Tollhaus Tankstelle Das E10-Experiment ist gescheitert: Deutschlands Autofahrer wollen den angeblichen Biosprit einfach nicht haben ...

 
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Tollhaus Tankstelle Das E10-Experiment ist gescheitert: Deutschlands Autofahrer wollen den angeblichen Biosprit einfach nicht haben ...
Wirtschaft

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                                                 Tollhaus Tankstelle
                                 Das E10-Experiment ist gescheitert: Deutschlands Autofahrer wollen den angeblichen
PICTURE-ALLIANCE / DPA

                                            Biosprit einfach nicht haben. Mineralölkonzerne, Autohersteller
                                 und Politiker schieben sich die Schuld gegenseitig zu, bezahlen muss der Verbraucher.

                         Aral-Tankstelle in Düsseldorf: „In vielen Ländern hungern Menschen, da gehört Weizen nicht in den Tank“

                       m brandenburgischen Schwedt, wo die           Menschen, da gehört Weizen nicht in den        war Teil eines Deals, mit dem sich die

                         I
                      „Druschba“-Pipeline endet und der
                       Geruch sibirischen Erdöls in der Luft
                   liegt, gibt es in diesen Tagen viel zu
                                                                     Tank.“
                                                                        Für die Schlappe bezahlen muss freilich
                                                                     der Autofahrer. Aral, Shell, Esso, Jet und
                                                                                                                    Autohersteller vor noch strengeren Um-
                                                                                                                    weltschutzauflagen der Europäischen
                                                                                                                    Union gedrückt haben.
                   tun. Der Osterreiseverkehr steht bevor,           Co. haben ihre Preise schon erhöht, um            Eigentlich wollte die EU den Autokon-
                   Deutschlands Tankstellen brauchen Ben-            ihre Extra-Ausgaben hereinzuholen. Die         zernen vorschreiben, dass ihre neuen Mo-
                   zin. Die Produktion in der Schwedter              Umstellung der Raffinerien und Tankstel-       delle im Durchschnitt künftig nur noch
                   PCK-Raffinerie läuft auf Hochtouren.              len auf E10 hat nach Branchenangaben           120 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer
                      Nur beim Bioethanol ist wenig los. Bis         einen dreistelligen Millionenbetrag gekos-     ausstoßen dürfen. Der Plan hätte die deut-
                   zu hundert Millionen Liter Pflanzen-              tet; die Rückabwicklung dürfte nicht viel      schen Unternehmen härter getroffen als
                   schnaps lagern in zwei randvollen Tanks,          billiger sein.                                 die auf Kleinwagen spezialisierten italie-
                   genug für eine Milliarde Liter Biosprit.             Hinzu kommen Strafen, die die Mine-         nischen und französischen Autobauer.
                   Aber die Nachfrage ist viel geringer als          ralölindustrie an den Staat bezahlen muss,        Mit Hilfe von Bundeskanzlerin Angela
                   erwartet, weshalb die ganze Produktion            weil sie die gesetzliche Quote für Pflan-      Merkel handelten die Deutschen eine Art
                   jetzt umgestellt werden muss: Weg von             zenkraftstoffe nicht schaffen wird. Der        Rabatt aus. Den europäischen Autokon-
                   E10 mit seinem zehnprozentigen Pflan-             zuständige Verband geht von bis zu 456         zernen wurde erlaubt, zehn Gramm CO -
                                                                                                                                                            ²
                   zenanteil, zurück zum alten Super.                Millionen Euro Bußgeld allein für dieses       Verringerung durch „ergänzende Maß-
                      Deutschlands Autofahrer haben den              Jahr aus; das entspricht etwa zwei Cent        nahmen“ zu erreichen, wie es damals
                   angeblichen Biosprit duchfallen lassen.           Strafe pro Liter herkömmlichen Benzins.        hieß, etwa durch das Betanken mit Bio-
                   Der von der Politik unternommene Ver-             Man kann davon ausgehen, dass die Kon-         sprit.
                   such, ihnen ein ökologisch fragwürdiges           zerne auch diesen Betrag schnell auf den          Nach dem E10-Flop sieht es so aus, als
                   und zudem auch noch teures Produkt an-            Benzinpreis aufschlagen.                       müssten sich die Ingenieure etwas Neues
                   zudrehen, ist im ersten Anlauf gescheitert.          Zusätzlich belastet werden Autofahrer,      einfallen lassen, um den Schadstoffaus-
                   Bundesumweltminister Norbert Röttgen              weil sie oft nur noch das teure Super Plus     stoß zu begrenzen.
                   („Wir packen mehr Bio ins Benzin“) steht          tanken können. Unterm Strich dürfte das           Die Autobosse sind selbst schuld an
                   jetzt genauso blamiert da wie die Mine-           E10-Experiment die Autofahrer in diesem        der Misere. Sie hätten ein Interesse ge-
                   ralölwirtschaft und die Automobilindu-            Jahr einen Milliardenbetrag kosten.            habt, E10 zu einem Erfolg zu verhelfen,
                   strie. „Die Verbraucher haben entschie-              Aber auch für Volkswagen, Daimler           doch davon war wenig zu spüren. Statt-
                   den“, sagt Unionsfraktionschef Volker             und BMW wird die Ökoposse noch un-             dessen trugen sie zur allgemeinen Ver-
                   Kauder: „In vielen Ländern hungern                angenehme Folgen haben. Der Biosprit           unsicherung bei.
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Tollhaus Tankstelle Das E10-Experiment ist gescheitert: Deutschlands Autofahrer wollen den angeblichen Biosprit einfach nicht haben ...
WALTRAUD GRUBITZSCH / PICTURE-ALLIANCE / DPA
Bioforschungszentrum in Leipzig: Ein weltweit akzeptiertes Zertifizierungsverfahren für Biosprit gibt es noch nicht

   Viele Autobesitzer wissen noch immer       kaputtgemacht hat, muss freilich der Au- Mineralölkonzerns Shell, kommentiert
nicht zweifelsfrei, ob ihr Fahrzeug E10       tofahrer erbringen, eine „große Hürde“, das Tollhaus an der Tankstelle so: „E10
verträgt. Die Listen der Hersteller sind      wie der ADAC-Jurist Ulrich May sagt.      ist unser Stuttgart 21.“
unvollständig. Sogar das Bundesinnenmi-          Bei der Einführung von E10 „haben wir     Aus ökologischer Sicht ist es freilich
nisterium wies seine Beamten deshalb an,      Mist gebaut“, gesteht ein Automanager. ein Segen, dass E10 beim Verbraucher
Dienstfahrzeuge vorerst nicht mit Bio-        Man habe zugelassen, dass eine große durchfällt. „Steigende Ethanolmengen im
sprit zu betanken. Gleiches galt für alle     Unsicherheit entstanden ist, obwohl fast Benzin sind keine sinnvolle Klima- oder
nachgeordneten Behörden und Einrich-          alle Autos der deutschen Hersteller E10 Umweltschutzmaßnahme“, heißt es in
tungen, die Bundespolizei und das Tech-       problemlos vertragen (siehe Seite 64).    einer Stellungnahme von Greenpeace.
nische Hilfswerk beispielsweise. Allzu           Die meisten Vertreter der Automobil- „Das bringt nichts“, erklärt der Bund für
groß war die Sorge, ein Einsatzfahrzeug       hersteller aber schieben die Verantwor- Umwelt und Naturschutz (BUND). Der
könnte mit Motorschaden liegenbleiben.        tung weiter zur Mineralölindustrie. Die Naturschutzbund Nabu rät: „Autofahrer
   Saab schränkte die Zahl der E10-geeig-     wisse schließlich, wie man neue Sprit- sollten besser herkömmlich tanken.“
neten Modelle nachträglich ein. BMW sah       sorten einführt. Wenn es um ein Formel-      Neun große europäische Umweltver-
sich zu „Konkretisierungen“ genötigt.         1-Benzin ginge, würde sie auch große bände haben in einer gemeinsam finan-
Auch Audi und Seat korrigierten ihre An-      Werbekampagnen starten.                   zierten Studie am Londoner Institut für
gaben.                                           Tatsächlich war das Interesse von Aral Europäische Umweltpolitik herausgefun-
   Ohnehin handelte es sich aus Sicht vie-    und Co. am Biosprit gering. Die Konzer- den, dass die Umweltbilanz von Kraftstoff
ler Autofahrer um ein wenig vertrauens-       ne sind durch ein Gesetz zum Einsatz aus nachwachsenden Rohstoffen nicht po-
würdiges Verfahren, den Fahrzeugschein        von Treibstoffen aus nachwachsenden sitiv, sondern negativ ist. Biosprit sei
mit Listen aus dem Internet zu verglei-       Rohstoffen verpflichtet. Dieser Pflicht „schädlicher für das Klima als die fossilen
chen, zumal in einem Land, in dem jeder       kommen sie nach, mehr aber auch nicht. Energien, die er ersetzen soll“, so das ver-
Schokoriegel mit präzisen Inhalts- und           Und so verließ sich bei der Einführung nichtende Urteil.
Verzehrhinweisen gekennzeichnet wer-          des Biosprits einer auf den anderen, die     Die Studie rechnet im Detail vor, dass
den muss.                                     Politik auf die Autohersteller, diese auf weltweit bis zu 69 000 Quadratkilometer
   Die Hersteller schienen der Sache ja       die Mineralölindustrie und die wiederum Wald, Weiden und Feuchtgebiete als
selbst nicht zu trauen. Erst nach wochen-     auf Daimler, Volkswagen und BMW.          Ackerland kultiviert werden müssten, um
langer Debatte gaben die Autokonzerne            Die Autofahrer, die das Benzin tanken allein den künftigen Biospritbedarf der
ein Haftungsversprechen für E10-Schäden       sollen, hatte offenbar niemand im Blick. Europäer zu decken. Das ist eine Fläche
ab. Den Beweis, dass Biosprit den Motor       Peter Blauwhoff, Deutschland-Chef des von mehr als der doppelten Größe Bel-
                                                    D E R   S P I E G E L   1 6 / 2 0 1 1                                     63
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                                                                                                       flüssigung.
                                    Langsame Reife                                                        Die Autohersteller VW und Daimler
                                                                                                       sind Partner des Unternehmens; der
                                                                                                       Ölkonzern Shell war auch eingestie-
                        Warum Biokraftstoffe trotz des E10-Desasters                                   gen, zog sich jedoch vor eineinhalb
                               eine Zukunft haben können                                               Jahren wieder zurück, als sich das BtL-
                                                                                                       Verfahren als sehr schwierig und teuer
             ass der Genuss von Alkohol                      Die technischen Vorbehalte sind           erwies. Gestützt von geduldigen Inves-

     D       die Fahrtüchtigkeit beeinträch-
             tigt, ist erwiesen. Dass auch
     die Betankung des Fahrzeugs mit die-
                                                          letztlich ähnlich irrational wie bei der
                                                          Einführung des bleifreien Benzins vor
                                                          über 20 Jahren, aus der sich letztlich
                                                                                                       toren, macht Choren nun weiter und
                                                                                                       fand bereits Abnehmer für die Tech-
                                                                                                       nologie in Nord- und Südamerika,
     sem Rauschmittel Probleme schafft,                   keine technischen Probleme ergaben –         Frankreich, Skandinavien und Asien.
     erlebte die Mineralölwirtschaft im                   auch damals gab es eine weitverbrei-         Einstige Pläne für Großraffinerien, die
     Zuge der Einführung der neuen Kraft-                 tete Angst vor Motorschäden.                 Holzschnitzel aus deutschen Baum-
     stoffsorte E10.                                         Der Umweltnutzen von heutigem             plantagen in BtL-Diesel verwandeln
        Sie besteht zu einem Zehntel aus                  Biosprit ist zwar umstritten. Langfris-      sollten, liegen jedoch auf Eis.
     Alkohol. Aus Korn oder Zuckerrüben                   tig dürfte Kraftstoff vom Acker den-            Einen schnelleren Durchbruch er-
     gewonnen, soll er als Ersatz für Erdöl-              noch eine Schlüsselrolle zum Erhalt          warten die Shell-Forscher von einer
     raffinate Klima und Ressourcen scho-                 industriellen Wohlstands zukommen,           anderen Technologie der zweiten
     nen – doch die meisten Autofahrer                    wenn Öl und Erdgas zur Neige ge-             Generation, die in den vergangenen
     boykottieren den Sprit vom Acker.                    hen – aus Mangel an Alternativen.            Jahren ähnlich schleppend vorankam:
        Durch ihre chaotische Informations-                  So bleibt Biomasse in den Progno-         Ethanol aus Lignozellulose. Dank ei-
     politik haben Autohersteller und Mi-                 sen der Internationalen Energieagen-         ner Enzymbehandlung soll dabei
     neralölkonzerne die Verbraucher in                   tur (IEA) trotz der aktuellen Probleme       Stroh oder Holz in Zucker und da-
     große Verunsicherung gestürzt. Doch                  ein entscheidendes Element. Im Jahr          nach in Alkohol verwandelt werden.

     Grünzeug
     Grünzeug im TTank
                   ank
     Reichweiten
     Reichweiten für Biokraftstoffe*
                          Biokraftstofffe*        Biomethan
                                                  Bi me han
     aus den Jahreserträgen
                   Jahreserträgen eines                                                                                                   677 600
     Hektars
     Hektars Anbaufläche                                                                                                                  km
                                                                                                                                           m
                                    Bt ((Biomass
                                    BtL    Bioomass
                                               mas to
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     Quelle: FFachagentur
               achagentur                                                                                                64000
                                                                                                                          4 000 km
      Nachwachsende
     Nach wachsende
     RRohstoffe
       ohstoffe ee.V.
                  .V.
                        Biodiesel
                        Bi diesel                         23300
                                                        223300
                                                          3330
                                                            300
                                                             00 km
     Bioethanol
     B
     Bioethan
       oet an                                            2050, schätzt die IEA, könnten aus               In Nordamerika genießt die For-
                                          22
                                           22400
                                            42040 km
                                         22400
                                            40
                                            400   k0m    Pflanzen gewonnene Raffinate welt-            schung enorme staatliche Förderung;
     * bei einem Verbrauch von 7,4  , l/100 km für       weit einen Anteil von gut einem Vier-         und auch die deutsche Südzucker AG
     Otto-
     Otto- bzw.
           bzw. 6,1
                6,1 l/100km
                    l / 100 km für Dieselmotoren
                                   Dieselmotoren         tel am gesamten im Straßenverkehr             experimentiert in diesem Bereich. Nir-
                                                         benötigten Kraftstoffbedarf haben.            gends gelang jedoch der Sprung zu
     die dadurch geschürten Ängste der                      Diesen Ersatz allerdings wird der          großtechnischen, wirtschaftlich funk-
     Autofahrer, der Alkoholzusatz könne                 heute so ineffizient gewonnene                tionierenden Anlagen.
     dem Fahrzeug schaden, sind in fast al-              Schnaps aus Getreidekorn nicht mehr              Shell pflegt eine Partnerschaft mit
     len Fällen unbegründet. Von den Au-                 decken können. Der Ertrag liegt nur           dem kanadischen Unternehmen Io-
     tos deutscher Hersteller vertragen 99               bei etwa 1600 Litern Benzinäquivalent         gen. „Zellulose-Ethanol ist deutlich
     Prozent aller Fahrzeuge mit Benzin-                 pro Hektar (siehe Grafik).                    näher an der Vermarktungsreife als
     motor die Sorte E10.                                   Hoffnungen auf umweltverträg-              BtL“, erklärt Mark Gainsborough, bei
        In den Vereinigten Staaten ist E10               lichere Brennstoffernten als E10 we-          dem Ölkonzern verantwortlich für
     bereits seit 1997 Standard. Von Mo-                 cken die Biokraftstoffe der zweiten           die Entwicklung alternativer Kraft-
     torschäden durch den höheren Alko-                  Generation. Bei diesen Technologien           stoffe.
     holanteil ist nichts bekannt – und das              sollen nicht nur Früchte oder Knollen,           Als Einsatzfeld sieht er unter an-
     im Land der Schadensersatzklagen.                   sondern die gesamten Pflanzen ge-             derem die brasilianischen Energie-
        Dass auch die Wagen in Deutsch-                  nutzt werden. Allerdings sind dafür           plantagen, wo in enormen Mengen
     land Alkohol im Benzin vertragen,                   wesentlich komplexere Verarbeitungs-          Zuckerrohr zu Ethanol verarbeitet,
     zeigte schon die geräuschlose Umstel-               methoden nötig, die viel langsamer            die Bagasse jedoch meist nutzlos ver-
     lung auf E5 (Ethanolanteil: 5 Prozent)              zur Marktreife finden als gedacht.            brannt wird. Ließe sich diese in Zu-
     im Laufe der vergangenen Jahre.                        Für Aufsehen sorgte etwa die im            cker verwandeln, entstünde laut
        Ein Restrisiko beim Tanken von E10               sächsischen Freiberg ansässige Choren         Gainsborough das Potential einer Ver-
     besteht lediglich bei Oldtimern und                 Industries GmbH. Als erstes Unter-            dopplung des Ethanolertrags.
     älteren Autos. Bei diesen Wagen                     nehmen der Welt wollte sie im großen             In Brasilien würde das Hektarerträ-
     könnte es zu Auflösungen von Kunst-                 Stil Holz oder Stroh in hochwertigen          ge von über 12 000 Litern bedeuten –
     stoffteilen in der Kraftstoffanlage                 Dieselkraftstoff verwandeln. Das Ver-         kein Vergleich zur ärmlichen Energie-
     kommen, da diese noch nicht für Al-                 fahren nennt sich „Biomass to Liquid“         ernte aus deutschem Korn.
     kohol ausgelegt wurde.                              (BtL) und ähnelt den bereits früher                                   CHRISTIAN WÜST

64                                                             D E R   S P I E G E L   1 6 / 2 0 1 1
Tollhaus Tankstelle Das E10-Experiment ist gescheitert: Deutschlands Autofahrer wollen den angeblichen Biosprit einfach nicht haben ...
sondern nur zertifiziertes. Details stehen
                                                                                         in der Biokraftstoffverordnung, die im Ja-
                                                                                         nuar 2011 in Kraft trat. Agrosprit darf
                                                                                         demnach nur dann „Bio“ genannt wer-
                                                                                         den, wenn er beim CO -Ausstoß um min-
                                                                                                                 ²
                                                                                         destens 35 Prozent niedriger liegt als her-
                                                                                         kömmliches Benzin.
                                                                                            In Wahrheit handelt es dabei aber nur
                                                                                         um eine Art Absichtserklärung, zumin-
                                                                                         dest bislang. Das Problem ist, dass es ein
                                                                                         weltweit akzeptiertes Zertifizierungsver-
                                                                                         fahren für Biosprit noch gar nicht gibt. In
                                                                                         den USA gelten andere Regeln als in Bra-
                                                                                         silien. Mal sind die Auflagen lasch, mal

                                                                                           PATRICK PLEUL / PICTURE ALLIANCE / DPA
                                                                                         locker. Es gibt auch kaum Kontrollen.
                                                                                            Die Agrarspritindustrie in Deutschland
                                                                                         stützt sich vor allem auf ein Zertifikat na-
                                                                                         mens „Redcert“. Die Bundesanstalt für
                                                                                         Landwirtschaft und Ernährung hat es im
                                                                                         Sommer 2010 offiziell anerkannt.
                                                                                            Interessant ist, wer hinter „Redcert“
                                                                                         steckt: der Deutsche Bauernverband, die
Raffinerie in Schwedt: Die Produktion muss wieder umgestellt werden – weg von E10        Union zur Förderung von Oel- und Pro-
                                                                                         teinpflanzen, der Biokraftstoffverband,
giens. Als Folge würden jährlich bis zu Euro Umsatz je Hektar. So steht es in ei- der Mineralölwirtschaftsverband. Sie alle
56 Millionen Tonnen CO freigesetzt. Ge- ner Studie des World Wildlife Fund. Das haben ein Interesse, dass Biosprit ein
                           ²
nauso gut könnte man 12 bis 26 Millionen risikolose Business zieht allerlei Geschäf- kommerzieller Erfolg wird. Kritiker be-
zusätzliche Autos auf Europas Straßen temacher an. Landwirte, Großgrund- zeichnen „Redcert“ als Schmalspursiegel.
herumfahren lassen – der Ausstoß an kli- besitzer, Betreiber von Ethanol- und Bio- Bei der Zertifizierung werde beispiels-
maschädlichem Kohlendioxid wäre der gasanlagen, Düngemittelhersteller – sie weise nicht beachtet, welche Verdrän-
gleiche.                                     alle profitieren von den märchenhaften gungseffekte entstehen, wenn ein Land-
   Um nur den deutschen Mehrbedarf an Renditen im Agrogeschäft.                          wirt auf seinem Feld Energiepflanzen
Biosprit decken zu können, braucht es           Dort, wo jetzt Mais und Weizen für die anbaut.
ein Anbaugebiet von einer Million Hekt- Ethanolanlagen angebaut werden, kön-                Der Hickhack um den Biosprit hat Au-
ar, also etwa viermal das Saarland, das nen naturgemäß keine anderen Feldfrüch- tofahrer und Politik so verunsichert, dass
gedüngt, mit Pestiziden behandelt und te mehr wachsen. Energiepflanzen und nun selbst vernünftige Vorschläge kaum
intensiv bewirtschaftet werden müsste. Nahrungsmittelpflanzen stehen in Kon- noch eine Chance haben. So will die EU,
„Wer E10 tankt, hilft nicht der Umwelt kurrenz; die Frage lautet: Tank oder Tel- dass Kraftstoffe künftig danach besteuert
und nicht dem Klima“, sagt Hubert Wei- ler. Für eine einzige Tankfüllung mit E10 werden, wie viel Energie sie enthalten
ger, Vorsitzender des BUND.                  wird so viel Weizen benötigt, wie ein Er- und wie viel Kohlendioxid sie beim Ver-
   Das Büro für Technikfolgen-Abschät- wachsener in einem ganzen Monat essen brennen erzeugen. Die Steuer auf Diesel
zung beim Deutschen Bundestag forderte kann.                                             müsste demnach höher sein als die auf
in einer Expertise „die stufenweise Zu-         Die Unternehmensgruppe Wernsing Benzin.
rücknahme der Biokraftstoffquote bis zu aus dem Oldenburger Münsterland, ein                In Deutschland ist das bislang umge-
ihrer völligen Abschaffung“, im Klartext: großer Feinkost- und Salatehersteller mit kehrt, Diesel wird subventioniert, was
Schluss mit E10, zurück zum alten Super- 2900 Beschäftigten, beklagte                               ökologisch unsinnig ist. Doch
Benzin.                                      sich beim Bundesumweltminis-                           als die Brüsseler Pläne bekannt
   Doch ein Ausstieg aus der Agrarsprit- ter bereits darüber, dass es in       Der Hickhack wurden, kündigte die Bundes-
produktion wäre kompliziert. Die Ent- Niedersachsen schon nicht                hat  alle so ver- regierung Widerstand an. Sie
wicklung ist weit fortgeschritten. Land- mehr genug Kartoffeln gebe. unsichert, dass fürchtet wohl einen Aufschrei
wirtschaft und Industrie haben sich um- Der Maisanbau habe alles an- selbst vernünf- der Autofahrer, wenn Diesel
gestellt.                                    dere verdrängt. Andere Nah- tige Vorschläge teurer werden müsste.
   Die EU peilt für das Jahr 2020 einen rungsmittelhersteller schlossen                                Einen eigenen Plan, wie die
Biospritanteil von 10 Prozent an. Brasi- sich dem Protest an. Auch
                                                                              kaum noch eine Kraftstoffbesteuerung             nach
lien plant sogar mit einem Anteil von 50 Brauereibesitzer monierten, Chance haben. ökologischen Kriterien ausse-
Prozent. Die USA haben sich als Ziel ge- dass bei ihnen der Rohstoff                                hen müsste, aber hat die Regie-
setzt, die Produktion von Biosprit bis knapp werde. Der Präsident des Verban- rung nicht. Und so ist auch noch offen,
2022 von derzeit 50 Milliarden Liter auf des der bayerischen Privatbrauereien wie es beim Biosprit weitergeht.
über 130 Milliarden Liter jährlich zu stei- kündigte vorsorglich an, dass die Kiste         Die deutschen Autofahrer, die in den
gern. Dafür geben sie jährlich etwa zwölf Bier deshalb demnächst um 30 bis 50 nächsten Tagen in den Osterurlaub fah-
Milliarden Dollar an staatlichen Förder- Cent teurer werden müsse.                       ren, dürften sich über die Lage an den
geldern aus.                                    Die Bundesregierung kennt das Phäno- Tankstellen wundern. Mal gibt es wieder
   Der Subventionswettlauf ist auch in men. Umweltminister Röttgen bestreitet Super, mal nur Super Plus, mal sogar
Europa im Gange. Die durchschnittliche auch nicht, dass die Monokulturen noch E10. In Bayern und Baden-Württem-
Hektarprämie für Bauern in Deutschland schlecht für die Natur sind. Er beteuert berg ist der Biosprit noch fast überall er-
liegt bei etwa 340 Euro. Baut ein Land- aber, dass in Europa nur solches Ethanol hältlich. In Nordrhein-Westfalen ist er auf
wirt jedoch Biospritpflanzen auf seinem und Biogas verwendet werde, das eine dem Rückzug. Und in Hamburg war er
Acker an und verarbeitet sie zu Strom positive Umweltbilanz aufweise. Es kom- nie angekommen.                      DIETMAR HAWRANEK,
oder Biogas, bringt er es auf bis zu 3000 me nicht irgendwelches E10 in den Tank,                               ALEXANDER NEUBACHER

                                                   D E R   S P I E G E L   1 6 / 2 0 1 1                                            65
Tollhaus Tankstelle Das E10-Experiment ist gescheitert: Deutschlands Autofahrer wollen den angeblichen Biosprit einfach nicht haben ... Tollhaus Tankstelle Das E10-Experiment ist gescheitert: Deutschlands Autofahrer wollen den angeblichen Biosprit einfach nicht haben ...
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