Update oder Upgrade? Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen

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INTERNATIONALE POLITIKANALYSE

                         Update oder Upgrade?
          Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze
                      für multinationale Unternehmen

                                                                       BRITTA UTZ
                                                                          Juni 2011

n Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sind ein Verhaltenskodex für
  weltweit verantwortliches Handeln von Unternehmen, zu dessen Umsetzung sich 42
  Regierungen verpflichtet haben. Am 25. Mai 2011 wurde eine neue Fassung der Leit-
  sätze verabschiedet.

n Die Empfehlungen für gute Geschäftspraktiken in den Leitsätzen gelten nun für alle
  Unternehmen und unterstreichen die Verantwortung für die Zulieferkette. Das Prin-
  zip der Sorgfaltspflicht für Unternehmen sowie ein Kapitel zur menschenrechtlichen
  Verantwortung des Privatsektors stellen konzeptionell wichtige Zugewinne dar.

n Positive Veränderungen gab es zudem hinsichtlich der Umsetzungsverfahren der
  Leitsätze über nationale Kontaktstellen und ein Beschwerde- und Schlichtungsver-
  fahren. Jedoch wurden wichtige Bestimmungen zur effektiveren Umsetzung der
  Leitsätze nur in unzureichendem Maße verankert. Diese verpasste Chance wiegt
  schwer, da Regeln für Unternehmen nur mit effektiven Maßnahmen zur Umsetzung
  und ausreichenden Anreizstrukturen zur Regeleinhaltung Einfluss entfalten können.

n Daher ist an den politischen Willen der Teilnehmerländer zu appellieren, die Durch-
  setzungskraft der Leitsätze über nationale Politiken weiter zu stärken. In Deutsch-
  land sollte die Struktur und Arbeitsweise der nationalen Kontaktstelle überprüft und
  verbessert werden. Einen wirksamen Anreiz zur Regeleinhaltung stellt die Kopplung
  der Außenwirtschaftsförderung an die Einhaltung der Leitsätze dar. Die Bundesre-
  gierung sollte sich für eine stärkere Bekanntmachung sowie Verbreitung des Regel-
  werks auf weitere Teilnehmerländer einsetzen.
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE?

Inhalt

         1. Einleitung�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������2

         2. Der Reformbedarf der OECD-Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

         3. Der Verhandlungsprozess im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

         4. Exaktere Orientierungshilfe für gutes Unternehmensverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . 4
            4.1 Die Ausweitung des Geltungsbereichs –
         		 Sorgfaltspflicht als Kern der Unternehmensverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
            4.2 Die Verantwortung für Menschenrechte und tragfähige Arbeitsbeziehungen. . . . . . . . 6
            4.3 Erweiterte Erwartungen im Bereich Verbraucherschutz,
         		 Offenlegung von Informationen, Umweltschutz- und Steuerfragen
         		 sowie Korruptionsbekämpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

         5. Das Umsetzungsverfahren – »Herzstück« der Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
            5.1 Neue Handlungsanleitung für nationale Kontaktstellen,
         		 neue Förderagenda der OECD. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
            5.2 Stärken und Schwächen des revidierten Umsetzungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

         6. Schlussbewertung und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  11

              Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

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                                       1. Einleitung            staatliche nationale Kontaktstellen als auch gesellschaft-
                                                                liche Akteure einbindet. Dementsprechend bieten die
In den vergangenen Wochen und Monaten stand das                 Leitsätze für die Betroffenen von Unternehmensaktivitä-
Thema der sozialen, ökologischen und menschenrecht-             ten eine der wenigen Möglichkeiten, eine außergericht-
lichen Verantwortung von Unternehmen sehr weit oben             liche Individualbeschwerde gegen diese Unternehmen zu
auf der internationalen Agenda. Sowohl die Vereinten            führen. In Bezug auf strittiges Unternehmensverhalten
Nationen (UN) als auch die Organisation für wirtschaft-         sind die Kontaktstellen angehalten, ein Vermittlungs-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beschäf-            und Schlichtungsverfahren zwischen den beteiligten Par-
tigten sich intensiv mit den Auswirkungen der grenz-            teien einzuleiten.
überschreitenden Aktivitäten von Unternehmen sowie
den bestehenden Regulierungslücken in diesem Bereich            Das Potential dieses auf multilateraler Ebene verein-
und haben ihre Ansätze zur Förderung einer globalen             barten und einzigartigen Beschwerdeverfahrens für
Unternehmensverantwortung weiterentwickelt.                     den Opferschutz kann – trotz aller Ernüchterung in der
                                                                Praxis der vergangenen zehn Jahre – nicht hoch genug
Am 16. Juni 2011 verabschiedete der UN-Menschen-                eingeschätzt werden. Dies gilt insbesondere vor dem
rechtsrat neue Leitgrundsätze für die menschen-                 Hintergrund, dass sich der UN-Menschenrechtsrat zur
rechtliche Verantwortung von Unternehmen (Guiding               Implementierung des UN-Rahmenwerks und der Gui-
Principles for Business and Human Rights), die der UN-          ding Principles for Business and Human Rights für eine
Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte             Arbeitsgruppe ohne Mandat zur Behandlung von indivi-
in den vergangenen sechs Jahren seines Mandats erar-            duellen Eingaben entschieden hat (HRW 2011).
beitet hatte. Diese Leitprinzipien sollen zur Umsetzung
des zuvor bereits vom Menschenrechtsrat angenom-                Dieser Beitrag untersucht die Leitsätze in ihrer Neufas-
menen UN-Referenzrahmens »Protect, Respect, Reme-               sung von 2011 und ihren Beitrag zur Förderung einer
dy« beitragen, der sowohl die staatliche Schutzpflicht          verantwortungsvollen grenzüberschreitenden Unterneh-
und die Unternehmensverantwortung für Menschen-                 menstätigkeit. Dabei werden sowohl der Verhandlungs-
rechte als auch den Zugang von Opfern von Unterneh-             verlauf als auch die wesentlichen Ergebnisse der Revi-
mensaktivitäten zu Wiedergutmachung thematisiert.               sion des Regelwerks hinsichtlich seiner inhaltlichen Be-
                                                                stimmungen und Umsetzungsverfahren analysiert sowie
Anlässlich ihrer 50-Jahr-Feier hatte die OECD schon eini-       die Bezüge zu den parallel entwickelten Arbeitsansät-
ge Wochen zuvor, am 25. Mai 2011, ihre überarbeiteten           zen des UN-Sonderbeauftragten John Ruggie heraus-
Leitsätze für multinationale Unternehmen in Paris vorge-        gestellt. Abschließend werden die Herausforderungen
stellt (OECD 2011a). Diese enthalten die gemeinsamen            und Handlungsempfehlungen skizziert, die bei einer
Empfehlungen der gegenwärtig 42 Unterzeichnerstaa-              zukunftsweisenden Anwendung des Instruments zu be-
ten für gute unternehmerische Praxis und richten sich           achten sind.
an alle multinationalen Unternehmen, die in oder von
den Teilnehmerländern aus operieren. Die Prinzipien
und Standards in den Leitsätzen umfassen die Bereiche           2. Der Reformbedarf der Leitsätze
Arbeits- und Sozialstandards, Menschenrechte, Um-
welt, Verbraucherinteressen, Transparenz, Korruptions-          Bislang wurden die bereits 1976 von der OECD verab-
bekämpfung, Wettbewerb und Besteuerung sowie Wis-               schiedeten Leitsätze fünf Mal überarbeitet. Zuletzt ei-
sens- und Technologietransfer.                                  nigten sich die Teilnehmerländer (neben den 34 OECD-
                                                                Mitgliedstaaten auch Ägypten, Argentinien, Brasilien,
Aufgrund der Beteiligung der Regierungen an die-                Lettland, Litauen, Marokko, Peru und Rumänien) im Mai
sem für Unternehmen freiwilligen Instrument wird den            2010 darauf, eine Neufassung des Regelwerks zu ver-
OECD-Leitsätzen im Vergleich zu anderen Initiativen für         handeln. Um die Relevanz des Instruments und seine
Unternehmensverantwortung ein hoher normativer Ver-             führende Rolle bei der Förderung einer verantwortlichen
pflichtungscharakter zugeschrieben. Zudem sehen die             Unternehmensführung weiterhin zu gewährleisten, war
Leitsätze eine Überwachung der Einhaltung durch ein             ein »Update« der Leitsätze seit der letzten Revision im
Umsetzungs- und Beschwerdeverfahren vor, das sowohl             Jahr 2000 notwendig geworden.

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Konsens bestand darüber, dass das Instrument nicht nur            Auch John Ruggie, der UN-Sonderbeauftragte für Wirt-
die in den vergangenen zehn Jahren neu entwickelten               schaft und Menschenrechte verwies mehrfach auf den
Referenzstandards für Unternehmen integrieren solle,              Reformbedarf der Leitsätze. Seiner Ansicht nach ist vor
sondern ebenfalls Antworten auf aktuelle Herausfor-               allem die seit 2003 vorherrschende Praxis, den Geltungs-
derungen wie den Klimaschutz oder die sich wandeln-               bereich der Leitsätze ausschließlich auf grenzüberschrei-
den Produktions-, Investitions- und Konsummuster der              tende Investitionstätigkeiten (Investment Nexus) zu be-
Weltwirtschaft geben müsse. Darüber hinaus waren die              grenzen, und damit u. a. die Ablehnung von ungefähr
Forderungen nach einer Überarbeitung der Leitsätze von            40 % der vorgebrachten Fälle zu begründen, äußerst
den Erfahrungen mit der vergangenen Wirtschafts- und              problematisch. Darüber hinaus sah Ruggie sowohl hin-
Finanzkrise geprägt, deren Folgen die Notwendigkeit               sichtlich der Verankerung der menschenrechtlichen Ver-
eines effektiven globalen Ordnungsrahmens sowie ethi-             antwortung von Unternehmen als auch bezüglich der
scher Standards für verantwortungsvolles Wirtschaften             Festsetzung von einheitlichen Mindeststandards zur
aufgezeigt hatten.                                                Arbeitsweise der Kontaktstellen ein deutliches Verbes-
                                                                  serungspotential. Insbesondere bei der institutionellen
Ein wesentlicher Grund für den zunehmend lauter ge-               Verankerung dieser Streitschlichtungsgremien in den
wordenen Ruf nach einer gründlichen Überarbeitung                 Ministerien bzw. Abteilungen für Wirtschaftsförderung
des Regelwerks lag aber auch darin, dass die Arbeit der           und Außenhandel – wie beispielweise auch in Deutsch-
Kontaktstellen im Umgang mit Beschwerden innerhalb                land – verwies er auf einen potentiellen Interessenkon-
der unterschiedlichen Teilnehmerländer stark variierte und        flikt (Ruggie 2010a).
zahlreiche Inkonsistenzen in der praktischen Auslegung
aufwies. Die teilnehmenden Staaten waren daher überein-           In Bezug auf die deutsche Verhandlungsposition im
gekommen, dass es zur erhöhten Wirksamkeit der Leitsät-           Überarbeitungsprozess forderten die drei Oppositions-
ze besserer Anleitungen für das Verhalten und die Aktivitä-       parteien die Bundesregierung im Deutschen Bundestag
ten der nationalen Kontaktstellen bedürfe (OECD 2010a).           auf, sich für einen wirksamen Sanktionsmechanismus
                                                                  bei Verstößen einzusetzen sowie die Vergabe von staat-
Insbesondere die Arbeit der Kontaktstellen im Falle von           lichen Exportkrediten an die Einhaltung der Leitsätze zu
Beschwerden wurde bislang als wenig überzeugend                   koppeln (Deutscher Bundestag 2010, 2011a/b).
angesehen. So zogen Nichtregierungsorganisationen
(NGOs) und Gewerkschaften, die im Zeitraum zwischen               Wirtschaftsverbände verwiesen darauf, dass die Über-
2001 und 2010 insgesamt 213 Fälle strittigen Unterneh-            arbeitung der Leitsätze vor allem zu einer größeren
mensverhaltens zur Klärung bei den nationalen Kontakt-            Rechtssicherheit sowie zu einer klaren Abgrenzung
stellen eingereicht hatten, eine gemischte bis kritische          zwischen den Dialogprozessen vor nationalen Kontakt-
Bilanz des Schlichtungsverfahrens.                                stellen und den juristischen Verfahren beitragen müsse.
                                                                  Die Grundsätze des Regelwerks sollten weiterhin nur
Neben einigen Erfolgsmeldungen bei der Konfliktlösung             Investitionsgeschäfte betreffen. Grundsätzlich wurde
wurde besonders bemängelt, dass die Kontaktstellen bei            darauf aufmerksam gemacht, dass die Wirkung des Re-
Eingaben gänzlich untätig blieben oder ihren Verpflich-           gelwerks in erster Linie durch die Verbreitung der Leit-
tungen hinsichtlich Zugänglichkeit, Transparenz und Rech-         sätze erreicht werden könne, anstatt durch ihre inhalt-
enschaftspflicht in vielen Fällen nicht nachgekommen              liche Verschärfung. Zudem warnten die Verbände davor,
waren. So wurden Beschwerden beispielsweise ohne Be-              die Leitsätze zu überfrachten und damit den künftigen
gründung abgelehnt oder unverhältnismäßig lange bear-             Beitritt zusätzlicher Länder zu erschweren. Insbesondere
beitet. Weitere Kritikpunkte umfassten die beschränkten           für kleine und mittlere Unternehmen wurde die Auswei-
Auswirkungen der Aktivitäten auf die Konfliktlösung so-           tung von Unterstützungs- und Beratungsangeboten ge-
wie die zu zaghafte Nutzung der Möglichkeit, strittiges           fordert, um die Anwendung der Leitsätze zu erleichtern
Unternehmensverhalten in einer öffentlichen Abschlusser-          (BDA 2010).
klärung formal zu bewerten. Kritisch wurden die Leitsätze
auch deshalb gesehen, weil sie in erster Linie empfehlen-         Die unterschiedlichen Forderungen aus Politik und Wirt-
den Charakter haben und keine Konsequenzen bei der                schaft zeigen, dass die Ansprüche an die Novellierung
Feststellung von Verstößen vorsehen (OECD Watch 2010).            der Leitsätze sowie der Handlungsdruck auf die beteilig-

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ten Regierungen schon zu Beginn des Überarbeitungs-                          zung der Leitsätze.2 Auch die Sammlung von Referenz-
prozesses beträchtlich waren. Hinsichtlich vieler Fragen                     dokumenten zu den Leitsätzen konnte innerhalb der 12
konnten in den Verhandlungen Kompromisse erzielt                             Monate nicht abgeschlossen werden (OECD 2011b).
werden, die in den nächsten Abschnitten analysiert und
bewertet werden.                                                             Die OECD konnte ihren eigenen Ansprüchen in der Kür-
                                                                             ze der Zeit also nicht voll gerecht werden, sodass für
                                                                             den Investitionsausschuss viel Arbeit beim follow-up der
3. Der Verhandlungsprozess im Überblick                                      Überarbeitung verbleibt. Darüber hinaus ist zu kritisie-
                                                                             ren, dass von offizieller Seite keine Anhörungen für die
Der Überarbeitungsprozess war geprägt von einer gro-                         interessierte Öffentlichkeit organisiert wurden. Eine über
ßen Offenheit gegenüber den Beiträgen verschiedener                          die Expertenkreise hinausgehende Debatte zur Revision
nichtstaatlicher Akteure, internationaler Organisationen                     wäre wünschenswert gewesen – insbesondere um den
sowie Persönlichkeiten wie dem UN-Sonderbeauftragten                         Bekanntheitsgrad der Leitsätze zu steigern.
für Wirtschaft und Menschenrechte. Sowohl die beiden
beratenden Ausschüsse der Gewerkschaften (TUAC)                              Positiv hervorzuheben ist jedoch die Integration von
und der Industrie- und Arbeitgeberverbände bei der                           Nicht-Teilnehmerstaaten in den Verhandlungsprozess,
OECD (BIAC) als auch das NGO-Netzwerk OECD Watch                             da die Relevanz des Regelwerks mit seiner weiteren
waren eng in die Konsultationen eingebunden. Insbe-                          Verbreitung steht und fällt. Sechs Staaten – Costa Rica,
sondere ist zu begrüßen, dass die Beziehungen des für                        Kolumbien, Jordanien, Serbien, Tunesien und die Ukrai-
die Leitsätze zuständigen OECD-Investitionsausschusses                       ne – kündigten ihren Beitritt zur OECD-Investitionserklä-
zu dem aus über 80 Organisationen bestehenden NGO-                           rung und damit auch zu den Leitsätzen an. Insbesondere
Netzwerk OECD Watch im neuen Text der Leitsätze for-                         aufstrebende Schwellenländer wie China, Indonesien,
mal institutionalisiert wurde.1                                              Indien, Russland, Saudi Arabien und Südafrika wurden
                                                                             gezielt in die Arbeitsgruppe des Investitionsausschusses
Durch die Verabschiedung der Terms of Reference im                           zur Revision integriert, konnten bisher allerdings nicht zu
Mai 2010 war der gesamte Verhandlungsprozess auf                             einem Beitritt bewegt werden.
ein Jahr beschränkt – die Revision 2000 hatte noch zwei
Jahre beansprucht –, sodass ein enormer Zeitdruck auf
allen Beteiligten lastete. Dementsprechend klagten ei-                       4. Exaktere Orientierungshilfe
nige NGOs über die Prämisse »Tempo statt Qualität«                           für gutes Unternehmensverhalten
sowie deren einschränkende Wirkung auf die Partizi-
pation kleiner oder weniger gut organisierter Gruppen                        Die Neufassung der Leitsätze erbrachte weitreichen-
(AI 2011).                                                                   de Änderungen bezüglich der festgesetzten Standards
                                                                             und Prinzipien nachhaltigen Wirtschaftens. Die Über-
Selbst Roel Nieuwenkamp, der Vorsitzende der Arbeits-                        arbeitung der inhaltlichen Vorgaben ist insgesamt eine
gruppe des Investitionsausschusses zur Revision der                          Erfolgsgeschichte, während die Teilnehmerstaaten hin-
Leitsätze, bestätigte, dass einige zentrale Aspekte nicht                    sichtlich der Umsetzungsverfahren weit weniger mutig
ausreichend behandelt werden konnten. Dazu zählen                            für weitreichende Veränderungen waren und hinter den
beispielsweise so wichtige Themen wie die Klärung von                        Erwartungen der Zivilgesellschaft zurückblieben. Ange-
Details zur Anwendung der Leitsätze auf Finanzinstitu-                       sichts der Kräfteverhältnisse in den Verhandlungen stand
tionen oder die Diskussion der möglichen Rolle von Na-                       für die Umsetzung der Leitsätze vor allem die politische
tionalen Menschenrechtsinstitutionen bei der Umset-                          Machbarkeit im Vordergrund, und weniger was zur ef-
                                                                             fektiveren Anwendung des Instruments wünschenswert
1. Neben den Regierungen, TUAC und BIAC erhielt OECD Watch das               und erforderlich gewesen wäre.
Recht, einen Antrag auf Klärung und Interpretation der Leitsätze sowie
zur Bewertung der Arbeitsweise einer nationalen Kontaktstelle beim
Investitionsausschuss zu stellen. Dadurch wurde nicht nur dem Be-
deutungszuwachs der NGOs als relevante Stakeholder sowie der kon-            2. In 35 der 42 Teilnehmerländer existieren Nationale Menschenrechts-
struktiven Arbeit des Netzwerkes in den vergangenen Jahren Rechnung          institutionen, von denen auch einige ein Mandat zur Annahme von Be-
getragen, sondern auch die Beteiligungsrechte im Bereich Entwicklung         schwerden gegenüber Unternehmen besitzen. Daher wäre eine Erörte-
und Wirtschaft bei der OECD auf den Stand der üblichen Praxis von in-        rung sowohl von Synergien beim möglichen parallelen Umgang mit Fällen
ternationalen Organisationen gebracht.                                       als auch bei der Öffentlichkeitsarbeit zu den Leitsätzen sinnvoll (ICC 2011).

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        4.1 Die Ausweitung des Geltungsbereichs                                     Die Intensität der verlangten Sorgfaltspflicht und die
           der Leitsätze – Sorgfaltspflicht als Kern                                konkreten Schritte bei einem festgestellten Risiko wer-
                der Unternehmensverantwortung                                       den allerdings an den Kontext der betreffenden Ge-
                                                                                    schäftstätigkeit, die Größe des Unternehmens oder den
Die ersten beiden Kapitel zu den »Begriffen und Grund-                              Schweregrad der negativen Auswirkungen geknüpft.
sätzen« sowie zu den »Allgemeinen Grundsätzen« der                                  Zudem wird anerkannt, dass der Fähigkeit der Unterneh-
Leitsätze zeigen, dass das Instrument für Unternehmen                               men, einen Einfluss auf das Verhalten ihrer Geschäfts-
aus allen Sektoren gilt, so auch für Finanzinstitutionen.3                          partner auszuüben, in der Praxis Grenzen gesetzt sein
Dies kann als Korrektur der bisherigen Praxis verstan-                              können. Dennoch geben die Leitsätze im Vergleich zum
den werden, da einige Kontaktstellen Fälle mit Bezügen                              früheren Text zahlreiche konstruktive Hinweise auf »an-
zu diesem Sektor von der Behandlung ausgeschlossen                                  gemessene Antworten« zu Risiken in der Zulieferkette.
hatten (FIDH 2010). Während die Leitsätze in der Praxis
bislang auf grenzüberschreitende Investitionstätigkeiten                            Insgesamt bedeutet die Ausweitung der materiellen
und investitionsähnliche Aktivitäten der Unternehmen                                Reichweite der Leitsätze einen großen Schritt nach vor-
beschränkt wurden, gelten sie nun für alle Geschäfts-                               ne, da das Instrument nun auch den existierenden Pro-
beziehungen und unterstreichen die Verantwortung für                                blembedarf im Bereich der zunehmenden wirtschaftli-
die Zulieferkette.                                                                  chen Verflechtung aufgreift. Innerhalb der letzten Dekade
                                                                                    sind die globalen Produktionsnetzwerke, Lieferketten und
Kern des neuen Verpflichtungskanons stellt die Veranke-                             Handelsbeziehungen immer komplexer geworden, sodass
rung einer gebührenden Sorgfaltspflicht für Unterneh-                               eine klare Bestimmung oder formelle Trennung von Inves-
men (due diligence) dar. Firmen sind nun dazu verpflich-                            titionsgeschäften und anderen Unternehmensaktivitäten
tet, Vorkehrungen zu treffen, durch die ihre Aktivitäten                            kaum mehr vorzunehmen war. Zudem hätte der weite-
keine negativen Auswirkungen bezüglich der in den                                   re faktische Ausschluss wichtiger Teilbereiche der Wirt-
Leitsätzen behandelten Aspekte verursachen oder zu                                  schaftsbeziehungen die Leitsätze als Mediationstool für
diesen beitragen.4 Potentiell negative Auswirkungen der                             strittige Fragen gänzlich irrelevant erscheinen lassen.
Unternehmenstätigkeit sind im Rahmen einer Risikoana-
lyse zu identifizieren und durch Prävention und Abhilfe                             Die Praxis seitens einiger Kontaktstellen, die Anwendung
anzugehen. Ferner sind bereits entstandene Schäden zu                               der Leitsätze auf einen Investitionsbezug und damit auf
minimieren und entsprechende Wiedergutmachungs-                                     Fälle mit hinreichendem Einfluss der multinationalen Un-
maßnahmen zu ergreifen.                                                             ternehmen auf die Geschäftspartner zu beschränken,
                                                                                    war aus verschiedenen Gründen nicht mehr zeitgemäß
Von zentraler Bedeutung ist darüber hinaus, dass die ver-                           und zuvor stets umstritten gewesen.
langten Präventions- und Abhilfemaßnahmen sich nicht
nur auf das Kerngeschäft der Unternehmen beziehen,                                  Erstens hatte die allgemeine Mitteilung des damaligen
sondern ebenfalls auf die Beziehungen zu Dritten, mit de-                           Investitionsausschusses von 2003, die den investiven
nen sie über ihre Beziehungen, Produkte oder Dienstleis-                            Bezug als speziellen Anwendungskontext der Leitsätze
tungen in Verbindung stehen. Die Unternehmen sind dazu                              festschrieb und sich dabei auf die Kopplung der Leitsät-
angehalten, ihre Einflussmöglichkeiten zu nutzen, um auf                            ze mit der OECD-Erklärung über internationale Investi-
deren Verhalten einzuwirken, auch wenn sie selbst nicht                             tionen und multinationale Unternehmen berief, nie den
direkt zu negativen Auswirkungen beigetragen haben.                                 Status einer offiziellen Klarstellung (clarification) zu den
                                                                                    Leitsätzen; und zweitens wurde die Einschränkung stets
3. Dieser Beitrag verzichtet auf die Unterscheidung zwischen den offi-              nur selektiv angewandt – insbesondere die deutsche
ziellen Bestimmungen der Leitsätze und den beigefügten Erläuterungen                Kontaktstelle lehnte mehrere Fälle aufgrund eines feh-
zu den Inhalten und Umsetzungsverfahren und zieht beide Teile zur In-
terpretation des Sinngehalts der Vorgaben heran. Zum Rechtsstatus der               lenden Investitionsbezuges ab. Gleichwohl haben ande-
Leitsätze sowie zur Bedeutung der Einbettung in ein umfassendes Paket               re Kontaktstellen – bspw. in Norwegen, Schweden oder
von anderen Instrumenten, wie der OECD-Erklärung über internationale
Investitionen und multinationale Unternehmen siehe Utz (2006).                      Belgien – in der Vergangenheit jedoch Fälle zu Dienst-
4. Das Prinzip der Sorgfaltspflicht gilt für alle Themenkapitel der Leitsätze       leistungen, Handelsbeziehungen und Kreditfinanzierun-
außer für die Bereiche Wissenschaft und Technik, Wettbewerb und Steu-
                                                                                    gen als relevant eingestuft und behandelt (OECD Watch
er. Für eine angemessene menschenrechtliche Risikoanalyse wurden über
die allgemeinen Vorgaben hinaus spezifische Bestimmungen erarbeitet.                2010). Darüber hinaus entsprach die enge Interpretation

                                                                                5
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der Vorgaben in der Praxis nicht mehr dem state of the           tels zur menschenrechtlichen Verantwortung von Un-
art, da insbesondere große multinationale Unternehmen            ternehmen einen großen Fortschritt dar. Das Kapitel
in ihren firmeneigenen Kodizes die Verantwortung für             definiert die Verantwortung von Unternehmen für alle
die Zulieferkette bereits weitreichender auslegten.              Menschenrechte in sechs Abschnitten und orientiert sich
                                                                 dabei an den Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für
Aus diesem Grund ist eine einheitliche Auslegung zur             Wirtschaft und Menschenrechte (Ruggie 2011).
Reichweite der Leitsätze – wie jetzt über die Veranke-
rung des Grundprinzips der Sorgfaltspflicht vorgenom-            Die Leitsätze halten Unternehmen dazu an, negative
men – zu begrüßen. Insbesondere mit Blick auf die                Menschenrechtsauswirkungen in Bezug auf ihr eigenes
Betroffenen von Unternehmensentscheidungen ist der               Handeln und die Beziehungen zu Dritten zu identifizie-
Paradigmenwechsel hinsichtlich der empfohlenen Ver-              ren, zu verhindern und zu lindern, begangene Verletzun-
antwortungsübernahme seitens der Unternehmen zu                  gen wieder gutzumachen sowie Rechenschaft über ihre
unterstützen – weg von der formalen »Einflusssphäre«             Menschenrechtsperformance abzulegen.
einer Firma hin zur Konzentration auf potentielle und
tatsächliche Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit              Das Regelwerk schreibt den Respekt von menschen-
oder den Beziehungen zu Dritten. Insgesamt stellt die            rechtlichen Standards unabhängig von der Fähigkeit
proaktive Sorgfaltspflicht als neue Grundlage für ver-           oder dem Willen der Gastlandregierung vor – eine Ver-
antwortliches unternehmerisches Handeln konzeptionell            bindung, die der alte Text noch als Orientierungslinie
einen wichtigen Zugewinn dar.                                    gezogen hatte. Auch auf den möglichen Zielkonflikt
                                                                 zwischen nationalen Gesetzen und den Standards in
Ebenso ist die Verankerung einer neuen Klausel zum               den Leitsätzen wird nun eingegangen. Unternehmen
qualifizierten Austausch von Unternehmen mit ihren               sollen im Konfliktfall auf bestmögliche gesetzeskonfor-
Anspruchsgruppen (Stakeholder engagement) positiv                me Art und Weise auf die Einhaltung der internationalen
hervorzuheben. Hierbei ist jedoch zu kritisieren, dass in-       Standards hinwirken. Als Standards werden die Allge-
ternational bereits anerkannte Prinzipien wie »Free, Prior       meine Erklärung der Menschenrechte, der UN Zivil- und
and Informed Consent«, nach welchem indigene Völker              Sozialpakt sowie die ILO-Erklärung über grundlegende
bei der Planung und Durchführung der sie betreffenden            Prinzipien und Rechte bei der Arbeit von 1998 genannt.
Vorhaben konsultiert werden müssen, keinen Eingang in            Abhängig vom Kontext sollten Unternehmen darüber
das Regelwerk gefunden haben. Sicher bestand die He-             hinaus den normativen Rahmen achten, den weitere
rausforderung der inhaltlichen Überarbeitung darin, den          UN-Standards zu Rechten von indigenen Völkern, Min-
schmalen Grad zwischen zu pauschalen oder vagen Be-              derheiten, Wanderarbeitern, Behinderten, Frauen und
stimmungen und einer zu detaillierten Regelung auszu-            Kindern aufspannen. Hinsichtlich bewaffneter Konflikte
loten. Dies ist in den meisten Bereichen auch gelungen.          soll von den Unternehmen das humanitäre Völkerrecht
Allerdings ist nicht nachvollziehbar, warum die Teilneh-         geachtet werden.
merländer der Leitsätze die Standardsetzung der multi-
lateralen Entwicklungsbanken, die Kredite an die Privat-         Um die eigene Menschenrechtsverantwortung zu er-
wirtschaft vergeben, unterlaufen und einem kohärenten            füllen, sollen Unternehmen eine Menschenrechtsstra-
Rahmen internationaler Normen zuwiderhandeln: Die                tegie (policy commitment) erarbeiten und umsetzen
Performance Standards der International Finance Corpo-           sowie angemessene Risikoanalysen (due diligence)
ration (IFC) der Weltbank verankern klar das Prinzip des         zu menschenrechtlichen Auswirkungen durchführen.
»Free, Prior and Informed Consent« für Indigene.                 Wenn Firmen feststellen, dass sie für Menschenrechts-
                                                                 verletzungen verantwortlich sind, sollten sie für Unter-
                                                                 suchung, Bestrafung und Wiedergutmachung (reme-
   4.2 Die Verantwortung für Menschenrechte                      diation) über legitime Prozesse sorgen. Hier verweisen
           und tragfähige Arbeitsbeziehungen                     die Leitsätze auf die Gerichte, staatlich-außerrechtliche
                                                                 Verfahren sowie unternehmenseigene oder gemein-
Eines der Felder, auf denen die Leitsätze bisher zu vage         sam mit Anspruchsgruppen verwaltete Beschwerde-
geblieben waren, ist der Bereich der Menschenrechte.             mechanismen, für die Mindestanforderungen formu-
Hier stellt die Integration eines eigenständigen Kapi-           liert wurden.

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Zu kritisieren ist jedoch, dass die Leitsätze nicht aus-          und ihrer Familien deckt. Hinsichtlich des Verbots von
führen, wie genau Rechenschaft über den Umgang mit                Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf wurden
menschenrechtlichen Risikolagen abzulegen ist. Hier               ILO-Empfehlungen beispielsweise hinsichtlich HIV und
wäre ein Verweis auf entsprechende Berichtspflich-                AIDS in der Welt der Arbeit integriert.
ten angemessen gewesen. NGOs gehen in ihrer Kritik
noch einen Schritt weiter und beklagen, dass nicht aus-
buchstabiert wurde, wie angemessene systematische                 4.3 Erweiterte Erwartungen im Bereich
menschenrechtliche Verträglichkeitsprüfungen (Human               Verbraucherschutz, Offenlegung von
Rights Impact Assessments) durchzuführen seien (AI                Informationen, Umweltschutz- und
2011). In Anbetracht zahlreicher Leitfäden und Ins-               Steuerfragen sowie Korruptionsbekämpfung
trumente unterschiedlicher Qualität zu diesem Bereich
stellte die Konsolidierung bestehender Methoden hin zu            Weitere Kapitel der Leitsätze wurden technisch aktua-
einer Empfehlung der Staaten jedoch eine zu hohe Er-              lisiert und punktuell erweitert.5 Erstens wurde als Ant-
wartung an den Überarbeitungsprozess dar. Wenn die                wort auf die zunehmende Bedeutung des Internets
Vorgaben zur Sorgfaltspflicht aber nicht rein appellativer        eine Klausel eingefügt, die Unternehmen zur Koope-
Natur bleiben sollen, bildet diese »weiße Stelle« aber in         ration und Austausch hinsichtlich der Informationsfrei-
der Tat eine große zukünftige Herausforderung für alle            heit im Netz anhält. Auch das Verbraucherschutzkapi-
beteiligten Akteure.                                              tel verweist nun auf Herausforderungen, die mit dem
                                                                  Online-Handel verbunden sind. Vor dem Hintergrund
Die Harmonisierung der Leitsätze mit dem auf UN-Ebene             der zunehmenden Komplexität von Märkten und Pro-
entwickelten Rahmenwerk und den Guidelines for Busi-              dukten betont die revidierte Fassung die Bedeutung der
ness and Human Rights machen die Erwartungen der                  Verbraucheraufklärung. Unternehmen sollen dazu bei-
Regierungen an den Privatsektor deutlicher und tragen             tragen, dass Verbraucher ihre Entscheidungen in voller
so zu einem kohärenten internationalen Bezugsrahmen               Sachkenntnis treffen können. Zudem wird erstmals auf
bei. Gleiches gilt für die Änderungen, die am Kapitel             besonders schutzbedürftige Verbraucher wie Kinder
über die Arbeitsbeziehungen vorgenommen wurden.                   oder ältere Menschen hingewiesen.
Dieses steht nun in Einklang mit den relevanten ILO-Ins-
trumentarien wie der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung            Zweitens wurde das Kapitel zur Offenlegung von Infor-
über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik in              mationen den Vorgaben der OECD-Grundsätze der Cor-
der Fassung von 2006.                                             porate Governance in der Fassung von 2004 angepasst.
                                                                  Zu den Aspekten der unternehmerischen Geschäftstä-
Vor dem Hintergrund der Zunahme von Arbeitnehmer-                 tigkeit, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wer-
überlassungen, prekären Arbeitsverhältnissen oder dem             den sollten, gehören neben wirtschaftlichen Daten auch
großen informellen Sektor in vielen Schwellen- und Ent-           Angaben über die soziale, ethische und ökologische Per-
wicklungsländern ist zu begrüßen, dass die Empfehlun-             formance. Als relevante Themen für eine Berichterstat-
gen zu den Arbeitsbeziehungen nun für eine größere                tung werden nun auch Treibhausgasemissionen und der
Vielfalt von Arbeitsverhältnissen gelten. Im Text der Leit-       Umgang mit Fragen der Biodiversität genannt. Drittens
sätze schlägt sich dies durch den Verweis auf die Rechte          schreibt das Umweltkapitel den Unternehmen vor, ihre
von Arbeitern (workers) und individuals in an employ-             Treibhausgasemissionen zu reduzieren, und betont ex-
ment relationship nieder – statt der zuvor aufgeführten           plizit die Notwendigkeit, die Umweltauswirkungen ihrer
Angestellten (employees).                                         Aktivitäten zu verringern und auszugleichen.

Für die Interpretation der Vorgaben in den Leitsätzen             Viertens umfassen die Vorgaben zur Korruptionsbe-
wird nun generell auf die detaillierten ILO-Instrumente           kämpfung nun die Bereiche Bestechung, Bestechlichkeit
verwiesen, beispielsweise auf Kriterien, die einem Be-            und Erpressung; die Bestimmungen zu relevanten Ma-
schäftigungsverhältnis zu Grunde liegen. Sehr fort-               nagementkontrollsystemen wurden präzisiert. Fünftens
schrittlich ist auch die neue Vorgabe, dass Unternehmen
bei ihren weltweiten Aktivitäten mindestens einen Lohn
                                                                  5. Eine Ausnahme bildet hier das Kapitel »Wissenschaft und Technolo-
zahlen sollen, der die Grundbedürfnisse der Arbeiter              gie«, bei dem nur ein Wort hinzugefügt wurde.

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BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE?

wurde im Kapitel zur Besteuerung durch eine Zusatz-             Ermessen zu organisieren.6 Dies betrifft sowohl die An-
klausel unterstrichen, dass Steuerfragen Gegenstand             siedlung bei einer oder mehreren staatlichen Stellen als
der Risikomanagementsysteme sein sollten. Im Rahmen             auch die Einbindung anderer Akteursgruppen, wie Ge-
der Überarbeitung wurde die Verpflichtung zur Mit-              werkschaften, Unternehmensverbände oder NGOs. Al-
teilung von Informationen zu Steuerzahlungen jedoch             lerdings wird nun explizit auf die Möglichkeit verwiesen,
nicht auf eine länderbezogene Rechnungslegung aus-              ein mit verschiedenen Anspruchsgruppen besetztes Bera-
geweitet. Um Verlagerungen von Unternehmensge-                  tungs- oder Aufsichtsgremium zu gründen, das den Kon-
winnen oder Missbrauch von Verrechnungspreisen zu               taktstellen in der Ausübung ihres Mandats behilflich ist.
vermeiden, wäre die Inklusion von Bestimmungen zu
»country by country reporting« jedoch sinnvoll gewe-            Zum Umgang mit Beschwerden stellt der neue Text klar,
sen. Dementsprechend zeigten sich auch NGOs über                dass parallel anhängige Gerichts- oder Verwaltungsver-
diese verbleibende Lücke mit dem Verweis auf die gel-           fahren der Annahme einer Beschwerde nicht zwingend
tende amerikanische Gesetzgebung sowie laufende                 entgegenstehen. In diesen Fällen wird darauf verwiesen,
EU-Initiativen in diesem Bereich sehr enttäuscht (OECD          den positiven Mehrwert einer Mediation seitens der
Watch 2011).                                                    Kontaktstelle zu prüfen bzw. die Gefahr einer negativen
                                                                Beeinflussung der parallelen Verfahren auszuschließen.

             5. Das Umsetzungsverfahren –                       Zum Mediationsverfahren wurden übergreifende hand-
                  »Herzstück« der Leitsätze                     lungsleitende Prinzipien sowie höhere Transparenzanfor-
                                                                derungen und Zeitvorgaben verabschiedet. Dazu zählen
Das »Herzstück« der Leitsätze stellt das verbindliche           die Bestimmungen, dass die Kontaktstellen auf unpar-
Umsetzungsverfahren über die nationalen Kontaktstel-            teiliche Weise zur Lösung von Konflikten beitragen sol-
len in den Teilnehmerstaaten dar. Darüber hinaus ist der        len und alle beteiligten Parteien gleich zu behandeln ha-
Investitionsausschuss auf Ebene der OECD für die Über-          ben (»impartial, equitable«). Zugleich soll das Verfahren
wachung und Implementierung der Leitsätze zustän-               durch klare und bekannte Prozesse vorhersagbar sein
dig. Hinsichtlich der Mandate beider Gremien wurden             und dem Geist der Leitsätze entsprechen (»predictable,
punktuell Ergänzungen vorgenommen. Abgesehen von                compatible with the Guidelines«). Mediationsbemühun-
einigen neuen Vorgaben wurden in der Regel jedoch               gen durch die Kontaktstelle können weiterhin vertrau-
Klauseln eingefügt, die keine klare Handlungsanleitung          lich bleiben, ebenso genießen gegebenenfalls sensible
enthalten, sondern stattdessen schlicht unterschiedliche        Unternehmensdaten oder sonstige ausgetauschte Infor-
Optionen aufzählen, beispielsweise zur Struktur einer           mationen Schutz.
Kontaktstelle oder zum Umgang mit Beschwerden.
                                                                Eine wesentliche Neuerung stellt jedoch die Bestimmung
                                                                dar, die Ergebnisse der Konsultationen stets zu veröffent-
    5.1 Neue Handlungsanleitung für nationale                   lichen. Dies gilt sowohl für die Gründe einer Beschwer-
       Kontaktstellen, Förderagenda der OECD                    deablehnung als auch für die Fakten bei Einigung der
                                                                Parteien auf eine gemeinsame Lösung. Eine öffentliche
In Bezug auf die nationalen Kontaktstellen wurde zu-            Abschlusserklärung ist auch abzugeben, wenn die betei-
nächst der Hinweis ergänzt, dass diese seitens der Re-          ligten Parteien keine Einigung über die strittigen Fragen
gierungen mit ausreichend Ressourcen ausgestattet               erzielen konnten oder ein Unternehmen die Teilnahme
werden sollen. Zur Arbeitsweise dieser Gremien wird             am Schlichtungsverfahren verweigerte. In diesen Fällen
betont, dass diese einerseits unbefangen arbeiten sollen
                                                                6. Die vier Schlüsselkriterien für die Arbeit einer nationalen Kontakt-
(»operate in an impartial manner«), andererseits den je-        stelle – Sichtbarkeit, Zugänglichkeit, Transparenz und Rechenschafts-
weiligen Regierung angemessen rechenschaftspflichtig            pflicht – sollen die funktionelle Äquivalenz auch bei unterschiedlichem
                                                                Aufbau der Stellen in den Teilnehmerstaaten garantieren. Momentan
seien sollten.                                                  sind sechs verschiedene Ausgestaltungsformen verbreitet: 20 nationale
                                                                Kontaktstellen der Teilnehmerstaaten sind in einem einzelnen Minis-
                                                                terium angesiedelt, acht sind interministeriell verankert. Unter Einbezug
Außer der Beachtung des bereits geltenden Prinzips der          von Anspruchsgruppen existieren zwei zweigliedrige, neun dreigliedrige
                                                                und eine viergliedrige nationale Kontaktstelle; zwei Kontaktstellen besit-
»funktionalen Äquivalenz« bleibt den Regierungen je-
                                                                zen indes eine gemischte Struktur, die sowohl unabhängige Experten als
doch weiter freigestellt, ihre Kontaktstelle nach eigenem       auch Regierungsvertreter einschließt (OECD 2010b).

                                                            8
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE?

wird die Kotaktstelle angehalten, Empfehlungen zur                gilt das Ziel, zu einem einheitlichen Regulierungsniveau
Anwendung der Leitsätze zu formulieren. Im Falle einer            (»level playing field«) für Unternehmen beizutragen und
Einigung kann seitens der Parteien vereinbart werden,             neue Beitrittsländer zu den Leitsätzen zu gewinnen.
die Kontaktstelle in das Monitoring der vereinbarten Lö-
sung einzubeziehen. Wenn eine Kontaktstelle im Falle
einer Nichteinigung eigene Empfehlungen ausspricht,               5.2 Stärken und Schwächen des neuen
kann sie die Umsetzung seitens der Beteiligten nachhal-           Umsetzungsverfahrens
ten. Allerdings ist das follow-up einer Empfehlung als
Teil des Verfahrens nicht fest vorgeschrieben, sondern            Die Arbeitsweise der nationalen Kontaktstellen ist essen-
dem Ermessen der jeweiligen Kontaktstelle überlassen.             tiell, um die wirksame Umsetzung der Leitsätze zu för-
Um die Kohärenz innerhalb des Regierungshandels zu                dern. Die zukünftige Möglichkeit, die Leitsätze auch auf
stärken, werden die Kontaktstellen durch den neuen                Zuliefer- und Handelsbeziehungen anzuwenden, wurde
Text ermutigt, ihre Abschlusserklärungen auf die Rele-            bereits als großer Fortschritt herausgestellt. Darüber hi-
vanz für andere Regierungsprogramme und Politikfelder             naus ist positiv anzumerken, dass die Anforderungen an
hin zu prüfen und entsprechende staatliche Stellen über           die Verfahren hinsichtlich wichtiger Kriterien wie den
ihre Entscheidungen zu informieren.                               Transparenzerfordernissen und Zeitvorgaben präzisiert
                                                                  wurden. Dadurch wird der Prozess für Außenstehende
Der Orientierungswert für die abschließende Behand-               und beteiligte Parteien vorhersehbarer gestaltet. Da die
lung von Fällen wurde auf 12 Monate festgesetzt. Zur              Behandlung von Beschwerdefällen unter der Regie ei-
Klärung von Fällen, die in Nichtteilnehmerstaaten auftre-         ner nationalen Kontaktstelle ein außergerichtliches und
ten, werden die Kontaktstellen erneut angehalten, ein             auf einvernehmliche Lösungen abzielendes Verfahren
angemessenes Verständnis der Sachlage zu entwickeln.              darstellt, ist auch die Betonung der Komplementarität
Als hilfreich werden hierbei Anfragen genannt – bei-              einer gerichtlichen Untersuchung mit dem Vermittlungs-
spielsweise beim Heimatunternehmen oder den eigenen               verfahren ein wichtiger Schritt zu einer kohärenten An-
Botschaften im Nichtteilnehmerland –, aber auch nicht             wendung der Leitsätze in den Teilnehmerländern. Zuvor
weiter definierte »fact finding activities«.                      wurden parallele Gerichtsverfahren häufig als Grund für
                                                                  die Ablehnung von Fällen herangezogen (Utz 2006).
Einen großen Schwerpunkt legt die Neufassung der Leit-
sätze auf den Austausch und die Zusammenarbeit zwi-               Begrüßenswert ist insbesondere der erneuerte Konsens,
schen den einzelnen nationalen Kontaktstellen unterein-           dass sich die Kontaktstellen an der Informationsgewin-
ander. Dazu soll das neu aufgenommene Verfahren des               nung zu Vorfällen in Nichtteilnehmerländern beteiligen
freiwilligen Peer learning beitragen. Angedacht sind die          und somit Mediations- und Schlichtungsbemühungen
gegenseitige Evaluierung der Arbeit sowie der Austausch           nicht nur auf den Aussagen der beteiligten Parteien be-
zu spezifischen Themen. Dieses gemeinsame Lernen zu               ruhen sollen.
forcieren, ist Teil der neuen Förderagenda (»proactive
agenda«), die dem Investitionsausschuss sowie dem Se-             Obwohl Befragungen von Unternehmen ergeben, dass
kretariat der OECD aufgetragen wird. Das Sekretariat              die Leitsätze seitens der Wirtschaft als Referenzgröße
soll zukünftig als zentrale Anlaufstelle für alle Fragen zu       genutzt werden, muss das Regelwerk bekannter wer-
den Leitsätzen fungieren und u. a. Trainingsseminare zu           den, um sein volles Potential zu entfalten. Aus diesem
den Umsetzungsverfahren der Leitsätze anbieten. Fer-              Grunde ist die beschlossene Förderagenda auf Ebene
ner wurde der Aufbau einer aktuellen Datenbank fest-              der OECD sehr zu begrüßen.7 Auch die Entwicklung ei-
geschrieben, die mit der Entwicklung eines einheitlichen          ner Datenbank zu den Eingaben bei Kontaktstellen geht
Berichtsformats zur Meldung von Beschwerdefällen an
den Ausschuss verbunden sein soll.
                                                                  7. Eine Umfrage unter 89 europäischen börsennotierten Unternehmen
                                                                  aus dem Jahr 2008 ergab, dass die Ansätze der Firmen im Bereich Corpo-
Ein weiterer Schwerpunkt der Agenda liegt auf der För-            rate Social Responsibility (CSR) zu 92 % auf dem UN-Global Compact, zu
                                                                  64 % auf der ILO-Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen
derung der Bekanntmachung der Leitsätze bei den Un-               und Sozialpolitik und zu 55 % auf den OECD-Leitsätzen basierten oder
                                                                  von diesen geprägt wurden. 85 % gaben an, dass sich die Leitsätze für
ternehmen als Regelungsadressaten und insbesondere
                                                                  die Berichterstattung zur sozialen Unternehmensverantwortung gegen-
im Hinblick auf die Nichtteilnehmerländer. Mittelfristig          über Anspruchsgruppen eignen (Hohnen 2009).

                                                              9
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE?

ein bisheriges Defizit an, da bislang kein umfassendes                    wurde auch bei festgestellten Verstößen gegen die Leit-
offizielles Register über die Beschwerdefälle im Rahmen                   sätze keine Verhängung von Sanktionen auf Ebene der
der Leitsätze existiert. Grundsätzlich ist die stärkere Rolle             OECD festgesetzt – auch wenn dies effektive Anreize für
des Investitionsausschusses sowie des OECD-Sekretari-                     die Regeleinhaltung geschaffen hätte. Allerdings hindert
ats mit der Hoffnung verbunden, die zukünftige Anwen-                     diese Entscheidung die einzelnen Teilnehmerländer nicht
dung der Leitsätze in der Praxis fortlaufend auf hohem                    daran, derartige Maßnahmen auf anderem Wege zu ko-
Niveau zu vereinheitlichen. Hierzu können nicht nur sei-                  difizieren und somit zur Förderung der Wirksamkeit der
tens des Ausschusses organisierte Dialogforen oder die                    Leitsätze beizutragen. So heißt es in den modifizierten
jährliche Prüfung der Aktivitäten der 42 Kontaktstellen                   Leitsätzen ausdrücklich: »Observance of the Guidelines
dienen, sondern auch die Auslegung der Leitsätze auf                      by enterprises is voluntary and not legally enforceable.
multilateraler Ebene. Einzelne Teilnehmerstaaten, NGOs                    Nevertheless, some matters covered by the Guidelines
und Gewerkschaften können einen solchen Prozess                           may also be regulated by national law or international
durch die Nutzung des Antragsverfahrens zur Prüfung                       commitments« (OECD 2011a: 15).
einer konkreten Frage auf multilateraler Ebene forcieren.
                                                                          Nur sehr vage wird im neuen Text eine Richtung ange-
Dennoch verbleiben zentrale Schwächen im Umset-                           deutet, die den Leitsätzen mehr »Biss« verleihen könnte:
zungsverfahren. Die enormen Abweichungen in der                           die Ergebnisse von konkreten Beschwerdefällen sollen
organisatorischen Ausgestaltung der nationalen Kon-                       nun an andere Regierungsstellen kommuniziert werden.
taktstellen widersprechen dem Prinzip der »funktiona-                     Einen wirklichen Anreiz zur Regeleinhaltung würde je-
len Äquivalenz« und schaden der effektiven Umsetzung                      doch vor allem die klare Kopplung von Instrumenten der
und Glaubwürdigkeit der Leitsätze. Potentielle Interes-                   Außenwirtschaftsförderung an die Einhaltung der Leit-
senkonflikte durch eine weiterhin erlaubte Ansiedlung                     sätze darstellen, was auf nationaler Ebene sichergestellt
der Kontaktstelle bei einer einzigen Regierungsstelle, die                werden müsste. In Deutschland werden die Unterneh-
gleichzeitig für die Wirtschaftsförderung und den Au-                     men, die sich für Investitionsgarantien bewerben, zwar
ßenhandel zuständig ist, wurden nicht ausgeschlossen.                     über die Leitsätze informiert; um die Wirksamkeit der
                                                                          Leitsätze zu erhöhen, wäre allerdings eine stärkere Kon-
Für eine übergreifendere Struktur der Kontaktstelle                       ditionalisierung vonnöten, wie sie beispielweise in den
spricht das neu festgesetzte Prinzip der Überparteilich-                  Niederlanden Praxis ist. Dort müssen sich Unternehmen
keit bei der Vermittlung im Konfliktfall. Auch empirische                 zur bestmöglichen Einhaltung der Leitsätze verpflichten,
Studien zur Praxis der Leitsätze haben gezeigt, dass                      um Exportbürgschaften oder Investitionsgarantien zu er-
nationale Kontaktstellen mit einer Struktur, die Sozial-                  halten (OECD 2010b).
partner und Zivilgesellschaft einbindet, im Rahmen von
Beschwerdefällen eine erhöhte Aufmerksamkeit für die                      Unverständlich bleibt die Tatsache, dass keine Kriterien
Problemlage zeigten und im Vergleich zu anderen Kon-                      hinsichtlich der Aussagekraft der Abschlusserklärun-
taktstellen ein breiteres Spektrum an Aktivitäten zur Lö-                 gen im Falle einer Nichteinigung festgesetzt wurden.
sung der vorliegenden Streitfrage aufwiesen (Utz 2006).                   Hier haben sich eindeutig die Interessen der Wirtschaft
Darüber hinaus können Aufsichtsgremien dazu dienen,                       durchgesetzt, die eine Bewertung des vorliegenden Un-
die Glaubwürdigkeit des Verfahrens zu steigern. In die-                   ternehmensverhaltens durch die Kontaktstellen als un-
sem Zusammenhang ist beispielsweise die britische Pra-                    vereinbar mit dem Ziel der Mediation und dem Charak-
xis richtungsweisend, wo die interministeriell verankerte                 ter der Leitsätze ansieht (BIAC 2011).
Kontaktstelle ein Steering Committee aus Vertretern
aller Anspruchsgruppen besitzt, das die Arbeit der Kon-                   Dem ist entgegenzuhalten, dass die Bewertung von Fak-
taktstelle beaufsichtigt.8                                                ten und Argumenten – bei klarer Trennung der Vermitt-
                                                                          lungs- und Entscheidungsphase und nach dem Scheitern
Der freiwillige und nicht strafbewehrte Charakter der                     einer Mediation – das freiwillige Dialogverfahren sowie
Leitsätze wurde in der Überprüfung bestätigt. Analog zu                   die Soft Law-Natur der Leitsätze nicht infrage stellt. Zu-
dieser bewussten Entscheidung der Teilnehmerstaaten                       dem ist die öffentliche moralische Sanktionierung sowie
                                                                          die Äußerung von konkreten Empfehlungen zur besse-
8. http://www.bis.gov.uk/nationalcontactpoint (Zugriff 20.6.2010).        ren Normeinhaltung bereits durch das Mandat der na-

                                                                     10
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE?

tionalen Kontaktstellen gedeckt, auch wenn von dieser                                  übergreifende Orientierungsfunktion der Leitsätze.
Möglichkeit in den Jahren 2000 bis 2005 nur zaghaft                                    Insgesamt kann von einem »Upgrade« der Leitsätze ge-
Gebrauch gemacht wurde (Utz 2006). Allerdings haben                                    sprochen werden, da die Revision 2011 im Vergleich zur
die Kontaktstellen für den gesamten Zeitraum zwischen                                  früheren Version aus dem Jahr 2000 und analog zum
2000 und 2010 immerhin in 14 von 29 behandelten Fäl-                                   offiziellen Ziel der Überarbeitung ein wirksameres Re-
len, die mit einer Abschlusserklärung endeten, eine Be-                                gelwerk geschaffen hat.
wertung des Unternehmensverhaltens vorgenommen.9
                                                                                       Während vor allem bei den inhaltlichen Empfehlungen an
In der Neufassung wurde folglich die Chance vertan,                                    Unternehmen große Fortschritte erzielt werden konnten,
eine einheitliche Praxis in dieser Frage festzuschreiben                               wurden hinsichtlich der Umsetzungsverfahren bei wei-
und damit die Vorhersehbarkeit des Verfahrens – ins-                                   tem nicht alle bestehenden »grauen Zonen« und kon-
besondere für betroffene Unternehmen – zu erhöhen.                                     kurrierenden Interpretationen einer Klärung zugeführt.
Eine klare Bewertung des Unternehmensverhaltens wür-                                   Zwar wurden die Verfahrensanleitungen für die natio-
de auch einen Mehrwert für Investoren, Ranking- und                                    nalen Kontaktstellen präzisiert und verbessert, und auch
Ratingagenturen im Bereich nachhaltiger Investments                                    der OECD wird nun eine stärkere Rolle bei der Umset-
darstellen, da diese durch den Verlauf und das Ergebnis                                zung der Leitsätze zugestanden, aber dennoch konnten
der Schlichtung neue Erkenntnisse zur Bewertung von                                    wichtige Bestimmungen zur effektiveren Umsetzung der
Unternehmen gewinnen könnten.10                                                        Leitsätze nur in unzureichendem Maße verankert wer-
                                                                                       den. Da ein effektives Umsetzungsverfahren den Lack-
Darüber hinaus bleibt zu kritisieren, dass auch das ange-                              mustest für jeden normativen Standard darstellt, wiegt
messene Nachhalten einer Empfehlung seitens der Kon-                                   diese verpasste Chance schwer. Dementsprechend ist an
taktstelle nicht ausreichend kodifiziert wurde, um damit                               den politischen Willen der einzelnen Teilnehmerländer zu
den Mehrwert des Verfahrens gegenüber anderen CSR-                                     appellieren, die Durchsetzungskraft der Leitsätze zukünf-
Initiativen deutlich zu unterstreichen. Grundsätzlich er-                              tig über nationale Politiken und Praktiken weiter zu stär-
möglicht das Verfahren potentiellen Opfern den Zugang                                  ken sowie die neuen Pflichtvorgaben für die nationalen
zu Mediation in einem konkreten Fall – deren Ergebnis                                  Kontaktstellen umzusetzen bzw. nicht zu unterlaufen.
sollte aus Fairness gegenüber allen Parteien dann auch
nicht im Sande verlaufen.                                                              Um die Leitsätze in ihrer Wirksamkeit zu stärken, besteht
                                                                                       folgender Handlungsbedarf:

                            6. Schlussbewertung und                                    Um das neue Konzept der unternehmerischen Sorgfalts-
                            Handlungsempfehlungen                                      pflicht mit Leben zu füllen, sollten verstärkt Trainingsse-
                                                                                       minare und Lernforen für Unternehmen angeboten wer-
Insgesamt ist festzustellen, dass die Verhaltensempfeh-                                den, die die Integration des Konzepts in die bestehenden
lungen für Unternehmen durch die Revision des Regel-                                   Managementprozesse fördern. Um Beliebigkeit zu ver-
werks an die gewandelten Rahmenbedingungen des                                         meiden, sollten Managementsysteme oder menschen-
globalen Wirtschaftens angepasst werden konnten.                                       rechtliche Verträglichkeitsprüfungen bestimmte Rahmen-
Zentrale neue Standards wurden ergänzt, die Kohärenz                                   bedingungen erfüllen – wie Transparenz und Einbindung
zu anderen relevanten internationalen Instrumenten                                     der Anspruchsgruppen. Über den Umgang mit sozialen,
wurde hergestellt und der breite Umfang der erfassten                                  ökologischen oder menschenrechtlichen Risiken sollte
Themen betont die allgemeingültige und branchen-                                       seitens der Unternehmen verpflichtend berichtet werden.
                                                                                       Eine einheitliche Berichterstattung wäre nicht nur der
9. http://oecdwatch.org/cases (Zugriff 20.6.2011).                                     Schlüssel zu einem »level playing field«, sondern auch zur
10. OECD Watch schreibt in diesem Zusammenhang: »Socially respon-                      Anerkennung von verantwortlichem unternehmerischem
sible investors expressed interest in using the specific instance procedures
as a basis for investment decisions. But in the absence of clear state-                Handeln durch die Verbraucher. Auch wenn die Leitsätze
ments by NCPs [National Contact Points] as to whether a company has                    hierzu keine Empfehlung enthalten, verspricht die noch
breached the Guidelines it’s difficult for SRI [socially responsible investors]
agencies to use the outcomes in their investment decisions. There was                  für dieses Jahr angekündigte Initiative der Europäischen
agreement that the instrument would need to become more of an arbi-
                                                                                       Kommission zur Nachhaltigkeitsberichterstattung wichti-
tration or adjudication system capable of resolving investment disputes
for it to be truly useful to the SRI community« (OECD Watch 2008: 6).                  ge Impulse für diesen Bereich (BMAS 2011).

                                                                                  11
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE?

Um Anreize zur Regeleinhaltung über eine Unterschei-              ten verstärkt werden, den Geltungsbereich der Leitsätze
dung zwischen guten und schlechten Performern zu set-             weiter auszudehnen und Hinderungsgründe für weitere
zen, sollte die Verwendung der Leitsätze unter Investoren,        Beitritte zu eruieren.11
Ranking- und Ratingagenturen im Bereich nachhaltiger
Anlagen gefördert werden. Richtungsweisend erweist                Um die Leitsätze in ihrer Wirksamkeit zu stärken, besteht
sich hier ein gemeinsames Projekt von OECD Watch und              auch auf nationaler Ebene in Deutschland Handlungsbe-
dem European Social Investment Forum (Eurosif), das zur           darf.
Bewertung der CSR-Performance eines Unternehmens
bereits Indikatoren und Leitfragen analog zu den Inhalten         Da die Praxis der deutschen Kontaktstelle in den ver-
der Leitsätze entwickelt hat (OECD Watch 2008).                   gangenen Jahren stets umstritten war, sollte die Bun-
                                                                  desregierung die Gelegenheit nutzen, im Rahmen der
Zur Umsetzung der normativen Vorgabe, dass Unterneh-              abgeschlossenen Überarbeitung der Leitsätze auch die
men einen existenzsichernden Lohn zahlen sollen, ist die          Struktur, Arbeitsweise und Ressourcenausstattung der
Unterstützung von branchenspezifischen oder regiona-              Kontaktstelle zu überdenken, um zu best practices ande-
len Pilotprojekten sowie der Austausch zwischen der Pri-          rer Teilnehmerländer, wie den Niederlanden oder Groß-
vatwirtschaft, Zivilgesellschaft und den Gewerkschaften           britannien, aufzuschließen. Hierzu sollte möglichst bald
zu diesem Thema zielführend. Um die Rolle der Leitsätze           ein Peer review vorgenommen werden, um die Umset-
für den Opferschutz zu stärken, wäre zukünftig darauf zu          zung der Leitsätze in Deutschland nach Vorbild der Über-
achten, auch lokale oder direkt betroffene Gemeinschaf-           prüfung der niederländischen Kontaktstelle im Jahr 2009
ten in die genannten »Aktivitäten zur Sachverhaltserfas-          zu evaluieren. Von zentraler Bedeutung bleibt es, poten-
sung« zu einer Streifrage einzubeziehen. Daran sollten            tielle Interessenkonflikte bei der Arbeit der deutschen
vorbildliche Maßnahmen der nationalen Kontaktstellen              Kontaktstelle zukünftig zu vermeiden und dem Prinzip
zukünftig gemessen werden. Zugleich ist sicherzustellen,          der Unparteilichkeit nachzukommen. Darüber hinaus gilt
dass diesen Gremien für solche Aktivitäten genug Res-             es, die Transparenz des Verfahrens bei der deutschen
sourcen zur Verfügung stehen.                                     Kontaktstelle zu fördern und den Austausch mit unter-
                                                                  schiedlichen Anspruchsgruppen zu stärken, der bisher im
Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sollten              Rahmen eines »Arbeitskreises zu den Leitsätzen« nur in
bei der Umsetzung der Leitsätze unterstützt werden.               niedriger Intensität stattgefunden hat.
Diesem Ziel hat sich auch die Förderagenda auf Ebene
der OECD verschrieben. Daher sollte das Arbeitspro-               Um den aktuellen Vorgaben in den Leitsätzen – wie die
gramm rasch mit konkreten Inhalten gefüllt werden und             erwünschte eigene Sachverhaltserfassung im Streitfall –
auch die seitens des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe des           gerecht zu werden, sollte die deutsche Kontaktstelle mit
Investitionsausschusses zur Revision herausgegriffenen            ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen
offenen Themen berücksichtigen. Die ausreichende Fi-              ausgestattet werden. Um den Zugang von Betroffenen
nanzierung der Förderagenda ist sicherzustellen, die von          zum Schlichtungsverfahren im Zusammenhang mit deut-
den Gewerkschaften ins Spiel gebrachte Gründung einer             schen Unternehmen zu erleichtern, als auch vorgebrachte
neuen Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Leitsätze inner-            strittige Sachlagen im Ausland zu eruieren, sollten auch
halb der OECD zu prüfen (TUAC 2011).                              die deutschen Botschaften im Ausland verstärkt in eine
                                                                  Umsetzung einbezogen werden.
Im Rahmen des Überarbeitungsprozesses ist positiv he-
rauszustellen, dass das Ziel, die Leitsätze zu verbreiten,        Aus menschenrechtlicher Perspektive besteht die Not-
nicht gegen die Weiterentwicklung des Instruments aus-            wendigkeit, die öffentliche Beschaffung und Vergabe
gespielt wurde. Da Investitionsströme aus den Schwel-             von Exportkrediten, Kreditbürgschaften und Investi-
lenländern in andere Staaten zugenommen und Unter-                tionsgarantien an Unternehmen konsequent mit Sozial-,
nehmen aus dieser Ländergruppe damit stark an Gewicht
gewonnen haben, verbleibt gleichwohl die Herausforde-
                                                                  11. Möglicherweise liegen die Hinderungsgründe für weitere Länder-
rung, die Leitsätze auf weitere Länder – wie etwa Indien,         beitritte in Vorbehalten gegenüber der mit den Leitsätzen verbundenen
                                                                  Investitionserklärung, die sowohl Prinzipien der Inländerbehandlung von
China oder Russland – auszuweiten. Folglich sollte das
                                                                  Unternehmen unter ausländischer Kontrolle als auch die Vermeidung wi-
Engagement seitens der OECD und der Teilnehmerstaa-               dersprüchlicher Auflagen für Unternehmen vorsieht.

                                                             12
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