Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN

 
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Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
Pfarreiengemeinschaft Neuss-Mitte
St. Quirin – Hl. Dreikönige – St. Pius – St. Marien

                                                      Unser Pfarrbrief
                                                            Ostern 2021

                                                        AUFerSTEHEN
Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
Aus der Redaktion                                                                      Impressum

    AUFerSTEHEN                                Für uns als Pfarrbrief-Redaktion eine be-   Unser Pfarrbrief
                                                                                           Nr. 1/2021
                                               sondere Herausforderung, da der ein oder
                                                                                           Herausgeber:
    ... ein Titel im Spannungsfeld der öster- andere eine abweichende Sichtweise auf       Pfarrgemeinderat der
    lichen Freude, der weiterhin anhaltenden aktuelle Fragen hat.                          Pfarreiengemeinschaft Neuss-
    Corona-Pandemie sowie einer tiefgreifen-                                               Mitte
                                                                                           Freithof 7, 41460 Neuss
    den Krise der katholischen Kirche.         Wir haben ein wenig über den Tellerrand
                                                                                           Kontakt:
                                               unserer Pfarreiengemeinschaft geschaut
                                                                                           pfarrbrief@neuss-mitte.de
    Die Kluft zwischen der Frohen Botschaft und verschiedene Standpunkte zu aktuel-
                                                                                           Redaktion:
    und der aktuellen Kirchensituation ist len Fragen eingesammelt.
                                                                                           Michaela Braun,
    derzeit unübersehbar:                                                                  Dr. Helmut Gilliam,
                                               Möge es uns gelungen sein, in diesem        Ursula Kurella, Resi Linßen,
                                                                                           Manfred Loetzner,
     Rekordzahlen an Kirchenaustritten im Oster-Pfarrbrief, den offenen Austausch
                                                                                           Dr. Karl Remmen, Bernhard
        Erzbistum Köln,                        und das Nachdenken über Reformen und        Wehres (PGR-Vorsitzender,
     die immer lauter werdende Kritik vieler strukturelle Veränderungen innerhalb un-     verantwortlich)
                                                                                           Für den Inhalt der unterzeich-
        Gläubiger gegenüber autoritären und serer Kirche zu ermöglichen und das Ver-
                                                                                           neten Artikel sind die Verfasser
        hierarchischen Machtstrukturen der trauen in die Lebendigkeit unserer Kirche       verantwortlich.
        katholischen Kirche,                   zu erhalten.                                Fotonachweis:
     die Forderung einer Vielzahl von Katho-                                              Titel: Casey Horner
        likinnen und Katholiken, den synodalen Unsere Basis ist dabei auch weiterhin die
                                                                                           Der Termin des nächsten Pfarr-
        Weg voranzutreiben,                    Zusage Gottes an eine Kirche, die offen     briefs wird in den Pfarrnach-
     die Kritik von Gemeinden an einer von steht für alle Menschen, deren Basis die       richten bekannt gegeben.
        oben angeordneten Aufhebung beste- Frohe Botschaft ist und deren Leben im
                                                                                           Die Redaktion freut sich über
        hender Pfarreien und einer Neuord- Zeichen der Liebe Gottes steht. Wir alle        interessante Artikel per E-Mail
        nung pastoraler (Sendungs-)Räume, sind Kirche und sollten bleiben!                 (s.o.) mit bis zu 300 Wörtern
                                                                                           sowie 2-3 Bildern zur Auswahl.
        die im Durchschnitt dreimal so groß
        sind wie die bisherigen Seelsorgebe- In diesem Sinne wünschen wir Ihnen al-        Verteilt über den gesamten
        reiche                                 len ein hoffnungsvolles und lebendiges      Pfarrbrief finden Sie Stationen
                                                                                           eines besonderen Kreuzwegs,
     sowie die Sorge all derer, die sich in- Osterfest.
                                                                                           den die Künstlerin Cynthia
        nerkirchlichen Reformgedanken nicht                                                Tokaya für die Kirche St.
        anschließen und den Verlust des „wah- Bleiben Sie gesund!                          Bruno in Düsseldorf-Unterrath
                                                                                           geschaffen hat. Wir danken ihr
        ren katholischen Glaubens” beklagen.
                                                                                           für die Druckerlaubnis!
                                               Ihre Pfarrbrief-Redaktion

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Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
AUFerSTEHEN

Liebe Neusser Mitbürger!

„Die Hoffnung lebt“
                                                               Er heilt die Kranken, macht Blinde sehend, Tausende
                                                               werden satt von Wenigem, Gauner kommen zur Einsicht,
Hoffen heißt: etwas Wichtiges erwarten, es wünschen, es        Machtbesessene lassen los. Jesus sieht alle Dinge im Licht
planen, es ersehnen. Forscher und Liebende könnten nicht       ihrer künftigen Möglichkeiten, im Licht des anbrechenden
                        finden, wenn sie nicht suchten;        Gottesreiches. Weil Gottes Liebe ohne Ende ist, wird er alle
                        sie könnten nicht suchen, wenn         Tränen von unseren Augen abwischen, und kein Leid wird
                        sie nicht zu finden hofften. Wir       mehr sein und kein Geschrei (Offb. 21.4). Darum gibt Je-
                        träfen keine Verabredungen, wür-       sus keinen auf, er macht in jedem Möglichkeiten frei und
                        den nicht in Urlaub fahren, gingen     lehrt ihn, wieder zu hoffen. Jesus erträgt das Unabwend-
                        nicht zur Arbeit, wenn wir nicht       bare im Vertrauen auf Gott: alles Leid und Unrecht gehö-
                        hofften, dass dabei etwas Gutes        ren in die „Werdewelt“ (Bonhoeffer) Gottes. Auch das Leid
                        für uns herauskommt. Kinder kä-        verwandelt Gott in gute Zukunft.
                        men nicht zur Welt, wenn Eltern
                        nicht hofften, dass diese einmal       Bei den Friesen lautet ein beliebter Spruch: „Rüm Hart
                        „Ja“ sagen zu ihrem Leben. Hoff-       – klaar Kiming“ – „festes Herz und weiter Horizont.“ Der
                        nung ist der Stoff, aus dem unse-      christliche Glaube schafft den denkbar weitesten Horizont:
                        re Seelen gemacht sind (Gabriel        die Liebe Gottes nimmt kein Ende. Er wird immer mehr.
                        Marcel). Wer keine Hoffnung hat,       Gott ist auf dem Weg, sich zu vollenden. Mein Leben ist
erstickt an der Gegenwart. Der Hoffnungslose will nicht        eine Strecke Weg, die ich mitgehen und mitgestalten darf.
mehr leben.                                                    Mein bruchstückhaftes Leben gehört in Gottes Puzzle, mei-
                                                               ne Liebe ist ein Stück von der Liebe Gottes, meine Schuld
„Nach uns wird kommen nichts Nennenswertes“ – dieses           ein Stück Kante in diesem Puzzle. Das ist wohl ein weiter
Wort von Bertolt Brecht könnte den Leitspruch für alle die     Horizont: Ja in uns allen wirkt Gott und in wem Gott geat-
abgeben, deren Horizont bei ihrem eigenen Leben und            met, gelebt, gelitten hat, der bleibt in Gott, für immer, auch
dem eigenen Wohlergehen endet.                                 wenn er zwischendurch stirbt. Die Liebe jedenfalls hofft für
                                                               alles – auch für die Toten, - und genau das ist: Ostern!
Was nach uns kommen wird, ist vielleicht doch das Nen-
nenswerte, gemäß dem Wort von Ernst Bloch: „Nicht was          Und manchmal geht uns auf: Ja, die Zukunft hat schon be-
ist, ist schon wahr, sondern was wird, ist wahr.“ Alles ist    gonnen.
im Fluss, ist auf dem Weg zu werden und die endgültige
Form zu finden. Alles Wesentliche geschieht auf Hoffnung       Auch im Namen meiner KollegInnen wünsche ich allen ein
hin, weil die Gegenwart nur Station in Richtung Zukunft ist.   gesegnetes Osterfest.

Jesus hat die Zukunftsbilder mit der Gegenwart verknüpft:      Ihr/Euer Pastor Hans-Günther Korr
Gottes Reich ist mitten unter uns im Anbruch (Lk 10,11).
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Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
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Das letzte
Abendmahl

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Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
AUFerSTEHEN

Steh auf und geh!

Steh auf, der du enttäuscht bist.

Steh auf, der du keine Hoffnung mehr hast.

Steh auf, der du an Eintönigkeit gewöhnt bist und

nicht mehr an Entwicklung glauben magst.

Steh auf, denn „Gott schafft alle Dinge neu.“

Steh auf, der du die Fähigkeit zum Staunen verlernt hast.

Steh auf, der du das Vertrauen verloren hast, Gott „Papa“ zu nennen.

Steh auf, entdecke voller Bewunderung die Güte Gottes.
Steh auf, der du leidest.

Steh auf, wenn dir scheint, das Leben habe dir viel verweigert.

Steh auf, wenn du dich ausgeschlossen, verlassen, beiseite geschoben fühlst.

Steh auf, denn Christus hat dir seine Liebe gezeigt.

Er hält für dich unverhoffte Möglichkeiten bereit.

Steh auf! Steh auf und geh!

                                                                      Nach Johannes Paul II.
                                                       gefunden in Kirchenzeitung Köln 2020

                                                                                               5
Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
Auferstehung
    Die Botschaft von der Auferstehung Jesu ist das unverzichtbare         in der anderen hält er eine Siegesfahne. Bei allem Respekt vor
    Fundament des christlichen Glaubens. Jedes Jahr zu Ostern hö-          diesen künstlerisch wertvollen Versuchen, ein sinnlich nicht an-
    ren wir die Erzählungen, die davon berichten, dass zuerst den          schauliches Ereignis, die Auferstehung, sinnlich darzustellen,
    Frauen in der Nachfolge Jesu eine Erfahrung zuteil wurde, die          verstellen sie meines Erachtens den spirituellen Zugang zum
    nur schwer in Worte zu fassen ist.                                     Phänomen der Auferstehung. Alle Versuche dieses Phänomen in
                                                                           gegenständlicher Weise zu begreifen sind zum Scheitern verur-
    Voller Trauer gehen sie zum Grab, um den Leichnam Jesu nach-           teilt. Ist sie demnach irreal, etwas für Phantasten und religiöse
    träglich zu salben, finden ihn aber nicht. Stattdessen machen          Schwärmer?
    sie eine Erfahrung, die sie zutiefst berührt und verwirrt und die
    sehr unglaubwürdig klingt. Dies war damals so, bei den Aposteln        Einen Ausweg aus dieser gedanklichen Zwickmühle eröffnet die
    und ist heute nicht weniger problematisch. Die Schwierigkeiten         Erfahrung von Kunst. Innerhalb der Kunstgeschichte gibt es die
    mit der Auferstehungsbotschaft lassen sich wohl am besten mit          Bewegung der Surrealisten. Beim Betrachten ihrer Bilder stellt
    einem Goethe-Zitat ausdrücken: „Die Botschaft hör ich wohl, al-        sich ein bemerkenswertes déjà-vu-Erlebnis ein. Im Betrachter
    lein, mir fehlt der Glaube.“                                           entsteht der Eindruck einer merkwürdigen Vertrautheit, obwohl
                                                                           er das Bild real zum ersten Mal sieht. In der Begegnung mit
    Wie sollen wir mit dem Dilemma umgehen, dass wir die Bot-              Kunst lernen wir, dass die Welt der Gegenstände, die wir ge-
    schaft zwar hören, aber unsere gedanklichen und rationalen             wöhnlich als Realität wahrnehmen, nicht alles ist. Es gibt jen-
    Zweifel daran haben? Vor allem in einer Zeit, die vom Primat           seits der Dingwelt noch etwas anderes, das sich unserem ge-
    des naturwissenschaftlichen Denkens geprägt ist. Einfach glau-         genständlichen Begreifen entzieht. Dies anzuerkennen ist nicht
    ben im Sinne eines Fürwahrhaltens lehramtlicher Glaubens-              unvernünftig, sondern erweitert die Perspektive für das, was
    sätze entgegen der Einsicht unseres Verstandes? Damit brin-            sich dem Zugriff einer auf Logik und Kalkulierbarkeit reduzierten
    gen wir den Glauben in einen Gegensatz zur Vernunft, was er            Vernunftbegriffs entzieht.
    im Ursprung jedoch nicht war. Ein erster Schritt besteht darin,
    Glauben im biblischen Sinne zu verstehen. Wenn in der Bibel das        In diesem erweiterten Verständnis von Wahrnehmung ist Aufer-
    Wort „glauben“ steht, ist dies als persönliche Haltung des Ver-        stehung erlebbar.
    trauens gemeint und nicht als Fürwahrhalten von Sätzen, die
    unserer Vernunft widersprechen.                                        In der Symbolsprache der biblischen Erzählungen sind es
                                                                           Frauen, denen der Auferstandene als Erster begegnet ist. Von
    Erschwerend kommt hinzu, dass die Wirklichkeit, die mit dem            den Männern im Gefolge Jesu heißt es jedoch, sie hielten die Bot-
    Wort „Auferstehung“ umschrieben wird, sinnlich kaum fassbar            schaft von der Auferstehung für Geschwätz (vgl. Lukas 24,11).
    ist. Die traditionellen Osterbilder versuchen es, sind aber in ihrer   In einem erweiterten Verständnis sind Frauen und Männer nicht
    Bildersprache für uns heute schwer verständlich. Man sieht ein         vorrangig als unterschiedliche Geschlechter gemeint, sondern
    leeres Grab, schlafende römische Soldaten und den Auferstan-           in typologischer Form als zwei unterschiedliche seelische Ga-
    denen in heldenhafter Siegerpose, eine Hand zum Segnen bereit,         ben, die jeder Mensch in sich trägt. Die spirituelle Überlieferung

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Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
AUFerSTEHEN

  spricht von animus, dem eher „männlichen“ rationalen, der Ding-      zwischen Jesus und seinem Vater stärker war als die Macht von
  welt zugewandten Seelenvermögen. Von gleicher Bedeutung ist          Hass und Gewalt, die ihm den Tod brachten. Überall dort, wo wir
  das „weibliche“ Seelenvermögen, die anima. Sie verfügt über die      dies bruchstückhaft in unseren Beziehungen erleben, haben wir
  Gabe, empfindsam zu sein für unsere Innenwelt, sich offen zu hal-    meines Erachtens nach Anteil an der „Wirklichkeit“ des Auferstan-
  ten für Neues und zu empfangen.                                      denen.

  Halten beide seelische Gaben sich in etwa die Waage, sind wir        Franz-Josef Haas
  empfangsbereiter für die Nachricht von Ostern. Letztlich läuft sie   Klinikpfarrer für Menschen mit Behinderung und psychischen Erkran-
  darauf hinaus, darauf zu vertrauen, dass die liebevolle Beziehung    kungen im Rhein-Kreis Neuss / Düsseldorf

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Kreuzweg

Der Verrat
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Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
Hörbeitrag: „katholisch: Kirche in WDR 5” |                      stehen vom Schlaf ist alltäglich und eine Frage der Dis-
    02.04.2018 06:55 Uhr | Johannes Broxtermann                      ziplin. Aufstehen aus der Ohnmacht und Mutlosigkeit ist
                                                                     großartig und eine Frage der Kraft und Hoffnung, die mich
    Aufstehen, Auferstehen                                           trägt. Auferstehen aus dem Tod ist schwindelerregend
                                                                     und jenseits aller Grenzen – selbst jenseits der so end-
                                                                     gültig wirkenden Grenze des Todes. Es sprengt das enge
    „Wie fröhlich bin ich aufgewacht!“ Naja. Meine Hörerinnen        Gehäuse meines Denkens und Sprechens und Empfindens.
    und Hörer, nicht jeder weiß vom Aufstehen ein solches            Alltagserfahrung ist nicht alles. Die Auferstehung, so sagt
    Lied zu singen. Morgens einigermaßen munter aus dem              der Schweizer Dichter Kurt Marti, ist „der Aufstand Gottes
    Bett rauskommen – das ist „Aufstehen Numero Eins“. Für           gegen die Herren – und gegen den Herrn aller Herren: den
    viele eine mühsame Prozedur.                                     Tod“. Dieses Wort „Auferstehung“ ist wie eine große Fra-
                                                                     ge. Es stellt in Frage – stellt selbst den Tod in Frage. Aber
    „Aufstehen Numero Zwei“ ist nicht an den Morgen ge-              es gibt auch eine Antwort: dass meine alltägliche Hoff-
    bunden, geschieht dagegen ganztägig, ganzjährig und              nung begründet und getragen ist; sie ist keine Illusion!
    ist wesentlich anstrengender und anspruchsvoller. Näm-           Kurz gesagt: Drei trägt Zwei. Auferstehen trägt aufstehen.
    lich: Auf die Nase fallen und dann wieder aufstehen und
    weitergehen! Der Versuchung widerstehen, liegen zu blei-         Wie das geht, wird in den Ostergeschichten der Bibel er-
    ben und sich aufzugeben. Nach einer gewissen Schonzeit           zählt, vielleicht am schönsten von Lukas. Bei ihm finden
    des Wundenleckens einen neuen Anfang wagen – da, wo              wir den berühmten Gang nach Emmaus.
    meine heile Welt in Scherben gefallen ist oder zumindest
    schon kräftige Sprünge abbekommen hat. Aufstehen Nu-             Zwei Jünger haben Jerusalem, den Schauplatz des Kreu-
    mero Zwei heißt hier: Aufstand gegen die Resignation, ge-        zes und Todes Jesu, verlassen und sind – ratlos, verstört
    gen die Ohnmacht, gegen die Erschlaffung und Müdigkeit,          – unterwegs nach Emmaus. Auf dem Weg kommt der Auf-
    gegen alles, was mir die Hoffnung rauben will. Oder um es        erstandene, Christus, hinzu und geht mit ihnen: anonym,
    mit Jesus zu sagen (Lk 7,14): „Junger Mann, ich sage dir:        unerkannt, als Fremder. Jesus geht auf ihre Not ein, legt
    Steh auf!“                                                       ihnen die Heilige Schrift aus und stellt alles, was geschah,
                                                                     in ein neues Licht. Am Ziel in Emmaus angekommen, bit-
    „Aufstehen Numero Drei“ heißt auch Auferstehung, und             ten die Jünger, er solle bleiben und nicht weiterziehen.
    es ist schwer, darüber zu reden, weil es außerhalb unserer       Jesus, der Gast, wird nun zum Gastgeber und hält Mahl
    alltäglichen Erfahrungen liegt. Auferstehen geschieht im         mit ihnen. Als er das Brot bricht, gehen den Jüngern die
    Glauben, geschieht nicht nur zur Osterzeit. Auferstehung         Augen auf. Daran erkennen sie ihn. Er aber entzieht sich
    lässt die Zeit hinter sich, überschreitet sie, ist der Weg ins   ihren Blicken. Die Jünger brechen wieder auf – mit bren-
    Ewige. Auferstehen ist höchst anspruchsvoll. Aber müh-           nendem Herzen – und laufen nach Jerusalem zurück, um
    sam und anstrengend scheint es nicht zu sein: denn es ist        die anderen teilnehmen zu lassen an ihrer Freude und neu
    nicht unser Werk, unsere Leistung. Es ist Tat Gottes, sein       entfachten Hoffnung. Der Auferstandene also bewirkt das
    Geschenk und seine Möglichkeit. Er hat Jesus Christus            Aufstehen und Aufbrechen der Jünger – und vielleicht
    auferweckt von den Toten – als ersten von allen. Diesen          auch alles, was sich heute bei uns abspielen mag!
    Jesus, dessen Leben am Kreuz zu Ende schien.
                                                                                          Pastor Johannes Broxtermann, Lüdenscheid
    Von Eins nach Drei ist also eine gewaltige Steigerung. Auf-
                                                                                               Wir danken für die Erlaubnis zum Druck
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Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
AUFerSTEHEN

Der Herr ist auferstanden

Was ist wirklich passiert in Jerusalem? Wie war es am          auch für euch. Für alle, ob ihr es glaubt oder nicht! Glaubt
fraglichen Sonntagmorgen? Die Anhänger Jesu waren              nicht, dass er euch zwingt. Er lässt es euch frei, ihm auf
kleinlaut. Sie zitterten um ihr Leben. Sie befürchteten, ih-   diese oder jene Weise zu glauben. Er presst euch in kein
nen könnte es ergehen wie ihrem Herrn. Eine Legende zu         Korsett. Er nicht! Sein Ende war ein veränderndes Ende.
erfinden, eine Auferstehung zu inszenieren, danach war         Sein Ende war ein Beginn. Erlebt ihr denn nicht, wie ER
ihnen nicht zumute. Groß war die Verzweiflung in Jeru-         lebt? Freilich: Die Auferstehung des Herrn erfüllt nicht
salem, nicht zu überbieten die Enttäuschung. An so ein         alle Wünsche. Sie ließ euch zu wünschen übrig. Die heile
Ende hat keiner gedacht. Erst tut er gewaltige Wunder          Welt brach nicht an, die Erde wurde nicht friedlich, als der
und dann tut er nichts für sich. Ein Kreuz, ein paar Nä-       Frieden auf Erden verkündet wurde. Glaubt an die Auf-
gel, dann hängt er. Ausgelacht wird er: ihm geschieht ja       erstehung, aber glaubt nicht, dass sie euch zufliegt wie
recht. Wer den Schaden hat, kriegt den Spott umsonst.          eine gebratene Taube!
Drei Stunden Todeskampf: ein Wunder , dass sein Kreis-
lauf überhaupt noch so lange durchhält bei diesen Verlet-      Begrabt eure Illusionen, damit eure Hoffnung aufsteht.
zungen. Der Tod ist kein Spaß und ein solcher schon gar        Und seht zu, dass wirklich wird, was ihr hofft:
nicht. Peinlich sein Scheitern, nicht zu vertuschen. Seine
Rechnung: nicht aufgegangen. Sein Testament: eine Il-          Der Herr ist auferstanden.
lusion, seine Verzweiflung war öffentlich: zuletzt hat er
geschrien: MEIN GOTT, und fast alle haben ihn verlassen.       Der Herr ist auferstanden! Aber wartet nicht auf bessere
                                                               Zeiten, sondern tut was.
Hatten sie große Pläne, die galiläischen Fischer? Träum-       Geht hin in alle Welt. Zeigt einer dem anderen:
ten sie noch vom Reich Gottes, von der großen Befrei-          Siehe, du bist nicht allein.
ung? Was blieb ihnen übrig als zurückzugehen zum See           Zeigt einer dem anderen: Siehe, ich stütze dich.
und zu fischen wie früher? War es so? War es nicht so?         Zeigt einer dem anderen: Siehe, ich mache alles neu.
Wie war es denn? Ostermorgen in Jerusalem: Drei Tage           Zeigt einer dem anderen: Siehe, ich bin bei euch alle Tage
danach kein Grund, begeistert zu sein, kein Anlass zur         bis ans Ende der Welt!
Hoffnung. So schief hing noch nichts! Vorbei mit dem
Glauben. Nichts, gar nichts. Nur Finsternis: Gott hat ver-     Der Herr ist auferstanden
sagt! Zwei gingen nach Emmaus am fraglichen Tag. Sie
sprachen es aus: Wir hatten gehofft, dass er es ist, der       Der Herr ist auferstanden.
Israel retten wird. Aber jetzt: Alles aus. Heute ist schon     Nun steht selber auf
der dritte Tag nach der Katastrophe.                           und befreit euch
                                                               aus Nacht und Tränen.
Was ist wirklich passiert in Jerusalem?                        Nun lasst euch endlich auch
                                                               gegenseitig auferstehen.
Wirklich passiert ist, dass diese Enttäuschten, diese          Lasst endlich auch Kirche
ganz und gar Desillusionierten, denen der letzte Funke         in aller Welt auferstehen.                      Josef Dirnbeck
von Hoffnung starb, glaubten und bezeugten: ER lebt.                                           Quelle: Ferment; Heft April 1986
ER ist auferstanden. Und sie bezeugen es immer noch:                             „Lasst endlich Kirche auferstehen“, Seite 26 ff.
Auferstanden ist er, doch nicht für sich, sondern für uns,                                 Pallottiner- Verlag CH-9202 Gossau9
Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
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Kreuzweg
              Ein erster Schritt zu
              Veränderungen!

              Beate Gilles, eine Frau als Gene-
              ralsekretärin der Bischofskon-
              ferenz und Geschäftsführerin
              des Verbandes der Diözesen!

              Bei Ihrer Vorstellung zu die-
              sem Amt sagte Frau Gilles: „Ich
              bin mir bewusst, dass dies ein
              wichtiges Zeichen der kath.
              Kirche ist.“ Mit großem Res-
              pekt schaue sie in die Zukunft.
              Sie stehe in und für die Kirche
              in einer herausfordernden und
              spannenden Phase.

              Sie erinnerte an den Reform-
              prozess des Synodalen Wegs
              und die Initiative Maria 2.0 .
              „Ich nehme viel Energie an die-
              ser Stelle wahr. Maria 2.0 steht
              in der Mitte der Kirche; es sind
              die Frauen, die unsere Kirche
              tragen“.

              Ähnlich groß sei auch ihr eige-
              ner Durchhaltewillen:

              „Als Ausdauersportlerin habe
              ich einen langen Atem“.

                 Die Redaktion wünscht Frau Gilles
                      viel Glück und Gottes Segen.

 Tragen des       nach Lothar Schröder in der NGZ
Querbalkens                         Februar 2021
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AUFerSTEHEN

„Wenn wir Reformen ausschließen, sind wir nicht mehr Kirche“
Ob Corona oder Synodaler Weg: Für        dann ist das ein Bild, das alles andere   Gerade von den Ausgetretenen kön-
den Benediktinerpater und früheren       als katholisch ist.                       nen wir lernen: Wie erleben sie Kir-
Abt des Klosters Einsiedeln Martin                                                 che, was erfahren sie von ihr? Wenn
Werlen ist klar, dass die Kirche kre-    Inwiefern?                                Menschen nicht mehr erfahren, was
ativ und offen sein muss. In seinem      In so einer Sichtweise geht es nur da-    Kirche ist, dann können sie diese ver-
neuen Buch fordert er sie auf, ihr       rum, ein System aufrechtzuerhalten.       lassen, ohne dass ihnen etwas fehlt.
„Schneckenhaus” zu verlassen –           Aber Kirche ist Zeugin der Gegenwart      Wenn Kirche nur als Institution wahr-
und moniert „pharisäische Kreise”,       Gottes – zu jeder Zeit. Da kann man       genommen wird, die sagt, dieses und
die davor Angst haben. Katholisch.       nicht sagen, wenn die Corona-Pan-         jenes darf man nicht tun – welchen
de hat mit ihm gesprochen.               demie vorbei ist, können wir wieder       Grund haben die Leute dann noch, zu
                                         Kirche sein. Sondern in dieser Krise      ihr zu gehören? Aber Kirche ist doch
Pater Martin, ausgerechnet mitten        kann ich bei den Menschen sein, in        zutiefst geteiltes Leben. Das, was die
in der Corona-Pandemie fordern           ihrer Not. Das ist Kirche. Oscar Ro-      Pastoralkonstitution „Gaudium et
Sie die Kirche dazu auf, aus ihrem       mero sagte, wo die Kirche bei den         spes“ an den Anfang setzt – Angst,
„Schneckenhaus“ rauszugehen.             Menschen ist, bei ihren Freuden und       Freude, Hoffnung und Trauer teilen –,
Wie nehmen Sie die Kirche in dieser      Sorgen, da ist Christus gegenwärtig.      dass all das auch Kirche ist, erfahren
Krise wahr?                              Diesen Schritt müssen wir wagen.          viele Menschen drinnen und draußen
In der Corona-Krise haben sich die       Solange die Kirche eine große Macht       nicht.
unterschiedlichen        Kirchenbilder   hatte, die vorgeben konnte, wie die
ganz pointiert gezeigt: Es ging von      Dinge zu laufen haben und sich in         Wie kann die Kirche diesen Auto-
der Aussage „Das kirchliche Leben        ihren eigenen Raum zurückziehen           ritätsverlust, den Sie ansprechen,
erliegt“ bis hin zu ganz großer Kre-     konnte, war es nicht notwendig, das       wettmachen?
ativität. Mich hat eine zentrale Glau-   zu entdecken. Dadurch sind viele          Indem sich vor allem Amtsträger
benserfahrung begleitet und immer        Facetten des Evangeliums gar nicht        nicht wegen ihres Standes abson-
wieder herausgefordert: Gott ist nicht   mehr oder nur geschwächt wahrge-          dern, sondern bei den Menschen sind
dort, wo wir sein möchten, sondern       nommen worden. Aber das geht heu-         – und zwar wortwörtlich. Die Frage ist
dort, wo wir sind. Die Kirche muss       te nicht mehr. Um wieder mit Romero       doch: Hat man in der Kirche Autori-
sich dem stellen und in dieser Situa-    zu sprechen: Die Menschen haben           tät, weil einen der Stand von anderen
tion, in dieser Krise, Gott suchen. Es   sich von der Kirche entfernt, weil die    abhebt? Oder hat man nicht gerade
hat sich auch gezeigt, dass die Kirche   Kirche sich von ihnen entfernt hat.       deshalb christliche Autorität, weil
zutiefst kreativ sein muss, weil Gott                                              man mitten unter den Menschen ist?
kreativ ist. Will sie Zeugnis von die-   Sie plädieren in ihrem Buch               Bei der Eröffnung der Amazonas-Sy-
sem lebendigen Gott ablegen, kann        beispielsweise für einen ande-            node hat mich sehr beeindruckt, dass
sie gar nicht anders, als kreativ zu     ren Blick auf Kirchenaustritte und        Papst Franziskus bei der Prozession
sein. Wenn man davon spricht, dass       sagen, die Kirche soll sich nicht so      vom Petersdom zur Synodenhalle
die Kirche in dieser Lage „erliegt“,     sehr auf die Zahlen fixieren…             mitten unter den anderen Menschen

                                                                                                                            11
gegangen ist. Das geht zu Herzen und     dringend wäre, haben nicht den Mut,       ken wir plötzlich, wie vertraut uns das
     da merkt man plötzlich, das ist Kir-     Schritte zu tun, weil sie sich vor den    ist. Ich habe immer mehr realisiert, wie
     che: Den Gott bezeugen, der nicht von    Reaktionen fürchten – oder sie wer-       aktuell diese Auseinandersetzungen
     oben herab spricht, sondern Mensch       den von Leuten blockiert, für die alles   sind. Zum Beispiel die Frage: Wer ist
     wird.                                    beim Alten bleiben muss. In Deutsch-      mein Nächster? Jesus dreht die Frage
                                              land merkt man das ganz deutlich          um: Wem kann ich Nächster werden?
     Sie schreiben, Ihr Buch ist für Phari-   beim Synodalen Weg: Da kommt eine         Dem Menschen, der in Not ist. Da
     säer schwer zu verdauen. Wen             Angst zum Vorschein. Und Angst ist        geht es in aller Klarheit nicht um die
     meinen Sie damit konkret?                typisch für Pharisäer. Wenn wir die       Religionszugehörigkeit oder um die
     Damit ist natürlich nicht die Gruppe     Pharisäer im Evangelium betrachten,       Nationalität. Wie oft haben Pharisäer
     vor 2.000 Jahren gemeint, sondern        dann ist da immer diese Angst, dass       ihre Dubia („Zweifel”, Anm. d. Red.)
     die Versuchung eines jeden glauben-      der Glaube verloren geht, wenn Vor-       angebracht, um Jesus eine Falle zu
     den Menschen, dass man plötzlich         schriften nicht eingehalten werden.       stellen! Sie haben Jesus damals der
     festgefahren ist und dass man mehr       So eine Haltung herrscht auch in          Übertretung des Gesetzes bezichtigt.
     das Gesetz in den Vordergrund stellt     der Kirche vor. Dazu schreibe ich im      Und wenn heute jemand nach einer
     als den Menschen, der in Not ist. Dass   Buch: „Wer im Schneckenhaus bereits       Reform ruft, sagen bestimmte Kreise
     man sich selbst als Besseren wahr-       Herzflimmern bekommt, wenn er das         sehr schnell: Das ist nicht mehr ka-
     nimmt als die, die danebenstehen,        Wort ‚Reform‘ hört, sollte sich fragen,   tholisch. Oder: Das ist Häresie. Das ist
     dass man verachtend auf die ande-        ob nicht viele gerade deswegen nach       genau die Situation, in der Jesus war.
     ren schaut, dass man auf die Einhal-     draußen gehen, damit sie nicht herz-      Aber er ist nicht eingeknickt. Er hat
     tung von Regeln pocht. Wenn wir die      krank werden.“ Wenn wir Reformen          sich auch nicht ständig zu rechtferti-
     Pharisäer im Neuen Testament wahr-       ausschließen, sind wir nicht mehr Kir-    gen versucht. Er hat gehandelt. Und
     nehmen, dann können wir auch die         che.                                      gerade jetzt in der Corona-Krise wird
     aktuelle Situation der Kirche besser                                               klar: Wenn wir nicht den Mut haben,
     verstehen.                               Warum?                                    etwas zu wagen, dann ist klar, dass
                                              Weil Kirche sein bedeutet, unterwegs      das das Ende des Systems ist. Diese
     Nehmen Sie die Amtskirche in             zu sein. Der Begriff, der in der Apo-     Freiheit, dieses Wagnis des Glaubens
     diesem Sinne als pharisäisch wahr?       stelgeschichte für Kirche gebraucht       – das ist das, was Gott heute von uns
     Das kann man pauschal so nicht sa-       wird, beschreibt das großartig: Weg.      fordert.
     gen. Natürlich unterliegen Amtsträ-
     ger genauso dieser Versuchung wie        Sie betonen auch, dass die Ausein-        Was ist für Sie wahre Katholizität?
     jede und jeder Getaufte. Aber ich        andersetzung mit den Pharisäern im        Wichtig ist für mich, dass wir das Wort
     nehme schon wahr, dass – und ich         Neuen Testament der Kirche helfen         „Katholizität” nie eingrenzend ge-
     habe das als Mitglied der Schweizer      kann, einen Weg aus verschiedenen         brauchen. Das ist genau das Gegen-
     Bischofskonferenz auch miterlebt –       Sackgassen, etwa den Reformstau,          teil seiner eigentlichen Bedeutung:
     die pharisäischen Kreise sehr domi-      zu finden. Wie meinen Sie das?            Weite. Diese Weite der Liebe Gottes
     nant in der Kirche sind. Bischöfe, die   Wenn wir die Pharisäer-Stellen im         muss in der Katholizität sichtbar wer-
     merken, dass eine Reform eigentlich      Evangelium ernstnehmen, dann mer-         den. Wenn ein Kardinal aus Angst,

12
AUFerSTEHEN

dass Reformen etwas bewegen           Was ist Ihre Wunschvorstellung
könnten, sagt, die Kirche muss        von Kirche?
katholisch bleiben, kann ich nur      Wenn ich darauf eine kurze Ant-
den Kopf schütteln. Ich würde sa-     wort gebe, dann ist die sofort
gen, die Kirche muss katholischer     einengend. Versuchen wir es mit
werden. Wird sie katholischer?        einem Bild. Ich bin in den Bergen
Das ist die Kardinalfrage. Für mich   aufgewachsen, und die Propstei
ist das ein großartiger Begriff,      St. Gerold im Großen Walsertal,
den wir genau so wie andere ins       wo ich jetzt wirke, liegt auch in
Gegenteil drehen. Klar, die Kirche    den Bergen. Solche Orte schenken
– und ich meine hier nicht eine       die Erfahrung von Geborgenheit,
Konfession – ist katholisch, aber     führen unsern Blick nach oben. So
das ist ein Begriff, der nach oben    stelle ich mir auch Kirche vor: Ge-
offen ist. Ich kann nicht sagen,      borgenheit in der Gemeinschaft,
jetzt bin ich katholisch und das      die miteinander unterwegs ist
genügt. Katholisch zu sein ist ein    und den Blick nach oben richtet.
Weg in diese Weite Gottes. Oder       Alle Begriffe, die im Glaubensle-
wie es der heilige Benedikt sagt:     ben so zentral sind, sind Begriffe,
Wer im Glauben voranschreitet,        die nach oben offen sind: Glau-
dem weitet sich das Herz. Das ist     be, Hoffnung, Liebe, Katholizität.
Katholizität: ein weites Herz ha-     In dem Moment, in dem wir das
ben.                                  begreifen, werden wir nicht mehr
                                      abgrenzend sein, sondern die-
Wie kann Kirche diese Weite           se Offenheit auch erfahrbar ma-
besser erfahrbar machen?              chen. Ich möchte Menschen zu
Indem sie lebt, was sie im Wort       dieser Offenheit bewegen, dass
Gottes hört und was sie in den Ge-    sie entdecken, was Glaube heißt,
beten bekennt. Wir müssen nicht       welch großes Geschenk er ist –
etwas Neues erfinden, sondern         und dass wir keine Angst um ihn
unsern Glauben im Heute leben.        haben müssen, sondern ihn ein-
Wenn wir wirklich in der Nachfol-     fach leben dürfen, in guten und in
ge Jesu sind und uns sein Wort        schwierigen Tagen.
und sein Beispiel zu Herzen gehen                                                Aus dem Klappentext: …”Martin Werlen nimmt die
lassen, dann können wir gar nicht                         Pater Martin Werlen    Leser mit auf den Weg voller Überraschungen: zu
                                                                                 einem Glauben, der nicht die Abschottung sucht
anders, als katholisch zu werden,                  Fragen: Matthias Altmann
                                                                                 und pflegt, sondern mutig bei den Menschen ist
das heißt zu Menschen mit einem                              Foto: Franz Kälin   und zusammen mit ihnen den Weg in die Zukunft
weiten Herzen.                        Wir danken für die Erlaubnis zum Druck.    sucht….”
                                                                                 Martin Werlen: Raus aus dem Schneckenhaus, Verlag
                                       zuerst veröffentlicht auf katholisch.de
                                                                                 Herder, 1. Auflage 2020, ISBN: 978-3-451-39204-7
                                                                                                                                     13
Gehen oder
     Bleiben? - Maria 2.0
                                                    An alle Menschen, die guten Willens sind!
     eine Frage, die sich viele Katholikinnen und       In unserer Kirche
     Katholiken gerade in den letzten Wochen            haben alle Menschen
                                                        Zugang zu allen Ämtern.
     gestellt haben. Die Austritte im Erzbistum         Denn Menschenrechte und Grundgesetz garantieren allen Menschen gleiche
                                                                                                                                                #gerecht:
     Köln sind auf einem Höchststand.                   Rechte – nur die katholische Kirche ignoriert das.                                   gleiche Würde –
                                                        Mannsein begründet heute Sonderrechte in der Kirche.                                 gleiche Rechte

     Der Umgang innerhalb der katholischen              In unserer Kirche
     Kirche mit Betroffenen von sexualisierter          haben alle teil am Sendungsauftrag;
                                                        Macht wird geteilt.
     Gewalt, der Streit um Gutachten und die                                                                                                  #partizipativ :
                                                        Denn der Klerikalismus ist heute eines der Grundprobleme der
     Weigerung der Verantwortlichen eine per-           katholischen Kirche und fördert den Machtmissbrauch                                   gemeinsame
                                                        mit all seinen menschenunwürdigen Facetten.                                          Verantwortung
     sönliche und moralische Verantwortung im
     Zuge der Aufklärung zu übernehmen, zer-
                                                        In unserer Kirche werden Taten sexualisierter Gewalt um-
     stört die Glaubwürdigkeit der katholischen         fassend aufgeklärt und Verantwortliche zur Rechenschaft
     Kirche in den letzten Wochen und Monaten           gezogen. Ursachen werden konsequent bekämpft.
                                                                                                                                              # g l a u b w ü r di g :
                                                        Denn viel zu lange schon ist die katholische Kirche ein Tatort sexueller Gewalt.      respektvoller
     immer mehr.                                        Kirchliche Machthaber halten immer noch Informationen zu solchen
                                                        Gewaltverbrechen unter Verschluss und stehlen sich aus der Verantwortung.             U m g ang und
                                                                                                                                               Transparenz
     Hinzukommen autoritäre Machtstrukturen
     und eine über Jahre hinweg erlebte man-            Unsere Kirche zeigt eine wertschätzende Haltung und
                                                        Anerkennung gegenüber selbstbestimmter achtsamer
     gelnde Partizipation von hauptamtlichen            Sexualität und Partnerschaft.                                                             #bunt:
     und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen in-           Denn die offiziell gelehrte Sexualmoral ist lebensfremd und diskriminierend.             leben in
                                                        Sie orientiert sich nicht am christlichen Menschenbild und wird von der                gelingenden
     nerhalb der katholischen Kirche. Fühlen sich       Mehrheit der Gläubigen nicht mehr ernst genommen.
                                                                                                                                               Beziehungen
     viele Gläubige innerhalb ihrer Gemeinde vor
     Ort noch verbunden, wächst gleichwohl die          In unserer Kirche
     laute Kritik an kirchlichen Strukturen und         ist die zölibatäre Lebensform keine Voraussetzung
                                                        für die Ausübung eines Weiheamtes.
     dem autoritären Auftreten der Amtskirche.                                                                                                 #lebensnah:
                                                        Denn die Zölibatsverpflichtung hindert Menschen daran, ihrer Berufung
                                                                                                                                                    ohne
                                                        zu folgen. Wer diese Pflicht nicht einhalten kann, lebt oft hinter
                                                        Scheinfassaden und wird in existentielle Krisen gestürzt.                              Pflichtzölibat
     Die katholische Reformbewegung „Maria
     2.0“ hat in den letzten Monaten maßgeb-            Unsere Kirche wirtschaftet nach christlichen Prinzipien.
     lichen Anteil daran, dass Missstände inner-        Sie ist Verwalterin des ihr anvertrauten Vermögens;
                                                        es gehört ihr nicht.
     halb unserer Kirche benannt und notwen-            Denn Prunk, dubiose Finanztransaktionen und persönliche Bereicherung               #verantwortungsvoll:
     dige Reformen selbstbewusst eingefordert           kirchlicher Entscheidungsträger haben das Vertrauen in die Kirche                     nachhaltiges
                                                        tiefgreifend erschüttert und schwinden lassen.                                         Wirtschaften
     werden. Thementage, vielfältige Aktionen
     sowie (digitale) Dom-Podiums-Diskussio-            Unser Auftrag
     nen, und (digitale) Dom-Demonstrationen            ist die Botschaft Jesu Christi. Wir handeln danach und
                                                        stellen uns dem gesellschaftlichen Diskurs.                                             #relevant:
     finden in der Bevölkerung, in der Presse und
                                                        Denn die Kirchenleitung hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt.                           für Menschen,
     in den Medien zunehmend Aufmerksamkeit             Sie schafft es nicht, sich überzeugend Gehör zu verschaffen
                                                                                                                                             Gesellschaft und
                                                        und sich im Sinne des Evangeliums für eine gerechte Welt einzusetzen.
     und große Zustimmung. Mit ihrem Thesen-                                                                                                      Umwelt.
     anschlag an Dom- und Kirchentüren Ende

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                                   Kreuzweg
Februar 2021 veröffentlich-
te „Maria 2.0“ bundesweit
ihre Forderungen. Inner-
halb eines Tages waren auf
über tausend Kirchentüren
in Deutschland die Thesen
zu lesen. Innerhalb der Fa-
milien, im Freundeskreis, am
Arbeitsplatz wird Kirche und
Glaube endlich wieder The-
ma und es zeigt sich: Kirche
und Glaube sind den Men-
schen nicht egal.

Diese Auseinandersetzung
und das gemeinsame Ringen
um eine Kirche, die die Frohe
Botschaft und die Liebe Got-
tes verkündet und dabei die
Lebenswirklichkeit der Men-
schen im Blick hat, lassen
mich in dieser Kirche bleiben!

Ich bin mir sicher- eine Kir-
che, die nah bei den Men-
schen ist, braucht keine
Angst vor Reformen und
Veränderung zu haben. Denn
diese Menschen sind ihre Ba-
sis und ihr Fundament.

Lassen wir nicht zu, dass im-
mer mehr Menschen aus der
Mitte unserer Gemeinden ge-
hen – denn dann bröckelt es
noch weiter an unseren Kir-      Jesus bekommt
chenwänden.                      Hilfe von Simon
                                      von Cyrene
                                    und Veronika
                Michaela Braun
                                                                 15
Ein Bischof in geheimer Mission                    Jahren, als er die Frage mit Ja beantwortete. Am
                                                        Tag seiner Bischofsweihe hat er das Verspre-
     Wie sich der Würzburger Oberhirte                  chen abgegeben, Menschen in Not mit mehr als
     Franz Jung ehrenamtlich engagiert                  warmen Worten und Almosen zu begegnen. Vor
                                                        gut einem Jahr fand Franz Jung dann in Michael
     „Ich hatte früher den Luxus, mit dem Zug bis       Lindner-Jung den Verbündeten, der ihm bei der
     direkt vor die Bürotür fahren zu können”, sagt     Umsetzung seines Auftrags helfen sollte.
     Michael Lindner-Jung über die Bahnhofsgeräu-
     sche hinweg. Heutzutage fährt sein Pendlerzug      Und so kam es, dass Franz Jung, der im Haupt-
     von Gleis 11, am anderen Ende des Würzbur-         beruf Bischof ist, nun seit einem Jahr auch ein
     ger Hauptbahnhofs, das Büro direkt am Gleis        Ehrenamt ausübt; als Mitarbeiter der Würzbur-
     1 aber ist geblieben. Seit bald 38 Jahren hat      ger Bahnhofsmission. Einmal im Monat ist er
     Lindner-Jung hier seinen Arbeitsplatz: Er leitet   für vier Stunden hier, meist ab 16 Uhr. Er wartet
     die Würzburger Bahnhofsmission. Aus dem Be-        dann hinter der Durchreiche gleich links hinter
     sprechungsraum im Obergeschoss blickt man          dem Eingang. Viele Gäste kommen nur bis zu
     ebenerdig über die Bahnsteige. Wenn am Gleis       diesem Fenster. Sie lassen sich vom Bischof ei-
     1 die Frachtwaggons vorbeirattern, wird es bei     nen Becher Tee geben und ein paar Lebensmittel
     coronakonform- geöffneten Fenstern lauter.         einpacken. Ein belegtes Brötchen, etwas Obst,
                                                        vielleicht noch etwas Süßes. In der Zwischenzeit
     „An keinem Ort lerne ich so viel über das Leben    schmieren die Ehrenamtler wie Franz Jung Brote,
     wie hier”, sagt der Theologe über seine Arbeit.    setzen neuen Tee auf, spülen Geschirr ab oder
     Das klingt abstrakt und das ist vielleicht auch    desinfizieren Tische. Der vielleicht wichtigste
     gewollt, denn beim heutigen Gespräch soll es       Dienst aber ist das Gespräch. Durch die Corona-
     weniger um das Konkrete, sondern vielmehr um       Regeln dürfen nicht so viele Gäste in die Bahn-
     den tieferen Sinn der Arbeit der Bahnhofsmissi-    hofsmission und auch nicht so lang wie sonst.
     on gehen. Das war der Wunsch des zweiten Ge-       Doch auch wenn die Kontakte weniger sind,
     sprächspartners, der gleich eintreffen soll.       bleiben sie für die Beteiligten sehr wichtig. Denn
                                                        viele, die hier vorbeikommen, wollen einfach
     Kümmere dich um die Armen!                         nur reden, über den Tag, anstehende Aufgaben,
                                                        die Probleme ihres Lebens. Hier begegnet Franz
     „Bist Du bereit, um des Herrn Willen, den Armen    Jung den Armen, Heimatlosen und Notleidenden.
     und den Heimatlosen und allen Notleidenden
     gütig zu begegnen und zu ihnen barmherzig zu       „Das ist für mich heilige Zeit. Meine Sekretärin
     sein?” Diese Frage hat sich Franz Jung ins Herz    weiß, dass sie mir diese vier Stunden freihalten
     gebrannt. Mit ihr erklärt er, warum er an die-     muss, komme was da wolle”, sagt Franz Jung
     sem Donnerstag wieder hier ist. Bei winterlichen   über sein Ehrenamt. Außer der Assistentin und
     Temperaturen draußen und heißem Chai-Tee in        ein paar anderer Menschen im Bischofshaus
     der Tasse erinnert er an den Sommer vor zwei       habe er mit niemandem groß darüber gespro-

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chen. Er wollte keine Öffentlichkeit für sein     die Menschen hier ist es die größte Aufgabe,
privates Engagement. Einige Gäste erken-          den Tag zu bestehen.” Den zweiten Halb-
nen den Bischof, andere eben nicht. Aber          satz trägt er mit erstauntem Nachdruck vor.
Lindner-Jung hat ihn überzeugt und nun            Gegenüber dem vollen, strukturierten Tag
das Gespräch eingefädelt, bei dem es eben         eines Bischofs wirkt die Herausforderung
nicht um die Person, sondern den Dienst ge-       der Alltags-Leere wie ein Problem aus einer
hen soll.                                         anderen Welt. Aber es ist ein und dieselbe.
                                                  Wohl auch deshalb ist Franz Jung, der Bi-
Dabei ist es gar nicht so einfach, zu sagen,      schof, hier.
wer sich da jeden Monat die ikonische blaue
Weste überstreift. Es ist sicher nicht allein     „Es geht darum, einfach nur da zu sein.” Das
der Privatmann Franz Jung, doch sein Bi-          sei wahre Kontemplation. Es gehe nicht in
schofsamt spielt im Dienst auch nur eine          erster Linie darum, die Welt zu retten, son-
nachgeordnete Rolle. Diese Rollen des Men-        dern sie wahrzunehmen, wie sie ist, sagt
schen Franz Jung geraten im Gespräch im-          Jung. Auch deshalb habe er sich, der als
mer wieder durcheinander, legen sich über-        Bischof oft „Potemkinsche Besuche” erlebe,
einander.                                         bei denen die Momentaufnahme nicht die
                                                  Realität zeige, für diesen Dienst entschie-
Menschen werden plötzlich sichtbar                den.

Zunächst kommt eben doch die persönli-            Lernort für die Kirche
che Perspektive zu Wort. „Schon nach dem
ersten Mal war die Welt anders”, berichtet        Das immerwährende Angebot der Bahn-
dieser Franz Jung. „Man geht anders durch         hofsmission macht sie zugleich zu einem
die Stadt.” Mittags in der Kaffeepause oder       einzigartigen Kirchort im Bistum Würzburg.
zwischen zwei Terminen, die er im Stadt-          Hier werden zwei wichtige Zukunftsthemen
gebiet immer zu Fuß absolviert, fielen ihm        des Bischofs schon heute sichtbar miteinan-
plötzlich immer wieder Gäste der Bahnhofs-        der verwoben. Die Kontemplation, betonte
mission auf, sagt er. „Wie oft ich jetzt in der   Jung seit seinem Amtsantritt immer wieder,
Stadt den Paul (Anm. d. Red.: Name geän-          sei ihm ein Herzensanliegen. Das andere ist
dert) sehe … Er bekommt die Kurve ein-            die Sozialraumorientierung, also die Aus-
fach nicht.” Bei seinen Reflexionen über die      richtung aller Tätigkeiten auf die Lebensum-
Menschen sitzt man einem nachdenklichen           stände der Menschen.
Mann gegenüber, der bedacht Gedanken in
Worte fasst.                                      Der Bischof verbindet mit diesem Programm
                                                  auch einen klaren Anspruch an sein Per-
Eine Erkenntnis habe ihn zu Beginn beson-         sonal. „Zur Sozialraumorientierung gehört
ders beeindruckt, erklärt Jung dabei. „Für        auch ein konkretes Engagement”, sagt er. Er
                                                                                                 17
gehe nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst und ori-
                                                                    entiere sich eher an ihrem persönlichen Verständnis der
                                                                    Lehre Jesu. Ohnehin sei das mit der Kirche schwierig. In
                                                                    ihrem Bekanntenkreis gebe es kaum jemanden, der „so
                                                                    mit der Kirche weitermachen” könne. “Die Kirche, die da
                                                                    gemeint ist, ist nicht die Kirche, wie sie in der Bahnhofs-
                                                                    mission sichtbar wird. Das ist vor allem eine Struktur, die
                                                                    sich selbst auf ein Podest stellt,” sagt Stumpf. Da müsse
                                                                    die Kirche runterkommen.

     wünsche sich Seelsorger, die aktiv danach suchen, wo sie       Lilian Stumpf, die so engagiert im Dienst der Kirche an
     gebraucht werden. Das ehrenamtliche Engagement kann            den Menschen steht, formuliert damit einen Anspruch,
     dabei ein gutes Mittel sein.” Mir ist persönlich das commit-   den auch der Bischof teilt. „Wir müssen das Paternalisti-
     ment wichtig, mich für einen Dienst zu verpflichten, aber      sche abstellen”, sagt er. Dabei sei der konkrete, caritative
     ich will das auch halten können”, erklärt er. Mehr als vier    Dienst so wertvoll. Die Kirche erhalte durch ihn Einsicht in
     Stunden im Monat seien in seinem Beruf eben nicht mach-        Lebenswelten. Sie müsse ihr eigenes System davon aber
     bar. Aber der Bischof sagt auch: „Vier Stunden im Monat        auch verändern lassen. Mit beinahe empörter Bestimmt-
     könnte eigentlich jeder machen.”                               heit fügt der Bischof hinzu, dass dies noch zu häufig an
                                                                    einer „Irritations-Resistenz” scheitere.
     Gleich vier Stunden jede Woche ist Lilian Stumpf aktiv. Ein
     paar Tage nach dem Bischof wird sie die Mittagsschicht in      Menschen wie Michael Lindner-Jung und Lilian Stumpf ha-
     der Bahnhofsmission übernehmen. Mit Humor und Güte             ben diese längst abgelegt. Hier, in der Bahnhofsmission
     versorgt sie die Menschen, die auf ein Stück Kuchen und        prallen Welten aufeinander, auch für die Kirche. Später,
     eine Tasse nicht mehr ganz heißen Tee vorbeikommen. Ihr        nach dem Gespräch, wird Franz Jung sich die blaue Weste
     freundliches Lächeln sieht man auch hinter der Maske und       überziehen und dann bei den Backshops in der Bahnhofs-
     hört es vor allem in der Stimme.                               halle nach Ladenschluss das Übriggebliebene einsam-
                                                                    meln. Es fühlt sich unglaublich weit weg an vom ersten
     Sie habe im Leben viel Glück gehabt, wird sie beim Ge-         Termin des Tages, einer Pressekonferenz, bei der Bischof
     spräch neben den Stockbetten erklären. Damit meint sie,        und Bistumsleitung erklären mussten, dass künftig das
     dass es ihr an nichts mangelt und die Tiefpunkte im Leben      Geld fehlen wird, um eine Reihe von Bildungshäusern wei-
     für sie nicht unüberwindbar waren. Doch schon das, wis-        ter zu betreiben. In vielen Bereichen muss sich die Diözese
     se sie, hätten viele Menschen nicht erleben dürfen. Dafür      Würzburg derzeit radikal, an die Wurzeln gehend, umori-
     wolle sie mit ihrem Ehrenamt einen Ausgleich schaffen.         entieren. Es ist viel verlangt von dieser Ortskirche und ih-
     Hier sei der richtige Ort dafür, weil sie gut mit Menschen     rem Oberhirten. Der ist aber auch am Ende eines solchen
     umgehen könne und mit genau diesem Talent handeln              Tages nicht weniger optimistisch. „Ich habe da gar keine
     wollte.                                                        Angst”, lässt er über seine Sicht auf die Zukunft wissen.

     „Sie können so nicht mit der Kirche weitermachen!”             Text und Fotos: Kilian Martin, Öffentlichkeitsarbeit Diözesan-Caritas-
                                                                                           verband Würzburg www.caritas-wuerzburg.de
     Aber, wird sie mit einem entschuldigenden Unterton hin-                                       zuerst veröffentlicht auf katholisch.de.
     zufügen, sie sei „keine Standard-Christin”. Das heißt, sie                                  Wir danken für die Erlaubnis zum Druck.

18
Aus dem Gemeindeleben

In Trennung wie in Bezie-                   führten seit neun Jahren eine Ehe.       sich zu öffnen und den anderen he-
hung den Frieden finden                     Über Schwierigkeiten wollten sie mit     reinzulassen. Ob es zur Fortsetzung
                                            mir sprechen, Folgendes sollte auf-      der Ehe oder doch zur Trennung und
Paarberatung kann dabei helfen, sich        gearbeitet werden: Zum einen konn-       Scheidung führen sollte, blieb zunächst
miteinander zu versöhnen                    ten sie keine Kinder bekommen und        offen. Nach vielen Sitzungen mit die-
                                            hatten sich früher bereits erfolglosen   sem Paar, in denen die einzelnen The-
Paarberatung – was ist das eigentlich?      Behandlungen unterzogen. Sie führ-       men und Schwierigkeiten aufgearbeitet
Viele mögen denken, das ist eine ge-        ten eine (beruflich bedingte) Fern-      und besprochen wurden, stellten sich
leitete Beratung, in der dem Paar ge-       beziehung, mit der Einsamkeit und        uns die Fragen: Wie schließt man jetzt
holfen wird, zusammenzubleiben und          emotionale Distanz einhergingen. Es      ab? Wie verzeiht man sich gegensei-
zueinander zurückzufinden. Dies mag         fiel ihnen außerdem schwer, sich in      tig, als Paar doch nicht so funktioniert
auch häufig der Fall sein. Dennoch kann     den anderen hineinzuversetzen und        zu haben, wie man sich das bei der
Paarberatung auch eine Hilfe sein aufzu-    Verständnis für den anderen aufzu-       Eheschließung vorgestellt hatte? Wie
machen, ehrlich zueinander zu sein und      bringen. Des Weiteren fehlte es an       verzeiht man sich, dem anderen den
sich voneinander zu trennen, ohne sich      Aussprache und Ehrlichkeit – was sie     Kinderwunsch nicht erfüllen zu kön-
zu verlieren – in Versöhnung auseinan-      schließlich zu mir führte.               nen? Wie verzeiht man sich selbst? Die
derzugehen.                                                                          Antwort in diesem Fall war, zu danken,
                                            Wozu sollte die Beratung führen? In      sich zu bedanken für die vielen schönen
Ich berichte von einem Paar, Martin und     erster Linie zur Aussprache, dazu,       Stunden, für die Liebe und dafür, einen
Anja S. (Namen geändert), beide Mitte                                                Partner zu haben.
50. Als sie zu mir in die Beratung kamen,
waren sie seit 16 Jahren ein Paar und

                                                                                                                         Foto:Burst
                                                                                                                         19
Dies war die Aufgabe der letzten Beratung: zu danken – trotz
     allem, was nicht funktioniert hat. Die guten Zeiten zu betonen,
                                                                                Völkerverständigung im Ange-
     sich zu versöhnen. Dazu gab ich beiden zwei Themen, über                   sicht des Grauens – August
     die sie sprechen sollten. Erstens: „Was ich von dir bekommen               2018 im Lager Auschwitz
     habe und wofür ich dir danke.“ Zweitens: „Was ich dir nicht
     habe geben können und mir leid tut.“ Die Idee dabei ist, dass
     der eine beginnt und der andere nicht auf das Gesagte ein-                 Es war für mich das zweite Mal, dass ich in Ausch-
     geht, sondern zuhört und am Ende jeweils mit „Danke, dass                  witz war. Und es war immer noch hart, die Bara-
     du mir das gesagt hast“ antwortet. Danach werden dann die                  cken zu sehen, den Zaun und alles, was für die
     Rollen getauscht.                                                          Generationen erhalten wurde, die in Zeiten von
                                                                                Frieden und Sicherheit leben.
                              Dies ist ein Ritual, über das ich
Nächste Kath. Beratungsstelle für
                              gelesen hatte. Martin und Anja
Ehe- Familien und Lebensfragen:                                                 An diesem Ort habe ich sogar, als ich im Auto am
                              hatten die Fragen zu Hause vor-
EFL Kapitelstr. 30, 41460 Neuss                                                 Konzentrationslager vorbeigefahren bin, zum ers-
E Mail: neuss@efl-beratung.orgbereitet, was für beide sehr be-                  ten Mal verstanden, warum es für polnische Men-
                              wegend war, wie sie sagten. Der                   schen vielleicht schwierig ist, nach Deutschland
                              Beratungsraum wurde nun zum                       zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt beschloss ich, nie
     Ritualraum: Beide schoben ihre Stühle so, dass sie sich ge-                wieder an diesen Ort zurückzukommen.
     genübersaßen, und begannen mit dem Ritual.
                                                                                In der Nähe des Konzentrationslagers ist ein klei-
     Das war wohl einer der emotionalsten Momente all meiner                    ner Ort namens Harmęże. Dort leben Franziskaner-
     Beratungen, als diese beiden, die neun Jahre lang ihr Leben                Minoriten im Maximilian-Kolbe-Zentrum. Sie haben
     geteilt hatten, die Seelenverwandte füreinander waren, sich                eine sehr schöne Kirche, an deren Stirnwand sich
     beieinander bedankten, sich gegenseitig um Verzeihung ba-                  ein Gemälde mit der Jungfrau Maria befindet. Es
     ten und so schließlich einen würdigen Abschluss fanden – ob-               ist eine Kopie des Bildes, vor dem der Hl. Maximili-
     wohl sie sich zur Trennung entschlossen. Doch sie verloren                 an Kolbe betete. An der rechten Seite ist eine klei-
     sich nicht, sie machten ihren Frieden.                                     ne Kapelle mit den Reliquien des Heiligen, die aus
                                                                                seinem Bart stammen. Der Eingang der Kapelle ist
     Dies ist ein Beispiel, wozu Paarberatung führen kann: dass es              dem Eingang des Konzentrationslagers nachemp-
     Versöhnung und Frieden geben kann, obwohl man sich trennt.                 funden.

                                       Friederike Ludwig (Beraterin für Ehe-,   Das Gefühl der Hilflosigkeit, das Gefühl, unfähig zu
                             Familien- und Lebensfragen im Rhein-Erftkreis)     sein oder auch nur annähernd akkurat beschrei-
                           aus Kirchenzeitung, Erzbistum Köln, Ausg. 34/20.     ben zu können, was an diesem Ort geschehen ist
                                    Wir danken für die Erlaubnis zum Druck.     oder auch nur eine Ahnung zu haben, wie es mög-
                                                                                lich war, dass so eine Katastrophe stattgefunden
                                                                                hat, ist dort in mir immer präsent.

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                                                            Foto: Jens Lelie
Aus dem Gemeindeleben

Am 14. August 1941 gab Maximilian Kolbe sein Leben für        Nach der Andacht lief die Gruppe von ca. 250 Menschen in
einen anderen Häftling.                                       einer Wallfahrt zum Lager. - an der Spitze die Ministranten
                                                              und das Kreuz, Fahnen der verschiedenen Gruppen von
Jetzt ist der 15. August 2018, nur 73 Jahre später und        Maximilian Kolbe, die franziskanischen Brüder, gefolgt von
ich bin zum dritten Mal im Maximilian- Kolbe-Centrum.         den übrigen Gläubigen. Die Reliquie des Heiligen Maximi-
Gestern, am Todestag von Kolbe, feierten wir morgens          lian Kolbe nahmen wir mit. Wir sangen auf dem ganzen
Transitus in der Kirche. Zu Beginn der Andacht hörten wir
die Lebensgeschichte Maximilian Kolbes. Als Kind hatte er
eine Vision der Jungfrau Maria. Sie zeigte ihm zwei Kro-
nen, eine weiße und eine rote und forderte ihn auf, eine
zu wählen. Er entschied, die rote zu nehmen, die Leiden
bedeutete, ein Leiden wie das Leiden Jesu, der sich hin-
gegeben hat, um uns vom Tod zu befreien. Maximilian Kol-
be übergab sein ganzes Leben der Jungfrau Maria - ein
Glaube und Vertrauen - die er bis zum Tod bewahrte. Wir
hörten von den deutschen Offizieren, die kamen, um Kolbe
ins Lager zu bringen. Wir hörten den Bericht von Kolbe,
der sein Leben anbot für das Leben eines Vaters mit Frau
und Kindern, die auf ihn warteten.

Manchmal ist es beeindruckender, Dinge in einer fremden
Sprache zu hören. So machte es mich tief betroffen, die
Beschreibung des Konzentrationslagers zu hören. Der
Satz, der über dem Eingangstor steht, wurde in deutscher
Sprache zitiert: „Arbeit macht frei“. Es traf mich, mehrere
Male zu hören, dass es ein deutsches Lager war. Der Dia-
log zwischen dem Offizier und Kolbe, der sagte, dass er
freiwillig in den Tod gehen wollte, um das Leben des Vaters
zu retten, wurde ebenfalls in deutscher Sprache gelesen.
So konnte ich fühlen, wie hilflos die Menschen gewesen
sein mussten, weil sie die Sprache des Kommandanten
nicht verstanden. Kolbe sprach gut deutsch. Ich fühlte
mich schuldig, aber ich fühlte auch die Abwesenheit von
Hass. Es war der Bericht eines Mannes, der Gott und die
Jungfrau Maria liebte - der Bericht eines Mannes, der alle    Weg Marienlieder und beteten Rosenkranz. Ich bemerkte
Menschen liebte. Gedanken von Sünde und Schuld kamen          die Schönheit der Natur, die Schöpfung Gottes und Zei-
mir ins Bewusstsein. Es war klar, wie schwierig es manch-     chen seiner Liebe. Ich dachte an all die Gefangenen, die
mal ist, das Böse zu bekämpfen und wie schnell wir Fehler     genau hier für die Nazis in den Teichen in dieser schönen
machen und sündigen in unseren Gedanken, Worten und           Landschaft gearbeitet hatten. Ich diskutierte mit einem
Werken.                                                       Priester, dass alle Menschen geliebte Kinder Gottes sind.

                                                                                                                            21
Wie kann es dann möglich sein, dass ein Mensch anderen        was bedeutete, dass er sofort erschossen werden würde.
     solche großen Grausamkeiten antut. Wir sprachen über          Wir feierten das Opfer von Pater Kolbe. An diesem Tag
     die Hölle und den Zeitpunkt der letzten Möglichkeit einer     wurde er vom Papst als Patron des Konzentrationslagers
     persönlichen Entscheidung dafür, Gott zu lieben.              bestätigt. Die Hl. Messe wurde vor dem Bunker gefeiert, in
                                                                   dem Kolbe starb. Ein Teil der Predigt wurde in deutscher
     So kamen wir am Lager an, das von Häusern und Fabriken        Sprache vom Bamberger Bischof vorgetragen. Traditionell
     umgeben ist. Ein Platz, der das Andenken an den Horror        hält der deutsche Bischof eine kurze Katechese am Ende
     konserviert, mitten im alltäglichen Geschäftsleben. Wir       der Hl. Messe. Er selbst stellte sich als Vertreter der Deut-
     stießen auf viele andere Menschen, Touristen und Gläubi-      schen Bischofskonferenz vor. Außerdem waren Vertreter
     ge, die an der Hl. Messe teilnehmen wollten. Wir wälzten      der polnischen Politik anwesend.
     uns in der Menge zwischen den Häusern hindurch in Rich-
     tung des Platzes des Hungerbunkers, dem Ort, an dem           Gefühlt war ich – neben dem Bischof – die einzige Deut-
     Maximilians Leben endete. Während ich das Tor des La-         sche und ich spürte das Verlangen, diese Hl. Messe mit
     gers durchschritt, hörten wir erneut den deutschen Satz       beiden Nationen – der polnischen und der deutschen – zu
     „Arbeit macht frei“. Doch diesmal war es anders, es war       feiern. Schon während des Krieges waren zwei Nationen
     fast positiv, es war schwierig und hoffnungsvoll zugleich.    an diesem Ort, Deutsche und Polen. Es wäre ein beein-
     Ich war sehr glücklich, dass ich dem Kreuz und den Flag-      druckendes Zeichen von Gemeinschaft (Communio) und
     gen mit den verschiedenen Zeichen des Glaubens folgte;        Frieden, wenn dort auch deutsche Politiker und Deutsche
     ich war glücklich, in einer Menschenmenge zu sein, die        sichtbar wären, die die Liebe Gottes unter uns feiern. Es
     unseren Glauben und unser Vertrauen in Gott zeigte. Es        wäre sehr wichtig, über Maximilian Kolbe einem Mann un-
     war wie eine Demonstration der Liebe Gottes. Ein Gedanke      seres Jahrhunderts zu reden und zu schreiben, nicht nur
     kam mir in den Sinn. Direkt hinter dem heutigen Eingang       in Polen, sondern auch in Deutschland. Das Gleiche gilt
     des Lagers ist das Krematorium. Dort muss der Körper von      für die vielen anderen Priester und Ordensleute, die im
     Kolbe zusammen mit tausenden anderer verbrannt wor-           KZ wegen ihres Einsatzes für andere ermordet wurden.
     den sein. Jetzt, im Jahr 2018, kehrte Maximilian - seine      Es wäre wichtig, zu demonstrieren, dass Glaube nicht nur
     Reliquie - an den Ort zurück, an dem seine Henker vor lan-    die Sache einiger verrückter Menschen ist, sondern dass
     ger Zeit waren. Sie sind weg, doch er ist präsent, er zeigt   er das Fundament menschlichen Lebens sein kann. Es ist
     auf diese Weise die Kraft der Liebe, den Sieg der Liebe       für uns essentiell zu reflektieren, wie schnell Böses getan
     über das Böse.                                                werden kann und wie leicht es für uns ist, gegen andere zu
                                                                   sündigen. Wir sollten öfter an die Menschen als Geschöp-
     Wir, 800 Menschen, feierten die Hl. Messe mit sechs Bi-       fe denken, die sehr dringend der Barmherzigkeit Gottes
     schöfen, einer von ihnen war der deutsche Bischof von         bedürfen. Der Bischof unterstrich einen Punkt in seiner
     Bamberg. Noch einmal hörten wir die Ansage des deut-          Predigt: nur Liebe kann Hass und Ideologien überwinden.
     schen Offiziers, dass es nur einen Weg gäbe, das Konzen-      Diese Erfahrung sollte über die ganze Welt verbreitet wer-
     trationslager zu verlassen und zwar durch den Schorn-         den. Der Bischof endete mit der Bitte an Maximilian Kolbe,
     stein. Gefangene würden zwei Wochen überleben, Priester       er möge für uns beten.
     vier Wochen und Presbyter zwei Monate. Wem diese Aus-
     sichten nicht gefielen, der könnte direkt zum Zaun gehen,                                      Text und Foto: Caja Steffen, GR

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