Unser Pfarrbrief Ostern 2021 - AUFerSTEHEN
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Pfarreiengemeinschaft Neuss-Mitte St. Quirin – Hl. Dreikönige – St. Pius – St. Marien Unser Pfarrbrief Ostern 2021 AUFerSTEHEN
Aus der Redaktion Impressum AUFerSTEHEN Für uns als Pfarrbrief-Redaktion eine be- Unser Pfarrbrief Nr. 1/2021 sondere Herausforderung, da der ein oder Herausgeber: ... ein Titel im Spannungsfeld der öster- andere eine abweichende Sichtweise auf Pfarrgemeinderat der lichen Freude, der weiterhin anhaltenden aktuelle Fragen hat. Pfarreiengemeinschaft Neuss- Corona-Pandemie sowie einer tiefgreifen- Mitte Freithof 7, 41460 Neuss den Krise der katholischen Kirche. Wir haben ein wenig über den Tellerrand Kontakt: unserer Pfarreiengemeinschaft geschaut pfarrbrief@neuss-mitte.de Die Kluft zwischen der Frohen Botschaft und verschiedene Standpunkte zu aktuel- Redaktion: und der aktuellen Kirchensituation ist len Fragen eingesammelt. Michaela Braun, derzeit unübersehbar: Dr. Helmut Gilliam, Möge es uns gelungen sein, in diesem Ursula Kurella, Resi Linßen, Manfred Loetzner, Rekordzahlen an Kirchenaustritten im Oster-Pfarrbrief, den offenen Austausch Dr. Karl Remmen, Bernhard Erzbistum Köln, und das Nachdenken über Reformen und Wehres (PGR-Vorsitzender, die immer lauter werdende Kritik vieler strukturelle Veränderungen innerhalb un- verantwortlich) Für den Inhalt der unterzeich- Gläubiger gegenüber autoritären und serer Kirche zu ermöglichen und das Ver- neten Artikel sind die Verfasser hierarchischen Machtstrukturen der trauen in die Lebendigkeit unserer Kirche verantwortlich. katholischen Kirche, zu erhalten. Fotonachweis: die Forderung einer Vielzahl von Katho- Titel: Casey Horner likinnen und Katholiken, den synodalen Unsere Basis ist dabei auch weiterhin die Der Termin des nächsten Pfarr- Weg voranzutreiben, Zusage Gottes an eine Kirche, die offen briefs wird in den Pfarrnach- die Kritik von Gemeinden an einer von steht für alle Menschen, deren Basis die richten bekannt gegeben. oben angeordneten Aufhebung beste- Frohe Botschaft ist und deren Leben im Die Redaktion freut sich über hender Pfarreien und einer Neuord- Zeichen der Liebe Gottes steht. Wir alle interessante Artikel per E-Mail nung pastoraler (Sendungs-)Räume, sind Kirche und sollten bleiben! (s.o.) mit bis zu 300 Wörtern sowie 2-3 Bildern zur Auswahl. die im Durchschnitt dreimal so groß sind wie die bisherigen Seelsorgebe- In diesem Sinne wünschen wir Ihnen al- Verteilt über den gesamten reiche len ein hoffnungsvolles und lebendiges Pfarrbrief finden Sie Stationen eines besonderen Kreuzwegs, sowie die Sorge all derer, die sich in- Osterfest. den die Künstlerin Cynthia nerkirchlichen Reformgedanken nicht Tokaya für die Kirche St. anschließen und den Verlust des „wah- Bleiben Sie gesund! Bruno in Düsseldorf-Unterrath geschaffen hat. Wir danken ihr ren katholischen Glaubens” beklagen. für die Druckerlaubnis! Ihre Pfarrbrief-Redaktion 2
AUFerSTEHEN Liebe Neusser Mitbürger! „Die Hoffnung lebt“ Er heilt die Kranken, macht Blinde sehend, Tausende werden satt von Wenigem, Gauner kommen zur Einsicht, Hoffen heißt: etwas Wichtiges erwarten, es wünschen, es Machtbesessene lassen los. Jesus sieht alle Dinge im Licht planen, es ersehnen. Forscher und Liebende könnten nicht ihrer künftigen Möglichkeiten, im Licht des anbrechenden finden, wenn sie nicht suchten; Gottesreiches. Weil Gottes Liebe ohne Ende ist, wird er alle sie könnten nicht suchen, wenn Tränen von unseren Augen abwischen, und kein Leid wird sie nicht zu finden hofften. Wir mehr sein und kein Geschrei (Offb. 21.4). Darum gibt Je- träfen keine Verabredungen, wür- sus keinen auf, er macht in jedem Möglichkeiten frei und den nicht in Urlaub fahren, gingen lehrt ihn, wieder zu hoffen. Jesus erträgt das Unabwend- nicht zur Arbeit, wenn wir nicht bare im Vertrauen auf Gott: alles Leid und Unrecht gehö- hofften, dass dabei etwas Gutes ren in die „Werdewelt“ (Bonhoeffer) Gottes. Auch das Leid für uns herauskommt. Kinder kä- verwandelt Gott in gute Zukunft. men nicht zur Welt, wenn Eltern nicht hofften, dass diese einmal Bei den Friesen lautet ein beliebter Spruch: „Rüm Hart „Ja“ sagen zu ihrem Leben. Hoff- – klaar Kiming“ – „festes Herz und weiter Horizont.“ Der nung ist der Stoff, aus dem unse- christliche Glaube schafft den denkbar weitesten Horizont: re Seelen gemacht sind (Gabriel die Liebe Gottes nimmt kein Ende. Er wird immer mehr. Marcel). Wer keine Hoffnung hat, Gott ist auf dem Weg, sich zu vollenden. Mein Leben ist erstickt an der Gegenwart. Der Hoffnungslose will nicht eine Strecke Weg, die ich mitgehen und mitgestalten darf. mehr leben. Mein bruchstückhaftes Leben gehört in Gottes Puzzle, mei- ne Liebe ist ein Stück von der Liebe Gottes, meine Schuld „Nach uns wird kommen nichts Nennenswertes“ – dieses ein Stück Kante in diesem Puzzle. Das ist wohl ein weiter Wort von Bertolt Brecht könnte den Leitspruch für alle die Horizont: Ja in uns allen wirkt Gott und in wem Gott geat- abgeben, deren Horizont bei ihrem eigenen Leben und met, gelebt, gelitten hat, der bleibt in Gott, für immer, auch dem eigenen Wohlergehen endet. wenn er zwischendurch stirbt. Die Liebe jedenfalls hofft für alles – auch für die Toten, - und genau das ist: Ostern! Was nach uns kommen wird, ist vielleicht doch das Nen- nenswerte, gemäß dem Wort von Ernst Bloch: „Nicht was Und manchmal geht uns auf: Ja, die Zukunft hat schon be- ist, ist schon wahr, sondern was wird, ist wahr.“ Alles ist gonnen. im Fluss, ist auf dem Weg zu werden und die endgültige Form zu finden. Alles Wesentliche geschieht auf Hoffnung Auch im Namen meiner KollegInnen wünsche ich allen ein hin, weil die Gegenwart nur Station in Richtung Zukunft ist. gesegnetes Osterfest. Jesus hat die Zukunftsbilder mit der Gegenwart verknüpft: Ihr/Euer Pastor Hans-Günther Korr Gottes Reich ist mitten unter uns im Anbruch (Lk 10,11). 3
AUFerSTEHEN Steh auf und geh! Steh auf, der du enttäuscht bist. Steh auf, der du keine Hoffnung mehr hast. Steh auf, der du an Eintönigkeit gewöhnt bist und nicht mehr an Entwicklung glauben magst. Steh auf, denn „Gott schafft alle Dinge neu.“ Steh auf, der du die Fähigkeit zum Staunen verlernt hast. Steh auf, der du das Vertrauen verloren hast, Gott „Papa“ zu nennen. Steh auf, entdecke voller Bewunderung die Güte Gottes. Steh auf, der du leidest. Steh auf, wenn dir scheint, das Leben habe dir viel verweigert. Steh auf, wenn du dich ausgeschlossen, verlassen, beiseite geschoben fühlst. Steh auf, denn Christus hat dir seine Liebe gezeigt. Er hält für dich unverhoffte Möglichkeiten bereit. Steh auf! Steh auf und geh! Nach Johannes Paul II. gefunden in Kirchenzeitung Köln 2020 5
Auferstehung Die Botschaft von der Auferstehung Jesu ist das unverzichtbare in der anderen hält er eine Siegesfahne. Bei allem Respekt vor Fundament des christlichen Glaubens. Jedes Jahr zu Ostern hö- diesen künstlerisch wertvollen Versuchen, ein sinnlich nicht an- ren wir die Erzählungen, die davon berichten, dass zuerst den schauliches Ereignis, die Auferstehung, sinnlich darzustellen, Frauen in der Nachfolge Jesu eine Erfahrung zuteil wurde, die verstellen sie meines Erachtens den spirituellen Zugang zum nur schwer in Worte zu fassen ist. Phänomen der Auferstehung. Alle Versuche dieses Phänomen in gegenständlicher Weise zu begreifen sind zum Scheitern verur- Voller Trauer gehen sie zum Grab, um den Leichnam Jesu nach- teilt. Ist sie demnach irreal, etwas für Phantasten und religiöse träglich zu salben, finden ihn aber nicht. Stattdessen machen Schwärmer? sie eine Erfahrung, die sie zutiefst berührt und verwirrt und die sehr unglaubwürdig klingt. Dies war damals so, bei den Aposteln Einen Ausweg aus dieser gedanklichen Zwickmühle eröffnet die und ist heute nicht weniger problematisch. Die Schwierigkeiten Erfahrung von Kunst. Innerhalb der Kunstgeschichte gibt es die mit der Auferstehungsbotschaft lassen sich wohl am besten mit Bewegung der Surrealisten. Beim Betrachten ihrer Bilder stellt einem Goethe-Zitat ausdrücken: „Die Botschaft hör ich wohl, al- sich ein bemerkenswertes déjà-vu-Erlebnis ein. Im Betrachter lein, mir fehlt der Glaube.“ entsteht der Eindruck einer merkwürdigen Vertrautheit, obwohl er das Bild real zum ersten Mal sieht. In der Begegnung mit Wie sollen wir mit dem Dilemma umgehen, dass wir die Bot- Kunst lernen wir, dass die Welt der Gegenstände, die wir ge- schaft zwar hören, aber unsere gedanklichen und rationalen wöhnlich als Realität wahrnehmen, nicht alles ist. Es gibt jen- Zweifel daran haben? Vor allem in einer Zeit, die vom Primat seits der Dingwelt noch etwas anderes, das sich unserem ge- des naturwissenschaftlichen Denkens geprägt ist. Einfach glau- genständlichen Begreifen entzieht. Dies anzuerkennen ist nicht ben im Sinne eines Fürwahrhaltens lehramtlicher Glaubens- unvernünftig, sondern erweitert die Perspektive für das, was sätze entgegen der Einsicht unseres Verstandes? Damit brin- sich dem Zugriff einer auf Logik und Kalkulierbarkeit reduzierten gen wir den Glauben in einen Gegensatz zur Vernunft, was er Vernunftbegriffs entzieht. im Ursprung jedoch nicht war. Ein erster Schritt besteht darin, Glauben im biblischen Sinne zu verstehen. Wenn in der Bibel das In diesem erweiterten Verständnis von Wahrnehmung ist Aufer- Wort „glauben“ steht, ist dies als persönliche Haltung des Ver- stehung erlebbar. trauens gemeint und nicht als Fürwahrhalten von Sätzen, die unserer Vernunft widersprechen. In der Symbolsprache der biblischen Erzählungen sind es Frauen, denen der Auferstandene als Erster begegnet ist. Von Erschwerend kommt hinzu, dass die Wirklichkeit, die mit dem den Männern im Gefolge Jesu heißt es jedoch, sie hielten die Bot- Wort „Auferstehung“ umschrieben wird, sinnlich kaum fassbar schaft von der Auferstehung für Geschwätz (vgl. Lukas 24,11). ist. Die traditionellen Osterbilder versuchen es, sind aber in ihrer In einem erweiterten Verständnis sind Frauen und Männer nicht Bildersprache für uns heute schwer verständlich. Man sieht ein vorrangig als unterschiedliche Geschlechter gemeint, sondern leeres Grab, schlafende römische Soldaten und den Auferstan- in typologischer Form als zwei unterschiedliche seelische Ga- denen in heldenhafter Siegerpose, eine Hand zum Segnen bereit, ben, die jeder Mensch in sich trägt. Die spirituelle Überlieferung 6
AUFerSTEHEN spricht von animus, dem eher „männlichen“ rationalen, der Ding- zwischen Jesus und seinem Vater stärker war als die Macht von welt zugewandten Seelenvermögen. Von gleicher Bedeutung ist Hass und Gewalt, die ihm den Tod brachten. Überall dort, wo wir das „weibliche“ Seelenvermögen, die anima. Sie verfügt über die dies bruchstückhaft in unseren Beziehungen erleben, haben wir Gabe, empfindsam zu sein für unsere Innenwelt, sich offen zu hal- meines Erachtens nach Anteil an der „Wirklichkeit“ des Auferstan- ten für Neues und zu empfangen. denen. Halten beide seelische Gaben sich in etwa die Waage, sind wir Franz-Josef Haas empfangsbereiter für die Nachricht von Ostern. Letztlich läuft sie Klinikpfarrer für Menschen mit Behinderung und psychischen Erkran- darauf hinaus, darauf zu vertrauen, dass die liebevolle Beziehung kungen im Rhein-Kreis Neuss / Düsseldorf 2 Kreuzweg Der Verrat 7
Hörbeitrag: „katholisch: Kirche in WDR 5” | stehen vom Schlaf ist alltäglich und eine Frage der Dis- 02.04.2018 06:55 Uhr | Johannes Broxtermann ziplin. Aufstehen aus der Ohnmacht und Mutlosigkeit ist großartig und eine Frage der Kraft und Hoffnung, die mich Aufstehen, Auferstehen trägt. Auferstehen aus dem Tod ist schwindelerregend und jenseits aller Grenzen – selbst jenseits der so end- gültig wirkenden Grenze des Todes. Es sprengt das enge „Wie fröhlich bin ich aufgewacht!“ Naja. Meine Hörerinnen Gehäuse meines Denkens und Sprechens und Empfindens. und Hörer, nicht jeder weiß vom Aufstehen ein solches Alltagserfahrung ist nicht alles. Die Auferstehung, so sagt Lied zu singen. Morgens einigermaßen munter aus dem der Schweizer Dichter Kurt Marti, ist „der Aufstand Gottes Bett rauskommen – das ist „Aufstehen Numero Eins“. Für gegen die Herren – und gegen den Herrn aller Herren: den viele eine mühsame Prozedur. Tod“. Dieses Wort „Auferstehung“ ist wie eine große Fra- ge. Es stellt in Frage – stellt selbst den Tod in Frage. Aber „Aufstehen Numero Zwei“ ist nicht an den Morgen ge- es gibt auch eine Antwort: dass meine alltägliche Hoff- bunden, geschieht dagegen ganztägig, ganzjährig und nung begründet und getragen ist; sie ist keine Illusion! ist wesentlich anstrengender und anspruchsvoller. Näm- Kurz gesagt: Drei trägt Zwei. Auferstehen trägt aufstehen. lich: Auf die Nase fallen und dann wieder aufstehen und weitergehen! Der Versuchung widerstehen, liegen zu blei- Wie das geht, wird in den Ostergeschichten der Bibel er- ben und sich aufzugeben. Nach einer gewissen Schonzeit zählt, vielleicht am schönsten von Lukas. Bei ihm finden des Wundenleckens einen neuen Anfang wagen – da, wo wir den berühmten Gang nach Emmaus. meine heile Welt in Scherben gefallen ist oder zumindest schon kräftige Sprünge abbekommen hat. Aufstehen Nu- Zwei Jünger haben Jerusalem, den Schauplatz des Kreu- mero Zwei heißt hier: Aufstand gegen die Resignation, ge- zes und Todes Jesu, verlassen und sind – ratlos, verstört gen die Ohnmacht, gegen die Erschlaffung und Müdigkeit, – unterwegs nach Emmaus. Auf dem Weg kommt der Auf- gegen alles, was mir die Hoffnung rauben will. Oder um es erstandene, Christus, hinzu und geht mit ihnen: anonym, mit Jesus zu sagen (Lk 7,14): „Junger Mann, ich sage dir: unerkannt, als Fremder. Jesus geht auf ihre Not ein, legt Steh auf!“ ihnen die Heilige Schrift aus und stellt alles, was geschah, in ein neues Licht. Am Ziel in Emmaus angekommen, bit- „Aufstehen Numero Drei“ heißt auch Auferstehung, und ten die Jünger, er solle bleiben und nicht weiterziehen. es ist schwer, darüber zu reden, weil es außerhalb unserer Jesus, der Gast, wird nun zum Gastgeber und hält Mahl alltäglichen Erfahrungen liegt. Auferstehen geschieht im mit ihnen. Als er das Brot bricht, gehen den Jüngern die Glauben, geschieht nicht nur zur Osterzeit. Auferstehung Augen auf. Daran erkennen sie ihn. Er aber entzieht sich lässt die Zeit hinter sich, überschreitet sie, ist der Weg ins ihren Blicken. Die Jünger brechen wieder auf – mit bren- Ewige. Auferstehen ist höchst anspruchsvoll. Aber müh- nendem Herzen – und laufen nach Jerusalem zurück, um sam und anstrengend scheint es nicht zu sein: denn es ist die anderen teilnehmen zu lassen an ihrer Freude und neu nicht unser Werk, unsere Leistung. Es ist Tat Gottes, sein entfachten Hoffnung. Der Auferstandene also bewirkt das Geschenk und seine Möglichkeit. Er hat Jesus Christus Aufstehen und Aufbrechen der Jünger – und vielleicht auferweckt von den Toten – als ersten von allen. Diesen auch alles, was sich heute bei uns abspielen mag! Jesus, dessen Leben am Kreuz zu Ende schien. Pastor Johannes Broxtermann, Lüdenscheid Von Eins nach Drei ist also eine gewaltige Steigerung. Auf- Wir danken für die Erlaubnis zum Druck 8
AUFerSTEHEN Der Herr ist auferstanden Was ist wirklich passiert in Jerusalem? Wie war es am auch für euch. Für alle, ob ihr es glaubt oder nicht! Glaubt fraglichen Sonntagmorgen? Die Anhänger Jesu waren nicht, dass er euch zwingt. Er lässt es euch frei, ihm auf kleinlaut. Sie zitterten um ihr Leben. Sie befürchteten, ih- diese oder jene Weise zu glauben. Er presst euch in kein nen könnte es ergehen wie ihrem Herrn. Eine Legende zu Korsett. Er nicht! Sein Ende war ein veränderndes Ende. erfinden, eine Auferstehung zu inszenieren, danach war Sein Ende war ein Beginn. Erlebt ihr denn nicht, wie ER ihnen nicht zumute. Groß war die Verzweiflung in Jeru- lebt? Freilich: Die Auferstehung des Herrn erfüllt nicht salem, nicht zu überbieten die Enttäuschung. An so ein alle Wünsche. Sie ließ euch zu wünschen übrig. Die heile Ende hat keiner gedacht. Erst tut er gewaltige Wunder Welt brach nicht an, die Erde wurde nicht friedlich, als der und dann tut er nichts für sich. Ein Kreuz, ein paar Nä- Frieden auf Erden verkündet wurde. Glaubt an die Auf- gel, dann hängt er. Ausgelacht wird er: ihm geschieht ja erstehung, aber glaubt nicht, dass sie euch zufliegt wie recht. Wer den Schaden hat, kriegt den Spott umsonst. eine gebratene Taube! Drei Stunden Todeskampf: ein Wunder , dass sein Kreis- lauf überhaupt noch so lange durchhält bei diesen Verlet- Begrabt eure Illusionen, damit eure Hoffnung aufsteht. zungen. Der Tod ist kein Spaß und ein solcher schon gar Und seht zu, dass wirklich wird, was ihr hofft: nicht. Peinlich sein Scheitern, nicht zu vertuschen. Seine Rechnung: nicht aufgegangen. Sein Testament: eine Il- Der Herr ist auferstanden. lusion, seine Verzweiflung war öffentlich: zuletzt hat er geschrien: MEIN GOTT, und fast alle haben ihn verlassen. Der Herr ist auferstanden! Aber wartet nicht auf bessere Zeiten, sondern tut was. Hatten sie große Pläne, die galiläischen Fischer? Träum- Geht hin in alle Welt. Zeigt einer dem anderen: ten sie noch vom Reich Gottes, von der großen Befrei- Siehe, du bist nicht allein. ung? Was blieb ihnen übrig als zurückzugehen zum See Zeigt einer dem anderen: Siehe, ich stütze dich. und zu fischen wie früher? War es so? War es nicht so? Zeigt einer dem anderen: Siehe, ich mache alles neu. Wie war es denn? Ostermorgen in Jerusalem: Drei Tage Zeigt einer dem anderen: Siehe, ich bin bei euch alle Tage danach kein Grund, begeistert zu sein, kein Anlass zur bis ans Ende der Welt! Hoffnung. So schief hing noch nichts! Vorbei mit dem Glauben. Nichts, gar nichts. Nur Finsternis: Gott hat ver- Der Herr ist auferstanden sagt! Zwei gingen nach Emmaus am fraglichen Tag. Sie sprachen es aus: Wir hatten gehofft, dass er es ist, der Der Herr ist auferstanden. Israel retten wird. Aber jetzt: Alles aus. Heute ist schon Nun steht selber auf der dritte Tag nach der Katastrophe. und befreit euch aus Nacht und Tränen. Was ist wirklich passiert in Jerusalem? Nun lasst euch endlich auch gegenseitig auferstehen. Wirklich passiert ist, dass diese Enttäuschten, diese Lasst endlich auch Kirche ganz und gar Desillusionierten, denen der letzte Funke in aller Welt auferstehen. Josef Dirnbeck von Hoffnung starb, glaubten und bezeugten: ER lebt. Quelle: Ferment; Heft April 1986 ER ist auferstanden. Und sie bezeugen es immer noch: „Lasst endlich Kirche auferstehen“, Seite 26 ff. Auferstanden ist er, doch nicht für sich, sondern für uns, Pallottiner- Verlag CH-9202 Gossau9
3 Kreuzweg Ein erster Schritt zu Veränderungen! Beate Gilles, eine Frau als Gene- ralsekretärin der Bischofskon- ferenz und Geschäftsführerin des Verbandes der Diözesen! Bei Ihrer Vorstellung zu die- sem Amt sagte Frau Gilles: „Ich bin mir bewusst, dass dies ein wichtiges Zeichen der kath. Kirche ist.“ Mit großem Res- pekt schaue sie in die Zukunft. Sie stehe in und für die Kirche in einer herausfordernden und spannenden Phase. Sie erinnerte an den Reform- prozess des Synodalen Wegs und die Initiative Maria 2.0 . „Ich nehme viel Energie an die- ser Stelle wahr. Maria 2.0 steht in der Mitte der Kirche; es sind die Frauen, die unsere Kirche tragen“. Ähnlich groß sei auch ihr eige- ner Durchhaltewillen: „Als Ausdauersportlerin habe ich einen langen Atem“. Die Redaktion wünscht Frau Gilles viel Glück und Gottes Segen. Tragen des nach Lothar Schröder in der NGZ Querbalkens Februar 2021 10
AUFerSTEHEN „Wenn wir Reformen ausschließen, sind wir nicht mehr Kirche“ Ob Corona oder Synodaler Weg: Für dann ist das ein Bild, das alles andere Gerade von den Ausgetretenen kön- den Benediktinerpater und früheren als katholisch ist. nen wir lernen: Wie erleben sie Kir- Abt des Klosters Einsiedeln Martin che, was erfahren sie von ihr? Wenn Werlen ist klar, dass die Kirche kre- Inwiefern? Menschen nicht mehr erfahren, was ativ und offen sein muss. In seinem In so einer Sichtweise geht es nur da- Kirche ist, dann können sie diese ver- neuen Buch fordert er sie auf, ihr rum, ein System aufrechtzuerhalten. lassen, ohne dass ihnen etwas fehlt. „Schneckenhaus” zu verlassen – Aber Kirche ist Zeugin der Gegenwart Wenn Kirche nur als Institution wahr- und moniert „pharisäische Kreise”, Gottes – zu jeder Zeit. Da kann man genommen wird, die sagt, dieses und die davor Angst haben. Katholisch. nicht sagen, wenn die Corona-Pan- jenes darf man nicht tun – welchen de hat mit ihm gesprochen. demie vorbei ist, können wir wieder Grund haben die Leute dann noch, zu Kirche sein. Sondern in dieser Krise ihr zu gehören? Aber Kirche ist doch Pater Martin, ausgerechnet mitten kann ich bei den Menschen sein, in zutiefst geteiltes Leben. Das, was die in der Corona-Pandemie fordern ihrer Not. Das ist Kirche. Oscar Ro- Pastoralkonstitution „Gaudium et Sie die Kirche dazu auf, aus ihrem mero sagte, wo die Kirche bei den spes“ an den Anfang setzt – Angst, „Schneckenhaus“ rauszugehen. Menschen ist, bei ihren Freuden und Freude, Hoffnung und Trauer teilen –, Wie nehmen Sie die Kirche in dieser Sorgen, da ist Christus gegenwärtig. dass all das auch Kirche ist, erfahren Krise wahr? Diesen Schritt müssen wir wagen. viele Menschen drinnen und draußen In der Corona-Krise haben sich die Solange die Kirche eine große Macht nicht. unterschiedlichen Kirchenbilder hatte, die vorgeben konnte, wie die ganz pointiert gezeigt: Es ging von Dinge zu laufen haben und sich in Wie kann die Kirche diesen Auto- der Aussage „Das kirchliche Leben ihren eigenen Raum zurückziehen ritätsverlust, den Sie ansprechen, erliegt“ bis hin zu ganz großer Kre- konnte, war es nicht notwendig, das wettmachen? ativität. Mich hat eine zentrale Glau- zu entdecken. Dadurch sind viele Indem sich vor allem Amtsträger benserfahrung begleitet und immer Facetten des Evangeliums gar nicht nicht wegen ihres Standes abson- wieder herausgefordert: Gott ist nicht mehr oder nur geschwächt wahrge- dern, sondern bei den Menschen sind dort, wo wir sein möchten, sondern nommen worden. Aber das geht heu- – und zwar wortwörtlich. Die Frage ist dort, wo wir sind. Die Kirche muss te nicht mehr. Um wieder mit Romero doch: Hat man in der Kirche Autori- sich dem stellen und in dieser Situa- zu sprechen: Die Menschen haben tät, weil einen der Stand von anderen tion, in dieser Krise, Gott suchen. Es sich von der Kirche entfernt, weil die abhebt? Oder hat man nicht gerade hat sich auch gezeigt, dass die Kirche Kirche sich von ihnen entfernt hat. deshalb christliche Autorität, weil zutiefst kreativ sein muss, weil Gott man mitten unter den Menschen ist? kreativ ist. Will sie Zeugnis von die- Sie plädieren in ihrem Buch Bei der Eröffnung der Amazonas-Sy- sem lebendigen Gott ablegen, kann beispielsweise für einen ande- node hat mich sehr beeindruckt, dass sie gar nicht anders, als kreativ zu ren Blick auf Kirchenaustritte und Papst Franziskus bei der Prozession sein. Wenn man davon spricht, dass sagen, die Kirche soll sich nicht so vom Petersdom zur Synodenhalle die Kirche in dieser Lage „erliegt“, sehr auf die Zahlen fixieren… mitten unter den anderen Menschen 11
gegangen ist. Das geht zu Herzen und dringend wäre, haben nicht den Mut, ken wir plötzlich, wie vertraut uns das da merkt man plötzlich, das ist Kir- Schritte zu tun, weil sie sich vor den ist. Ich habe immer mehr realisiert, wie che: Den Gott bezeugen, der nicht von Reaktionen fürchten – oder sie wer- aktuell diese Auseinandersetzungen oben herab spricht, sondern Mensch den von Leuten blockiert, für die alles sind. Zum Beispiel die Frage: Wer ist wird. beim Alten bleiben muss. In Deutsch- mein Nächster? Jesus dreht die Frage land merkt man das ganz deutlich um: Wem kann ich Nächster werden? Sie schreiben, Ihr Buch ist für Phari- beim Synodalen Weg: Da kommt eine Dem Menschen, der in Not ist. Da säer schwer zu verdauen. Wen Angst zum Vorschein. Und Angst ist geht es in aller Klarheit nicht um die meinen Sie damit konkret? typisch für Pharisäer. Wenn wir die Religionszugehörigkeit oder um die Damit ist natürlich nicht die Gruppe Pharisäer im Evangelium betrachten, Nationalität. Wie oft haben Pharisäer vor 2.000 Jahren gemeint, sondern dann ist da immer diese Angst, dass ihre Dubia („Zweifel”, Anm. d. Red.) die Versuchung eines jeden glauben- der Glaube verloren geht, wenn Vor- angebracht, um Jesus eine Falle zu den Menschen, dass man plötzlich schriften nicht eingehalten werden. stellen! Sie haben Jesus damals der festgefahren ist und dass man mehr So eine Haltung herrscht auch in Übertretung des Gesetzes bezichtigt. das Gesetz in den Vordergrund stellt der Kirche vor. Dazu schreibe ich im Und wenn heute jemand nach einer als den Menschen, der in Not ist. Dass Buch: „Wer im Schneckenhaus bereits Reform ruft, sagen bestimmte Kreise man sich selbst als Besseren wahr- Herzflimmern bekommt, wenn er das sehr schnell: Das ist nicht mehr ka- nimmt als die, die danebenstehen, Wort ‚Reform‘ hört, sollte sich fragen, tholisch. Oder: Das ist Häresie. Das ist dass man verachtend auf die ande- ob nicht viele gerade deswegen nach genau die Situation, in der Jesus war. ren schaut, dass man auf die Einhal- draußen gehen, damit sie nicht herz- Aber er ist nicht eingeknickt. Er hat tung von Regeln pocht. Wenn wir die krank werden.“ Wenn wir Reformen sich auch nicht ständig zu rechtferti- Pharisäer im Neuen Testament wahr- ausschließen, sind wir nicht mehr Kir- gen versucht. Er hat gehandelt. Und nehmen, dann können wir auch die che. gerade jetzt in der Corona-Krise wird aktuelle Situation der Kirche besser klar: Wenn wir nicht den Mut haben, verstehen. Warum? etwas zu wagen, dann ist klar, dass Weil Kirche sein bedeutet, unterwegs das das Ende des Systems ist. Diese Nehmen Sie die Amtskirche in zu sein. Der Begriff, der in der Apo- Freiheit, dieses Wagnis des Glaubens diesem Sinne als pharisäisch wahr? stelgeschichte für Kirche gebraucht – das ist das, was Gott heute von uns Das kann man pauschal so nicht sa- wird, beschreibt das großartig: Weg. fordert. gen. Natürlich unterliegen Amtsträ- ger genauso dieser Versuchung wie Sie betonen auch, dass die Ausein- Was ist für Sie wahre Katholizität? jede und jeder Getaufte. Aber ich andersetzung mit den Pharisäern im Wichtig ist für mich, dass wir das Wort nehme schon wahr, dass – und ich Neuen Testament der Kirche helfen „Katholizität” nie eingrenzend ge- habe das als Mitglied der Schweizer kann, einen Weg aus verschiedenen brauchen. Das ist genau das Gegen- Bischofskonferenz auch miterlebt – Sackgassen, etwa den Reformstau, teil seiner eigentlichen Bedeutung: die pharisäischen Kreise sehr domi- zu finden. Wie meinen Sie das? Weite. Diese Weite der Liebe Gottes nant in der Kirche sind. Bischöfe, die Wenn wir die Pharisäer-Stellen im muss in der Katholizität sichtbar wer- merken, dass eine Reform eigentlich Evangelium ernstnehmen, dann mer- den. Wenn ein Kardinal aus Angst, 12
AUFerSTEHEN dass Reformen etwas bewegen Was ist Ihre Wunschvorstellung könnten, sagt, die Kirche muss von Kirche? katholisch bleiben, kann ich nur Wenn ich darauf eine kurze Ant- den Kopf schütteln. Ich würde sa- wort gebe, dann ist die sofort gen, die Kirche muss katholischer einengend. Versuchen wir es mit werden. Wird sie katholischer? einem Bild. Ich bin in den Bergen Das ist die Kardinalfrage. Für mich aufgewachsen, und die Propstei ist das ein großartiger Begriff, St. Gerold im Großen Walsertal, den wir genau so wie andere ins wo ich jetzt wirke, liegt auch in Gegenteil drehen. Klar, die Kirche den Bergen. Solche Orte schenken – und ich meine hier nicht eine die Erfahrung von Geborgenheit, Konfession – ist katholisch, aber führen unsern Blick nach oben. So das ist ein Begriff, der nach oben stelle ich mir auch Kirche vor: Ge- offen ist. Ich kann nicht sagen, borgenheit in der Gemeinschaft, jetzt bin ich katholisch und das die miteinander unterwegs ist genügt. Katholisch zu sein ist ein und den Blick nach oben richtet. Weg in diese Weite Gottes. Oder Alle Begriffe, die im Glaubensle- wie es der heilige Benedikt sagt: ben so zentral sind, sind Begriffe, Wer im Glauben voranschreitet, die nach oben offen sind: Glau- dem weitet sich das Herz. Das ist be, Hoffnung, Liebe, Katholizität. Katholizität: ein weites Herz ha- In dem Moment, in dem wir das ben. begreifen, werden wir nicht mehr abgrenzend sein, sondern die- Wie kann Kirche diese Weite se Offenheit auch erfahrbar ma- besser erfahrbar machen? chen. Ich möchte Menschen zu Indem sie lebt, was sie im Wort dieser Offenheit bewegen, dass Gottes hört und was sie in den Ge- sie entdecken, was Glaube heißt, beten bekennt. Wir müssen nicht welch großes Geschenk er ist – etwas Neues erfinden, sondern und dass wir keine Angst um ihn unsern Glauben im Heute leben. haben müssen, sondern ihn ein- Wenn wir wirklich in der Nachfol- fach leben dürfen, in guten und in ge Jesu sind und uns sein Wort schwierigen Tagen. und sein Beispiel zu Herzen gehen Aus dem Klappentext: …”Martin Werlen nimmt die lassen, dann können wir gar nicht Pater Martin Werlen Leser mit auf den Weg voller Überraschungen: zu einem Glauben, der nicht die Abschottung sucht anders, als katholisch zu werden, Fragen: Matthias Altmann und pflegt, sondern mutig bei den Menschen ist das heißt zu Menschen mit einem Foto: Franz Kälin und zusammen mit ihnen den Weg in die Zukunft weiten Herzen. Wir danken für die Erlaubnis zum Druck. sucht….” Martin Werlen: Raus aus dem Schneckenhaus, Verlag zuerst veröffentlicht auf katholisch.de Herder, 1. Auflage 2020, ISBN: 978-3-451-39204-7 13
Gehen oder Bleiben? - Maria 2.0 An alle Menschen, die guten Willens sind! eine Frage, die sich viele Katholikinnen und In unserer Kirche Katholiken gerade in den letzten Wochen haben alle Menschen Zugang zu allen Ämtern. gestellt haben. Die Austritte im Erzbistum Denn Menschenrechte und Grundgesetz garantieren allen Menschen gleiche #gerecht: Köln sind auf einem Höchststand. Rechte – nur die katholische Kirche ignoriert das. gleiche Würde – Mannsein begründet heute Sonderrechte in der Kirche. gleiche Rechte Der Umgang innerhalb der katholischen In unserer Kirche Kirche mit Betroffenen von sexualisierter haben alle teil am Sendungsauftrag; Macht wird geteilt. Gewalt, der Streit um Gutachten und die #partizipativ : Denn der Klerikalismus ist heute eines der Grundprobleme der Weigerung der Verantwortlichen eine per- katholischen Kirche und fördert den Machtmissbrauch gemeinsame mit all seinen menschenunwürdigen Facetten. Verantwortung sönliche und moralische Verantwortung im Zuge der Aufklärung zu übernehmen, zer- In unserer Kirche werden Taten sexualisierter Gewalt um- stört die Glaubwürdigkeit der katholischen fassend aufgeklärt und Verantwortliche zur Rechenschaft Kirche in den letzten Wochen und Monaten gezogen. Ursachen werden konsequent bekämpft. # g l a u b w ü r di g : Denn viel zu lange schon ist die katholische Kirche ein Tatort sexueller Gewalt. respektvoller immer mehr. Kirchliche Machthaber halten immer noch Informationen zu solchen Gewaltverbrechen unter Verschluss und stehlen sich aus der Verantwortung. U m g ang und Transparenz Hinzukommen autoritäre Machtstrukturen und eine über Jahre hinweg erlebte man- Unsere Kirche zeigt eine wertschätzende Haltung und Anerkennung gegenüber selbstbestimmter achtsamer gelnde Partizipation von hauptamtlichen Sexualität und Partnerschaft. #bunt: und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen in- Denn die offiziell gelehrte Sexualmoral ist lebensfremd und diskriminierend. leben in Sie orientiert sich nicht am christlichen Menschenbild und wird von der gelingenden nerhalb der katholischen Kirche. Fühlen sich Mehrheit der Gläubigen nicht mehr ernst genommen. Beziehungen viele Gläubige innerhalb ihrer Gemeinde vor Ort noch verbunden, wächst gleichwohl die In unserer Kirche laute Kritik an kirchlichen Strukturen und ist die zölibatäre Lebensform keine Voraussetzung für die Ausübung eines Weiheamtes. dem autoritären Auftreten der Amtskirche. #lebensnah: Denn die Zölibatsverpflichtung hindert Menschen daran, ihrer Berufung ohne zu folgen. Wer diese Pflicht nicht einhalten kann, lebt oft hinter Scheinfassaden und wird in existentielle Krisen gestürzt. Pflichtzölibat Die katholische Reformbewegung „Maria 2.0“ hat in den letzten Monaten maßgeb- Unsere Kirche wirtschaftet nach christlichen Prinzipien. lichen Anteil daran, dass Missstände inner- Sie ist Verwalterin des ihr anvertrauten Vermögens; es gehört ihr nicht. halb unserer Kirche benannt und notwen- Denn Prunk, dubiose Finanztransaktionen und persönliche Bereicherung #verantwortungsvoll: dige Reformen selbstbewusst eingefordert kirchlicher Entscheidungsträger haben das Vertrauen in die Kirche nachhaltiges tiefgreifend erschüttert und schwinden lassen. Wirtschaften werden. Thementage, vielfältige Aktionen sowie (digitale) Dom-Podiums-Diskussio- Unser Auftrag nen, und (digitale) Dom-Demonstrationen ist die Botschaft Jesu Christi. Wir handeln danach und stellen uns dem gesellschaftlichen Diskurs. #relevant: finden in der Bevölkerung, in der Presse und Denn die Kirchenleitung hat ihre Glaubwürdigkeit verspielt. für Menschen, in den Medien zunehmend Aufmerksamkeit Sie schafft es nicht, sich überzeugend Gehör zu verschaffen Gesellschaft und und sich im Sinne des Evangeliums für eine gerechte Welt einzusetzen. und große Zustimmung. Mit ihrem Thesen- Umwelt. anschlag an Dom- und Kirchentüren Ende 14
AUFerSTEHEN 4 Kreuzweg Februar 2021 veröffentlich- te „Maria 2.0“ bundesweit ihre Forderungen. Inner- halb eines Tages waren auf über tausend Kirchentüren in Deutschland die Thesen zu lesen. Innerhalb der Fa- milien, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz wird Kirche und Glaube endlich wieder The- ma und es zeigt sich: Kirche und Glaube sind den Men- schen nicht egal. Diese Auseinandersetzung und das gemeinsame Ringen um eine Kirche, die die Frohe Botschaft und die Liebe Got- tes verkündet und dabei die Lebenswirklichkeit der Men- schen im Blick hat, lassen mich in dieser Kirche bleiben! Ich bin mir sicher- eine Kir- che, die nah bei den Men- schen ist, braucht keine Angst vor Reformen und Veränderung zu haben. Denn diese Menschen sind ihre Ba- sis und ihr Fundament. Lassen wir nicht zu, dass im- mer mehr Menschen aus der Mitte unserer Gemeinden ge- hen – denn dann bröckelt es noch weiter an unseren Kir- Jesus bekommt chenwänden. Hilfe von Simon von Cyrene und Veronika Michaela Braun 15
Ein Bischof in geheimer Mission Jahren, als er die Frage mit Ja beantwortete. Am Tag seiner Bischofsweihe hat er das Verspre- Wie sich der Würzburger Oberhirte chen abgegeben, Menschen in Not mit mehr als Franz Jung ehrenamtlich engagiert warmen Worten und Almosen zu begegnen. Vor gut einem Jahr fand Franz Jung dann in Michael „Ich hatte früher den Luxus, mit dem Zug bis Lindner-Jung den Verbündeten, der ihm bei der direkt vor die Bürotür fahren zu können”, sagt Umsetzung seines Auftrags helfen sollte. Michael Lindner-Jung über die Bahnhofsgeräu- sche hinweg. Heutzutage fährt sein Pendlerzug Und so kam es, dass Franz Jung, der im Haupt- von Gleis 11, am anderen Ende des Würzbur- beruf Bischof ist, nun seit einem Jahr auch ein ger Hauptbahnhofs, das Büro direkt am Gleis Ehrenamt ausübt; als Mitarbeiter der Würzbur- 1 aber ist geblieben. Seit bald 38 Jahren hat ger Bahnhofsmission. Einmal im Monat ist er Lindner-Jung hier seinen Arbeitsplatz: Er leitet für vier Stunden hier, meist ab 16 Uhr. Er wartet die Würzburger Bahnhofsmission. Aus dem Be- dann hinter der Durchreiche gleich links hinter sprechungsraum im Obergeschoss blickt man dem Eingang. Viele Gäste kommen nur bis zu ebenerdig über die Bahnsteige. Wenn am Gleis diesem Fenster. Sie lassen sich vom Bischof ei- 1 die Frachtwaggons vorbeirattern, wird es bei nen Becher Tee geben und ein paar Lebensmittel coronakonform- geöffneten Fenstern lauter. einpacken. Ein belegtes Brötchen, etwas Obst, vielleicht noch etwas Süßes. In der Zwischenzeit „An keinem Ort lerne ich so viel über das Leben schmieren die Ehrenamtler wie Franz Jung Brote, wie hier”, sagt der Theologe über seine Arbeit. setzen neuen Tee auf, spülen Geschirr ab oder Das klingt abstrakt und das ist vielleicht auch desinfizieren Tische. Der vielleicht wichtigste gewollt, denn beim heutigen Gespräch soll es Dienst aber ist das Gespräch. Durch die Corona- weniger um das Konkrete, sondern vielmehr um Regeln dürfen nicht so viele Gäste in die Bahn- den tieferen Sinn der Arbeit der Bahnhofsmissi- hofsmission und auch nicht so lang wie sonst. on gehen. Das war der Wunsch des zweiten Ge- Doch auch wenn die Kontakte weniger sind, sprächspartners, der gleich eintreffen soll. bleiben sie für die Beteiligten sehr wichtig. Denn viele, die hier vorbeikommen, wollen einfach Kümmere dich um die Armen! nur reden, über den Tag, anstehende Aufgaben, die Probleme ihres Lebens. Hier begegnet Franz „Bist Du bereit, um des Herrn Willen, den Armen Jung den Armen, Heimatlosen und Notleidenden. und den Heimatlosen und allen Notleidenden gütig zu begegnen und zu ihnen barmherzig zu „Das ist für mich heilige Zeit. Meine Sekretärin sein?” Diese Frage hat sich Franz Jung ins Herz weiß, dass sie mir diese vier Stunden freihalten gebrannt. Mit ihr erklärt er, warum er an die- muss, komme was da wolle”, sagt Franz Jung sem Donnerstag wieder hier ist. Bei winterlichen über sein Ehrenamt. Außer der Assistentin und Temperaturen draußen und heißem Chai-Tee in ein paar anderer Menschen im Bischofshaus der Tasse erinnert er an den Sommer vor zwei habe er mit niemandem groß darüber gespro- 16
AUFerSTEHEN chen. Er wollte keine Öffentlichkeit für sein die Menschen hier ist es die größte Aufgabe, privates Engagement. Einige Gäste erken- den Tag zu bestehen.” Den zweiten Halb- nen den Bischof, andere eben nicht. Aber satz trägt er mit erstauntem Nachdruck vor. Lindner-Jung hat ihn überzeugt und nun Gegenüber dem vollen, strukturierten Tag das Gespräch eingefädelt, bei dem es eben eines Bischofs wirkt die Herausforderung nicht um die Person, sondern den Dienst ge- der Alltags-Leere wie ein Problem aus einer hen soll. anderen Welt. Aber es ist ein und dieselbe. Wohl auch deshalb ist Franz Jung, der Bi- Dabei ist es gar nicht so einfach, zu sagen, schof, hier. wer sich da jeden Monat die ikonische blaue Weste überstreift. Es ist sicher nicht allein „Es geht darum, einfach nur da zu sein.” Das der Privatmann Franz Jung, doch sein Bi- sei wahre Kontemplation. Es gehe nicht in schofsamt spielt im Dienst auch nur eine erster Linie darum, die Welt zu retten, son- nachgeordnete Rolle. Diese Rollen des Men- dern sie wahrzunehmen, wie sie ist, sagt schen Franz Jung geraten im Gespräch im- Jung. Auch deshalb habe er sich, der als mer wieder durcheinander, legen sich über- Bischof oft „Potemkinsche Besuche” erlebe, einander. bei denen die Momentaufnahme nicht die Realität zeige, für diesen Dienst entschie- Menschen werden plötzlich sichtbar den. Zunächst kommt eben doch die persönli- Lernort für die Kirche che Perspektive zu Wort. „Schon nach dem ersten Mal war die Welt anders”, berichtet Das immerwährende Angebot der Bahn- dieser Franz Jung. „Man geht anders durch hofsmission macht sie zugleich zu einem die Stadt.” Mittags in der Kaffeepause oder einzigartigen Kirchort im Bistum Würzburg. zwischen zwei Terminen, die er im Stadt- Hier werden zwei wichtige Zukunftsthemen gebiet immer zu Fuß absolviert, fielen ihm des Bischofs schon heute sichtbar miteinan- plötzlich immer wieder Gäste der Bahnhofs- der verwoben. Die Kontemplation, betonte mission auf, sagt er. „Wie oft ich jetzt in der Jung seit seinem Amtsantritt immer wieder, Stadt den Paul (Anm. d. Red.: Name geän- sei ihm ein Herzensanliegen. Das andere ist dert) sehe … Er bekommt die Kurve ein- die Sozialraumorientierung, also die Aus- fach nicht.” Bei seinen Reflexionen über die richtung aller Tätigkeiten auf die Lebensum- Menschen sitzt man einem nachdenklichen stände der Menschen. Mann gegenüber, der bedacht Gedanken in Worte fasst. Der Bischof verbindet mit diesem Programm auch einen klaren Anspruch an sein Per- Eine Erkenntnis habe ihn zu Beginn beson- sonal. „Zur Sozialraumorientierung gehört ders beeindruckt, erklärt Jung dabei. „Für auch ein konkretes Engagement”, sagt er. Er 17
gehe nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst und ori- entiere sich eher an ihrem persönlichen Verständnis der Lehre Jesu. Ohnehin sei das mit der Kirche schwierig. In ihrem Bekanntenkreis gebe es kaum jemanden, der „so mit der Kirche weitermachen” könne. “Die Kirche, die da gemeint ist, ist nicht die Kirche, wie sie in der Bahnhofs- mission sichtbar wird. Das ist vor allem eine Struktur, die sich selbst auf ein Podest stellt,” sagt Stumpf. Da müsse die Kirche runterkommen. wünsche sich Seelsorger, die aktiv danach suchen, wo sie Lilian Stumpf, die so engagiert im Dienst der Kirche an gebraucht werden. Das ehrenamtliche Engagement kann den Menschen steht, formuliert damit einen Anspruch, dabei ein gutes Mittel sein.” Mir ist persönlich das commit- den auch der Bischof teilt. „Wir müssen das Paternalisti- ment wichtig, mich für einen Dienst zu verpflichten, aber sche abstellen”, sagt er. Dabei sei der konkrete, caritative ich will das auch halten können”, erklärt er. Mehr als vier Dienst so wertvoll. Die Kirche erhalte durch ihn Einsicht in Stunden im Monat seien in seinem Beruf eben nicht mach- Lebenswelten. Sie müsse ihr eigenes System davon aber bar. Aber der Bischof sagt auch: „Vier Stunden im Monat auch verändern lassen. Mit beinahe empörter Bestimmt- könnte eigentlich jeder machen.” heit fügt der Bischof hinzu, dass dies noch zu häufig an einer „Irritations-Resistenz” scheitere. Gleich vier Stunden jede Woche ist Lilian Stumpf aktiv. Ein paar Tage nach dem Bischof wird sie die Mittagsschicht in Menschen wie Michael Lindner-Jung und Lilian Stumpf ha- der Bahnhofsmission übernehmen. Mit Humor und Güte ben diese längst abgelegt. Hier, in der Bahnhofsmission versorgt sie die Menschen, die auf ein Stück Kuchen und prallen Welten aufeinander, auch für die Kirche. Später, eine Tasse nicht mehr ganz heißen Tee vorbeikommen. Ihr nach dem Gespräch, wird Franz Jung sich die blaue Weste freundliches Lächeln sieht man auch hinter der Maske und überziehen und dann bei den Backshops in der Bahnhofs- hört es vor allem in der Stimme. halle nach Ladenschluss das Übriggebliebene einsam- meln. Es fühlt sich unglaublich weit weg an vom ersten Sie habe im Leben viel Glück gehabt, wird sie beim Ge- Termin des Tages, einer Pressekonferenz, bei der Bischof spräch neben den Stockbetten erklären. Damit meint sie, und Bistumsleitung erklären mussten, dass künftig das dass es ihr an nichts mangelt und die Tiefpunkte im Leben Geld fehlen wird, um eine Reihe von Bildungshäusern wei- für sie nicht unüberwindbar waren. Doch schon das, wis- ter zu betreiben. In vielen Bereichen muss sich die Diözese se sie, hätten viele Menschen nicht erleben dürfen. Dafür Würzburg derzeit radikal, an die Wurzeln gehend, umori- wolle sie mit ihrem Ehrenamt einen Ausgleich schaffen. entieren. Es ist viel verlangt von dieser Ortskirche und ih- Hier sei der richtige Ort dafür, weil sie gut mit Menschen rem Oberhirten. Der ist aber auch am Ende eines solchen umgehen könne und mit genau diesem Talent handeln Tages nicht weniger optimistisch. „Ich habe da gar keine wollte. Angst”, lässt er über seine Sicht auf die Zukunft wissen. „Sie können so nicht mit der Kirche weitermachen!” Text und Fotos: Kilian Martin, Öffentlichkeitsarbeit Diözesan-Caritas- verband Würzburg www.caritas-wuerzburg.de Aber, wird sie mit einem entschuldigenden Unterton hin- zuerst veröffentlicht auf katholisch.de. zufügen, sie sei „keine Standard-Christin”. Das heißt, sie Wir danken für die Erlaubnis zum Druck. 18
Aus dem Gemeindeleben In Trennung wie in Bezie- führten seit neun Jahren eine Ehe. sich zu öffnen und den anderen he- hung den Frieden finden Über Schwierigkeiten wollten sie mit reinzulassen. Ob es zur Fortsetzung mir sprechen, Folgendes sollte auf- der Ehe oder doch zur Trennung und Paarberatung kann dabei helfen, sich gearbeitet werden: Zum einen konn- Scheidung führen sollte, blieb zunächst miteinander zu versöhnen ten sie keine Kinder bekommen und offen. Nach vielen Sitzungen mit die- hatten sich früher bereits erfolglosen sem Paar, in denen die einzelnen The- Paarberatung – was ist das eigentlich? Behandlungen unterzogen. Sie führ- men und Schwierigkeiten aufgearbeitet Viele mögen denken, das ist eine ge- ten eine (beruflich bedingte) Fern- und besprochen wurden, stellten sich leitete Beratung, in der dem Paar ge- beziehung, mit der Einsamkeit und uns die Fragen: Wie schließt man jetzt holfen wird, zusammenzubleiben und emotionale Distanz einhergingen. Es ab? Wie verzeiht man sich gegensei- zueinander zurückzufinden. Dies mag fiel ihnen außerdem schwer, sich in tig, als Paar doch nicht so funktioniert auch häufig der Fall sein. Dennoch kann den anderen hineinzuversetzen und zu haben, wie man sich das bei der Paarberatung auch eine Hilfe sein aufzu- Verständnis für den anderen aufzu- Eheschließung vorgestellt hatte? Wie machen, ehrlich zueinander zu sein und bringen. Des Weiteren fehlte es an verzeiht man sich, dem anderen den sich voneinander zu trennen, ohne sich Aussprache und Ehrlichkeit – was sie Kinderwunsch nicht erfüllen zu kön- zu verlieren – in Versöhnung auseinan- schließlich zu mir führte. nen? Wie verzeiht man sich selbst? Die derzugehen. Antwort in diesem Fall war, zu danken, Wozu sollte die Beratung führen? In sich zu bedanken für die vielen schönen Ich berichte von einem Paar, Martin und erster Linie zur Aussprache, dazu, Stunden, für die Liebe und dafür, einen Anja S. (Namen geändert), beide Mitte Partner zu haben. 50. Als sie zu mir in die Beratung kamen, waren sie seit 16 Jahren ein Paar und Foto:Burst 19
Dies war die Aufgabe der letzten Beratung: zu danken – trotz allem, was nicht funktioniert hat. Die guten Zeiten zu betonen, Völkerverständigung im Ange- sich zu versöhnen. Dazu gab ich beiden zwei Themen, über sicht des Grauens – August die sie sprechen sollten. Erstens: „Was ich von dir bekommen 2018 im Lager Auschwitz habe und wofür ich dir danke.“ Zweitens: „Was ich dir nicht habe geben können und mir leid tut.“ Die Idee dabei ist, dass der eine beginnt und der andere nicht auf das Gesagte ein- Es war für mich das zweite Mal, dass ich in Ausch- geht, sondern zuhört und am Ende jeweils mit „Danke, dass witz war. Und es war immer noch hart, die Bara- du mir das gesagt hast“ antwortet. Danach werden dann die cken zu sehen, den Zaun und alles, was für die Rollen getauscht. Generationen erhalten wurde, die in Zeiten von Frieden und Sicherheit leben. Dies ist ein Ritual, über das ich Nächste Kath. Beratungsstelle für gelesen hatte. Martin und Anja Ehe- Familien und Lebensfragen: An diesem Ort habe ich sogar, als ich im Auto am hatten die Fragen zu Hause vor- EFL Kapitelstr. 30, 41460 Neuss Konzentrationslager vorbeigefahren bin, zum ers- E Mail: neuss@efl-beratung.orgbereitet, was für beide sehr be- ten Mal verstanden, warum es für polnische Men- wegend war, wie sie sagten. Der schen vielleicht schwierig ist, nach Deutschland Beratungsraum wurde nun zum zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt beschloss ich, nie Ritualraum: Beide schoben ihre Stühle so, dass sie sich ge- wieder an diesen Ort zurückzukommen. genübersaßen, und begannen mit dem Ritual. In der Nähe des Konzentrationslagers ist ein klei- Das war wohl einer der emotionalsten Momente all meiner ner Ort namens Harmęże. Dort leben Franziskaner- Beratungen, als diese beiden, die neun Jahre lang ihr Leben Minoriten im Maximilian-Kolbe-Zentrum. Sie haben geteilt hatten, die Seelenverwandte füreinander waren, sich eine sehr schöne Kirche, an deren Stirnwand sich beieinander bedankten, sich gegenseitig um Verzeihung ba- ein Gemälde mit der Jungfrau Maria befindet. Es ten und so schließlich einen würdigen Abschluss fanden – ob- ist eine Kopie des Bildes, vor dem der Hl. Maximili- wohl sie sich zur Trennung entschlossen. Doch sie verloren an Kolbe betete. An der rechten Seite ist eine klei- sich nicht, sie machten ihren Frieden. ne Kapelle mit den Reliquien des Heiligen, die aus seinem Bart stammen. Der Eingang der Kapelle ist Dies ist ein Beispiel, wozu Paarberatung führen kann: dass es dem Eingang des Konzentrationslagers nachemp- Versöhnung und Frieden geben kann, obwohl man sich trennt. funden. Friederike Ludwig (Beraterin für Ehe-, Das Gefühl der Hilflosigkeit, das Gefühl, unfähig zu Familien- und Lebensfragen im Rhein-Erftkreis) sein oder auch nur annähernd akkurat beschrei- aus Kirchenzeitung, Erzbistum Köln, Ausg. 34/20. ben zu können, was an diesem Ort geschehen ist Wir danken für die Erlaubnis zum Druck. oder auch nur eine Ahnung zu haben, wie es mög- lich war, dass so eine Katastrophe stattgefunden hat, ist dort in mir immer präsent. 20 Foto: Jens Lelie
Aus dem Gemeindeleben Am 14. August 1941 gab Maximilian Kolbe sein Leben für Nach der Andacht lief die Gruppe von ca. 250 Menschen in einen anderen Häftling. einer Wallfahrt zum Lager. - an der Spitze die Ministranten und das Kreuz, Fahnen der verschiedenen Gruppen von Jetzt ist der 15. August 2018, nur 73 Jahre später und Maximilian Kolbe, die franziskanischen Brüder, gefolgt von ich bin zum dritten Mal im Maximilian- Kolbe-Centrum. den übrigen Gläubigen. Die Reliquie des Heiligen Maximi- Gestern, am Todestag von Kolbe, feierten wir morgens lian Kolbe nahmen wir mit. Wir sangen auf dem ganzen Transitus in der Kirche. Zu Beginn der Andacht hörten wir die Lebensgeschichte Maximilian Kolbes. Als Kind hatte er eine Vision der Jungfrau Maria. Sie zeigte ihm zwei Kro- nen, eine weiße und eine rote und forderte ihn auf, eine zu wählen. Er entschied, die rote zu nehmen, die Leiden bedeutete, ein Leiden wie das Leiden Jesu, der sich hin- gegeben hat, um uns vom Tod zu befreien. Maximilian Kol- be übergab sein ganzes Leben der Jungfrau Maria - ein Glaube und Vertrauen - die er bis zum Tod bewahrte. Wir hörten von den deutschen Offizieren, die kamen, um Kolbe ins Lager zu bringen. Wir hörten den Bericht von Kolbe, der sein Leben anbot für das Leben eines Vaters mit Frau und Kindern, die auf ihn warteten. Manchmal ist es beeindruckender, Dinge in einer fremden Sprache zu hören. So machte es mich tief betroffen, die Beschreibung des Konzentrationslagers zu hören. Der Satz, der über dem Eingangstor steht, wurde in deutscher Sprache zitiert: „Arbeit macht frei“. Es traf mich, mehrere Male zu hören, dass es ein deutsches Lager war. Der Dia- log zwischen dem Offizier und Kolbe, der sagte, dass er freiwillig in den Tod gehen wollte, um das Leben des Vaters zu retten, wurde ebenfalls in deutscher Sprache gelesen. So konnte ich fühlen, wie hilflos die Menschen gewesen sein mussten, weil sie die Sprache des Kommandanten nicht verstanden. Kolbe sprach gut deutsch. Ich fühlte mich schuldig, aber ich fühlte auch die Abwesenheit von Hass. Es war der Bericht eines Mannes, der Gott und die Jungfrau Maria liebte - der Bericht eines Mannes, der alle Weg Marienlieder und beteten Rosenkranz. Ich bemerkte Menschen liebte. Gedanken von Sünde und Schuld kamen die Schönheit der Natur, die Schöpfung Gottes und Zei- mir ins Bewusstsein. Es war klar, wie schwierig es manch- chen seiner Liebe. Ich dachte an all die Gefangenen, die mal ist, das Böse zu bekämpfen und wie schnell wir Fehler genau hier für die Nazis in den Teichen in dieser schönen machen und sündigen in unseren Gedanken, Worten und Landschaft gearbeitet hatten. Ich diskutierte mit einem Werken. Priester, dass alle Menschen geliebte Kinder Gottes sind. 21
Wie kann es dann möglich sein, dass ein Mensch anderen was bedeutete, dass er sofort erschossen werden würde. solche großen Grausamkeiten antut. Wir sprachen über Wir feierten das Opfer von Pater Kolbe. An diesem Tag die Hölle und den Zeitpunkt der letzten Möglichkeit einer wurde er vom Papst als Patron des Konzentrationslagers persönlichen Entscheidung dafür, Gott zu lieben. bestätigt. Die Hl. Messe wurde vor dem Bunker gefeiert, in dem Kolbe starb. Ein Teil der Predigt wurde in deutscher So kamen wir am Lager an, das von Häusern und Fabriken Sprache vom Bamberger Bischof vorgetragen. Traditionell umgeben ist. Ein Platz, der das Andenken an den Horror hält der deutsche Bischof eine kurze Katechese am Ende konserviert, mitten im alltäglichen Geschäftsleben. Wir der Hl. Messe. Er selbst stellte sich als Vertreter der Deut- stießen auf viele andere Menschen, Touristen und Gläubi- schen Bischofskonferenz vor. Außerdem waren Vertreter ge, die an der Hl. Messe teilnehmen wollten. Wir wälzten der polnischen Politik anwesend. uns in der Menge zwischen den Häusern hindurch in Rich- tung des Platzes des Hungerbunkers, dem Ort, an dem Gefühlt war ich – neben dem Bischof – die einzige Deut- Maximilians Leben endete. Während ich das Tor des La- sche und ich spürte das Verlangen, diese Hl. Messe mit gers durchschritt, hörten wir erneut den deutschen Satz beiden Nationen – der polnischen und der deutschen – zu „Arbeit macht frei“. Doch diesmal war es anders, es war feiern. Schon während des Krieges waren zwei Nationen fast positiv, es war schwierig und hoffnungsvoll zugleich. an diesem Ort, Deutsche und Polen. Es wäre ein beein- Ich war sehr glücklich, dass ich dem Kreuz und den Flag- druckendes Zeichen von Gemeinschaft (Communio) und gen mit den verschiedenen Zeichen des Glaubens folgte; Frieden, wenn dort auch deutsche Politiker und Deutsche ich war glücklich, in einer Menschenmenge zu sein, die sichtbar wären, die die Liebe Gottes unter uns feiern. Es unseren Glauben und unser Vertrauen in Gott zeigte. Es wäre sehr wichtig, über Maximilian Kolbe einem Mann un- war wie eine Demonstration der Liebe Gottes. Ein Gedanke seres Jahrhunderts zu reden und zu schreiben, nicht nur kam mir in den Sinn. Direkt hinter dem heutigen Eingang in Polen, sondern auch in Deutschland. Das Gleiche gilt des Lagers ist das Krematorium. Dort muss der Körper von für die vielen anderen Priester und Ordensleute, die im Kolbe zusammen mit tausenden anderer verbrannt wor- KZ wegen ihres Einsatzes für andere ermordet wurden. den sein. Jetzt, im Jahr 2018, kehrte Maximilian - seine Es wäre wichtig, zu demonstrieren, dass Glaube nicht nur Reliquie - an den Ort zurück, an dem seine Henker vor lan- die Sache einiger verrückter Menschen ist, sondern dass ger Zeit waren. Sie sind weg, doch er ist präsent, er zeigt er das Fundament menschlichen Lebens sein kann. Es ist auf diese Weise die Kraft der Liebe, den Sieg der Liebe für uns essentiell zu reflektieren, wie schnell Böses getan über das Böse. werden kann und wie leicht es für uns ist, gegen andere zu sündigen. Wir sollten öfter an die Menschen als Geschöp- Wir, 800 Menschen, feierten die Hl. Messe mit sechs Bi- fe denken, die sehr dringend der Barmherzigkeit Gottes schöfen, einer von ihnen war der deutsche Bischof von bedürfen. Der Bischof unterstrich einen Punkt in seiner Bamberg. Noch einmal hörten wir die Ansage des deut- Predigt: nur Liebe kann Hass und Ideologien überwinden. schen Offiziers, dass es nur einen Weg gäbe, das Konzen- Diese Erfahrung sollte über die ganze Welt verbreitet wer- trationslager zu verlassen und zwar durch den Schorn- den. Der Bischof endete mit der Bitte an Maximilian Kolbe, stein. Gefangene würden zwei Wochen überleben, Priester er möge für uns beten. vier Wochen und Presbyter zwei Monate. Wem diese Aus- sichten nicht gefielen, der könnte direkt zum Zaun gehen, Text und Foto: Caja Steffen, GR 22
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