Update oder Upgrade? Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen
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INTERNATIONALE POLITIKANALYSE Update oder Upgrade? Eine Bilanz zur Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen BRITTA UTZ Juni 2011 n Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen sind ein Verhaltenskodex für weltweit verantwortliches Handeln von Unternehmen, zu dessen Umsetzung sich 42 Regierungen verpflichtet haben. Am 25. Mai 2011 wurde eine neue Fassung der Leit- sätze verabschiedet. n Die Empfehlungen für gute Geschäftspraktiken in den Leitsätzen gelten nun für alle Unternehmen und unterstreichen die Verantwortung für die Zulieferkette. Das Prin- zip der Sorgfaltspflicht für Unternehmen sowie ein Kapitel zur menschenrechtlichen Verantwortung des Privatsektors stellen konzeptionell wichtige Zugewinne dar. n Positive Veränderungen gab es zudem hinsichtlich der Umsetzungsverfahren der Leitsätze über nationale Kontaktstellen und ein Beschwerde- und Schlichtungsver- fahren. Jedoch wurden wichtige Bestimmungen zur effektiveren Umsetzung der Leitsätze nur in unzureichendem Maße verankert. Diese verpasste Chance wiegt schwer, da Regeln für Unternehmen nur mit effektiven Maßnahmen zur Umsetzung und ausreichenden Anreizstrukturen zur Regeleinhaltung Einfluss entfalten können. n Daher ist an den politischen Willen der Teilnehmerländer zu appellieren, die Durch- setzungskraft der Leitsätze über nationale Politiken weiter zu stärken. In Deutsch- land sollte die Struktur und Arbeitsweise der nationalen Kontaktstelle überprüft und verbessert werden. Einen wirksamen Anreiz zur Regeleinhaltung stellt die Kopplung der Außenwirtschaftsförderung an die Einhaltung der Leitsätze dar. Die Bundesre- gierung sollte sich für eine stärkere Bekanntmachung sowie Verbreitung des Regel- werks auf weitere Teilnehmerländer einsetzen.
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? Inhalt 1. Einleitung�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������2 2. Der Reformbedarf der OECD-Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3. Der Verhandlungsprozess im Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 4. Exaktere Orientierungshilfe für gutes Unternehmensverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . 4 4.1 Die Ausweitung des Geltungsbereichs – Sorgfaltspflicht als Kern der Unternehmensverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 4.2 Die Verantwortung für Menschenrechte und tragfähige Arbeitsbeziehungen. . . . . . . . 6 4.3 Erweiterte Erwartungen im Bereich Verbraucherschutz, Offenlegung von Informationen, Umweltschutz- und Steuerfragen sowie Korruptionsbekämpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 5. Das Umsetzungsverfahren – »Herzstück« der Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 5.1 Neue Handlungsanleitung für nationale Kontaktstellen, neue Förderagenda der OECD. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 5.2 Stärken und Schwächen des revidierten Umsetzungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 6. Schlussbewertung und Handlungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? 1. Einleitung staatliche nationale Kontaktstellen als auch gesellschaft- liche Akteure einbindet. Dementsprechend bieten die In den vergangenen Wochen und Monaten stand das Leitsätze für die Betroffenen von Unternehmensaktivitä- Thema der sozialen, ökologischen und menschenrecht- ten eine der wenigen Möglichkeiten, eine außergericht- lichen Verantwortung von Unternehmen sehr weit oben liche Individualbeschwerde gegen diese Unternehmen zu auf der internationalen Agenda. Sowohl die Vereinten führen. In Bezug auf strittiges Unternehmensverhalten Nationen (UN) als auch die Organisation für wirtschaft- sind die Kontaktstellen angehalten, ein Vermittlungs- liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beschäf- und Schlichtungsverfahren zwischen den beteiligten Par- tigten sich intensiv mit den Auswirkungen der grenz- teien einzuleiten. überschreitenden Aktivitäten von Unternehmen sowie den bestehenden Regulierungslücken in diesem Bereich Das Potential dieses auf multilateraler Ebene verein- und haben ihre Ansätze zur Förderung einer globalen barten und einzigartigen Beschwerdeverfahrens für Unternehmensverantwortung weiterentwickelt. den Opferschutz kann – trotz aller Ernüchterung in der Praxis der vergangenen zehn Jahre – nicht hoch genug Am 16. Juni 2011 verabschiedete der UN-Menschen- eingeschätzt werden. Dies gilt insbesondere vor dem rechtsrat neue Leitgrundsätze für die menschen- Hintergrund, dass sich der UN-Menschenrechtsrat zur rechtliche Verantwortung von Unternehmen (Guiding Implementierung des UN-Rahmenwerks und der Gui- Principles for Business and Human Rights), die der UN- ding Principles for Business and Human Rights für eine Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte Arbeitsgruppe ohne Mandat zur Behandlung von indivi- in den vergangenen sechs Jahren seines Mandats erar- duellen Eingaben entschieden hat (HRW 2011). beitet hatte. Diese Leitprinzipien sollen zur Umsetzung des zuvor bereits vom Menschenrechtsrat angenom- Dieser Beitrag untersucht die Leitsätze in ihrer Neufas- menen UN-Referenzrahmens »Protect, Respect, Reme- sung von 2011 und ihren Beitrag zur Förderung einer dy« beitragen, der sowohl die staatliche Schutzpflicht verantwortungsvollen grenzüberschreitenden Unterneh- und die Unternehmensverantwortung für Menschen- menstätigkeit. Dabei werden sowohl der Verhandlungs- rechte als auch den Zugang von Opfern von Unterneh- verlauf als auch die wesentlichen Ergebnisse der Revi- mensaktivitäten zu Wiedergutmachung thematisiert. sion des Regelwerks hinsichtlich seiner inhaltlichen Be- stimmungen und Umsetzungsverfahren analysiert sowie Anlässlich ihrer 50-Jahr-Feier hatte die OECD schon eini- die Bezüge zu den parallel entwickelten Arbeitsansät- ge Wochen zuvor, am 25. Mai 2011, ihre überarbeiteten zen des UN-Sonderbeauftragten John Ruggie heraus- Leitsätze für multinationale Unternehmen in Paris vorge- gestellt. Abschließend werden die Herausforderungen stellt (OECD 2011a). Diese enthalten die gemeinsamen und Handlungsempfehlungen skizziert, die bei einer Empfehlungen der gegenwärtig 42 Unterzeichnerstaa- zukunftsweisenden Anwendung des Instruments zu be- ten für gute unternehmerische Praxis und richten sich achten sind. an alle multinationalen Unternehmen, die in oder von den Teilnehmerländern aus operieren. Die Prinzipien und Standards in den Leitsätzen umfassen die Bereiche 2. Der Reformbedarf der Leitsätze Arbeits- und Sozialstandards, Menschenrechte, Um- welt, Verbraucherinteressen, Transparenz, Korruptions- Bislang wurden die bereits 1976 von der OECD verab- bekämpfung, Wettbewerb und Besteuerung sowie Wis- schiedeten Leitsätze fünf Mal überarbeitet. Zuletzt ei- sens- und Technologietransfer. nigten sich die Teilnehmerländer (neben den 34 OECD- Mitgliedstaaten auch Ägypten, Argentinien, Brasilien, Aufgrund der Beteiligung der Regierungen an die- Lettland, Litauen, Marokko, Peru und Rumänien) im Mai sem für Unternehmen freiwilligen Instrument wird den 2010 darauf, eine Neufassung des Regelwerks zu ver- OECD-Leitsätzen im Vergleich zu anderen Initiativen für handeln. Um die Relevanz des Instruments und seine Unternehmensverantwortung ein hoher normativer Ver- führende Rolle bei der Förderung einer verantwortlichen pflichtungscharakter zugeschrieben. Zudem sehen die Unternehmensführung weiterhin zu gewährleisten, war Leitsätze eine Überwachung der Einhaltung durch ein ein »Update« der Leitsätze seit der letzten Revision im Umsetzungs- und Beschwerdeverfahren vor, das sowohl Jahr 2000 notwendig geworden. 2
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? Konsens bestand darüber, dass das Instrument nicht nur Auch John Ruggie, der UN-Sonderbeauftragte für Wirt- die in den vergangenen zehn Jahren neu entwickelten schaft und Menschenrechte verwies mehrfach auf den Referenzstandards für Unternehmen integrieren solle, Reformbedarf der Leitsätze. Seiner Ansicht nach ist vor sondern ebenfalls Antworten auf aktuelle Herausfor- allem die seit 2003 vorherrschende Praxis, den Geltungs- derungen wie den Klimaschutz oder die sich wandeln- bereich der Leitsätze ausschließlich auf grenzüberschrei- den Produktions-, Investitions- und Konsummuster der tende Investitionstätigkeiten (Investment Nexus) zu be- Weltwirtschaft geben müsse. Darüber hinaus waren die grenzen, und damit u. a. die Ablehnung von ungefähr Forderungen nach einer Überarbeitung der Leitsätze von 40 % der vorgebrachten Fälle zu begründen, äußerst den Erfahrungen mit der vergangenen Wirtschafts- und problematisch. Darüber hinaus sah Ruggie sowohl hin- Finanzkrise geprägt, deren Folgen die Notwendigkeit sichtlich der Verankerung der menschenrechtlichen Ver- eines effektiven globalen Ordnungsrahmens sowie ethi- antwortung von Unternehmen als auch bezüglich der scher Standards für verantwortungsvolles Wirtschaften Festsetzung von einheitlichen Mindeststandards zur aufgezeigt hatten. Arbeitsweise der Kontaktstellen ein deutliches Verbes- serungspotential. Insbesondere bei der institutionellen Ein wesentlicher Grund für den zunehmend lauter ge- Verankerung dieser Streitschlichtungsgremien in den wordenen Ruf nach einer gründlichen Überarbeitung Ministerien bzw. Abteilungen für Wirtschaftsförderung des Regelwerks lag aber auch darin, dass die Arbeit der und Außenhandel – wie beispielweise auch in Deutsch- Kontaktstellen im Umgang mit Beschwerden innerhalb land – verwies er auf einen potentiellen Interessenkon- der unterschiedlichen Teilnehmerländer stark variierte und flikt (Ruggie 2010a). zahlreiche Inkonsistenzen in der praktischen Auslegung aufwies. Die teilnehmenden Staaten waren daher überein- In Bezug auf die deutsche Verhandlungsposition im gekommen, dass es zur erhöhten Wirksamkeit der Leitsät- Überarbeitungsprozess forderten die drei Oppositions- ze besserer Anleitungen für das Verhalten und die Aktivitä- parteien die Bundesregierung im Deutschen Bundestag ten der nationalen Kontaktstellen bedürfe (OECD 2010a). auf, sich für einen wirksamen Sanktionsmechanismus bei Verstößen einzusetzen sowie die Vergabe von staat- Insbesondere die Arbeit der Kontaktstellen im Falle von lichen Exportkrediten an die Einhaltung der Leitsätze zu Beschwerden wurde bislang als wenig überzeugend koppeln (Deutscher Bundestag 2010, 2011a/b). angesehen. So zogen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Gewerkschaften, die im Zeitraum zwischen Wirtschaftsverbände verwiesen darauf, dass die Über- 2001 und 2010 insgesamt 213 Fälle strittigen Unterneh- arbeitung der Leitsätze vor allem zu einer größeren mensverhaltens zur Klärung bei den nationalen Kontakt- Rechtssicherheit sowie zu einer klaren Abgrenzung stellen eingereicht hatten, eine gemischte bis kritische zwischen den Dialogprozessen vor nationalen Kontakt- Bilanz des Schlichtungsverfahrens. stellen und den juristischen Verfahren beitragen müsse. Die Grundsätze des Regelwerks sollten weiterhin nur Neben einigen Erfolgsmeldungen bei der Konfliktlösung Investitionsgeschäfte betreffen. Grundsätzlich wurde wurde besonders bemängelt, dass die Kontaktstellen bei darauf aufmerksam gemacht, dass die Wirkung des Re- Eingaben gänzlich untätig blieben oder ihren Verpflich- gelwerks in erster Linie durch die Verbreitung der Leit- tungen hinsichtlich Zugänglichkeit, Transparenz und Rech- sätze erreicht werden könne, anstatt durch ihre inhalt- enschaftspflicht in vielen Fällen nicht nachgekommen liche Verschärfung. Zudem warnten die Verbände davor, waren. So wurden Beschwerden beispielsweise ohne Be- die Leitsätze zu überfrachten und damit den künftigen gründung abgelehnt oder unverhältnismäßig lange bear- Beitritt zusätzlicher Länder zu erschweren. Insbesondere beitet. Weitere Kritikpunkte umfassten die beschränkten für kleine und mittlere Unternehmen wurde die Auswei- Auswirkungen der Aktivitäten auf die Konfliktlösung so- tung von Unterstützungs- und Beratungsangeboten ge- wie die zu zaghafte Nutzung der Möglichkeit, strittiges fordert, um die Anwendung der Leitsätze zu erleichtern Unternehmensverhalten in einer öffentlichen Abschlusser- (BDA 2010). klärung formal zu bewerten. Kritisch wurden die Leitsätze auch deshalb gesehen, weil sie in erster Linie empfehlen- Die unterschiedlichen Forderungen aus Politik und Wirt- den Charakter haben und keine Konsequenzen bei der schaft zeigen, dass die Ansprüche an die Novellierung Feststellung von Verstößen vorsehen (OECD Watch 2010). der Leitsätze sowie der Handlungsdruck auf die beteilig- 3
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? ten Regierungen schon zu Beginn des Überarbeitungs- zung der Leitsätze.2 Auch die Sammlung von Referenz- prozesses beträchtlich waren. Hinsichtlich vieler Fragen dokumenten zu den Leitsätzen konnte innerhalb der 12 konnten in den Verhandlungen Kompromisse erzielt Monate nicht abgeschlossen werden (OECD 2011b). werden, die in den nächsten Abschnitten analysiert und bewertet werden. Die OECD konnte ihren eigenen Ansprüchen in der Kür- ze der Zeit also nicht voll gerecht werden, sodass für den Investitionsausschuss viel Arbeit beim follow-up der 3. Der Verhandlungsprozess im Überblick Überarbeitung verbleibt. Darüber hinaus ist zu kritisie- ren, dass von offizieller Seite keine Anhörungen für die Der Überarbeitungsprozess war geprägt von einer gro- interessierte Öffentlichkeit organisiert wurden. Eine über ßen Offenheit gegenüber den Beiträgen verschiedener die Expertenkreise hinausgehende Debatte zur Revision nichtstaatlicher Akteure, internationaler Organisationen wäre wünschenswert gewesen – insbesondere um den sowie Persönlichkeiten wie dem UN-Sonderbeauftragten Bekanntheitsgrad der Leitsätze zu steigern. für Wirtschaft und Menschenrechte. Sowohl die beiden beratenden Ausschüsse der Gewerkschaften (TUAC) Positiv hervorzuheben ist jedoch die Integration von und der Industrie- und Arbeitgeberverbände bei der Nicht-Teilnehmerstaaten in den Verhandlungsprozess, OECD (BIAC) als auch das NGO-Netzwerk OECD Watch da die Relevanz des Regelwerks mit seiner weiteren waren eng in die Konsultationen eingebunden. Insbe- Verbreitung steht und fällt. Sechs Staaten – Costa Rica, sondere ist zu begrüßen, dass die Beziehungen des für Kolumbien, Jordanien, Serbien, Tunesien und die Ukrai- die Leitsätze zuständigen OECD-Investitionsausschusses ne – kündigten ihren Beitritt zur OECD-Investitionserklä- zu dem aus über 80 Organisationen bestehenden NGO- rung und damit auch zu den Leitsätzen an. Insbesondere Netzwerk OECD Watch im neuen Text der Leitsätze for- aufstrebende Schwellenländer wie China, Indonesien, mal institutionalisiert wurde.1 Indien, Russland, Saudi Arabien und Südafrika wurden gezielt in die Arbeitsgruppe des Investitionsausschusses Durch die Verabschiedung der Terms of Reference im zur Revision integriert, konnten bisher allerdings nicht zu Mai 2010 war der gesamte Verhandlungsprozess auf einem Beitritt bewegt werden. ein Jahr beschränkt – die Revision 2000 hatte noch zwei Jahre beansprucht –, sodass ein enormer Zeitdruck auf allen Beteiligten lastete. Dementsprechend klagten ei- 4. Exaktere Orientierungshilfe nige NGOs über die Prämisse »Tempo statt Qualität« für gutes Unternehmensverhalten sowie deren einschränkende Wirkung auf die Partizi- pation kleiner oder weniger gut organisierter Gruppen Die Neufassung der Leitsätze erbrachte weitreichen- (AI 2011). de Änderungen bezüglich der festgesetzten Standards und Prinzipien nachhaltigen Wirtschaftens. Die Über- Selbst Roel Nieuwenkamp, der Vorsitzende der Arbeits- arbeitung der inhaltlichen Vorgaben ist insgesamt eine gruppe des Investitionsausschusses zur Revision der Erfolgsgeschichte, während die Teilnehmerstaaten hin- Leitsätze, bestätigte, dass einige zentrale Aspekte nicht sichtlich der Umsetzungsverfahren weit weniger mutig ausreichend behandelt werden konnten. Dazu zählen für weitreichende Veränderungen waren und hinter den beispielsweise so wichtige Themen wie die Klärung von Erwartungen der Zivilgesellschaft zurückblieben. Ange- Details zur Anwendung der Leitsätze auf Finanzinstitu- sichts der Kräfteverhältnisse in den Verhandlungen stand tionen oder die Diskussion der möglichen Rolle von Na- für die Umsetzung der Leitsätze vor allem die politische tionalen Menschenrechtsinstitutionen bei der Umset- Machbarkeit im Vordergrund, und weniger was zur ef- fektiveren Anwendung des Instruments wünschenswert 1. Neben den Regierungen, TUAC und BIAC erhielt OECD Watch das und erforderlich gewesen wäre. Recht, einen Antrag auf Klärung und Interpretation der Leitsätze sowie zur Bewertung der Arbeitsweise einer nationalen Kontaktstelle beim Investitionsausschuss zu stellen. Dadurch wurde nicht nur dem Be- deutungszuwachs der NGOs als relevante Stakeholder sowie der kon- 2. In 35 der 42 Teilnehmerländer existieren Nationale Menschenrechts- struktiven Arbeit des Netzwerkes in den vergangenen Jahren Rechnung institutionen, von denen auch einige ein Mandat zur Annahme von Be- getragen, sondern auch die Beteiligungsrechte im Bereich Entwicklung schwerden gegenüber Unternehmen besitzen. Daher wäre eine Erörte- und Wirtschaft bei der OECD auf den Stand der üblichen Praxis von in- rung sowohl von Synergien beim möglichen parallelen Umgang mit Fällen ternationalen Organisationen gebracht. als auch bei der Öffentlichkeitsarbeit zu den Leitsätzen sinnvoll (ICC 2011). 4
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? 4.1 Die Ausweitung des Geltungsbereichs Die Intensität der verlangten Sorgfaltspflicht und die der Leitsätze – Sorgfaltspflicht als Kern konkreten Schritte bei einem festgestellten Risiko wer- der Unternehmensverantwortung den allerdings an den Kontext der betreffenden Ge- schäftstätigkeit, die Größe des Unternehmens oder den Die ersten beiden Kapitel zu den »Begriffen und Grund- Schweregrad der negativen Auswirkungen geknüpft. sätzen« sowie zu den »Allgemeinen Grundsätzen« der Zudem wird anerkannt, dass der Fähigkeit der Unterneh- Leitsätze zeigen, dass das Instrument für Unternehmen men, einen Einfluss auf das Verhalten ihrer Geschäfts- aus allen Sektoren gilt, so auch für Finanzinstitutionen.3 partner auszuüben, in der Praxis Grenzen gesetzt sein Dies kann als Korrektur der bisherigen Praxis verstan- können. Dennoch geben die Leitsätze im Vergleich zum den werden, da einige Kontaktstellen Fälle mit Bezügen früheren Text zahlreiche konstruktive Hinweise auf »an- zu diesem Sektor von der Behandlung ausgeschlossen gemessene Antworten« zu Risiken in der Zulieferkette. hatten (FIDH 2010). Während die Leitsätze in der Praxis bislang auf grenzüberschreitende Investitionstätigkeiten Insgesamt bedeutet die Ausweitung der materiellen und investitionsähnliche Aktivitäten der Unternehmen Reichweite der Leitsätze einen großen Schritt nach vor- beschränkt wurden, gelten sie nun für alle Geschäfts- ne, da das Instrument nun auch den existierenden Pro- beziehungen und unterstreichen die Verantwortung für blembedarf im Bereich der zunehmenden wirtschaftli- die Zulieferkette. chen Verflechtung aufgreift. Innerhalb der letzten Dekade sind die globalen Produktionsnetzwerke, Lieferketten und Kern des neuen Verpflichtungskanons stellt die Veranke- Handelsbeziehungen immer komplexer geworden, sodass rung einer gebührenden Sorgfaltspflicht für Unterneh- eine klare Bestimmung oder formelle Trennung von Inves- men (due diligence) dar. Firmen sind nun dazu verpflich- titionsgeschäften und anderen Unternehmensaktivitäten tet, Vorkehrungen zu treffen, durch die ihre Aktivitäten kaum mehr vorzunehmen war. Zudem hätte der weite- keine negativen Auswirkungen bezüglich der in den re faktische Ausschluss wichtiger Teilbereiche der Wirt- Leitsätzen behandelten Aspekte verursachen oder zu schaftsbeziehungen die Leitsätze als Mediationstool für diesen beitragen.4 Potentiell negative Auswirkungen der strittige Fragen gänzlich irrelevant erscheinen lassen. Unternehmenstätigkeit sind im Rahmen einer Risikoana- lyse zu identifizieren und durch Prävention und Abhilfe Die Praxis seitens einiger Kontaktstellen, die Anwendung anzugehen. Ferner sind bereits entstandene Schäden zu der Leitsätze auf einen Investitionsbezug und damit auf minimieren und entsprechende Wiedergutmachungs- Fälle mit hinreichendem Einfluss der multinationalen Un- maßnahmen zu ergreifen. ternehmen auf die Geschäftspartner zu beschränken, war aus verschiedenen Gründen nicht mehr zeitgemäß Von zentraler Bedeutung ist darüber hinaus, dass die ver- und zuvor stets umstritten gewesen. langten Präventions- und Abhilfemaßnahmen sich nicht nur auf das Kerngeschäft der Unternehmen beziehen, Erstens hatte die allgemeine Mitteilung des damaligen sondern ebenfalls auf die Beziehungen zu Dritten, mit de- Investitionsausschusses von 2003, die den investiven nen sie über ihre Beziehungen, Produkte oder Dienstleis- Bezug als speziellen Anwendungskontext der Leitsätze tungen in Verbindung stehen. Die Unternehmen sind dazu festschrieb und sich dabei auf die Kopplung der Leitsät- angehalten, ihre Einflussmöglichkeiten zu nutzen, um auf ze mit der OECD-Erklärung über internationale Investi- deren Verhalten einzuwirken, auch wenn sie selbst nicht tionen und multinationale Unternehmen berief, nie den direkt zu negativen Auswirkungen beigetragen haben. Status einer offiziellen Klarstellung (clarification) zu den Leitsätzen; und zweitens wurde die Einschränkung stets 3. Dieser Beitrag verzichtet auf die Unterscheidung zwischen den offi- nur selektiv angewandt – insbesondere die deutsche ziellen Bestimmungen der Leitsätze und den beigefügten Erläuterungen Kontaktstelle lehnte mehrere Fälle aufgrund eines feh- zu den Inhalten und Umsetzungsverfahren und zieht beide Teile zur In- terpretation des Sinngehalts der Vorgaben heran. Zum Rechtsstatus der lenden Investitionsbezuges ab. Gleichwohl haben ande- Leitsätze sowie zur Bedeutung der Einbettung in ein umfassendes Paket re Kontaktstellen – bspw. in Norwegen, Schweden oder von anderen Instrumenten, wie der OECD-Erklärung über internationale Investitionen und multinationale Unternehmen siehe Utz (2006). Belgien – in der Vergangenheit jedoch Fälle zu Dienst- 4. Das Prinzip der Sorgfaltspflicht gilt für alle Themenkapitel der Leitsätze leistungen, Handelsbeziehungen und Kreditfinanzierun- außer für die Bereiche Wissenschaft und Technik, Wettbewerb und Steu- gen als relevant eingestuft und behandelt (OECD Watch er. Für eine angemessene menschenrechtliche Risikoanalyse wurden über die allgemeinen Vorgaben hinaus spezifische Bestimmungen erarbeitet. 2010). Darüber hinaus entsprach die enge Interpretation 5
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? der Vorgaben in der Praxis nicht mehr dem state of the tels zur menschenrechtlichen Verantwortung von Un- art, da insbesondere große multinationale Unternehmen ternehmen einen großen Fortschritt dar. Das Kapitel in ihren firmeneigenen Kodizes die Verantwortung für definiert die Verantwortung von Unternehmen für alle die Zulieferkette bereits weitreichender auslegten. Menschenrechte in sechs Abschnitten und orientiert sich dabei an den Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für Aus diesem Grund ist eine einheitliche Auslegung zur Wirtschaft und Menschenrechte (Ruggie 2011). Reichweite der Leitsätze – wie jetzt über die Veranke- rung des Grundprinzips der Sorgfaltspflicht vorgenom- Die Leitsätze halten Unternehmen dazu an, negative men – zu begrüßen. Insbesondere mit Blick auf die Menschenrechtsauswirkungen in Bezug auf ihr eigenes Betroffenen von Unternehmensentscheidungen ist der Handeln und die Beziehungen zu Dritten zu identifizie- Paradigmenwechsel hinsichtlich der empfohlenen Ver- ren, zu verhindern und zu lindern, begangene Verletzun- antwortungsübernahme seitens der Unternehmen zu gen wieder gutzumachen sowie Rechenschaft über ihre unterstützen – weg von der formalen »Einflusssphäre« Menschenrechtsperformance abzulegen. einer Firma hin zur Konzentration auf potentielle und tatsächliche Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit Das Regelwerk schreibt den Respekt von menschen- oder den Beziehungen zu Dritten. Insgesamt stellt die rechtlichen Standards unabhängig von der Fähigkeit proaktive Sorgfaltspflicht als neue Grundlage für ver- oder dem Willen der Gastlandregierung vor – eine Ver- antwortliches unternehmerisches Handeln konzeptionell bindung, die der alte Text noch als Orientierungslinie einen wichtigen Zugewinn dar. gezogen hatte. Auch auf den möglichen Zielkonflikt zwischen nationalen Gesetzen und den Standards in Ebenso ist die Verankerung einer neuen Klausel zum den Leitsätzen wird nun eingegangen. Unternehmen qualifizierten Austausch von Unternehmen mit ihren sollen im Konfliktfall auf bestmögliche gesetzeskonfor- Anspruchsgruppen (Stakeholder engagement) positiv me Art und Weise auf die Einhaltung der internationalen hervorzuheben. Hierbei ist jedoch zu kritisieren, dass in- Standards hinwirken. Als Standards werden die Allge- ternational bereits anerkannte Prinzipien wie »Free, Prior meine Erklärung der Menschenrechte, der UN Zivil- und and Informed Consent«, nach welchem indigene Völker Sozialpakt sowie die ILO-Erklärung über grundlegende bei der Planung und Durchführung der sie betreffenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit von 1998 genannt. Vorhaben konsultiert werden müssen, keinen Eingang in Abhängig vom Kontext sollten Unternehmen darüber das Regelwerk gefunden haben. Sicher bestand die He- hinaus den normativen Rahmen achten, den weitere rausforderung der inhaltlichen Überarbeitung darin, den UN-Standards zu Rechten von indigenen Völkern, Min- schmalen Grad zwischen zu pauschalen oder vagen Be- derheiten, Wanderarbeitern, Behinderten, Frauen und stimmungen und einer zu detaillierten Regelung auszu- Kindern aufspannen. Hinsichtlich bewaffneter Konflikte loten. Dies ist in den meisten Bereichen auch gelungen. soll von den Unternehmen das humanitäre Völkerrecht Allerdings ist nicht nachvollziehbar, warum die Teilneh- geachtet werden. merländer der Leitsätze die Standardsetzung der multi- lateralen Entwicklungsbanken, die Kredite an die Privat- Um die eigene Menschenrechtsverantwortung zu er- wirtschaft vergeben, unterlaufen und einem kohärenten füllen, sollen Unternehmen eine Menschenrechtsstra- Rahmen internationaler Normen zuwiderhandeln: Die tegie (policy commitment) erarbeiten und umsetzen Performance Standards der International Finance Corpo- sowie angemessene Risikoanalysen (due diligence) ration (IFC) der Weltbank verankern klar das Prinzip des zu menschenrechtlichen Auswirkungen durchführen. »Free, Prior and Informed Consent« für Indigene. Wenn Firmen feststellen, dass sie für Menschenrechts- verletzungen verantwortlich sind, sollten sie für Unter- suchung, Bestrafung und Wiedergutmachung (reme- 4.2 Die Verantwortung für Menschenrechte diation) über legitime Prozesse sorgen. Hier verweisen und tragfähige Arbeitsbeziehungen die Leitsätze auf die Gerichte, staatlich-außerrechtliche Verfahren sowie unternehmenseigene oder gemein- Eines der Felder, auf denen die Leitsätze bisher zu vage sam mit Anspruchsgruppen verwaltete Beschwerde- geblieben waren, ist der Bereich der Menschenrechte. mechanismen, für die Mindestanforderungen formu- Hier stellt die Integration eines eigenständigen Kapi- liert wurden. 6
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? Zu kritisieren ist jedoch, dass die Leitsätze nicht aus- und ihrer Familien deckt. Hinsichtlich des Verbots von führen, wie genau Rechenschaft über den Umgang mit Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf wurden menschenrechtlichen Risikolagen abzulegen ist. Hier ILO-Empfehlungen beispielsweise hinsichtlich HIV und wäre ein Verweis auf entsprechende Berichtspflich- AIDS in der Welt der Arbeit integriert. ten angemessen gewesen. NGOs gehen in ihrer Kritik noch einen Schritt weiter und beklagen, dass nicht aus- buchstabiert wurde, wie angemessene systematische 4.3 Erweiterte Erwartungen im Bereich menschenrechtliche Verträglichkeitsprüfungen (Human Verbraucherschutz, Offenlegung von Rights Impact Assessments) durchzuführen seien (AI Informationen, Umweltschutz- und 2011). In Anbetracht zahlreicher Leitfäden und Ins- Steuerfragen sowie Korruptionsbekämpfung trumente unterschiedlicher Qualität zu diesem Bereich stellte die Konsolidierung bestehender Methoden hin zu Weitere Kapitel der Leitsätze wurden technisch aktua- einer Empfehlung der Staaten jedoch eine zu hohe Er- lisiert und punktuell erweitert.5 Erstens wurde als Ant- wartung an den Überarbeitungsprozess dar. Wenn die wort auf die zunehmende Bedeutung des Internets Vorgaben zur Sorgfaltspflicht aber nicht rein appellativer eine Klausel eingefügt, die Unternehmen zur Koope- Natur bleiben sollen, bildet diese »weiße Stelle« aber in ration und Austausch hinsichtlich der Informationsfrei- der Tat eine große zukünftige Herausforderung für alle heit im Netz anhält. Auch das Verbraucherschutzkapi- beteiligten Akteure. tel verweist nun auf Herausforderungen, die mit dem Online-Handel verbunden sind. Vor dem Hintergrund Die Harmonisierung der Leitsätze mit dem auf UN-Ebene der zunehmenden Komplexität von Märkten und Pro- entwickelten Rahmenwerk und den Guidelines for Busi- dukten betont die revidierte Fassung die Bedeutung der ness and Human Rights machen die Erwartungen der Verbraucheraufklärung. Unternehmen sollen dazu bei- Regierungen an den Privatsektor deutlicher und tragen tragen, dass Verbraucher ihre Entscheidungen in voller so zu einem kohärenten internationalen Bezugsrahmen Sachkenntnis treffen können. Zudem wird erstmals auf bei. Gleiches gilt für die Änderungen, die am Kapitel besonders schutzbedürftige Verbraucher wie Kinder über die Arbeitsbeziehungen vorgenommen wurden. oder ältere Menschen hingewiesen. Dieses steht nun in Einklang mit den relevanten ILO-Ins- trumentarien wie der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung Zweitens wurde das Kapitel zur Offenlegung von Infor- über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik in mationen den Vorgaben der OECD-Grundsätze der Cor- der Fassung von 2006. porate Governance in der Fassung von 2004 angepasst. Zu den Aspekten der unternehmerischen Geschäftstä- Vor dem Hintergrund der Zunahme von Arbeitnehmer- tigkeit, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wer- überlassungen, prekären Arbeitsverhältnissen oder dem den sollten, gehören neben wirtschaftlichen Daten auch großen informellen Sektor in vielen Schwellen- und Ent- Angaben über die soziale, ethische und ökologische Per- wicklungsländern ist zu begrüßen, dass die Empfehlun- formance. Als relevante Themen für eine Berichterstat- gen zu den Arbeitsbeziehungen nun für eine größere tung werden nun auch Treibhausgasemissionen und der Vielfalt von Arbeitsverhältnissen gelten. Im Text der Leit- Umgang mit Fragen der Biodiversität genannt. Drittens sätze schlägt sich dies durch den Verweis auf die Rechte schreibt das Umweltkapitel den Unternehmen vor, ihre von Arbeitern (workers) und individuals in an employ- Treibhausgasemissionen zu reduzieren, und betont ex- ment relationship nieder – statt der zuvor aufgeführten plizit die Notwendigkeit, die Umweltauswirkungen ihrer Angestellten (employees). Aktivitäten zu verringern und auszugleichen. Für die Interpretation der Vorgaben in den Leitsätzen Viertens umfassen die Vorgaben zur Korruptionsbe- wird nun generell auf die detaillierten ILO-Instrumente kämpfung nun die Bereiche Bestechung, Bestechlichkeit verwiesen, beispielsweise auf Kriterien, die einem Be- und Erpressung; die Bestimmungen zu relevanten Ma- schäftigungsverhältnis zu Grunde liegen. Sehr fort- nagementkontrollsystemen wurden präzisiert. Fünftens schrittlich ist auch die neue Vorgabe, dass Unternehmen bei ihren weltweiten Aktivitäten mindestens einen Lohn 5. Eine Ausnahme bildet hier das Kapitel »Wissenschaft und Technolo- zahlen sollen, der die Grundbedürfnisse der Arbeiter gie«, bei dem nur ein Wort hinzugefügt wurde. 7
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? wurde im Kapitel zur Besteuerung durch eine Zusatz- Ermessen zu organisieren.6 Dies betrifft sowohl die An- klausel unterstrichen, dass Steuerfragen Gegenstand siedlung bei einer oder mehreren staatlichen Stellen als der Risikomanagementsysteme sein sollten. Im Rahmen auch die Einbindung anderer Akteursgruppen, wie Ge- der Überarbeitung wurde die Verpflichtung zur Mit- werkschaften, Unternehmensverbände oder NGOs. Al- teilung von Informationen zu Steuerzahlungen jedoch lerdings wird nun explizit auf die Möglichkeit verwiesen, nicht auf eine länderbezogene Rechnungslegung aus- ein mit verschiedenen Anspruchsgruppen besetztes Bera- geweitet. Um Verlagerungen von Unternehmensge- tungs- oder Aufsichtsgremium zu gründen, das den Kon- winnen oder Missbrauch von Verrechnungspreisen zu taktstellen in der Ausübung ihres Mandats behilflich ist. vermeiden, wäre die Inklusion von Bestimmungen zu »country by country reporting« jedoch sinnvoll gewe- Zum Umgang mit Beschwerden stellt der neue Text klar, sen. Dementsprechend zeigten sich auch NGOs über dass parallel anhängige Gerichts- oder Verwaltungsver- diese verbleibende Lücke mit dem Verweis auf die gel- fahren der Annahme einer Beschwerde nicht zwingend tende amerikanische Gesetzgebung sowie laufende entgegenstehen. In diesen Fällen wird darauf verwiesen, EU-Initiativen in diesem Bereich sehr enttäuscht (OECD den positiven Mehrwert einer Mediation seitens der Watch 2011). Kontaktstelle zu prüfen bzw. die Gefahr einer negativen Beeinflussung der parallelen Verfahren auszuschließen. 5. Das Umsetzungsverfahren – Zum Mediationsverfahren wurden übergreifende hand- »Herzstück« der Leitsätze lungsleitende Prinzipien sowie höhere Transparenzanfor- derungen und Zeitvorgaben verabschiedet. Dazu zählen Das »Herzstück« der Leitsätze stellt das verbindliche die Bestimmungen, dass die Kontaktstellen auf unpar- Umsetzungsverfahren über die nationalen Kontaktstel- teiliche Weise zur Lösung von Konflikten beitragen sol- len in den Teilnehmerstaaten dar. Darüber hinaus ist der len und alle beteiligten Parteien gleich zu behandeln ha- Investitionsausschuss auf Ebene der OECD für die Über- ben (»impartial, equitable«). Zugleich soll das Verfahren wachung und Implementierung der Leitsätze zustän- durch klare und bekannte Prozesse vorhersagbar sein dig. Hinsichtlich der Mandate beider Gremien wurden und dem Geist der Leitsätze entsprechen (»predictable, punktuell Ergänzungen vorgenommen. Abgesehen von compatible with the Guidelines«). Mediationsbemühun- einigen neuen Vorgaben wurden in der Regel jedoch gen durch die Kontaktstelle können weiterhin vertrau- Klauseln eingefügt, die keine klare Handlungsanleitung lich bleiben, ebenso genießen gegebenenfalls sensible enthalten, sondern stattdessen schlicht unterschiedliche Unternehmensdaten oder sonstige ausgetauschte Infor- Optionen aufzählen, beispielsweise zur Struktur einer mationen Schutz. Kontaktstelle oder zum Umgang mit Beschwerden. Eine wesentliche Neuerung stellt jedoch die Bestimmung dar, die Ergebnisse der Konsultationen stets zu veröffent- 5.1 Neue Handlungsanleitung für nationale lichen. Dies gilt sowohl für die Gründe einer Beschwer- Kontaktstellen, Förderagenda der OECD deablehnung als auch für die Fakten bei Einigung der Parteien auf eine gemeinsame Lösung. Eine öffentliche In Bezug auf die nationalen Kontaktstellen wurde zu- Abschlusserklärung ist auch abzugeben, wenn die betei- nächst der Hinweis ergänzt, dass diese seitens der Re- ligten Parteien keine Einigung über die strittigen Fragen gierungen mit ausreichend Ressourcen ausgestattet erzielen konnten oder ein Unternehmen die Teilnahme werden sollen. Zur Arbeitsweise dieser Gremien wird am Schlichtungsverfahren verweigerte. In diesen Fällen betont, dass diese einerseits unbefangen arbeiten sollen 6. Die vier Schlüsselkriterien für die Arbeit einer nationalen Kontakt- (»operate in an impartial manner«), andererseits den je- stelle – Sichtbarkeit, Zugänglichkeit, Transparenz und Rechenschafts- weiligen Regierung angemessen rechenschaftspflichtig pflicht – sollen die funktionelle Äquivalenz auch bei unterschiedlichem Aufbau der Stellen in den Teilnehmerstaaten garantieren. Momentan seien sollten. sind sechs verschiedene Ausgestaltungsformen verbreitet: 20 nationale Kontaktstellen der Teilnehmerstaaten sind in einem einzelnen Minis- terium angesiedelt, acht sind interministeriell verankert. Unter Einbezug Außer der Beachtung des bereits geltenden Prinzips der von Anspruchsgruppen existieren zwei zweigliedrige, neun dreigliedrige und eine viergliedrige nationale Kontaktstelle; zwei Kontaktstellen besit- »funktionalen Äquivalenz« bleibt den Regierungen je- zen indes eine gemischte Struktur, die sowohl unabhängige Experten als doch weiter freigestellt, ihre Kontaktstelle nach eigenem auch Regierungsvertreter einschließt (OECD 2010b). 8
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? wird die Kotaktstelle angehalten, Empfehlungen zur gilt das Ziel, zu einem einheitlichen Regulierungsniveau Anwendung der Leitsätze zu formulieren. Im Falle einer (»level playing field«) für Unternehmen beizutragen und Einigung kann seitens der Parteien vereinbart werden, neue Beitrittsländer zu den Leitsätzen zu gewinnen. die Kontaktstelle in das Monitoring der vereinbarten Lö- sung einzubeziehen. Wenn eine Kontaktstelle im Falle einer Nichteinigung eigene Empfehlungen ausspricht, 5.2 Stärken und Schwächen des neuen kann sie die Umsetzung seitens der Beteiligten nachhal- Umsetzungsverfahrens ten. Allerdings ist das follow-up einer Empfehlung als Teil des Verfahrens nicht fest vorgeschrieben, sondern Die Arbeitsweise der nationalen Kontaktstellen ist essen- dem Ermessen der jeweiligen Kontaktstelle überlassen. tiell, um die wirksame Umsetzung der Leitsätze zu för- Um die Kohärenz innerhalb des Regierungshandels zu dern. Die zukünftige Möglichkeit, die Leitsätze auch auf stärken, werden die Kontaktstellen durch den neuen Zuliefer- und Handelsbeziehungen anzuwenden, wurde Text ermutigt, ihre Abschlusserklärungen auf die Rele- bereits als großer Fortschritt herausgestellt. Darüber hi- vanz für andere Regierungsprogramme und Politikfelder naus ist positiv anzumerken, dass die Anforderungen an hin zu prüfen und entsprechende staatliche Stellen über die Verfahren hinsichtlich wichtiger Kriterien wie den ihre Entscheidungen zu informieren. Transparenzerfordernissen und Zeitvorgaben präzisiert wurden. Dadurch wird der Prozess für Außenstehende Der Orientierungswert für die abschließende Behand- und beteiligte Parteien vorhersehbarer gestaltet. Da die lung von Fällen wurde auf 12 Monate festgesetzt. Zur Behandlung von Beschwerdefällen unter der Regie ei- Klärung von Fällen, die in Nichtteilnehmerstaaten auftre- ner nationalen Kontaktstelle ein außergerichtliches und ten, werden die Kontaktstellen erneut angehalten, ein auf einvernehmliche Lösungen abzielendes Verfahren angemessenes Verständnis der Sachlage zu entwickeln. darstellt, ist auch die Betonung der Komplementarität Als hilfreich werden hierbei Anfragen genannt – bei- einer gerichtlichen Untersuchung mit dem Vermittlungs- spielsweise beim Heimatunternehmen oder den eigenen verfahren ein wichtiger Schritt zu einer kohärenten An- Botschaften im Nichtteilnehmerland –, aber auch nicht wendung der Leitsätze in den Teilnehmerländern. Zuvor weiter definierte »fact finding activities«. wurden parallele Gerichtsverfahren häufig als Grund für die Ablehnung von Fällen herangezogen (Utz 2006). Einen großen Schwerpunkt legt die Neufassung der Leit- sätze auf den Austausch und die Zusammenarbeit zwi- Begrüßenswert ist insbesondere der erneuerte Konsens, schen den einzelnen nationalen Kontaktstellen unterein- dass sich die Kontaktstellen an der Informationsgewin- ander. Dazu soll das neu aufgenommene Verfahren des nung zu Vorfällen in Nichtteilnehmerländern beteiligen freiwilligen Peer learning beitragen. Angedacht sind die und somit Mediations- und Schlichtungsbemühungen gegenseitige Evaluierung der Arbeit sowie der Austausch nicht nur auf den Aussagen der beteiligten Parteien be- zu spezifischen Themen. Dieses gemeinsame Lernen zu ruhen sollen. forcieren, ist Teil der neuen Förderagenda (»proactive agenda«), die dem Investitionsausschuss sowie dem Se- Obwohl Befragungen von Unternehmen ergeben, dass kretariat der OECD aufgetragen wird. Das Sekretariat die Leitsätze seitens der Wirtschaft als Referenzgröße soll zukünftig als zentrale Anlaufstelle für alle Fragen zu genutzt werden, muss das Regelwerk bekannter wer- den Leitsätzen fungieren und u. a. Trainingsseminare zu den, um sein volles Potential zu entfalten. Aus diesem den Umsetzungsverfahren der Leitsätze anbieten. Fer- Grunde ist die beschlossene Förderagenda auf Ebene ner wurde der Aufbau einer aktuellen Datenbank fest- der OECD sehr zu begrüßen.7 Auch die Entwicklung ei- geschrieben, die mit der Entwicklung eines einheitlichen ner Datenbank zu den Eingaben bei Kontaktstellen geht Berichtsformats zur Meldung von Beschwerdefällen an den Ausschuss verbunden sein soll. 7. Eine Umfrage unter 89 europäischen börsennotierten Unternehmen aus dem Jahr 2008 ergab, dass die Ansätze der Firmen im Bereich Corpo- Ein weiterer Schwerpunkt der Agenda liegt auf der För- rate Social Responsibility (CSR) zu 92 % auf dem UN-Global Compact, zu 64 % auf der ILO-Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen derung der Bekanntmachung der Leitsätze bei den Un- und Sozialpolitik und zu 55 % auf den OECD-Leitsätzen basierten oder von diesen geprägt wurden. 85 % gaben an, dass sich die Leitsätze für ternehmen als Regelungsadressaten und insbesondere die Berichterstattung zur sozialen Unternehmensverantwortung gegen- im Hinblick auf die Nichtteilnehmerländer. Mittelfristig über Anspruchsgruppen eignen (Hohnen 2009). 9
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? ein bisheriges Defizit an, da bislang kein umfassendes wurde auch bei festgestellten Verstößen gegen die Leit- offizielles Register über die Beschwerdefälle im Rahmen sätze keine Verhängung von Sanktionen auf Ebene der der Leitsätze existiert. Grundsätzlich ist die stärkere Rolle OECD festgesetzt – auch wenn dies effektive Anreize für des Investitionsausschusses sowie des OECD-Sekretari- die Regeleinhaltung geschaffen hätte. Allerdings hindert ats mit der Hoffnung verbunden, die zukünftige Anwen- diese Entscheidung die einzelnen Teilnehmerländer nicht dung der Leitsätze in der Praxis fortlaufend auf hohem daran, derartige Maßnahmen auf anderem Wege zu ko- Niveau zu vereinheitlichen. Hierzu können nicht nur sei- difizieren und somit zur Förderung der Wirksamkeit der tens des Ausschusses organisierte Dialogforen oder die Leitsätze beizutragen. So heißt es in den modifizierten jährliche Prüfung der Aktivitäten der 42 Kontaktstellen Leitsätzen ausdrücklich: »Observance of the Guidelines dienen, sondern auch die Auslegung der Leitsätze auf by enterprises is voluntary and not legally enforceable. multilateraler Ebene. Einzelne Teilnehmerstaaten, NGOs Nevertheless, some matters covered by the Guidelines und Gewerkschaften können einen solchen Prozess may also be regulated by national law or international durch die Nutzung des Antragsverfahrens zur Prüfung commitments« (OECD 2011a: 15). einer konkreten Frage auf multilateraler Ebene forcieren. Nur sehr vage wird im neuen Text eine Richtung ange- Dennoch verbleiben zentrale Schwächen im Umset- deutet, die den Leitsätzen mehr »Biss« verleihen könnte: zungsverfahren. Die enormen Abweichungen in der die Ergebnisse von konkreten Beschwerdefällen sollen organisatorischen Ausgestaltung der nationalen Kon- nun an andere Regierungsstellen kommuniziert werden. taktstellen widersprechen dem Prinzip der »funktiona- Einen wirklichen Anreiz zur Regeleinhaltung würde je- len Äquivalenz« und schaden der effektiven Umsetzung doch vor allem die klare Kopplung von Instrumenten der und Glaubwürdigkeit der Leitsätze. Potentielle Interes- Außenwirtschaftsförderung an die Einhaltung der Leit- senkonflikte durch eine weiterhin erlaubte Ansiedlung sätze darstellen, was auf nationaler Ebene sichergestellt der Kontaktstelle bei einer einzigen Regierungsstelle, die werden müsste. In Deutschland werden die Unterneh- gleichzeitig für die Wirtschaftsförderung und den Au- men, die sich für Investitionsgarantien bewerben, zwar ßenhandel zuständig ist, wurden nicht ausgeschlossen. über die Leitsätze informiert; um die Wirksamkeit der Leitsätze zu erhöhen, wäre allerdings eine stärkere Kon- Für eine übergreifendere Struktur der Kontaktstelle ditionalisierung vonnöten, wie sie beispielweise in den spricht das neu festgesetzte Prinzip der Überparteilich- Niederlanden Praxis ist. Dort müssen sich Unternehmen keit bei der Vermittlung im Konfliktfall. Auch empirische zur bestmöglichen Einhaltung der Leitsätze verpflichten, Studien zur Praxis der Leitsätze haben gezeigt, dass um Exportbürgschaften oder Investitionsgarantien zu er- nationale Kontaktstellen mit einer Struktur, die Sozial- halten (OECD 2010b). partner und Zivilgesellschaft einbindet, im Rahmen von Beschwerdefällen eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Unverständlich bleibt die Tatsache, dass keine Kriterien Problemlage zeigten und im Vergleich zu anderen Kon- hinsichtlich der Aussagekraft der Abschlusserklärun- taktstellen ein breiteres Spektrum an Aktivitäten zur Lö- gen im Falle einer Nichteinigung festgesetzt wurden. sung der vorliegenden Streitfrage aufwiesen (Utz 2006). Hier haben sich eindeutig die Interessen der Wirtschaft Darüber hinaus können Aufsichtsgremien dazu dienen, durchgesetzt, die eine Bewertung des vorliegenden Un- die Glaubwürdigkeit des Verfahrens zu steigern. In die- ternehmensverhaltens durch die Kontaktstellen als un- sem Zusammenhang ist beispielsweise die britische Pra- vereinbar mit dem Ziel der Mediation und dem Charak- xis richtungsweisend, wo die interministeriell verankerte ter der Leitsätze ansieht (BIAC 2011). Kontaktstelle ein Steering Committee aus Vertretern aller Anspruchsgruppen besitzt, das die Arbeit der Kon- Dem ist entgegenzuhalten, dass die Bewertung von Fak- taktstelle beaufsichtigt.8 ten und Argumenten – bei klarer Trennung der Vermitt- lungs- und Entscheidungsphase und nach dem Scheitern Der freiwillige und nicht strafbewehrte Charakter der einer Mediation – das freiwillige Dialogverfahren sowie Leitsätze wurde in der Überprüfung bestätigt. Analog zu die Soft Law-Natur der Leitsätze nicht infrage stellt. Zu- dieser bewussten Entscheidung der Teilnehmerstaaten dem ist die öffentliche moralische Sanktionierung sowie die Äußerung von konkreten Empfehlungen zur besse- 8. http://www.bis.gov.uk/nationalcontactpoint (Zugriff 20.6.2010). ren Normeinhaltung bereits durch das Mandat der na- 10
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? tionalen Kontaktstellen gedeckt, auch wenn von dieser übergreifende Orientierungsfunktion der Leitsätze. Möglichkeit in den Jahren 2000 bis 2005 nur zaghaft Insgesamt kann von einem »Upgrade« der Leitsätze ge- Gebrauch gemacht wurde (Utz 2006). Allerdings haben sprochen werden, da die Revision 2011 im Vergleich zur die Kontaktstellen für den gesamten Zeitraum zwischen früheren Version aus dem Jahr 2000 und analog zum 2000 und 2010 immerhin in 14 von 29 behandelten Fäl- offiziellen Ziel der Überarbeitung ein wirksameres Re- len, die mit einer Abschlusserklärung endeten, eine Be- gelwerk geschaffen hat. wertung des Unternehmensverhaltens vorgenommen.9 Während vor allem bei den inhaltlichen Empfehlungen an In der Neufassung wurde folglich die Chance vertan, Unternehmen große Fortschritte erzielt werden konnten, eine einheitliche Praxis in dieser Frage festzuschreiben wurden hinsichtlich der Umsetzungsverfahren bei wei- und damit die Vorhersehbarkeit des Verfahrens – ins- tem nicht alle bestehenden »grauen Zonen« und kon- besondere für betroffene Unternehmen – zu erhöhen. kurrierenden Interpretationen einer Klärung zugeführt. Eine klare Bewertung des Unternehmensverhaltens wür- Zwar wurden die Verfahrensanleitungen für die natio- de auch einen Mehrwert für Investoren, Ranking- und nalen Kontaktstellen präzisiert und verbessert, und auch Ratingagenturen im Bereich nachhaltiger Investments der OECD wird nun eine stärkere Rolle bei der Umset- darstellen, da diese durch den Verlauf und das Ergebnis zung der Leitsätze zugestanden, aber dennoch konnten der Schlichtung neue Erkenntnisse zur Bewertung von wichtige Bestimmungen zur effektiveren Umsetzung der Unternehmen gewinnen könnten.10 Leitsätze nur in unzureichendem Maße verankert wer- den. Da ein effektives Umsetzungsverfahren den Lack- Darüber hinaus bleibt zu kritisieren, dass auch das ange- mustest für jeden normativen Standard darstellt, wiegt messene Nachhalten einer Empfehlung seitens der Kon- diese verpasste Chance schwer. Dementsprechend ist an taktstelle nicht ausreichend kodifiziert wurde, um damit den politischen Willen der einzelnen Teilnehmerländer zu den Mehrwert des Verfahrens gegenüber anderen CSR- appellieren, die Durchsetzungskraft der Leitsätze zukünf- Initiativen deutlich zu unterstreichen. Grundsätzlich er- tig über nationale Politiken und Praktiken weiter zu stär- möglicht das Verfahren potentiellen Opfern den Zugang ken sowie die neuen Pflichtvorgaben für die nationalen zu Mediation in einem konkreten Fall – deren Ergebnis Kontaktstellen umzusetzen bzw. nicht zu unterlaufen. sollte aus Fairness gegenüber allen Parteien dann auch nicht im Sande verlaufen. Um die Leitsätze in ihrer Wirksamkeit zu stärken, besteht folgender Handlungsbedarf: 6. Schlussbewertung und Um das neue Konzept der unternehmerischen Sorgfalts- Handlungsempfehlungen pflicht mit Leben zu füllen, sollten verstärkt Trainingsse- minare und Lernforen für Unternehmen angeboten wer- Insgesamt ist festzustellen, dass die Verhaltensempfeh- den, die die Integration des Konzepts in die bestehenden lungen für Unternehmen durch die Revision des Regel- Managementprozesse fördern. Um Beliebigkeit zu ver- werks an die gewandelten Rahmenbedingungen des meiden, sollten Managementsysteme oder menschen- globalen Wirtschaftens angepasst werden konnten. rechtliche Verträglichkeitsprüfungen bestimmte Rahmen- Zentrale neue Standards wurden ergänzt, die Kohärenz bedingungen erfüllen – wie Transparenz und Einbindung zu anderen relevanten internationalen Instrumenten der Anspruchsgruppen. Über den Umgang mit sozialen, wurde hergestellt und der breite Umfang der erfassten ökologischen oder menschenrechtlichen Risiken sollte Themen betont die allgemeingültige und branchen- seitens der Unternehmen verpflichtend berichtet werden. Eine einheitliche Berichterstattung wäre nicht nur der 9. http://oecdwatch.org/cases (Zugriff 20.6.2011). Schlüssel zu einem »level playing field«, sondern auch zur 10. OECD Watch schreibt in diesem Zusammenhang: »Socially respon- Anerkennung von verantwortlichem unternehmerischem sible investors expressed interest in using the specific instance procedures as a basis for investment decisions. But in the absence of clear state- Handeln durch die Verbraucher. Auch wenn die Leitsätze ments by NCPs [National Contact Points] as to whether a company has hierzu keine Empfehlung enthalten, verspricht die noch breached the Guidelines it’s difficult for SRI [socially responsible investors] agencies to use the outcomes in their investment decisions. There was für dieses Jahr angekündigte Initiative der Europäischen agreement that the instrument would need to become more of an arbi- Kommission zur Nachhaltigkeitsberichterstattung wichti- tration or adjudication system capable of resolving investment disputes for it to be truly useful to the SRI community« (OECD Watch 2008: 6). ge Impulse für diesen Bereich (BMAS 2011). 11
BRITTA UTZ | UPDATE ODER UPGRADE? Um Anreize zur Regeleinhaltung über eine Unterschei- ten verstärkt werden, den Geltungsbereich der Leitsätze dung zwischen guten und schlechten Performern zu set- weiter auszudehnen und Hinderungsgründe für weitere zen, sollte die Verwendung der Leitsätze unter Investoren, Beitritte zu eruieren.11 Ranking- und Ratingagenturen im Bereich nachhaltiger Anlagen gefördert werden. Richtungsweisend erweist Um die Leitsätze in ihrer Wirksamkeit zu stärken, besteht sich hier ein gemeinsames Projekt von OECD Watch und auch auf nationaler Ebene in Deutschland Handlungsbe- dem European Social Investment Forum (Eurosif), das zur darf. Bewertung der CSR-Performance eines Unternehmens bereits Indikatoren und Leitfragen analog zu den Inhalten Da die Praxis der deutschen Kontaktstelle in den ver- der Leitsätze entwickelt hat (OECD Watch 2008). gangenen Jahren stets umstritten war, sollte die Bun- desregierung die Gelegenheit nutzen, im Rahmen der Zur Umsetzung der normativen Vorgabe, dass Unterneh- abgeschlossenen Überarbeitung der Leitsätze auch die men einen existenzsichernden Lohn zahlen sollen, ist die Struktur, Arbeitsweise und Ressourcenausstattung der Unterstützung von branchenspezifischen oder regiona- Kontaktstelle zu überdenken, um zu best practices ande- len Pilotprojekten sowie der Austausch zwischen der Pri- rer Teilnehmerländer, wie den Niederlanden oder Groß- vatwirtschaft, Zivilgesellschaft und den Gewerkschaften britannien, aufzuschließen. Hierzu sollte möglichst bald zu diesem Thema zielführend. Um die Rolle der Leitsätze ein Peer review vorgenommen werden, um die Umset- für den Opferschutz zu stärken, wäre zukünftig darauf zu zung der Leitsätze in Deutschland nach Vorbild der Über- achten, auch lokale oder direkt betroffene Gemeinschaf- prüfung der niederländischen Kontaktstelle im Jahr 2009 ten in die genannten »Aktivitäten zur Sachverhaltserfas- zu evaluieren. Von zentraler Bedeutung bleibt es, poten- sung« zu einer Streifrage einzubeziehen. Daran sollten tielle Interessenkonflikte bei der Arbeit der deutschen vorbildliche Maßnahmen der nationalen Kontaktstellen Kontaktstelle zukünftig zu vermeiden und dem Prinzip zukünftig gemessen werden. Zugleich ist sicherzustellen, der Unparteilichkeit nachzukommen. Darüber hinaus gilt dass diesen Gremien für solche Aktivitäten genug Res- es, die Transparenz des Verfahrens bei der deutschen sourcen zur Verfügung stehen. Kontaktstelle zu fördern und den Austausch mit unter- schiedlichen Anspruchsgruppen zu stärken, der bisher im Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sollten Rahmen eines »Arbeitskreises zu den Leitsätzen« nur in bei der Umsetzung der Leitsätze unterstützt werden. niedriger Intensität stattgefunden hat. Diesem Ziel hat sich auch die Förderagenda auf Ebene der OECD verschrieben. Daher sollte das Arbeitspro- Um den aktuellen Vorgaben in den Leitsätzen – wie die gramm rasch mit konkreten Inhalten gefüllt werden und erwünschte eigene Sachverhaltserfassung im Streitfall – auch die seitens des Vorsitzenden der Arbeitsgruppe des gerecht zu werden, sollte die deutsche Kontaktstelle mit Investitionsausschusses zur Revision herausgegriffenen ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen offenen Themen berücksichtigen. Die ausreichende Fi- ausgestattet werden. Um den Zugang von Betroffenen nanzierung der Förderagenda ist sicherzustellen, die von zum Schlichtungsverfahren im Zusammenhang mit deut- den Gewerkschaften ins Spiel gebrachte Gründung einer schen Unternehmen zu erleichtern, als auch vorgebrachte neuen Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Leitsätze inner- strittige Sachlagen im Ausland zu eruieren, sollten auch halb der OECD zu prüfen (TUAC 2011). die deutschen Botschaften im Ausland verstärkt in eine Umsetzung einbezogen werden. Im Rahmen des Überarbeitungsprozesses ist positiv he- rauszustellen, dass das Ziel, die Leitsätze zu verbreiten, Aus menschenrechtlicher Perspektive besteht die Not- nicht gegen die Weiterentwicklung des Instruments aus- wendigkeit, die öffentliche Beschaffung und Vergabe gespielt wurde. Da Investitionsströme aus den Schwel- von Exportkrediten, Kreditbürgschaften und Investi- lenländern in andere Staaten zugenommen und Unter- tionsgarantien an Unternehmen konsequent mit Sozial-, nehmen aus dieser Ländergruppe damit stark an Gewicht gewonnen haben, verbleibt gleichwohl die Herausforde- 11. Möglicherweise liegen die Hinderungsgründe für weitere Länder- rung, die Leitsätze auf weitere Länder – wie etwa Indien, beitritte in Vorbehalten gegenüber der mit den Leitsätzen verbundenen Investitionserklärung, die sowohl Prinzipien der Inländerbehandlung von China oder Russland – auszuweiten. Folglich sollte das Unternehmen unter ausländischer Kontrolle als auch die Vermeidung wi- Engagement seitens der OECD und der Teilnehmerstaa- dersprüchlicher Auflagen für Unternehmen vorsieht. 12
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