Unter der Lupe Versteckte Schätze der Alpen - CIPRA
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DEUTSCHE AUSGABE ISSN 2305-9834 DAS THEMENHEFT DER CIPRA NR. 108 / 2021 Unter der Lupe Versteckte Schätze der Alpen
SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 I N H A LT EDITORIAL SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 Editorial Seite 3 Schaan/LI, im August 2021 Vom Bodenschatz zum Das Gesicht der Alpen Flora Mammana Seite 4 Wissensschatz Liebe Leserin, lieber Leser Unter der Lupe Vom Bodenschatz zum Wissensschatz Welche Güter und Ressourcen die Alpen bergen Seite 5 Fotos: Bartek Naprawa / istockphoto (Titelfoto), Hans Braxmeier / Pixabay (S. 2 oben), Carlos Blanchard (S. 2 unten), Darko Todorovic (S. 3) Elementar und gefährdet Organismen, die den Zustand der Natur anzeigen Seite 8 «Solarenergie ermöglicht, bedarfsorientiert zu arbeiten» Fünf Fragen an Olivier Verdeil Seite 10 Wem Davos gehört Essay von Julia Niemann Seite 11 S05 Was ist die «Ur-Ressource» der Alpen? Gibt es einen bestimmenden Faktor für die Existenz so verschiedener alpiner Dinge und Gege- Vermutlich nur weil er am Steilhang so arg ins Schnaufen kam, wurde einst Ötzi von seinem Widersacher eingeholt und von dessen Pfeil benheiten wie Edelweiss und Sprachenvielfalt, Skitourismus und La- erwischt. Und erst dank den Eigenheiten der Vergletscherung im Panorama Heribert Insam winengefahr oder Staumauern und Lastwagenkolonnen? Oder für hochalpinen Gelände geriet er zur Mumie und blieb bis ins 20. Jahr- Sechs Menschen und ihre persönlichen Ressourcen Seite 12 im Gespräch Tod und Wiederkehr von Ötzi, dem alpinen Ureinwohner schlecht- hin? Es gibt eine simple Antwort: Die Berge natürlich! So weit, so hundert erhalten. Man könnte noch tiefer graben: Damit das Gefälle eine dominante Rolle im alpinen Dasein spielen kann, braucht es die «Wir leben in einer Mikrobenwelt» klar, doch was ist die entscheidende Ressource eines Berges prä- Schwerkraft. Doch diese prägt das irdische Leben insgesamt, nicht Im Gespräch mit Heribert Insam Seite 14 zise? Welche genuine Eigenschaft führt dazu, dass eine sibirische nur in den Alpen. Also bleibt’s dabei? Ist die Steigung die entschei- Pflanze im hochalpinen Raum lebt, Menschen auf Brettern lustvoll dende alpine «Ur-Ressource»? Was insofern speziell wäre, als dass Das bergsteigende Klassenzimmer die Hänge runterrutschen, alle paar Kilometer eine andere Sprache sie für uns Menschen eine Erschwernis ist. Ein Hindernis wurde zum Was Jugendliche in der Alpinen Schule lernen Seite 17 sprechen oder Gletscherwasser in Stauseen gesammelt wird? Wie- Innovationstreiber, dessen Überwindung zum Erfolgsfaktor. In der so ist Ötzi tot und doch zu uns zurückgekehrt? deutschsprachigen Schweiz gibt es eine treffliche Redewendung Es wäre eigentlich alles da Mir scheint, es ist das Gefälle. Erst durch die alpine Höhe blieben dafür: «Am Berg stehen». Wer sinnbildlich am Berg steht, hat eine Welche Ressource Liechtenstein wirklich braucht Seite 18 die speziellen klimatischen Bedingungen für das Edelweiss im Al- grosse Herausforderung vor sich. Wer sie bewältigt, wird erfolg- penraum bestehen. Im europäischen Flachland starben sie nach reich. Auf solch eine steile Tour zu den versteckten Schätzen der Seitenblick Wirkungsvoller über Klimaschutz sprechen der Eiszeit aus. Erst durch die Hangneigung werden Skifahren und Alpen also nehmen wir Sie in dieser Ausgabe von SzeneAlpen mit. Persönlich, dringend, nah: Erkenntnisse aus der Psychologie Seite 20 Lawinen möglich, aber auch das Fortkommen aller Art von Fahrzeu- gen in engen Tälern erschwert. Erst die steile Zerklüftung der Alpen Eine gefällige Lektüre wünscht, S14 Dies & Das Seite 22 Punkt Seite 23 Vorschau Seite 24 machte den Erhalt der Vielsprachigkeit auf engem geografischen Raum möglich. In der Luftlinie liegt München von Frankfurt am Main Kaspar Schuler gleich weit entfernt wie von Verona. Geschäftsführer CIPRA International D I E C I P R A , E I N E V I E L FÄ LT I G E Erscheint periodisch in deutscher, französischer, italienischer und slowenischer Sprache. C I P R A I N T E R N AT I O N A L CIPRA Deutschland CIPRA Slowenien U N D V I E L G E S TA LT I G E O R G A N I S AT I O N Ein Nachdruck der Beiträge in diesem Heft ist auf Anfrage und unter Quellenangabe Kirchstrasse 5, LI-9494 Schaan Am Rindermarkt 3–4, D-80331 München Društvo za varstvo Alp, Trubarjeva cesta 50, SI-1000 Ljubljana Die Internationale Alpenschutzkommission CIPRA ist eine nichtstaatliche Dachorganisation gestattet. Belegexemplar erwünscht. Tel.: +423 237 53 53 E-Mail: international@cipra.org Tel.: +49 89 23 23 98 40 E-Mail: deutschland@cipra.org Tel.: +386 59 071 322 E-Mail: slovenija@cipra.org mit Vertretungen in allen sieben Alpenländern, die über 100 Verbände und Organisationen Web: www.cipra.org Web: www.cipra.de Web: www.cipra.org/sl vertritt. Sie arbeitet für eine nachhaltige Entwicklung in den Alpen und setzt sich Abonnements: SzeneAlpen kann kostenlos bezogen werden bei CIPRA International: für die Erhaltung des Natur- und Kulturerbes, der regionalen Vielfalt und für Lösungen international@cipra.org oder www.cipra.org/szenealpen. CIPRA Frankreich REGIONALE VERTRETUNG grenzüberschreitender Probleme im Alpenraum ein. N AT I O N A L E V E R T R E T U N G E N 5, Place Bir Hakeim, F-3800 Grenoble SzeneAlpen wird von CIPRA International mit freundlicher Unterstützung des Bundesminis- Tel.: +33 476 42 87 06 E-Mail: france@cipra.org CIPRA Südtirol / Alto Adige teriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, des Landes Liechtenstein und der CIPRA Österreich Web: www.cipra.org/fr c/o Dachv. für Natur- und Umweltschutz, Aage V. Jensen Charity Foundation herausgegeben. Wir freuen uns über jeden zusätzlichen c/o Umweltdachverband, Strozzigasse 10/8– 9, Kornplatz 10, I-39100 Bozen Beitrag unter IBAN LI43 0880 5502 2047 8024 0, BIC VPBVLI2X (Schweizer Franken) A-1080 Wien CIPRA Liechtenstein Tel.: +39 0471 97 37 00 E-Mail: info@umwelt.bz.it IMPRESSUM oder IBAN AT18 20604 03100411770, BIC SPFKAT2B (Euro). 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Jensen Web: www.cipra.ch Tel.: +39 011 54 86 26 E-Mail: italia@cipra.org Tel.: +31 34 84 09 521 E-Mail: info@nkbv.nl Layout: Jenni Kuck Druck: Buchdruckerei Lustenau/A Gesamtauflage: 12’600 Stück Charity Foundation/LI Web: www.cipra.org/it Web: https://nkbv.nl 2 3
SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 DAS GESICHT DER ALPEN UNTER DER LUPE SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 Vom Bodenschatz Die soziale Bäckerin Flora Mammana knetet Teig und macht Beziehungen sichtbar: Mit ihrem mobilen Brotbackofen reist sie durch das italienische zum Wissensschatz Vallagarina-Tal und bringt Ideen zum Sprudeln. Biologische und kulturelle Vielfalt, Solidarität, innovative Ideen, Ausdauer, Dialogbereitschaft und vieles mehr: Die Alpen bergen einen unglaublichen Schatz an Ressourcen. Viele davon sind nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar – hier lohnt es sich, genauer hinzusehen. Ein mit bunten Wimpeln Zusammenhänge zu er- und einem Brotbackofen kunden und sich mit dem bestücktes Lastenfahrrad Umfeld zu vernetzen. «Wir rollt um die Ecke. Flora wollten eine Aufmerk- Mammana, eine junge samkeit für ökonomisch- Frau mit Kurzhaarschnitt, ökologische Verwebungen sitzt im Sattel und lächelt. kultivieren – aber auf eine Mit dem «Forno Vagabon- Art, die für viele zugäng- do» veranstaltet sie in und lich ist – nicht nur für die, um Rovereto/I Brotback- die sich schon mit diesen kurse, um «wünschenswerte Zukünfte zu kneten». Flora spricht Themen beschäftigen oder sensibilisiert sind.» Deshalb arbeitet über «wilde Fermentation», die sie als Metapher für sozialen und Forno Vagabondo beispielsweise mit einer Kräuterexpertin oder ei- kulturellen Wandel sieht. Dabei ist Flora gar keine gelernte Bäcke- ner Puppenspielerin zusammen. Das Mehl kommt von regionalen rin. Als in Bayern aufgewachsene Tochter eines Sizilianers und ei- Landwirt:innen, so entstand auch eine lokale Einkaufsgruppe für ner Allgäuerin absolvierte sie eine Schneiderausbildung, lebte fünf den Direktvertrieb. Jahre in Berlin und studierte Textilingenieurswesen. Ein Praktikum «Wir versuchen, durch das Brotbacken mit den Menschen ins Ge- brachte sie nach Jakarta, Indonesien. Die ökologischen Auswirkun- spräch zu kommen», sagt Flora. Anfangs war sie unsicher, ob die gen der Massenproduktion stimmten sie nachdenklich. «Wir haben Idee auch tatsächlich angenommen wird, denn der Brotbackofen die Beziehung zu vielen alltäglichen Dingen verloren und betrach- durfte während der Corona-Pandemie nicht an stark frequentierten ten sie als stumpfe Ware – nicht als etwas, das auch mit unserem Orten Halt machen. «Ich dachte, da kommt ja niemand, der gan- Leben zusammenhängt.» Das Wort «Ressourcen» verwendet Flora ze Aufwand ist umsonst.» Doch die Menschen freuten sich über ungern, weil es suggeriere, «dass die Welt eine Quelle von Rohstof- den unerwarteten Besuch. «Die sagten: Wieso kommt ihr denn jetzt fen ist, die wir nutzen und ausschöpfen können.» genau hier zu uns mit einem Ofen? Und wir dürfen mit euch Brot Flora kehrte nach Deutschland zurück, ein Freund schenkte ihr backen? Wie cool ist das denn! Es ist eine gute Art, mit Leuten in eine Sauerteigkultur zum Brotbacken. «Ich entdeckte, dass das ein Kontakt zu kommen, die sonst nie mit solchen Themen in Berüh- Lebewesen ist, das man nähren muss und nicht vollständig kon rung kommen.» Der mobile Backofen animiert zur Diskussion: über trollieren kann: Die Mikroben, das Klima, die Hände beim Teig kne- gesunde und regionale Ernährung oder Bio- und Mikrobiodiversität, ten – alles hat Einfluss.» Sie begann an der Universität für bildende über Kreislaufwirtschaft oder Landschaftspflege – und über nach- Künste in Braunschweig, Transformationsdesign zu studieren. Der haltige Mobilität. Flora betrachtet die vielfältigen, oftmals unsicht- Nicht alle Schätze Foto: Hans Braxmeier / Pixabay Sauerteig begleitete sie auch zum Auslandssemester nach Bozen, baren Beziehungen, die zu unserem Lebensunterhalt beitragen, als der Alpen sind wo sie heute lebt. Gemeinsam mit dem soziokulturellen Verein «La Schätze der Alpen. «Teil der Reise des Forno Vagabondo durch das materieller Natur wie Foto: Matteo Pra Mio Foresta» erkundete sie die Gegend um Rovereto. Daraus sprudel- Vallagarina-Tal war es, eine Aufmerksamkeit für diese wimmelnden dieser Bergkristall. te kollektiv die Idee eines mobilen Backofens, der «wie ein Alien Beziehungen zu schaffen.» durchs Tal reist, aber auch anregend wirkt.» Er sollte sichtbar ma- chen, was hinter dem Brot als Lebensmittel steckt. Die Idee war, Michael Gams, CIPRA International 4 5
SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 UNTER DER LUPE SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 Seilschaft und « Teamgeist: Sie stehen sinn bildlich für die Werte im Alpinismus, einem immateriellen « Weltkulturerbe. Ökosystemleistungen sind im Grunde alle Vorteile, die wir aus der ausser gewöhnlichen, aber wenig bekannten Arbeit der Natur Eine Ressource existiert Grundlage für den heutigen Wintertouris- ziehen.» Vanda Bonardo immer nur dann, wenn mus. Aufgrund seiner zerstörerischen Kraft es ein soziales Bedürfnis in Form von Lawinen galt er einst nicht als gibt, das mit ihr verbunden Ressource, sondern als Gefahr. Zur Res- source wurde er erst gegen Ende des 19. wird.» Bernard Debarbieux Jahrhunderts, weil sich die Sicht darauf Saubere Luft und reines Wasser: Feuchtgebiete liefern dramatisch verändert habe, wie Bernard wertvolle Ökosystemleistungen. Debarbieux, Kulturgeograph und Mitglied im CIPRA Sounding Board, erklärt: «Eine KULTURGEOGRAPH Ressource existiert nie von selbst. Sie exis- DER ALPEN Richtig eingesetzt gibt es in den Alpen al- tiert immer nur dann, wenn es ein soziales Ähnliches gelte für den «Umgang mit Lawi- um die für das Leben auf der Erde unver- les, was es für ein gutes Leben braucht: Ob Bedürfnis gibt, das mit ihr verbunden ist.» nengefahr» in der Schweiz und in Österreich, zichtbaren biologischen Funktionen zu ge- Bernard Debarbieux ist Professor es das Mehl zum Brotbacken ist (S. 4), die Nicht immer lässt sich dabei eine scharfe welchen die Unesco 2018 als immaterielles währleisten. «Wir haben nicht viele Daten für Politische und Kulturelle Geo- Wasserquelle beim Wandern (S. 8 – 9) oder Trennlinie ziehen. Seit Dezember 2019 bei- Weltkulturerbe anerkannte. «Einerseits auf- über die alpinen Böden», stellt Bonardo graphie und für Städtische und die mit Sonnenenergie versorgte Berghüt- spielsweise listet die Unesco «Alpinismus» grund der entwickelten Traditionen und fest, «aber wir wissen aus Schätzungen der Regionale Raumplanung an der te (S. 10). Manche dieser Ressourcen sind als immaterielles Weltkulturerbe. Alpenver- Techniken, die Bergdörfer vor Lawinen FAO (Welternährungsorganisation), dass ein KÄMPFERIN FÜR Universität Genf/CH. Er beschäftigt erneuerbar, andere nicht. Zu den nicht er- eine aus Frankreich, der Schweiz und Ita- schützen, andererseits aufgrund neuer, na- Drittel aller Böden der Welt derzeit irrepa- DIE UMWELT sich mit der Produktion von geogra- neuerbaren natürlichen Ressourcen zählen lien hatten eine gemeinsame Bewerbung tionaler Lawinen-Forschungszentren. Heute rabel geschädigt ist – durch Versiegelung, fischem Wissen, Raumplanung und beispielsweise Bodenschätze, deren Abbau eingereicht, andere alpine Länder waren im ist das also auch ein Kulturerbe und wird als Versauerung, Versalzung und Verschmut- Vanda Bonardo setzt sich seit ihrer Umweltpolitik. Seine Forschungen in Bergwerken einst eine tragende Rolle in Vorfeld miteinbezogen worden. Debarbieux eine wichtige Art von Wissen angesehen.» zung sowie durch beschleunigte Erosion Jugend für den Umweltschutz ein. konzentrieren sich auf Gebirgsregio- den Alpen spielte. Als erneuerbar gelten war Vorsitzender des wissenschaftlichen und andere Phänomene, die aus dem Kli- Sie hat einen Abschluss in Natur- nen, die er auf regionaler, nationa- nachwachsende Ressourcen wie Wälder Komittees, das den Bewerbungsprozess DIE NATUR ALS mawandel resultieren.» wissenschaften und ist langjährig ler und globaler Ebene untersucht. oder Fische – doch auch sie erschöpfen begleitete. Er wurde Zeuge der wachsen- DIENSTLEISTERIN? Die Wissenschaft gliedert Ökosystemleis- aktiv in der italienischen Natur- und Er ist Mitglied im Sounding Board sich, sobald mehr verbraucht wird, als sich den Bedeutung des Alpinismus. «Nicht nur Als Ressource oft übersehen werden Öko- tungen entsprechend ihrer unterschied- Umweltschutzorganisation Legam- Fotos: Dieter Meyrl / iStockphoto (S. 6 oben), Nacho Grez (S. 6 unten), Kogovšek_T. (S. 7) von CIPRA, das die Vernetzung und erneuert (S. 18 – 19). Mit dem freien Auge als Sport oder als körperliche Betätigung, systemleistungen. Dazu zählen Dinge wie lichen Funktionen in vier Bereiche: be- biente. Als Präsidentin von Legam- die Rolle der CIPRA als Vordenkerin nicht sichtbare Ressourcen tragen ebenso sondern auch aufgrund der symbolischen saubere Luft, Nahrung, Bestäubung von reitstellende, regulierende, kulturelle und biente der Regionen Piemont und nachhaltiger Entwicklung im Alpen- ihren Teil zum Leben in den Alpen bei: Von Bedeutung und der Geschichte des Alpinis- Pflanzen, schöne Landschaften, Photo- unterstützende Leistungen. Doch kann Aostatal von 1995 bis 2011 hat sie raum stärkt und ihre Positionierung den Mikroben im Gletschereis (S. 14 – 16) mus, sowie den damit verbundenen sozialen synthese, Kohlenstoffbindung und -spei- man die Natur tatsächlich auf die Rolle ei- den Naturschutz in Nordwestitalien schärft. bis hin zu alpinen Wissensschätzen, die Werten.» Tourismus und Sportindustrie ver- cherung oder Holz. «Ökosystemleistungen ner Dienstleisterin reduzieren und diese in über ein Jahrzehnt geprägt. 2010 eine Generation der nächsten weitergibt suchen zum Teil, Alpinismus für sich zu ver- sind im Grunde alle Vorteile, die wir aus der Geldwerten messen? «In der Tat müssen bis 2012 sass sie im Nationalen (S. 17). Jede Person trägt auch persönliche einnahmen, Konkurrenz- und Wettkampf- aussergewöhnlichen, aber wenig bekann- wir uns vor den Risiken einer Kommerzia- Rat für Bildung. Derzeit ist sie bei Ressourcen in sich: Ihr Wissen, ihre Bezie- denken greifen auch unter Alpinist:innen um ten Arbeit der Natur ziehen», erklärt Vanda lisierung der Natur in Acht nehmen. Aber Legambiente zuständig für die Al- hungen, ihre Fertigkeiten, Haltungen, Bega- sich. Die Definition der Unesco grenzt sich Bonardo, Naturwissenschaftlerin und Prä- damit haben wir endlich ein starkes Werk- penregionen. 2020 wurde Vanda bungen und vieles mehr (S. 12 – 13). davon ab und betont vor allem alpinistische sidentin von CIPRA Italien. Als weitere Bei- zeug, um die Entwicklung aus der Sicht Bonardo zur Präsidentin von CIPRA Werte des Miteinanders und des verant- spiele nennt sie Torfmoore und Wälder, die der Ökosysteme zu interpretieren statt Italien gewählt. MATERIELL ODER wortungsvollen Umgangs mit der Natur. Da- vor Hochwasser schützen und das Wasser ausschliesslich aus der ökonomischen. IMMATERIELL? bei gehe es nicht um den Schutz, sondern reinigen. Wichtige Leistungen erbringt auch Wir werden lernen müssen, es optimal zu Ressourcen werden in immaterielle und ma- um die Bewahrung, wie Debarbieux meint. der Boden unter unseren Füssen. In die- nutzen.» terielle Güter unterschieden. Materielle Gü- «Schutz ist es, die Dinge so zu erhalten, wie ser verhältnismässig dünnen Schicht der ter können aber auch immaterielle Aspekte sie sind. Bewahrung bedeutet, eine gewisse Erdoberfläche wirken Erde, Gestein, Atmo- Michael Gams enthalten. Schnee beispielsweise bildet die Veränderung zu ermöglichen.» sphäre und biologisches Leben zusammen, CIPRA International 6 7
SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 UNTER DER LUPE SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 Alpenweit verbreitet: WALD: Die Trompetenflechte VOM LEBEN IM TOTEN HOLZ (Cladonia fimbriata) wächst Ein leuchtend hellblauer Körper, Flügel mit schwarz-weiss umrande- am liebsten auf morschem ten Flecken, wenige Zentimeter gross: Der Alpenbockkäfer ist selten Holz, Moos oder an der schön – und ganz schön selten. Gerade erst aus dem alten Buchen- Basis von Baumstämmen. holz am Waldboden geschlüpft, krabbelt er über abgebrochene Äste, morsche Stämme, umgefallene Bäume. Was für manche nach schlechter Waldbewirtschaftung aussieht, bietet den kleinen Tieren WASSERKRAFT wichtige Lebensräume. Ein klimaresistenter, gesunder und vor al- IM ALPENRAUM lem artenreicher Wald bietet viele davon. Kronentotholz, Epiphyten, Höhlen: Es sind meist kleine Anomalien oder Alterserscheinungen Wieviel Wasserkraftnutzung ist umweltver- an den Bäumen, die so genannte Mikrohabitate bilden. Beim Schutz träglich und ökologisch tragbar? Diese Fra- der Biodiversität in Wirtschaftswäldern geht es daher vorrangig um ge bewegt die Menschen im Alpenraum seit WASSER: den Erhalt solcher Strukturen. Denn es sind vor allem tote Bäume, Jahrzehnten – umso mehr vor dem Hinter- VON KREBSEN UND PARTIKELN die deutlich mehr Mikrohabitate aufweisen als lebende. grund der dringend gebotenen Abkehr von Sie sind fingernagelgrosse Indikatoren für Wasserqualität: Bach- Der Alpenbockkäfer benötigt alte, grosse Buchen als Lebensraum fossilen Energieträgern. Zurzeit sind in Eu- flohkrebse. Zu Tausenden tummeln sie sich in klaren, kühlen Berg- für seine Larven. Gerade in diesem Altersstadium werden die meis- ropa rund 21’000 Wasserkraftanlagen in Be- Elementar bächen auf nur einem Quadratmeter, bauen organisches Material ten Bäume jedoch gefällt. Auf seiner Suche nach einem sonnigen trieb, 300 im Bau und über 8’500 in Planung. wie Laub ab und dienen vielen Fischen als Nahrungsquelle. Bach- Platz krabbelt er an einem bizarr geformten, korallenartigen und Dem Klimawandel mit seinen Unwägbarkeiten flohkrebse reagieren empfindlich auf Gewässerverschmutzungen, schneeweissen Gewächs vorbei – dem Ästigen Stachelbart. Die- wie Extremhochwasser will man vielerorts mit und gefährdet ihre An- oder Abwesenheit lässt daher Rückschlüsse auf die Sau- se Pilzart wächst nur auf totem Holz. Sie trägt so dazu bei, den weiteren Staudämmen und -mauern begeg- berkeit des Wassers zu. Das verschafft den kleinen Bachbewoh- organischen Abfall des Waldes zu beseitigen und bereitet damit nen, obwohl etwa Flussaufweitungen ökolo- nern angesichts der Pestizid- und Düngerproblematik erhöhte Auf- für andere Organismen einen Lebensraum. Etwa für Insekten, die gisch sinnvoller wären. Die CIPRA hat deshalb merksamkeit. Vor allem kleinere Bäche in Landwirtschaftsgebieten im morschen Holz leben, oder für Spechte, die dort leichter ihre fünf Forderungen zur Wasserkraftnutzung er- sind oft besonders stark von Schadstoffeinträgen betroffen. Dies Höhlen zimmern können. arbeitet: Sauberes Wasser, reine Luft, gesunde Wälder: schadet Bachflohkrebsen, Fischen und anderen Arten. Neben dem Klimawandel und Monokulturen schadet dem Wald Durch Reibung, UV-Strahlen oder Bakterien entsteht Mikroplastik – daher auch ein zu penibles Forstmanagement. Absterbende Bu- 1. Politik und Wirtschaft müssen weitsichtig Wie es um die Lebensräume von Natur und mikroskopisch kleine Partikel zwischen 0,0001 und 5 mm, un- chen sollte man nach Möglichkeit stehen lassen, um dem Ästigen planen, um möglichst viel Energie einzu- Mensch steht, zeigt sich oft schon im Kleinen. sichtbar für das freie Auge. Sie sind ein bekanntes Problem in den Stachelbart, dem Alpenbock und anderen Organismen einen ge- sparen, anstatt immer mehr Kilowattstun- Gewässern dieser Welt, doch über die Luft gelangen sie bis hin- eigneten Lebensraum zu erhalten. Das von CIPRA Slowenien in- den zu produzieren. auf zu den Gletschern, wie erste Forschungen zeigen. Begeisterte itiierte Waldpflegeprojekt «GozdNega» ermutigt beispielsweise 2. B estehende Wasserkraftwerke müssen sa- LUFT: Outdoortourist:innen verteilen sie auch selbst am Berg – in Form Waldbesitzer:innen, durch ein angepasstes Waldmanagement kli- niert und überflüssige Kraftwerke entfernt VON VIELFÄLTIGEN SYMBIOSEN von Mikrofasern aus ihren Sportjacken oder durch den Abrieb ih- maresistente und artenreiche Wälder zu fördern. werden, bevor neue gebaut werden. rer Wanderschuhe am Fels. Auf Gletschern im italienischen Val di 3. D ie letzten Süsswasserperlen müssen ge- Leuchtend orange und ledrig, giftgrün und trompetenartig oder sil- Sole entdeckten Wissenschaftler:innen der Universität von Mailand Veronika Hribernik, CIPRA International schützt werden. Intakte Flüsse und Fluss- bergrau und buschig: Flechten gibt es in vielen Farben und Formen. grosse Mengen davon. Projekte wie «Stop the ALPs becoming abschnitte sowie Gebirgsbäche dürfen Sie sind eine Symbiose zwischen Alge und Pilz, die mit ihrem Feh- Plastic Mountains» vom European Research Institute in Turin/I oder nicht der Energiegewinnung dienen. len oder Vorkommen Hinweise auf den Grad der Luftverschmut- die Aktion «Refill your bottle» auf dem Ploseberg in Brixen/I ver- 4. D ie sogenannte «Kleinwasserkraft» ist nur zung gibt. Weltweit besiedeln rund 25’000 Flechtenarten die raues- suchen, die hochgelegene alpine Umwelt zu schützen – eine der Es dauert bis zu fünf für lokal begrenzte Bedürfnisse in isolierten Fotos: jggrz / pixabay (S. 8), Peter Krimbacher (S. 9); Grafik: Melanie Maecker-Tursun ten Standorte, nacktes Felsgestein zum Beispiel. Heute sind viele letzten in Europa, die noch nicht vollständig von Plastikpartikeln Jahre, bis der prächtige Lagen sinnvoll. Sie gehört nicht in regionale der einst häufigen Rindenflechten aufgrund der Luftverschmutzung durchsetzt ist. Alpenbockkäfer (Rosalia oder nationale Energieplanungen. insbesondere durch Schwefeldioxid selten geworden, oder sogar alpina) schlüpft. 5. E s gilt, das Wissen und die Zusammenar- ganz verschwunden. Mehr als die Hälfte der in Deutschland heimi- beit zur Wasserkraftnutzung länderüber- schen Flechten werden laut Roter Liste als gefährdet eingestuft, in greifend auszubauen. der Schweiz wird derzeit ebenfalls untersucht, wie gefährdet baum- und erdbewohnende Flechten sind. Das Positionspapier zur Wasserkraftnutzung In den Alpen wurden in einer länderübergreifenden Studie 3’163 enthält auch detaillierte Herleitungen der For- Flechtenarten nachgewiesen. Daraus entstand LICHALP, eine um- derungen und einen breiten Fundus an Hinter- fassende Online-Datenbank der bisher bekannten alpinen Flech- grundinformationen. tenarten mit deren geographischer Verbreitung sowie zahlreichen Bildern. Diese Informationen können dabei helfen, die Auswirkun- www.cipra.org/positionen gen des Klimawandels und den Grad der Umweltverschmutzung in den Höhenlagen besser zu beforschen. 8 9
SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 Globale Elite neben Bergbauern und Flüchtlingen: Der Film DAVOS zeigt die ungleiche Verteilung von Macht und Ressourcen. «Solarenergie ermöglicht, bedarfsorientiert Wem Davos gehört zu arbeiten» Olivier Verdeil ist Leiter der Photovoltaik-Abteilung Einmal im Jahr rücken im Schweizer Nobelskiort Davos alle Gegensätze dieser Welt so nah am französischen Nationalen Institut zusammen wie nirgends sonst. Von jenen, die unsere Welt gestalten ist es dort nur ein Steinwurf für Solarenergie (INES). Ein Interview über zu den Betroffenen, beobachtet die Filmemacherin Julia Niemann. die Vor- und Nachteile der Nutzung von Solarenergie in den Bergen. Die Reichen und die Machtlosen kommen sich während des alljähr- schen uns immer mehr ausbreiten, der Erdboden aber begrenzt ist, lichen Weltwirtschaftsforums in Davos sehr nah – und doch spre- nehmen wir Tieren ihre natürlichen Lebensräume weg. Wir treiben chen sie kein Wort miteinander. Davoser Bauern müssen ihre Höfe sie in die Enge und vernichten damit auch natürliche Barrieren, die und damit einen jahrhundertelang gelebten, sparsamen Umgang uns eigentlich vor ihren Erregern schützen würden. Herr Verdeil, warum ist eine Photovoltaikanlage Es gibt Photovoltaikanlagen auf Lawinenverbauungen, mit den Ressourcen von Land und Forst aufgeben, weil sich ihre Der Schneefall während des Weltwirtschaftsforums 2018 war so in den Bergen effizienter als im Flachland? Staumauern und sogar schwimmende Solarpanels Arbeit nicht mehr lohnt. Flüchtlinge aus aller Welt treffen im Davoser stark, dass der Konferenzort fürchten musste, von Lawinen begra- Da Photovoltaik-Technologien temperaturempfindlich sind, ermög- auf Bergstauseen. Was ist Ihre Meinung zu diesen Transitzentrum aufeinander, weil sie in ihrer Heimat keine Lebens- ben zu werden. Der Verkehr stockte. Der Lärm der Schneeräumung lichen kühlere Temperaturen eine höhere Produktivität. Die Reinheit Installationen? grundlage mehr haben. All das gehört zum Panorama des Ortes, an fiel selbst den wichtigsten Leuten ins Gespräch. Die Mächtigen der Luft und die Höhenlage sind günstige Faktoren. Je höher man Die doppelte Nutzung bestehender Infrastruktur ist eine gute Idee. dem die Köpfe der Weltwirtschaft die globale Ressourcenverteilung schlitterten die Davoser Promenade entlang und nicht selten brach- kommt, desto dünner wird die atmosphärische Schicht und desto Aber manche Lawinenverbauungen sind weit von den Orten des massgeblich bestimmen. te der eisige Boden jene zu Fall, die auf der Karriereleiter immer nur weniger filtert sie die Strahlung. Schneebedeckter Boden reflektiert Verbrauchs und der Einspeisung ins Stromnetz entfernt, was sie Der Begriff Ressource geht auf das lateinische «resurgere» zurück, nach oben gestiegen waren. Der Mensch kann sich die Umstände mehr Lichtenergie. möglicherweise technisch und finanziell unrentabel machen kann. was soviel bedeutet wie «wieder aufstehen» oder «wiedererstehen». schon ziemlich gut zurechtbiegen, aber am Ende hat die Natur das Photovoltaik-Anlagen auf Staudämmen könnten die Vorteile einer Ressourcen sind unserem Sprachgebrauch nach also etwas, das letzte Wort. Was sind die Vorteile von Solarenergie vorhandenen Netzanbindung der Wasserkraftanlage nutzen. Bei sich ständig selbst erneuert. Darin versteckt sich bereits eine Hal- in Bergregionen im Vergleich zu Wasserkraft schwimmenden Photovoltaikanlagen stellt sich die Frage nach der tung, die als selbstverständlich nimmt, was uns von Mensch und oder Windenergie? visuellen Beeinträchtigung und dem Produktionsausfall durch die Natur gegeben wird. Allen ökonomischen Überlegungen geht ein Solarenergie könnte überall installiert werden. Etwa auf Dächern, starke Verschattung in steilen Lagen. Aber wenn der Standort be- «Es gibt» voraus. Es gibt die Welt und das Geld, es gibt die Natur Strassen oder Seen – im Gegensatz zur Wasserkraft, die einen gro- reits industrialisiert, nicht touristisch genutzt und von geringem In- und ihre Gesetze, es gibt den Menschen und seine Fähigkeiten. ssen Fluss benötigt. Die Windenergie erfordert zuverlässige und teresse für die Artenvielfalt ist – warum nicht? Von Wirtschaft spricht man dann, wenn das, was es gibt, verwertet vorhersehbare Standortbedingungen. Das passt mit Bergregionen, und umverteilt wird. Aber was, wenn das Gegebene irgendwann wo die Bedingungen sehr unterschiedlich sind, nicht sehr gut zu- INES und CIPRA Frankreich arbeiten zusammen nicht mehr einfach da ist? sammen. mit anderen Partnern an einem Projekt zur UNBEQUEME Solarthermie und Photovoltaik namens ENERB’Alpes. KANN WIRTSCHAFT MEHR SEIN ALS ERZÄHLERIN Was sind die Risiken und Herausforderungen bei Was sind die Ergebnisse? DIE BLOSSE AUSBEUTUNG NATURGEGEBENER der Installation dieser Systeme in den Bergen? Die Herausforderung besteht darin, die Systeme so zu konstruie- ODER HUMANER RESSOURCEN? Julia Niemann, Jahrgang 1987, lebt und arbeitet Schnee auf den Platten reduziert die Produktion. Sind sie schräg ren, dass ein Informationsfeedback in Echtzeit erfolgt. Das gewähr- Es gilt, den Begriff Ökonomie anders zu denken, hinaus über die in Wien als Autorin, Regisseurin und Produzentin montiert, erleichtert das die Räumung. Allerdings sollten sie so ge- leistet eine ordnungsgemässe Überwachung und Wartung zum ihm axiomatisch vorangestellten Prinzipien der Nutzenmaximie- des Filmkollektivs «European Film Conspiracy». plant werden, dass sich nicht direkt über dem Gebäudeeingang Beispiel auf hochgelegenen Hütten, die nicht an das Stromnetz an- rung, der Knappheit, der Bedarfsdeckung, der Wirtschaftlichkeit. Für die Produktion des preisgekrönten Dokumen- Dachlawinen lösen. Es gibt spezielle Systeme, die einen Rückstrom geschlossen sind. ENERB’Alpes beleuchtet die Vor- und Nachteile Aber ist das Weltwirtschaftsforum in Davos der richtige Ort dafür? tarfilms DAVOS (Österreich, 2020) verbrachte sie in die Module erzeugen, der die Oberfläche erwärmt, wodurch der der Solarenergie in den Bergen und zeigt Lösungen auf. Autono- Dessen Teilnehmer:innen haben die Signale durchaus gehört. Sie über ein Jahr in der höchstgelegenen Stadt Eu- Schnee abrutscht. Es sollten verstärkte Module verwendet werden, mie in entlegene Gebiete zu bringen, die keinen Zugang zu Energie sind bereit für Veränderung – solange sie diejenigen bleiben, die ropas, dem alljährlichen Schauplatz des Weltwirt- Foto: Roy Buri / Pixabay die Überlasten tragen können. Das Risiko einer Beeinträchtigung haben, trägt zu einer lokalen Energiewende bei. Die Solarenergie verändern dürfen. schaftsforums. Als freie Journalistin veröffentlich- Foto: Gerald Kerkletz durch Unwetter ist in den Bergen natürlich auch vorhanden, dem ermöglicht es uns, bedarfsorientiert zu arbeiten. Die Notwendigkeit, für den Umgang mit den Ressourcen der Welt- te sie Texte über Politik und Kultur, unter anderem kann aber die Montage von Blitzableitern vorbeugen. Für die mit ökonomie neue, tragfähigere Perspektiven zu finden, drängt sich in der ZEIT und der Süddeutschen Zeitung. Photovoltaikanlagen in den Bergen verbundenen Risiken gibt es Delphine Ségalen uns allen immer mehr ins Bewusstsein. Auch die Corona-Pandemie technische Lösungen. CIPRA Frankreich ist eine Folge unseres Umgangs mit Ressourcen: Weil wir Men- 10 11
Versteckte Schätze in den Alpen «WENN EIN KRAUT VOR DEINEN AUGEN WÄCHST…» «ES BEGINNT Ausgediente Ski, Totholz am Waldboden, IMMER MIT EINER «Ein grosser Schatz, der oft unbeach- tet bleibt, sind die unzähligen Wurzeln die Weite am Berg: Oft sind es unerwartete VERRÜCKTEN IDEE» und Kräuter, die auf dem Boden wach- Ressourcen, die eine wichtige Rolle in «Bei ArtSkitech entwickeln wir Ideen, sen. Sie sind oft mangelhaft erforscht und wie man aus alten Skiern Möbel und unseren Berufsleben spielen. Sechs Menschen als uralte Heilmittel bekannt. Ihrer achtsamen ungewöhnliche Konstruktionen machen Betrachtung haben wir die Signaturenlehre zu aus den Alpen erzählen von ihren persön kann. Damit möchten wir zeigen, dass alte verdanken. So weisen Standort, Habitus und lichen Schätzen. Skier mehr sind als Abfall. Denn auch wenn Blütenfarbe darauf hin, wofür manches Heilkraut sie nicht mehr im Schnee gebraucht werden, sind sie ein sehr gut ist. Einige Pflanzen haben ihrer Heilbestimmung entspre- Veronika Hribernik spannendes Baumaterial. Mit unserer Arbeit möchten wir Men- chende Namen: Herzgespann, Lungenkraut, oder die kraftge- und Kristina Bogner, schen zum Nachdenken bringen. Was sind die Dinge, die uns bende Bärwurz. Auch die Art, wie sie wachsen, lässt oft Schlüs- CIPRA International umgeben? Ist es Müll oder können wir es auf eine andere Art se zur Wirkung ziehen. Wenn der Löwenzahn durch den Asphalt und Weise, vielleicht künstlerisch, wiederverwenden? Ausran- «GEH DOCH wächst, wissen wir: Jede Pflanze, die einen Stein durchbricht, gierte Skier sind nur ein Beispiel dafür, was wir erreichen kön- MAL IN bricht auch einen Stein im Menschen, so wie Nieren- oder nen, wenn wir mit Hand und Hirn anpacken. Man kann vieles DEN WALD Gallensteine. Die Geschichten hinter diesen Kräutern faszinie- erfinden, wenn man nur träumt. Mit dieser verrückten Idee und SPAZIEREN!» ren mich. Meine Motivation ist es, Menschen zu überraschen, dieser einen Ressource zeigen wir, wie ein nachhaltiges Wirt- «DA OBEN «Wir bieten einen Ort für Men- zum Hinausgehen zu inspirieren und die Umgebung bewusster schaftsmodell aussehen könnte.» ISCHES schen, die aufgrund ihrer Erkrankung bei wahrzunehmen. Es wächst alles, wann wir es brauchen, wo wir NO EIFACH» Thomas Schamasch, Bauingenieur uns Halt machen müssen. Für den Bau es brauchen – vielleicht gar manchmal, weil wir es brauchen.» bei ArtSkiTech, Chartreuse/F der ‹Schutzhütte› haben wir viele natürli- «Als Bergbauer sind Anna Holzer, Hauswirtschaftslehrerin und che Materialen verwendet, von Stein über die Flächen hier oben Kräuterexpertin am Strumerhof, Matrei/A verschiedene Holzarten. Die Idee war ein eine wertvolle Ressource Gebäude zu haben, das den Patient:innen für uns. Sie sind zum Teil Orientierung gibt, sie aber auch in der alpi- recht steil und weisen eine nen Welt abholt. Es geht um heilende Archi- hohe Biodiversität auf. Und in dem Zusam- «GLETSCHER SIND WÄCHTER tektur in einer heilenden Umgebung. Die Al- menhang natürlich auch die Tierhaltung, DES KLIMAWANDELS» pen vereinen Gesundheitsfaktoren, die wir wo man das Futter verwertet und Fleisch «EIN TOTER BAUM IST hier Wohnenden manchmal gar nicht mehr «Ihre Entwicklung in der Landschaft zehnten oder andere Produkte herstellt. Aus der EIN GANZES ÖKOSYSTEM» wahrnehmen: Diese Ruhe des alpinen Wal- ist von Jahr zu Jahr gut sichtbar. birgt auch Bergführer-Perspektive ist es für mich sehr des, die Luft und diese Erdung zu spüren. Gletscher sind daher ein sehr wert- Risiken für wertvoll, mit Gästen unterwegs zu sein, ih- «Abgebrochene Äste, Totholz oder imme r Daher ist die Arbeit in unserer Klinik nichts voller Klimaindikator zur Überwa- den Menschen. nen die Bergwelt zu zeigen, Gipfel zu be- Aushöhlungen im Baum bieten viel Le- wieder anderes als eine Verneigung vor diesem chung und zum Verständnis des Kli- Der Meeresspiegel steigen, schöne Erlebnisse zu haben. bensraum für Pilze, Vögel und Insek- Insekten grossen Naturraum, den wir als Ressour- mawandels. Ausserdem sind sie eine steigt und wird wei- ten, die sich dort einnisten und fort- findet. Viele Fotos: v.l. Christ Malär, ZGS, Artskitech, Sven Beham, Alex Papis, Fanny Brun (IGE) Was das Spezielle an diesem Ort ist? Der ce in die Therapie integriert haben. In dem bedeutende Süsswasser-Ressource ter steigen und die Anzahl der damit Raum, der mir grosse Freiheiten gibt, weni- pflanzen können. Für einen gesunden, Menschen glauben Sinne ist die Klinik eine Schutzhütte, wo die und werden in einigen Regionen der verbundenen Naturgefahren wird zu- ger verschachtelt ist, weniger Grenzen vor- artenreichen und an den Klimawandel fälschlicherweise, dass ein Patienten:innen ihren Rucksack absetzen, Welt für die Landwirtschaft und zur nehmen.» gibt. Das gibt mir als Bergführer und Bauer adaptierten Wald sind solche Habitat- gut bewirtschafteter Wald aufge- neu packen und mit neuen Erfahrungen ih- Bewässerung genutzt. In den Alpen viele Möglichkeiten, geht aber auch einher Bäume und die darin beherbergten räumt sein muss wie ein Garten. Dabei Delphine Six, Glaziologin und stell ren Lebensweg weiter gehen können.» erreicht die Gletscherschmelze ih- mit Eigenverantwortung. In Zusammen- Mikrolebensräume sehr wichtig. Sie liefert Totholz im Wald wichtiges orga- vertretende Direktorin des Institut ren Höhepunkt im Juli und August, hang mit mehr Besucher:innen in diesem steigern die Biodiversität in Wäldern nisches Material. Ein Habitat-Baum ist Marc Risch, Psychiater und «Hüttenwart» des Géosciences de l’Environnement einer allgemein niederschlagsarmen Lebensraum wird das in letzter Zeit natür- enorm und machen sie viel resilienter ein ganzes Ökosystem mit sehr viel im Clinicum Alpinum, Gaflei/LI (IGE), Grenoble/F Zeit. Sie speisen daher auch in der lich auch schwieriger. Wir stehen vor einem gegenüber dem Klimawandel. Beim Leben.» Trockenzeit Flüsse und ermöglichen Dilemma: Alle suchen das Unverspurte. Je Spazieren kann man nachschauen, Kristina Sever, Försterin und damit die Erzeugung von Wasser- mehr Leute das suchen, desto weniger gibt was in den verschiedenen Aushöhlun- Vorsitzende von Pro Silva Slowenien, kraft. Als Glaziologin vermesse ich es davon und wir zerstören es in gewissem gen so lebt. Ich mag Dendrotelme sehr. Illustrationen: Jenni Kuck Grosuplje/SI Gletscher. Trotz ihrer Grösse wirken Masse. Gerade als Bergführer ist man da Das sind mit Wasser gefüllte Löcher sie oft zerbrechlich und verändern natürlich in einem gewissen Zwiespalt.» im Inneren der Bäume, in denen man sich sehr schnell. Ihr beschleunigtes Kasimir Schuler, Bergbauer Abschmelzen in den letzten Jahr- und Bergführer, Avers/CH
SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 IM GESPR ÄCH MIT HERIBERT INSAM UNTER DER LUPE SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 «Wir leben in Sie färben Gletscher rot und verleihen dem Bergkäse sein typisches Aroma: Die Vielfalt der Mikroorganismen Lage ist, eigentlich unser aller Leben zu ermöglichen. Hätten wir keine Mikroorga- nismen, hätten wir keine Stoffkreisläufe und einer Mikrobenwelt» ermöglicht unser aller Leben erst, meint Heribert Insam. das Leben würde früher oder später zum Dem Mikrobiologen schwebt ein alpines Wissenschafts Ende kommen. Letzten Endes stammen alle höheren Lebewesen – und damit auch zentrum zu Kleinstlebewesen vor. wir – von ihnen ab, nämlich als weiterentwi- ckelte Symbiosen zwischen Mikroorganis- Herr Insam, sprechen wir über das Urbakterien. Sie sehen aus wie Bakterien, men, den ersten Besiedlern der Erde. Leben in den Alpen. Was kommt Ihnen sind aber keine. Archaeen lieben beson- dabei zuerst in den Sinn? ders heisse Habitate in der Tiefsee, wo Zählen Ihrer Ansicht nach auch Als allererstes kommt mir als Mikrobiologe sie Temperaturen bis zu 120 Grad Celsius Viren zu den Mikroben, beispielsweise und Skitourengeher Clamydomonas nivalis überleben können. Es gibt aber auch sol- SARS-CoV-2? in den Sinn. Das ist eine Schneealge, die che, die kälteliebend, also psychrophil sind. Da scheiden sich in der Wissenschaft tat- im Frühling, wenn die Sonneneinstrahlung Und die findet man dann wiederum in alpi- sächlich die Geister. Die einen sagen, es ist recht stark wird, plötzlich Gletscher und nen Höhenlagen. ein Molekül und die anderen sagen, es ist Schneefelder rot färbt. Viele meinen, das ein Lebewesen. Wenn man Bakterien oder sei Saharastaub, aber zumeist ist es tat- Pilze studiert, kommt man nicht darum he- sächlich diese Alge. Sie breitet sich sehr «Viele meinen, rum, sich auch die Viren anzuschauen. Im schnell aus und gibt uns einen Eindruck Fall des Coronavirus haben wir am Institut davon, wie belebt selbst Schneefelder sein können. Man würde meinen, in gefrorenem das ist die Chance ergriffen, ein grosses Projekt zu starten. Dabei geht es um Coronaviren im Wasser gibt es kein Leben, aber diese Or- ganismen können an der Schneeoberflä- Saharastaub.» Abwasser. Wir studieren das Vorkommen dieses Virus im Zulauf von Kläranlagen und che wachsen. können dadurch sehr deutlich erkennen, wann sich wieder irgendwo ein Infektions- Heribert Insam Wie schaffen es diese Mikro Warum haben Sie begonnen, Cluster bildet. erklärt, welchen organismen, in dieser Umgebung Mikroben zu erforschen? Einfluss Schneealgen zu überleben? Ich habe eigentlich zuerst Botanik studiert Ein Schweizer Forschungsprojekt und anaerobe Pilze Ganz wichtig ist, dass sie das Gefrieren und und eine Dissertation angefangen, aufgrund hat in Permafrost und im Gletschereis auf das Leben in den Wiederauftauen überstehen. Insbesondere eines Schädlingsbefalls sind dann jedoch bislang unbekannte Mikroorganismen Alpen haben. das Auftauen ist ein Problem. Eiskristalle, alle dreitausend Hochlagen-Fichtenklone gefunden. Was passiert, wenn diese die in den Zellen vorhanden sind, können eingegangen. Kurzfristig gab es keinen Er- Mikroben durch die Gletscherschmelze die Zellen oder Zellmembranen schädigen. satz, und ich bekam zufällig die Gelegen- freikommen? Dadurch können die Protonenflüsse nicht heit, in einem Forschungsprojekt zur Rekul- Also ich würde mich vor diesen unbekann- mehr kontrolliert werden und die Zellen tivierung von Skipisten mitzuarbeiten. Wir ten Mikroorganismen nicht fürchten. Die sterben ab. Organismen, die das Einfrie- testeten damals ein Abfallprodukt aus der sind in der Vergangenheit bei Gletscher- ren und Wiederauftauen überleben, haben Pharmaindustrie: Mikroorganismen. Das schmelzen immer schon freigesetzt wor- ganz besondere Schutzmechanismen, um waren Pilze, die zur Antibiotika-Produktion den und wahrscheinlich auch in anderen das durchstehen zu können. Dazu gehören verwendet worden waren. Die haben wir Habitaten vorhanden. Ich wäre da eher auch so genannte Dauerstadien, wie bei- als Düngemittel in vielen, vielen Labor- und entspannt. Wir leben in einer Mikrobenwelt spielsweise Sporen. Freilandversuchen getestet und verbessert. und unser Immunsystem ist in der Regel in Wir sind damals auf fast 3’000 Meter Höhe der Lage, mit solchen Dingen fertig zu wer- Nicht jeder weiss, was Mikroben hinaufgegangen, um Skipisten mit diesem den. Aber natürlich erzählen Mikroorganis- sind. Können Sie das kurz auf den Material zu begrünen. Innerhalb von weni- men, die in alten Gletscherschichten plötz- Punkt bringen? gen Tagen verfestigte sich der Boden. Da- lich freigesetzt werden, eine Geschichte. Wir am Institut verstehen unter Mikroor- durch konnten relativ langsam wachsende Ich kann von ihnen auf frühere Pflanzenge- Foto: Carlos Blanchard ganismen im Wesentlichen Bakterien und Gräser dort Wurzeln schlagen, welche wie- sellschaften schliessen oder darauf, wel- Pilze. Aber es kommen auch noch die Ar- derum die Erosion verminderten. che Tiere möglicherweise in dieser Gegend chaeen dazu. Das sind ebenfalls einzelli- Eines hat mich immer schon fasziniert: Die vorhanden waren. Die Wissenschaft steht ge Mikroorganismen. Früher hiessen sie Vielfalt der Mikroorganismen, die in der auf dem Gebiet erst am Anfang. 14 15
SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 IM GESPR ÄCH MIT HERIBERT INSAM UNTER DER LUPE SZENEALPEN 10 8 / 2 0 21 Berge als Lehrmeister: Der Unterricht in luftigen Höhen schärft das Bewusstsein für alpine Natur- und Kulturwerte. aus Abfällen der Landwirtschaft wie Stroh- oder auch Maisresten. Bakterien und Pilze bauen die Lignocellulose zu Zuckern und pia, eine an den Amsterdamer Zoo ange- gliederte Schau zu Mikroorganismen. Es hat mich so sehr fasziniert – auch in der Das bergsteigende Klassenzimmer organischen Säuren um, Archaeen machen Ästhetik, die dort geboten wurde – dass dann daraus das Biomethan. Den ersten ich mir dachte, es wäre schön, so etwas Schritt der Zerkleinerung von Cellulose- auch in Innsbruck zu machen; allerdings Molekülen nennen wir Hydrolyse. Nur weni- mit mehr Bezug zum Alpenraum. Die drei ge Organismen können ihn ohne Sauerstoff Hauptdisziplinen der Biologie sind Botanik, durchführen, wie zum Beispiel anaerobe Zoologie und Mikrobiologie. Ich dachte mir: Klimawandel, Biodiversität und nachhaltige Pilze. Die versuchen wir in Biogasanlagen Für die Botaniker gibt es in Innsbruck den Entwicklung: Wenn es darum geht, junge Menschen zu etablieren. In der Natur finden wir die- Botanischen Garten, für die Zoologen den se anaeroben Pilze im Darm von Wieder- Alpenzoo – und nun brauchen wir noch et- für diese Themen zu sensibilisieren, ist Bildung käuern, wie es sie auch in den Alpen gibt. was für die Mikrobiologen. Diesen Gedan- über und in den Bergen eine wertvolle Ressource. Besonders viel Raufutter wie Stroh oder ken habe ich dann weitergesponnen und Heu fressen nämlich Tiere, die hoch oben versucht, meine Kolleginnen und Kollegen KENNER DER auf den Bergen leben: Steinbock, Gämse, dafür zu begeistern. Wir haben Mikropia in KLEINSTLEBEWESEN auch verschiedene Vögel. Die beherbergen Amsterdam gemeinsam besucht und be- Felsen, blauer Himmel und mittendrin eine Gruppe Jugendlicher: auf. Diese Form der Bildung basiert auf Prinzipien wie Kooperati- in ihrem Darm solche anaeroben Pilze, die gonnen, Pläne zu schmieden, wie wir das Sie steigen dem Gipfel des Triglav, Sloweniens höchstem Berg, on, Handlungsfähigkeit, Selbstbestimmung, lebenslangem Lernen, Heribert Insam leitet die Arbeits- wir so zu kultivieren versuchen, dass sie hier umsetzen könnten. Es gibt schon ei- entgegen und sichern sich gegenseitig. Ein Lehrer begleitet sie bei Identifikation mit der alpinen Umwelt als lebendige Ressource und gruppe für Mikrobielles Ressour- auch in den Biogasanlagen ihre Arbeit tun. nen präzisen Zeitplan für «Mikrobalpina» dieser etwas anderen Unterrichtsstunde. So oder so ähnlich könnte der Integration aller Bildungsmöglichkeiten. cenmanagement an der Universität oder «MicroMondo», wie unsere Arbeitstitel der Alltag einer Alpinen Schule aussehen. Doch die meisten Ju- Es ist wichtig, jungen Menschen nicht nur Wissen zu vermitteln, Innsbruck in Österreich. In seiner Mit Mikroorganismen stellt man lauten. Nun versuchen wir, das Projekt ge- gendlichen in den Alpen leben auch abseits der Städte einen urba- sondern auch bergsteigerische Werte und eine positive Einstel- Forschung beschäftigt er sich mit aber auch Lebensmittel her, wie zum meinsam mit der Firma Hollu in Zirl/A um- nen Lebensstil, die direkte Abhängigkeit von der Natur nimmt – so lung zu den Bergen und der Natur im Allgemeinen mitzugeben. Auf Mikrobieller Ökologie, Bodenmik- Beispiel Käse. Welche Rolle spielen zusetzen, die Systemhygiene anbietet und scheint es – ab. Die Kehrseite des modernen Lebensstils ist, dass Moos gehen, dem Wind lauschen, Beeren essen: Bewegen sich robiologe, mikrobiologischen Mög- Mikroben dabei? sich stark an den Sustainable Development junge Menschen im Alltag immer weniger körperlich aktiv sind. So Jugendliche in den Bergen, dann aktiviert das ihre Sinne. Sie hö- lichkeiten der Abwasserreinigung Mikroben bauen den Zucker zu Milchsäure Goals (Nachhaltigkeitsziele der Vereinten ist es kein Wunder, dass Jugendliche die Berge zunehmend als ren, riechen und schmecken die Berge sozusagen. Selbstständiges und allgemeiner Umweltbiotech- ab, der erste wichtige Schritt bei der Käse- Nationen) orientiert. Das passt gut zusam- unzugänglich, fremd und anstrengend empfinden. Weniger Zeit in Arbeiten und Beobachten steht dabei im Vordergrund. Die Gebirgs- nologie. Eines seiner Projekte ist herstellung. Weiters bringen sie Aromastoffe men und wir hoffen, dass wir beim Neubau den Bergen bedeutet auch einen Mangel an bergsteigerischer Aus- landschaft wird so zum multidisziplinären Klassenzimmer. ein Wissenschaftszentrum, das die in den Käse. Je nach dem Standort einer Kä- des Firmengebäudes im Jahr 2022 dort bildung und den damit verbundenen Werten. Das schwächt den unsichtbare Welt der kleinsten Le- serei gibt es ein anderes Konsortium an Mi- auch die Räumlichkeiten für unsere Welt persönlichen Bezug zu den Bergregionen. Wir haben uns deshalb Matej Ogrin, Präsident von CIPRA Slowenien bewesen sichtbar machen und auf kroorganismen. Mit seinen grossen runden der Kleinstlebewesen finden werden. im internationalen YOUrALPS-Projekt von 2016 bis 2019 das Ziel allgemein verständliche Weise ver- Löchern ist beispielsweise der Emmentaler gesetzt, ein Modell einer Alpinen Schule und deren Werte zu eta- mitteln soll, welche Rolle Mikroben ein typischer Käse, wo Propionibakterien Auf den ersten Blick haben blieren. Das Projekt fand im Rahmen des Interreg-Alpenraumpro- für das Leben in den Alpen und da- zur Gärgas- und Aromabildung beitragen. wir Menschen wenig mit Mikroben gramms statt. rüber hinaus spielen. Die Käsequalität hängt auch sehr stark da- gemeinsam. Was könnten wir Das Bildungsmodell der Alpinen Schule wurde entwickelt, um Ju- ALPINES SCHULMODELL von ab, was die Kühe oder die Schafe vorher dennoch von diesen Kleinstlebewesen gendliche durch aktive Lernformen, -methoden und -ansätze ganz- www.mikrobalpina.org gefressen haben, weil sich damit die Mikro- lernen? heitlich über alpine Landschaften aufzuklären, das Bewusstsein für Das Bildungsmodell verbindet Schulen mit nicht-forma- biota in der Milch ändert. Und dann kommt Wissenschaftlich betrachtet, dass Diversität die Bedeutung einer nachhaltigen Entwicklung der Bergregionen len Bildungsorganisationen sowie der lokalen Gemein- noch dazu: Wo reift der Käse? Die Umwelt die Resilienz erhöht. Das heisst, die Vielfalt zu schärfen und die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Jugendlichen schaft. Es basiert auf den Prinzipien der Bildung für hat einen sehr starken Einfluss. der Mikroorganismen befähigt die mikrobi- zu entwickeln. nachhaltige Entwicklung der UNESCO und beinhaltet ellen Gemeinschaften, besser auf neue He- Beispiele guter Praxis aus der Umweltbildung sowie der Sie beschäftigen sich unter anderem Anhand von Beispielen wie diesen rausforderungen zu reagieren. Das könnten LERNORT BERG aktiven Bürger:innenschaft. Die Alpen sind dabei eine mit mikrobiellem Ressourcen- verstehen auch Laien sehr gut, was wir vielleicht auch für uns lernen. Bildung über und mit Bergen betont positive Beziehungen zwi- Quelle von Wissen, Praxis und insbesondere Inspiration management, also damit, wie man Mikroorganismen leisten. Eines Ihrer schen Bergregionen und der Gesellschaft. Im alpinen Kontext er- für die Umsetzung nachhaltiger Entwicklungsziele bei Mikroorganismen besser nutzen Projekte dreht sich um Wissensver- möglicht sie jungen Menschen, sich mit Berglandschaften sowie jungen Generationen. kann. Wofür? mittlung – eine Art Zoo für Mikroben. deren materiellem und immateriellem Erbe auseinanderzusetzen. Foto: Nejc Kavka Zum Beispiel für die Biogasproduktion. Bio- Wie entstand diese Idee? Michael Gams, CIPRA International Sie stellen sich den Herausforderungen der Gegenwart in den Bergen www.alpine-school.org gas kann ich aus Abfällen verschiedenster Ich war vor zirka vier Jahren in Amsterdam (Interview) und Carlos Blanchard (Fotos), und bauen ihre Fähigkeiten, Kompetenzen und Resilienz auf der Art machen: aus Biomüll von Haushalten, und besuchte das neu gegründete Mikro- Innsbruck/A Grundlage des reichen kulturellen und natürlichen Erbes der Alpen 16 17
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