Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? - Ariadne-Report Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele

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Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? - Ariadne-Report Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele
Ariadne-Report

Was ist uns wichtig bei
Verkehrs- und Stromwende?

Bürgerinnen und Bürger sprechen über
Herausforderungen und Ziele
Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? - Ariadne-Report Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele
Autorinnen und Autoren

                    » Dr. Mareike Blum                            » Dr. Arwen Colell
                       Mercator Research Institute on               Mercator Research Institute on
                       Global Commons and Climate                   Global Commons and Climate
                       Change                                       Change

                    » Julia Hoffmann                              » Karoline Karohs
                       ifok                                         ifok

                    » Dr. Martin Kowarsch                         » Maren Krude
                      Mercator Research Institute on                 Mercator Research Institute on
                      Global Commons and Climate                     Global Commons and Climate
                      Change                                         Change

                    » Miriam Saur                                 » Dr. Holger Thiel
                      ifok                                           ifok

Ein besonderer Dank ergeht an alle beteiligten Bürgerinnen und Bürger für die Beiträ-
ge und das Engagement sowie dem Institut für transformative Nachhaltigkeitsfor-
schung (IASS) für die freundliche und hilfreiche Unterstützung bei Datenaufbereitung
und -auswertung.

Der vorliegende Ariadne-Report wurde von den oben genannten Autorinnen und Auto-
ren des Ariadne-Konsortiums auf Grundlage der Wortbeiträge der Teilnehmenden der
Fokusgruppen ausgearbeitet. Er spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten
Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider. Die Inhalte der Ariadne-Publi-
kationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und For-
schung erstellt.

Herausgeben von                                                                                       Bildnachweis
Kopernikus-Projekt Ariadne                                                                            Titel: Headway / Unsplash; S. 6: Heliber-
Potsdam-Institut für Klimafolgen-                                                                     to Arias / Unsplash; S. 17: Annie Spratt
forschung (PIK)                                                                                       / Unsplash
Telegrafenberg A 31
14473 Potsdam

Februar 2021

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Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? - Ariadne-Report Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele
INHALT

         Zusammenfassung                                                    2

    1.   Einleitung                                                         4

    2.   Was ist Bürgerinnen und Bürgern wichtig bei der Verkehrswende?    6

         2.1. Infrastruktur                                                 7

         2.2. Klimaschutz vs. Freiheit?                                    12

         2.3. „Das Auto“                                                   14

    3.   Was ist Bürgerinnen und Bürgern wichtig für den Ausbau

         Erneuerbarer Energien?                                            17

         3.1. Beteiligung und Teilhabe                                     18

         3.2. Innovation und Dezentralisierung                             21

         3.3. Wer gewinnt, wer verliert?                                   23

    4.   Hintergrund: Was sind Fokusgruppen und wie wurde ausgewertet?     27

         4.1. Warum Fokusgruppen? Konzept und Umsetzung                    27

         4.2. Wer hat teilgenommen?                                        28

         4.3. Zur Auswertung der Fokusgruppen-Gespräche                    28

    5.   Nächste Schritte in Ariadne                                       31

         5.1. Aufnahme der Perspektiven in die Entwicklung von

             Ariadne-Politikoptionen                                       31

         5.2. Lerneffekte für die weitere Beteiligung im Ariadne-Projekt   32

    6.   Anhang                                                            33

         6.1. Ablauf der Fokusgruppen im Detail                            33

         6.2 In den Fokusgruppen verwendete Narrative                      35

         6.3 „Landkarten“ der Ergebnisauswertung: Verfügbarkeit und

             Methodik-Details                                              36

         Literaturangaben                                                  37

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Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? - Ariadne-Report Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele
ZUSAMMENFASSUNG

    Die Verkehrswende und die Stromwende          (2) „Klimaschutz vs. Freiheit?“ als zweiter
    betreffen den Alltag aller Menschen. Poli-    Themenbereich greift einen zentralen
    tische Handlungsvorschläge können so-         Wertekonflikt in den Gesprächen auf, der
    mit kaum überzeugen, wenn sie nicht           auch die (Grenzen der) Bereitschaft Ein-
    von Anfang an die vielfältigen Bedürfnis-     zelner zur Verhaltensänderung prägt.
    se der Menschen mitberücksichtigen. Da-
    her werden die Ansichten, Werte und Er-       (3) „Das Auto“ schließlich tauchte als es-
    fahrungen von Bürgerinnen und Bürgern         senzielles Verkehrsmittel, aber auch als
    durchweg und zentral in die wissen-           die Gesellschaft und den Alltag bestim-
    schaftliche Politikberatung von Ariadne       mendes und vieldimensionales Kulturgut
    eingebunden. Den Auftakt bildeten Ende        auf.
    2020 neun Online-Fokusgruppen quer
    durch das Land. Insgesamt 88 zufällig         Als Ziele für die Verkehrswende betonten
    ausgewählte Bürgerinnen und Bürger er-        die Fokusgruppen – sowohl in den Städ-
    örterten darin, welche Herausforderun-        ten als auch im ländlichen Raum – be-
    gen und Ziele ihnen für die Umsetzung         sonders die Reduktion des Verkehrsauf-
    der Verkehrs- und Stromwende jeweils          kommens und eine bessere Bündelung
    besonders wichtig sind.                       des Straßenverkehrs. Zudem wurden
                                                  Emissionsvermeidung, die Entschleuni-
    Dieser Bericht fasst die Ergebnisse zu-       gung des Verkehrs und Verkehrssicher-
    sammen und erläutert, wie die Fokus-          heit in vielen Gruppen betont. Jedoch
    gruppen durchgeführt und ausgewertet          gab es auch sehr unterschiedliche Sicht-
    wurden.                                       weisen und Bedenken, etwa zu neuen
                                                  Antriebstechnologien.
    Themenbereiche „Verkehrs-
    wende“                                        Themenbereiche „Stromwende“

    Die Diskussionen der Bürgerinnen und          Die Diskussionen zur Stromwende um-
    Bürger zur Verkehrswende lassen sich in       fassten primär folgende Themenberei-
    drei übergeordnete, oft zusammenhän-          che:
    gende Themenbereiche gliedern:
                                                  (1) Wichtig war für viele Teilnehmende
    (1) „Infrastruktur“ als erster Themenbe-      die Frage nach einer bürgerschaftlichen
    reich umfasst die Ansichten etwa zu           „Beteiligung und Teilhabe“ und Selbst-
    Straßen- und Schienennetzen oder Elek-        wirksamkeit in der Stromwende.
    tro-Ladestationen, aber auch zu menta-
    len und politisch-institutionellen Struktu-   (2) Beim Themenbereich „Innovation und
    ren.                                          Dezentralisierung“ wurden spezifische
                                                  Technologien und die Rolle von Innovati-

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on sowie die damit verbundenen Erneue-       Rolle der Bürgerdeliberation in
rungen und Erweiterungen technologi-         Ariadne
scher und institutioneller Infrastrukturen
thematisiert. Zudem ergab sich in den        In Ariadne bilden die von den Bürgerin-
Diskussionen ein Spannungsfeld zwi-          nen und Bürgern in den Fokusgruppen
schen einerseits lokal angepassten Infra-    erarbeiteten Problem- und Zielaspekte in
strukturen und andererseits der Notwen-      Verbindung mit dem Stand der Wissen-
digkeit einer übergreifenden Vernetzung      schaft die Grundlage für die Entwicklung
und des Ausgleichs sowie bestehenden         erster Politikoptionen und deren gesell-
internationalen Abhängigkeiten.              schaftlich relevanten Auswirkungen. Die-
                                             se Politikoptionen werden in einem
(3) Der Themenbereich „Wer gewinnt,          schrittweisen, wechselseitigen Lernpro-
wer verliert?“ behandelt die für die Bür-    zess gemeinsam weiterentwickelt und im
gerinnen und Bürger absolut zentrale –       Herbst 2021 von den Bürgerinnen und
und derzeit oft als ungerecht empfunde-      Bürgern bei den so genannten Bürger-
ne – Verteilung von Nutzen und Lasten        konferenzen diskutiert und bewertet.
in der Gesellschaft: zwischen Regionen,
zwischen Akteursgruppen und mit Blick
auf den Strompreis.

Als Ziele für die Stromwende wurden Mit-
sprache und Beteiligung hervorgehoben
– so auch in der Ausgestaltung technolo-
gischer Infrastrukturen und bei der ge-
rechten Verteilung von Lasten und Nut-
zen der Stromwende.

Unterschiede in den
Diskussionen

Der Vergleich der Diskussionen zu Ver-
kehrs- und Stromwende zeigt erstens,
dass der Umbau der technologischen
und politischen Infrastrukturen sekto-
renübergreifend ein herausragendes An-
liegen der Bürgerinnen und Bürger ist.
Interessanterweise wurden jedoch die
Handlungsspielräume Einzelner und die
Idee gesellschaftlicher Teilhabe für die
Stromwende deutlich stärker betont als
bei den Diskussionen zur Verkehrswen-
de. Dort wurde der Blick eher auf die Un-
zulänglichkeit vorhandener Infrastruktu-
ren gerichtet, die oft als starke Be-
grenzung des individuellen Handlungs-
spielraums wahrgenommen wurden.
Zweitens wurde für beide Sektoren sehr
oft politisch stringenteres, planvolleres,
transparentes und baldiges Handeln ein-
gefordert. Drittens wurden übergreifen-
de Ziel- und Interessenskonflikte deut-
lich, insbesondere hinsichtlich der
gerechten Verteilung von Nutzen und
Lasten der gesamten Energiewende,
aber auch hinsichtlich der Fragen, wer
vorangehen soll und wo am dringends-
ten Handeln erforderlich ist.

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Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? - Ariadne-Report Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele
1.        EINLEITUNG

                                          Ob beim Ausbau von Wind- oder Solarenergie im Stromnetz oder bei der Verkehrswende: Die
                                          Energiewende betrifft den Alltag aller Menschen. Weil die Energiewende einen gesellschaftlichen
                                          Wandel bedeutet, werden in Ariadne Bürgerinnen und Bürger von Anfang an und über den ge-
                                          samten Projektverlauf in einem so genannten Deliberationsprozess mit eingebunden: Wertvor-
                                          stellungen, Ansichten und Erfahrungen der Bürgerinnen und Bürger werden in einem schrittwei-
                                          sen und wechselseitigen Lernprozess in die Wissensproduktion von Ariadne zu politischen
                                          Handlungspfaden und ihren unterschiedlichen Auswirkungen aufgenommen.

                                          Die besten Lösungsoptionen nützen we-             Stand der Wissenschaft die Grundlage
                                          nig, wenn sie nicht die eigentlichen, oft         für die Entwicklung erster Politikoptio-
                                          facettenreichen Problemlagen und die              nen in Ariadne. Diese Politikoptionen
                                          daraus resultierenden Bedürfnisse und             werden in gemeinsamen Diskussionen
                                          konkreteren Ziele im Blick haben. Ariad-          zwischen Wissenschaft und Zivilgesell-
                                          ne legt sich daher nicht vorschnell auf           schaft, so genannten Co-Creation-Work-
                                          bestimmte Zielsetzungen und entspre-              shops, weiterentwickelt und im Herbst
                                          chende Lösungsoptionen fest. Klima-               2021 bei den sogenannten Bürgerkonfe-
                                          schutz ist dabei nur eines von vielen Pro-        renzen in nochmals größerer Runde kri-
                                          blemen (bzw. Zielen), die hier relevant           tisch deliberiert. Die Ergebnisse der Kon-
                                          sind – und die sich zunächst auch wider-          ferenzen werden wiederum in die
                                          sprechen können. Das Verständnis des              Forschung aufgenommen, bevor auf ei-
                                          Problemrahmens und der Ziele der Ener-            nem großen Bürgergipfel im Jahr 2022
                                          giewende wird in Ariadne gemeinsam er-            oder 2023 die ausgewählten Lösungsop-
                                          arbeitet. Die Bürgerinnen und Bürger              tionen eng geführt und mit Blick auf die
                                          werden beratend eingebunden in die                Umsetzung präzisiert werden.
                                          Entwicklung politischer Handlungsalter-
                                          nativen.                                          Dieser Bericht stellt die Ergebnisse der
                                                                                            Fokusgruppen vor und erklärt die me-
                                          Quer durch die ganze Bundesrepublik er-           thodischen Grundzüge ihrer Umsetzung
    DELIBERATION                          örterten daher im November und De-                und Auswertung. In den folgenden zwei
    Deliberation bedeutet „Beratschla-    zember 2020 insgesamt 88 zufällig aus-            Kapiteln nehmen wir Sie mit in die Ge-
    gung“, „Überlegung“. In einem Deli-   gewählte Bürgerinnen und Bürger in                spräche der Bürgerinnen und Bürger zur
    berationsprozess geht es darum,       neun Online-Fokusgruppen, welche Her-             Energiewende im Verkehr (Kapitel 2) und
    dass Menschen unter fairen Bedin-     ausforderungen und Ziele ihnen für die            der Stromwende (Kapitel 3). Dabei steht
    gungen zusammenkommen, ihre un-       Umsetzung der Verkehrs- bzw. Strom-               am Anfang des Kapitels jeweils eine Zu-
    terschiedlichen Sichtweisen und Ar-   wende besonders wichtig sind. Die hier            sammenfassung der übergreifenden Ka-
    gumente austauschen und diese         von denTeilnehmenden in den Fokus-                tegorien und Themenbereiche der Ver-
    abwägen, um voneinander zu lernen.    gruppen erarbeiteten Problem- und Ziel-           kehrs- bzw. Stromwendegespräche.
                                          aspekte bilden in Verbindung mit dem              Diese Kategorien und Themenbereiche

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Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? - Ariadne-Report Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele
ordnen die von Teilnehmenden entwi-
ckelten Argumente und führen sie zu-
sammen. Jede Kategorie wird außerdem
mit einem übergreifenden, zusammen-
fassenden Satz eingeführt. So können
Sie den Bericht mithilfe der zusammen-
fassenden Abschnitte auch „querlesen“
bzw. zu verwandten Argumentationslini-
en springen. Wenn Sie sich für die me-
thodischen Hintergründe der Konzeption
der Fokusgruppen und unsere Auswer-
tungsmethoden interessieren, finden Sie
diese in Kapitel 4 knapp zusammenge-
fasst. Am Schluss (Kapitel 5) steht ein
Ausblick auf die nächsten Schritte des
Beteiligungsprozesses im Ariadne-Pro-
jekt.

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Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? - Ariadne-Report Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele
2. WAS IST BÜRGERINNEN
                                           UND BÜRGERN WICHTIG BEI
                                           DER VERKEHRSWENDE?
                                           Drei übergreifende Kategorien mit insge-    nologischen und kulturellen Dimensio-
                                           samt 16 Themenbereichen gliedern die        nen des Autos.
                                           Diskussion der Bürgerinnen und Bürger
                                           zur Verkehrswende.                          Die Kategorien gliedern die Themenbe-
                                                                                       reiche, stehen jedoch nicht unabhängig
                                           „Infrastruktur“ bezeichnet die tatsächli-   voneinander. Zusammenhänge werden
                                           chen Infrastrukturen, aber auch die         jeweils im Text erläutert. Die Themenbe-
                                           mentalen und institutionellen Struktu-      reiche zeigen vorrangig Problemdimensi-
                                           ren, die in der Wahrnehmung der Bürge-      onen innerhalb des Feldes auf, teilweise
                                           rinnen und Bürger die Handlungsräume        aber auch positive Aspekte oder Lö-
                                           des Individuums im Verkehr bestimmen.       sungsansätze.

                                           „Klimaschutz vs. Freiheit?“ greift einen    Die Reduktion des Verkehrsaufkommens
                                           zentralen Wertekonflikt in den Gesprä-      und vermehrte Bündelung von Verkehr
                                           chen auf.                                   sticht als besonders einheitlicher Zielbe-
                                                                                       reich hervor, der sowohl in Groß- und
                                           „Das Auto“ verweist als dritte Kategorie    mittleren Städten als auch im ländlichen
                                           auf die argumentativen Zusammenhän-         Raum formuliert wurde. Zudem wurden
                                           ge zwischen den wirtschaftlichen, tech-     Emissionsfreiheit, die Entschleunigung
                                                                                       des Verkehrs sowie Verkehrssicherheit in
    Überblick: Kategorien und Themenbereiche der Verkehrswendediskussionen             vielen Gruppen betont. Jedoch gab es
    Abbildung 1                                                                        bezüglich einiger Themen, wie z.B. zu
                                                                                       neuen Technologien, sehr unterschiedli-
                                                                                       che Sichtweisen.

                                                                                       Abbildung 1 zeigt im Überblick die drei
                                                                                       Kategorien und jeweils zugeordneten
                                                                                       Themenbereiche der Diskussionen zur
                                                                                       Verkehrswende.

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Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? - Ariadne-Report Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele
2.1. INFRASTRUKTUR

    Die Kategorie „Infrastruktur“ umfasst physische, politische und mentale (Infra-)Strukturen. Diese
    sind für Bürgerinnen und Bürger von zentraler Wichtigkeit für die Verkehrsgestaltung der Zu-
    kunft sowie für ihre Wahrnehmung eigener Handlungsspielräume und individueller Möglichkei-
    ten der Einflussnahme.

    Verhalten und Verhaltens-                          über Alltagsstrecken). Im Kontrast dazu
    änderung                                           argumentierten progressiv eingestellte
                                                       Bürgerinnen und Bürger, dass es zukünf-
    Wenngleich Verhaltensänderungen in                 tig neue Selbstverständlichkeiten geben
    vielen Bereichen des Lebens als zentrale           werde. Viele Teilnehmende waren eher
    Bausteine der Verkehrswende formuliert             unentschlossen zwischen diesen beiden
    wurden, bestimmten physische Infra-                Sichtweisen und fühlten sich zum Teil
    strukturen wie Straßen oder Verkehrs-              generell kaum in der Lage, wohlinfor-
    mittel, aber auch politische und mentale           miert die Alternativen abzuwägen. Dies
    Strukturen weitgehend die Leitplanken              steht in Verbindung mit oft genannten
    dessen, was als mögliche Handlungsräu-             Forderungen nach einem Mehr an trans-
    me einzelner Personen formuliert wur-              parenter und ausgewogener Information
    den. Die Bandbreite der Positionen der             und Kommunikation.
    Teilnehmenden reichte diesbezüglich
    von konservativen Werten mit Orientie-             Die unterschiedlichen Einstellungen zeig-
    rung am Status quo bis zu sehr progres-            ten sich konkret etwa darin, dass einige
    siven Einstellungen mit der Bereitschaft,          Teilnehmende trotz ihres Bewusstseins
    das eigene Verhalten zu ändern. Es wur-            über Umweltprobleme nicht auf ihre
    de argumentiert, dass eine Veränderung             Freiheit verzichten möchten, während
    des eigenen Verhaltens wünschenswert               andere Personen erzählten, dass sie ihr
    sei, hierfür jedoch oft die nötige Infra-          Verhalten aus ökologischen Gründen
    struktur fehle (z.B. sichere Fuß- und              überdacht oder bereits geändert hätten.
    Fahrradwege, eng getaktete Bus- und                Insbesondere betrifft das den Verkauf
    Zugverbindungen, gute integrierte und              oder den Verzicht auf das Auto sowie auf
    einheitliche Tarifsysteme für den ÖPNV             Flugreisen. Einige Personen verwiesen
    (öffentlicher Personennahverkehr)).                darauf, dass kein kompletter Verzicht
                                                       möglich oder machbar sei (Arbeitswege;
    Diese Punkte werden auch beim Thema                erlauben „kleiner Klimasünden“; Ver-
    „Stadtplanung“ deutlich. „Status-quo               handeln von Lebensbereichen: Fernrei-
    orientierte“ Personen warnten davor, die           sen, dafür regionaler Konsum).
    Flexibilität des Einzelnen zu überschät-
    zen (z.B. täglich neue Entscheidungen              An verschiedenen Stellen wurde darauf

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Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? - Ariadne-Report Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele
hingewiesen, dass Mobilitätsverhalten        rigschwelligen Zugang zu nachhaltigen        kehrsvermeidung und -entzerrung) und
(insbesondere, aber nicht nur Autofah-       Alternativen standen aber auch Forde-        argumentiert, dass Arbeitgeber*innen in
ren) erlernt und somit Status quo/nor-       rungen nach dem Einsatz eigener Res-         der Pflicht seien, Veränderungen des Ar-
mal sei. Dies mache es schwierig, das ei-    sourcen (Geld, Lernanstrengung etc.) ge-     beitsortes zuzulassen. Ein anderes Bei-
gene Verhalten aus eigenem Impuls            genüber. Zudem bringe Wandel auch            spiel ist der Kulturwandel bezüglich des
heraus zu verändern, biete aber auch         Unsicherheit und unbekannte Faktoren         Autos. Hier wurde diskutiert, ob sich die
Chancen für neue Mobilitätsverhalten         mit sich. Dies erfordere einen Vertrau-      weit verbreitete Vorstellung, selbstver-
künftiger Generationen (junge Generati-      ensvorschuss, bessere Kenntnisse über        ständlich ein eigenes Auto besitzen „zu
on als „Hebel“). Zur Sprache kamen           die Konsequenzen verschiedener Mobili-       müssen“ zukünftig ändern könne. Die
auch im und durch das eigene Verhalten       tätsalternativen oder auch mehr Klarheit     Pandemie zeige, dass der Mensch anpas-
produzierte Dilemmata, die sich durch        über die Richtung des Wandels.               sungsfähig sei und „es auch ohne Fern-
ein schlechtes Gewissen zeigten oder                                                      reisen“ ginge. Manche Teilnehmenden
darin, gleichzeitig Verkehr zu verursa-      Über den Vollzug des Wandels gab es un-      gaben im Zusammenhang mit (notwen-
chen und davon betroffen zu sein. Disso-     terschiedliche Vorstellungen. Zum einen      digem) Wandel außerdem an, dass ihnen
nanzen im Handeln Anderer oder der Be-       argumentierten Bürgerinnen und Bür-          in ihrer Diskussionsgruppe bestimmte
wertung des Handelns Anderer wurden          ger, dass Wandel durch Prioritätenset-       Themen gefehlt hatten (ÖPNV, Waren-
ebenfalls diskutiert: Inkonsequenzen im      zung erfolgen und schnell gehen müsse.       und Güterverkehr, Auto in der Zukunft
eigenen Reden und Handeln, Widersprü-        Zum anderen wurde diskutiert, dass der       und regenerative Kraftstoffe).
che zwischen Berufs- und Freizeitverhal-     Wandel gerade aufgrund von fehlender
ten oder Autofahren trotz gegebener          Prioritätensetzung und Entschlossenheit      Übergreifend wurde in den Diskussionen
Busverbindungen. Manche Teilnehmen-          scheitern werde; zudem solle Wandel in       deutlich, dass die Idee einer nachhalti-
den sahen außerdem zu viel Verantwor-        kleinen Schritten erfolgen. Vereinzelt       gen Verkehrswende allgemein auf große
tung beim Individuum als problematisch       wurde darauf hingewiesen, dass sich Ge-      Zustimmung trifft. Auch die im Zukunfts-
an und störten sich am Anprangern/           neraloppositionen gegen neue Alternati-      narrativ entworfenen Bilder, beispiels-
Shaming gewisser Verhaltensweisen.           ven im Nachhinein oft als unnötig her-       weise zu elektrischen Antrieben, Sha-
                                             ausstellten und die Umsetzung zeige,         ring-Modellen oder emissionsneutralen
Die Notwendigkeit zu Verhaltensände-         was alles möglich sei. Eine teilnehmende     Fernreiseoptionen wurden als positiv
rungen wurde allgemein festgestellt und      Person berichtete jedoch aus „erster         und wünschenswert bewertet. Einige be-
Wege dorthin diskutiert. Dafür lassen        Hand“ von Erfahrungen mit dem Struk-         zeichneten diese aber auch als „uto-
sich zwei Richtungen feststellen: In eini-   turwandel: „Ich komme selber aus dem         pisch“ oder „Märchen“ (unter anderem
gen Argumenten wurde auf freiwillige         Kohlebergbau und ich habe dort sehr          in Bezug auf den Umsetzungszeitrahmen
Verhaltensänderungen durch (höhere)          viel an Politik und Menschlichkeit erlebt    von 15 Jahren) oder als Ausdruck einer
Transparenz, Ermöglichung von umwelt-        und auch an Realität, wo man wenig ge-       vermeintlich idyllischen Idee des Zusam-
freundlicher Mobilität besonders in Bal-     genargumentieren kann, was effizient ist     menlebens in bestimmten sozialen Kon-
lungsräumen, bessere Infrastruktur so-       und dann am Ende umweltbewusst ist“.         stellationen („Vorzeige-Mittelschichtsfa-
wie Belohnungssysteme und Anreize von        Dies zeigt einen wahrgenommenen Wi-          milie“). Das Ausbleiben von Konflikten
Seiten des Staates gesetzt. In anderen       derspruch zwischen ökologischen Erfor-       wurde als unwahrscheinlich bezeichnet.
wurde insbesondere die bisherige Kom-        dernissen und sozialen Realitäten. Sol-
munikation der Notwendigkeit von Ver-        che Argumente finden sich auch bei der       Politischer Rahmen
haltensänderungen als nicht ausrei-          Stromwende (s. Abschnitt „Gerechtig-
chend bewertet. Es wurde daher auf die       keit“). Weiterhin fallen unter diesen The-   Die Rolle politischer Akteur*innen wurde
Notwendigkeit restriktiverer Maßnah-         menbereich Fragen der Verteilungsge-         in den meisten Fokusgruppen ange-
men verwiesen: Verteuerungen, Verbote        rechtigkeit. Trade-Offs, das Zahlen von      schnitten. Verwaltungen seien dabei ein
und Zwang („Menschen verhalten sich          Schäden und die Frage, wer Vorteile und      Element, das in direkter Verbindung mit
wissentlich umweltschädlich“; „Lernef-       wer Nachteile erfahre, wurden ebenso         den Infrastruktur(planung)en für alle
fekte nur durch Schmerzen oder Geld“).       ins Gespräch gebracht wie das Plädoyer,      Verkehrsmittel und „dem Staat“ als kon-
                                             keine Gruppe von Verkehrsteilnehmen-         struiertem Akteur stehe. Dieser stehe so-
Wandel                                       den zu vergessen. Es dürfe keine soziale     wohl planerisch als auch kommunikativ
                                             Spaltung stattfinden, ein eigenes Auto       in der Verantwortung, auch komplexe
Bürgerinnen und Bürger diskutierten im-      solle beispielsweise bezahlbar bleiben. Es   Sachverhalte transparent und umfas-
mer wieder die Frage, wie viel Verant-       wurde teils darauf hingewiesen, dass ge-     send darzulegen – zur Gewinnung von
wortung das Individuum trage und wie         wisse Mobilitätsformen ein Luxus reiche-     „Einsicht“ in der Bevölkerung und als
viel die Gesellschaft. So argumentierten     rer Menschen seien.                          Grundlage für Verhaltensänderungen.
Teilnehmende, dass breite Teile der Be-                                                   So wurde argumentiert, dass (bessere)
völkerung erreicht und ein Bewusstsein       Ein häufig angesprochenes Beispiel für       politische Rahmenbedingungen und Re-
auch für die Notwendigkeit eigener Ver-      Wandel war das Homeoffice, vor allem         gulierungsmaßnahmen geschaffen wer-
haltensänderungen geschaffen werden          infolge der Corona-Pandemie. In diesem       den müssten, um Verhaltensänderungen
müsste. Forderungen nach einem nied-         Kontext wurden Chancen gesehen (Ver-         zu erreichen oder Verkehr qualitativ zu

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regulieren (argumentiert am Beispiel Gü-      nach konkreten nächsten Schritten ge-             engen Zusammenhang mit Stadtpla-
terverkehr). Gesetzgebung und Subventi-       äußert und angemerkt, das kritisches              nungsfragen, Klimaschutz und Familien/
onen wurden als Lösung für unterschied-       Hinterfragen wichtig sei.                         Kindern sowie naturbezogenen Werten.
liche Anwendungsfälle diskutiert: für den                                                       Überwiegend wurden vor allem die Vor-
ÖPNV, für Menschen, die auf das Auto          Stadtplanung                                      züge des Radfahrens thematisiert: Es sei
angewiesen sind, für den ländlichen                                                             gesund, flexibel und umweltfreundlich.
Raum. An anderen Stellen wurde die Ge-        Einen besonderen Fokuspunkt in den                Viele Teilnehmende wiesen jedoch auf Si-
setzgebung jedoch auch als Problem-           Diskussionen um politische Rahmen-                cherheitsprobleme hin, die durch unzu-
quelle identifiziert, wie bei der Pendle-     bedingungen bildete die Rolle der Stadt-          reichende Fahrradinfrastruktur sowie
r*innenpauschale, oder als „zu kurz           planung, wobei hier in Diskussionen um            durch das Verhalten der verschiedenen
gedacht“ kritisiert. In einer Stadt wurde     Ballungsräume stadtplanerische Aspekte            Verkehrsteilnehmenden entstehen wür-
der Kommunalpolitik Versagen in der           und Infrastrukturthemen zusammenka-               den. Argumente für die Notwendigkeit ei-
Strukturpolitik vorgeworfen und die Rol-      men. Dabei wurde argumentiert, dass               ner separaten Infrastruktur für den
le von Lobbygruppen diskutiert. An ande-      Stadtplanung einen langen Vorlauf habe            nichtmotorisierten Verkehr bilden daher
rer Stelle wurde darauf verwiesen, dass       (was sie teilweise obsolet mache) sowie           einen eigenen Argumentationsbereich.
politische Änderungen nur zusammen            ein Zeugnis ihrer Zeit sei und deswegen           Dieser Infrastruktur müsse mehr Platz
mit anderen Entscheidungsträger*innen         langfristig aber auch schon heute nicht           eingeräumt und bedarfsgerecht geplant
realisiert werden könnten.                    mehr zeitgemäß wirke. Deutlich wurde              werden. In weiteren Argumentationen
                                              das bei der Bewertung der autogerech-             werden die Vorteile davon beschrieben
Internationale Verflechtungen spielten        ten Stadt, die (teils explizit, teils implizit)   (Steigerung von Attraktivität und Ge-
hinsichtlich nationaler Abhängigkeit von      fast durchgängig negativ war. Eng damit           schwindigkeit des Radverkehrs durch
bestimmten Energieträgern und einem           zusammen hängen zwei Argumentati-                 Platz zum Überholen und mehr Kom-
fehlenden Einfluss Deutschlands auf der       onslinien zur Relevanz von ganzheitli-            fort). Als internationale Best-Practice-Bei-
internationalen Ebene eine Rolle. Es wur-     cher Stadtplanung unter Einbezug diver-           spiele wurden Kopenhagen, die Nieder-
de im internationalen Kontext aber auch       ser Perspektiven (u. a. Kinder, ein-              lande und Norwegen genannt.
darauf verwiesen, dass die Situation be-      kommensschwache Menschen, nichtmo-
züglich des Lärmes und der Luftver-           torisierter Verkehr) sowie zur Flächenge-         In einer Fokusgruppe wurden allerdings
schmutzung in anderen Ländern schlim-         rechtigkeit mit Forderungen nach der              auch Zweifel am Ausbau der Radinfra-
mer sei als in Deutschland.                   Neuaufteilung des städtischen Raums               struktur aufgrund mangelnder Baukapa-
                                              zugunsten des nichtmotorisierten Ver-             zitäten geäußert, weil dafür anderen Ver-
In den Fokusgruppen zur Verkehrswende         kehrs. In enger Verbindung dazu steht             kehrsteilnehmenden Flächen genommen
war die Beteiligung von Bürgerinnen und       ein umfassender Argumentationsbe-                 oder Naturflächen versiegelt werden
Bürgern kein direkt angesprochenes            reich, in dem die Flächennutzung von              müssten. E-Bikes wurden eher positiv ge-
Thema, es wurden jedoch an verschiede-        parkenden Autos in Städten kritisiert             sehen, beispielsweise für körperlich ein-
nen Stellen Meinungen dazu geäußert.          wird. Parkplätze seien zu günstig und un-         geschränkte Personen oder um weitere
Zum einen sei Beteiligung von Bürgerin-       gerecht (Finanzierung von Parkplätzen             Strecken überwinden zu können, weswe-
nen und Bürgern als demokratisches            für Einzelne durch die Öffentlichkeit) so-        gen sie auch Potenzial für den ländlichen
Element wichtig. Das wurde grundsätz-         wie ineffizient (lange Standzeiten). Auch         Raum hätten. Auch hier bestehe aber Be-
lich positiv konnotiert, etwa für eine grö-   wurde darauf aufmerksam gemacht,                  darf an Infrastrukturausbau.
ßere Bedarfsorientierung, das Anbringen       dass politische Entscheidungen manch-
berechtigter Zweifel und die Meinungen        mal von Planungsvorschlägen abwichen.             Gleichzeitig wurde thematisiert, dass
der Zivilgesellschaft als Gegenstimme zu                                                        nicht alle Personen Radfahren könnten
Lobbyinteressen. Zudem wurde darauf           Einige Teilnehmende machten aber auch             oder wollten und Radfahren für be-
verwiesen, dass es bezüglich des Aus-         auf die Schwierigkeiten sowohl bei der            stimmte Gruppen oder Situationen un-
baus von Infrastruktur (z.B. Radwegen         Parkplatzsuche als auch bei Alternativen          geeignet sei (Wetter, Alter, Transporte,
und Gleisen) oft Akzeptanzprobleme in         aufmerksam. Beispiele wie Markttage               Termindruck). Auch das Verhalten von
der Bevölkerung und zum Teil Proteste         oder der Hamburger G20-Gipfel zeigten,            Radfahrenden untereinander wurde teil-
gebe. Eine Ablehnung von Infrastruktur-       dass Autos offenbar auch woanders ab-             weise kritisiert oder zumindest deutlich
maßnahmen bzw. Konflikte zwischen Pri-        gestellt werden könnten, dies aber im             darauf hingewiesen, dass sich alle an die
vat- und Allgemeininteressen könnten          Alltag selten geschieht. Auch Vorschläge          Regeln halten müssten. Dies gelte bei
auch auf mangelnden Dialog zurückzu-          zu einer verbesserten Verkehrsführung             schlechter wie bei guter Infrastruktur
führen sein. Zum anderen wurden Zwei-         mit grüner Welle für Autofahrende und             und bezog sich auch auf die Gefährdung
fel an der Wirksamkeit ausgedrückt (Ein-      dadurch sinkende Emissionen wurden                von Fußgängerinnen und Fußgängern.
fluss „auf zukunftsfähige Entschei-           gemacht.                                          Die Förderung des Fußverkehrs wurde
dungen in Berlin“ und an Ergebnissen,                                                           ansonsten nur am Rand diskutiert. Pro-
die nicht automatisch Interessenskonflik-     Rad- und Fußverkehr                               bleme und Sicherheitsrisiken für Rad-
te auflösten, sowie bezüglich der Finan-                                                        und Fußverkehr wurden in parkenden
zierung). Zudem wurde das Bedürfnis           Der nichtmotorisierte Verkehr steht im            Autos und rücksichtslosen Autofahrerin-

9
nen und Autofahrern gesehen.                 zu diesem Thema beinhaltet, dass insbe-    werden müsse, unter anderem, weil eine
                                             sondere Eltern dafür verantwortlich sei-   Umstellung von Gewohnheiten im Alter
Familien und Kinder                          en, dass Kinder lernen, sich sicher im     schwierig sei. In beiden Bereichen gab es
                                             Verkehr zu bewegen. Auch eine allgemei-    jedoch auch einzelne Gegenpositionen:
Einige Argumente beschäftigten sich          ne Vorbildfunktion für Kinder wurde an-    Es wurde als unnötig bis ärgerlich gese-
spezifisch mit der Rolle und den Bedürf-     gesprochen. Ein anderes Argument zielt     hen, dass Kinder im Auto zur Schule ge-
nissen von Familien und Kindern sowie        darauf, dass dies auch Aufgabe von         bracht werden und von älteren Men-
anderer Altersgruppen. Die Familie ist       Schule und Stadt sei.                      schen sei Lernfähigkeit gefordert.
ein zentrales Element, das insbesondere
mit den Themenbereichen Autos, Cars-         Im Kontext der Verkehrssicherheit von      Abbildung 2 zeigt für das Argument der
haring und Stadt/Land in Verbindung          Kindern spielt vor allem die Sicherheit    Sichtbarkeit (aufgrund persönlicher Ei-
steht, da hier starke Abhängigkeiten ge-     auf dem Schulweg eine Rolle. Dabei wur-    genschaften oder aufgrund der Wahl des
sehen wurden. Räumliche und verkehrli-       den sowohl generelle Sorgen um Gefähr-     Verkehrsmittels) vulnerabler Verkehrs-
che Infrastrukturen in Verbindung mit        dung durch den Verkehr formuliert, ins-    teilnehmender mit welchen weiteren Ar-
dem Alltag seien hemmende Größen bei         besondere durch den dichten Verkehr        gumenten Bürgerinnen und Bürger die-
der Wahrnehmung von Verkehrsalterna-         rund um Schulen. Explizit wurden „El-      sen Aspekt verknüpfen. Es zeigt sich,
tiven für Familien. Ein anderes Verhalten    terntaxis“ problematisiert und als zu-     dass argumentative Verbindungen (hier
wurde oft als wünschenswert gesehen,         sätzliche Gefährdung identifiziert. Den-   in Rot dargestellt) nicht nur zu bestimm-
erschien aber kaum möglich.                  noch wurde auch Verständnis für Eltern     ten Verkehrsmitteln und Akteursgrup-
                                             geäußert, zumal auf dem Land Alternati-    pen gezogen werden, sondern auch zu
Zwei große Argumentationslinien in die-      ven fehlten. Auf die Unterschiede zwi-     weiteren Argumenten der physischen
sem Bereich drehten sich um die Selbst-      schen Stadt und Land wurde ebenfalls       und institutionellen Infrastruktur wie
ständigkeit und Sicherheit von Kindern.      einmal hingewiesen. In zwei Städten wur-   planerischen Grundsätzen oder der Rolle
Diese müssten Selbstständigkeit im Ver-      de argumentiert, dass Umwege für mehr      der öffentlichen Verwaltung.
kehr erlernen und dies sei möglich, auch     Sicherheit in Kauf genommen werden
in Städten. Angst um die Kinder verhin-      könnten. Als Lösungen wurden eine „Kiss    Stadt vs. Land
dere jedoch, dass sie lernten, sich sicher   and go“-Zone oder zeitversetzter Schul-
zu bewegen. Dagegen wurde auch argu-         beginn vorgeschlagen. Vereinzelt wurde     Die Unterschiede zwischen Ballungsräu-
mentiert, dass motorisierter Individual-     argumentiert, dass Familien auch an        men und ländlichem Raum wurden so-
verkehr Selbstständigkeit von Kindern        ihren Wohnorten für mehr Autos und         wohl getrennt voneinander als auch mit
verhindere, und dass für die Jugendli-       Verkehr verantwortlich seien.              Bezug aufeinander diskutiert. Implizit
chen der ÖPNV manchmal das einzige                                                      ging es dabei oft um Unabhängigkeit,
Verkehrsmittel darstelle, sich eigenstän-    Außerdem wurde diskutiert, dass insbe-     Zugänglichkeit und Sicherheit (was auch
dig zu bewegen und daher bezahlbare          sondere die Perspektive von Kindern im     für die nachfolgenden beiden Themenbe-
oder finanzierte Schülertickets wichtig      Verkehr zu kurz komme sowie auch die       reiche zutrifft). Besonders stellten sich
seien. Der zweite Argumentationsbereich      der älteren Generationen berücksichtigt    diesbezügliche Fragen beim Zusammen-

     Argumentative Zusammenhänge (rot), die Bürgerinnen und Bürger bei der Sichtbarkeit vulnerabler
     Verkehrsteilnehmender herstellen
     Abbildung 2

10
hang von Wohnort und Verkehrsmittel-        die Rolle des Arbeit-gebers bzw. der Ar-     keit wurde teils infrage gestellt und al-
wahl. Während in Städten Wege mit dem       beitgeberin diskutiert, wenn dieser bei      ternative Lösungen wie Lieferdienste/
Rad und zu Fuß gut zurückzulegen und        der Arbeitszeitgestaltung keine Flexibili-   Onlinehandel vorgeschlagen und als po-
der ÖPNV eine gute Alternative sei, wur-    tät zeige, die eine zeitliche Abstimmung     sitiv bewertet.
de beim ländlichen Raum die Abhängig-       für eine Nutzung von ÖPNV oder Fahrge-
keit vom Auto als Selbstverständlichkeit    meinschaften ermögliche. Zudem wür-          Nicht nur für den ländlichen Raum wur-
und die schlechte Anbindung an den          den mögliche Fahrangebote eines Unter-       den negative Auswirkungen des Straßen-
ÖPNV problematisiert. Eine Änderung         nehmens die Wohnortwahl der Mit-             güterverkehrs diskutiert, wie Emissio-
der Verkehrsmittelwahl, vor allem die       arbeitenden beeinflussen.                    nen, Schadstoffe und Lärm, das
Abkehr vom Auto, sei wünschenswert,                                                      Umfahren von Baustellen durch Orts-
Stadt und Land sollten jedoch nicht ge-     Der ÖPNV wurde auch im spezifischen          chaften, und dass er das Fahren auf der
geneinander ausgespielt werden und          Kontext des ländlichen Raums diskutiert.     Autobahn unangenehmer mache. Den-
verschiedene Präferenzen (Land/Ruhe/        Zwei Argumentationslinien beschreiben,       noch wurde ein Bedeutungszuwachs von
Pendeln) seien nachvollziehbar. Mit dem     dass die Nachfrage im öffentlichen           Waren- und Wirtschaftsverkehr gesehen,
geringeren Verkehrsaufkommen im             Raum zu gering für eine wirtschaftliche      der auch künftig bleiben werde. Zudem
ländlichen Raum wurden auch Vorteile        Anbindung an den ÖPNV sei und der            könnten Lieferdienste leichter emissions-
wie Ruhe, Natur und Zufriedenheit ange-     ÖPNV – zumindest kurzfristig – keine at-     freie Fahrzeuge nutzen. Vereinzelt wur-
sprochen. Im Kontrast dazu steht die Be-    traktiven Angebote im ländlichen Raum        den positive Aspekte des Schienengüter-
wertung des Stadtverkehrs als laut, dre-    machen könne, die mit dem motorisier-        verkehrs hervorgehoben.
ckig (Luftverschmutzung) und stressig.      ten Individualverkehr mithalten könnten.
Auch der dichte bis beängstigende           Autonomes Fahren (d.h., mittels Compu-
Stadtverkehr wurde vereinzelt themati-      tertechnik selbstfahrende Fahrzeuge)
siert.                                      biete hier immer noch mehr Potenzial.

Öffentlicher Personennah-                   In allen Städten wurden Verbesserun-
verkehr (ÖPNV)                              gen, Investitionen und Ausbau des ÖPNV
                                            gewünscht. Voraussetzungen wie regio-
Ein weiterer, sehr stark diskutierter und   nale Kooperationen sowie Finanzierungs-
facettenreicher Themenbereich beinhal-      und Lösungswege wurden ebenfalls ge-
tet Argumente zum ÖPNV mit Schnitt-         nannt. In fast allen Städten wurde zu-
stelle vor allem zu Stadt-/Land-Fragen.     dem auf die Notwendigkeit der Barriere-
Besonders diskutierte Werte in diesem       freiheit des ÖPNV verwiesen. Einige
Kontext sind Flexibilität und Zugänglich-   Teilnehmende stellten den ÖPNV wegen
keit/Barrierefreiheit. Hinsichtlich Aus-    seiner Kosten und seinem Ausbau auch
stattung und Personal waren die Argu-       infrage, etwa weil dieser nicht mit der
mente insgesamt selten und nur in einer     Verkehrsnachfrage mitwachsen könne.
Stadt (Herne) positiv konnotiert. Über-     Wie auch im Bereich der Stadtplanung
greifend argumentierten die Teilneh-        wurde argumentiert, dass Planung und
menden, dass der ÖPNV ineffizient und       Umsetzung der Realität hinterherhink-
mit schlechter Infrastruktur störanfällig   ten.
sei und es lokale Qualitätsunterschiede
gäbe. Spezifische Kritikmuster beziehen     Wegen einer erhöhten Risikowahrneh-
sich auf überfüllte Fahrzeuge und Poten-    mung sich in öffentlichen Verkehrsmit-
ziale der Auslastungsverbesserung, hohe     teln mit COVID-19 anstecken zu können,
Kosten bei zum Teil schlechter Verläss-     bevorzugen seit der Corona-Situation ei-
lichkeit, oft schlechte Anbindungen und     nige Bürgerinnen und Bürger das Auto
einen hohen Zeitaufwand bei mangeln-        oder das Fahrrad gegenüber dem ÖPNV.
der Flexibilität.
                                            Versorgungsinfrastruktur und
Als wichtig angesehen werden dement-        Güterverkehr
sprechend bessere Bedarfs-orientierung,
Taktung, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit     Im Zusammenhang mit räumlichen Fra-
und preisliche Gestaltung sowie eine in-    gen kamen verschiedene Probleme im
dividuelle und/oder vereinfachte Tarifie-   Bereich von Versorgungsinfrastrukturen
rung. Es gab auch einen Hinweis, dass es    auf, die insbesondere den ländlichen
etwa für ältere Menschen zumutbar sei,      Raum betreffen. Weniger Auto- und Pen-
ein etwas komplexeres Tarifsystem zu        delverkehr setze voraus, diese Struktu-
„lernen“. In einer Fokusgruppe wurde        ren (wieder) aufzubauen. Die Umsetzbar-

11
2.2. KLIMASCHUTZ VS. FREIHEIT?

     Zwischen Argumenten der Naturverbundenheit und des Klimaschutzes einerseits und der Frei-
     heit andererseits entsteht in den Fokusgruppen ein Wertespannungsfeld, das beide Seiten her-
     vorhebt und gleichzeitig Ambivalenzen betont: Im persönlichen Trade-Off zeigen sich die Grenzen
     der individuellen Bereitschaft zu Verhaltensänderung.

     Naturverbundenheit und                            den Unsicherheiten geäußert, was die
     Klimaschutz                                       Gesamtklimabilanzen angeht. So wurde
                                                       argumentiert, dass Vergleichsanalysen
     In allen Fokusgruppen betonten viele              oft unklar seien (wirkten widersprüch-
     Teilnehmenden eingangs ihre Naturver-             lich, verwirrten oder fehlten) und es für
     bundenheit. Fragen des Klimaschutzes              Laien schwer abschätzbar sei, welche Im-
     schwangen dementsprechend in vielen               plikationen die eigene Verkehrsmittel-
     Themenbereichen mit, spielten in den              wahl insgesamt habe. Lösungen wie Kli-
     folgenden Diskussionen allerdings oft             makompensation als zweitbeste Wahl
     keine explizite Rolle. Umweltbelastungen          oder Maßnahmen, um durch besseren
     und -zerstörungen durch Verkehr wurde             Verkehrsfluss Emissionen zu reduzieren,
     in vielen Diskussionsrunden thematisiert          wurden nur am Rand diskutiert.
     und auch negative Gefühle darüber ge-
     äußert, die Notwendigkeit für den Klima-          Das übergeordnete Ziel des Klima- und
     schutz aber selten explizit ausgedrückt.          Umweltschutzes steht aus Sicht vieler
     Es wurde eher argumentiert, künftige              Bürgerinnen und Bürger im Spannungs-
     Generationen mitzudenken und sorgsam              verhältnis mit dem häufig formulierten
     mit Ressourcen umzugehen (vgl. auch               Bedürfnis nach Freiheit, Selbstbestim-
     „Innovationen und Antriebe“).                     mung und Spontanität. Aber nicht für
                                                       alle stand Klimaschutz und Freiheit im
     Auch das Bedürfnis, Technologien ganz-            Konflikt; für eine Person aus Hamburg
     heitlich zu bewerten (Lebenszyklusanaly-          bedeutete Freiheit kein Auto zu besitzen
     se) und einen starken Fokus auf Erneuer-          und sich nicht um Wartungen, Repara-
     bare Energien zu legen, wurde im                  turkosten und Parkplatzsuche kümmern
     Zusammenhang mit Klimaschutz sowie                zu müssen.
     technologischen Innovationen formuliert.
     Dabei wurde auch darauf hingewiesen,              Freiheit
     dass sich schon frühere Umstiege auf
     neue Technologien im Nachhinein als               Ein zentrales und wiederkehrendes Argu-
     problematisch erwiesen hätten (Beispiel           ment in allen Fokusgruppen zur Ver-
     Energiesparlampe) und vermeintliche Lö-           kehrswende war das der individuellen
     sungen nicht neue Probleme schaffen               Freiheit in verschiedenen Ausprägungen.
     sollten. In diesem Zusammenhang wur-              Hier zeigten sich am deutlichsten die

12
Spannungen zwischen universalen und          trotz bekannter Umweltrisiken behalten       keit teilweise als zentrale individuelle Ei-
individuellen Werten der Teilnehmenden.      zu wollen und formulierten, nicht bereit     genschaften genannt und in einem an-
Besonders stark war das freiheitlich-indi-   zum Verzicht zu sein – eine Position, die    deren Kontext als Privileg und Status-
viduelle Argument in Bezug zum The-          besonders im nächsten Abschnitt thema-       symbol gekennzeichnet wurden.
menbereich Auto, wie weiter unten auf-       tisiert wird. In diesen Kontext passt auch
geführt wird. Es wurde aber allgemein        die Aussage, dass Immobilität die per-       Das Argument der Alternativlosigkeit
wiederholt darauf aufmerksam gemacht,        sönliche Welt kleiner mache.                 zum Fliegen zeigte deutliche Bezüge zu
dass die Verkehrsmittelwahl von unter-                                                    Argumenten der Freiheit, wonach Teil-
schiedlichen Faktoren abhängig sei. So-      Abbildung 3 veranschaulicht, dass viele      nehmende trotz Umweltrisiken die Frei-
wohl die lokalen Kontexte und Struktu-       Personen zwischen Freiheit und Klima-        heit zum Reisen behalten werden möch-
ren als auch die individuellen Bedürf-       schutz abwägen. Beide Dimensionen            ten. Dies wurde verknüpft mit Werten wie
nisse waren Bürgerinnen und Bürger           wurden als wichtig erachtet, manche be-      persönlicher Reiselust, aber auch im
wichtig, wenn es um die Frage ging, un-      tonten jedoch eher die Notwendigkeit         Kontext interkultureller Erfahrungen und
ter welchen Umständen eine Verhaltens-       der Veränderung und Anpassung wäh-           einem Erleben der Natur an anderen Or-
änderung als machbar oder nicht mach-        rend andere eine selbstbestimme Mobili-      ten argumentiert. Dagegen standen Ar-
bar angesehen werde. Wieder betonten         tät als Grundvoraussetzung sahen.            gumente, laut denen Fernreisen zu
Teilnehmende die strukturellen Randbe-                                                    günstig seien oder mehr fürs Fliegen be-
dingungen individuellen Handelns. Wich-      Bahn- und Fernreisen                         zahlt werden und Anreize für Alternati-
tige Faktoren seien Infrastruktur (Zeiter-                                                ven gesetzt werden sollten.
sparnis, Komfort, Bezahlbarkeit,             Die Bewertung von Bahn- und Fernreisen
Sicherheit) und situative Faktoren           zeugte von unterschiedlichen Werten
(Zweck und Ziel einer Fahrt, Entfernung,     und Erfahrungen. Einige Teilnehmende
berufliche oder private Mobilität). Ebenso   zogen die Bahn dem Auto oder dem
wichtig seien individuelle Präferenzen (z.   Flugzeug vor, eine Person berichtete
B. Flexibilität im Berufsleben oder Be-      vom entspannten Reisen mit Zug und
quemlichkeit) und gesundheitliche Vor-       Rad. Andere stuften Bahnfahren und Ti-
aussetzungen (z. B. Einschränkungen          cketsysteme als kompliziert und mit
durch eine Gehbehinderung, Angewiesen        schlechten Anschlüssen als unzuverläs-
sein auf einen Rollstuhl).                   sig ein. Die Attraktivität sei gering oder
                                             werde schlecht vermarktet. Meistens
Die Freiheit zu gelegentlichen „sinnlo-      wurde das Bahnfahren auf der Langstre-
sen“ Genussfahrten mit dem Auto wurde        cke als möglich eingestuft, aber Kosten
von Teilnehmenden als nachvollziehbar        und Dauer sowie mangelnder Komfort
bewertet und nur selten kein Verständ-       und Flexibilität sprächen dagegen. Bahn-
nis dafür aufgebracht. In einer Diskussi-    höfe seien schlecht ausgebaut und unsi-
onsgruppe wurde auch explizit dafür ar-      cher, der ländliche Raum zu schlecht an-
gumentiert, von Verboten abzusehen           gebunden.
und die Freiheit des und der Einzelnen
nicht einzuschränken. Insbesondere be-       Weiterhin gab es unterschiedliche Bewer-
züglich längerer Reisen argumentierten       tungen von Fernreisen und „Reiselust“,
andere Teilnehmende, ihre Freiheiten         die trotz Wissens um die Klimaschädlich-

     Wertevorstellungen zum Thema ‚Freiheit vs. Klimaschutz?‘ entlang von Problem- und Zieldimensionen
     Abbildung 3

13
2.3. „DAS AUTO“

     Das Auto taucht als zentrales Verkehrsmittel, aber auch als die Gesellschaft und das tägliche Le-
     ben prägendes kulturelles Bild in den Argumentationen der Teilnehmenden auf. So greift die Ka-
     tegorie „das Auto“ nicht zuletzt die Konnotation des Slogans eines bekannten deutschen Auto-
     bauers auf – mit allen Implikationen für die Gesellschaft, die sich auch in der Debatte der
     Teilnehmenden widerspiegeln.

     Autos und Wirtschaft                               bewertete Autofahren und -besitz als
                                                        moralisch schwierig oder „asozial“. Eine
     Ein umfassender und wiederkehrender                historische und „hysterische“ Bevorzu-
     Themenkomplex beschäftigt sich mit                 gung des Autos habe Strukturen zerstört
     „des Deutschen liebstes Kind“, dem                 und setze sich bis heute fort.
     Auto. Gründe für dieses Fortbewegungs-
     mittel wurden zahlreiche genannt, so-              Ein spezifischer Aspekt der Kritik war der
     wohl die praktischen Vorteile (Flexibilität,       ruhende Verkehr: Private Fahrzeuge hät-
     Familienfreundlichkeit, Zeitgewinn, Zu-            ten eine niedrige tägliche Nutzungsdau-
     verlässigkeit, „eh da“) als auch die indivi-       er und stünden ansonsten auf den Stra-
     duellen Präferenzen (Komfort, Bequem-              ßen. Das Auto wurde weiterhin aus
     lichkeit, Stressfreiheit, Genuss, Spaß,            verschiedenen Perspektiven als Sicher-
     Individualität, Statussymbol, Freiheit             heitsrisiko problematisiert. Das gelte so-
     und Unabhängigkeit). Oft wurde auch ar-            wohl für das Fahrzeug an sich (parkende
     gumentiert, dass es in bestimmten Fäl-             Autos als Gefahr für Kinder) als auch für
     len keine Alternative zum Auto gebe (auf           die Fahrenden, die im Auto selber siche-
     dem Land, als selbstständige Person, im            rer sein mochten, aber für Andere durch
     Alter, im Urlaub). Unter den eher positi-          ihr Verhalten ein Risiko darstellten,
     ven Argumenten für das Auto fand sich              wenn sie nicht-motorisierten Verkehrs-
     auch der Verweis, die Automobilwirt-               teilnehmenden die Vorfahrt nahmen
     schaft mit ihren Arbeitsplätzen zu schüt-          oder andere Regeln und Radwege miss-
     zen, auch wurde die Automobilwirtschaft            achteten. Auch weitere negative Auswir-
     andernorts als „nun mal notwendig“                 kungen des motorisierten Individualver-
     nicht hinterfragt.                                 kehrs wie Lärm und Stress wurden
                                                        genannt.
     Andere Argumente zeigten einen kriti-
     schen Blick auf den motorisierten Indivi-          Alternativen zum Auto wurden vereinzelt
     dualverkehr und das Auto. In einer gene-           als notwendig gekennzeichnet und an-
     rell kritischen Perspektive wurden Autos           sonsten unterschiedlich eingeschätzt: Ei-
     als (zumindest in Städten) unnötig, inef-          nige Teilnehmende sahen diese als nicht
     fizient und nicht mehr zeitgemäß bewer-            flexibel genug oder unattraktiv an, ande-
     tet. Eine stärkere Kritik ging weiter und          re sahen zumindest in manchen Anwen-

14
dungsfällen durchaus Alternativen. Un-      bilität geäußert.                            anderem der Bedarf für mehr Fahrzeuge
terschiedliche Einschätzungen bestan-                                                    und Platz. Alternative Mobilitätsangebo-
den auch bezüglich der Kosten: Einige       Für E-Mobilität spreche aus Sicht der        te wurden problematisch gesehen, wenn
Teilnehmende argumentierten, dass das       Teilnehmenden eine schnelle Wirkung          es zu viele unterschiedliche Alternativen
Auto günstiger sei als andere Verkehrs-     bei der Emissionsreduktion und die posi-     gäbe und Tarifierung und Anbieter un-
mittel, während andere meinten, dass        tive Auswirkung auf die Lebensqualität.      übersichtlich seien. Das konkrete Bei-
ein Auto gleich teuer oder teurer sei. Es   Auch technologische Weiterentwicklun-        spiel E-Roller wurde teils als Genuss be-
wurde auch auf Möglichkeiten des Spa-       gen wurden gesehen und E-Busse teil-         zeichnet, aber nicht als Alternative für
rens der Betriebskosten hingewiesen         weise als positiv eingestuft. Es bestand     größere Strecken oder Einkäufe. „Mobili-
und vorgeschlagen, Autokosten individu-     jedoch auch große Skepsis – teils allge-     ty as a Service“ könne dazu führen, ,
ell zu differenzieren und jenen Menschen    mein gehalten, teils auf konkrete Einzel-    Fortbewegungsmittel in Eigenbesitz – al-
zu vergünstigen, die auf das Auto ange-     aspekte bezogen: E-Mobilität stehe ins-      len voran das Auto – aufzugeben, wenn
wiesen seien. Unsicherheiten gab es au-     gesamt zu sehr im Fokus der öffent-          das Konzept funktioniere. Weitere Argu-
ßerdem bei der Bewertung eines Tempo-       lichen Diskussion, Alternativen würden       mente drehten sich um die Bewertung
limits, welches manche Teilnehmende         nicht berücksichtigt; die Kosten seien zu    von Innovationen als Impuls für gesell-
als sinnvoll ansahen, während andere        hoch und die Zuverlässigkeit fraglich. Es    schaftliche Entwicklung und die Gleich-
die positiven Auswirkungen auf Sicher-      wurde auf soziale Probleme bei der Pro-      zeitigkeit vorhandener Technologien und
heit und Emissionen infrage stellten.       duktion verwiesen. Die Umweltfreund-         neuer Innovationen, wobei letztere teil-
                                            lichkeit wurde nicht nur auf Bezug zur       weise durch noch fehlende Infrastruktur
Innovationen und Antriebe                   CO2-Bilanz, sondern insgesamt bei der        im Nachteil seien. Ein gezielter Einsatz
                                            Betrachtung der Lebenszyklusanalyse in-      von Technologie könne Lösungsansätze
Ein weiterer stark diskutierter Themen-     frage gestellt, mit besonderem Fokus auf     für nahtloseren Transport bieten.
bereich dreht sich um technologische In-    die Batterie (Rohstoffe, Produktion und
novationen, insbesondere bezüglich          Recycling). Das Argument, alternative        Insgesamt bestand beim Thema Antrie-
Fahrzeugantrieben. Neben vielen Quer-       Antriebe ganzheitlich zu betrachten (im      be und Innovation eine gewisse Unsi-
verbindungen – zum Klimaschutz, zu an-      Sinne einer Lebenszyklusanalyse), war        cherheit, die mit einem Wunsch nach
deren technischen Themen wie beim           insgesamt sehr dominant. Dies gelte z.B.     transparenterer, ausgewogener Kommu-
Auto und der Digitalisierung bis hin zu     auch für andere E-Fahrzeuge als Autos.       nikation von offizieller Seite einherging –
Versorgungsinfrastrukturen und Güter-                                                    sowohl über Umweltbilanzen als auch
verkehr – zeigten sich hier ganz beson-     Hybridfahrzeuge wurden weniger häufig        über konkrete Instrumente wie Förder-
ders die unterschiedlichen Einstellungen    thematisiert, aber durchaus als mögliche     mittel. Es bestanden unterschiedliche
gegenüber neuen Technologien. Die Teil-     Alternative erachtet, wenn sie elektrisch    Einschätzungen bezüglich des Entwick-
nehmenden standen diesen teils offen,       fuhren – dies solle der Staat auch för-      lungstempos von Innovationen und aus-
teils skeptisch gegenüber und argumen-      dern – und wenn Pendlerinnen und             stehenden Richtungsentscheidungen. Es
tierten dabei selten „absolutistisch“ in    Pendler für längere Strecken nicht nur       wurde auf die Wichtigkeit unabhängiger,
nur eine Richtung. Die Idealisierung ein-   auf die Batterie setzen müssten. Eine        wissenschaftlicher Studien hingewiesen
zelner Technologien sahen sie kritisch      Person betonte in diesem Zusammen-           und auf den Wunsch, Situationen vor Ort
und zweifelten an Alternativen, forderten   hang auch das Freiheitsgefühl, dass aus      in die Forschung einzubeziehen.
aber Transparenz und ehrliche Kommu-        der Verbindung von Klimaschutz und in-
nikation zu Chancen und Risiken.            dividueller Mobilität entstehe. Als lang-    Abbildung 4 gibt einen Überblick über
                                            fristige und praktikablere Alternative zur   die oben genannten Aspekte bzgl. Inno-
Grundsätzlich äußerten sich viele Teil-     E-Mobilität wurde auf Wasserstoff verwie-    vationen und Antriebe und veranschau-
nehmende positiv über den Umstieg auf       sen, auch als Antrieb für Busse, dessen      licht, dass die Werte Transparenz und
Erneuerbare Energien (EE) im Verkehr        niedriger Wirkungsgrad aber wiederum         Ehrlichkeit, aber auch Offenheit und Ver-
und die Notwendigkeit emissionsfreier       infrage gestellt wurde. An einzelnen Stel-   sorgungssicherheit eine große Rolle für
Alternativen für Antriebe allgemein. Da-    len wurde auf die Effizienz von Dieselmo-    die Bürgerinnen und Bürger spielen.
bei wurde oft angemerkt, dass die Ener-     toren verwiesen.
giequellen große Relevanz hätten: Sie                                                    Carsharing
sollten regenerativ bzw. nachhaltig/        Abseits von Antriebstechnologien gab es
„grün“ sein, während Kohle- und Atom-       einzelne Aussagen zu anderen Innovatio-      Recht stark diskutiert wurde das Thema
strom abgelehnt wurden. Zudem müsse         nen. Hier besteht ein großer Argumenta-      Carsharing. Oft wurde es als generell po-
ein Umstieg organisiert erfolgen und        tionsbereich zum autonomen Fahren,           sitiv wahrgenommen, etwa als flexible
Geld in den Ausbau von Netz- und            das nach Ansicht vieler Teilnehmenden        Möglichkeit Auto zu fahren, wenn es un-
Ladeinfrastruktur und EE investiert wer-    Potenzial habe. Dieses wurde allerdings      bedingt nötig sei, ohne sich um ein Ei-
den. Skepsis wurde bezüglich der zur        selten konkret beschrieben, am ehesten       gentum kümmern zu müssen. Auch Kos-
Verfügung stehenden Strommenge aus          in Richtung Verkehrsverflüssigung und        ten und eine Entschärfung der Park-
EE, der Notwendigkeit von Speichern         Lösung von Problemen des ruhenden            platzsituation standen auf der Positiv-
und der Netzbelastung durch Elektromo-      Verkehrs. Kritisch gesehen wurde unter       Seite. Es wurde als Lösung vor allem für

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Wertevorstellungen zu neuen Technologien entlang von Problem- und Zieldimensionen
     Abbildung 4

Städte gesehen. Es gab aber auch sehr         und ÖPNV verknüpfte. Es zeigten sich
unterschiedliche Bedenken, die vom indi-      verschiedenste Datenschutzbedenken
viduellen Verlust von Mobilität über Da-      von der Unnötigkeit von Datenerfassung
tenschutzbedenken bis zur Kritik reich-       über Datenweitergabe an Dritte und
ten, dass Verkehr durch Carsharing nicht      Kommerzialisierung bis zu Kulturfragen
reduziert, sondern sogar verstärkt wer-       („Wir bevorzugen als Individuum nicht so
de. Insbesondere die fehlende Verläss-        gläsern zu sein“). Ein eigener, thema-
lichkeit bei der Verfügbarkeit wurde dis-     tisch zugehöriger Argumentationsbe-
kutiert, sodass es beispielsweise für         reich zeigt die Furcht vor und Ablehnung
Berufspendlerinnen und -pendler nicht         von Fremdbestimmung/Lenkung durch
als Alternative gesehen wurde. Auch           Überwachung und Belohnungssysteme.
wurde darauf hingewiesen, dass Carsha-        Allerdings zeigten sich auch ambivalente
ring für gewisse Nutzer*innengruppen          Einstellungen zu „Smart Devices“, da die
nicht barrierefrei und nutzbar sei (Famili-   vorgenannten Bedenken bestanden
en, Gehbehinderte, Menschen ohne digi-        (auch wenn auf Freiwilligkeit gesetzt
tale Affinität). Es sei zudem schwer, aus     werde), ein Anreiz zu anderem Verhalten
dem Eigentumsdenken herauszukom-              wurde aber grundsätzlich positiv einge-
men.                                          schätzt.

Weitere Fragen stellten die Teilnehmen-       Positive Veränderungen durch Digitalisie-
den bezüglich der Zielgruppen und An-         rung wurden in verschiedenen Bereichen
trieben von Carsharing. Ambivalent war        gesehen: als Nutzervorteil, Werkzeug für
die Diskussion um Raumansprüche.              Bedarfserfassung und als Veränderung
Wenngleich autonomes Fahren als eine          von Arbeitswelt und Freizeit, was sich
Möglichkeit der besseren Verfügbarkeit        auch auf den Verkehr auswirken werde.
eingeführt wurde, wenn Fahrzeuge              Möglichkeiten wurden insbesondere im
selbstständig zu weiteren im Verkehr          ÖPNV gesehen, als digitalisierte, planba-
teilnehmenden Personen oder zu Share          re und verteilte Dienstleistung, verbes-
Points fahren könnten, wurde im Zusam-        sert zum Beispiel durch benutzerfreund-
menhang mit Fahrzeugen aber auch Rol-         liche Informationssysteme. Auch generell
lern darauf hingewiesen, dass diese be-       könnten Verkehrsmittel besser aufeinan-
reits im Weg stünden.                         der abgestimmt und Multimodalität er-
                                              möglicht werden. Ältere Nutzergruppen
Digitalisierung                               seien derzeit noch ausgeschlossen. Aller-
                                              dings wurde auch argumentiert, dass di-
Vor allem mit Bezug auf die Gestaltung        gitale Anwendungen sich in diesen Grup-
der Zukunft wurde der Bereich Digitali-       pen ebenfalls verbreiten. Dennoch wurde
sierung thematisiert, der inhaltliche         es als Barriere gesehen, wenn gewisse
Schnittstellen vor allem mit dem Thema        Dienste nur auf digitalem Weg zugäng-
Freiheit, aber auch mit Argumenten in         lich seien.
der Kategorie Infrastruktur wie Wandel

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