. Wenn der E-Commerce bis 2022 so massiv tieren. Verlierer waren deshalb in den vergangenen Jah- zunimmt wie erwartet, wird es zu einer Überlastung der ren vor allem die klassischen Kaufhäuser und Innenstädte kommen. Das hätte zur Folge, dass unter Cash&Carry-Märkte vor den Toren der Stadt. Kunden den bestehenden Anbietern im Fulfillment ein Kampf wollen heute inspiriert werden und in einem angeneh- um die letzte Meile zum Kunden entbrennt, denn die men und wertigen Umfeld einkaufen. Im Zuge dessen "Urban City Logistics" der Zukunft dürfte möglicher- sind Lebensmittel-Discounter gerade dabei, neue La- weise künftig ausschließlich durch regional lizenzierte denformate auszurollen, bei denen Frische und Wertig- Anbieter von zentralisierten Paket-Zustellpunkten aus keit des Warenangebots im Vordergrund stehen. Ins- abgewickelt werden. Die richtigen Partnerschaften für gesamt ist das eigenständige, stationäre Retail- die Lagerhaltung und die Auslieferung an den Konsu- Geschäftsmodell jedoch gefährdet. Umsätze und Mar- menten sind deshalb entscheidend, wenn es darum gen sinken, weil der stationäre Handel Marktanteile an geht, die Distributions- bzw. Fulfillment-Strategie neu die Online-Händler verloren hat. Kunden wissen mit zu- zu definieren. nehmender Transparenz stets, wo das günstigste Ange- bot mit einem Klick verfügbar ist. Differenzierung kann daher nur durch kompetente Beratung und zusätzliche Services oder andere Mehrwertangebote erzielt werden – aber eben nicht in jedem Fall. Auch wächst die Konkur- renz durch Konsumgüterhersteller selbst – vor allem im Bereich Fashion –, die in ihren Markenwelten im Rah- men integrierter Vertriebskonzepte direkt mit dem Kon- sumenten in Kontakt treten.
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 23 Gesundheitswesen WARTEN AUF DEN GROSSEN STURM EIN NEUES ÖKOSYSTEM? (Peter Magunia) Patienten haben heute mehr Möglichkeiten, ihre Ver- sorgung selbst in die Hand zu nehmen. In anderen Im Vergleich zur Dynamik in anderen Branchen hat Ländern können wir bereits beobachten, wie das Ge- sich das Gesundheitssystem in Deutschland in den ver- samtsystem Gesundheitswesen zunehmend voraus- gangenen Jahren kaum weiterentwickelt. Erkrankte be- schauend, präventiv, personalisiert und partizipativ geben sich immer noch in die Hände eines niedergelas- arbeitet. Das Internet der Dinge und die Verfügbarkeit senen Arztes, wenn ihnen etwas fehlt. Dieser stellt eine von Informationen zu bewusster Ernährung, Präventi- Diagnose, der ihnen Zugang zu weiterer Versorgung in on, Diagnose und Therapie haben die Rolle des Patien- Form von Krankenhausleistungen und Rehabilitation, ten im Rahmen der Digitalisierung massiv verändert. Medikamenten (über den geschützten Vertriebsweg Kunden, Patienten und Interessierte haben nun Zu- Apotheke) oder therapeutisch wirkenden Behandlun- gang zu qualitativ hochwertigen medizinischen Infor- gen verschafft. Unter der Oberfläche brodelt aber längst mationen. Sie können sich zum Beispiel online mit eine Revolution, die früher oder später auch die Institu- Medizinern über mögliche Diagnosen, mit anderen tionen des Gesundheitswesens mitreißen wird. Vier Patienten über Erfahrungen mit Ärzten oder über ver- Trends tragen dazu bei: schiedene Behandlungsoptionen austauschen. Zudem entsteht ein ganz neues Angebot rund um das Thema Prävention und Veränderung der Lebensfüh- TRENDS rung, in dem auch Unternehmen aus der Consumer- 1. Selbstbestimmung: Die Digitalisierung ermöglicht Patien- Electronics- und Sportartikelindustrie eine tragende ten zunehmend, selbst Verantwortung für ihre Gesundheit Rolle spielen. Hier entwickelt sich ein ganz neues Feld, zu übernehmen, weil qualitativ hochwertige Informationen das sich mit "Digital Health" umschreiben lässt. Es tre- rund um Prävention, Diagnose und Therapie 24 Std. online ten neue Anbieter auf den Plan, die z.B. datengestützte verfügbar sind. Diagnosen mithilfe künstlicher Intelligenz liefern und 2. DemografischerWandel: Er erhöht und verändert in teilweise an die Stelle des Erstkontaktes zum Arzt treten Deutschland die Nachfrage und den Markt für Gesundheits- können. Auf diese Weise haben Patienten Zugang zu dienstleistungen grundlegend, vor allem bei Leistungsträ- Ressourcen, um immer mehr selbst Verantwortung für gern wie Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. ihre Gesundheit zu übernehmen. Dementsprechend 3. Effizienzstreben: Im Spannungsfeld zur erhöhten Nach- verändert sich das gesamte Ökosystem der traditionel- frage steht das Bestreben der Politik und der Krankenkas- len Player – niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser oder sen, die Kostensteigerungen in Grenzen zu halten und die Rehabilitationseinrichtungen, aber auch Versicherun- Effizienz des Gesundheitssystems zu steigern. gen, Pharmaunternehmen, Medizintechnikhersteller 4. Fachkräftemangel: Der Engpass an qualifiziertem Personal und Apotheken. K hat inzwischen alle Kompetenzbereiche des Gesundheitssys- Der Markt als Ganzes wächst. Dennoch bleibt die Fra- tems erfasst – Ärzte, Pflegepersonal, Verwaltungskräfte – ge, wie stark deutsche Unternehmen daran partizipie- und bremst das Wachstum. Es wird neue Anreize brauchen, ren können. So steht ein massiver Strukturwandel im um diese Berufe für den Nachwuchs attraktiv zu machen. institutionellen deutschen Gesundheitswesen noch aus, der diese Trends konsequent für die eigene Trans-
24 Roland Berger Focus – Sturmtief voraus? K: Disruption im Gesundheitswesen Die Karten werden neu gemischt DISRUPTIONS- A B C FELDER Prävention Diagnose Therapie Krankenver- sicherung B B C C C Ausgewogene A Ernährung/ Fitness Allgemeines/ Konsument/ Allgemeinarzt/ spezielles Reha Patient Spezialist Krankenhaus Notfall Sonder- konditionen/ Verträge Apotheke Pharma/ Heimische C Pflege Medizin- technik Patient Anbieter Bezahler Pharma/Medizintechnik Apotheke Quelle: Roland Berger
Sturmtief voraus? – Roland Berger Focus 25 formation nutzt. Am stärksten unter wirtschaftlichem halb kurzer Zeit werden beispielsweise stationäre und Druck stehen in Deutschland seit Jahren die Kranken- ambulante Pflegedienstleister sich von regionalen Ein- häuser. Hier hat in den vergangenen Jahren bereits heiten zu nationalen, teilweise auch international ska- eine erste Konsolidierungswelle stattgefunden, viele lierbaren Unternehmen wandeln. Kliniken wurden an private Träger verkauft, einige gin- gen in die Insolvenz. Trotzdem arbeiten auch heute PATIENT ODER KUNDE? noch 50% der Kliniken nicht profitabel. Nicht gelöst ist Auch Medizintechnikhersteller und Pharmaunterneh- zudem der massive und weiter zunehmende Fachkräf- men stehen vor der Herausforderung, auf die großen temangel, der die Weiterentwicklung des Gesundheits- Trends im Gesundheitswesen zu reagieren. Medizin- wesens stark bremst. Auch wenn die neue Bundesre- technikhersteller werden sich vom reinen Hardwarelie- gierung dies scheinbar erkannt hat, sind die bisher feranten zunehmend zu Software- und Datenspezialis- annoncierten Maßnahmen nicht ausreichend. ten wandeln müssen, um personalisierte Leistungen anbieten zu können – ähnlich wie das auch in der übri- STARRE STRUKTUREN gen Industrie geschieht. Und nicht nur das: Sie müssen Im Mittelpunkt der Bemühungen diverser Reformen entscheiden, ob sie selbst Gesundheitsdienstleistun- steht seit jeher die Verbesserung der Wirtschaftlich- gen in ihrem Spezialbereich anbieten wollen. Der Ein- keit, vor allem durch stärkeren Druck auf stationäre stieg als Hersteller von Röntgengeräten in den Betrieb Leistungserbringer, insbesondere Krankenhäuser. Die von Radiologiepraxen ermöglicht es beispielsweise, engen Handlungsspielräume und die starke Regulie- deutlich näher an den Endkunden – den Patienten – zu rung des Sektors machen es für die Beteiligten daher rücken als bisher und basierend auf den gewonnenen schwierig, eine weitreichende Transformation in die Daten die Forschung und Entwicklung maßzuschnei- Wege zu leiten und sich in Richtung eines neuen dern. Ähnliches gilt für Pharmahersteller. Sie können Ökosystems weiterzuentwickeln. sich in Zukunft weniger auf Blockbuster als Profit Dabei müsste ein Wandel stattfinden, der Patienten Pools verlassen. Da die Diagnostik immer schneller, ex- noch stärker als bisher von stationären auf ambulante akter und damit auch personalisierter wird, müssen sie Leistungserbringer umverteilt (Ambulantisierung), der massiv in die Personalisierung ihrer Produkte investie- einer Digitalisierung Rechnung trägt und der die Per- ren. Damit stehen auch sie vor der Herausforderung, sonalisierung von medizinischen Leistungen ermög- wie sie ein besseres Verständnis für den Endkunden licht. Gleichzeitig sind ausländische Großkonzerne wie erlangen können. Google oder Apple oder Private-Equity-Unternehmen auf dem Vormarsch und investieren erhebliche Sum- men in skalierbare Gesundheitsdienstleistungen. We- gen des demografischen Wandels wächst insbesondere der Markt mit der Versorgung und Pflege von älteren Menschen sehr dynamisch. Die deutschen Unterneh- men profitieren davon aber nur in geringem Maße, stattdessen haben ihn ausländische Investoren für sich entdeckt. Hier steht der Umbruch kurz bevor: Inner-
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