Thailand: Nach der Wahl ist vor der Wahl? - von Nicola Glass April 2019 - Stiftung Asienhaus
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Thailand: Nach der Wahl ist vor der Wahl? von Nicola Glass April 2019 Am 24. März 2019 wurden in Thailand erstmals seit dem Putsch vom Mai 2014 Parlamentswahlen abgehalten. Allerdings war die Abstimmung, die das Militär wiederholt hinausgezögert hatte, alles andere als frei und fair. Zu- gleich zeigt sich, dass das Land weiter tief gespalten ist. Klar ist, dass wenig klar ist: Nach dem Urnen- Demnach stimmten 8,4 Millionen Wähler*innen gang herrschen Chaos, Frust und gar Wut im für die Palang Pracharath Partei, für die Puea Land. Mehr als 51 Millionen Wahlberechtigte, Thai 7,9 Millionen. Auf Platz drei landete mit davon sieben Millionen Erstwähler*innen, wa- über 6,2 Millionen Stimmen die ebenfalls erst ren am 24. März dazu aufgerufen, die 500 Man- 2018 gegründete Phak Anakhot Mai (Future date des thailändischen Unterhauses zu bestim- Forward Party). Diese warb vor allem um junge men, davon 350 in den Wahlkreisen direkt, die Wähler*innen und gibt sich progressiv, indem anderen 150 entsprechend des Stimmenanteils sie sich mit deutlichen Worten gegen die regie- der jeweiligen Parteien und deren Listen. Vor- rende Junta positioniert. Offenbar bot die Fu- läufige Ergebnisse ließ die Wahlkommission nur ture Forward Party unter Thanathorn Juang- per Salamitaktik durchsickern: Am 28. März roongruangkit, dem milliardenschweren Spross verkündete sie, die erst 2018 gegründete mili- einer Unternehmerfamilie, auf diese Weise eine tär-treue Palang Pracharath Partei, die den eins- Alternative für viele in der Bevölkerung, die das tigen Armeechef und heutigen Juntachef Prayut reaktionäre Militärregime ablehnen, sich aber Chan-ocha zu ihrem Spitzenkandidaten kürte, gleichzeitig auch nicht für etablierte Parteien habe die meisten Stimmen erhalten. Wogegen wie Puea Thai, Bhumjaithai oder die Democrat die oppositionelle Puea Thai, das politische La- Party (DP) erwärmen konnten. ger um Ex-Premierminister Thaksin Shinawatra und dessen Schwester, die einstige Regierungs- chefin Yingluck Shinawatra, mehr Sitze errin- gen konnte. Blickwechsel | April 2019 Seite 1
Wahlverliererin Democrat Party teikonsens gewesen. In der ersten Aprilwoche berichtete die Zeitung Bangkok Post über ein in- formelles Treffen Dutzender DP-Mitglieder, die Letztgenannte war am 24. März die große Ver- forderten, man solle sich möglichst noch vor dem liererin. So konnte die Democrat Party lediglich 9. Mai auf die Seite der junta-treuen Palang Pra- 3,9 Millionen Stimmen einfahren. Bisherigen An- charath schlagen und damit weiteren Spekulatio- gaben nach gewann sie selbst in der Hauptstadt nen über Koalitionsbündnisse entgegentreten. Bangkok, neben einem Teil der südlichen Provin- Darunter waren vor allem Hardliner aus den da- zen ihre Hochburg, keinen einzigen Sitz. Ihre maligen Reihen der PDRC. offenbar wenig überzeugende Politik hatte viele Wähler*innen vergrault. Diese dürften entweder zur Palang Pracharath oder Future Forward Party abgewandert sein. Zwischen 2006 und Wirre Lage 2014 hatte Thailands älteste Partei zwei Mal und unklare Mehrheiten Wahlen boykottiert, weil sie sich gegen das poli- tische Lager des Shinawatra-Clans nicht be- Wegen unklarer Mehrheiten zieht sich die Re- haupten konnte und damit jeweils eine Staats- gierungsbildung in die Länge. Denn die Wahl- krise ausgelöst. Eine Reihe von DP-Abgeordne- kommission gab am 28. März nicht die vollstän- ten hatte sich zudem an die Spitze der dige Sitzverteilung bekannt, sondern zunächst antidemokratischen, als faschistoid kritisierten nur die Anzahl der 350 Direktmandate. Dem- Bewegung People’s Democratic Reform Commit- nach errang die Puea Thai 137 Sitze, während tee (PDRC) unter dem berüchtigten Suthep die Armeepartei Palang Pracharath 97 Mandate Thaugsuban gestellt, einem einstigen Vize-Pre- gewann (in weiteren Medienberichten war von mierminister. Die PDRC hatte zwischen Spät- 117 die Rede). Indes hatte die Puea Thai ver- herbst 2013 und Frühjahr 2014 Demonstratio- kündet, mit sechs weiteren Parteien, darunter nen gegen die damalige Yingluck-Regierung ini- der Future Forward Party, eine Koalition zu bil- tiiert und so den Weg für den Putsch vom 22. Mai den. Der Name der Allianz lautet »Demokrati- 2014 bereitet in der Absicht, endgültig mit den sche Front«. Auch die Palang Pracharath bean- Shinawatras »aufzuräumen«. Im Zuge ihrer Pro- sprucht die Regierungsbildung für sich. Da sie teste hatte die PDRC auch die vorgezogenen die meisten Stimmen erhalten habe, werde sie Neuwahlen vom 2. Februar 2014 derart gestört ebenfalls ein Bündnis schmieden, so die Partei- und blockiert, dass Thailands Verfassungsge- führung. Als Erfüllungsgehilfin der Militärregie- richt die Abstimmung im Monat darauf annullie- rung wurde sie hauptsächlich zu dem Zweck ren ließ. Angerufen hatte das Gericht ausgerech- gegründet, dafür zu sorgen, dass Juntachef net die Democrat Party. Ihre entsprechende Prayut Premier bleiben kann. Sollte sich für das Forderung hatte die Partei damit begründet, die militär-treue Lager keine Mehrheit im Unter- Wahl habe nicht – wie vom Gesetz gefordert – an haus abzeichnen, wird das Regime Wege finden, einem Tag stattgefunden. Das war bizarr, denn sich diese zu sichern; zumal die Militärs bereits schließlich hatten die »Demokraten« den Urnen- gegen politische Gegner*innen vorgehen. Offi- gang nicht nur boykottiert, sondern ein Gutteil ziell will die Wahlkommission die restliche Sitz- offen bei der PDRC mitgemacht. verteilung und damit das amtliche Endergebnis erst am 9. Mai bestätigen – nach der Krönung Nach dem miserablen Wahlergebnis vom 24. von König Vajiralongkorn. März trat Abhisit Vejjajiva vom Parteivorsitz zu- rück. Abhisit, der Ende 2008 nur mithilfe des Mi- Zudem kann sich die Palang Pracharath auf die litärs ins Amt des Premierministers gehievt wor- 250 vom Militärregime ernannten Senator*in- den war und unter dessen DP-geführter Regie- nen verlassen. Als Mitglieder des Oberhauses rung im April und Mai 2010 die Massenproteste haben diese, ebenso wie das Verfassungsge- der oppositionellen »Rothemden« von der Armee richt, weitreichende Befugnisse. Bei bestimm- blutig niedergeschlagen worden waren, hatte im ten Gesetzesvorhaben können sie ihr Veto ein- Wahlkampf bekundet, er werde eine Rückkehr legen. Sollte sich ein zersplittertes, gar zerstrit- von Prayut als Premier nicht unterstützen. Wenig tenes Unterhaus nicht auf eine Person für das später räumte er ein, dies sei nicht offiziell Par- Amt des Regierungschefs oder der Regierungs- Seite 2 Blickwechsel | April 2019
Polizisten in einem Wahllokal im Bezirk Pathum Wan, Bangkok, helfen den Wähler*innen zu überprü- fen, ob ihre Namen in der Wahlliste eingetragen sind (Foto: privat). chefin einigen können, hat der von der Junta mer wieder verschoben. Ganz offensichtlich handverlesen ausgewählte Senat außerdem die spielten die Machthaber auf Zeit. Juntachef Macht, »nachzuhelfen«. In der neuen, 2017 in Prayut tourte 2018 bereits monatelang durch Kraft getretenen Verfassung ist festgelegt, dass die Provinzen und sagte den Menschen Milliar- auch ein sogenannter »Außenseiter« als Pre- den Baht an Entwicklungsgeldern zu, während mierminister in Frage komme, also jemand, der allen anderen Parteien politische Aktivitäten kein gewähltes Mitglied des Parlaments ist. Oh- noch verboten waren. Auch gab es übereinstim- nehin war die von einem junta-treuen Gremium mende Medienberichte, wonach ein Kreis von ausgearbeitete Verfassung von vornherein dar- Politikern, die einst dem Thaksin-Lager ange- auf angelegt, die Macht der Militärs auf lange hört hatten, sich daranmachten, weitere Über- Sicht zu zementieren. Durch die Wahl wollen die läufer*innen für die Palang Pracharath anzu- Generäle sich zumindest den Anschein von Le- werben. gitimität geben. Die Wahl am 24. März selbst war alles andere als frei und fair. Beobachter*innen des Asian Network for Free Election (ANFREL) beschei- Weder frei noch fair nigten zwar, die Abstimmung sei friedlich ver- laufen, kritisierten aber zugleich, sie habe nicht Seit ihrer Machtübernahme am 22. Mai 2014 internationalen Standards entsprochen. Das hatte die Junta angekündigte Wahltermine im- Umfeld der Kampagnen sei massiv darauf aus- Blickwechsel | April 2019 Seite 3
gerichtet gewesen, die herrschende Militär- so die Stellungnahme des Palastes weiter. Dar- junta und die von ihr unterstützten Kandi- aufhin zog die Thai Raksa Chart die Kandidatur dat*innen zu begünstigen, hieß es in dem am der Prinzessin zurück. Etwa zweieinhalb Wo- 27. März veröffentlichten Zwischenbericht. chen vor der Wahl erklärte das Verfassungsge- »Darüber hinaus blieben die nahezu absoluten richt die Partei für aufgelöst: Die Nominierung Befugnisse, die durch den Artikel 44 der Inte- Ubolratanas sei einem verfassungswidrigen rimsverfassung von 2015 an den Nationalen Angriff auf die Monarchie gleichgekommen. Rat für Frieden und Ordnung (NCPO) verliehen wurden, während des gesamten Wahlprozesses Drei Tage vor der Abstimmung berichtete das in Kraft und lasteten schwer über den Köpfen Nachrichtenportal Khaosod English, dass die von Regimekritiker*innen«, schrieb ANFREL Armee Razzien in Häusern von Politikern ande- weiter. rer Parteien durchgeführt habe. Prompt ha- gelte es Kritik, und das nicht nur von den be- Berichten zufolge wurden in einer Reihe von troffenen Parteien selbst, sondern auch seitens Wahlbezirken mehr Stimmzettel ausgezählt als der Organisation Thai Lawyers for Human sich tatsächliche Wähler registriert hatten. Ein Rights: »Die Thailändischen Anwälte für Men- Armeeoffizier war auf einem Fernsehvideo da- schenrechte sind der Ansicht, dass das Durch- bei ertappt worden, wie er in Wahlkabinen suchen von Wohnungen und andere Formen spähte, um mutmaßlich zu überprüfen, wie der Schikane durch das Militär gegen Einzel- seine Untergebenen abgestimmt hatten. Stimm- personen, einschließlich Abgeordnetenkandi- zettel von Übersee-Wähler*innen aus Neusee- dat*innen … und politischen Aktivist*innen, land erreichten Thailand erst nach Schließung inakzeptabel sind«, hieß es in einer Stellung- der Wahllokale, woraufhin die Wahlkommission nahme der Jurist*innen. diese für ungültig erklärte. Oppositionspoliti- ker*innen kritisierten zudem, die Palang Pra- Am Vorabend der Wahl äußerte sich König Vaji- charath Partei habe lokale Behördenvertre- ralongkorn erneut: So wurde im Fernsehen eine ter*innen und Politiker*innen »gekauft« und Erklärung des Monarchen verlesen, worin die- kündigten an, Beschwerde einzulegen. ser die Bevölkerung dazu aufrief, für »gute Leute« als politische Führer*innen zu stimmen. Wer mit Thailands politischer Dauerkrise ver- traut ist, weiß, dass diese Aufforderung, die aus Drakonische Maßnahmen einer jahrzehntealten Rede des 2016 verstorbe- gegen die Opposition nen Königs Bhumibol Adulyadej zitierte, vor dem Hintergrund des ungelösten »Rot-Gelb- Bislang wurde die Opposition nicht nur massiv Konflikts« alles andere als wertneutral ist. Kri- gegängelt, sondern teils bereits mundtot ge- tiker*innen sehen darin eine kaum verbrämte macht. Im Februar war bekannt geworden, Aufforderung, für das junta-treue Lager zu stim- dass die Thai Raksa Chart, ein Ableger der men anstatt für die »schlechten« Politiker*in- Puea Thai, die älteste Schwester von König Va- nen im Dunstkreis des 2006 vom Militär ge- jiralongkorn als Spitzenkandidatin für das Amt stürzten Thaksin Shinawatra. Zuvor kursierten der Premierministerin benannt hatte. Die von Fotos, die Prinzessin Ubolratana als Ehrengast einem US-Bürger geschiedene Prinzessin Ubol- auf der Hochzeit von Thaksins jüngster Tochter ratana erklärte, sie kandidiere verfassungsge- in Hongkong zeigten. In den Augen des alten mäß als »einfache Bürgerin«. Die Ankündigung Establishments gilt der frühere Premierminis- sorgte für politische Schockwellen: Eine Reihe ter als Wurzel allen Übels und als Auslöser des von Beobachtern wertete deren Nominierung politischen Chaos zwischen 2006 und 2014. Da- als kühnen Schachzug der Opposition, da die bei ignorieren die Unterstützer*innen der erz- Prinzessin als einzig ernstzunehmende Konkur- konservativen Eliten, allgemein als »Gelbhem- rentin Prayuts angesehen wurde. Doch nur we- den« bezeichnet, bewusst den eigentlichen nige Stunden später griff König Vajiralongkorn Kern des Problems: Nämlich dass die »gelbe« ein: Dass Ubolratana Regierungschefin werden Seite treibende Kraft der Eskalation war. Die wolle, sei »unangemessen« und »verfassungs- ultra-royalistischen Kreise empfinden es bis widrig«. Die Monarchie stehe über der Politik, heute als Zumutung, dass die »Rothemden«, die Seite 4 Blickwechsel | April 2019
Am Morgen nach dem Putsch vom 22. Mai 2014 (Foto: Holger Grafen). weitgehend, wenn auch nicht alle, Anhänger*in- auf das Militärregime, das sich seine Macht nen Thaksins sind, sich dem Status Quo wider- nicht nur durch ihm ergebene Senator*innen zu setzten und politische Gleichberechtigung sowie sichern versucht, sondern auch sonst vor nichts die Anerkennung von Wahlergebnissen forder- zurückschreckt. Bereits im Herbst 2018 hatten ten. Entsprechend war das politische Klima die Rapper Machtmissbrauch, Menschenrechts- lange vor dem jüngsten Putsch vom Mai 2014 verletzungen und Korruption unter der Junta in vergiftet und die Gesellschaft tief gespalten. ihrem Hit »Prathet Ku Mee« (Was mein Land hat bzw. ist) angeprangert. Nach der Äußerung aus dem Palast hagelte es Reaktionen in den sozialen Netzwerken. Das Insgesamt wächst angesichts der unüber- Hashtag »Wir sind bereits erwachsen und kön- sichtlichen Lage und zahlreichen Betrugsvor- nen für uns selbst entscheiden« eroberte laut würfe bei vielen der Frust. Bis zum Abend des Onlineportal Prachatai binnen kürzester Zeit 5. April hatten fast 850.000 Menschen eine On- einen Spitzenplatz auf Twitter. »So viel zum line-Petition unterschrieben, in der sie forder- Thema, dass die Monarchie über der Politik ten, die Mitglieder der zunehmend als inkompe- steht«, monierten Nutzer*innen. Kritik dieser tent und parteiisch kritisierten Wahlkommission Art erfordert Mut, denn die Strafen für Verstöße zu feuern. Das wiederum nahm Juntachef Prayut gegen das »Gesetz gegen Majestätsbeleidigung« zum Anlass, gegen die Kritiker*innen zu wet- sind bekanntlich drakonisch: Wer laut Para- tern: Personen mit üblen Absichten verbreiteten graf 112 des thailändischen Strafgesetzbuches verzerrte Informationen in den sozialen Netz- für schuldig befunden wird, das Königshaus ver- werken, um Unruhen auszulösen, zitierte ihn unglimpft zu haben, dem drohen pro Anklage- die Bangkok Post am 2. April. Indes beeilte sich punkt zwischen drei und 15 Jahren Haft. Prayuts Stellvertreter, Thailands Verteidigungs- minister Prawit Wongsuwan, zu versichern, die Fast zeitgleich veröffentlichten die unerschro- Wahlkommission habe »einen guten Job ge- ckenen Musiker der Gruppe Rap Against Dicta- macht«. Letztere versuchte wenig glaubwürdig, torship ihren neuen Song »250 Speichellecker«, Abweichungen und Widersprüche zunächst mit der nichts anderes ist als ein neuer Seitenhieb »menschlichen Irrtümern« und später mit Com- Blickwechsel | April 2019 Seite 5
puter-Problemen zu erklären und sorgt mit im- ker, der am 6. April von der Polizei einbestellt mer neuen Ankündigungen eher für weitere wurde. Zugleich wies er alle Vorwürfe zurück: Verwirrung denn Klärung. »Ich frage mich, wie der Ruf nach Wiederher- stellung der Demokratie, Achtung der Men- schenrechte und Rechtsstaatlichkeit als extrem linksgerichtet angesehen werden kann«, zitierte Armeechef droht ihn die thailändische Zeitung The Nation als Re- Anhänger*innen einer aktion auf die provokativen Äußerungen Api- »linken Ideologie« rats. Gegen das drakonische Vorgehen der Junta, die Armeechef Apirat Kongsompong, seit dem 1. Ok- sich selbst »Nationaler Rat für Frieden und Ord- tober 2018 in dieser Position, hielt sich ebenfalls nung« (NCPO) nennt, hagelte es Proteste und nicht zurück: Er schwor, nur eine Regierung zu Kritik: »Die Anklage wegen Aufwiegelung in unterstützen, die loyal zum Königshaus stehe. einer Militärdiktatur ist nichts anderes als eine Sollte es neue Straßenproteste wie vor dem Anklage gegen diejenigen, die eine Bedrohung Putsch 2014 oder gar »Bürgerkrieg« geben, für den Militärstaat darstellen«, schrieb der hatte der Armeechef, selbst Sohn eines Putschis- prominente Journalist Pravit Rojanaphruk, der tenführers von 1991, schon kurz nach Antritt für Khaosod English arbeitet, am 4. April in ei- seines Postens mit der Möglichkeit eines weite- nem Eintrag auf Facebook. Ähnlich äußerte sich ren Staatsstreichs gedroht. Zugleich machte er der in Thailand lebende deutsche Politikwissen- unmissverständlich klar, er werde gegen die vor- schaftler Michael H. Nelson: »Dies ist unsäglich gehen, die im Ausland studiert hätten, einer »lin- obszön, ebenso wie die Tatsache, dass die herr- ken Ideologie« anhingen und daher versuchten, schende Junta selbst nach den Wahlen weiterhin die staatliche Doktrin von »Nation, Religion und Vorwürfe gegen Personen erheben kann, die an Monarchie« zu untergraben. Politischen Beob- völlig legitimen Protesten gegen ihre wider- achter*innen und Journalist*innen zufolge rich- rechtliche Aneignung der Volkssouveränität teten sich diese Drohungen vor allem gegen die teilgenommen haben.« Führungsspitze der bei den Wahlen so erfolgrei- chen Future Forward Party, zu der außer Tha- Dass das amtliche Endergebnis erst nach der nathorn Juangroongruangkit auch Generalse- Krönung von König Vajiralongkorn offiziell be- kretär Piyabutr Saengkanokkul zählt, ein in stätigt werden soll, dürfte ebenso wenig Zufall Frankreich ausgebildeter Rechtsexperte. sein wie die zeitliche Festlegung des Wahlter- mins am 24. März. Denn Kritiker*innen, die sich Schützenhilfe leistete dem Armeechef eine weiterhin über Stimmenkauf und andere Mani- Gruppierung, die aus ihrer offensichtlich rech- pulationen beschweren, könnte dies inmitten ten Gesinnung keinen Hehl macht. Die Political der Vorbereitungen für die Krönungsfeierlich- Civic Group forderte die Wahlkommission auf, keiten vom 4. bis 6. Mai als Respektlosigkeit die Future Forward Party aufzulösen, wie die gegenüber der Monarchie ausgelegt werden. Bangkok Post am 2. April berichtete. Die Partei Klar sind nur wenige Dinge: Freiwillig wird die unterminiere die Monarchie und sei eine »Höhle Junta nicht von der Macht lassen. Zugleich von Anti-Monarchisten, deren Mitglieder sich macht der Urnengang deutlich, dass das bud- einer antimonarchistischen Rhetorik bedienten, dhistisch dominierte Königreich tief gespalten um Hass gegen die verehrte Institution zu schü- bleibt. Auf der einen Seite stehen Anhänger*in- ren«, zitierte das Blatt den führenden Kopf der nen der Junta, die auch in Zukunft ein diktatori- Gruppe, Surawat Sangkharoek. sches Regime wollen oder sich angesichts der politischen Grabesruhe der vergangenen fünf Unterdessen häufen sich die Anzeigen gegen Jahre zumindest einreden, dass Thailand endlich den Future-Forward Party-Vorsitzenden Thanat- auf einem guten Weg sei. Auf der anderen Seite horn, den das Militärregime unter anderem der sind jene Wähler*innen zu finden, die sich einen »Aufwiegelung« bezichtigt. Ihm sei nicht wohl nachhaltigen demokratischen Aufbruch wün- dabei, möglicherweise vor ein Militärgericht ge- schen. So warnt ausgerechnet das Militär, das stellt zu werden, bekannte der 40-jährige Politi- sich als Garant von Frieden und Ordnung insze- Seite 6 Blickwechsel | April 2019
Am frühen Morgen vor einem Wahllokal im Bezirk Ratchathewi, Bangkok. Auf dem Brett vor dem Wahllokal befindet sich die Liste aller Kandidat*innen für diesen Wahlkreis (Foto: privat) niert, in Wirklichkeit aber einer der treibenden und effektiver als die Waffen der Streitkräfte, Akteure der politischen Krise war und ist, vor spricht der Journalist von einem »Kontrollver- einer Neuauflage des Konflikts. lust der Junta und des ultra-konservativen Esta- blishments«: »Die Machthaber haben den jun- gen und nicht so jungen Leuten vorgeworfen, in sozialen Medien einer Gehirnwäsche unterzo- »Hoffnung nicht aufgeben« gen zu werden, aber die Realität ist, dass die Thailänder*innen lernen, selbst zu entscheiden, Trotzdem dürfe man die Hoffnung nicht aufge- was wahr und falsch, Recht und Unrecht ist«. ben, meint Pravit Rojanaphruk. »Die Hoffnung Fast neun Jahrzehnte seien seit der Revolte von hält uns am Leben, und nach den Parlaments- 1932 vergangen, durch die in Thailand die ab- wahlen vom 24. März ist nicht alles verloren«, solute Monarchie abgeschafft worden sei. Seit- kommentierte der Journalist am 6. April für her seien einige Erfolge erzielt worden, trotz Khaosod English. Er begründet das unter ande- wiederholter Versuche von Machthabern, eine rem mit dem Engagement junger Aktivist*in- Diktatur und semi-feudale Gesellschaft aufrecht nen, der Zahl an Erstwähler*innen sowie der zu erhalten, so Pravit weiter: »Die Fortsetzung wachsenden Bedeutung sozialer Netzwerke. Im des Widerstands am Wahltag und darüber hin- Hinblick auf eine Anmerkung von Armeechef aus ist für Thailand eine weiterhin unbestreit- Apirat, letztere seien mittlerweile »mächtiger« bare Quelle der Hoffnung.« Blickwechsel | April 2019 Seite 7
Weiterführende Links https://anfrel.org/anfrel-interim-report-on-the-conduct-of-the-2019-thai-general-election/ http://www.khaosodenglish.com/opinion/2019/04/06/why-we-should-still-be-hopeful-for-thailand/ https://prachatai.com/english/node/7990 https://www.newmandala.org/elite-realignment-a-populist-moment-reflections-on-thailands- 2019-general-elections http://www.thebackgroundd.in/world/thailands-election-confirms-the-countrys-deep-political-divide Die Autorin Nicola Glass hat dreizehn Jahre als Südostasien-Korrespondentin in Bangkok gearbeitet. Zurück in Deutschland ist sie weiter als freie Journalistin tätig sowie Mitglied im Kuratorium der Stiftung Asienhaus. Im September 2018 erschien ihr Buch »Thailand. Ein Länderporträt« im Chris- toph-Links-Verlag. Für den Inhalt dieser Publikation ist allein die Stif- tung Asienhaus verantwortlich; die hier dargestell- Die Stiftung Asienhaus ten Positionen geben nicht den Standpunkt von Die Stiftung Asienhaus folgt dem Leitbild Engagement Global gGmbH und dem Bundesmi- »Menschen verbinden, Einsichten fördern, nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Zukunft gestalten« und trägt dazu bei, Brü- Entwicklung wieder. cken zwischen Zivilgesellschaften in Asien und Europa zu bauen. Sie setzt sich ein für Gefördert von Engagement Global im Auftrag des die Verwirklichung der Menschenrechte, für die Stärkung gesellschaftlicher und politi- scher Teilhabe, sowie für soziale Gerechtig- und keit und den Schutz der Umwelt. Impressum V. i. S. d. P.: und Raphael Göpel | Stiftung Asienhaus Hohenzollernring 52 50672 Köln Tel.: 0221|71 61 21-25 Email: raphael.goepel@asienhaus.de Web: https://www.asienhaus.de Design and Production: Dieses Werk ist unter der Creative-Commons- Klartext Medienwerkstatt GmbH Lizenz 4.0 (CC BY-SA 4.0) veröffentlicht. (http://www.k-mw.de)
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